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Frei soll der Geist walten in dieser Zeitschrift: dem einen hat die Natur leichtere /Flügel und ansprechendes Wesen gegeben, den andern reizt Zurückgezogenheit und /tieferes Verständniſs mit auserlesenen Freunden. Und so möge das Haus eröffnet sein /für allerlei Sinn: stille dämmernde Gemächer für das ernste Gespräch und Säle, voller /Licht und Spiegel für solche, die sich am liebsten in bunter Gemeinschaft mit vielen /freuen mögen. Aber keine Thüre verschlossen, und wie es sich gebührt und wie in /Tempeln der Gebrauch ist, das groſse Portal weder mystisch vermauert, noch allzu/einladend oder herbeizwingend für den Pöbel, sondern nur zugänglich für alle. / 10
Im Namen der Dichter und Critiker, welche sich hier verbunden, sei es gesagt: /Eine weltumfassende Idee populär vorzutragen, kann nichts anderes heiſsen, als sie in /jedem noch so untergeordneten Kreise des Lebens wiederfinden; menschlichen Geist, /in welcher rohen äuſseren Gestalt er sich darbiete, leicht und natürlich an sie an/knüpfen, den Zusammenhang der ernsten Bedürfnisse jedes Lebens mit jener ernste/sten Idee zeigen und so jeden Einzelnen seines Bürgerrechts im Weltreiche der Idee /theilhaftig machen. Eine schwierige Aufgabe, die ein vollständiges Verständniſs jener, /welche verstehen sollen, voraussetzt. Darum ist Fichten und so vielen andern der /redlichste Vorsatz der Popularität nie gelungen, weil sie nicht vor allen Dingen die /begriffen, welche begreifen sollten. / 20
Wenn an einen Autor die Anforderung der Popularität ergeht, so denkt man diese /gewöhnlich als eine Eigenschaft, welche noch der bereits fertigen Darstellung der /53Idee hinzugefügt werden solle. — Ist denn aber die bloſse Entwicklung einer Idee etwas /anders als unendliches ein unendliches Popularisiren derselben? Vom ersten Augenblick der Entste/hung, vom ersten Selbstgespräch, aus dem sie entspringt, durch unendliche Gesprä/che der entgegengesetztesten Naturen wandelt sie immer vernehmlicher sprechend, /immer persönlicher, körperlicher, herrschender hindurch. /
In jeder neuen gröſseren Sphäre bleibt sie dieselbe, aber sie lebt nur, indem sie/ fortschreitend sich popularisirt. Und so ist Popularität, im ächten Sinne, nichts an/deres als der nothwendig, und ohne irgend einen Vorsatz, aller wis/ 30 senschaftlichen und künstlerischen Wirksamkeit inwohnende Geist /der Bewegung und des Fortschreitens. Bei dem immer miſslingenden, /hochmüthigen Herablassen der Autoren wird nichts begünstigt als gerade der flache /Egoismus der Zeitgenossen, ihr Scheinleben und Scheinwissen. Deshalb habe alles /Wissen eine persönliche Gestalt, ein unabhängiges Leben, Fleisch und Mark — es sei /nur von Hause aus gemüthlich, das heiſst kräftig, das heiſst künstlerisch: und es /wird von selbst schon wachsen, und ergreifen und befruchten. Ein Werk des Gei/stes wird auf jeder Stufe seiner Ausbildung schon in sich so mystisch oder popular /sein, als es seine stillere oder geselligere Natur gestattet. /
Die Wissenschaft, im vollen Bewuſstsein ihrer Zugänglichkeit für alle, darf ihre / 40 Lehrlinge unterscheiden nach der Leichtigkeit und der Schwierigkeit des gegenseiti/gen Verständnisses, Verständisses, in Esoteriker und Exoteriker, wie einst im Pythagorischen Bun/de; aber sie darf nie vergessen, daſs ihr ganzes Geschäft das allmähliche Vorrücken /und Aufheben der Grenze ist, welche sie zwischen ihnen gezogen. — Jede Lehre /wird beim höchsten Streben nach Allgemeingültigkeit dennoch in ihrer ersten Erschei/nung das Ansehn der Mysterie haben, und ganz durch die Natur ihrer Entwicklung /eine esoterische Sphäre um sich bilden. Fixirt sich diese Sphäre, so ist nicht blos /die falsche Richtung der Lehre erwiesen, aber ihr Tod ist schon erfolgt; zeigen sich /die Esoteriker hingegen als wahre Mittelgestalten, als ächte Apostel, durch deren ver/schiedenartige Eigenthümlichkeiten die Verständlichkeit ergänzt, und jede absolute / 50 Begrenzung zwischen dem Meister und dem Universum verwischt wird, so hat sie /das ewige Leben ausgedrückt und muſs selbst ewig leben. /
Nur dem vorsätzlichen Mystiker kommt mitunter der Vorsatz der Popularität; /nur dem Hochmüthigen kann die Absicht kommen, sich herabzulassen: Falsche My/stik und falsche Popularität Polularität sind correspondirende, einander bedingende Gebrechen /derselben Zeit und derselben der derselben Personen. Nur dem, der gewöhnlich die Thür seines /Hauses verschlieſst, kann es zuweilen beifallen, sie nun auch wieder allem Pöbel zu /öffnen. /
Gedenken wir des unsterblichen Wortes: „des wahren Geheimnisses Eingeweih/ter ist jeder, der es versteht,“ und so übersetzen wir es den falschen Mystikern unsrer / 60 Zeit: Es giebt keine Entweihung des Wahren und Schönen, also ist /auch die Einweihung nicht vonnöthen./
Quellenangabe für Zitat:
https://kleist-digital.de/phoebus/01/08 [ + Angabe von Zeile / Vers oder Seite ], 21.11.2024
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