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Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der
Musik.
(Beschluß.)
(Beschluß)
Aber der Triumph der Religion war,
wie sich nach
einigen Tagen ergab, noch weit
größer. Denn der
Gastwirth, bei dem diese vier Brüder wohnten, ver¬5
fügte sich, ihrer sonderbaren und
auffallenden Auffüh¬
rung wegen, auf das Rathhaus,
und zeigte der Obrig¬
keit an, daß dieselben, dem
Anschein nach, abwesenden
oder gestörten Geistes
sein müßten. Die jungen Leute,
sprach er, wären nach Beendigung des
Frohnleich¬10
namsfestes, still und
niedergeschlagen, in ihre Woh¬
nung zurückgekehrt,
hätten sich, in ihre dunkle Mäntel
gehüllt, um
einen Tisch niedergelassen, nichts als Brod
und
Wasser zur Nahrung verlangt, und gegen die
Mitternachtsstunde, da sich schon Alles zur Ruhe ge¬15
legt, mit einer schauerlichen und grausenhaften
Stim¬
me, das gloria in
excelsis intonirt. Da er, der
Gast¬
wirth, mit Licht hinaufgekommen, um zu
sehen, was
diese ungewohnte Musik veranlaße,
habe er sie noch
singend alle vier aufrecht um
den Tisch vorgefunden: 20
worauf sie, mit dem
Glockenschlag Eins, geschwiegen,
sich, ohne ein
Wort zu sagen, auf die Bretter des
Fußbodens
niedergelegt, einige Stunden geschlafen,
und
mit der Sonne schon wieder erhoben hätten, um
dasselbe öde und traurige Klosterleben, bei Wasser 25
und Brod, anzufangen. Fünf Mitternächte hindurch,
sprach der Wirth, hätte er sie nun schon, mit einer
Stimme, daß die Fenster des Hauses erklirrten,
das
gloria in
excelsis absingen gehört; außer diesem Ge¬
sang, nicht ohne musikalischen Wohlklang, aber
durch 30
sein Geschrei gräßlich, käme kein Laut
über ihre Lip¬
pen: dergestalt, daß er die Obrigkeit bitten
müsse, ihm
diese Leute, in welchen ohne Zweifel
der böse Geist
walten müsse, aus dem Hause zu
schaffen. — Der
Arzt, der von dem Magistrat in Folge dieses Berichts 35
befehligt ward, den Zustand der gedachten
jungen Leute
zu untersuchen, und der denselben
ganz so fand, wie
ihn der Wirth beschrieben
hatte, konnte schlechterdings,
aller
Forschungen ungeachtet, nicht erfahren, was ih¬
[ 42 ]
164nen in der Kirche, wohin sie noch
ganz mit gesunden 40
und rüstigen Sinnen gekommen
waren, zugestoßen
war. Man zog einige Bürger der Stadt, die während
der Messe, in ihrer Nähe gewesen waren, vor
Gericht;
allein diese sagten aus, daß sie, zu
Anfang derselben,
zwar einige, den Gottesdienst
störende, Possen getrie¬45
ben hätten: nachher aber,
beim Beginnen der Musik,
ganz still geworden,
andächtig, Einer nach dem Andern,
auf’s Knie
gesunken wären, und, nach dem Beispiel
der
übrigen Gemeinde, zu Gott gebetet hätten. Bald
darauf starb Schwester
Antonia, die
Kapellmeisterinn, 50
an den Folgen des
Nervenfiebers, an dem sie, wie schon
oben
erwähnt worden, daniederlag; und als der Arzt
sich, auf Befehl des Prälaten der Stadt, ins Kloster
verfügte, um die Partitur des, am Morgen jenes
merk¬
würdigen Tages aufgeführten
Musikwerks zu übersehen, 55
versicherte die
Aebtissinn demselben, indem sie ihm die
Partitur, unter sonderbar innerlichen Bewegungen
übergab, daß schlechterdings niemand wisse, wer
eigent¬
lich, an der Orgel, die Messe dirigirt
habe. Durch
ein
Zeugniß, das vor wenig Tagen, in Gegenwart des 60
Schloßvoigts und mehrerer andern Männer abgelegt
worden, sei erwiesen, daß die Vollendete in der
Stun¬
de, da die Musik aufgeführt worden, ihrer
Glieder
gänzlich unmächtig, im Winkel ihrer
Klosterzelle da¬
nieder gelegen habe; eine
Klosterschwester, die ihr als 65
leibliche
Verwandtin zur Pflege ihres Körpers bei¬
geordnet
gewesen, sei während des ganzen Vormit¬
tags, da
das Frohnleichnamsfest gefeiert worden, nicht
von ihrer Seite gewichen. — Demnach
sprach der
Erzbischof von Trier, an welchen dieser sonderbare
70
Vorfall berichtet ward, zuerst das Wort
aus, mit wel¬
chem die Aebtissinn, aus mancherlei Gründen,
nicht
laut zu werden wagte: nämlich, daß die
heilige Cä¬
cilia selbst dieses, zu gleicher Zeit
schreckliche und herr¬
liche, Wunder vollbracht habe.
Der Pabst, mehrere 75
Jahre darauf, bestätigte es; und noch am Schluß des
dreißigjährigen Krieges, wo das Kloster, wie
oben be¬
merkt, säcularisirt ward, soll, sagt die
Legende, der
Tag, an welchem die heilige
Cäcilia dasselbe, durch
die geheimnißvolle
Gewalt der Musik rettete, gefeiert, 80
und ruhig
und prächtig das gloria in excelsis
darin
abgesungen worden sein.
yz.
Uralte
Reichstagsfeierlichkeit, oder Kampf der
Blinden
mit dem Schweine.85
Als Kaiser Maximilian der
Erste zu
Augsburg, um die Stände zu einem
Türkenkriege
zu bewegen, einen Reichstag hielt,
ergötzten sich Für¬
sten und Adel mit mancherlei
ritterlichen Spielen.
Aber eine eigene Belustigung für den Kaiser
hatte sich 90
Kunz von der
Rosen, Maximilians Hofnarr so¬
wohl als Obrist, ausgedacht. Auf dem Weinmarkt
nämlich,
in der Mitte eines von starken Schranken ein¬
geschlossenen Platzes, ward ein Pfahl
befestigt; an
dem Pfahl aber, vermittelst eines
langen Stricks, ein 95
fettes Schwein gebunden.
Zwölf Blinde, arme Leute,
mit einem Prügel bewaffnet, eine Pickelhaube
auf, und
von Kopf zu Fuß in altes rostiges
Eisen gesteckt,
traten nun in die Schranken, um
gegen das Schwein
zu kämpfen; denn Kunz von der
Rosen hatte verspro¬100
chen, daß demjenigen das
Schwein gehören solle, der
es erlegen würde.
Drauf, nachdem die Blinden sich in
einen Kreis gestellt, geht, auf einem
Trompetenstoß,
der Angriff an. Die Blinden tappten auf den Punct
zu, wo die Sau auf etwas Stroh lag und
grunzte. 105
Jetzt
empfing diese einen Streich und fing an zu
schreien und fuhr dabei einen oder zwei Blinden zwi¬
schen die Füße und warf die Blinden um.
Die übri¬
gen, auf der Seite
stehenden, welche die Sau grun¬
zen und schreien
hörten, eilten auch hinzu, schlugen 110
tapfer
darauf los, und trafen eben so oft einen Mit¬
kämpfer,
als die Sau. Der Mitkämpfer schlug auf
den Angreifer, dem er nichts gethan hatte,
ärgerlich
zurück; und endlich schlug gar ein
Dritter, der von
ihrem Hader nichts wußte,
indem er meinte, sie schlü¬115
gen auf das Schwein, auf beide
los. Zuweilen waren
die Blinden alle mit ihren Prügeln an einander und
arbeiteten so grimmig auf die Pickelhauben der
Mit¬
kämpfer loß, daß es klang, als
wären Kesselschmiede und
Pfannenflicker in
Eisenhütten und Werkstätten geschäftig. 120
Die Sau, welche den Vortheil hatte, gut zu
sehen
und den Streichen ausweichen zu können,
fing indessen
an, zu gröllen. Auf dies Gegröll spitzen die Blinden
die Ohren; sie verlassen einander und gehen,
mit ih¬
ren Prügeln, auf das Schwein zu. Aber dies hat sich 125
indessen schon wieder einen andern Platz gesucht; und
die Blinden stoßen aneinander, sie fallen über
das
Seil, woran das Schwein festgebunden ist,
sie berüh¬
ren die Schranke, und führen, weil sie
glauben, das
166 Schwein getroffen zu haben, einen ungeheuren
Schlag 130
darauf. Endlich, nach vielen Stunden vergeblichen Su¬
chens,
gelingt es Einem: er trifft das Schwein mit dem
Prügel auf die Schnauze; es fällt — und ein unend¬
liches Jubelgeschrei erhebt sich. Er wird zum Sieger
ausgerufen, das Schwein ihm, vom Kampfherold zu¬135
erkannt; und blutrünstig und unterlaufen, wie
sie sein
mögen, setzen sie sich, sammt und
sonders, an einem
herrlichen Gastmahl nieder,
das die Feierlichkeit be¬
schließt. — (Gem. Unterh.
Bl.)
Miscellen.140
Petersburg d. 28 Okt.
Hier ist eine
offizielle Bekanntmachung erschienen, in welcher
das von unruhigen Politikern verbreitete
Gerücht, als ob ein neuer
Krieg im Norden
ausbrechen werde, durchaus widerlegt wird.
Man
bezieht sich darin auf
das
270
[liest ›270.‹]
Stück des Moniteurs, worin gesagt 145
wird,
daß weder Rußland von
Frankreich, noch
Frankreich von Ru߬
land etwas zu befürchten habe.
Auch wird darin angezeigt, daß Sr
Maj. der Kaiser Napoleon dem Fürsten Kurakin, bei seiner Abreise
aus Paris, eine kostbare goldene, mit großen
Brillanten besetzte
Dose, mit dem Bildniß Sr
Maj. geschenkt habe.
(L. d. B.
(L. d. B.)
[liest ›(L. d. B.)‹]
150
Bern,
d. 3. Nov.
Es hat ein neuer
Bergfall bei Oberhöfen am
Thuner See
Statt gefunden. Auch will man Erdstöße verspürt haben. (L. d. B.)
Panesowa, d. 25. Oct.
Die 30000 Mann
starke Bosnische Macht ist von den Ser¬155
biern am 20.
bei Losnitza in einem
entscheidenden Treffen ganz über
die
Drina zurückgeschlagen
worden. (L. d.
B.)
Paris, d. 7. Nov.
Der heutige
Moniteur enthält zwei Proklamationen des kom¬
mandirenden Offiziers zu Lissabon,
Lucas de Scabra da
Sylva, wor¬160
aus erhellt, daß eine
erstaunliche Menge Landvolks seine Wohnun¬
gen
verlassen, und sich in Lissabon versammelt habe. Der Comman¬
dant ertheilt
darin sowohl wegen ihres Unterkommens in der Stadt,
als auch wegen Ueberschiffung derselben auf
das linke Ufer des Tago,
wo ihre Erhaltung leichter ist, die gehörigen
Befehle. (Mon.)165
London d. 30 Okt.
In Liverpool haben neuerdings sechs
der ersten Häuser
aufge¬
hört zu zahlen. — Dagegen setzen die Häuser von Abr.
Goldshmid
Goldsmid
In Quelle
›Goldsmid‹.
und Adelbert ihre Zahlungen ungestört fort. —
Man hat Hoff¬
nung, die
Prinzessinn Amalia wieder hergestellt zu sehen. — Dage¬170
gen ist der Gesundheitszustand
Sr. Maj.
mißlich. (L. d.
B.)
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Ein angeblich aus
der Charite
entlassener Mensch, ist sinnlos
betrunken auf
dem neuen Markte
gefunden, und zur Stadtvoigtei
abgeliefert.
[›abgeliefert‹ nicht emendiert in
›abgeliefert.‹]
175
Ein
Posamentirgeselle ist auf Ansuchen seines Meisters wegen
unanständigen
Benehmens zum Arrest gebracht. Desgl.
ein Frau¬
enzimmer wegen Herumtreibens, und ein
Lohgerbergeselle wegen
der Krätze.
Ein Lehrling eines
hiesigen StadtChirurgen ist wegen schlech¬180
ter
Behandlung von Seiten seines Lehrherrn und dessen Familie,
an der Waisenbrücke in die Spree gesprungen, um sich zu ersäufen
ist aber durch den Schleusen-Meister Käbisch gerettet.