Die Verlobung in St. Domingo.
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Die Verlobung in St. Domingo.
Zu Port au Prince, auf dem franzoͤſiſchen Antheil der Inſel St. Domingo, lebte, zu Anfange dieſes Jahrhunderts, als die Schwarzen die Weißen ermordeten, auf der Pflanzung des Hrn. Guillaume von Villeneuve, ein fuͤrchterlicher alter Neger, Namens Congo Hoango. Dieſer von der Goldkuͤſte von Afrika herſtammende Menſch, der in ſeiner Jugend von treuer und rechtſchaffener Gemuͤthsart ſchien, war von ſeinem Herrn, weil er ihm einſt auf einer Ueberfahrt nach Cuba das Leben gerettet hatte, mit unendlichen Wohlthaten uͤberhaͤuft worden. Nicht nur, daß Hr. Guillaume ihm auf der Stelle ſeine Freiheit ſchenkte, und ihm, bei ſeiner Ruͤckkehr nach St. Domingo, Haus und Hof anwies; 2 er machte ihn ſogar, einige Jahre darauf, gegen die Gewohnheit des Landes, zum Aufſeher ſeiner betraͤchtlichen Beſitzung, und legte ihm, weil er nicht wieder heirathen wollte, an Weibes Statt eine alte Mulattinn, Namens Babekan, aus ſeiner Pflanzung bei, mit welcher er durch ſeine erſte verſtorbene Frau weitlaͤuftig verwandt war. Ja, als der Neger ſein ſechzigſtes Jahr erreicht hatte, ſetzte er ihn mit einem anſehnlichen Gehalt in den Ruheſtand und kroͤnte ſeine Wohlthaten noch damit, daß er ihm in ſeinem Vermaͤchtniß ſogar ein Legat auswarf; und doch konnten alle dieſe Beweiſe von Dankbarkeit Hrn. Villeneuve vor der Wuth dieſes grimmigen Menſchen nicht ſchuͤtzen. Congo Hoango war, bei dem allgemeinen Taumel der Rache, der auf die unbeſonnenen Schritte des National-Convents in dieſen Pflanzungen aufloderte, einer der Erſten, der die Buͤchſe ergriff, und, eingedenk der Tyrannei, die ihn ſeinem Vaterlande entriſſen hatte, ſeinem Herrn die Kugel durch den Kopf jagte. Er 3 ſteckte das Haus, worein die Gemahlinn desſelben mit ihren drei Kindern und den uͤbrigen Weißen der Niederlaſſung ſich gefluͤchtet hatte, in Brand, verwuͤſtete die ganze Pflanzung, worauf die Erben, die in Port au Prince wohnten, haͤtten Anſpruch machen koͤnnen, und zog, als ſaͤmmtliche zur Beſitzung gehoͤrige Etabliſſements der Erde gleich gemacht waren, mit den Negern, die er verſammelt und bewaffnet hatte, in der Nachbarſchaft umher, um ſeinen Mitbruͤdern in dem Kampfe gegen die Weißen beizuſtehen. Bald lauerte er den Reiſenden auf, die in bewaffneten Haufen das Land durchkreuzten; bald fiel er am hellen Tage die in ihren Niederlaſſungen verſchanzten Pflanzer ſelbſt an, und ließ Alles, was er darin vorfand, uͤber die Klinge ſpringen. Ja, er forderte, in ſeiner unmenſchlichen Rachſucht, ſogar die alte Babekan mit ihrer Tochter, einer jungen funfzehnjaͤhrigen Meſtize, Namens Toni, auf, an dieſem grimmigen Kriege, bei dem er ſich ganz verjuͤngte, Antheil zu nehmen; und 4 weil das Hauptgebaͤude der Pflanzung, das er jetzt bewohnte, einſam an der Landſtraße lag und ſich haͤufig, waͤhrend ſeiner Abweſenheit, weiße oder kreoliſche Fluͤchtlinge einfanden, welche darin Nahrung oder ein Unterkommen ſuchten, ſo unterrichtete er die Weiber, dieſe weißen Hunde, wie er ſie nannte, mit Unterſtuͤtzungen und Gefaͤlligkeiten bis zu ſeiner Wiederkehr hinzuhalten. Babekan, welche in Folge einer grauſamen Strafe, die ſie in ihrer Jugend erhalten hatte, an der Schwindſucht litt, pflegte in ſolchen Faͤllen die junge Toni, die, wegen ihrer ins Gelbliche gehenden gehenden [emendiert ohne Hinweis] Geſichtsfarbe, zu dieſer graͤßlichen Liſt beſonders brauchbar war, mit ihren beſten Kleidern auszuputzen; ſie ermunterte dieſelbe, den Fremden keine Liebkoſung zu verſagen, bis auf die letzte, die ihr bei Todesſtrafe verboten war: und wenn Congo Hoango mit ſeinem Negertrupp von den Streifereien, die er in der Gegend gemacht hatte, wiederkehrte, war unmittelbarer Tod das Loos der Armen, die ſich durch dieſe Kuͤnſte hatten taͤuſchen laſſen. 5
Nun weiß jedermann, daß im Jahr 1803, als der General Deſſalines mit 30,000 Negern gegen Port au Prince vorruͤckte, Alles, was die weiße Farbe trug, ſich in dieſen Platz warf, um ihn zu vertheidigen. Denn er war der letzte Stuͤtzpunkt der franzoͤſiſchen Macht auf dieſer Inſel, und wenn er fiel, waren alle Weißen, die ſich darauf befanden, ſaͤmmtlich ohne Rettung verloren. Demnach traf es ſich, daß gerade in der Abweſenheit des alten Hoango, der mit den Schwarzen, die er um ſich hatte, aufgebrochen war, um dem General Deſſalines mitten durch die franzoͤſiſchen Poſten einen Transport von Pulver und Blei zuzufuͤhren, in der Finſterniß einer ſtuͤrmiſchen und regnigten Nacht, jemand an die hintere Thuͤr ſeines Hauſes klopfte. Die alte Babekan, welche ſchon im Bette lag, erhob ſich, oͤffnete, einen bloßen Rock um die Huͤften geworfen, das Fenſter, und fragte: wer da ſei? „Bei Maria und allen Heiligen,“ ſagte der Fremde leiſe, indem er ſich unter das Fenſter ſtellte: „beantwortet 6 mir, ehe ich euch dies entdecke, eine Frage!“ Und damit ſtreckte er, durch die Dunkelheit der Nacht, ſeine Hand aus, um die Hand der Alten zu ergreifen, und fragte: „ſeid ihr eine Negerinn?“ Babekan ſagte: „nun, ihr ſeid gewiß ein Weißer, daß ihr dieſer ſtockfinſtern Nacht lieber ins Antlitz ſchaut, als einer Negerinn! Kommt herein, ſetzte ſie hinzu, und fuͤrchtet nichts; hier wohnt eine Mulattinn, und die Einzige, die ſich außer mir noch im Hauſe befindet, iſt meine Tochter, eine Meſtize! Und damit machte ſie das Fenſter zu, als wollte ſie hinabſteigen und ihm die Thuͤr oͤffnen; ſchlich aber, unter dem Vorwand, daß ſie den Schluͤſſel nicht ſogleich finden koͤnne, mit einigen Kleidern, die ſie ſchnell aus dem Schrank zuſammenraffte, in die Kammer hinauf und weckte ihre Tochter. „Toni!“ ſprach ſie: „Toni!“ — Was giebts, Mutter? — „Geſchwind!“ ſprach ſie. „Aufgeſtanden und dich angezogen! Hier ſind Kleider, weiße Waͤſche und Struͤmpfe! Ein Weißer, der verfolgt wird, iſt vor der Thuͤr und 7 begehrt eingelaſſen zu werden!“ — Toni fragte: ein Weißer? indem ſie ſich halb im Bett aufrichtete. Sie nahm die Kleider, welche die Alte in der Hand hielt, und ſprach: iſt er auch allein, Mutter? Und haben wir, wenn wir ihn einlaſſen, nichts zu befuͤrchten? — „Nichts, nichts!“ verſetzte die Alte, indem ſie Licht anmachte: „er iſt ohne Waffen und allein, und Furcht, daß wir uͤber ihn herfallen moͤchten, zittert in allen ſeinen Gebeinen!“ Und damit, waͤhrend Toni aufſtand und ſich Rock und Struͤmpfe anzog, zuͤndete ſie die große Laterne Laterne [emendiert ohne Hinweis] an, die in dem Winkel des Zimmers ſtand, band dem Maͤdchen geſchwind das Haar, nach der Landesart, uͤber dem Kopf zuſammen, bedeckte ſie, nachdem ſie ihr den Latz zugeſchnuͤrt hatte, mit einem Hut, gab ihr die Laterne in die Hand und befahl ihr, auf den Hof hinab zu gehen und den Fremden herein zu holen.
Inzwiſchen war auf das Gebell einiger Hofhunde ein Knabe, Namens Nanky, den Hoango auf unehelichem Wege mit einer Ne8gerinn erzeugt hatte, und der mit ſeinem Bruder Seppy in den Nebengebaͤuden ſchlief, erwacht; und da er beim Schein des Mondes einen einzelnen Mann auf der hinteren Treppe des Hauſes ſtehen ſah: ſo eilte er ſogleich, wie er in ſolchen Faͤllen angewieſen war, nach dem Hofthor, durch welches derſelbe hereingekommen war, um es zu verſchließen. Der Fremde, der nicht begriff, was dieſe Anſtalten zu bedeuten hatten, fragte den Knaben, den er mit Entſetzen, als er ihm nahe ſtand, fuͤr einen Negerknaben erkannte: wer in dieſer Niederlaſſung wohne? und ſchon war er auf die Antwort desſelben: „daß die Beſitzung, ſeit dem Tode Hrn. Villeneuves dem Neger Hoango anheim gefallen,“ im Begriff, den Jungen niederzuwerfen, ihm den Schluͤſſel der Hofpforte, den er in der Hand hielt, zu entreißen und das weite Feld zu ſuchen, als Toni, die Laterne in der Hand, vor das Haus hinaus trat. „Geſchwind!“ ſprach ſie, indem ſie ſeine Hand ergriff und ihn nach der Thuͤr zog: „hier hierein!“ Sie trug Sorge, in9dem ſie dies ſagte, das Licht ſo zu ſtellen, daß der volle Strahl davon auf ihr Geſicht fiel. — Wer biſt Du? rief der Fremde ſtraͤubend, indem er, um mehr als einer Urſache willen betroffen, ihre junge liebliche Geſtalt betrachtete. Wer wohnt in dieſem Hauſe, in welchem ich, wie Du vorgiebſt, meine Rettung finden ſoll? — „Niemand, bei dem Licht der Sonne,“ ſprach das Maͤdchen, „als meine Mutter und ich!“ und beſtrebte und beeiferte ſich, ihn mit ſich fortzureißen. Was, niemand! rief der Fremde, indem er, mit einem Schritt ruͤckwaͤrts, ſeine Hand losriß: hat mir dieſer Knabe nicht eben geſagt, daß ein Neger, Namens Hoango, darin befindlich ſey? — „Ich ſage, nein!“ ſprach das Maͤdchen, indem ſie, mit einem Ausdruck von Unwillen, mit dem Fuß ſtampfte; „und wenn gleich einem Wuͤtherich, der dieſen Namen fuͤhrt, das Haus gehoͤrt: abweſend iſt er in dieſem Augenblick und auf zehn Meilen davon entfernt!“ Und damit zog ſie den Fremden mit ihren beiden Haͤnden in das Haus 10 hinein, befahl dem Knaben, keinem Menſchen zu ſagen, wer angekommen ſei, ergriff, nachdem ſie die Thuͤr erreicht, des Fremden Hand und fuͤhrte ihn die Treppe hinauf, nach dem Zimmer ihrer Mutter.
„Nun,“ ſagte die Alte, welche das ganze Geſpraͤch, von dem Fenſter herab, mit angehoͤrt und bei dem Schein des Lichts bemerkt hatte, daß er ein Offizier war: „was bedeutet der Degen, den ihr ſo ſchlagfertig unter eurem Arme tragt? Wir haben euch,“ ſetzte ſie hinzu, indem ſie ſich die Brille aufdruͤckte, „mit Gefahr unſeres Lebens eine Zuflucht in unſerm Hauſe geſtattet; ſeid ihr herein gekommen, um dieſe Wohlthat, nach der Sitte eurer Landsleute, mit Verraͤtherei zu vergelten?“ — Behuͤte der Himmel! erwiederte der Fremde, der dicht vor ihren Seſſel getreten war. Er ergriff die Hand der Alten, druͤckte ſie an ſein Herz, und indem er, nach einigen im Zimmer ſchuͤchtern umhergeworfenen Blicken, den Degen, den er an der Huͤfte trug, abſchnallte, ſprach er: Ihr ſeht den 11 elendeſten der Menſchen, aber keinen undankbaren und ſchlechten vor euch! — „Wer ſeid ihr?“ fragte die Alte; und damit ſchob ſie ihm mit dem Fuß einen Stuhl hin, und befahl dem Maͤdchen, in die Kuͤche zu gehen, und ihm, ſo gut es ſich in der Eil thun ließ, ein Abendbrod zu bereiten. Der Fremde erwiderte: ich bin ein Offizier von der franzoͤſchen französischen [emendiert] französischen [emendiert ohne Hinweis] Macht, obſchon, wie ihr wohl ſelbſt urtheilt, kein Franzoſe; mein Vaterland iſt die Schweiz und mein Name Guſtav von der Ried. Ach, haͤtte ich es niemals verlaſſen und gegen dies unſelige Eiland vertauſcht! Ich komme von Fort Dauphin, wo, wie ihr wißt, alle Weißen ermordet worden ſind, und meine Abſicht iſt, Port au Prince zu erreichen, bevor es dem General Deſſalines noch gelungen iſt, es mit den Truppen, die er anfuͤhrt, einzuſchließen und zu belagern. — „Von Fort Dauphin!“ rief die Alte. „Und es iſt euch mit eurer Geſichtsfarbe gegluͤckt, dieſen ungeheuren Weg, mitten durch ein in Empoͤrung begriffenes Mohrenland, zuruͤckzulegen?“ Gott 12 und alle Heiligen, erwiederte der Fremde, haben mich beſchuͤtzt! — Und ich bin nicht allein, gutes Muͤtterchen; in meinem Gefolge, das ich zuruͤckgelaſſen, befindet ſich ein ehrwuͤrdiger alter Greis, mein Oheim, mit ſeiner Gemahlinn und fuͤnf Kindern; mehrere Bediente und Maͤgde, die zur Familie gehoͤren, nicht zu erwaͤhnen; ein Troß von zwoͤlf Menſchen, den ich, mit Huͤlfe zweier elenden Mauleſel, in unſaͤglich muͤhevollen Nachtwanderungen, da wir uns bei Tage auf der Heerſtraße nicht zeigen duͤrfen, mit mir fortfuͤhren muß. „Ei, mein Himmel!“ rief die Alte, indem ſie, unter mitleidigem Kopfſchuͤtteln, eine Prieſe Prise [emendiert] Prise [emendiert ohne Hinweis] Tabak nahm. „Wo befindet ſich denn in dieſem Augenblick eure Reiſegeſellſchaft?“ — Euch, verſetzte der Fremde, nachdem er ſich ein wenig beſonnen hatte: euch kann ich mich anvertrauen; aus der Farbe eures Geſichts ſchimmert mir ein Strahl von der meinigen entgegen. Die Familie befindet ſich, daß ihr es wißt, eine Meile von hier, zunaͤchſt dem Moͤwenweiher, in der Wildniß 13der angrenzenden Gebirgswaldung: Hunger und Durſt zwangen uns vorgeſtern, dieſe Zuflucht aufzuſuchen. Vergebens ſchickten wir in der verfloſſenen Nacht unſere Bedienten aus, um ein wenig Brod und Wein bei den Einwohnern des Landes aufzutreiben; Furcht, ergriffen und getoͤdtet zu werden, hielt ſie ab, die entſcheidenden Schritte deshalb zu thun, dergeſtalt, daß ich mich ſelbſt heute mit Gefahr meines Lebens habe aufmachen muͤſſen, um mein Gluͤck zu verſuchen. Der Himmel, wenn mich nicht Alles truͤgt, fuhr er fort, indem er die Hand der Alten druͤckte, hat mich mitleidigen Menſchen zugefuͤhrt, die jene grauſame und unerhoͤrte Erbitterung, welche alle Einwohner dieſer Inſel ergriffen hat, nicht theilen. Habt die Gefaͤlligkeit, mir fuͤr reichlichen Lohn einige Koͤrbe mit Lebensmitteln und Erfriſchungen anzufuͤllen; wir haben nur noch fuͤnf Tagereiſen bis Port au Prince, und wenn ihr uns die Mittel verſchafft, dieſe Stadt zu erreichen, ſo werden wir euch ewig als die Retter unſeres Lebens anſehen. — 14„Ja, dieſe raſende Erbitterung,“ heuchelte die Alte. „Iſt es nicht, als ob die Haͤnde Eines Koͤrpers, oder die Zaͤhne Eines Mundes gegen einander wuͤthen wollten, weil das Eine Glied nicht geſchaffen iſt, wie das andere? Was kann ich, deren Vater aus St. Jago, von der Inſel Cuba war, fuͤr den Schimmer von Licht, der auf meinem Antlitz, wenn es Tag wird, erdaͤmmert? Und was kann meine Tochter, die in Europa empfangen und geboren iſt, dafuͤr, daß der volle Tag jenes Welttheils von dem ihrigen wiederſcheint?“ — Wie? rief der Fremde. Ihr, die ihr nach eurer ganzen Geſichtsbildung eine Mulattinn, und mithin afrikaniſchen Ursprungs ſeid, ihr waͤret ſammt der lieblichen jungen Meſtize, die mir das Haus aufmachte, mit uns Europaͤern in Einer Verdammniß? — „Beim Himmel!“ erwiderte die Alte, indem ſie die Brille von der Naſe nahm; „meint ihr, daß das kleine Eigenthum, das wir uns in muͤhſeligen und jammervollen Jahren durch die Arbeit unſerer Haͤnde erworben haben, 15 dies grimmige, aus der Hoͤlle ſtammende Raͤubergeſindel nicht reizt? Wenn wir uns nicht durch Liſt und den ganzen Inbegriff jener Kuͤnſte, die die Nothwehr dem Schwachen in die Haͤnde giebt, vor ihrer Verfolgung zu ſichern wuͤßten: der Schatten von Verwandtſchaft, der uͤber unſere Geſichter ausgebreitet iſt, der, koͤnnt ihr ſicher glauben, thut es nicht!“ — Es iſt nicht moͤglich! rief der Fremde; und wer auf dieſer Inſel verfolgt euch? „Der Beſitzer dieſes Hauſes,“ antwortete die Alte: „der Neger Congo Hoango! Seit dem Tode Hrn. Guillaumes, des vormaligen Eigenthuͤmers dieser Pflanzung, der durch ſeine grimmige Hand beim Ausbruch der Empoͤrung fiel, ſind wir, die wir ihm als Verwandte die Wirthſchaft fuͤhren, ſeiner ganzen Willkuͤhr und Gewaltthaͤtigkeit preis gegeben. Jedes Stuͤck Brod, jeden Labetrunk Labetrunk, [emendiert] Labetrunk, [emendiert] den wir aus Menſchlichkeit Einem oder dem Andern der weißen Fluͤchtlinge, die hier zuweilen die Straße voruͤberziehen, gewaͤhren, rechnet er uns mit Schimpfwoͤrtern und Miß16handlungen an; und nichts wuͤnſcht er mehr, als die Rache der Schwarzen uͤber uns weiße und kreoliſche Halbhunde, wie er uns nennt, hereinhetzen zu koͤnnen, theils um unſerer uͤberhaupt, die wir ſeine Wildheit gegen die Weißen tadeln, los zu werden, theils, um das kleine Eigenthum, [liest ›Eigenthum,‹] [liest ›Eigenthum,‹] das wir hinterlaſſen wuͤrden, in Beſitz zu nehmen.“ — Ihr Ungluͤcklichen! ſagte der Fremde; ihr Bejammernswuͤrdigen! — Und wo befindet ſich in dieſem Augenblick dieſer Wuͤtherich? „Bei dem Heere des Generals Deſſalines,“ antwortete die Alte, „dem er, mit den uͤbrigen Schwarzen, die zu dieſer Pflanzung gehoͤren, einen Transport von Pulver und Blei zufuͤhrt, deſſen der General beduͤrftig war. Wir erwarten ihn, falls er nicht auf neue Unternehmungen auszieht, in zehn oder zwoͤlf Tagen zuruͤck; und wenn er alsdann, was Gott verhuͤten wolle, erfuͤhre, daß wir einem Weißen, der nach Port au Prince wandert, Schutz und Obdach gegeben, waͤhrend er aus allen Kraͤften an dem Geſchaͤft Theil nimmt, 17das ganze Geſchlecht derſelben von der Inſel zu vertilgen, wir waͤren Alle, das koͤnnt ihr glauben, Kinder des Todes.“ Der Himmel, der Menſchlichkeit und Mitleiden liebt, antwortete der Fremde, wird euch in dem, was ihr einem Ungluͤcklichen thut, beſchuͤtzen! — Und weil ihr euch, ſetzte er, indem er der Alten naͤher ruͤckte, hinzu, einmal in dieſem Falle des Negers Unwillen zugezogen haben wuͤrdet, und der Gehorſam, wenn ihr auch dazu zuruͤckkehren wolltet, euch fuͤrderhin zu nichts helfen wuͤrde; koͤnnt ihr euch wohl, fuͤr jede Belohnung, die ihr nur verlangen moͤgt, entſchließen, meinem Oheim und ſeiner Familie, die durch die Reiſe aufs Aeußerſte angegriffen ſind, auf einen oder zwei Tage in eurem Hauſe Obdach zu geben, damit ſie ſich ein wenig erholten? — „Junger Herr!“ ſprach die Alte betroffen, „was verlangt ihr da? Wie iſt es, in einem Hauſe, das an der Landſtraße liegt, moͤglich, einen Troß von ſolcher Groͤße, als der eurige iſt, zu beherbergen, ohne daß er den Einwohnern 18 des Landes verrathen wuͤrde?“ — Warum nicht? verſetzte der Fremde dringend: wenn ich ſogleich ſelbſt an den Moͤwenweiher hinausginge, und die Geſellſchaft, noch vor Anbruch des Tages, in die Niederlaſſung einfuͤhrte; wenn man Alles, Herrſchaft und Dienerſchaft, in einem und demſelben Gemach des Hauſes unterbraͤchte, und, fuͤr den ſchlimmſten Fall, etwa noch die Vorſicht gebrauchte, Thuͤren und Fenſter desſelben ſorgfaͤltig zu verſchließen? — Die Alte erwiederte, nachdem ſie den Vorſchlag waͤhrend einiger Zeit erwogen hatte: „daß, wenn er, in der heutigen Nacht, unternehmen wollte, den Troß aus ſeiner Bergſchlucht in die Niederlaſſung einzufuͤhren, er, bei der Ruͤckkehr von dort, unfehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger ſtoßen wuͤrde, der, durch einige vorangeſchickte Schuͤtzen, auf der Heerſtraße angeſagt worden waͤre.“ — Wohlan! verſetzte der Fremde: ſo begnuͤgen wir uns, fuͤr dieſen Augenblick, den Ungluͤcklichen einen Korb mit Lebensmitteln zuzuſenden, und ſparen das Geſchaͤft, 19 ſie in die Niederlaſſung einzufuͤhren, fuͤr die naͤchſtfolgende Nacht auf. Wollt ihr, gutes Muͤtterchen, das thun? — „Nun,“ ſprach die Alte, unter vielfachen Kuͤſſen, die von den Lippen des Fremden auf ihre knoͤcherne Hand niederregneten: um des Europaͤers, meiner Tochter Vater willen, will ich euch, ſeinen bedraͤngten Landsleuten, dieſe Gefaͤlligkeit erweiſen. Setzt euch beim Anbruch des morgenden Tages hin, und ladet die Eurigen in einem Schreiben ein, ſich zu mir in die Niederlaſſung zu verfuͤgen; der Knabe, den ihr im Hofe geſehen, mag ihnen das Schreiben mit einigem Mundvorrath uͤberbringen, die Nacht uͤber zu ihrer Sicherheit in den Bergen verweilen, und dem Troſſe beim Anbruch des naͤchſtfolgenden Tages, wenn die Einladung angenommen wird, auf ſeinem Wege hierher zum Fuͤhrer dienen.“
Inzwiſchen war Toni mit einem Mahl, das ſie in der Kuͤche bereitet hatte, wiedergekehrt, und fragte die Alte mit einem Blick auf den Fremden, ſchaͤkernd, indem ſie den 20 Tiſch deckte: Nun, Mutter, ſagt an! Hat ſich der Herr von dem Schreck, der ihn vor der Thuͤr ergriff, erholt? Hat er ſich uͤberzeugt, daß weder Gift noch Dolch auf ihn warten, und daß der Neger Hoango nicht zu Hauſe iſt? Die Mutter ſagte mit einem Seufzer: mein Kind, der Gebrannte ſcheut, nach dem Sprichwort, das Feuer. Der Herr wuͤrde thoͤricht gehandelt haben, wenn er ſich fruͤher in das Haus hineingewagt haͤtte, als bis er ſich von dem Volksſtamm, zu welchem ſeine Bewohner gehoͤren, uͤberzeugt hatte.“ Das Maͤdchen ſtellte ſich vor die Mutter, und erzaͤhlte ihr: wie ſie die Laterne ſo gehalten, daß ihr der volle Strahl davon ins Geſicht gefallen waͤre. Aber ſeine Einbildung, ſprach ſie, war ganz von Mohren und Negern erfuͤllt; und wenn ihm eine Dame von Paris oder Marſeille die Thuͤre geoͤffnet haͤtte, er wuͤrde ſie fuͤr eine Negerin gehalten haben. Der Fremde, indem er den Arm ſanft um ihren Leib ſchlug, ſagte verlegen: daß der Hut, den ſie aufgehabt, ihn verhindert haͤtte, ihr ins 21Geſicht zu ſchaun. Haͤtte ich dir, fuhr er fort, indem er ſie lebhaft an ſeine Bruſt druͤckte, ins Auge ſehen koͤnnen, ſo wie ich es jetzt kann: ſo haͤtte ich, auch wenn alles uͤbrige an dir ſchwarz geweſen waͤre, aus einem vergifteten Becher mit dir trinken wollen. Die Mutter noͤthigte ihn, der bei dieſen Worten roth geworden war, ſich zu ſetzen, worauf Toni ſich neben ihm an der Tafel niederließ, und mit aufgeſtuͤtzten Armen, waͤhrend der Fremde aß, in ſein Antlitz ſah. Der Fremde fragte ſie: wie alt ſie waͤre? und wie ihre Vaterſtadt hieße? worauf die Mutter das Wort nahm und ihm ſagte: „daß Toni vor funfzehn Jahren auf einer Reiſe, welche ſie mit der Frau des Hrn. Villeneuve, ihres vormaligen Prinzipals, nach Europa gemacht haͤtte, in Paris von ihr empfangen und gebohren worden waͤre. Sie ſetzte hinzu, daß der Neger Komar, den ſie nachher geheirathet, ſie zwar an Kindes ſtatt angenommen haͤtte, daß daß [emendiert ohne Hinweis] ihr Vater aber eigentlich ein reicher Marſeiller Kaufmann, Namens Ber22trand waͤre, von dem ſie auch Toni Bertrand hieße.“ — Toni fragte ihn: ob er einen ſolchen Herrn in Frankreich kenne? Der Fremde erwiederte: nein! das Land waͤre groß, und waͤhrend des kurzen Aufenthalts, den er bei ſeiner Einſchiffung nach Weſtindien darin genommen, ſey ihm keine Perſon dieſes Namens vorgekommen. Die Alte verſetzte versetzte, [emendiert] versetzte, [emendiert] daß Hr. Bertrand auch, nach ziemlich ſicheren Nachrichten, die ſie eingezogen, nicht mehr in Frankreich befindlich ſey. Sein ehrgeiziges und aufſtrebendes Gemuͤth, ſprach ſie, gefiel ſich in dem Kreis buͤrgerlicher Thaͤtigkeit nicht; er miſchte ſich beim Ausbruch der Revolution in die oͤffentlichen Geſchaͤfte, und ging im Jahr 1795 mit einer franzoͤſiſchen Geſandſchaft an den tuͤrkiſchen Hof, von wo er, meines Wiſſens, bis dieſen Augenblick noch nicht zuruͤckgekehrt iſt. Der Fremde ſagte laͤchelnd zu Toni, indem er ihre Hand faßte: daß ſie ja in dieſem Falle ein vornehmes und reiches Maͤdchen waͤre. Er munterte ſie auf, dieſe Vortheile geltend zu machen, und meinte, 23 daß ſie Hoffnung haͤtte, noch einmal an der Hand ihres Vaters in glaͤnzendere Verhaͤltniſſe, als in denen ſie jetzt lebte, eingefuͤhrt zu werden! „Schwerlich,“ verſetzte die Alte mit unterdruͤckter Empfindlichkeit. „Herr Bertrand laͤugnete mir, waͤhrend meiner Schwangerſchaft zu Paris, aus Scham vor einer jungen reichen Braut, die er heirathen wollte, die Vaterſchaft zu dieſem Kinde vor Gericht ab. Ich werde den Eidſchwur, den er die Frechheit hatte, mir ins Geſicht zu leiſten, niemals vergeſſen, ein Gallenfieber war die Folge davon, und bald darauf noch ſechzig Peitſchenhiebe, die mir Hr. Villeneuve geben ließ, und in deren Folge ich noch bis auf dieſen Tag an der Schwindſucht leide.“ — — Toni, welche den Kopf gedankenvoll auf ihre Hand gelegt hatte, fragte den Fremden: wer er denn waͤre? wo er herkaͤme und wo er hinginge? worauf dieſer nach einer kurzen Verlegenheit, worin ihn die erbitterte Rede der Alten verſetzt hatte, erwiderte: daß er mit Hrn. Stroͤmlis, ſeines Oheims Fa24milie, die er, unter dem Schutze zweier jungen Vettern, in der Bergwaldung am Moͤwenweiher zuruͤckgelaſſen, vom Fort Dauphin kaͤme. Er erzaͤhlte, auf des Maͤdchens Bitte, mehrere Zuͤge der in dieſer Stadt ausgebrochenen Empoͤrung; wie zur Zeit der Mitternacht, da alles geſchlafen, auf ein verraͤtheriſch gegebenes Zeichen, das Gemetzel der Schwarzen gegen die Weißen losgegangen waͤre; wie der Chef der Negern, ein Sergeant bei dem franzoͤſiſchen Pionirkorps, die Bosheit gehabt, ſogleich alle Schiffe im Hafen in Brand zu ſtecken, um den Weißen die Flucht nach Europa abzuſchneiden; wie die Familie kaum Zeit gehabt, ſich mit einigen Habſeeligkeiten vor die Thore der Stadt zu retten, und wie ihr, bei dem gleichzeitigen Auflodern der Empoͤrung in allen Kuͤſtenplaͤtzen, nichts uͤbrig geblieben waͤre, als mit Huͤlfe zweier Mauleſel, die ſie aufgetrieben, den Weg quer durch das ganze Land nach Port au Prince einzuſchlagen, das allein noch, von einem ſtarken franzoͤſiſchen Heere beſchuͤtzt, der uͤber25hand nehmenden Macht der Negern in dieſem Augenblick Widerſtand leiſte. — Toni fragte: wodurch ſich denn die Weißen daſelbſt ſo verhaßt gemacht haͤtten? — Der Fremde erwiderte betroffen: durch das allgemeine Verhaͤltniß, das ſie, als Herren der Inſel, zu den Schwarzen hatten, und das ich, die Wahrheit zu geſtehen, mich nicht unterfangen will, in Schutz zu nehmen; das aber ſchon ſeit vielen Jahrhunderten auf dieſe Weiſe beſtand! Der Wahnſinn der Freiheit, der alle dieſe Pflanzungen ergriffen hat, trieb die Negern und Kreolen, die Ketten, die ſie druͤckten, zu brechen, und an den Weißen wegen vielfacher und tadelnswuͤrdiger Mißhandlungen, die ſie von einigen ſchlechten Mitgliedern derſelben erlitten, Rache zu nehmen. — Beſonders, fuhr er nach einem kurzen Stillſchweigen fort, war mir die That eines jungen Maͤdchens ſchauderhaft und merkwuͤrdig. Dieſes Maͤdchen, vom Stamm der Negern, lag gerade zur Zeit, da die Empoͤrung aufloderte, an dem gelben Fieber krank, das zur 26 Verdoppelung des Elends in der Stadt ausgebrochen war. Sie hatte drei Jahre zuvor einem Pflanzer vom Geſchlecht der Weißen als Sclavinn gedient, der ſie aus Empfindlichkeit, weil ſie ſich ſeinen Wuͤnſchen nicht willfaͤhrig gezeigt hatte, hart behandelt und nachher an einen Creoliſchen Pflanzer verkauft hatte. Da nun das Maͤdchen an dem Tage des allgemeinen Aufruhrs erfuhr, daß ſich der Pflanzer, ihr ehemaliger Herr, vor der Wuth der Negern, die ihn verfolgten, in einen nahegelegenen Holzſtall gefluͤchtet hatte: ſo ſchickte ſie, jener Mißhandlungen eingedenk, beim Anbruch der Daͤmmerung, ihren Bruder zu ihm, mit der Einladung, bei ihr zu uͤbernachten. Der Ungluͤckliche, der weder wußte, daß das Maͤdchen unpaͤßlich war, noch an welcher Krankheit ſie litt, kam und ſchloß ſie voll Dankbarkeit, da er ſich gerettet glaubte, in ſeine Arme: doch kaum hatte er eine halbe Stunde unter Liebkoſungen und Zaͤrtlichkeiten in ihrem Bette zugebracht, als ſie ſich ploͤtzlich mit dem Ausdruck 27 wilder und kalter Wuth, darin erhob und ſprach: eine Peſtkranke, die den Tod in der Bruſt traͤgt, haſt du gekuͤßt: geh und gieb das gelbe Fieber allen denen, die dir gleichen! — Der Officier, waͤhrend die Alte mit lauten Worten ihren Abſcheu hieruͤber zu erkennen gab, fragte Toni: ob ſie wohl einer ſolchen That faͤhig waͤre? Nein! ſagte Toni, indem ſie verwirrt vor ſich niederſah. Der Fremde, indem er das Tuch auf dem Tiſche legte, verſetzte: daß, nach dem Gefuͤhl ſeiner Seele, keine Tyrannei, die die Weißen je veruͤbt, einen Verrath, ſo niedertraͤchtig und abſcheulich, rechtfertigen koͤnnte. Die Rache des Himmels, meinte er, indem er ſich mit einem leidenſchaftlichen Ausdruck erhob, wuͤrde dadurch entwaffnet: die Engel ſelbſt, dadurch empoͤrt, ſtellten ſich auf Seiten derer, die Unrecht haͤtten, und naͤhmen, zur Aufrechthaltung menſchlicher und goͤttlicher Ordnung, ihre Sache! Er trat bei dieſen Worten auf einen Augenblick an das Fenſter, und ſah in die Nacht hinaus, die mit ſtuͤrmiſchen Wol28ken uͤber den Mond und die Sterne voruͤber zog; und da es ihm ſchien, als ob Mutter und Tochter einander anſaͤhen, obſchon er auf keine Weiſe merkte, daß ſie ſich Winke zugeworfen haͤtten: ſo uͤbernahm ihn ein widerwaͤrtiges und verdrießliches Gefuͤhl; er wandte ſich und bat, daß man ihm das Zimmer anweiſen moͤgte, wo er ſchlafen koͤnne.
Die Mutter bemerkte, indem ſie nach der Wanduhr ſah, daß es uͤberdies nahe an Mitternacht ſey, nahm ein Licht in die Hand, und forderte den Fremden auf, ihr zu folgen. Sie fuͤhrte ihn durch einen langen Gang in das fuͤr ihn beſtimmte Zimmer; Toni trug den Ueberrock des Fremden und mehrere andere Sachen, die er abgelegt hatte; die Mutter zeigte ihm ein von Polſtern bequem aufgeſtapeltes Bett, worin er ſchlafen ſollte, und nachdem ſie Toni noch befohlen hatte, dem Herrn ein Fußbad zu bereiten, wuͤnſchte ſie ihm eine gute Nacht und empfahl ſich. Der Fremde ſtellte ſeinen Degen in den Winkel und legte ein Paar Piſtolen, die er im Guͤr29tel trug, auf den Tiſch. Er ſah ſich, waͤhrend Toni das Bett vorſchob und ein weißes Tuch daruͤber breitete, im Zimmer um; und da er gar bald, aus der Pracht und dem Geſchmack, die darin herrſchten, ſchloß, daß es dem vormaligen Beſitzer der Pflanzung angehoͤrt haben muͤſſe: ſo legte ſich ein Gefuͤhl der Unruhe wie ein Geyer um ſein Herz, und er wuͤnſchte ſich, hungrig und durſtig, wie er gekommen war, wieder in die Waldung zu den Seinigen zuruͤck. Das Maͤdchen hatte mittlerweile, aus der nahbelegenen Kuͤche, ein Gefaͤß mit warmem Waſſer, von wohlriechenden Kraͤutern duftend, hereingeholt, und forderte den Officier, der ſich in das Fenſter gelehnt hatte, auf, ſich darin zu zu [emendiert ohne Hinweis] erquicken. Der Officier ließ ſich, waͤhrend er ſich ſchweigend von der Halsbinde und der Weſte befreite, auf den Stuhl nieder; er ſchickte ſich an, ſich die Fuͤße zu entbloͤßen, und waͤhrend das Maͤdchen, auf ihre Kniee vor ihm hingekauert, die kleinen Vorkehrungen zum Bade beſorgte, betrachtete er ihre einnehmende 30 Geſtalt. Ihr Haar, in dunkeln Locken ſchwellend, war ihr, als ſie niederknieete, auf ihre jungen Bruͤſte herabgerollt; ein Zug von ausnehmender Anmuth ſpielte um ihre Lippen und uͤber ihre langen, uͤber die geſenkten Augen hervorragenden Augenwimpern; Augenwimper; [nicht emendiert] Augenwimper; [nicht emendiert] er haͤtte, bis auf die Farbe, die ihm anſtoͤßig war, ſchwoͤren moͤgen, daß er nie etwas Schoͤneres geſehen. Dabei fiel ihm eine entfernte Aehnlichkeit, er wußte noch ſelbſt nicht recht mit wem, auf, die er ſchon bei ſeinem Eintritt in das Haus bemerkt hatte, und die ſeine ganze Seele fuͤr ſie in Anſpruch nahm. Er ergriff ſie, als ſie in den Geſchaͤften, die ſie betrieb, aufſtand, bei der Hand, und da er gar richtig ſchloß, daß es nur ein Mittel gab, zu erpruͤfen, ob das Maͤdchen ein Herz habe oder nicht, ſo zog er ſie auf ſeinen Schooß nieder und fragte ſie: „ob ſie ſchon einem Braͤutigam verlobt waͤre?“ Nein! liſpelte das Maͤdchen, indem ſie ihre großen ſchwarzen Augen in lieblicher Verſchaͤmtheit zur Erde ſchlug. Sie ſetzte, ohne ſich auf ſeinem 31 Schooß zu ruͤhren, hinzu: Konelly, der junge Neger aus der Nachbarſchaft, haͤtte zwar vor drei Monaten um ſie angehalten; ſie haͤtte ihn aber, weil ſie noch zu jung waͤre, ausgeſchlagen. Der Fremde, der, mit ſeinen beiden Haͤnden, ihren ſchlanken Leib umfaßt hielt, ſagte: „in ſeinem Vaterlande waͤre, nach einem daſelbſt herrſchenden Sprichwort, ein Maͤdchen von vierzehn Jahren und ſieben Wochen bejahrt genug, um zu heirathen.“ Er fragte, waͤhrend ſie ein kleines, goldenes Kreuz, das er auf der Bruſt trug, betrachtete: „wie alt ſie waͤre?“ — Funfzehn Jahre, erwiederte Toni. „Nun alſo!“ ſprach der Fremde. — Fehlt es ihm denn an Vermoͤgen, um ſich haͤuslich, wie du es wuͤnſcheſt, mit dir niederzulaſſen?“ Toni, ohne die Augen zu ihm aufzuſchlagen, erwiderte: o nein! — Vielmehr, ſprach ſie, indem ſie das Kreuz, das ſie in der Hand hielt, fahren ließ: Konelly iſt, ſeit der letzten Wendung der Dinge, ein reicher Mann geworden; ſeinem Vater iſt die ganze Niederlaſſung, die ſonſt dem 32Pflanzer, ſeinem Herrn, gehoͤrte, zugefallen. — „Warum lehnteſt du denn ſeinen Antrag ab?“ fragte der Fremde. Er ſtreichelte ihr freundlich das Haar von der Stirn und ſprach: „gefiel er dir etwa nicht?“ Das Maͤdchen, indem ſie kurz mit dem Kopf ſchuͤttelte, lachte; und auf die Frage des Fremden, ihr ſcherzend ins Ohr gefluͤſtert: ob es vielleicht ein Weißer ſeyn muͤſſe, der ihr Gunſt davon tragen ſolle? legte ſie ſich ploͤtzlich, nach einem fluͤchtigen, traͤumeriſchen Bedenken, unter einem uͤberaus reizenden Erroͤthen, das uͤber ihr verbranntes Geſicht aufloderte, an ſeine Bruſt. Der Fremde, von ihrer Anmuth und Lieblichkeit geruͤhrt, nannte ſie ſein liebes Maͤdchen, und ſchloß ſie, wie durch goͤttliche Hand von jeder Sorge erloͤſt, in ſeine Arme. Es war ihm unmoͤglich zu glauben, daß alle dieſe Bewegungen, die er an ihr wahrnahm, der bloße elende Ausdruck einer kalten und graͤßlichen Verraͤtherei ſeyn ſollten. Die Gedanken, die ihn beunruhigt hatten, wichen, wie ein Heer ſchauerlicher Voͤgel, von ihm; er 33ſchalt ſich, ihr Herz nur einen Augenblick verkannt zu haben, und waͤhrend er ſie auf ſeinen Knieen ſchaukelte, und den ſuͤßen Athem einſog, den ſie ihm heraufſandte, druͤckte er, gleichſam zum Zeichen der Ausſoͤhnung und Vergebung, einen Kuß auf ihre Stirn. Inzwiſchen hatte ſich das Maͤdchen, unter einem ſonderbar ploͤtzlichen Aufhorchen, als ob jemand von dem Gange her der Thuͤr nahte, emporgerichtet; ſie ruͤckte ſich gedankenvoll und traͤumeriſch das Tuch, das das [emendiert ohne Hinweis] ſich uͤber ihrer Bruſt verſchoben hatte, zurecht; und erſt als ſie ſah, daß ſie von einem Irrthum getaͤuſcht worden war, wandte ſie ſich mit einigem Ausdruck von Heiterkeit wieder zu dem Fremden zuruͤck und erinnerte ihn: daß ſich das Waſſer, wenn er nicht bald Gebrauch davon machte, abkaͤlten wuͤrde. — Nun? ſagte ſie betreten, da der Fremde ſchwieg und ſie gedankenvoll betrachtete: was ſeht ihr mich ſo aufmerkſam an? Sie ſuchte, indem ſie ſich mit ihrem Latz beſchaͤftigte, die Verlegenheit, die ſie ergriffen, zu verbergen, und rief lachend: wun 34derlicher Herr, was faͤllt euch in meinem Anblick ſo auf? Der Fremde, der ſich mit der Hand uͤber die Stirn gefahren war, ſagte, einen Seufzer unterdruͤckend, indem er ſie von ſeinem Schooß herunterhob: eine wunderbare Aehnlichkeit zwiſchen dir und einer Freundinn!“ — Toni, welche ſichtbar bemerkte, daß ſich ſeine Heiterkeit zerſtreut hatte, nahm ihn freundlich und theilnehmend bei der Hand, und fragte: mit welcher? worauf jener, nach einer kurzen Beſinnung das Wort nahm und ſprach: „Ihr Name war Mariane Congreve und ihre Vaterſtadt Straßburg. Ich hatte ſie in dieſer Stadt, wo ihr Vater Kaufmann war, kurz vor dem Ausbruch der Revolution kennen gelernt, und war gluͤcklich genug geweſen, ihr Jawort und vorlaͤufig auch ihrer Mutter Zuſtimmung zu erhalten. Ach, es war die treuſte Seele unter der Sonne; und die ſchrecklichen und ruͤhrenden Umſtaͤnde, unter denen ich ſie verlor, werden mir, wenn ich dich anſehe, ſo gegenwaͤrtig, daß ich mich vor Wehmuth der Thraͤ35nen nicht enthalten kann.“ Wie? ſagte Toni, indem ſie ſich herzlich und innig an ihn druͤckte: ſie lebt nicht mehr? — „Sie ſtarb,“ antwortete der Fremde, „und ich lernte den Inbegriff aller Guͤte und Vortrefflichkeit erſt mit ihrem Tode kennen. Gott weiß,“ fuhr er fort, indem er ſein Haupt ſchmerzlich an ihre Schulter lehnte, „wie ich die Unbeſonnenheit ſo weit treiben konnte, mir eines Abends an einem oͤffentlichen Ort Aeußerungen uͤber das eben errichtete furchtbare Revolutionstribunal zu erlauben. Man verklagte, man ſuchte mich; ja, in Ermangelung meiner, der gluͤcklich genug geweſen war, ſich in die Vorſtadt zu retten, lief die Rotte meiner raſenden Verfolger, die ein Opfer haben mußte, nach der Wohnung meiner Braut, und durch ihre wahrhaftige Verſicherung, daß ſie nicht wiſſe, wo ich ſey, erbittert, ſchleppte man dieſelbe, unter dem Vorwand, daß ſie mit mir im Einverſtaͤndniß ſey, mit unerhoͤrter Leichtfertigkeit ſtatt meiner auf den Richtplatz. Kaum war mir dieſe entſetzliche Nachricht 36 hinterbracht worden, als ich ſogleich aus dem Schlupfwinkel, in welchen ich mich gefluͤchtet hatte, hervortrat, und indem ich, die Menge durchbrechend, nach dem Richtplatz eilte, laut ausrief: Hier, ihr Unmenſchlichen, hier bin ich! Doch ſie, die ſchon auf dem Geruͤſte der Guillotine ſtand, antwortete auf die Frage einiger Richter, denen ich ungluͤcklicher Weiſe fremd ſeyn mußte, indem ſie ſich mit einem Blick, der mir unausloͤſchlich in die Seele gepraͤgt iſt, von mir abwandte: dieſen Menſchen kenne ich nicht! — worauf unter Trommeln und Laͤrmen, von den ungeduldigen Blutmenſchen angezettelt, das Eiſen, wenige Augenblicke nachher, herabfiel, und ihr Haupt von ſeinem Rumpfe trennte. — Wie ich gerettet worden bin, das weiß ich nicht; ich befand mich, eine Viertelſtunde darauf, in der Wohnung eines Freundes, wo ich aus einer Ohnmacht in die andere fiel, und halbwahnwitzig gegen Abend auf einen Wagen geladen und uͤber den Rhein geſchafft wurde.“ — Bei dieſen Worten trat 37der Fremde, indem er das Maͤdchen losließ, an das Fenſter; und da dieſe ſah, daß er ſein Geſicht ſehr geruͤhrt in ein Tuch druͤckte: ſo uͤbernahm ſie, von manchen Seiten geweckt, ein menſchliches Gefuͤhl; ſie folgte ihm mit einer ploͤtzlichen Bewegung, fiel ihm um den Hals, und miſchte ihre Thraͤnen mit den ſeinigen.
Was weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden, weil es jeder, der an dieſe Stelle kommt, von ſelbſt lieſ’t. Der Fremde, als er ſich wieder geſammlet hatte, wußte nicht, wohin ihn die That, die er begangen, fuͤhren wuͤrde; inzwiſchen ſah er ſo viel ein, daß er gerettet, und in dem Hauſe, in welchem er ſich befand, fuͤr ihn nichts von dem Maͤdchen zu befuͤrchten war. Er verſuchte, da er ſie mit verſchraͤnkten Armen auf dem Bett weinen ſah, alles nur Moͤgliche, um ſie zu beruhigen. Er nahm ſich das kleine goldene Kreuz, ein Geſchenk der treuen Mariane, ſeiner abgeſchiedenen Braut, von der Bruſt; und, indem er ſich unter unendlichen Liebko38ſungen uͤber ſie neigte, hing er es ihr als ein Brautgeſchenk, wie er es nannte, um den Hals. Er ſetzte ſich, da ſie in Thraͤnen zerfloß und auf ſeine Worte nicht hoͤrte, auf den Rand des Bettes nieder, und ſagte ihr, indem er ihre Hand bald ſtreichelte, bald kuͤßte: daß er bei ihrer Mutter am Morgen des naͤchſten Tages um ſie anhalten wolle. Er beſchrieb ihr, welch ein kleines Eigenthum, frei und unabhaͤngig, er an den Ufern Ufern [emendiert ohne Hinweis] der Aaar beſitze; eine Wohnung, bequem und geraͤumig genug, ſie und auch ihre Mutter, wenn ihr Alter die Reiſe zulaſſe, darin aufzunehmen; Felder, Gaͤrten, Wieſen und Weinberge; und einen alten ehrwuͤrdigen Vater, der ſie dankbar und liebreich daſelbſt, weil ſie ſeinen Sohn gerettet, empfangen wuͤrde. Er ſchloß ſie, da ihre Thraͤnen in unendlichen Ergießungen auf das Bettkiſſen niederfloſſen, in ſeine Arme, und fragte ſie, von Ruͤhrung ſelber ergriffen: was er ihr zu Leide gethan und ob ſie ihm nicht vergeben koͤnne? Er ſchwor ihr, daß Liebe fuͤr ſie nie aus ſeinem Herzen wei39chen wuͤrde, und daß nur, im Taumel wunderbar verwirrter Sinne, eine Miſchung von Begierde und Angſt, die ſie ihm eingefloͤßt, ihn zu einer ſolchen That habe verfuͤhren koͤnnen. Er erinnerte ſie zuletzt, daß die Morgenſterne funkelten, und daß, wenn ſie laͤnger im Bette verweilte, die Mutter kommen und ſie darin uͤberraſchen wuͤrde; er forderte ſie, ihrer Geſundheit wegen, auf, ſich zu erheben und noch einige Stunden auf ihrem eignen Lager auszuruhen; er fragte ſie, durch ihren Zuſtand in die entſetzlichſten Beſorgniſſe geſtuͤrzt, ob er ſie vielleicht in ſeinen Armen aufheben und in ihre Kammer tragen ſolle; doch da ſie auf Alles, was er vorbrachte, nicht antwortete, und, ihr Haupt ſtilljammernd, ohne ſich zu ruͤhren, in ihre Arme gedruͤckt, auf den verwirrten Kiſſen des Bettes dalag: ſo blieb ihm zuletzt, hell wie der Tag ſchon durch beide Fenſter ſchimmerte, nichts uͤbrig, als ſie, ohne weitere Ruͤckſprache, aufzuheben; er trug ſie, die wie eine Lebloſe von ſeiner Schulter niederhing, die 40Treppe hinauf in ihre Kammer, und nachdem er ſie auf ihr Bette niedergelegt, und ihr unter tauſend Liebkoſungen noch einmal Alles, was er ihr ſchon geſagt, wiederholt hatte, nannte er ſie noch einmal ſeine liebe Braut, druͤckte einen Kuß auf ihre Wangen, und eilte in ſein Zimmer zuruͤck.
Sobald der Tag voͤllig angebrochen war, begab ſich die alte Babekan zu ihrer Tochter hinauf, und eroͤffnete ihr, indem ſie ſich an ihr Bett niederſetzte, welch’ einen Plan ſie mit dem Fremden ſowohl, als ſeiner Reiſegeſellſchaft vor habe. Sie meinte, daß, da der Neger Congo Hoango erſt in zwei Tagen wiederkehre, Alles darauf ankaͤme, den Fremden waͤhrend dieſer Zeit in dem Hauſe hinzuhalten, ohne die Familie ſeiner Angehoͤrigen, deren Gegenwart, ihrer Menge wegen, gefaͤhrlich werden koͤnnte, darinn zuzulaſſen. Zu dieſem Zweck, ſprach ſie, habe ſie erdacht, dem Fremden vorzuſpiegeln, daß, einer ſo eben eingelaufenen Nachricht zufolge, der General Deſſalines ſich mit ſeinem Heer in dieſe 41Gegend wenden werde, und daß man mithin, wegen allzugroßer Gefahr, erſt am dritten Tage, wenn er voruͤber waͤre, wuͤrde moͤglich machen koͤnnen, die Familie, ſeinem Wunſche gemaͤß, in dem Hauſe aufzunehmen. Die Geſellſchaft ſelbſt, ſchloß ſie, muͤſſe inzwiſchen, damit ſie nicht weiter reiſe, mit Lebensmitteln verſorgt, und gleichfalls, um ſich ihrer ſpaͤterhin zu bemaͤchtigen, in dem Wahn, daß ſie eine Zuflucht in dem Hauſe finden werde, hingehalten werden. Sie bemerkte, daß die Sache wichtig ſey, indem die Familie wahrſcheinlich betraͤchtliche Habſeeligkeiten mit ſich fuͤhre; und forderte die Tochter auf, ſie aus allen Kraͤften in dem Vorhaben, das ſie ihr angegeben, zu unterſtuͤtzen. Toni, halb im Bette aufgerichtet, indem die Roͤthe des Unwillens ihr Geſicht uͤberflog, verſetzte: „daß es ſchaͤndlich und niedertraͤchtig waͤre, das Gaſtrecht an Perſonen, die man in das Haus gelockt, alſo zu verletzen. Sie meinte, daß ein Verfolgter, der ſich ihrem Schutz anvertraut, doppelt ſicher bei ihnen ſein ſollte; 42 und verſicherte, daß, wenn ſie den blutigen Anſchlag, den ſie ihr geaͤußert, nicht aufgaͤbe, ſie auf der Stelle hingehen und dem Fremden anzeigen wuͤrde, welch eine Moͤrdergrube das Haus ſei, in welchem er geglaubt habe, ſeine Rettung zu finden.“ Toni! ſagte die Mutter, indem ſie die Arme in die Seite ſtaͤmmte, und dieſelbe mit großen Augen anſah. — „Gewiß!“ erwiederte Toni, indem ſie die Stimme ſenkte. „Was hat uns dieſer Juͤngling, der von Geburt gar nicht einmal ein Franzoſe, ſondern, wie wir geſehen haben, ein Schweizer iſt, zu leide gethan, daß wir, nach Art der Raͤuber, uͤber ihn herfallen, ihn toͤdten und auspluͤndern wollen? Gelten die Beſchwerden, die man hier gegen die Pflanzer fuͤhrt, auch in der Gegend der Inſel, aus welcher er herkoͤmmt? Zeigt nicht vielmehr Alles, daß er der edelſte und vortrefflichſte Menſch iſt, und gewiß das Unrecht, das die Schwarzen ſeiner Gattung vorwerfen moͤgen, auf keine Weiſe theilt?“ — Die Alte, waͤhrend ſie den ſonderbaren Ausdruck 43 des Maͤdchens betrachtete, ſagte bloß mit bebenden Lippen: daß ſie erſtaune. Sie fragte, was der junge Portugieſe verſchuldet, den man unter dem Thorweg kuͤrzlich mit Keulen zu Boden geworfen habe? Sie fragte, was die beiden Hollaͤnder verbrochen, die vor drei Wochen durch die Kugeln der Neger im Hofe gefallen waͤren? Sie wollte wiſſen, was man den drei Franzoſen und ſo vielen andern einzelnen Fluͤchtlingen, vom Geſchlecht der Weißen, zur Laſt gelegt habe, die mit Buͤchſen, Spießen und Dolchen, ſeit dem Ausbruch der Empoͤrung, im Hauſe hingerichtet worden waͤren? „Beim Licht der Sonne,“ ſagte die Tochter, indem ſie wild aufſtand, „du haſt ſehr Unrecht, mich an dieſe Graͤuelthaten zu erinnern! Die Unmenſchlichkeiten, an denen ihr mich Theil zu nehmen zwingt, empoͤrten laͤngſt mein innerſtes Gefuͤhl; und um mir Gottes Rache wegen Alles, was vorgefallen, zu verſoͤhnen, ſo, ſchwoͤre ich dir, daß ich eher zehnfachen Todes ſterben, als zugeben werde, daß dieſem Juͤngling, ſo lange 44er ſich in unſerm Hauſe befindet, auch nur ein Haar gekruͤmmt werde.“ — Wohlan, ſagte die Alte, mit einem ploͤtzlichen Ausdruck von Nachgiebigkeit: ſo mag der Fremde reiſen! Aber wenn Congo Hoango zuruͤckkoͤmmt, ſetzte ſie hinzu, indem ſie um das Zimmer zu verlaſſen, aufſtand, und erfaͤhrt, daß ein Weißer in unſerm Hauſe uͤbernachtet hat, ſo magſt du das Mitleiden, das dich bewog, ihn gegen das ausdruͤckliche Gebot wieder abziehen zu laſſen, verantworten.
Auf dieſe Aeußerung, bei welcher, trotz aller ſcheinbaren Milde, der Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das Maͤdchen in nicht geringer Beſtuͤrzung im Zimmer zuruͤck. Sie kannte den Haß der Alten gegen die Weißen zu gut, als daß ſie haͤtte glauben koͤnnen, ſie werde eine ſolche Gelegenheit, ihn zu ſaͤttigen, ungenutzt voruͤber gehen laſſen. Furcht, daß ſie ſogleich in die benachbarten Pflanzungen ſchicken und die Neger zur Überwaͤltigung des Fremden herbeirufen moͤchte, bewog ſie, ſich anzukleiden 45 und ihr unverzuͤglich in das untere Wohnzimmer zu folgen. Sie ſtellte ſich sich, [emendiert] sich, [emendiert ohne Hinweis] waͤhrend dieſe verſtoͤrt den Speiſeſchrank, bei welchem ſie ein Geſchaͤft zu haben ſchien, verließ, und ſich an einen Spinnrocken niederſetzte, vor das an die Thuͤr geſchlagene Mandat, in welchem allen Schwarzen bei Lebensſtrafe verboten war, den Weißen Schutz und Obdach zu geben; und gleichſam als ob ſie, von Schrecken ergriffen, das Unrecht, das das [emendiert ohne Hinweis] ſie begangen, einſaͤhe, wandte ſie ſich ploͤtzlich, und fiel der Mutter, die ſie, wie ſie wohl wußte, von hinten beobachtet hatte, zu Fuͤßen. Sie bat, die Kniee derſelben umklammernd, ihr die raſenden Aeußerungen, die ſie ſich zu Gunſten des Fremden erlaubt, zu vergeben; entſchuldigte ſich mit dem Zuſtand, halb traͤumend, halb wachend, in welchem ſie von ihr mit den Vorſchlaͤgen zu ſeiner Ueberliſtung, da ſie noch im Bette gelegen, uͤberraſcht worden ſei, und meinte, daß ſie ihn ganz und gar der Rache der beſtehenden Landesgeſetze, die ſeine Vernichtung ein46mal beſchloſſen, Preis gaͤbe. Die Alte, nach einer Pauſe, in der ſie das Maͤdchen unverwandt betrachtete, ſagte: „Beim Himmel, dieſe deine Erklaͤrung rettet ihm fuͤr heute das Leben! Denn die Speiſe, da du ihn in deinen Schutz zu nehmen drohteſt, war ſchon vergiftet, die ihn der Gewalt Congo Hoango’s, ſeinem Befehl gemaͤß, wenigſtens todt uͤberliefert haben wuͤrde.“ Und damit ſtand ſie auf und ſchuͤttete einen Topf mit Milch, der auf dem Tiſch ſtand, aus dem Fenſter. Toni, welche ihren Sinnen nicht traute, ſtarrte, von Entſetzen ergriffen, die Mutter an. Die Alte, waͤhrend ſie ſich wieder niederſetzte, und das Maͤdchen, das noch immer auf den Knieen dalag, vom Boden aufhob, fragte: „was denn im Lauf einer einzigen Nacht ihre Gedanken ſo ploͤtzlich umgewandelt haͤtte? Ob ſie geſtern, nachdem ſie ihm das Bad bereitet, noch lange bei ihm geweſen waͤre? Und ob ſie viel mit dem Fremden geſprochen haͤtte?“ Doch Toni, deren Bruſt flog, antwortete hierauf nicht, oder 47nichts Beſtimmtes; das Auge zu Boden geſchlagen, ſtand ſie, indem ſie ſich den Kopf hielt, und berief ſich auf einen Traum; ein Blick jedoch auf die Bruſt ihrer ungluͤcklichen Mutter, ſprach ſie, indem ſie ſich raſch buͤckte und ihre Hand kuͤßte, rufe ihr die ganze Unmenſchlichkeit der Gattung, zu der dieſer Fremde gehoͤre, wieder ins Gedaͤchtniß zuruͤck: und betheuerte, indem ſie ſich umkehrte und das Geſicht in ihre Schuͤrze druͤckte, daß, ſobald der Neger Hoango eingetroffen waͤre, ſie ſehen wuͤrde, was ſie an ihr fuͤr eine Tochter habe.
Babekan ſaß noch in Gedanken verſenkt, und erwog, woher wohl die ſonderbare Leidenſchaftlichkeit des Maͤdchens entſpringe: als der Fremde mit einem in ſeinem Schlafgemach geſchriebenen Zettel, worin er die Familie einlud, einige Tage in der Pflanzung des Negers Hoango zuzubringen, in das Zimmer trat. Er gruͤßte ſehr heiter und freundlich die Mutter und die Tochter, und bat, indem er der Alten den Zettel uͤbergab: daß man 48ſogleich in die Waldung ſchicken und fuͤr die Geſellſchaft, dem ihm gegebenen Verſprechen gemaͤß, Sorge tragen moͤchte. Babekan ſtand auf und ſagte, mit einem Ausdruck von Unruhe, indem ſie den Zettel in den Wandſchrank legte: „Herr, wir muͤſſen euch bitten, euch ſogleich in euer Schlafzimmer zuruͤck zu verfuͤgen. Die Straße iſt voll von einzelnen Negertrupps, die voruͤberziehen und uns anmelden, daß ſich der General Deſſalines mit ſeinem Heer in dieſe Gegend wenden werde. Dies Haus, das jedem offen ſteht, gewaͤhrt euch keine Sicherheit, falls ihr euch nicht in eurem, auf den Hof hinausgehenden, Schlafgemach verbergt, und die Thuͤren ſowohl, als auch die Fenſterladen, auf das Sorgfaͤltigſte verſchließt.“ — Wie? ſagte der Fremde betroffen: der General Deſſalines — „Fragt nicht!“ unterbrach ihn die Alte, indem ſie mit einem Stock dreimal auf den Fußboden klopfte: „in eurem Schlafgemach, wohin ich euch folgen werde, will ich euch Alles erklaͤren.“ Der Fremde von der Alten mit aͤngſt 49lichen Gebehrden aus dem Zimmer gedraͤngt, wandte ſich noch einmal unter der Thuͤr und rief: aber wird man der Familie, die meiner harrt, nicht wenigſtens einen Boten zuſenden muͤſſen, der ſie — ? „Es wird Alles beſorgt werden,“ fiel ihm die Alte ein, waͤhrend, durch ihr Klopfen gerufen, der Baſtardknabe, den wir ſchon kennen, hereinkam; und damit befahl ſie Toni, die, dem Fremden den Ruͤcken zukehrend, vor den Spiegel getreten war, einen Korb mit Lebensmitteln, der in dem Winkel ſtand, aufzunehmen; und Mutter, Tochter, der Fremde und der Knabe begaben ſich in das Schlafzimmer hinauf.
Hier erzaͤhlte die Alte, indem ſie ſich auf gemaͤchliche Weiſe auf den Seſſel niederließ, wie man die ganze Nacht uͤber auf den, den Horizont abſchneidenden Bergen, die Feuer des Generals Deſſalines ſchimmern geſehen: ein Umſtand, der in der That gegruͤndet war, obſchon ſich bis dieſen Augenblick noch kein einziger Neger von ſeinem Heer, das ſuͤdweſtlich [liest ›sudwestlich‹] [liest ›sudwestlich‹] gegen Port au Prince anruͤckte, in 50dieſer Gegend gezeigt hatte. Es gelang ihr, den Fremden dadurch in einen Wirbel von Unruhe zu ſtuͤrzen, den ſie jedoch nachher wieder durch die Verſicherung, daß ſie alles Moͤgliche, ſelbſt in dem ſchlimmen Fall, daß ſie Einquartierung bekaͤme, zu ſeiner Rettung beitragen wuͤrde, zu ſtillen wußte. Sie nahm, auf die wiederholte inſtaͤndige Erinnerung desſelben, unter dieſen Umſtaͤnden ſeiner Familie wenigſtens mit Lebensmitteln beizuſpringen, der Tochter den Korb aus der Hand, und indem ſie ihn dem Knaben gab, ſagte ſie ihm: „er ſolle an den Moͤwenweiher, in die nahgelegnen Waldberge hinaus gehen, und ihn der daſelbſt befindlichen Familie des fremden Offiziers uͤberbringen. Der Offizier ſelbſt,“ ſolle er hinzuſetzen, „befinde ſich wohl; Freunde der Weißen, die ſelbſt viel der Parthei wegen, die ſie ergriffen, von den Schwarzen leiden muͤßten, haͤtten ihn in ihrem Hauſe mitleidig aufgenommen. Sie ſchloß, daß ſobald die Landſtraße nur von den bewaffneten Negerhaufen, 51 die man erwartete, befreit waͤre, man ſogleich Anſtalten treffen wuͤrde, auch ihr, der Familie, ein Unterkommen in dieſem Hauſe zu verſchaffen. — Haſt du verſtanden? fragte ſie, da ſie geendet hatte. Der Knabe, indem er den Korb auf ſeinen Kopf ſetzte, antwortete: daß er den ihm beſchriebenen Moͤwenweiher, an dem er zuweilen mit ſeinen Kameraden zu fiſchen pflege, gar wohl kenne, und daß er Alles, wie man es ihm aufgetragen, an die daſelbſt uͤbernachtende Familie des fremden Herrn beſtellen wuͤrde. Der Fremde zog ſich, auf die Frage der Alten: ob er noch etwas hinzuzuſetzen haͤtte? noch einen Ring vom Finger, und haͤndigte ihn dem Knaben ein, mit dem Auftrag, ihn zum Zeichen, daß es mit den uͤberbrachten Meldungen ſeine Richtigkeit habe, dem Oberhaupt der Familie, Hrn. Stroͤmli, zu uͤbergeben. Hierauf traf die Mutter mehrere, die Sicherheit des Fremden, wie ſie ſagte, abzweckende Veranſtaltungen; befahl Toni, die Fenſterladen zu verſchließen, und zuͤndete ſelbſt, um 52die Nacht, die dadurch in dem Zimmer herrſchend geworden war, zu zerſtreuen, an einem auf dem Kaminſims befindlichen Feuerzeug, nicht ohne Muͤhſeligkeit, indem der Zunder nicht fangen wollte, ein Licht an. Der Fremde benutzte dieſen Augenblick, um den Arm ſanft um Toni’s Leib zu legen, und ihr ins Ohr zu fluͤſtern: wie ſie geſchlafen? und: ob er die Mutter nicht von dem, was vorgefallen, unterrichten ſolle? doch auf die erſte Frage antwortete Toni nicht, und auf die andere verſetzte ſie, indem ſie ſich aus ſeinem Arm loswand: nein, wenn ihr mich liebt, kein Wort! Sie unterdruͤckte die Angſt, die alle dieſe luͤgenhaften Anſtalten in ihr erweckten; und unter dem Vorwand, dem Fremden ein Fruͤhſtuͤck zu bereiten, ſtuͤrzte ſie eilig in das untere Wohnzimmer herab.
Sie nahm aus dem Schrank der Mutter den Brief, worin der Fremde in ſeiner Unſchuld die Familie eingeladen hatte, dem Knaben in die Niederlaſſung zu folgen: und auf gut Gluͤck hin, ob die Mutter ihn vermiſſen wuͤrde, entſchloſſen, im ſchlimmſten Falle den 53Tod mit ihm zu leiden, flog ſie damit dem ſchon auf der Landſtraße wandernden Knaben nach. Denn ſie ſah den Juͤngling, vor Gott und ihrem Herzen, nicht mehr als einen bloßen Gaſt, dem ſie Schutz und Obdach gegeben, ſondern als ihren Verlobten und Gemahl an, und war Willens, ſobald nur ſeine Parthei im Hauſe ſtark genug ſeyn wuͤrde, dies der Mutter, auf deren Beſtuͤrzung ſie unter dieſen Umſtaͤnden rechnete, ohne Ruͤckhalt zu erklaͤren. „Nanky,“ ſprach ſie, da ſie den Knaben athemlos und eilfertig auf der Landſtraße erreicht hatte: „die Mutter hat ihren Plan, die Familie Hrn. Stroͤmli’s anbetreffend, umgeaͤndert. Nimm dieſen Brief! Er lautet an Hrn. Stroͤmli, das alte Oberhaupt der Familie, und enthaͤlt die Einladung, einige Tage mit Allem, was zu ihm gehoͤrt, in unſerer Niederlaſſung zu verweilen. — Sey klug und trage ſelbſt alles Moͤgliche dazu bei, dieſen Entſchluß zur Reife zu bringen; Congo Hoango, der Neger, wird, wenn er wiederkoͤmmt, es dir lohnen!“ Gut, gut, Baſe 54Toni, antwortete der Knabe. Er fragte, indem er den Brief ſorgſam eingewickelt in ſeine Taſche ſteckte: und ich ſoll dem Zuge, auf ſeinem Wege hierher, zum Fuͤhrer dienen? „Allerdings,“ verſetzte Toni; „das verſteht ſich, weil ſie die Gegend nicht kennen, von ſelbſt. Doch wirſt du, moͤglicher Truppenmaͤrſche wegen, die auf der Landſtraße ſtatt finden koͤnnten, die Wanderung eher nicht, als um Mitternacht antreten; aber dann dieſelbe auch ſo beſchleunigen, daß du vor der Daͤmmerung des Tages hier eintriffſt. [liest ›eintriffst‹ und emendiert in ›eintriffst.‹] [liest ›eintriffst‹ und emendiert in ›eintriffst.‹] — Kann man ſich auf dich verlaſſen? fragte ſie. Verlaßt euch auf Nanky! antwortete der Knabe; ich weiß, warum ihr dieſe weißen Fluͤchtlinge in die Pflanzung lockt, und der Neger Hoango ſoll mit mir zufrieden ſeyn!
Hierauf trug Toni dem Fremden das Fruͤhſtuͤck auf; und nachdem es wieder abgenommen war, begaben ſich Mutter und Tochter, ihrer haͤuslichen Geſchaͤfte wegen, in das vordere Wohnzimmer zuruͤck. Es konnte nicht 55fehlen, daß die Mutter einige Zeit darauf an den Schrank trat, und, wie es natuͤrlich war, den Brief vermißte. Sie legte die Hand, unglaͤubig gegen ihr Gedaͤchtniß, einen Augenblick an den Kopf, und fragte Toni: wo ſie den Brief, den ihr der Fremde gegeben, wohl hingelegt haben koͤnne? Toni antwortete nach einer kurzen Pauſe, in der ſie auf den Boden niederſah: daß ihn der Fremde ja, ihres Wiſſens, wieder eingeſteckt und oben im Zimmer, in ihrer beider Gegenwart, zerriſſen habe! Die Mutter ſchaute das Maͤdchen mit großen Augen an; ſie meinte, ſich beſtimmt zu erinnern, daß ſie den Brief aus ſeiner Hand empfangen und in den Schrank gelegt habe; doch da ſie ihn nach vielem vergeblichen Suchen darin nicht fand, und ihrem Gedaͤchtniß, mehrerer aͤhnlichen Vorfaͤlle wegen, mistraute: ſo blieb ihr zuletzt nichts uͤbrig, als der Meinung, die ihr die Tochter geaͤußert, Glauben zu ſchenken. Inzwiſchen konnte ſie ihr lebhaftes Misvergnuͤgen uͤber dieſen Umſtand nicht unterdruͤcken, und meinte, daß 56 der Brief dem Neger Hoango, um die Familie in die Pflanzung hereinzubringen, von der groͤßten Wichtigkeit geweſen ſeyn wuͤrde. Am Mittag und Abend, da Toni den Fremden mit Speiſen bediente, nahm ſie, zu ſeiner Unterhaltung an der Tiſchecke ſitzend, mehreremal Gelegenheit, ihn nach dem Briefe zu fragen; doch Toni war geſchickt genug, das Geſpraͤch, ſo oft es auf dieſen gefaͤhrlichen Punkt kam, abzulenken oder zu verwirren; dergeſtalt, daß die Mutter durch die Erklaͤrungen des Fremden uͤber das eigentliche Schickſal des Briefes auf keine Weiſe ins Reine kam. So verfloß der Tag; die Mutter verſchloß nach dem Abendeſſen aus Vorſicht, wie ſie ſagte, des Fremden Zimmer; und nachdem ſie noch mit Toni uͤberlegt hatte, durch welche Liſt ſie ſich von neuem, am folgenden Tage, in den Beſitz eines ſolchen Briefes ſetzen koͤnne, begab ſie ſich zur Ruhe, und befahl dem Maͤdchen gleichfalls, zu Bette zu gehen.
Sobald Toni, die dieſen Augenblick mit 57 Sehnſucht erwartet hatte, ihre Schlafkammer erreicht und ſich uͤberzeugt hatte, daß die Mutter entſchlummert war, ſtellte ſie das Bildniß der heiligen Jungfrau, das neben ihrem Bette hing, auf einen Seſſel, und ließ ſich mit verſchraͤnkten Haͤnden auf Knieen davor nieder. Sie flehte den Erloͤſer, ihren goͤttlichen Sohn, in einem Gebet voll unendlicher Innbrunſt, um Muth und Standhaftigkeit an, dem Juͤngling, dem ſie ſich zu eigen gegeben, das Geſtaͤndniß der Verbrechen, die ihren jungen Buſen beſchwerten, abzulegen. Sie gelobte, dieſem, was es ihrem Herzen auch koſten wuͤrde, nichts, auch nicht die Abſicht, erbarmungslos und entſetzlich, in der ſie ihn geſtern in das Haus gelockt, zu verbergen; doch um der Schritte willen, die ſie bereits zu ſeiner Rettung gethan, wuͤnſchte ſie, daß er ihr vergeben, und ſie als ſein treues Weib mit ſich nach Europa fuͤhren moͤchte. Durch dies Gebet wunderbar geſtaͤrkt, ergriff ſie, indem ſie aufſtand, den Hauptſchluͤſſel, der alle Gemaͤcher des Hauſes ſchloß, und ſchritt 58damit langſam, ohne Licht, uͤber den ſchmalen Gang, der das Gebaͤude durchſchnitt, dem Schlafgemach des Fremden zu. Sie oͤffnete das Zimmer leiſe und trat vor ſein Bett, wo er in tiefen Schlaf verſenkt ruhte. Der Mond beſchien ſein bluͤhendes Antlitz, und der Nachtwind, der durch die geoͤffneten Fenſter eindrang, ſpielte mit dem Haar auf ſeiner Stirn. Sie neigte ſich ſanft uͤber ihn und rief ihn, ſeinen ſuͤßen Athem einſaugend, beim Namen; aber ein tiefer Traum, von dem ſie der Gegenſtand zu ſeyn ſchien, beſchaͤftigte ihn: wenigſtens hoͤrte ſie, zu wiederholten Malen, von ſeinen gluͤhenden, zitternden Lippen das gefluͤſterte Wort: Toni! Wehmuth, die nicht zu beſchreiben iſt, ergriff ſie; ſie konnte ſich nicht entſchließen, ihn aus den Himmeln lieblicher Einbildung in die Tiefe einer gemeinen und elenden Wirklichkeit herabzureißen; und in der Gewißheit, daß er ja fruͤh oder ſpaͤt von ſelbſt erwachen muͤſſe, kniete ſie an ſeinem Bette nieder und uͤberdeckte ſeine theure Hand mit Kuͤſſen.
59Aber wer beſchreibt das Entſetzen, das wenige Augenblicke darauf ihren Buſen ergriff, als ſie ploͤtzlich, im Innern des Hofraums, ein Geraͤuſch von Menſchen, Pferden und Waffen hoͤrte, und darunter ganz deutlich die Stimme des Negers Congo Hoango erkannte, der unvermutheter Weiſe mit ſeinem ganzen Troß aus dem Lager des Generals Deſſalines zuruͤckgekehrt war. Sie ſtuͤrzte, den Mondſchein, der ſie zu verrathen drohte, ſorgſam vermeidend, hinter die Vorhaͤnge des Fenſters, Fensters, [emendiert ohne Hinweis] und hoͤrte auch ſchon die Mutter, welche dem Neger von Allem, was waͤhrend deſſen vorgefallen war, auch von der Anweſenheit des europaͤiſchen Fluͤchtlings im Hauſe, Nachricht gab. Der Neger befahl den Seinigen, mit gedaͤmpfter Stimme, im Hofe ſtill zu ſeyn. Er fragte die Alte, wo der Fremde in dieſem Augenblick befindlich ſey? worauf dieſe ihm das Zimmer bezeichnete, und ſogleich auch Gelegenheit nahm, ihn von dem ſonderbaren und auffallenden Geſpraͤch, das ſie, den Fluͤchtling betreffend, mit der Tochter gehabt hatte, 60zu unterrichten. Sie verſicherte dem Neger, daß das Maͤdchen eine Verraͤtherinn, und der ganze Anſchlag, desſelben habhaft zu werden, in Gefahr ſey, zu ſcheitern. Wenigſtens ſey die Spitzbuͤbin, wie ſie bemerkt, heimlich beim Einbruch der Nacht in ſein Bette geſchlichen, wo ſie noch bis dieſen Augenblick in guter Ruhe befindlich ſey; und wahrſcheinlich, wenn der Fremde nicht ſchon entflohen ſey, werde derſelbe eben jetzt gewarnt, und die Mittel, wie ſeine Flucht zu bewerkſtelligen ſey, mit ihm verabredet. Der Neger, der die Treue des Maͤdchens ſchon in aͤhnlichen Faͤllen erprobt hatte, antwortete: es waͤre wohl nicht moͤglich? Und: Kelly! rief er wuͤthend, und: Omra! Nehmt eure Buͤchſen! Und damit, ohne weiter ein Wort zu ſagen, ſtieg er, im Gefolge aller ſeiner Neger, die Treppe hinauf, und begab ſich in das Zimmer des Fremden.
Toni, vor deren Augen ſich, waͤhrend weniger Minuten, dieſer ganze Auftritt abgeſpielt hatte, ſtand, gelaͤhmt an allen Gliedern, 61als ob ſie ein Wetterſtrahl getroffen haͤtte, da. Sie dachte einen Augenblick daran, den Fremden zu wecken; doch theils war, wegen Beſetzung des Hofraums, keine Flucht fuͤr ihn moͤglich, theils auch ſah ſie voraus, daß er zu den Waffen greifen, und ſomit bei der Ueberlegenheit der Neger, Zubodenſtreckung unmittelbar ſein Loos ſeyn wuͤrde. Ja, die entſetzlichſte Ruͤckſicht, die ſie zu nehmen genoͤthigt war, war dieſe, daß der Ungluͤckliche ſie ſelbſt, wenn er ſie in dieſer Stunde bei ſeinem Bette faͤnde, fuͤr eine Verraͤtherinn halten, und, ſtatt auf ihren Rath zu hoͤren, in der Raſerei eines ſo heilloſen Wahns, dem Neger Hoango voͤllig beſinnungslos in die Arme laufen wuͤrde. In dieſer unausſprechlichen Angſt fiel ihr ein Strick in die Augen, welcher, der Himmel weiß durch welchen Zufall, an dem Riegel der Wand hing. Gott ſelbſt, meinte ſie, indem ſie ihn herabriß, haͤtte ihn zu ihrer und des Freundes Rettung dahin gefuͤhrt. Sie umſchlang den Juͤngling, vielfache Knoten ſchuͤrzend, an Haͤnden und 62Fuͤßen damit; und nachdem ſie, ohne darauf zu achten, daß er ſich ruͤhrte und ſtraͤubte, die Enden angezogen und an das Geſtell des Bettes feſtgebunden hatte: druͤckte ſie, froh, des Augenblicks maͤchtig geworden zu ſeyn, einen Kuß auf ſeine Lippen, und eilte dem Neger Hoango, der ſchon auf der Treppe klirrte, entgegen.
Der Neger, der dem Bericht der Alten, Toni anbetreffend, immer noch keinen Glauben ſchenkte, ſtand, als er ſie aus dem bezeichneten Zimmer hervortreten ſah, beſtuͤrzt und verwirrt, im Corridor mit ſeinem Troß von Fackeln und Bewaffneten ſtill. Er rief: „die Treuloſe! die Bundbruͤchige!“ und indem er ſich zu Babekan wandete, wandte, [emendiert] wandte, [emendiert ohne Hinweis] welche einige Schritte vorwaͤrts gegen die Thuͤr des Fremden gethan hatte, fragte er: „iſt der Fremde entflohn?“ Babekan, welche die Thuͤr, ohne hineinzuſehen, offen gefunden hatte, rief, indem ſie als eine Wuͤthende zuruͤckkehrte: Die Gaunerinn! Sie hat ihn entwiſchen laſſen! Eilt, und beſetzt die Ausgaͤnge, ehe er das 63weite Feld erreicht! „Was giebt’s?“ fragte Toni, indem ſie mit dem Ausdruck des Erſtaunens den Alten und die Neger, die ihn umringten, anſah. Was es giebt? erwiederte Hoango; und damit ergriff er ſie bei der Bruſt und ſchleppte ſie nach dem Zimmer hin. „Seid ihr raſend?“ rief Toni, indem ſie den Alten, der bei dem ſich ihm darbietenden Anblick erſtarrte, von ſich ſtieß: „da liegt der Fremde, von mir in ſeinem Bette feſtgebunden; und, beim Himmel, es iſt nicht die ſchlechteſte That, die ich in meinem Leben gethan!“ Bei dieſen Worten kehrte ſie ihm den Ruͤcken zu, und ſetzte ſich, als ob ſie weinte, an einen Tiſch nieder. Der Alte wandte ſich gegen die in Verwirrung zur Seite ſtehende Mutter und ſprach: o Babekan, mit welchem Maͤhrchen haſt du mich getaͤuſcht? „Dem Himmel ſey Dank,“ antwortete die Mutter, indem ſie die Stricke, mit welchen der Fremde gebunden war, verlegen unterſuchte; „der Fremde iſt da, obſchon ich von dem Zuſammenhang nichts begreife.“ Der Neger trat, 64das Schwerdt in die Scheide ſteckend, an das Bett und fragte den Fremden: wer er ſey? woher er komme und wohin er reiſe? Doch da dieſer, unter krampfhaften Anſtrengungen ſich loszuwinden, nichts hervorbrachte, als, auf jaͤmmerlich ſchmerzhafte Weiſe: o Toni! o Toni! — ſo nahm die Mutter das Wort und bedeutete ihm, daß er ein Schweizer ſey, Namens Guſtav von der Ried, und daß er mit einer ganzen Familie europaͤiſcher Hunde, welche in dieſem Augenblick in den Berghoͤhlen am Moͤwenweiher verſteckt ſey, von dem Kuͤſtenplatz Fort Dauphin komme. Hoango, der das Maͤdchen, den Kopf ſchwermuͤthig auf ihre Haͤnde geſtuͤtzt, daſitzen ſah, trat zu ihr und nannte ſie ſein liebes Maͤdchen; klopfte ihr die Wangen, und forderte ſie auf, ihm den uͤbereilten Verdacht, den er ihr geaͤußert, zu vergeben. Die Alte, die gleichfalls vor das Maͤdchen hingetreten war, ſtaͤmmte die Arme kopfſchuͤttelnd in die Seite und fragte: weshalb ſie denn den Fremden, der doch von der Gefahr, in der er ſich befun65den, gar nichts gewußt, mit Stricken in dem Bette feſtgebunden habe? Toni, vor Schmerz und Wuth in der That weinend, antwortete, ploͤtzlich zur Mutter gekehrt: „weil du keine Augen und Ohren haſt! Weil er die Gefahr, in der er ſchwebte, gar wohl begriff! Weil er entfliehen wollte; weil er mich gebeten hatte, ihm zu ſeiner Flucht behuͤlflich zu ſeyn; weil er einen Anſchlag auf dein eignes Leben gemacht hatte, und ſein Vorhaben bei Anbruch des Tages ohne Zweifel, wenn ich ihn nicht ſchlafend gebunden haͤtte, in Ausfuͤhrung gebracht haben wuͤrde.“ Der Alte liebkoſete und beruhigte das Maͤdchen, und befahl Babekan, von dieſer Sache zu ſchweigen. Er rief ein Paar Schuͤtzen mit Buͤchſen vor, um das Geſetz, dem der Fremdling verfallen war, augenblicklich an demſelben zu vollſtrecken; aber Babekan fluͤſterte ihm heimlich zu: „nein, um’s Himmels willen, Hoango!“ — Sie nahm ihn auf die Seite und bedeutete ihm: „Der Fremde muͤſſe, bevor er hingerichtet werde, eine Einladung aufſetzen, um vermit66telſt derſelben die Familie, deren Bekaͤmpfung im Walde manchen Gefahren ausgeſetzt ſey, in die Pflanzung zu locken.“ — Hoango, in Erwaͤgung, daß die Familie wahrſcheinlich nicht unbewaffnet ſeyn werde, gab dieſem Vorſchlage ſeinen Beifall; er ſtellte, weil es zu ſpaͤt war, den Brief verabredeter Maßen ſchreiben zu laſſen, zwei Wachen bei dem weißen Fluͤchtling aus; und nachdem er noch, der Sicherheit wegen, die Stricke unterſucht, auch, weil er ſie zu locker befand, ein Paar Leute herbeigerufen hatte, um ſie noch enger zuſammenzuziehen, verließ er mit ſeinem ganzen Troß das Zimmer, und Alles nach und nach begab ſich zur Ruh.
Aber Toni, welche nur ſcheinbar dem Alten, der ihr noch einmal die Hand gereicht, gute Nacht geſagt und ſich zu Bette gelegt hatte, ſtand, ſobald ſie Alles im Hauſe ſtill ſah, wieder auf, ſchlich ſich durch eine Hinterpforte des Hauſes auf das freie Feld hinaus, und lief, die wildeſte Verzweiflung im Herzen, auf dem, die Landſtraße durchkreu67zenden, Wege der Gegend zu, von welcher die Famile Familie [emendiert] Familie [emendiert ohne Hinweis] Hrn. Stroͤmli’s herankommen mußte. Denn die Blicke voll Verachtung, die der Fremde von ſeinem Bette aus auf ſie geworfen hatte, waren ihr empfindlich, wie Meſſerſtiche, durchs Herz gegangen; es miſchte ſich ein Gefuͤhl heißer Bitterkeit in ihre Liebe zu ihm, und ſie frohlockte bei dem Gedanken, in dieſer zu ſeiner Rettung angeordneten Unternehmung zu ſterben. Sie ſtellte ſich, in der Beſorgniß, die Familie zu verfehlen, an den Stamm einer Pinie, bei welcher, falls die Einladung angenommen worden war, die Geſellſchaft voruͤberziehen mußte, und kaum war auch, der Verabredung gemaͤß, der erſte Strahl der Daͤmmerung am Horizont angebrochen, als Nankys, des Knaben, Stimme, der dem Troſſe zum Fuͤhrer diente, ſchon fernher unter den Baͤumen des Waldes hoͤrbar ward.
Der Zug beſtand aus Hrn. Stroͤmli und ſeiner Gemahlinn, welche letztere auf einem Mauleſel ritt; fuͤnf Kindern desſelben, deren 68zwei, Adelbert und Gottfried, Juͤnglinge von 18 und 17 Jahren, neben dem Mauleſel hergingen; drei Dienern und zwei Maͤgden, wovon die eine, einen Saͤugling an der Bruſt, auf [liest ›auf‹] [liest ›auf‹] dem andern Mauleſel ritt; in allem aus zwoͤlf Perſonen. Er bewegte ſich langſam uͤber die den Weg durchflechtenden Kienwurzeln, dem Stamm der Pinie zu: wo Toni, ſo geraͤuſchlos, als niemand zu erſchrecken noͤthig war, aus dem Schatten des Baums hervortrat, und dem Zuge zurief: Halt! Der Knabe kannte ſie ſogleich; und auf ihre Frage: wo Herr Stroͤmli ſei? waͤhrend Maͤnner, Weiber und Kinder ſie umringten, ſtellte dieſer ſie freudig dem alten Oberhaupt der Familie, Herrn Stroͤmli, vor. „Edler Herr!“ ſagte Toni, indem ſie die Begruͤßungen desſelben mit feſter Stimme unterbrach: „der Neger Hoango iſt, auf uͤberraſchende Weiſe, mit ſeinem ganzen Troß in die Niederlaſſung zuruͤck gekommen. Ihr koͤnnt jetzt, ohne die groͤßeſte Lebensgefahr, nicht darin einkehren; ja, euer Vetter, der zu ſeinem Ungluͤck eine 69Aufnahme darin fand fand, [emendiert] fand, [emendiert] iſt verloren, wenn ihr nicht zu den Waffen greift, und mir, zu ſeiner Befreiung aus der Haft, in welcher ihn der Neger Hoango gefangen haͤlt, in die Pflanzung folgt!“ Gott im Himmel! riefen, von Schrecken erfaßt, alle Mitglieder der Familie; und die Mutter, die krank und von der Reiſe erſchoͤpft war, fiel von dem Maulthier ohnmaͤchtig auf den Boden nieder. Toni, waͤhrend, auf den den [emendiert ohne Hinweis] Ruf Herrn Stroͤmli’s Stroͤmli’s [emendiert ohne Hinweis] die Maͤgde herbeieilten, um ihrer Frau zu helfen, fuͤhrte, von den Juͤnglingen mit Fragen beſtuͤrmt, Herrn Stroͤmli und die uͤbrigen Maͤnner, aus Furcht vor dem Knaben Nanky, auf die Seite. Sie erzaͤhlte den Maͤnnern, ihre Thraͤnen vor Scham und Reue nicht zuruͤckhaltend, Alles, was vorgefallen; wie die Verhaͤltniſſe, in dem Augenblick, da der Juͤngling eingetroffen, im Hauſe beſtanden; wie das Geſpraͤch, das ſie unter vier Augen mit ihm gehabt, dieſelben auf ganz unbegreifliche Weiſe veraͤndert; was ſie bei der Ankunft des Negers, faſt wahnſinnig 70vor Angſt, gethan, und wie ſie nun Tod und Leben daran ſetzen wolle, ihn aus der Gefangenſchaft, worin ſie ihn ſelbſt geſtuͤrzt, wieder zu befreien.“ Meine Waffen! rief Herr Stroͤmli, indem er zu dem Maulthier ſeiner Frau eilte und ſeine Buͤchſe herabnahm. Er ſagte, waͤhrend auch Adelbert und Gottfried, ſeine ruͤſtigen Soͤhne, und die drei wackern Diener ſich bewaffneten: Vetter Auguſt hat mehr als Einem von uns das Leben gerettet; jetzt iſt es an uns, ihm den gleichen Dienſt zu thun; und damit hob er ſeine Frau, welche ſich erholt hatte, wieder auf das Maulthier, ließ dem Knaben Nanky, aus Vorſicht, als eine Art von Geißel, die Haͤnde binden; ſchickte den ganzen Troß, Weiber und Kinder, unter dem bloßen Schutz ſeines dreizehnjaͤhrigen, gleichfalls bewaffneten Sohnes, Ferdinand, an den Moͤwenweiher zuruͤck; und nachdem er noch Toni, welche ſelbſt einen Helm und einen Spieß genommen hatte, uͤber die Staͤrke der Neger und ihre Vertheilung im Hofraume ausgefragt und ihr verſprochen 71hatte, Hoango’s ſowohl, als ihrer Mutter, ſo viel es ſich thun ließ, bei dieſer Unternehmung zu ſchonen: ſtellte er ſich muthig, und auf Gott vertrauend, an die Spitze ſeines kleinen Haufens, und brach, von Toni gefuͤhrt, in die Niederlaſſung auf.
Toni, ſobald der Haufen durch die hintere Pforte eingeſchlichen war, zeigte Herrn Stroͤmli das Zimmer, in welchem Hoango und Babekan ruhten; und waͤhrend Herr Stroͤmli geraͤuſchlos mit ſeinen Leuten in das offne Haus eintrat, und ſich ſaͤmmtlicher zuſammengeſetzter Gewehre der Neger bemaͤchtigte, ſchlich ſie zur Seite ab in den Stall, in welchem der fuͤnfjaͤhrige Halbbruder des Nanky, Seppy, ſchlief. Denn Nanky und Seppy, Baſtardkinder des alten Hoango, waren dieſem, beſonders der letzte, deſſen Mutter kuͤrzlich geſtorben war, ſehr theuer; und da, ſelbſt in dem Fall, daß man den gefangenen Juͤngling befreite, der Ruͤckzug an den Moͤwenweiher und die Flucht von dort nach Port au Prince, der ſie ſich anzu72ſchließen gedachte, noch mancherlei Schwierigkeiten ausgeſetzt war: ſo ſchloß ſie nicht unrichtig, daß der Beſitz beider Knaben, als einer Art von Unterpfand, dem Zuge, bei etwaniger Verfolgung der Negern, von großem Vortheil ſeyn wuͤrde. Es gelang ihr, den Knaben ungeſehen aus ſeinem Bette zu heben, und in ihren Armen, halb ſchlafend, halb wachend, in das Hauptgebaͤude hinuͤberzutragen. Inzwiſchen war Herr Stroͤmli, ſo heimlich, als es ſich thun ließ, mit ſeinem Haufen in Hoango’s Stubenthuͤre eingetreten; aber ſtatt ihn und Babekan, wie er glaubte, im Bette zu finden, ſtanden, durch das Geraͤuſch geweckt, beide, obſchon halbnackt und huͤlflos, in der Mitte des Zimmers da. Herr Stroͤmli, indem er ſeine Buͤchſe in die Hand nahm, rief: ſie ſollten ſich ergeben, oder ſie waͤren des Todes! doch Hoango, ſtatt aller Antwort, riß ein Piſtol von der Wand und platzte es, Herrn Stroͤmli am Kopf ſtreifend, unter die Menge los. Herrn Stroͤmli’s Haufen, auf dies Signal, 73fiel wuͤthend uͤber ihn her; Hoango, nach einem zweiten Schuß, der einem Diener die Schulter durchbohrte, ward durch einen Saͤbelhieb an der Hand verwundet, und beide, Babekan und er, wurden niedergeworfen und mit Stricken am Geſtell eines großen Tiſches feſt gebunden. Mittlerweile waren, durch die Schuͤſſe geweckt, die Neger des Hoango, zwanzig und mehr an der Zahl, aus ihren Staͤllen hervorgeſtuͤrzt, und drangen, da ſie die alte Babekan im Hauſe ſchreien hoͤrten, wuͤthend gegen dasſelbe vor, um ihre Waffen wieder zu erobern. Vergebens poſtirte Herr Stroͤmli, deſſen Wunde von keiner Bedeutung war, ſeine Leute an die Fenſter des Hauſes, und ließ, um die Kerle im Zaum zu halten, mit Buͤchſen unter ſie feuern; ſie achteten zweier Todten nicht, die ſchon auf dem Hofe umher lagen, und waren im Begriff, Aexte und Brechſtangen zu holen, um die Hausthuͤr, welche Hr. Stroͤmli verriegelt hatte, einzuſprengen, als Toni, zitternd und bebend, den Knaben Seppy auf dem Arm, 74in Hoangos Zimmer trat. Herr Stroͤmli, dem dieſe Erſcheinung aͤußerſt erwuͤnſcht war, riß ihr den Knaben vom Arm; er wandte ſich, indem er ſeinen Hirſchfaͤnger zog, zu Hoango, und ſchwor, daß er den Jungen augenblicklich toͤdten wuͤrde, wenn er den Negern nicht zuriefe, von ihrem Vorhaben abzuſtehen. Hoango, deſſen Kraft durch den Hieb uͤber die drei Finger der Hand gebrochen war, und der ſein eignes Leben, im Fall einer Weigerung, ausgeſetzt haben wuͤrde, erwiederte nach einigen Bedenken, indem er ſich vom Boden aufheben ließ: „daß er dies thun wolle;“ er ſtellte ſich, von Herrn Stroͤmli gefuͤhrt, an das Fenſter, und mit einem Schnupftuch, das er in die linke Hand nahm, uͤber den Hof hinauswinkend, rief er den Negern zu: „daß ſie die Thuͤr, indem es, ſein Leben zu retten, keiner Huͤlfe beduͤrfe, unberuͤhrt laſſen ſollten und in ihre Staͤlle zuruͤckkehren moͤchten!“ Hierauf beruhigte ſich der Kampf ein wenig; Hoango ſchickte, auf Verlangen Herrn Stroͤmli’s, einen im Hauſe eingefangenen Neger, 75mit der Wiederholung dieſes Befehls, zu dem im Hofe noch verweilenden und ſich berathſchlagenden Haufen hinab; und da die Schwarzen, ſo wenig ſie auch von der Sache begriffen, den Worten dieſes foͤrmlichen Bothſchafters Folge leiſten mußten, ſo gaben ſie ihren Anſchlag, zu deſſen Ausfuͤhrung ſchon Alles in Bereitſchaft war, auf, und verfuͤgten ſich nach und nach, obſchon murrend und ſchimpfend, in ihre Staͤlle zuruͤck. Herr Stroͤmli, indem er dem Knaben Seppy vor den Augen Hoango’s die Haͤnde binden ließ, ſagte dieſem: „daß ſeine Abſicht keine andere ſey, als den Offizier, ſeinen Vetter aus der in der Pflanzung uͤber ihn verhaͤngten Haft zu befreien, und daß, wenn ſeiner Flucht nach Port au Prince keine Hinderniſſe in den Weg gelegt wuͤrden, weder fuͤr ſein, Hoango’s, noch fuͤr ſeiner Kinder Leben, die er ihm wiedergeben wuͤrde, etwas zu befuͤrchten ſeyn wuͤrde. Babekan, welcher Toni ſich naͤherte und zum Abſchied in einer Ruͤhrung, die ſie nicht unterdruͤcken konnte, die Hand geben 76wollte, ſtieß dieſe heftig von ſich. Sie nannte ſie eine Niedertraͤchtige und Verraͤtherinn, und meinte, indem ſie ſich am Geſtell des Tiſches, an dem ſie lag, umkehrte: die Rache Gottes wuͤrde ſie, noch ehe ſie ihrer Schandthat froh geworden, ereilen. Toni antwortete: „ich habe euch nicht verrathen; ich bin eine Weiße, und dem Juͤngling, den ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehoͤre zu dem Geſchlecht derer, mit denen ihr im offenen Kriege liegt, und werde vor Gott, daß ich mich auf ihre Seite ſtellte, zu verantworten wiſſen.“ Hierauf gab Herr Stroͤmli dem Neger Hoango, den er zur Sicherheit wieder hatte feſſeln und an die Pfoſten der Thuͤr feſtbinden laſſen, eine Wache; er ließ den Diener, der, mit zerſplittertem Schulterknochen, ohnmaͤchtig am Boden lag, aufheben und wegtragen; und nachdem er dem Hoango noch geſagt hatte, daß er beide Kinder, den Nanky ſowohl als den Seppy, nach Verlauf einiger Tage, in Sainte Luͤze, wo die erſten franzoͤſiſchen Vorpoſten ſtuͤnden, abholen laſſen koͤnne, nahm 77er Toni, die, von mancherlei Gefuͤhlen beſtuͤrmt, ſich nicht enthalten konnte zu weinen, bei der Hand, und fuͤhrte ſie, unter den Fluͤchen Babekans und des alten Hoango, aus dem Schlafzimmer fort.
Inzwiſchen waren Adelbert und Gottfried, Hrn. Stroͤmli’s Soͤhne, ſchon nach Beendigung des erſten, an den Fenſtern gefochtenen Hauptkampfs, auf Befehl des Vaters, in das Zimmer ihres Vetters Auguſt geeilt, und waren gluͤcklich genug geweſen, die beiden Schwarzen, die dieſen bewachten, nach einem hartnaͤckigen Widerſtand zu uͤberwaͤltigen. Der eine lag todt im Zimmer; der andere hatte ſich mit einer ſchweren Schußwunde bis auf den Corridor hinausgeſchleppt. Die Bruͤder, deren einer, der Aeltere, dabei ſelbſt, obſchon nur leicht, am Schenkel verwundet worden war, banden den theuren lieben Vetter los: ſie umarmten und kuͤßten ihn, und forderten ihn jauchzend, indem ſie ihm Gewehr und Waffen gaben, auf, ihnen nach dem vorderen Zimmer, in welchem, da der Sieg ent78ſchieden, Herr Stroͤmli wahrſcheinlich Alles ſchon zum Ruͤckzug anordne, zu folgen. Aber Vetter Auguſt, halb im Bette aufgerichtet, druͤckte ihnen freundlich die Hand; im uͤbrigen war er ſtill und zerſtreut, und ſtatt die Piſtolen, die ſie ihm darreichten, zu ergreifen, hob er die Rechte, und ſtrich ſich, mit einem unausſprechlichen Ausdruck von Gram, damit uͤber die Stirn. Die Juͤnglinge, die ſich bei ihm niedergeſetzt hatten, fragten: was ihm fehle? und ſchon, da er ſie mit ſeinem Arm umſchloß, und ſich mit dem Kopf ſchweigend an die Schulter des Juͤngern lehnte, wollte Adelbert ſich erheben, um ihn im Wahn, daß ihn eine Ohnmacht anwandle, einen Trunk Waſſer herbeiholen: als Toni, den Knaben Seppy auf dem Arm, an der Hand Herrn Stroͤmli’s, in das Zimmer trat. Auguſt wechſelte bei dieſem Anblick die Farbe; er hielt ſich, indem er aufſtand, als ob er umſinken wollte, an den Leibern der Freunde feſt; und ehe die Juͤnglinge noch wußten, was er mit dem Piſtol, das er ihnen jetzt aus der Hand 79nahm, anfangen wollte: druͤckte er dasſelbe ſchon, knirſchend vor Wuth, gegen Toni ab. Der Schuß war ihr mitten durch die Bruſt gegangen; und da ſie, mit einem gebrochenen Laut des Schmerzes, noch einige Schritte gegen ihn that, und ſodann, indem ſie den Knaben an Herrn Stroͤmli gab, vor ihm niederſank: ſchleuderte er das Piſtol uͤber ſie, ſtieß ſie mit dem Fuß von ſich, und warf ſich, indem er ſie eine Hure nannte, wieder auf das Bette nieder. „Du ungeheurer Menſch!“ riefen Herr Stroͤmli und ſeine beiden Soͤhne. Die Juͤnglinge warfen ſich uͤber das Maͤdchen, und riefen, indem ſie es aufhoben, einen der alten Diener herbei, der dem Zuge ſchon in manchen aͤhnlichen, verzweiflungsvollen Faͤllen die Huͤlfe eines Arztes geleiſtet hatte; aber das Maͤdchen, das ſich mit der Hand krampfhaft die Wunde hielt, druͤckte die Freunde hinweg, und: „ſagt ihm —!“ ſtammelte ſie roͤchelnd, auf ihn, der ſie erſchoſſen, hindeutend, und wiederholte: „ſagt ihm — —!“ „Was ſollen wir ihm ſagen? fragte Herr 80Stroͤmli, da der Tod ihr die Sprache raubte. Adelbert und Gottfried ſtanden auf und riefen dem unbegreiflich graͤßlichen Moͤrder zu: ob er wiſſe, daß das Maͤdchen ſeine Retterinn ſey; daß ſie ihn liebe und daß es ihre Abſicht geweſen ſey, mit ihm, dem ſie Alles, Eltern und Eigenthum, aufgeofert, aufgeopfert [emendiert] aufgeopfert [emendiert ohne Hinweis] nach Port au Prince zu entfliehen? — Sie donnerten ihm: Guſtav! in die Ohren, und fragten ihn: ob er nichts hoͤre? und ſchuͤttelten ihn und griffen ihn in die Haare, da er unempfindlich, und ohne auf ſie zu achten, auf dem Bette lag. Guſtav richtete ſich auf. Er warf einen Blick auf das in ſeinem Blut ſich waͤlzende Maͤdchen; und die Wuth, die dieſe That veranlaßt hatte, machte, auf natuͤrliche Weiſe, einem Gefuͤhl gemeinen Mitleidens Platz. Hr. Stroͤmli, heiße Thraͤnen auf ſein Schnupftuch niederweinend, fragte: warum, Elender, haſt du das gethan? Vetter Guſtav, der von dem Bette aufgeſtanden war, und das Maͤdchen, indem er ſich den Schweiß von der Stirn abwiſchte, betrachtete, antwortete: daß 81ſie ihn ſchaͤndlicher Weiſe zur Nachtzeit gebunden, und dem Neger Hoango uͤbergeben habe. „Ach!“ rief Toni, und ſtreckte, mit einem unbeſchreiblichen Blick, ihre Hand nach ihm aus: „dich, liebſten Freund, band ich, weil — —!“ Aber ſie konnte nicht reden und ihn auch mit der Hand nicht erreichen; ſie fiel, mit einer ploͤtzlichen Erſchlaffung der Kraft, wieder auf den Schooß Herrn Stroͤmli’s zuruͤck. Weshalb? fragte Guſtav blaß, indem er zu ihr niederkniete. Herr Stroͤmli, nach einer langen, nur durch das Roͤcheln Toni’s unterbrochenen Pauſe, in welcher man vergebens auf eine Antwort von ihr gehofft hatte, nahm das Wort und ſprach: weil, nach der Ankunft Hoango’s, dich, Ungluͤcklichen, zu retten, kein anderes Mittel war; weil ſie den Kampf, den du unfehlbar eingegangen waͤreſt, vermeiden, weil ſie Zeit gewinnen wollte, bis wir, die wir ſchon vermoͤge ihrer Veranſtaltung herbeieilten, deine Befreiung mit den Waffen in der Hand erzwingen konnten. Guſtav legte die Haͤnde vor ſein Geſicht. Oh! rief er, 82ohne aufzuſehen, und meinte, die Erde verſaͤnke unter ſeinen Fuͤßen: iſt das, was ihr mir ſagt, wahr? Er legte ſeine Arme um ihren Leib und ſah ihr mit jammervoll zerriſſenem Herzen ins Geſicht. „Ach,“ rief Toni, und dies waren ihre letzten Worte: „du haͤtteſt mir nicht mißtrauen ſollen!“ Und damit hauchte ſie ihre ſchoͤne Seele aus. Guſtav raufte ſich die Haare. Gewiß! ſagte er, da ihn die Vettern von der Leiche wegriſſen: ich haͤtte dir nicht mißtrauen ſollen; denn du warſt mir durch einen Eidſchwur verlobt, obſchon wir keine Worte daruͤber gewechſelt hatten! Herr Stroͤmli druͤckte jammernd den Latz, der des Maͤdchens Bruſt umſchloß, nieder. Er ermunterte den Diener, der mit einigen unvollkommenen Rettungs-Werkzeugen neben ihm ſtand, die Kugel, die, wie er meinte, in dem Bruſtknochen ſtecken muͤſſe, auszuziehen; aber alle Bemuͤhung, wie geſagt, war vergebens, ſie war von dem Blei ganz durchbohrt, und ihre Seele ſchon zu beſſeren Sternen entflohn. — In83zwiſchen war Guſtav ans Fenſter getreten; und waͤhrend Herr Stroͤmli und ſeine Soͤhne unter ſtillen Thraͤnen berathſchlagten, was mit der Leiche anzufangen ſey, und ob man nicht die Mutter herbeirufen ſolle: jagte Guſtav ſich die Kugel, womit das andere Piſtol geladen war, durchs Hirn. Dieſe neue Schreckensthat raubte den Verwandten voͤllig alle Beſinnung. Die Huͤlfe wandte ſich jetzt auf ihn; aber des Aermſten [liest ›Ärmsten‹. Versale Umlaute werden in heutiger Schreibung wiedergegeben] [liest ›Ärmsten‹] Schaͤdel war ganz zerſchmettert, und hing, da er ſich das Piſtol in den Mund geſetzt hatte, zum Theil an den Waͤnden umher. Herr Stroͤmli war der Erſte, der ſich wieder ſammelte. Denn da der Tag ſchon ganz hell durch die Fenſter ſchien, und auch Nachrichten einliefen, daß die Neger ſich ſchon wieder auf dem Hofe zeigten: ſo blieb nichts uͤbrig, als ungeſaͤumt an den Ruͤckzug zu denken. Man legte die beiden Leichen, die man nicht der muthwilligen Gewalt der Neger uͤberlaſſen wollte, auf ein Brett, und nachdem die Buͤchſen von neuem geladen waren, brach der traurige Zug 84nach dem Moͤwenweiher auf. Herr Stroͤmli, den Knaben Seppy auf dem Arm, ging voran; ihm folgten die beiden ſtaͤrkſten Diener, welche auf [liest ›auf‹] [liest ›auf‹] ihren Schultern die Leichen trugen; der Verwundete ſchwankte an einem Stabe hinterher; und Adelbert und Gottfried gingen mit geſpannten Buͤchſen dem langſam fortſchreitenden Leichenzuge zur Seite. Die Neger, da ſie den Haufen ſo ſchwach erblickten, traten mit Spießen und Gabeln aus ihren Wohnungen hervor, und ſchienen Miene zu machen, angreifen zu wollen; aber Hoango, den man die Vorſicht beobachtet hatte, loszubinden, trat auf die Treppe des Hauſes hinaus, und winkte den Negern, zu ruhen. „In Sainte Luͤze!“ rief er Herrn Herrn [emendiert ohne Hinweis] Stroͤmli zu, der ſchon mit den Leichen unter dem Thorweg war. „In Sainte Luͤze!“ antwortete dieſer: worauf der Zug, ohne verfolgt zu werden, auf das Feld hinauskam und die Waldung erreichte. Am Moͤwenweiher, wo man die Familie fand, grub man, unter vielen Thraͤnen, den Leichen ein Grab; und nachdem man noch die Ringe, die ſie an der 85Hand trugen, gewechſelt hatte, ſenkte man ſie unter ſtillen Gebeten in die Wohnungen des ewigen Friedens ein. Herr Stroͤmli war gluͤcklich genug, mit ſeiner Frau und ſeinen Kindern, fuͤnf Tage darauf, Sainte Luͤze zu erreichen, wo er die beiden Negerknaben, ſeinem Verſprechen gemaͤß, zuruͤckließ. Er traf kurz vor Anfang der Belagerung in Port au Prince ein, wo er noch auf den Waͤllen fuͤr die Sache der Weißen focht; und als die Stadt nach einer hartnaͤckigen Gegenwehr an den General Deſſalines uͤberging, rettete er ſich mit dem franzoͤſiſchen Heer auf die engliſche Flotte, von wo die Familie nach Europa uͤberſchiffte, und ohne weitere Unfaͤlle ihr Vaterland, die Schweiz, erreichte. Herr Stroͤmli kaufte ſich daſelbſt mit dem Reſt ſeines kleinen Vermoͤgens, in der Gegend des Rigi, an; und noch im Jahr 1807 war unter den Buͤſchen ſeines Gartens das Denkmaal zu ſehen, das er Guſtav, ſeinem Vetter, und der Verlobten desſelben, der treuen Toni, hatte ſetzen laſſen.