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  • Bedeutung des Tanzes

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33

II. Über die Bedeutung des Tanzes.

Schutz für die zarten Blüten der Kunst gegen den Druck einer beschränkenden
Theorie bedarf vorzüglich Musik und Tanz.
Ein Kunstrichter, der in einer Reihe von
Bewegungen und Tönen nur ein vollständig bestimmtes Object der Darstellung aufsucht,
erklärt alles, was sich durch Worte nicht aussprechen läſst, für leer an Bedeutung. 5
Fühlt sich der Künstler dadurch gedemüthigt, und hält er es für schimpflich, den
Verstand nicht zu befriedigen; so verkennt er leicht die eigenthümlichen Schätze seiner
Kunst und glaubt sie durch fremde Beihülfe bereichern zu müssen.
Die Musik erborgt
ein Object von der Poesie, der Tanz von der Malerei und der Mimik.

Einer Vereinigung mehrerer Musen verdanken wir manches Prachtwerk in der 10
ästhetischen Welt; aber das gemeinschaftliche Ziel konnte nicht ohne gegenseitige
Opfer erreicht werden.
Um auf einmal so vielerlei zu empfangen, muſsten wir vie⸗
les
entbehren.
Daher manches harte Urtheil über die Totalwirkung einer Oper, die
aus irgend einem einseitigen Gesichtspuncte betrachtet wurde.
Wer nur den poeti⸗
schen
Werth zu schätzen wuſste, vermiſste in den Gesängen und Tänzen oft Wahr⸗15
heit
und Stärke des Ausdrucks, während daſs ein andrer die Darstellung trocken und
dürftig fand, wenn bloſs der Gedanke des Dichters darin erschien.

In einem Ballet, das unsern Sinn für Schönheit der Bewegung befriedigt, erfreut
uns vieles, das zu der Handlung, die versinnlicht werden soll, gar nicht eigentlich
gehört, und gleichwohl möchten wir diesen Genuſs gerade am wenigsten aufgeben.
20
34Auch besteht er nicht in einem bloſsen Reize der Sinnlichkeit, sondern ist von edlerer
Art und erhebt uns anstatt uns herabzuwürdigen.
Der Tanz muſs also doch in sich
selbst eine Bedeutung haben, und scheint sich zur Mimik zu verhalten, wie der Gesang
zur Rede.
Sollte es vielleicht Töne und Bewegungen geben, die eben deswegen
nichts Bestimmtes bezeichnen, weil sie etwas Unendliches andeuten?
25

Um zu einem würdigen Begriffe von irgend einer Kunst zu gelangen, dürfen wir
bei dem nicht stehen bleiben, was sie in ihrem gegenwärtigen Zustande leistet.
Ihre
Ausartung hat oft schon angefangen, während ihr äuſserer Glanz uns noch blendet.
Der Wirkungskreis ist erweitert, gröſsere Fertigkeiten sind erworben und vielfältige
Schwierigkeiten überwunden; aber es zeigt sich ein falscher Geschmack, der die 30
Kunst mit Zierrathen überladet, es werden ihr fremdartige Zwecke aufgedrungen und
beim Verfall der Sitten wird sie zum Dienst verächtlicher Leidenschaften gemiſs⸗
braucht
.
In einer solchen Lage könnten ihr die warnenden Stimmen der Philosophie
und Geschichte sehr wohlthätig seyn.
Aber der practische Künstler sträubt sich ge⸗
wöhnlich
gegen den Anschein von Willkühr in den Gesetzen einer abstracten Theorie, 35
und dünkt sich mündig genug, einer solchen Leitung nicht zu bedürfen.
Wirksamer
ist es vielleicht, ihn an das Blüthenalter der Kunst zu erinnern, wo sie selbstständig
und rein als ein freies Product der schönen menschlichen Natur erschien.

Der Tanz gehört nicht zu den Künsten, deren Geschenke nur wenigen glückli⸗
chen
Völkern zu Theil wurden.
Auch unter den rohesten Wilden gab es Feste, wo 40
der Mensch sich über den thierischen Zustand erhob, und im berauschenden Ge⸗
fühl
seiner Kraft die Schranken seines dürftigen Lebens vergaſs.
Was in ihm vorgieng,
verkündigte sich durch Bewegungen und Töne, und in beiden zeigte sich eine ge⸗
wisse
Auswahl.
Das Gemeine und Alltägliche wurde vermieden, es entstand ein
Bedürfniſs der Pracht, und der tobende Sprung bildete sich allmählig zum Tanz, so 45
wie das Jauchzen des frohen Taumels zum Gesang.

Was in einem solchen Falle dargestellt wird, ist ein Ideal des Lebens, eine
festliche Stimmung, ein Zustand der Begeisterung, die menschliche Natur auf einer
höheren Stufe.
Für eine solche Bedeutung der Kunst hat auch der Tanz seine beson⸗
dere
Sprache.
50

Das freie Spiel des lebenden Wesens in seiner Welt wird durch den Sieg der Form
über die Masse in der Bewegung bezeichnet.
Die Gestalt schwebt im Raume ohne
Anstrengung und ohne Widerstand.
Sie wird nicht durch Schwere an den Boden ge⸗
fesselt
; sie haftet an ihm aus Neigung.
Jede Muskel behält ihre eigne Reizbarkeit und
Elasticität, aber alle stehen unter der milden Herrschaft einer innern Kraft, der sie55
freiwillig zu gehorchen scheinen.

Je gröſser die Bestimmtheit ohne Spur eines äuſseren Zwangs, desto vollstän⸗
diger
erscheint die Freiheit.
Das Unbestimmte in der Erscheinung deutet auf Unver⸗
mögen
in der bestimmenden Kraft.

35

Für die Bewegungen des menschlichen Körpers giebt es eine Art von Scala, worin 60
man Grade der Spannung und Nachlassung, wie in der Tonleiter Höhe und Tiefe,
unterscheidet.
Die äuſsersten Gränzen dieser Scala sind ein Emporschweben, ein Stre⸗
ben
ins Unendliche — und ein Zusammensinken, eine Hingebung gegen äuſsere Ein⸗
drücke
.
Zwischen diesen Gränzen sind vielfältige Abstufungen möglich und aus die⸗
sen
besteht die Melodie des Tanzes.
Sind diese Abstufungen deutlich wahrzunehmen, 65
so ist die Ausführung präcis, und befriedigt die Foderung der Bestimmtheit, so wie
die reine Intonation in der Musik.

Je mannichfaltigere Abstufungen der Bestandtheile des Tanzes bestimmt erschei⸗
nen
, desto reicher ist die Sprache der Kunst, aber bei diesem Reichthum soll die Ein⸗
heit
nicht vernachlässigt werden.
Einheit erhält der Tanz durch Character, dem 70
es ebenfalls nicht an Bestimmtheit fehlen darf.

Für die Characterdarstellung leistet der Tanz, so wie die Musik und Poesie, viel
durch den Rhythmus.
Das Regelmäſsige in der Ausfüllung der Zeit ist ein Symbol
eines innern beharrlichen Gesetzes.
Der Tanz hat seine Spondeen, Jamben, Dactylen,
sein Metrum, seine Strophen.
An die Stelle der längern und kürzern Sylben treten 75
Bewegungen von verschiedner Dauer, und in ihrer Verknüpfung erscheint gleichsam
ein Umriſs der Seele.

Aber auch in der Melodie des Tanzes kann der Character sich aussprechen. Für
jedes Gefühl giebt es einen natürlichen Ausdruck in irgend einer bestimmten Gebehrde.
Aber diese Gebehrde ist nur der rohe Stoff. Stoff, der durch die Kunst erst gestaltet werden 80
soll.
Das Persönliche und der Zustand des Menschen stehen in Wechselwirkung.
Das Resultat beider zur Anschauung zu bringen, ist das Geschäft der Tanzkunst und
der Mimik.

In einer Reihe von Bewegungen soll das Leben nicht erstarren, damit der Cha⸗
racter
herrsche, aber einzelne Momente, in denen er über die Leidenschaften siegt, 85
werden durch die Stellung versinnlicht.
Sie ist desto bedeutender, jemehr sich
ein Streben nach Bewegung in ihr wahrnehmen läſst, das nur durch eine höhere Kraft
zurückgehalten wird.

Eine Annäherung zur Stellung bemerken wir in jeder leidenschaftlichen Bewegung,
die durch Würde oder Grazie gemildert ist.
In dem Eckigten, Gewaltsamen und 90
Krampfhaften der Gebehrde erscheint eine rohe Natur, die sich ganz dem Gefühl ihres
Zustandes überläſst.
Die wellenförmigen Linien bezeichnen das Überirdische einer
Seele, die auch den heftigsten Stürmen nicht unterliegt.

In dem Ideale des Characters sind Kraft und Anmuth vereinigt, und die unendliche
Verschiedenheit ihrer Verhältnisse gegeneinander giebt einen reichen Stoff für die Dar⸗95
stellung
.
Ein Schritt weiter und die Kunst benutzt den Geschlechtsunterschied zu der
Wirkung des Contrasts; es entsteht das männliche und das weibliche Ideal.

36

Um die Pracht zu erhöhen, verbinden sich sodann mehrere Personen zu einem
Ganzen, so wie mehrere Stimmen zu einer Reihe von Harmonien.
Es erscheinen tan⸗
zende
Chöre, bald nach Geschlecht und Alter von einander getrennt, bald in einer ein⸗100
zigen
Gruppe als Bild eines Volks.
Die Kunst hat nur darüber zu wachen, daſs bei
der gröſsten Mannichfaltigkeit des Ausdrucks in den einzelnen Bewegungen die Ein⸗
heit
der Totalwirkung nicht aufgeopfert werde.

Die Erhaltung dieser Einheit wird erleichtert, wenn das Eigenthümliche eines
besondern Fests dem Tanze eine bestimmte Bedeutung giebt.
So lange die Lebens⸗105
kraft
eines Volks noch ungeschwächt ist, so fehlt es nicht an Anlässen, um gleichge⸗
stimmte
Seelen zu der Feier einer beglückenden Naturerscheinung, eines wohlthäti⸗
gen
Ereignisses, einer begeisternden That zu vereinigen.

Gesänge und Tänze, die die Stimmung eines solchen Festes aussprechen, bleiben
noch innerhalb der Gattung des Lyrischen.
Aber wenn nunmehr die Poesie zum 110
Dramatischen übergieng, so wagte sich auch die Tanzkunst an die Darstellung ei⸗
ner
bestimmten Handlung.
In dem ältern griechischen Schauspiel hatte indessen der
Tanz nur eine untergeordnete Rolle.
Der Chor bewegte sich, weil das Stillstehen
lebendiger Wesen einen widrigen Eindruck gemacht haben würde.
Seine Bewegung
war alsdann dem Character gemäſs und den Gesetzen der Schönheit unterworfen, aber 115
der Dichter führte das Wort.

In der Folge glaubte man das Wort des Dichters entbehren zu können. Man gab
dem Tanz einen Namen, in einem bestimmten Costum traten bekannte Personen auf,
und ihre Bewegungen wurden sprechend durch Hülfe der Mimik.
Der Geist einer
Reihe von Gemälden sollte in lebenden Gestalten erscheinen.
120

Auf diese Gattung von Kunstwerken wurden auſserordentliche Talente verwendet,
und der Eindruck war auf den ersten Blick bezaubernd.
Aber bei einer ruhigern
Betrachtung entdeckte die strengere Critik manche Unvollkommenheiten der Darstel⸗
lung
.
Die Situation foderte den höchsten Affect, und dieser ist starr, oder convulsi⸗
visch
.
Der Tanz hat für ihn keine Zeichen. Der Ausdruck war also entweder 125
schwach, oder ein Verstoſs gegen die Gesetze der Kunst.
Auch war die Erscheinung
nicht durchaus in sich selbt selbst verständlich.
Die Überschrift des Ballets und die Bekannt⸗
schaft
mit der Fabel des Stücks muſste ihr zur Erklärung dienen.

Aber der dramatische Tanz ist gar nicht genöthigt, in dem Gebiete der Poesie und
Mimik sein Object der Darstellung zu suchen.
Ein äuſserst reichhaltiger Stoff liegt 130
ihm sehr nahe, und ist in dem Inhalte der meisten Nationaltänze gegeben.

Das männliche und das weibliche Ideal dürfen einander nur gegenüber gestellt
werden.
Aus dem Verhältnisse der beiden Geschlechter entsteht alsdann eine Situa⸗
tion
, die für die mannichfaltigste Characterdarstellung unerschöpflich ist.
Es bedarf
keiner historischen oder mythologischen Personen und keiner künstlichen Dichtung. 135
Aber das allgemein-menschliche Drama gewinnt an Individualität, wenn es durch das
37Nationelle des Volkstanzes irgend eine bestimmte, willkührlich-scheinende Form
erhält.

Jener französische Kunstkenner, der bei Betrachtung eines tanzenden Paars voll
Begeisterung ausrief: „Que de choses dans un menuet!“ wurde von wenigen 140
verstanden.
Gleichwohl ist die Bedeutung des Menuet-Tanzes nichts anders, als ein
Roman im Geiste der Chevalerie.
Ritter und Dame treten auf in der Mitte eines glän⸗
zenden
Hofes.
Was sie zuerst ausdrücken, ist Ehrerbietung gegen den Zirkel, von
dem sie sich umgeben sehen; aber in der Art ihrer Verbeugung zeigt sich das Gefühl
ihres eignen Werths.
Prangend schreiten sie neben einander einher, als ob sie den 145
Neid auffoderten, und trennen sich sodann, um das Drama zu beginnen.
Ihre Bewe⸗
gung
ist annähernd, aber in langsamen Fortschritten, und nach der gröſsten Annähe⸗
rung
verschwindet eines für das andre.
Man erblickt sich wieder, aber in der Entfer⸗
nung
, und diese Entfernung wird immer weiter.
Nach einigen Wiederholungen die⸗
ser
Scene darf endlich der Ritter die Hand der Dame berühren, die Liebenden scheinen 150
am Ziele, aber sie werden aufs neue getrennt.
Annäherungen und Entfernungen fol⸗
gen
auf einander, bis zuletzt dem Ritter beide Hände gereicht werden.

Von ganz andrer Art ist der Tanz des Engländers. Er stellt sich seinem Mädchen
gegenüber und fliegt mit ihr durch die Reihen.
Aber die Freunde und Freundinnen,
die ihn umgeben, sollen auch an seiner Freude Theil nehmen.
Er verläſst sogar auf 155
Augenblicke seine Schöne, um alles um sich her zu beleben.

Der kosackische Tanz gleicht einem Wechselgesang, worin ein Theil den andern
durch Reichthum, Stärke und Feinheit des Ausdrucks zu übertreffen sucht.
Der
deutsche Tänzer scheint nichts weiter darstellen zu wollen, als die Nähe der Gelieb⸗
ten
.
Das glückliche Paar bildet eine unzertrennliche Gruppe, und die ganze übrige 160
Welt ist ihm verschwunden.
Bald dreht es sich in langsamern oder schnellern Krei⸗
sen
, bald erkünstelt es in der innigsten Vereinigung kleine Entfernungen, die in den
sanftesten Übergängen mit Annäherungen abwechseln.

Ähnliche Darstellungen sind in andern Nationaltänzen noch in ihrer Reinheit ent⸗
halten
, aber in einigen entdeckt man Spuren der Ausartung.
Die Kunst war nicht sel⸗165
ten
herabgewürdigt worden, um die niedere Sinnlichkeit zu reizen, oder sie hatte
sich ganz der Herrschaft des Verstandes oder der Mode unterworfen, und ihre Producte
wurden trocken und geistlos.
Im letzteren Falle suchte sie vergebens durch über⸗
wundne
Schwierigkeiten, oder durch neue Zusammensetzungen der gegebenen Be⸗
standtheile
sich ein Verdienst zu erwerben.
Trotz aller angewandten Mühe glich das170
Ganze nur einem Gewebe von hochtönenden aber sinnlosen Phrasen.

Um den Tanz vor solchen Abwegen zu verwahren, hat die Theorie noch wenig
geleistet.
Sie beschäftigte sich fast bloſs mit dem theatralischen Tanze, und der ge⸗
sellschaftliche
wurde entweder ganz seinem Schicksal überlassen, oder aus der
Classe der schönen Künste unter die angenehmen Spiele herabgesetzt, oder durch Vor⸗175
38schläge
zu verbessern gesucht, die theils nicht ausführbar waren, theils die Sphäre
der Kunst beschränkten.

Durch eine Theorie kann die todte Kunst nicht wieder belebt werden, aber für die
lebendige sind die Warnungen der Critik nicht ohne Nutzen.
Die ächte Critik ist bis
zur Ängstlichkeit schonend gegen den Geist der Kunst, aber streng gegen alles, was 180
diesen Geist entstellt.
Sie duldet nicht, daſs ein Symbol für die Schönheit der Seele
zur Üppigkeit entweiht werde.
Aber der Sinnlichkeit soll nicht durch den Verstand,
sondern durch die Phantasie entgegengewirkt werden, die den vorhandenen Trieb
nicht unterdrückt, sondern veredelt.
Und wehe dem Zeitalter, das an der Veredlung
dieses Triebes verzweifelt!
185

Auch der besondere Character des Nationaltanzes fodert sorgfältige Schonung. In
ihm verkörpert sich gleichsam das männliche und weibliche Ideal, und der Gedanke
wird zur lebendigen Erscheinung.
Wer wollte sich nicht an dem Reichthum der
menschlichen Natur erfreuen, die in höchst mannichfaltigen Bildern den innern Streit
zwischen Leidenschaft und holder Sittlichkeit aufstellt?
190

Ein minderer Grad von Kunstfertigkeit kann auf Nachsicht Anspruch machen,
wenn es nur der Geist der Kunst ist, der durch das unvollkommne Organ sich versinn⸗
licht
.
Die glänzende Ausführung entschädigt nicht für die Dürftigkeit der Idee. Wer
bei einem ausgezeichneten Talent keine andre Triebfeder kennt, als Coketterie, steht
tief unter dem weniger ausgebildeten Dilettanten, den die reine Liebe zur Kunst beseelt.
195

Neigung zum Tanz ist ein liebenswürdiger Characterzug der Jugend, der sich bei
egoistischen Seelen nicht findet.
Dieser Genuſs darf ihr nicht erschwert werden. Die
Kunst hebt ihre Freude auf eine höhere Stufe, und zu einer Zeit, da die festliche
Stimmung so selten geworden ist, erzeugt sie dadurch ein Fest für jeden Freund der
schönen menschlichen Natur.
200

* * r.

http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/image/2104383_001/34
Bedeutung des Tanzes

Quellenangaben für Zitation
https://kleist-digital.de/phoebus/01/03, [ggf. Angabe von Zeile/Vers oder Seite], 08.06.2025

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Apparat

Die Transkription folgt der 1924 erschienenen Faksimile-Ausgabe der Phöbus-Erstdrucke:
Kleist, Heinrich v. / Müller, Adam H. (Hrsg.): Phöbus. Ein Journal für die Kunst. München: Meyer & Jessen, 1924. (= Neudrucke Romantischer Seltenheiten Bd. 2 – [Nachdruck in 400 Exemplaren besorgt v. Fritz Strich]).

Überlieferung

Generell zur Transkription des Phöbus: vgl. editorische Bemerkungen zur Textkonstitution des Phöbus.

 Emendationen (insges. 2)
  • 80Stoff.Stoff,
  • 127selbtselbst
 Erwähnte Personen
  • []Marcel, François-Robert (1)
Stellenkommentar

140„Que de choses dans un menuet!“Das Zitat stammt wohl von dem französischen Tänzer und Pädagogen François-Robert Marcel. Vgl. Lycée, ou, Cours de littérature ancienne et moderne, S. 262 und Traité de la dance. S. 60

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