Alle Textversionen sind inhaltlich identisch und folgen dem angegebenen Textzeugen.
Die
Fassung Erstdruck/Textzeuge zeigt die zeichengenaue Wiedergabe des Textzeugen. Nur offensichtliche Fehler sind emendiert. Alle Emendationen sind im Apparat verzeichnet. Der originale Zeilenfall ist beibehalten. Die Fassung wird auf Smartphones wegen der Zeilenlänge nicht angezeigt.
In der Textversion ohne originalen Zeilenfall wird der Zeilenfall mit einem Schrägstrich / angezeigt, die Zeile wird aber nicht umbrochen. Ansonsten folgt sie der angegebenen Textquelle.
In der Textversion ohne ſ, aͤ, oͤ, uͤ sind zusätzlich das lange ſ und historische Umlautformen der heutigen Orthographie angepasst.
Berliner Abendblätter.
37tes Blatt. Den 12ten November 1810.
Uebersicht der Kunstausstellung.
Die öffentliche Ausstellung der Werke lebender Künstler, der Arbeiten von Kunstschülern und Versuche von Kunstliebhabern wurde heute den 4. Nov. nach sechswöchentlicher Dauer, geschlossen. Erfreulich war der zahlreiche Besuch, die allgemeine Theilnahme aller Klassen der Gesellschaft an diesem allgemein menschlichen Genusse, der oft die geschiedensten zu gemeinsamer Anerkennung und Beurtheilung zusammenführte; die Kunst öffnet sich eigne Wege von einem zum andern, sie macht offenherzig und vertraulich. Wir ließen diese Urtheile, die sich so unbefangen hervordrängten, nicht außer Acht; auch fanden wir manche brave Künstler mit Recht häufig, unter der Menge, um aus dem beschränkten Urtheile der Freunde oder Gegner zu der allgemeinen Billigkeit zu gelangen und die Anforderungen der verschiedensten Naturen kennen zu lernen. Es schien wirklich, als wenn der Fortschritt und das Ausgezeichnete der gelieferten Werke, vor den Ausstellungen früherer Jahre, dieses Wohlwollen und diese Empfänglichkeit für Kunst, welche sich unter den Zuschauern äußerte, erweckt hatte; den Künstlern sei für diese schöne Einwirkung, wie für jeden eigenen Genuß hier ein öffentlicher allgemeiner Dank vorausgebracht. Ohne uns bei den einzelnen Arbeiten, wie wir wünschten, aufhalten zu können, wollen wir zur Uebersicht aufzeichnen, was das allgemeine Urtheil ausgezeichnet hat. Allgemein war der Wunsch, das Bild der verehrten Königinn von geschickter Hand ähnlich bewahrt zu finden, unter verschiedenen, welche dieser Wunsch hervorgebracht, wurde das Bild von Schadow vorgezogen, ungeachtet es blos nach anderen Bildern und nach dem Rathe verehrter Angehörigen der Verstorbenen gemahlt worden. Es übertrift unleugbar alle Bilder, die wir von ihr zu sehen Gelegenheit hatten, die Anmuth ihrer Bewegungen, ihrer Freundlichkeit veranlassen die Maler sehr leicht, ganz fremdartige Ideale in ihr darzustellen; doch ist es unerklärlich, daß eine so allgemein bewunderte Königinn 144bei ihrem Leben nie von einem der besten Porträtmaler unsrer Zeit gemalt worden. Schadows Johannes zeigt mehr Geschick und Wahrheit im Kolorit als seine Bildnisse, überhaupt gewährt aber sein jugendliches Talent schöne Hoffnungen, die Rom ausbilden mag. Die schönste Folge von Bildnissen lieferte Büry, ein früherer Aufsatz in diesen Blättern hat den Sinn des größesten [liest ›großesten‹] derselben von den beiden kunstschätzenden Fürstinnen, die diese Ausstellung mit ihren Arbeiten geschmückt haben, sehr gut gedeutet. Mancher Tadel, den wir gegen dieses schätzbare Bild hörten, wäre verschwunden, wenn der Sinn so klar aus dem Anblicke, wie dort aus den Worten hervorgegangen wäre; einzelne Nachlässigkeiten in Nebenwerken sind einem Meister wie Büry so leicht zu verbessern, daß wir sie hier nicht erwähnen mögen; die Zusammenstellung der Figuren und die Zusammenfügung der Hände wurde als steif getadelt: der Künstler suchte vielleicht Ernst und Festigkeit der Verbindung eben darin auszudrücken. Die Meinung als wäre es in altdeutschem Style gemalt ist durchaus unbegründet. Allgemein anerkannt war sein Bild der drei Schweizer, von aller modernen Effektwuth frei, erhebt es sich zu der Würde älterer Kunstwerke, es ist nach unsrer Ueberzeugung eins der besten Bilder, die seit einem Jahrhundert gemalt sind. Die rechte Schulter des mittleren Schweizers wurde von einigen für zu niedrig gehalten, doch ließe sich wohl aus der Dicke der Zeuge, die sich leicht erheben, diese Ungleichheit erklären; an ein Verzeichnen ist wohl bei etwas so Sichtbarem nicht zu denken, sondern besser scheints die Absicht des Künstlers aufzusuchen. Hummels Bilder hängen mit den Büryschen angenehm zusammen. Kretschmars Bild eines sehr schönen Mädchens erregte allgemeine Nachfrage nach dem Originale, das wir aber nicht so glücklich waren zu sehen, um zu beurtheilen, ob ihm ein Theil dieser Auszeichnung zukommt. Wachs glückliche Anlage, seine gute Wahl und Zierde in Umgebungen mit Mauerwerk und Blumen, zeigte sich schon in mehreren Bildnissen, eine Madonna mit dem Kinde war noch vortheilhafter geschmückt; wir würden gegen die Mutter gar nichts einzuwenden finden, wenn sie keinen Heiligenschein hätte, das Kind aber ist offenbar im Gesichte zu weit ausgebildet; die älteren Maler erreichten die Auszeichnung des Christ Kindes viel besser durch Blick, Gesichtsausdruck oder Beschäftigung z. B. mit dem Kreuze. Weitsch hat ein reizendes Gesicht zur Madonna gewählt, auch hat es einigen 145Ausdruck von Andacht, aber die Madonna muß überhaupt mehr als reizend und andächtig sein, und in einer so viel versuchten, ganz bestimmten Aufgabe, an der so ungeheure Vorarbeiter vorausgegangen, ist die Leichtigkeit zu verwundern, mit der sich gute Künstler an die Aufgabe machen, die ein ironischer Brief in diesen Blättern (B. 19.) recht artig darstellte. Kügelchen’s Madonna in dem heiligen Gruße ist zu klein, um sie in dieser Hinsicht zu prüfen, viele meinten sie allzu griechisch, andere zu feurig roth, wir bemerken aber, daß die Mutter Gottes, ehe sie Mutter Gottes geworden, nur den jungfräulichen Ausdruck, aber nichts göttliches erhält, und dieser ist allerdings in jenem Bilde recht angenehm ausgedrückt, das mit der geheimnißvollen Gegenwart des Herrn im Lichtkreuze, uns einen eigenthümlichen Schauer erweckt hat. Die Behandlung der Farben ist in Kügelchen’s Bildern ausgezeichnet, mit echtem alten Fleiße sind alle, bis auf die Nebenwerke, beendigt, doch möchte der Wunsch zu glätten hin und wieder, besonders aber in den beiden treflichen Portraits, dieselbe Wirkung, wie die allzu vereinzelte Ausführung in Dennerschen Bildern hervor bringen, die Festigkeit der größeren Gesichtsmassen verliert allzu sehr dabei. Dessen ungeachtet gehört Wielands Bild zu den wahrsten und treusten, welche irgend ein Künstler neuerer Zeit gemacht hat. Sein Hyacinth wäre sehr schön wenn er allein, ohne den Gott, dargestellt worden, als ein Bild frühen gewaltsamen Todes; der fleischige und doch steinerne Apollo gefiel nicht. Die Arbeiten des früh verstorbenen Ludwig, insbesondere das Bild seiner Eltern, erhielten fast allgemeines Lob; freilich gehört ein längerer Verkehr dazu, und eine häufigere Wiederkehr in guten Stunden, als es den meisten Portraitmalern vergönnt ist, um Bildnisse, wie die ältere Deutsche, Holländische und Italiänische Schule sie zeigen, zu liefern, und wozu dieses Ludwigsche Familienbild eine Annäherung gewährt; auch würde wohl kein Maler für diesen Fleiß einer verhältmäßigen Belohnung sich erfreuen können, denn es giebt nur wenige Menschen, die auf sich viel halten dürfen, und sich der Zukunft bewahren mögen.
(Die Fortsetzung folgt.)
Korrespondenz und Notizen.
Von dem Werk der Fr. v. Stael, Lettres sur l’Allemagne, das nun, nach den öffentlichen Blättern, dem Hrn. Esmenard, zu Besorgung der nöthigen Veränderungen und Auslassungen, überge146ben worden ist, wird es interessant sein, einige authentische Nachrichten mitzutheilen. Die Verf. welche, wie bekannt, mehrere Jahre in Deutschland zubrachte, bemüht sich darin, auf eine eben so eindringende als beredte Art, das Streben des deutschen Geistes dem Auslande bekannt zu machen. Der Gesichtspunkt ist ein allgemein europäischer; gleichwohl erstreckt sich die Betrachtung auch, soviel es der große Umfang des Gegenstandes verstattet, ins Einzelne. Der erste Theil handelt von den Sitten, dem Charakter und dem geselligen Leben der Deutschen; der zweite von der Litteratur und vom Theater; der dritte von der Philosophie, Naturwissenschaft, Moral und Religion. Jedes Talent vom ersten Range, aus der Vergangenheit sowohl als Gegenwart, wird darin gewürdigt, die Richtung, welche Wissenschaft, Kunst und bürgerliches Leben davon empfangen haben mögen, angegeben, alles Gute und Vortreffliche, das in der Anlage der Nation vorhanden sein mag, mit einsichtsvollen Wohlwollen, beschrieben und hervorgehoben. An vergleichenden Blicken auf andre Nationen fehlt es nicht, aber man begreift leicht, daß die Vf., welche selbst die eigenthümlichen Vorzüge des französischen Geistes, schnelle Gegenwart, Klarheit und Gewandheit, in einem so hohen Grade besitzt, nicht ungerecht dagegen wird gewesen sein. Meisterhaft ist der Gang der englischen und französischen Philosophie von Bacon an bis auf die Encyclopädisten verzeichnet. Die Vf. stellt ihnen die deutschen Schulen, Leibnitz, Kant und unsere neuesten Denker, als Gegensatz gegenüber und bemüht sich, die ganze Wichtigkeit des dadurch bewirkten Umschwungs der Gedanken zur Anschauung zu bringen.
Miscellen.
Zu Mercatello im Distrikt Urbino hat man neuerlich 26 Erdstöße verspürt, wovon 5 von äußerst traurigen Folgen gewesen sein sollen.
Ein Soldat, der in den Gefängnissen zu Torgau in Ketten lag, ist halb von den Ratten aufgefressen, gefunden worden. Dieser Unglückliche, da er seine Glieder nicht gebrauchen konnte, hat sich gegen den Angrif dieser Thiere nicht vertheidigen können.
Man versichert, daß der Kaiserl. Hof Fontainebleau am 5ten Nov. verlassen werde.
Auch in Ungarn, Slavonien und im Bannat, werden Versuche gemacht werden, die Baumwolle anzubauen.
Um die Masse des Papiergeldes zu vermindern, soll, wie man versichert, außer den geistlichen Gütern, auch jetzt das Drittheil der östr. Krongüter, verkauft werden.
Der Posten zu Tarrazona (auf dem rechten Ufer des Ebro) ist am 9 Oct. von einem Haufen spanischer Insurgenten, angegriffen; der Angrif aber siegreich zurückgeschlagen worden.
Am 26 Oct. Abends gegen 10 Uhr ist, zwischen Königsbrück und Camenz, die Leipziger Post, von 4 Räubern angefallen, und ihr 4700 Thl. Geld entwendet worden.
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Bei dem gestrigen Ballet im Schauspielhause: der Verein des Tanzes mit der Musik, hatte die Minerva nebst dem Knaben das Unglück sammt der Glorie in welcher sie 12 bis 15 Fuß hoch über den Boden schwebte herab zu fallen. Die Tänzerin, welche diese Rolle machte ist an einen Arme [korrigiert in ›einem Arme‹] und an einen Fuße [korrigiert in ›einem Fuße‹] beschädigt, wird jedoch nach der Meinung hinzugekommener Aerzte in wenig Wochen vollkommen hergestellt sein: der Knabe, Sohn eines Viktual. Händl. ist gar nicht beschädigt. Die Veranlassung des Unfalls gab das Abspringen des die Glorie haltenden Hauptseils von der Welle, auf die es gerollt war. Der Zimmergesell, der die Glorie regierte, ist verhaftet. Da eine Stellvertreterin der Tänzerin nicht sogleich geschaft werden konnte, so konnte die Vorstellung nicht fortgesetzt werden.