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Berliner Abendblaͤtter.
54tes Blatt. Den 1ten Dezember 1810.
Bemerkungen uͤber das erſte Fragment eines Zuſchauers am Tage.
(M. ſ. das 29te Stuͤck des Abendblatts.)
(Beſchluß.)
Nicht beſtimmt genug druͤckt ſich der Verfaſſer uͤber das aus, was er unter den einfachen Hebeln verſteht. Zielt er damit auf die rohen phyſiſchen Triebe, welche unkultivirte Voͤlker bewegen, ſo hat er allerdings im gewiſſen Sinne recht, ſie einfach zu nennen, begreift er hingegen darunter die Begriffe, welche zuweilen gebildete Nationen in Bewegung ſetzen, wie es wohl eigentlich ſeine Abſicht ſein durfte, ſo beweiſen ja eben ihre gegenwaͤrtige Zerſetzung und Aufloͤſung den Mangel der Einfachheit. Der einzig wahre, unvergaͤngliche Hebel der Menſchheit iſt die Religion und zwar die allgemeine tief empfundene und ewig gegruͤndete, in welche verſchiedene Farben ſie ſich auch brechen moͤge, wenn ſie das Licht der Welt erblickt. Fuͤr jedes andere Prinzip iſt die Erfuͤllung ſeiner ganzen Forderung, mithin die Aufhebung deſſelben moͤglich, nur jenes uͤber Zeit und Raum erhabene giebt ein lebendiges Streben, und unerſchuͤtterliche Streiter in allen Gebieten. Nur von da aus duͤrfen wir mit Zuverſicht die Wiedererſcheinung ſichtbarer Kraft erwarten, und die angeklagten Syſteme, weit entfernt ſorgliche Bekuͤmmerniß zu erregen, ſind vielmehr eine troͤſtliche und hoffnungsreiche Erſcheinung, in ſo fern in allen eine tief religioͤſe Tendenz unverkennbar iſt. Wer dies nicht zugeben wollte, dem ließe ſich faktiſch erweiſen, daß der Gegenſtand ſeiner Beurtheilung ihm voͤllig fremd geblieben ſei.
Um uͤbrigens noch mit einigen Worten der Gleichniſſe des Verfaſſers zu gedenken, ſo haben wir zuerſt, bisher wirklich nie eine Klage uͤber das Ungluͤck gehoͤrt, ſich im Felde eines fein gerittenen Pferdes bedienen zu muͤſſen, vielmehr verdankten viele dieſer Eigenſchaft dort Sieg oder Rettung, wo andere aus dem entgegengeſetzten Grunde erlagen. Eben ſo wenig haben wir Pferde in eben dem Grade zur Reiſe und 212Arbeit tauglich gefunden, als ſie ungeſchickt waren. — So ſchadet auch gewiß die gruͤndliche Kenntniß des organiſchen Zuſammenhangs des menſchlichen Koͤrpers niemand, wenigſtens iſt es uns nie gelungen Perſonen am aͤngſtlichen und beſorgten Gange anzuſehn, daß ſie eben Anatomie ſtudirten, und mehrere nach dem von dem Herrn Verfaſſer gegebenen Fingerzeig, ſeitdem von uns an dergleichen Perſonen gerichtete Fragen ſind immer verneinend beantwortet worden, ſo daß wir uns der Meinung faſt nicht erwehren koͤnnen, daß wir ohne Anatomie doch mehr Hinkende ſehn wuͤrden.
Allein halbwahre Kenntniß iſt hier allerdings eben ſo ſchaͤdlich als bei dem erſten Beiſpiel Verzaͤrtelung, jedoch beide, weit entfernt das gruͤndliche Studium des innern Lebens zu charakteriſiren, ſtreiten vielmehr unmittelbar dagegen, und wenn daher der Verfaſſer die Halbheit und Weichlichkeit eines großen Theils ſeiner Zeitgenoſſen bekaͤmpfen will, ſo ſtreiten wir fuͤr ein und dieſelbe Sache. Nur iſt die Speculation davon keineswegs der Grund, ſondern nur ein Gebiet worinnen dieſe Krankheit des Zeitalters eben ſo gut erſcheinet als in jedem andern. Leider bleibt jetzt der angehende Forſcher haͤufig auf der kaum begonnenen Laufbahn ſtehn, und richtet den Blick nicht auf ſich, um das Unendliche zu finden, ſondern um ſich als ſeinen Goͤtzen anzubeten. Dem alſo verkehrten Blicke verbirgt ſich der Geiſt des Lebens mit ſeiner ſchoͤnen Zukunft, es erſcheint ihm nur die Nachahmung, gewaltſam will er der neuen Zeit die Vergangenheit aufdraͤngen, das Mittelalter ſoll den Deutſchen durchaus wiederkehren, alles zehrt daran, bis ſein ſchoͤner romantiſcher Geiſt unter ihren Haͤnden erliſcht und ſie nur noch Aſche und Gebeine ans Licht bringen.
Wer hingegen voll Demuth ſein Ideal nie aus den Augen verlor, wer ſich der Fuͤlle von Lebenskraft in ſeiner Bruſt bewußt iſt, welche das Unendliche dem Menſchen verlieh, der ſteht mit ſtolzer Zuverſicht auf ewigem Boden, und weit entfernt an ein wirkliches Verſchwinden des Lebens zu glauben, ſobald ſein ewiger Wechſel eine neue Geſtalt annimmt, verweiſ’t er ſeine Mitbruͤder nicht auf kalte Grundſaͤtze, ſondern ruft ihnen vielmehr liebend zu: Trachtet am erſten nach dem Reiche Gottes, ſo wird euch alles uͤbrige von ſelbſt anheim fallen! —
W.
Vermiſchte Nachrichten.
Ein bewundernswuͤrdiger Meiſter im Abrichten der Thiere reiſet in dieſem Augenblick in Deutſchland umher. Derſelbe zeigt drei Kanarienvoͤgel welche durch ihre Gelehrſamkeit die Welt in Erſtaunen ſetzen: in Dresden, wo er ſich jetzt aufhaͤlt, wurden zwei Alphabete großer auf Pappdeckel geklebter Buchſtaben vor einem der jungen Gelehrten ausgebreitet, woraus er zur Freude und Genugthuung aller Anweſenden jedes geforderte Wort deutſcher oder franzoͤſiſcher Sprache zuſammenſetzte, auch ſogar bei dem geforderten Namen Helene ſehr zierlich, wegen des dritten ermangelnden e’s, ſeine Verlegenheit ausdruͤckte, ſich aber kurz reſolvirte, das erſte e zuruͤcknahm und es am Ende hinzufuͤgte. Was am meiſten die Anweſenden erfreute und das guͤnſtigſte Licht auf die Methode ſeines Brodherrn warf, war das geſunde Anſehn des Scholaren, und das aͤcht kindliche Betragen deſſelben außer den Studierſtunden, wo er gleich dem ordinairſten und unkultivirteſten Canarienvogel an Hanfkoͤrnern und Zukkerſtuͤckchen knuſperte oder daran den Schnabel wetzte. Es iſt Hoffnung, daß der Meiſter in Kurzem auch nach Berlin kommen, und dem Publiko die Reſultate ſeiner naturhiſtoriſchen Bemuͤhungen vorlegen werde.
Eine außerordentliche Erſcheinung anderer Art iſt bekanntlich, in Hinſicht der fruͤhen Entwickelung der Talente, der junge Witte, von dem man ſchon oͤfters in den oͤffentlichen Blaͤttern geleſen hat. Derſelbe befindet ſich gegenwaͤrtig in Goͤttingen, wo er unter der Leitung ſeines Vaters, des Hrn. Doctor Karl Witte, ſeine wiſſenſchaftliche Bildung fortſetzt. Von dieſem, dem Vater, wird (S. Hamb. Z. Nr. 188) folgendes bekannt gemacht:
Da ich ⁊c. jetzt mit den Meinigen in Goͤttingen wohne, und ſich hier mit der reizenden Natur eine ſehr reinliche und geſunde Stadt, ſo wie die Gelegenheit, in allem Unterricht erhalten zu koͤnnen, verbindet, ſo bin ich von jetzt an bereit, den fruͤheren Wuͤnſchen mehrerer Eltern und Vormuͤnder zu entſprechen und einen oder zwei (jedoch nicht mehr!) Zoͤglinge zu mir zu nehmen. Sie ſollen meine und meiner Gattin Kinder und meines Sohnes Bruͤder ſein, weil ich kein Inſtitut, ſondern eine Familien-Erziehung beabſichtige. Natuͤrlich erwarte ich, daß die mir an214zuvertrauenden Kinder bis jetzt noch phyſiſch, intellectuell und moraliſch vollkommen geſund ſeyen, weshalb ich ſie gern ſo jung als die Eltern ſich nur von ihnen trennen koͤnnen, (nach dem Ideale: vom Arme der Mutter!) zu haben wuͤnſche. Ich werde nicht mehr dafuͤr nehmen, als in den beſſeren Inſtituten bezahlt wird, trotz dem, daß man bei einer großen Anzahl eher etwas nachlaſſen kann. Das Naͤhere daruͤber koͤnnen Eltern und Vormuͤnder in poſtfreien Briefen mit mir verabreden. Bei uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden erhalten die zwei zuerſt angetragnen Zoͤglinge den Vorzug.
NB. Wegen des Logis ⁊c. wuͤnſche ich ſehr bald, wenigſtens noch vor Weihnachten, benachrichtiget zu ſein. Redactionen politiſcher und gelehrter Zeitungen und Flugblaͤtter werden erſucht, dieſe Ankuͤndigung wohlwollend mit aufzunehmen.
Goͤttingen, den 29ſten Oktober 1810.
Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter.
London den 14ten Nov.
Lord Wellington war am 1ſten Nov. in ſeiner feſten Stellung noch nicht angegriffen. Auch hielt er ſeinerſeits nicht fuͤr rathſam, den Feind anzugreifen. Wenn ſich aber Maſſena entſchließt, unſre Linien anzugreifen, welche von 500 Kan. gedeckt ſind, ſo hat die ganze Armee die Hoffnung eines guten Erfolgs. (Mon.)
Almeida den 30ten Oct.
Der General Drouet fuͤhrt das 9te Armeecorps, zur Unterſtuͤtzung Maſſenas herbei. Die Tête davon iſt ſchon zu Almeida angekommen, und wird den 4ten und 5ten uͤber die Coa gehn. Man weiß noch nicht, ob er ſich mit ſeinem Corps, welches 30000 Mann ſtark iſt, nach Oporto oder nach Coimbra wenden werde.
(L. d. B.)
Aus Oeſtreich, d. 10. Nov.
So eben bekoͤmmt man die zuverlaͤſſige Nachricht, daß der ehemalige Koͤnig von Holland eilends nach Paris zuruͤckberufen worden ſei. (Frkf. St. Riſtr.)
Erſte literariſche Beilage zu den Berliner Abendblaͤttern.
Intereſſante neue Schriften aus allen Faͤchern, welche bei J. E. Hitzig, hinter der katholiſchen Kirche Nr. 3. zu haben ſind.
Karl Friedrich Burdach, Phyſiologie. 8. 2 thl. 18 gr.
J. F. Facius, Aleßio. Ein Roman. 22 gr.
W. D. Fuhrmann, Handbuch der classischen Literatur. Zum Gebrauch der Schullehrer und aller Freunde der classischen Literatur. Vierter und letzter Band. Auch mit dem Titel: Handbuch der classischen Literatur der Römer. Zweiter Band. 8. 3 thl. 12 gr.
J. Gruͤndler Gedanken uͤber eine Grundreform der Proteſtantiſchen Kirchen- und Schulverfaſſung im Allgemeinen, beſonders aber in der Preußiſchen Monarchie. 8. 14 gr.
C. G. Heinrich Handbuch der Saͤchſiſchen Geſchichte. 8. 1 thl. 8 gr.
Wilhelm Kuhns Handbuch der deutſchen Sprache, mit Aufgaben zur haͤuslichen Beſchaͤftigung. Zum beſondern Gebrauch fuͤr Toͤchter- und Elementarſchulen entworfen. 8. 14 gr.
J. F. E. Loz, Ideen uͤber oͤffentliche Arbeitshaͤuſer und ihre zweckmaͤßige Organiſation. 8. 1 thl. 16 gr.
Dr. Martin Luthers kleiner Katechismus nach dem Beduͤrfniß unſerer Zeiten. 8. 6 gr.
J. C. F. Meiſter, Ueber den Eid nach reinen Vernunftbegriffen. Eine von den hohen Curatoren des Stolpeſchen Legats auf der weltberuͤhmten Univerſitaͤt Leyden gekroͤnte Preisſchrift, nach dem lateiniſchen Originale in freier deutſcher Bearbeitung fuͤr das liebe deutſche Vaterland. 4. 18 gr.
214cDeſſelben Vorerkenntniſſe und Inſtitutionen des poſitiven Privatrechts. 8. 1 thl. 21 gr.
Deſſelben, Ueber mehrere ſchwierige Stellen im Perſius und Horaz. 8. 8 gr.
Friedrich Rochlitz, Denkmale gluͤcklicher Stunden. Erſter Theil. Mit Kupfern. 8. 2 thl.
Sapphus Lesbiae Carmina et fragmenta. Recensuit, Commentario illustravit, Schemata musica adjecit et Indices confecit Henr. Frid. Magnus Volger, Paedagogii Regii Ilfeldensis Collaborator. 8. 1 thl.
Karl Heinrich Sintenis Ciceroniſche Anthologie, oder Sammlung intereſſanter Stellen aus den Schriften des Cicero. Zwei Theile. 8. 1 thl. 18 gr.
von Woltmann Geiſt der neuen Preußiſchen Staatsorganiſation. 8. broch. 20 gr.
Muſikalien.
Es kann doch ſchon immer ſo bleiben, als Antwort auf das Lied: Es kann ſchon nicht immer ſo bleiben; in Muſik geſetzt von C. F. H. Schmidt. 4 Gr.
Auch ſind daſelbſt alle Taſchenbuͤcher fuͤr 1811, worunter ſich beſonders das Taſchenbuch fuͤr denkende Frauen à 12gr., zu einem Weihnachts Geſchenk fuͤr Damen empfiehlt und die Neuigkeiten von der Leipziger Michaelmeſſe in allen Faͤchern zu finden. Katalogen, wiſſenſchaftlich geordnet, werden in einigen Tagen an Buͤcherliebhaber gratis ausgegeben werden.
Neues hoͤchſt wichtiges Journal.
Vaterlaͤndiſches Muſeum. 1s–6s Heft oder July – Dezember 1810. 8. Geheftet in ſaubere von Runge gezeichnete, und von Gubitz in Holz geſchnittene, Umſchlaͤge. Hamburg bei Perthes, und fuͤr Berlin zu haben bei Hitzig. 3 thl. 8 gr.