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Berliner Abendblätter.
41tes Blatt. Den 16ten November 1810.
Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik.
(Fortsetzung.)
Eben schickten sich die Nonnen auf dem Altan der Orgel dazu an: als Schwester Antonia plötzlich, frisch und gesund, obschon ein wenig bleich im Gesicht, erschien, und den Vorschlag machte, ungesäumt noch das alte, oben erwähnte, italiänische Musikwerk, auf welches die Aebtissinn so dringend bestanden hatte, aufzuführen. Auf die erstaunte Frage der Nonnen: wie sie sich plötzlich so erholt habe? antwortete sie: daß keine Zeit sei, zu schwatzen; vertheilte die Partitur, die sie unter dem Arm trug, und [liest ›und‹] setzte sich selbst, von Begeisterung glühend, an die Orgel, um die Direktion des treflichen Musikstücks zu übernehmen. Demnach kam es, wie ein wunderbarer, himmlischer Trost in die Herzen der frommen Frauen; die Beklemmung selbst, in der sie sich befanden, kam hinzu, um ihre Seelen, wie auf Schwingen, durch alle Himmel des Wohlklangs zu führen: die Messe ward, mit der höchsten und herrlichsten, musikalischen Pracht aufgeführt; es regte sich kein Odem, während der ganzen Darstellung, in den Hallen und Bänken; besonders bei dem salve regina und noch mehr bei dem gloria in excelsis war es, als ob die ganze Kirche, von mehr denn dreitausend Menschen erfüllt, gänzlich todt sei; dergestalt, daß, den vier gottverdammten Brüdern zum Trotz, auch der Staub auf dem Estrich nicht verweht ward, und das Kloster noch, bis am Schluß des dreißigjährigen Krieges bestanden hat, wo man es, vermöge eines Artikels im westphälischen Frieden, gleichwohl säkularisirte.
(Beschluß folgt.)
Vom Nationalcredit.
Laßt uns voraussetzen, „daß die Gesetzgebung eines bedeutenden Staates niemals die Sache des einzelnen guten Kopfes seyn könne, sondern daß sie nur aus 160 dem Conflict und der Berathung der bei der Existenz dieses Staates am meisten interessirten Stände hervor gehen, auch nur auf diesem Wege erhalten und erweitert werden könne.“
Der Drang des Augenblicks in den letztverflossenen Jahren hat uns das Bedürfniß nach eigentlichen Gesetzen nicht empfinden lassen: wir hätten gern Zukunft und Vergangenheit, welche der Einfluß des Gesetzes umspannen soll, auf sich beruhen lassen, wenn wir nur durch eine tüchtige Finanz und Polizei hätten des Augenblicks mächtig werden können.
Unsere Schulden Angelegenheiten indeß haben uns genöthigt, eine weite Strecke der Zukunft ins Auge zu fassen, weil wir eingesehn haben, daß nur durch die Rücksicht auf die Zukunft wir des Augenblicks mächtig zu werden, im Stande sind. Da nun hat uns das große Grundgesetz aller Politik wieder einleuchten müssen:
Du kannst nur Einfluß auf die Zukunft, auf den Zustand der kommenden Tage deines Volkes haben, in wiefern die Vergangenheit mit ihren Gesetzen Einrichtungen und Verfassungen Einfluß hat auf dich. — Respekt vor deinen Satzungen kannst du von deinen Enkeln nur verlangen und erwarten, in wiefern Du selbst Respekt hast vor den Satzungen deiner Vorfahren. — Wahren Credit haben Deine Versprechungen und Schuldverschreibungen nur, in wiefern du selbst die Versprechungen und Einrichtungen deiner Vorfahren aufrecht erhältst. Veränderungen der von den Vorfahren errichteten Verfassung können nothwendig werden, denn die Wendung der Umstände konnten sie nicht voraussehn, aber eine Verfassung, der edle patriotische Geist mit welchem sie gestiftet worden, läßt sich unter allen Veränderungen heilighalten wie man überhaupt den Geist eines Versprechens erfüllen kann, wenn es auch die Umstände unmöglich gemacht haben, den Buchstaben zu erfüllen.
Wenn nun eine Nation wie die Brittische auf ewige Annuitäten (perpetual annuities) borgt, wenn sie dem veränderlichen Inhaber einer ewigen Schuldverschreibung die landesüblichen Zinsen für ein Capital verspricht, welches ihr ein für allemal und auf ewige Zeiten übergeben wird, so muß bei den vorübergehenden Creditoren die Ueberzeugung da sein, daß der De161bitor, der Staat, den nachfolgenden Creditoren, und den Enkeln und den Urenkeln noch das Wort halten werde, was er dem ersten Creditor gegeben hat: der Creditor würde ja sonst lieber sein Geld gegen höhere Zinsen auf Leibrenten geben, wozu eine Garantie der Zeiten welche nach ihm sein werden, nicht weiter vonnöthen ist. Wenn man nun erwägt, daß noch heute jährlich gegen 10 bis 15 Mill. Sterling Kapital bloß für ewige Renten (den landesüblichen Zinsen) von 4½ bis 5 p. C. übergeben worden sind, so hat dieses unbedingte, erhabene und beispiellose Zutrauen der brittischen Nation zu ihrer eigenen Zukunft nur allein in dem Gefühl der Treue gegen die Institutionen und Gesetze der Vergangenheit ihren Grund. Weil die Britten den Muth haben und die Macht das Wort ihrer Vorfahren die Constitutionen zu halten, so und genau in demselben Maaße trauen sie auch ihren Nachkommen den Muth und die Kraft zu, das Wort (das Nationalschuldensystem) zu halten, welches sie ihnen hinterlassen.
Hierauf und nicht auf unermeßlichen Waarenvorräthen, Hypotheken und Pfändern beruht der brittische Nationalcredit. Also die Gesetzgebung ihre Aufrechthaltung, ihre Heiligachtung ist die Mutter des Nationalcredits, und nicht die Masse der handgreiflichen Reichthümer oder der Production, welche freilich die Basis des Privatcredits in seinem Beginnen ist, obgleich sich auch der Privatcredit wenn er durch mehrere Jahre glücklich und mächtig durchgeführt ist, zu einer andern und ähnlichen Grundlage hinüberneigt.
Die Geschichte mancher Handlungshäuser lehrt es, welche unermeßliche Capitalien creditweise wie durch magische Kraft angezogen werden, wenn ein solches Haus auch auf unbeträchtlichen, hypothekalen Fonds ruhte, wenn nur ein ganzes oder halbes Jahrhundert hindurch Wort gehalten, also die erprüfte Constitution der Gesetzgebung eines solchen Handlungshauses die Basis desselben ausmacht.
Hört es: die Hypothek [liest ›die Hypothek‹] aller Hypotheken ist das wahre, durch Jahrhunderte bestandene Gesetz, und es ist ein Kinderspiel zu zeigen, wie diese Erzhypothek allen andern Hypotheken erst den lebendigen Odem einhaucht. Auch das Grundeigenthum wird erst hypothekabel durch die ihm deligirte Kraft des dauerhaften und gedauerten Gesetzes.
162Keine Verschlagenheit irgend eines noch so genialischen Administrators kann ein Surrogat vorfinden für den Credit, der durch Treue gegen die Verfassung erworben und aufrecht erhalten ist. Ein Administrator kann Geld, aber ewig keinen Nationalcredit machen. Ps.
Miscellen.
Aus Ungarn, d. 30. Oct.
Rutschuck [emendiert in ›Rutschtschuck‹ (vgl. Anm. Z. 136)] wird zu einem Depot für die Russ. Armee gestaltet. Sobald der Oberbefehlshaber, Gr. Kaminskoy, einige Verstärkungen an sich gezogen haben wird, wird er den Großvezier aus seiner festen Stellung bei Schumla zu vertreiben suchen. (Liste d. Börs.)
Frankfurt den 5. Nov.
Der Fr. Gesandte Gr. Hedouville hat von Sr. Maj dem Kaiser 120000 Fr. zur Vertheilung unter die verunglückten Eisenacher erhalten. (L. d. B.)
Stockholm d. 2 Nov.
Heute hielten Sr. Königl. Hoheit der Kronprinz von Schweden, in einem mit 8 Pferden bespannten Wagen, unter dem Donner der Kanonen, ihren feierlichen Einzug. (L. d. B.)
Mailand, d. 31. Oct.
Sr. Kaiserl. Hoheit, der Vicekönig, haben gegen die Insel Lissa (im Meerbusen von Venedig) eine äußerst wichtige und glänzende Expedition ausgeführt. 42 in den dortigen Etablissements, vorgefundene englische Fahrzeuge, mit Waaren beladen, sind verbrannt, 11 Kaper genommen, und 14 franz. Fahrzeuge, die dem Feinde in die Hände gefallen waren, wieder erobert worden. Dabei sind 100 Kanonen und ein großer Vorrath von Waffen erbeutet und 100 Gefangene gemacht worden. Man schätzt den Verlust des engl. Handels durch diese Expedition auf 20 Mill. (L. d. B.)
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Ein Hausknecht der betrunken nach Hause kam, ist, wahrscheinlich vom Schlage gerührt, todt im Bette gefunden.
Eine Schlägerei zwischen Studenten und Handwerksburschen auf einem Tanzboden ist durch das Hinzukommen eines Polizei-Officianten und der Jäger-Patrouille unterdrückt, bevor Jemand beschädigt worden.
Bei der Revision eines Tanzbodens sind 2 verdächtige Frauenzimmer und 2 dergleichen Mannspersonen, so wie 9 öffentliche Huren arretirt worden.