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Berliner Abendblätter.
7tes Blatt. Den 8ten October 1810.
Kunſt⸗Ausſtellung.
(Fortſetzung.)
Das Portraͤt ſoll uͤberhaupt den Menſchen darſtellen, wo moͤglich, im vollſtaͤndigſten und gedraͤngteſten Augenblicke ſeines Lebens; dergeſtalt, daß nicht bloß der aͤußere Schein und Schatten ſeiner Zuͤge aͤhnlich abgeſchrieben, ſondern ſein ganzes Innres gleichſam eroͤffnet und die daurende Grundrichtung ſeines Weſens vernehmlich offenbart werde. Ein Geſicht, welches von keinem Gedanken belebt wird, auf welchem ſich kein Charakter ausdruͤckt, macht ſchon im Leben einen unangenehmen Eindruck; aber auf der Leinwand eine ſolche Unbedeutenheit dieſes bloße ſelbſtbewußte und ſelbſtgefaͤllige Vorzeigen der eigenen Geſichtszuͤge fuͤr alle Ewigkeit feſtgehalten zu ſehen, iſt wahrhaft widerlich. Wenn wir uns das Portraͤt eines Verwandten, eines Freundes, kurz eines werthen Gegenſtandes wuͤnſchen, ſo moͤchten wir in dieſem Bilde gewiſſermaßen ihn ſelbſt beſitzen, wie er leibte und lebte, wie er ſein konnte, wenn er am meiſten Er ſelbſt war. Wir moͤchten die ganze Gutmuͤthigkeit oder die Ironie, den Ernſt oder die Laune, die Kraft oder die Behaglichkeit ſeines Weſens ausgedruͤckt ſehen; wir moͤchten die ihm eigenthuͤmliche Sorgfalt oder Nachlaͤſſigkeit ſeines Anzuges nicht vermiſſen; ja wir moͤchten um ihn her die ihm eigenſten und liebſten Umgebungen und als Hintergrund ſogar den Ort erblicken, wo er am aufgeregteſten, wo er am mei28ſten Er ſelbſt ſein konnte. Wenn man ihn ſtatt deſſen uns nun zeigte in einer ihm ganz fremden Tracht, wunderbar geſchminkt und mit einem unverkennbar angenommenen, ihm ſelbſt nicht angehoͤrenden Ausdrucke, oder gar ohne allen Ausdruck; wuͤrden wir nicht glauben, er ſei gemacht worden im Augenblicke, da er auf eine Buͤhne habe treten wollen? wuͤrden wir nicht eine Mißempfindung haben, daß unſer Verwandter oder Freund hier ſich ſelbſt ſo entwendet erſcheine? Aus welchem anderen Grunde werden wir von den Portraͤten altdeutſcher Meiſter ſo unwiderſtehlich angezogen, als weil wir dort menſchliche Geſichter erblicken, die ſich gleich uns kund geben, mit denen die Bekanntſchaft ſo leicht gemahlt iſt, die wir ſchon gekannt zu haben glauben? Dieſe Maͤnner, die ſo rüſtig und derb, oder ſo treu und ehrlich, oder ſo froh und wohlgemuth, oder ſo fromm und gottesfürchtig ausſehen, und dieſe züchtigen, haͤuslichen, andaͤchtigen, reinlichen Frauen, alle mit ihren natuͤrlichen, ungefaͤrbten Geſichtern, erſcheinen ſie nicht wie alte, werthe Bekannte und Freunde? Und wenn wir nun gar die Werke der großen Meiſter betrachten, ihre Portraͤte der oͤffentlichen Perſonen und Charactere ihrer Zeit: die Paͤpſte Leo X und Sixtus V vom Rafaël und Velasquez, den Herzog Sforza vom Leonardo da Vinci, Heinrich VIII vom Hollbein, die vier Staatsmaͤnner des Rubens, die Stuarts des VanDyck u. ſ. w. ſcheint es nicht, als wuͤrde durch dieſe Bilder die Geſchichte und das Leben jener Maͤnner ſelbſt erſt erlaͤutert und vervollſtaͤndigt?
Indeſſen darf es auch nicht uͤberſehen werden, daß die Portraͤtmahler unſerer Zeit eine ſchwierigere Aufgabe haben, wie jene aͤlteren. Das durchgaͤngige Streben unſerer Zeitgenoſſen nach einer aͤu29ßern allgemeinen Politur, nach einem convenzionellen Scheinleben verhindert das Heraustreten und alſo auch das Auffaſſen entſchiedener Eigenthümlichkeiten, und daher iſt es zu begreifen, warum ſinnige und beſcheidene Kuͤnſtler, die ihre Kunſt und ihre Zeit kennen, mit Recht zu einer bedeutſamen, man moͤchte ſagen, ſymboliſirenden Einkleidung und Abfaſſung ihrer Portraͤte ihre Zuflucht haben nehmen muͤſſen.
(Wird fortgeſetzt.)
Ueber die wiſſenſchaftlichen Deputationen.
Eine charakteriſtiſche Eigenheit der neuen Preußiſchen Staatsorganiſation ſind die mancherley Canaͤle welche man den Wiſſenſchaften eroͤfnet hat, um auf die Adminiſtration einzuwirken, um, wie durch eine Art von Infuſion alle Zweige der Verwaltung zu durchdringen. Die Urheber der neuen Inſtitutionen haben richtig erkannt daß unter den letzten Weltbewegungen das Licht der Wiſſenſchaften zu maͤchtig geworden iſt, um es von der Regierung der Voͤlker auszuſchließen.
Um den Staat durch die Wiſſenſchaften zu veredlen, ſeine Wirkſamkeit zu verſichern, ſeinen Lauf zu beſchleunigen giebt es zwei Mittel, ein direktes, durch Deputationen, d. h. durch gelehrte Korporationen welche den einzelnen Verwaltungszweigen zu Rath, Huͤlfe und Bericht angehaͤngt ſind. Das Reich der Wiſſenſchaften ſendet Deputirten, um in allen einzelnen Faͤllen die gerade benoͤthigte Portion Wiſſenſchaft der adminiſtrativen Behoͤrde zuzumeſſen.
Der indirekte Weg wäre, den Geiſt der lebendigen Wiſſenſchaft den Staatsbeamten von vorn herein durch eine verbeſſerte politiſche Erziehung ſo mitzutheilen, daß das Reich der Wiſſenſchaften den Staat durchdraͤnge und daß es weiter keiner Deputirten von auſſenher beduͤrfte.
30Es ſcheint eine beſſere Manier, durch weiſe naturgemäße Pflege, den Baum die angemeßne Nahrung durch ſeine Wurzel ſanft und allmaͤhlig aus der Erde ſaugen laſſen, als durch kuͤnſtliche, chemiſche Bereitung ihm in jedem beduͤrftigen Augenblick ſeine Nahrungsſäfte durch aͤußere Infuſion zuzufuͤhren.
Man wuͤrde dieſe einfachen Bemerkungen ſehr mißverſtehn, wenn man ſie ohne Vorſicht auf die bey uns bereits eingerichteten wiſſenſchaftlichen Deputationen beziehen wollte, welche aus Gelehrten gebildet ſind, auf deren Beſitz die Nation mit Recht ſtolz iſt. Es bedarf ihrer vielleicht einſtweilen, weil eine verbeſſerte politiſche Erziehung doch erſt der folgenden Generation zu Gute kommen koͤnnte. Indeß kann ihr hoͤchſter Zweck nur der ſein, im Laufe der Zeit ſich ſelbſt unnöthig zu machen.
Immer iſt die Frage von der Capitulation oder der Vereinigung der Wiſſenſchaften und des praktiſchen Lebens eine der wichtigſten die jetzt zur Beantwortung vorliegen. Der groͤßte Staatsmann empfindet den hemmenden Einfluß der Syſteme und Prinzipien, welche die letzte Zeit ausgegohren, und die nun in einer verfuͤhreriſchen Reife daſtehn und trotzen, ohne daß ſie gerade durch Gewalt oder bloße Klugheit zu beſeitigen wären.
Je mehr es der beſondre Ruhm unſerer Zeit iſt, daß die Wiſſenſchaften maͤchtig geworden ſind, um ſo mehr iſt es, erſtes unter allen Problemen des Staatsmanns ſie zu baͤndigen, das heißt, da er ſie braucht und ſie ſich nicht mehr unterdruͤcken laſſen, ſie zu regieren.
Polizei⸗Ereigniß.
Vom 7. October.
Ein Arbeitsmann, deſſen Name noch nicht angezeigt iſt, wurde geſtern in der Koͤnigsſtraße vom Kutſcher des Profeſſor Grapengießer uͤbergefahren. Jedoch ſoll die Verwundung nicht lebensgefaͤhrlich ſein.
Extrablatt
zum 7ten Berliner Abendblatt.
Polizeiliche Tages⸗Mittheilungen,
Etwas uͤber den Delinquenten Schwarz und die Mordbrenner⸗Bande.
Die Verhaftung des in den Zeitungen vom 6. d. M. ſignaliſirten Delinquenten Schwarz (derſelbe ungenannte Vagabonde, von dem im 1ſten Stuͤck dieſer Blaͤtter die Rede war) iſt einem ſehr unbedeutend ſcheinenden Zufall zu verdanken.
Nachdem er ſich bei dem Brande in Schoͤnberg die Taſchen mit geſtohlnem Gute gefuͤllt gefuͤllte gefuͤllte hatte, ging er ſorglos, eine Pfeife in der Hand haltend, durch das Potsdamſche Thor in die Stadt hinein. Zufaͤllig war ein Soldat auf der Wache, welcher bei dem Kruͤger La Val in Steglitz gearbeitet hatte, und die Pfeife des Schwarz als ein Eigenthum des La Val erkannte.
Dieſer Umſtand gab Veranlaſſung, den Schwarz anzuhalten, naͤher zu examiniren, und nach Schoͤnberg zum Verhoͤr zuruͤckzufuͤhren, wo ſich denn mehrere, dem ⁊c. La Val und dem Schulzen Willmann in Schönberg gehoͤrige, Sachen bei ihm fanden.
Bei dieſem erſten Verhoͤre in Schoͤnberg ſtanden, wie ſich nachher ergeben hat, mehrere ſeiner Spießgeſellen vor dem Fenſter, und gaben ihm Winke und verabredete Zeichen, wie er ſich zu benehmen habe. Dieſes Verhoͤr wurde waͤhrend des erſten Tumults gehalten, wie der Brand noch nicht einmal völlig geloͤſcht war, und niemand konnte damals ſchon ahnden, mit welchem gefaͤhrlichen Verbrecher man zu thun habe.
NNDaß er zu einer voͤllig organiſirten Raͤuberbande gehoͤrt, geht aus den bekannt gemachten Steckbriefen hervor. Dieſe Bande iſt in der Chur⸗ und Uckermark verbreitet, treibt ihr ſchaͤndliches Gewerbe ſyſtematiſch, und bedient ſich der Brandſtiftung als Mittel zum Stehlen, wenn andre Wege zu ſchwierig und gefahrvoll ſcheinen. Dem Schwarz ſelbſt war beſonders die Rolle zugetheilt, ſich einige Tage vorher in dem zum Abbrennen beſtimmten Hauſe einzuquartieren und die Gelegenheit zu erforſchen. Dann gab er ſeinen Helfershelfern die noͤthigen Nachrichten, verabredete Zeit und Ort, ſetzte die Bewohner, ſobald der Brand ſich zeigte, durch lautes Geſchrei in Verwirrung, und benutzte dieſe, unter dem Vorwande, huͤlfreiche Hand zu leiſten, um Alles ihm Anſtaͤndige uͤber die Seite zu ſchaffen. Dieſe Rolle hat er in Steglitz und in Schönberg mit Erfolg geſpielt.
Daß dieſe Bande auch die gewaltſamſten Mittel nicht ſcheut, um ihre Zwecke zu erreichen, haben die ungluͤcklichen Erfahrungen der letzten Zeit gelehrt. Aber es ſtehen ihr auch alle Arten des raffinirteſten Betruges zu Gebote, und das macht ſie um ſo gefaͤhrlicher. Schon aus den Steckbriefen ergiebt ſich, daß jedes Mitglied unter mannichfachen Geſtalten und Verkleidungen auftritt, mehrere Nahmen fuͤhrt, und jede Rolle, welche die Umſtaͤnde fordern, zu ſpielen vorbereitet iſt. Auch auf Verfaͤlſchungen von Päſſen, Documenten und Handſchriften ſind ſie eingerichtet, und der sub 2 im Steckbrief bezeichnete Grabowsky verſteht die Kunſt, Petſchafte zu verfertigen und nachzuſtechen.
(Kuͤnftig werden wir ein Mehreres von dieſer Rotte mitzutheilen Gelegenheit haben.)