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Die Leute sagen: in dieser bunten, aus den widersprechendsten Gegenständen zu/sammengesetzten Welt, gebe es auſser vielen sehr unbequemen Dingen, z. B. auſser /der Tugend, die dem Menschen eine höchst wunderliche Selbstverläugnung zumu/the, auſser der Wahrheit, deren Dienst mit mancherlei Zeitverlust und Kopfzerbre/chens verknüpft sei, auſser dem bürgerlichen und öconomischen Verdienst, worin /eigentlich der Hauptlebenszweck bestehe — auſser allen diesen ehrenwerthen aber /beschwerlichen Dingen gebe es nun auch ein bequemes, angenehmes, den übrigen /zur Erfrischung, zur Erholung beigemischtes Wesen, die Schönheit. Wenn man / 10 den Reden der Leute nachgeht, so möchte man glauben, dieses Wesen sei ein höchst /seltnes Phänomen, man müsse am Leben wie an der Aloe ein halbes Jahrhundert mit /schroffen, stachlichten Blättern vorliebnehmen, bis sich einmal eine Blüthe zeige. — /Wenn diese seltne Erscheinung nun da ist, oder vielmehr wenn einige leichtgläu/bige, gute, kindliche Seelen sich überredet haben, dieser Mensch, dieses Kunstwerk, /dieser Wohnsitz sei schön, so haben die Leute eine bewundernswürdige Fertigkeit /darin, einem diesen Glauben auszureden: da ist keiner so schlecht, daſs er nicht schon /etwas viel schöneres gesehn hätte, oder sich nicht gar etwas unendlich schöneres /denken könne. Wenn ihr da und da dort gewesen wär’t, so würden euch diese Elbthäler /nicht weiter reizen: wenn ihr jene verstorbene oder abwesende Dame gesehn hättet, / 20 so könnte euch dieses Gesicht nicht gefallen u. s. f. Da sieht es dann wirklich so aus, /als sei die Schönheit überall gewesen, man habe nur allein unter allen Menschen das /Unglück gehabt, sie nie zu Hause zu treffen: wo wir hinkommen mögen, erfahren /wir, daſs sie so eben soeben abgereist sei. — Die Natur bleibt denn doch aber stärker, wie /die Menschen: plötzlich wirft sie eine glänzende Erscheinung in ihre Mitte, die durch /die Gewalt ihrer Gegenwart alle die abwesenden Schönheiten, die jeder einzelne ge/sehn haben will, augenblicklich verdunkelt: alles liegt auf den Knieen, niemand /kann begreifen, wie die herrliche Bezauberung nicht ewig währen soll. Daran hal/tet euch nur, ihr gutmüthigen und treuen Seelen! laſst der Welt nur Zeit, und sie /fängt an, das Göttliche zu zerschneiden und zernagen, und ruht nicht, bis sie es in / 30 den Staub gezogen. Ihr mög’t treu bleiben, aber das schöne Band vieler bewundern/der Gemüther ist längst aufgelöst, die tempelähnliche Empfindung bei der ersten An/kunft des Göttlichen ist vorüber wie ein Rausch, der Weihrauch ist verdampft: /überall unerträglich nüchterne Gesichter, und nun läuft die Klugheit in allen Gassen bei /Freunden, Vettern und Verwandten, und protestirt, daſs sie gleich den groſsen /Mund, den braunen Teint und das genirte Betragen bemerkt habe: sie habe nur aus /Höflichkeit der allgemeinen Empfindung nachgegeben, übrigens seien ihr aber /36ganz andre Dinge im Leben schon vorgekommen. — Was will ich mit diesen Wor/ten? — Klagen über die Unbeständigkeit, den Neid, und die Störungen der Welt? /Bewahre! Dieser Alltagsgesang möchte sich schlecht zu Reden eignen, die heraustre/ 40 ten sollen aus dem gewöhnlichen und erfreuen und erheben. Wie viele falsche Gröſse, /wie viel unächte Schönheit ist in der Welt aufgetreten, mit blendendem Glanze, und /durch denselbigen geschäftigen Trieb der Menschen das Groſse zu verkleinern, und das /Schöne zu zernagen glücklich bei Seite gebracht worden. Wer darüber klagen kann; /wem das Schöne, was er ergriffen hat, erst andre Leute gönnen müssen; wer erst /mit den möglichen Störern einen Contract darüber schlieſsen muſs, daſs sie ihn in /Ruhe lassen; wer erst eine feststehende, auf Verabredungen der Gelehrten beruhende /Kritik oder Gesetzgebung für das Schöne braucht, der besitzt es nicht und ergriff /es nie. Ein sehr richtiger Instinkt — im gemeinen Leben nennt man ihn Egoismus, /aber es ist eben so gut edles Freiheitsgefühl — treibt die Menschen an, den Einzel/ 50 nen, der von seinem Sorgenstuhl aus die Schönheit der Welt in gemächlicher Ruhe /bewundern will, oder den, der die zerstreuten Schönheiten des Lebens und der Kunst /in seinem Zimmer wie seltne Münzen versammeln möchte, oder den überhaupt, der /an seinem Götzen mit fauler Genügsamkeit klebt — keine Ruhe zu lassen, sie fort zu /locken, bis eine Sehnsucht sie ergreift nach immer höherer Schönheit, und sie treibt /bald zu den Mausoleen der Vorwelt, dann zu der auferstandenen Pracht ihrer Museen /und Kunstsäle, dann in die Theater, dann wieder in die Sphäre des lebendigen, /regsamen Handelns und Gewerbes, bis sie einen Kreis der Sehnsucht rund um die Erde /gezogen, nun wieder auf der alten Stelle ankommen, und wenn man sie frägt, wo /die Schönheit wohne, ermattet antworten müssen: Überall oder nirgends. — / 60 Darin lag eben der Irrthum: So lange einzelne im ausschlieſsenden Besitz der Schön/heit zu sein vorgaben, durfte es niemand leiden: jeder muſste mit der Glücksbeglau/bigung, die ihm die Natur auf seine Lebensreise mitgegeben hatte, mit der Schön/heit, die ihn vorzüglich reizte, und wenn es auch nur eine volle Scheure, oder Bra/ten und Torten waren, auftreten gegen den vatikanischen Apoll, der als einzig Schö/nes ihm zugemuthet wurde. Man hat im gemeinen Leben einen ungemein charac/teristischen Ausdruck für die belobte, schlaffe Ansicht von der Schönheit, da man sie /wie eine angenehme Zuthat oder Würze zu der übrigens geschmacklosen und odiösen /Sorgenbewirthung dieser Welt, kurz da man sie wie den Zucker auf den Brei des Lebens /betrachtete, und die alte Sage von ihrer Allgegenwart in Luft und Meer und bei allen / 70 Lebendigen gänzlich verklungen war. Nemlich man verglich die Schönheit gemei/niglich mit einem Gewande, das der allzutrocknen Wahrheit und der allzustrengen /Tugend zuletzt umgehängt wurde, um den erwachsenen Kindern durch eine Art von /Täuschung die Bitterkeiten des Lebens beizubringen, und die Künstler waren dann /eben die vermeintlichen Gewandschneider, die Directoren und die Entwerfer dieser/ Täuschungen. Mit dem nackten Leben hatten sie eigentlich nichts zu thun; dies /muſste, wie es Gott gegeben hatte, verbraucht werden. Da hieſs es dann: eine /Wahrheit in geschmackvollem Gewande darstellen, eine Idee ästhetisch-schön ein/37kleiden u. s. f., und jene himmlische Schönheit, die eins ist mit der Wahrheit, die /die Seele aller Ideen ist, muſste herauskommen, und die Auſsenseiten des todten Ge/ 80 dankens mit Zierrathen, und Stuccaturen, und Schnörkeleien, und Farben verkleben, /um die Neigung schlaffer Seelen zu reizen. Auf die gemeinschaftliche Betrachtung /dieser Schönheit, die ein gutgeartetes Gemüth nicht begehrt, weil es sie nicht begeh/ren kann ohne das Geständniſs, daſs ihm das Leben an und für sich zu herbe /schmecke — habe ich sie nicht einladen können. Vielmehr ist von der himmlischen /Schönheit die Rede, die, so weit verbreitet, als das Leben, auch durch das ganze Leben /im groſsen und im kleinen empfunden werden kann; von dem Geiste der Schönheit, /den die schönen Künste festhalten, und in bleibenden Ausdrücken und Mustern auf/stellen; wodurch die vergangenen Generationen ihren herrlichsten Erwerb den nach/folgenden überliefern; und durch den sich jede anscheinend vergänglichste Hand/ 90 lung des Lebens an den uralten Stamm der Kunst anschlieſsen und so verewigen kann. /Wem ist es z. B. bei den musikalischen Darstellungen, die wir Opern nennen, worin /die kleinsten Züge einer reichen und grazieusen Handlung von angemeſsnen Tönen /begleitet werden, und die deshalb von alten wohlbestallten Kunstrichtern, als unna/türlich verdammt wurden, — nicht beigefallen, daſs die Natur, die in der /Tiefe unsers Innern spricht, gerade verlangt, daſs jede kleinste Handlung unsers /Lebens von eben solchen, wenn auch unhörbaren Accorden begleitet werden müſste, /und daſs, wenn auch jedesmal von uns nur eine einzelne Handlung gethan, ein ein/zelnes Wort ausgesprochen werden könne, dennoch immer ein Orchester von Gefüh/len in unsrer Brust harmonisch mit anklingen, und sich so neben der einzelnen Hand/ 100 lung, und dem einzelnen Worte immer in unserm Innern wieder offenbaren müsse /der ganze Mensch, wie sich die Gegenwart der ganzen Natur und des ganzen /Reiches der Schönheit im Orchester offenbart, und die Leidenstöne, die der /menschlichen Brust entfahren, dergestalt, durch harmonische Begleitung wieder be/sänftigt werden. Der Wein, der Ruhm, die Liebe, der Gesang, das Mitleid und das /Glück versetzen uns in schöne Zustände, wo solche Töne in unserm Herzen ver/nommen werden. Jeder von uns erinnert sich daran und versteht was ich meine. Wir/ sind nie in solchen Zuständen gewesen, ohne den Wunsch sie festzuhalten, ohne /schmerzliches Gefühl, wenn sie entwichen waren. Nehmen Sie nun an, es gäbe eine /Fähigkeit des Menschen ohne äuſsere Veranlassung, ohne Wein und ohne Ruhm, ohne / 110 Liebe und ohne Gesang, den das leibliche Gehör empfindet, ohne Mitleid und ohne /Glück, das innerste und heiligste, welches durch jene Anlässe erzeugt wird, von /selbst durch Kraft der Seele und durch Grazie der Seele zu erzeugen, so haben sie den /Dichter, den Künstler. Gehn sie noch einen Schritt weiter, und denken sie sich, /diese Fähigkeit sich selbst überall musikalisch zu begleiten, als bleibenden Zustand im /Menschen, so haben sie vor sich das Bild einer schönen Seele. Dies ist der natür/liche Zustand des Menschen, der erste und älteste, dessen wir uns erinnern können, /der Zustand der Kindheit, von dem (wie uns die Welt auch nachher miſshandeln mag, /durch welche Disharmonieen wir auch späterhin hindurch müssen) dennoch durchs /38ganze schmerzenvolle Leben eine gewisse Grundlage von Wohlbehagen zurückbleibt. / 120 Das Wesen aller dieser vorübergehenden und bleibenden Zustände ist die Schönheit, /von der ich rede. — /
Warum entbehrt die Poesie zu ihrer vollen Wirkung so ungern der Verse und des /Rhythmus? Es kommt ihr, da sie die Schönheit, d. h. mehr als den bloſsen Sinn der /Worte und Gedanken, mehr als den bloſsen Umriſs der Gestalten, ausdrücken will, /darauf an, darzuthun, daſs der ganze Dichter, wie vorher der ganze Mensch, /allenthalben zugegen sei; deshalb bringt die Poesie ihre noch so verschiedenartig be/wegten Bilder und Gestalten alle in eine gemeinschaftliche Bewegung: nach wie ver/schiedenen Tacten sich die Glieder der Handlung bewegen mögen, die ganze Hand/lung bewegt sich dennoch nach einem einzigen Tact; wie sich die Hand und der Fuſs / 130 bewegen mögen, ein einziger, gleichförmiger, hör- und fühlbarer Puls schlägt durch /das ganze Werk, und dieser Pulsschlag greift wieder ein in den gröſseren Pulsschlag /der ganzen Natur und so offenbart sich allgegenwärtig der Dichter, und mehr als der /Dichter, der allgemeine Geist der Poesie und des Lebens. Welches groſse Trauerspiel /uns der Erdgeist zeigen möge, und wenn es der Kampf zwischen Cäsar und Pompe/jus um die Weltherrschaft wäre, der groſse, allgemeine Pulsschlag der Natur, der Wech/sel von Tag und Nacht dauert anscheinend unbekümmert um die Unternehmungen /jener Helden fort, und wer hat nicht schon einmal in seinem Leben gefühlt, wie die/ser ruhige und rhythmische Wechsel der Tage, der Jahrszeiten und Jahre, die Be/trachtung der schauerlichsten Catastrophen der Zeit still besänftigt, und den Betrach/ 140 ter mit einem heiligen Gefühle von der Schönheit der Welt erfüllt. Deshalb glaube /niemand, daſs er das Wesen der Poesie empfunden, so lange ihm noch die Verse un/wesentlich erscheinen, so lange er die Bewegung verachtet, welche ihn in den heili/gen Schlaf, Traum oder Wahnsinn der Poesie einwiegt. /
Die Erklärung der Schönheit, da man sagt, sie sei überall da, wo sich ein /Mannichfaltiges in einem Einfachen, oder in Einheit offenbart, ist also so uneben nicht: /eine mannichfaltige Bewegung in einer einfachen, die Unruhe in der Ruhe, die /Leidenschaft in der Gemüthsstille. — Aber wo ist denn die Schönheit, fragen die /Leute, damit wir sie ergreifen, uns aneignen, oder davon Nutzen ziehen können: /wir möchten sie uns gern einfangen, und sie nachher sehen lassen, und beneidet / 150 werden. Mit unsrer unserer Antwort: Überall oder Nirgends, dürfen wir nicht kommen. /Wohlan! es hat ja Leute gegeben, welche Profession von der Schönheitslehre, von /der Ästhetik machten; geschmackvolle Kunstrichter, welche von der Verfertigung und /Fabrication des Schönen Rechenschaft gaben. Befragen wir diese, so antworten sie: /schön kommt her von scheinen, was zweckmäſsig scheint, ist Schön, und die Kunst /ist die Fertigkeit, schönen Schein hervorzubringen. Sie erklären, daſs derselbe kalte /Verstand, welcher den reellen, zweckmäſsigen und klugen Anordnungen des Lebens /seine Billigung gebe, sich auch durch diese Täuschungen, diesen Schein von Zweck/mäſsigkeit zufrieden stellen lasse, vorausgesetzt, daſs die betrachtende Seele nur nie /39vergesse, wie alles Schein, bloſser Schein sei. Eine gewisse Gründlichkeit ist diesen / 160 Kunstrichtern nicht abzusprechen, aber an der Schönheit des Gegenstandes selbst gehn /sie unaufhörlich vorüber. Die Natur muſs ihnen beständig zweckmäſsiger er/scheinen als die Kunst, und so kann die Befriedigung, welche der Genuſs des Schö/nen in sich trägt, in ihrem Herzen nie Raum finden. Ihr Auge ist in den Gegenstand /versenkt, ein Motiv des Künstlers nach dem andern wird aufgefunden, alle Glieder /in der Kette seiner Composition werden zart gesondert, aber das ganze bleibt verbor/gen, das unsichtbare oder doch nur den feineren Sinnen ansprechende Band, worin/ gerade sich der Schönheitssinn des Künstlers offenbart, ist für sie nicht vorhanden. /Sie sind zufrieden, wenn sich das erste und das letzte Glied der Kette des Werks nur /unmittelbar wieder an die Natur anschlieſst, und wenn das Ganze nicht mehr oder / 170 weniger gewesen, als ein aus der Natur herausgeschnittener Moment. Jener Puls/schlag des Dichters oder Künstlers, die Töne jenes Orchesters in seiner Brust, das /eigenthümliche Gesetz der Bewegung in dem Werke ist für sie gänzlich abwesend. /Wie könnte es auch anders, da der Betrachter eines Kunstwerks in das wahre Wesen /desselben nicht eher eingeht, als bis auch er, neben den äuſseren Eindrücken, wel/che er vom Werke empfängt, jene innere Musik empfindet, ohne welche alle Romane /und Tragödien der Welt nichts sind, als Capitel aus der Naturgeschichte des Men/schen, der Laokoon und die berühmten venetianischen Pferde nichts anders als erläu/ternde Bilder zum Büffon. — Das Auge dieses Kunstrichters ist geübt, scharf und in /hohem Grade thätig, aber anstatt jenes Mitklingens der Gefühle in der Brust, treiben / 180 Herz und Lunge unempfindlich ihr animalisches Wesen fort, und so muſs wohl die /Schönheit unempfunden bleiben. Dadurch, daſs ich also dir, der du mich fragst, wo /die Schönheit sei, antworte: dort ist sie! — wird dir nicht geholfen. Entweder /siehst du in ihr nichts weiter, als eben wieder ein Stück Welt, wie es dir von /jedem Tage deines Lebens schon zugeschnitten wird, und was hast du dann davon: oder /du siehst wirklich eine Welt für sich, die eigenthümliche Bewegung des Kunst/werkes theilt sich deiner Seele mit, und so wirst du mir erwiedern: dort im /Kunstwerke, mein Freund, ist sie nicht allein! Sie ist eben so gut /auch in meinem, des Betrachters, Gemüthe. — — Wir alle haben haben alle die Erfahrung ge/macht, daſs gewisse Gesichtszüge und Gestalten der Menschen uns auf eine eigenthüm/ 190 liche Weise ansprechen und reizen, und wenn wir auf diesen Reiz hin, uns auf den /Markt hinstellten, auf diese eigenthümlich reizende Gestalt hinwiesen und riefen: /dort, ihr Leute, ist die Schönheit! — so würde uns vielleicht niemand begreifen und /alles an uns, wie an einem Wahnsinnigen, vorübergehn. Jede menschliche Gestalt, /kann man sagen, findet, auf diese Weise, ein Herz, das sie in die ihr correspondirende correspondirende Bewegung zu versetzen versteht; es ist ja nichts so häſsliches, das nicht, in /wiefern es nur lebt, einige schöne, sinnige, tief ausdrucksvolle Momente darbietet, /und da hat dann immer die Natur eines ihrer Geschöpfe wieder mit einer besondern /Empfänglichkeit gerade für diesen Reiz ausgestattet — und das ist das groſse Geheim/niſs, wie im Ganzen doch endlich alle noch so bizarre Schönheit, welche die Erde / 200 40trägt, an den Mann gebracht wird, und kein Roman so schlecht, kein Bild, keine /menschliche Gestalt so häſslich ist, daſs sie nicht endlich, wenn sie den Moment nur /abwarten können, doch noch ihre uneigennützigen Liebhaber fänden. — Die s. g. /gebildeten Leute klagen darüber, daſs es in der Welt so unendlich viel häſsliches, wi/driges und ekelhaftes und so weniges schöne gebe, und wenn andern etwas lebhaft /gefällt, so können sie nie begreifen, wie es zugeht. Woher käme das? Daher, weil /sie immer nur den Gegenstand ansehn, welcher gefällt, und den andern, welcher /das Gefallen empfindet, ganz auſser Acht lassen. Wie nun, wenn einmal jemand mit /der armseligen Eitelkeit, daſs er einen sehr verfeinerten Geschmack habe und daſs /ihm unendlich wenig gefiele, nicht zufrieden wäre, und sich eine eigne Politik bil/ 210 dete, damit ihm recht vieles gefallen möchte. Wenn er z. B. allenthalben, wo er /jenes unbegreifliche Wohlgefallen zweier s. g. häſslichen Naturen an einander wahr/nähme, dies als eine höchst interessante, lehrreiche Erscheinung festhielte, und durch /unaufhörliche Wechselblicke, die immerfort zwischen den beiden so sonderbar /bezauberten herliefen, endlich das Geheimniſs ihrer Liebe auffände. Eingeweihter sol/cher Mysterien zu sein ist nichts geringes, und wenn es eine Schule der Schönheit /giebt, so ist es diese! Hier muſs das Wesen, die Seele des Wohlgefallens ergriffen /werden, und gerade die Äuſserlichkeiten, der Schein, die Täuschungen, welche das /Urtheil über die Schönheit so oft bewölken, dürfen über den, der hier etwas wahr/nehmen will, durchaus nichts vermögen. / 220
Wir machen häufig die Erfahrung, daſs Personen, welche wir in unsrer früheren /Kindheit mit Hingebung geliebt haben, deren körperliche Gestalt wir damals ohne /Einwendung so hinnahmen wie sie eben war, daſs diese, wenn wir sie in späteren /Jahren wiedersehn, uns ungemein häſslich vorkommen. Es ist nemlich in dem Zwi/schenraum zwischen der Kindheit und den reiferen Jahren, Jahren ein gewisser ekler Geist /der Auswahl über uns gekommen, wir haben uns ein unbefriedigtes Wesen ange/wöhnt, kurz wir haben das Geheimniſs der Liebe verlernt, und für das ganze ver/lohrne Paradies nichts weiter gewonnen als ein tiefes unergründliches Gefühl der /Schaam, womit kein Lebensgenuſs der Welt bestehen kann. — Wer nun den /Geist der Schönheit, ohne alle falsche Rücksicht auf gewisse Äuſserlichkeiten der Er/ 230 scheinung, wieder erobert, wer jenes Wohlgefallen am anscheinend Häſslichen er/gründet, der gewinnt zugleich die göttliche Macht, die dunkelsten Erscheinungen, /welche sein Leben an ihm vorüberführen mag, so zu berühren, daſs sie ihm ihre/ Sonnenseite zukehren müssen: er bezaubert die Welt, weil sie ihn wieder bezaubern /kann. — Gegen diese Lehre von der allgemeinen Schönheit der Welt /höre ich eine wichtige Einwendung: Du hast recht, sagt man mir, wenn du deine /Reden von der Schönheit beginnst, mit einem Tadel jener falschen und flachen Deli/catesse der Welt, jenes Vorurtheils gegen gewisse Formen der bildenden Kunst, wel/che ganz conventionell mit dem Namen der Häſslichen gestempelt worden, jenes an/dern Vorurtheils gegen gewisse Begriffe, ja gegen Worte in der Poesie. Wenn man / 240 41wie der französische Zuschauer kein Blut auf der Bühne sehn kann, wenn die He/xen und der blutbefleckte Geist des Banko im Macbeth als absolut häſslich nicht gelit/ten werden, und nur solche Süjets und Behandlungsweisen auf der Bühne und in den /übrigen Künsten geduldet werden sollen, welche eine ohnmächtige, weichliche, ver/zärtelte öffentliche Kunstmeinung privilegirt hat, dann ist die Kunst gar bald am Ende. /Aber wenn du verlangst, daſs wir Alles Schön nennen sollen, so willst du uns zwar /zu Göttern erheben, die alle ihre Werke gut finden, aber des schönen menschlichen /Vorzugs des Unterscheidens, Wählens und Richtens berauben: wir sind endliche We/sen, und immer steht uns ein Schönes näher als das andre, das eine schmiegt sich /leichter an uns als das andre, ohne Vorliebe können und mögen wir nicht lieben./ 250 Sei du doch so gut, könnte man noch spitzfindig aber wahr hinzufügen, du, der du /alles, wie es ist, schön finden willst, handle doch selbst nach deinem Grund/satz und finde doch unser Häſslichfinden gewisser Dinge auch natürlich und schön. — /Durch diese richtige Einwendung komme ich zu den groſsen Resultaten dieser einlei/tenden Vorlesung: Die Schönheit wohnt weder allein in dem schönen Gegenstande, /der unser Wohlgefallen erweckt, noch wohnt sie allein in der Brust des Betrachters, /dessen, der das Wohlgefallen empfindet, und der nicht etwa den Gegenstand erst zum /schönen macht, sondern ihn blos mit schönem Gefühle begleitet, aber mit seiner Be/gleitung ganz unentbehrlich ist. Sie ist weder blos objectiv noch blos subjectiv. Die /Schönheit ist demnach jene rhythmische Bewegung, Harmonie, oder wie soll ich sie/ 260 nennen, zwischen zweien, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Geist und Ge/fühl, zwischen Ruhe und Bewegung, die das Universum, die Weltgeschichte, das /Leben, wenn wir es mit Stille und Kraft, d. h. wieder mit Schönheit betrachten, un/serm Gemüthe mittheilt; und welche in beschränktem Umkreise jedes Kunstwerk dar/stellt. Dieses Geistes, der das Universum beseelt, ist alles und jedes theilhaftig, was /sich mit seinem Leben an das Leben des Ganzen anschlieſst, und die Empfänglich/keit für seine Offenbarungen muſs jeder in sich beleben und erhöhen, wie er ver/mag. — Die einzelnen Schönheiten dieser Welt sind die Repräsentanten dieses Gei/stes der Schönheit, seine Statthalter auf Erden, welche bald deutlicher, vollständiger /und klarer, bald wieder dunkler, enger und unverständlicher das ewige Wort in der / 270 endlichen Sprache ausdrücken. So lassen sie uns denn einen Unterschied machen zwi/schen der endlichen Schönheit, die vielen und mannichfaltigen Naturen leicht und /dauernd anspricht, wie die groſsen Kunstwerke in Sprache und Bild, die das Alter/thum hinterlassen; die unser Gemüth in den Rhythmus der Schönheit hineinzieht, /und der andern Schönheit, die die Welt nur darum für Häſslich ausschreit, weil wir, /die Betrachter, sie erst in jenen Rhythmus der Schönheit hineinziehen müssen; weil /ihre Schönheit von einer Rinde verdeckt wird, die uns nicht reizt; weil wir erst wer/den müssen, wie die Kinder, um sie in ihrer Eigenthümlichkeit zu fühlen. Nennen /wir die erste Gattung der Schönheit, die uns an sich zieht, und von der unser Schön/heitssinn entzündet wird, gesellige Schönheit, weil sich um ihren Reiz die / 280 Menschen gesellig, wie die Planeten um die Sonne versammeln. Um die andre Art /42von Schönheit, welche im Gegensatze der geselligen individuelle Schönheit hei/ſsen soll, die wir im gemeinen Leben so oft voreilig häſslich nennen, um diese zu em/pfinden, muſs der betrachtende Mensch selbst die Sonne werden und jene wie Plane/ten, die von ihm ihr Licht empfangen, um sich versammeln. — Und so läſst der /wahre Mensch sich freilich von jener geselligen Schönheit entzünden, aber nur /um alle individuelle, verborgene Schönheit des Lebens wieder zu entzünden, um /durch die dunklen Rinden, welche sie verdecken möchten, und durch alle äuſseren /Verzauberungen des Vorurtheils hindurch zu leuchten. Er stellt dann durch sich selbst, /durch seine Erscheinung jene gesellige Schönheit dar und mag nun zu wechselsei/ 290 tigem Anschauen jener ewigen Kunstwerke, die seines Gleichen sind, gereinigt von /allem unedlen Anfluge der Welt zurückkehren. —/
Quellenangabe für Zitat:
https://kleist-digital.de/phoebus/02/03 [ + Angabe von Zeile / Vers oder Seite ], 21.11.2024
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