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Berliner Abendblaͤtter.
52tes Blatt. Den 29ten November 1810.
Die Heilung.
In den Zeiten des hoͤchſten Glanzes der altfranzoͤſiſchen Hofhaltung unter Ludwig XIV, lebte ein Edelmann, der Marquis de Saint Meran, der die Anmuth, Geiſtesgewandheit und ſittliche Verderbniß der damaligen vornehmen Welt im hoͤchſten Grade in ſich vereinigte. Unter andern unzaͤhlbaren Liebesabentheuern hatte er auch eines, mit der Frau eines Procuratoren, die es ihm gelang, dem Manne ſowohl, als deſſen Familie und ihrer eignen gaͤnzlich abzuwenden, ſo daß ſie deren Schmach ward, deren Juweel ſie geweſen war, und in blinder Leidenſchaft das Hotel ihres Verfuͤhrers bezog. Er hatte zwar nie ſo viel bei einer Liebesgeſchichte empfunden, als bei dieſer, ja, es regten ſich bisweilen Gefuͤhle in ihm, die man einen Abglanz von Religion und Herzlichkeit haͤtte nennen moͤgen, aber endlich trieb ihn dennoch, wenn nicht die Luſt am Wechſel, doch die Mode des Wechſels von ſeinem ſchoͤnen Opfer wieder fort, und er ſuchte nun dieſes durch die ausgeſuchteſten und verfeinertſten Grundſaͤtze ſeiner Weltweisheit zu beruhigen. Aber das war nichts fuͤr ein ſolches Herz. Es ſchwoll in Leiden, die ihm keine Geiſteswendung zu mildern vermochte, ſo gewaltſam auf, daß es den einſtmals lichtklaren und lichtſchnellen Verſtand verwirrte, und der Marquis, nicht boͤsartig genug, die arme Verruͤckte ihrem Jammer und dem Hohn der Menſchen zu uͤberlaſſen, ſie auf ein entferntes Gut in der Provence ſchickte, mit dem Befehl, ihrer gut und anſtaͤndig zu pflegen. Dort aber ſtieg was fruͤher ſtille Melancholie geweſen war, zu den gewaltſamſten phrenetiſchen Ausbruͤchen, mit 204deren Berichten man jedoch die frohen Stunden des Marquis zu unterbrechen ſorgſam vermied. Dieſem faͤllt es endlich einmal ein, die provenzaliſche Beſizzung zu beſuchen. Er kommt unvermuthet an, eine fluͤchtige Frage nach dem Befinden der Kranken wird eben ſo fluͤchtig beantwortet, und nun geht es zu einer Jagdparthie in die nahen Berge hinaus. Man hatte ſich aber wohl gehuͤtet, dem Marquis zu ſagen, daß eben heute die Ungluͤckliche in unbezwinglicher Wuth aus ihrer Verwahrung gebrochen ſei, und man ſich noch immer vergeblich abmuͤhe, ſie wieder einzufangen. Wie mußte nun dem Leichtſinnigen zu Muthe werden, als er auf ſchroffem Fußgeſtade an einer der einſamſten Stellen des Gebirges, weit getrennt von alle ſeinem Gefolge, im eiligen Umwenden um eine Ecke des Felſens, der furchtbaren Fluͤchtigen grad in die Arme rennt, die ihn faßt mit alle der unwiderſtehlichen Kraft des Wahnſinns, mit ihren, aus den Kreiſen gewichenen blitzenden Augenſtern, gerad in ſein Antlitz hineinſtarrt, waͤhrend ihr reiches, nun ſo graͤßliches, ſchwarzes Haar, wie ein Mantel von Rabenfittigen, uͤber ihr hinweht, und die dennoch nicht ſo entſtellt iſt, daß er nicht auf den erſten Blick die einſt ſo geliebte Geſtalt, die von ihm ſelber zur Furie umgezauberte Geſtalt, haͤtte erkennen ſollen. — Da wirrte auch um ihm der Wahnſinn ſeine grauſe Schlingen, oder vielmehr der Bloͤdſinn, denn der ploͤtzliche Geiſtesſchlag zerruͤttete ihn dergeſtalt, daß er beſinnungslos in den Abgrund hinunter taumeln wollte. Aber die arme Manon lud ihn, ploͤtzlich ſtill geworden, auf ihren Ruͤcken, und trug ihn ſorgſam nach der Gegend des Schloſſes zuruͤck. Man kann ſich das Entſetzen der Bedienten denken, als ſie ihrem Herren auf dieſe Weiſe und in der Gewalt der furchtbaren Kranken begegneten. Aber bald erſtaunten ſie noch mehr, die Rollen hier vollkommen gewechſelt zu finden. Manon war die verſtaͤndige, ſittige Retterin und Pflegerin des bloͤdſinnigen Marquis geworden, und ließ fuͤrder205hin nicht Tag nicht Nacht auch nur auf eine Stunde von ihm. Bald gaben die herbeigerufnen Aerzte jede Hoffnung zu ſeiner Heilung auf, nicht aber Manon. Dieſe pflegte mit unerhoͤrter Geduld und mit einer Faͤhigkeit, welche man fuͤr Inſpiration zu halten verſucht war, den armen verwilderten Funken in ihres Geliebten Haupt, und lange Jahre nachher, ſchon als ſich beider Locken bleichten, genoß ſie des unausſprechlichen Gluͤckes, den ihr uͤber Alles theuren Geiſt wieder zu ſeiner ehemaligen Bluͤthe und Kraft herauferzogen zu haben. Da gab der Marquis ſeiner Helferin am Altare die Hand, und in dieſer Entfernung der Hauptſtadt wußten alle Theilhaber des Feſtes von keinen anderen Gefuͤhlen, als denen der tiefſten Ehrfurcht und der andaͤchtigſten Freude.
M. F.
Berichtigung.
Auf wiederholtes und dringendes Verlangen des Verfaſſers der Aufſaͤtze uͤber C. J. Kraus (S. 19tes und 34tes Abendblatt) nehmen wir noch folgendes Fragment einer an uns eingelaufenen Erklaͤrung auf:
„Den Beruf des Herr A. v. A. fuͤr einen Freund, in die Schranken zu treten, erkennen wir willig und ehrend an. Ja wir ſind ihm Dank ſchuldig, uns aufmerkſam gemacht zu haben, wie man unſere Worte auslegen koͤnnte. —
Wem konnte es aber je einfallen, daß der Verfaſſer jenes als Feuerbrand bezeichneten Werks, mit dem Verfaſſer des unter dieſem Titel erſchienenen Journals je in Vergleichung oder in irgend eine Gemeinſchaft geſetzt werden ſollte? Selbſt die Schriften werden nicht verglichen, ſondern ſtehen in directem Gegenſatz, weshalb eben die Anſpielung auf den waſſerreichen mit dem Umſchlag und Titel contraſtirenden Inhalt jenes Journals gemacht wurde. Das Werk haben wir einen Feuerbrand genannt, weil es mit Feuer geſchrieben iſt, in demſelben Sinne, wie man die Schriften Luthers, Voltaires, Burkes und jedes Mannes der fuͤr eine abweichende Meinung mit Kraft auftritt, Feuerbraͤnde nennen koͤnnte.“ —
206Der Reſt dieſer Erklaͤrung betrifft nicht mehr die Sache, ſondern Perſoͤnlichkeiten; und da er mithin das Misverſtaͤndniß, ſtatt es aufzuloͤſen, nur vermehren wuͤrde: ſo ſchließen wir den ganzen Streit, den der Aufſatz C. J. Kraus (11tes Blatt) veranlaßt, mit dieſer Berichtigung ab. (Die Red.)
Miscellen.
Aus Kaſſel.
Die Auffuͤhrung der Oper Cendrillon lockte viel Neugierige herbei. Das Stuͤck war in Paris 42 Mal hintereinander gegeben worden: und ſo glaubte man in Kaſſel an eine aͤhnliche Wirkung. Aber das deutſche Publikum ſcheint zu einer ſolchen Beſtaͤndigkeit nicht geſchickt: weder die Muſik iſt von ausgezeichnetem Gehalt, noch auch wird das Auge durch Dekorationen beſtochen. Faſt ſollte man glauben, daß die Oper Cendrillon ihr ganzes Gluͤck der Demoiſelle Alexandrine St. Aubin verdankt, welche als Cendrillon alle Stimmen fuͤr ſich gewann, und dem mittelmaͤßigen Stuͤck einen rauſchenden Beifall erwarb.
(Journ. d. L. u. d. Mod.)
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Vorgeſtern Abend brach im Hauſe eines Viktualienhaͤndlers in einem Schornſtein Feuer aus, welches aber ſogleich geloͤſcht wurde.
Zweien Schlaͤchtern und einem Seifenſieder ſind Waageſchaalen in Beſchlag genommen, welche durch Anhaͤngen von Blei und eiſernen Haken unrichtig gemacht waren.
Berichtigung.
In dem Theaterartikel des 49ten Blatts haben ſich, auſſer mehrern kleinern, zwei erhebliche, zum Theil Widerſinn hervorbringende, Druckfehler eingeſchlichen. Seite 1 Zeile 25 ſtatt bewaͤhrte ließ: abweichende Seite 3 Zeile 28 ſtatt poetiſche ließ: romantiſche.