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Berliner Abendblätter.
35tes Blatt. Den 9ten November 1810.
Allerneuester Erziehungsplan *).
(Fortsetzung, s. 25, 26, und 27tes Blatt.)
Wer dies Gesetz recht begreift, dem wird die Erscheinung gar nicht mehr fremd sein, die den Philosophen so viel zu schaffen giebt: die Erscheinung, daß große Männer, in der Regel, immer von unbedeutenden und obscuren Eltern abstammen, und eben so wieder Kinder groß ziehen, die in jeder Rücksicht untergeordnet und geringartig sind. Und in der That, man kann das Experiment, wie die moralische Atmosphäre, in dieser Hinsicht, wirkt, alle Tage anstellen. Man bringe nur einmal Alles, was, in einer Stadt, an Philosophen, Schöngeistern, Dichtern und Künstlern, vorhanden ist, in einen Saal zusammen: so werden einige, aus ihrer Mitte, auf der Stelle dumm werden; wobei wir uns, mit völliger Sicherheit, auf die Erfahrung eines jeden berufen, der einem solchen Thee oder Punsch einmal beigewohnt hat.
Wie vielen Einschränkungen ist der Satz unterworfen: daß schlechte Gesellschaften gute Sitten verderben; da doch schon Männer, wie Basedow und Campe, die doch sonst, in ihrem Erziehungs-Handwerk, wenig gegensätzisch verfuhren, angerathen haben, jungen Leuten zuweilen den Anblick böser Beispiele zu verschaffen, um sie von dem Laster abzuschrecken. Und wahrlich, wenn man die gute Gesellschaft, mit der schlechten, in Hinsicht auf das Vermögen, die Sitte zu entwickeln, vergleicht, so weiß man nicht, für welche man sich entscheiden soll, da, in der guten, die Sitte nur nachgeahmt werden kann, in der schlechten hingegen, durch eine eigenthümliche Kraft des Herzens erfunden werden muß. Ein Taugenichts mag, in tausend Fällen, ein junges Gemüth, durch sein Beispiel, verführen, sich auf Seiten des Lasters hinüber zu stel*) Wir bitten unsre Leser gar sehr, sich die Mühe, die Aufsätze im 25, 26 und 27ten Abendblatt noch einmal zu überlesen, nicht verdrießen zu lassen. Die Nachlässigkeit eines Boten, der ein Blatt abhanden kommen ließ, hat uns an die ununterbrochene Mittheilung dieses Aufsatzes verhindert. (Die Redaction.) 136len; tausend andere Fälle aber giebt es, wo es, in natürlicher Reaction, das Polar-Verhältniß gegen dasselbe annimmt, und dem Laster, zum Kampf gerüstet, gegenüber tritt. Ja, wenn man, auf irgend einem Platze der Welt, etwa einer wüsten Insel, Alles, was die Erde an Bösewichtern hat, zusammenbrächte: so würde sich nur ein Thor darüber wundern können, wenn er, in kurzer Zeit, alle, auch die erhabensten und göttlichsten, Tugenden unter ihnen anträfe.
Wer dies für paradox halten könnte, der besuche nur einmal ein Zuchthaus oder eine Festung. In den von Frevlern aller Art, oft bis zum Sticken angefüllten Kasematten, werden, weil keine Strafe mehr, oder doch nur sehr unvollkommen, bis hierher dringt, Ruchlosigkeiten, die kein Name nennt, verübt. Demnach würde, in solcher Anarchie, Mord und Todtschlag und zuletzt der Untergang Aller die unvermeidliche Folge sein, wenn nicht auf der Stelle, aus ihrer Mitte, welche aufträten, die auf Recht und Sitte halten. Ja, oft setzt sie der Commendant selbst ein; und Menschen, die vorher aufsätzig waren, gegen alle göttliche und menschliche Ordnung, werden hier, in erstaunungswürdiger Wendung der Dinge, wieder die öffentlichen, geheiligten Handhaber derselben, wahre Staatsdiener der guten Sache, bekleidet mit der Macht, ihr Gesetz aufrecht zu halten.
Daher kann die Welt mit Recht auf die Entwickelung [liest ›Entwik-kelung‹] der Verbrecher-Kolonie in Botany-Bay aufmerksam sein. Was aus solchem, dem Boden eines Staats abgeschlämmten Gesindel werden kann, liegt bereits in den nordamerikanischen Freistaaten vor Augen; und um uns auf den Gipfel unsrer metaphysischen Ansicht zu schwingen, erinnern wir den Leser bloß an den Ursprung, die Geschichte, an die Entwickelung und Größe von Rom.
(Beschluß folgt.)
Welche Bücher soll man öfter lesen?
„Es giebt Werke, die so behaglich und erwärmend in unser Dasein eingreifen, wie es z. B. mehreren Leuten mit dem Leben des Benvenuto Cellini geht, daß man fast unwillkührlich zu ihnen hingezogen wird, und sie mit einem unbeschreiblichen Wohlgefallen lies’t und wieder lies’t. Man thut wohl daran, und den Büchern gereicht es zur schönsten Empfeh137lung, daß sie zum Wiederlesen keiner Empfehlung bedürfen. Es giebt aber hingegen auch Werke, die uns zusammenschüttern, daß wir erschrecken, von den sanftesten Kissen unsrer Lieblingsneigungen auffahren, und mit heilsamem Entsetzen unsrer eignen Verderbtheit inne werden. Solche Bücher ehren wir, sie befördern auch wackere Entschlüsse in uns, aber kaum haben wir uns wieder ein wenig auf die Kissen niedergelassen, so scheuen wir den ernstlichen Warner, machen ihm höfliche Verbeugungen aus der Ferne, und wagen uns nicht so leichtlich wieder hin. Trete aber doch um Gotteswillen, seiner trägen Verderbtheit zum Trotze, Jedermann, der es ehrlich mit sich meint, aber und abermals hinzu, und erkenne eben diese Scheu als Kriterium der Heilsamkeit des Genesungsmittels. Man kann wohl annehmen, daß sich viele Leser hierbei an Fichtesche Werke z. B. an die Anweisung zu einem gottseligen Leben, erinnert fühlen werden.“
d. l. M. F.
Oeffentliche Danksagung.
(An den Kritiker im 216ten Stück des Freimüthigen, die Recension der Oper Achilles betreffend.)
Der Mondkaiser, in dem bekannten Lustspiel dieses Namens, läßt sich von einem Tänzer seine Kunst zeigen. Er ist, nachdem sich sein Herz daran ergötzt und belustigt hat, gewillt, dem Tänzer eine ihm angemessene Belohnung zukommen zu lassen, und beschließt demnach demselben 1500 Paar Schuhe zu verabreichen. Was sollen wir mit dem Recensenten im Freimüthigen angeben, der, im 216ten Stück desselben, das Kunststück macht, die Stimme des Abendblatts, mit päbstlicher Unfehlbarkeit, ohne Darlegung der Gründe zu Boden zu schmettern? — Wir wünschen ihm, auf gut mondkaiserliche Weise, eine ähnliche Anzahl von — Ohren; ein Geschenk über dessen Bedeutung wir uns hoffentlich nicht näher zu erklären brauchen, und das derselbe à deux mains gebrauchen kann.
v. M.
Miscellen.
Der heutige Moniteur enthält folgendes Schreiben aus London vom 9 Okt.
„Das von dem Kaiser angenommene System war das sicherste Mittel, die Engländer zu besiegen. Es erstickt sie in ihren Reichthümern; es ist die Ursache der Bankerotte. Die Ostindische Compagnie sollte im letzten Monat März von dem Gouverneur die Summa von 200000 Pf. St. entlehnen. Ehe man sie bewilligte, stellte man eine Untersuchung der vorräthigen Waaren an, und fand für 42 Mill. Pf. St. (mehr als 1000 Mill. Franken). Die öffentlichen Fonds sinken und werden noch tiefer sinken, wenn die Armee von Portugal geschlagen wird, woran kein Mensch zweifelt. Der Selbstmord Goldsmids, des reichsten Banquiers von London, hat keinen andern Grund, als den Diskredit der Fonds. Es wird nächstens in diesem Lande eine Revolution ausbrechen; man sehnt sich von allen Seiten danach.
Wie man vernimmt, sind einige Portugiesische Truppen auf dem Zuge der franz. Armee nach Coimbra, bei Lafons zerstreut worden, und haben zum Theil die Waffen niedergelegt, zum Theil sind sie zu den Engländern gestoßen, und setzen mit diesen vereint den Rückzug fort. — Übrigens fahren die franz. Heere fort, in Portugal Fortschritte zu machen. Tralos Montes und die Provinz zwischen dem Minho und Duero sind größtentheils erobert, so daß nunmehr das nördliche Portugal in Kurzem unterworfen sein wird. Auch das Armeekorps des Gen. Reynier hat Fortschritte in Portugal gemacht und marschirt, stets in ununterbrochener Verbindung mit der Hauptarmee, gegen Lissabon. — Die Belagerung von Cadix soll nun ernstlich beginnen. (L. d. B.)
Das zu Amsterdam publicirte Kaiserl. Franz. Dekret wegen Verbrennung der marchandises angloises provenant de fabrique angloise wird gegenwärtig auf der ganzen Douanen-Linie in Ausführung gebracht: am 5 November hat diese Procedur auch in [ohne Sperrung] Hamburg ihren Anfang genommen.
Im Großherzogthum Baden so wie im Großherzogthum Frankfurt hören alle bisher bestandenen politischen Zeitungen auf und es tritt an ihre Stelle ein einziges, vom Ministerium der auswärtigen Verhältnisse besorgtes, Blatt.
Vorgestern hat der Gr. Gottorp auf einer Engl. Kriegsschaluppe von 20 Kanonen, seine Reise nach London angetreten. Ein Parlamentair hat ihn an Bord dieser Schaluppe gebracht. (L. d. B.)
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Einem Uhrmacher sind 4 Taschenuhren und ein Rock gestohlen.
Einem Bäcker ist bei Revision der Backwaaren, für einige Groschen verbackenes Brod zerschnitten.