Die Verlobung in St. Domingo.
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Die Verlobung in St. Domingo./
Zu Port au Prince, auf dem franzoͤſiſchen /Antheil der Inſel St. Domingo, lebte, zu /Anfange dieſes Jahrhunderts, als die Schwar/zen die Weißen ermordeten, auf der Pflan/zung des Hrn. Guillaume von Villeneuve, /ein fuͤrchterlicher alter Neger, Namens Congo /Hoango. Dieſer von der Goldkuͤſte von Afrika /herſtammende Menſch, der in ſeiner Jugend /von treuer und rechtſchaffener Gemuͤthsart / 10 ſchien, war von ſeinem Herrn, weil er ihm /einſt auf einer Ueberfahrt nach Cuba das /Leben gerettet hatte, mit unendlichen Wohl/thaten uͤberhaͤuft worden. Nicht nur, daß /Hr. Guillaume ihm auf der Stelle ſeine Frei/heit ſchenkte, und ihm, bei ſeiner Ruͤckkehr /nach St. Domingo, Haus und Hof anwies; / 2 er machte ihn ſogar, einige Jahre darauf, /gegen die Gewohnheit des Landes, zum Auf/ſeher ſeiner betraͤchtlichen Beſitzung, und legte / 20 ihm, weil er nicht wieder heirathen wollte, /an Weibes Statt eine alte Mulattinn, Na/mens Babekan, aus ſeiner Pflanzung bei, /mit welcher er durch ſeine erſte verſtorbene /Frau weitlaͤuftig verwandt war. Ja, als /der Neger ſein ſechzigſtes Jahr erreicht hatte, /ſetzte er ihn mit einem anſehnlichen Gehalt /in den Ruheſtand und kroͤnte ſeine Wohltha/ten noch damit, daß er ihm in ſeinem Ver/maͤchtniß ſogar ein Legat auswarf; und doch / 30 konnten alle dieſe Beweiſe von Dankbarkeit /Hrn. Villeneuve vor der Wuth dieſes grimmi/gen Menſchen nicht ſchuͤtzen. Congo Hoango /war, bei dem allgemeinen Taumel der Rache, /der auf die unbeſonnenen Schritte des Na/tional-Convents in dieſen Pflanzungen auf/loderte, einer der Erſten, der die Buͤchſe er/griff, und, eingedenk der Tyrannei, die ihn /ſeinem Vaterlande entriſſen hatte, ſeinem /Herrn die Kugel durch den Kopf jagte. Er / 40 3 ſteckte das Haus, worein die Gemahlinn des/ſelben mit ihren drei Kindern und den uͤbri/gen Weißen der Niederlaſſung ſich gefluͤchtet /hatte, in Brand, verwuͤſtete die ganze Pflan/zung, worauf die Erben, die in Port au /Prince wohnten, haͤtten Anſpruch machen /koͤnnen, und zog, als ſaͤmmtliche zur Beſiz/zung gehoͤrige Etabliſſements der Erde gleich /gemacht waren, mit den Negern, die er ver/ſammelt und bewaffnet hatte, in der Nach/ 50 barſchaft umher, um ſeinen Mitbruͤdern in /dem Kampfe gegen die Weißen beizuſtehen. /Bald lauerte er den Reiſenden auf, die in /bewaffneten Haufen das Land durchkreuzten; /bald fiel er am hellen Tage die in ihren Nie/derlaſſungen verſchanzten Pflanzer ſelbſt an, /und ließ Alles, was er darin vorfand, uͤber /die Klinge ſpringen. Ja, er forderte, in ſei/ner unmenſchlichen Rachſucht, ſogar die alte /Babekan mit ihrer Tochter, einer jungen / 60 funfzehnjaͤhrigen Meſtize, Namens Toni, auf, /an dieſem grimmigen Kriege, bei dem er ſich /ganz verjuͤngte, Antheil zu nehmen; und / 4 weil das Hauptgebaͤude der Pflanzung, das /er jetzt bewohnte, einſam an der Landſtraße /lag und ſich haͤufig, waͤhrend ſeiner Abweſen/heit, weiße oder kreoliſche Fluͤchtlinge einfan/den, welche darin Nahrung oder ein Unter/kommen ſuchten, ſo unterrichtete er die Wei/ber, dieſe weißen Hunde, wie er ſie nannte, / 70 mit Unterſtuͤtzungen und Gefaͤlligkeiten bis zu /ſeiner Wiederkehr hinzuhalten. Babekan, wel/che in Folge einer grauſamen Strafe, die /ſie in ihrer Jugend erhalten hatte, an der /Schwindſucht litt, pflegte in ſolchen Faͤllen /die junge Toni, die, wegen ihrer ins Gelb/liche gehenden gehenden [emendiert ohne Hinweis] Geſichtsfarbe, zu dieſer graͤßli/chen Liſt beſonders brauchbar war, mit ihren /beſten Kleidern auszuputzen; ſie ermunterte /dieſelbe, den Fremden keine Liebkoſung zu ver/ 80 ſagen, bis auf die letzte, die ihr bei Todes/ſtrafe verboten war: und wenn Congo Ho/ango mit ſeinem Negertrupp von den Strei/fereien, die er in der Gegend gemacht hatte, /wiederkehrte, war unmittelbarer Tod das Loos /der Armen, die ſich durch dieſe Kuͤnſte hat/ten taͤuſchen laſſen. /5
Nun weiß jedermann, daß im Jahr 1803, /als der General Deſſalines mit 30,000 Ne/gern gegen Port au Prince vorruͤckte, Alles, / 90 was die weiße Farbe trug, ſich in dieſen Platz /warf, um ihn zu vertheidigen. Denn er /war der letzte Stuͤtzpunkt der franzoͤſiſchen /Macht auf dieſer Inſel, und wenn er fiel, /waren alle Weißen, die ſich darauf befanden, /ſaͤmmtlich ohne Rettung verloren. Demnach /traf es ſich, daß gerade in der Abweſenheit des /alten Hoango, der mit den Schwarzen, die /er um ſich hatte, aufgebrochen war, um dem /General Deſſalines mitten durch die franzoͤ/ 100 ſiſchen Poſten einen Transport von Pulver /und Blei zuzufuͤhren, in der Finſterniß einer /ſtuͤrmiſchen und regnigten Nacht, jemand an /die hintere Thuͤr ſeines Hauſes klopfte. /Die alte Babekan, welche ſchon im Bette /lag, erhob ſich, oͤffnete, einen bloßen Rock /um die Huͤften geworfen, das Fenſter, und /fragte: wer da ſei? „Bei Maria und allen /Heiligen,“ ſagte der Fremde leiſe, indem er /ſich unter das Fenſter ſtellte: „beantwortet / 110 6 mir, ehe ich euch dies entdecke, eine Frage!“ /Und damit ſtreckte er, durch die Dunkelheit /der Nacht, ſeine Hand aus, um die Hand /der Alten zu ergreifen, und fragte: „ſeid ihr /eine Negerinn?“ Babekan ſagte: „nun, ihr /ſeid gewiß ein Weißer, daß ihr dieſer ſtock/finſtern Nacht lieber ins Antlitz ſchaut, als /einer Negerinn! Kommt herein, ſetzte ſie hin/zu, und fuͤrchtet nichts; hier wohnt eine /Mulattinn, und die Einzige, die ſich außer / 120 mir noch im Hauſe befindet, iſt meine Toch/ter, eine Meſtize! Und damit machte ſie das /Fenſter zu, als wollte ſie hinabſteigen und ihm /die Thuͤr oͤffnen; ſchlich aber, unter dem Vor/wand, daß ſie den Schluͤſſel nicht ſogleich /finden koͤnne, mit einigen Kleidern, die ſie /ſchnell aus dem Schrank zuſammenraffte, in /die Kammer hinauf und weckte ihre Tochter. /„Toni!“ ſprach ſie: „Toni!“ — Was giebts, /Mutter? — „Geſchwind!“ ſprach ſie. „Auf/ 130 geſtanden und dich angezogen! Hier ſind Klei/der, weiße Waͤſche und Struͤmpfe! Ein Wei/ßer, der verfolgt wird, iſt vor der Thuͤr und /7 begehrt eingelaſſen zu werden!“ — Toni frag/te: ein Weißer? indem ſie ſich halb im Bett /aufrichtete. Sie nahm die Kleider, welche /die Alte in der Hand hielt, und ſprach: iſt /er auch allein, Mutter? Und haben wir, /wenn wir ihn einlaſſen, nichts zu befuͤrchten? /— „Nichts, nichts!“ verſetzte die Alte, in/ 140 dem ſie Licht anmachte: „er iſt ohne Waf/fen und allein, und Furcht, daß wir uͤber /ihn herfallen moͤchten, zittert in allen ſeinen /Gebeinen!“ Und damit, waͤhrend Toni auf/ſtand und ſich Rock und Struͤmpfe anzog, /zuͤndete ſie die große Laterne Laterne [emendiert ohne Hinweis] an, die in dem /Winkel des Zimmers ſtand, band dem Maͤd/chen geſchwind das Haar, nach der Landes/art, uͤber dem Kopf zuſammen, bedeckte ſie, /nachdem ſie ihr den Latz zugeſchnuͤrt hatte, / 150 mit einem Hut, gab ihr die Laterne in die /Hand und befahl ihr, auf den Hof hinab /zu gehen und den Fremden herein zu holen. /
Inzwiſchen war auf das Gebell einiger /Hofhunde ein Knabe, Namens Nanky, den /Hoango auf unehelichem Wege mit einer Ne/8gerinn erzeugt hatte, und der mit ſeinem Bru/der Seppy in den Nebengebaͤuden ſchlief, er/wacht; und da er beim Schein des Mondes /einen einzelnen Mann auf der hinteren Treppe / 160 des Hauſes ſtehen ſah: ſo eilte er ſogleich, /wie er in ſolchen Faͤllen angewieſen war, nach /dem Hofthor, durch welches derſelbe herein/gekommen war, um es zu verſchließen. Der /Fremde, der nicht begriff, was dieſe Anſtalten /zu bedeuten hatten, fragte den Knaben, den /er mit Entſetzen, als er ihm nahe ſtand, fuͤr /einen Negerknaben erkannte: wer in dieſer /Niederlaſſung wohne? und ſchon war er auf /die Antwort desſelben: „daß die Beſitzung, / 170 ſeit dem Tode Hrn. Villeneuves dem Neger /Hoango anheim gefallen,“ im Begriff, den /Jungen niederzuwerfen, ihm den Schluͤſſel /der Hofpforte, den er in der Hand hielt, zu /entreißen und das weite Feld zu ſuchen, als /Toni, die Laterne in der Hand, vor das Haus /hinaus trat. „Geſchwind!“ ſprach ſie, indem /ſie ſeine Hand ergriff und ihn nach der Thuͤr /zog: „hier hierein!“ Sie trug Sorge, in/9dem ſie dies ſagte, das Licht ſo zu ſtellen, / 180 daß der volle Strahl davon auf ihr Geſicht /fiel. — Wer biſt Du? rief der Fremde ſtraͤu/bend, indem er, um mehr als einer Urſache /willen betroffen, ihre junge liebliche Geſtalt /betrachtete. Wer wohnt in dieſem Hauſe, /in welchem ich, wie Du vorgiebſt, meine Ret/tung finden ſoll? — „Niemand, bei dem Licht /der Sonne,“ ſprach das Maͤdchen, „als meine /Mutter und ich!“ und beſtrebte und beeiferte /ſich, ihn mit ſich fortzureißen. Was, nie/ 190 mand! rief der Fremde, indem er, mit einem /Schritt ruͤckwaͤrts, ſeine Hand losriß: hat /mir dieſer Knabe nicht eben geſagt, daß ein /Neger, Namens Hoango, darin befindlich /ſey? — „Ich ſage, nein!“ ſprach das Maͤd/chen, indem ſie, mit einem Ausdruck von /Unwillen, mit dem Fuß ſtampfte; „und wenn /gleich einem Wuͤtherich, der dieſen Namen /fuͤhrt, das Haus gehoͤrt: abweſend iſt er in /dieſem Augenblick und auf zehn Meilen da/ 200 von entfernt!“ Und damit zog ſie den Frem/den mit ihren beiden Haͤnden in das Haus /10 hinein, befahl dem Knaben, keinem Menſchen /zu ſagen, wer angekommen ſei, ergriff, nach/dem ſie die Thuͤr erreicht, des Fremden Hand /und fuͤhrte ihn die Treppe hinauf, nach dem /Zimmer ihrer Mutter. /
„Nun,“ ſagte die Alte, welche das ganze /Geſpraͤch, von dem Fenſter herab, mit ange/hoͤrt und bei dem Schein des Lichts bemerkt / 210 hatte, daß er ein Offizier war: „was bedeu/tet der Degen, den ihr ſo ſchlagfertig unter /eurem Arme tragt? Wir haben euch,“ /ſetzte ſie hinzu, indem ſie ſich die Brille auf/druͤckte, „mit Gefahr unſeres Lebens eine /Zuflucht in unſerm Hauſe geſtattet; ſeid ihr /herein gekommen, um dieſe Wohlthat, nach /der Sitte eurer Landsleute, mit Verraͤtherei zu /vergelten?“ — Behuͤte der Himmel! erwie/derte der Fremde, der dicht vor ihren Seſſel / 220 getreten war. Er ergriff die Hand der Alten, /druͤckte ſie an ſein Herz, und indem er, nach /einigen im Zimmer ſchuͤchtern umhergeworfe/nen Blicken, den Degen, den er an der Huͤfte /trug, abſchnallte, ſprach er: Ihr ſeht den /11 elendeſten der Menſchen, aber keinen undank/baren und ſchlechten vor euch! — „Wer ſeid /ihr?“ fragte die Alte; und damit ſchob ſie /ihm mit dem Fuß einen Stuhl hin, und be/fahl dem Maͤdchen, in die Kuͤche zu gehen, / 230 und ihm, ſo gut es ſich in der Eil thun ließ, /ein Abendbrod zu bereiten. Der Fremde er/widerte: ich bin ein Offizier von der franzoͤ/ſchen französischen [emendiert] französischen [emendiert ohne Hinweis] Macht, obſchon, wie ihr wohl ſelbſt ur/theilt, kein Franzoſe; mein Vaterland iſt die /Schweiz und mein Name Guſtav von der /Ried. Ach, haͤtte ich es niemals verlaſſen und /gegen dies unſelige Eiland vertauſcht! Ich /komme von Fort Dauphin, wo, wie ihr wißt, /alle Weißen ermordet worden ſind, und meine / 240 Abſicht iſt, Port au Prince zu erreichen, be/vor es dem General Deſſalines noch gelun/gen iſt, es mit den Truppen, die er anfuͤhrt, /einzuſchließen und zu belagern. — „Von Fort /Dauphin!“ rief die Alte. „Und es iſt euch /mit eurer Geſichtsfarbe gegluͤckt, dieſen un/geheuren Weg, mitten durch ein in Empoͤrung /begriffenes Mohrenland, zuruͤckzulegen?“ Gott /12 und alle Heiligen, erwiederte der Fremde, ha/ben mich beſchuͤtzt! — Und ich bin nicht al/ 250 lein, gutes Muͤtterchen; in meinem Gefolge, /das ich zuruͤckgelaſſen, befindet ſich ein ehr/wuͤrdiger alter Greis, mein Oheim, mit ſei/ner Gemahlinn und fuͤnf Kindern; mehrere /Bediente und Maͤgde, die zur Familie gehoͤ/ren, nicht zu erwaͤhnen; ein Troß von zwoͤlf /Menſchen, den ich, mit Huͤlfe zweier elenden /Mauleſel, in unſaͤglich muͤhevollen Nachtwan/derungen, da wir uns bei Tage auf der Heer/ſtraße nicht zeigen duͤrfen, mit mir fortfuͤhren / 260 muß. „Ei, mein Himmel!“ rief die Alte, /indem ſie, unter mitleidigem Kopfſchuͤtteln, /eine Prieſe Prise [emendiert] Prise [emendiert ohne Hinweis] Tabak nahm. „Wo befindet ſich /denn in dieſem Augenblick eure Reiſegeſell/ſchaft?“ — Euch, verſetzte der Fremde, nach/dem er ſich ein wenig beſonnen hatte: euch /kann ich mich anvertrauen; aus der Farbe /eures Geſichts ſchimmert mir ein Strahl von /der meinigen entgegen. Die Familie befindet /ſich, daß ihr es wißt, eine Meile von hier, / 270 zunaͤchſt dem Moͤwenweiher, in der Wildniß /13der angrenzenden Gebirgswaldung: Hunger /und Durſt zwangen uns vorgeſtern, dieſe Zu/flucht aufzuſuchen. Vergebens ſchickten wir /in der verfloſſenen Nacht unſere Bedienten /aus, um ein wenig Brod und Wein bei den /Einwohnern des Landes aufzutreiben; Furcht, /ergriffen und getoͤdtet zu werden, hielt ſie ab, /die entſcheidenden Schritte deshalb zu thun, /dergeſtalt, daß ich mich ſelbſt heute mit Ge/ 280 fahr meines Lebens habe aufmachen muͤſſen, /um mein Gluͤck zu verſuchen. Der Himmel, /wenn mich nicht Alles truͤgt, fuhr er fort, /indem er die Hand der Alten druͤckte, hat /mich mitleidigen Menſchen zugefuͤhrt, die jene /grauſame und unerhoͤrte Erbitterung, welche /alle Einwohner dieſer Inſel ergriffen hat, nicht /theilen. Habt die Gefaͤlligkeit, mir fuͤr reich/lichen Lohn einige Koͤrbe mit Lebensmitteln /und Erfriſchungen anzufuͤllen; wir haben nur / 290 noch fuͤnf Tagereiſen bis Port au Prince, /und wenn ihr uns die Mittel verſchafft, dieſe /Stadt zu erreichen, ſo werden wir euch ewig /als die Retter unſeres Lebens anſehen. — /14„Ja, dieſe raſende Erbitterung,“ heuchelte /die Alte. „Iſt es nicht, als ob die Haͤnde /Eines Koͤrpers, oder die Zaͤhne Eines Mun/des gegen einander wuͤthen wollten, weil das /Eine Glied nicht geſchaffen iſt, wie das an/dere? Was kann ich, deren Vater aus St. / 300 Jago, von der Inſel Cuba war, fuͤr den /Schimmer von Licht, der auf meinem Ant/litz, wenn es Tag wird, erdaͤmmert? Und /was kann meine Tochter, die in Europa em/pfangen und geboren iſt, dafuͤr, daß der volle /Tag jenes Welttheils von dem ihrigen wieder/ſcheint?“ — Wie? rief der Fremde. Ihr, /die ihr nach eurer ganzen Geſichtsbildung eine /Mulattinn, und mithin afrikaniſchen Ursprungs /ſeid, ihr waͤret ſammt der lieblichen jungen / 310 Meſtize, die mir das Haus aufmachte, mit /uns Europaͤern in Einer Verdammniß? — /„Beim Himmel!“ erwiderte die Alte, indem /ſie die Brille von der Naſe nahm; „meint /ihr, daß das kleine Eigenthum, das wir uns /in muͤhſeligen und jammervollen Jahren durch /die Arbeit unſerer Haͤnde erworben haben, /15 dies grimmige, aus der Hoͤlle ſtammende Raͤu/bergeſindel nicht reizt? Wenn wir uns nicht /durch Liſt und den ganzen Inbegriff jener / 320 Kuͤnſte, die die Nothwehr dem Schwachen /in die Haͤnde giebt, vor ihrer Verfolgung zu /ſichern wuͤßten: der Schatten von Verwandt/ſchaft, der uͤber unſere Geſichter ausgebreitet /iſt, der, koͤnnt ihr ſicher glauben, thut es /nicht!“ — Es iſt nicht moͤglich! rief der /Fremde; und wer auf dieſer Inſel verfolgt /euch? „Der Beſitzer dieſes Hauſes,“ ant/wortete die Alte: „der Neger Congo Hoan/go! Seit dem Tode Hrn. Guillaumes, des / 330 vormaligen Eigenthuͤmers dieser Pflanzung, /der durch ſeine grimmige Hand beim Ausbruch /der Empoͤrung fiel, ſind wir, die wir ihm /als Verwandte die Wirthſchaft fuͤhren, ſeiner /ganzen Willkuͤhr und Gewaltthaͤtigkeit preis /gegeben. Jedes Stuͤck Brod, jeden Labetrunk Labetrunk, [emendiert] Labetrunk, [emendiert] /den wir aus Menſchlichkeit Einem oder dem /Andern der weißen Fluͤchtlinge, die hier zu/weilen die Straße voruͤberziehen, gewaͤhren, /rechnet er uns mit Schimpfwoͤrtern und Miß/ 340 16handlungen an; und nichts wuͤnſcht er mehr, /als die Rache der Schwarzen uͤber uns wei/ße und kreoliſche Halbhunde, wie er uns nennt, /hereinhetzen zu koͤnnen, theils um unſerer /uͤberhaupt, die wir ſeine Wildheit gegen die /Weißen tadeln, los zu werden, theils, um /das kleine Eigenthum, [liest ›Eigenthum,‹] [liest ›Eigenthum,‹] das wir hinterlaſſen /wuͤrden, in Beſitz zu nehmen.“ — Ihr Un/gluͤcklichen! ſagte der Fremde; ihr Bejam/mernswuͤrdigen! — Und wo befindet ſich in / 350 dieſem Augenblick dieſer Wuͤtherich? „Bei /dem Heere des Generals Deſſalines,“ ant/wortete die Alte, „dem er, mit den uͤbrigen /Schwarzen, die zu dieſer Pflanzung gehoͤren, /einen Transport von Pulver und Blei zu/fuͤhrt, deſſen der General beduͤrftig war. Wir /erwarten ihn, falls er nicht auf neue Unter/nehmungen auszieht, in zehn oder zwoͤlf Ta/gen zuruͤck; und wenn er alsdann, was Gott /verhuͤten wolle, erfuͤhre, daß wir einem Wei/ 360 ßen, der nach Port au Prince wandert, /Schutz und Obdach gegeben, waͤhrend er aus /allen Kraͤften an dem Geſchaͤft Theil nimmt, /17das ganze Geſchlecht derſelben von der Inſel /zu vertilgen, wir waͤren Alle, das koͤnnt ihr /glauben, Kinder des Todes.“ Der Himmel, /der Menſchlichkeit und Mitleiden liebt, ant/wortete der Fremde, wird euch in dem, was /ihr einem Ungluͤcklichen thut, beſchuͤtzen! — /Und weil ihr euch, ſetzte er, indem er der / 370 Alten naͤher ruͤckte, hinzu, einmal in dieſem /Falle des Negers Unwillen zugezogen ha/ben wuͤrdet, und der Gehorſam, wenn ihr /auch dazu zuruͤckkehren wolltet, euch fuͤrder/hin zu nichts helfen wuͤrde; koͤnnt ihr euch /wohl, fuͤr jede Belohnung, die ihr nur ver/langen moͤgt, entſchließen, meinem Oheim /und ſeiner Familie, die durch die Reiſe aufs /Aeußerſte angegriffen ſind, auf einen oder zwei /Tage in eurem Hauſe Obdach zu geben, da/ 380 mit ſie ſich ein wenig erholten? — „Junger /Herr!“ ſprach die Alte betroffen, „was ver/langt ihr da? Wie iſt es, in einem Hauſe, /das an der Landſtraße liegt, moͤglich, einen /Troß von ſolcher Groͤße, als der eurige iſt, /zu beherbergen, ohne daß er den Einwohnern / 18 des Landes verrathen wuͤrde?“ — Warum /nicht? verſetzte der Fremde dringend: wenn /ich ſogleich ſelbſt an den Moͤwenweiher hin/ausginge, und die Geſellſchaft, noch vor An/ 390 bruch des Tages, in die Niederlaſſung ein/fuͤhrte; wenn man Alles, Herrſchaft und /Dienerſchaft, in einem und demſelben Gemach /des Hauſes unterbraͤchte, und, fuͤr den ſchlimm/ſten Fall, etwa noch die Vorſicht gebrauchte, /Thuͤren und Fenſter desſelben ſorgfaͤltig zu ver/ſchließen? — Die Alte erwiederte, nachdem /ſie den Vorſchlag waͤhrend einiger Zeit erwo/gen hatte: „daß, wenn er, in der heutigen /Nacht, unternehmen wollte, den Troß aus / 400 ſeiner Bergſchlucht in die Niederlaſſung ein/zufuͤhren, er, bei der Ruͤckkehr von dort, un/fehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger /ſtoßen wuͤrde, der, durch einige vorangeſchickte /Schuͤtzen, auf der Heerſtraße angeſagt wor/den waͤre.“ — Wohlan! verſetzte der Fremde: /ſo begnuͤgen wir uns, fuͤr dieſen Augenblick, /den Ungluͤcklichen einen Korb mit Lebensmit/teln zuzuſenden, und ſparen das Geſchaͤft, /19 ſie in die Niederlaſſung einzufuͤhren, fuͤr die / 410 naͤchſtfolgende Nacht auf. Wollt ihr, gutes /Muͤtterchen, das thun? — „Nun,“ ſprach /die Alte, unter vielfachen Kuͤſſen, die von den /Lippen des Fremden auf ihre knoͤcherne Hand /niederregneten: um des Europaͤers, meiner /Tochter Vater willen, will ich euch, ſeinen be/draͤngten Landsleuten, dieſe Gefaͤlligkeit er/weiſen. Setzt euch beim Anbruch des mor/genden Tages hin, und ladet die Eurigen in /einem Schreiben ein, ſich zu mir in die Nie/ 420 derlaſſung zu verfuͤgen; der Knabe, den ihr /im Hofe geſehen, mag ihnen das Schreiben /mit einigem Mundvorrath uͤberbringen, die /Nacht uͤber zu ihrer Sicherheit in den Ber/gen verweilen, und dem Troſſe beim Anbruch /des naͤchſtfolgenden Tages, wenn die Ein/ladung angenommen wird, auf ſeinem Wege /hierher zum Fuͤhrer dienen.“ /
Inzwiſchen war Toni mit einem Mahl, /das ſie in der Kuͤche bereitet hatte, wiederge/ 430 kehrt, und fragte die Alte mit einem Blick /auf den Fremden, ſchaͤkernd, indem ſie den / 20 Tiſch deckte: Nun, Mutter, ſagt an! Hat /ſich der Herr von dem Schreck, der ihn vor /der Thuͤr ergriff, erholt? Hat er ſich uͤber/zeugt, daß weder Gift noch Dolch auf ihn /warten, und daß der Neger Hoango nicht /zu Hauſe iſt? Die Mutter ſagte mit einem /Seufzer: mein Kind, der Gebrannte ſcheut, /nach dem Sprichwort, das Feuer. Der Herr / 440 wuͤrde thoͤricht gehandelt haben, wenn er ſich /fruͤher in das Haus hineingewagt haͤtte, als /bis er ſich von dem Volksſtamm, zu welchem /ſeine Bewohner gehoͤren, uͤberzeugt hatte.“ /Das Maͤdchen ſtellte ſich vor die Mutter, /und erzaͤhlte ihr: wie ſie die Laterne ſo gehal/ten, daß ihr der volle Strahl davon ins Ge/ſicht gefallen waͤre. Aber ſeine Einbildung, /ſprach ſie, war ganz von Mohren und Negern /erfuͤllt; und wenn ihm eine Dame von Paris / 450 oder Marſeille die Thuͤre geoͤffnet haͤtte, er /wuͤrde ſie fuͤr eine Negerin gehalten haben. Der /Fremde, indem er den Arm ſanft um ihren /Leib ſchlug, ſagte verlegen: daß der Hut, den /ſie aufgehabt, ihn verhindert haͤtte, ihr ins /21Geſicht zu ſchaun. Haͤtte ich dir, fuhr er /fort, indem er ſie lebhaft an ſeine Bruſt /druͤckte, ins Auge ſehen koͤnnen, ſo wie ich /es jetzt kann: ſo haͤtte ich, auch wenn alles /uͤbrige an dir ſchwarz geweſen waͤre, aus / 460 einem vergifteten Becher mit dir trinken wol/len. Die Mutter noͤthigte ihn, der bei die/ſen Worten roth geworden war, ſich zu ſe/tzen, worauf Toni ſich neben ihm an der /Tafel niederließ, und mit aufgeſtuͤtzten Ar/men, waͤhrend der Fremde aß, in ſein Antlitz /ſah. Der Fremde fragte ſie: wie alt ſie waͤre? /und wie ihre Vaterſtadt hieße? worauf die /Mutter das Wort nahm und ihm ſagte: „daß /Toni vor funfzehn Jahren auf einer Reiſe, / 470 welche ſie mit der Frau des Hrn. Villeneuve, /ihres vormaligen Prinzipals, nach Europa /gemacht haͤtte, in Paris von ihr empfangen /und gebohren worden waͤre. Sie ſetzte hinzu, /daß der Neger Komar, den ſie nachher gehei/rathet, ſie zwar an Kindes ſtatt angenommen /haͤtte, daß daß [emendiert ohne Hinweis] ihr Vater aber eigentlich ein rei/cher Marſeiller Kaufmann, Namens Ber/22trand waͤre, von dem ſie auch Toni Bertrand /hieße.“ — Toni fragte ihn: ob er einen ſol/ 480 chen Herrn in Frankreich kenne? Der Fremde /erwiederte: nein! das Land waͤre groß, und /waͤhrend des kurzen Aufenthalts, den er bei /ſeiner Einſchiffung nach Weſtindien darin ge/nommen, ſey ihm keine Perſon dieſes Na/mens vorgekommen. Die Alte verſetzte versetzte, [emendiert] versetzte, [emendiert] daß /Hr. Bertrand auch, nach ziemlich ſicheren /Nachrichten, die ſie eingezogen, nicht mehr /in Frankreich befindlich ſey. Sein ehrgeiziges /und aufſtrebendes Gemuͤth, ſprach ſie, gefiel / 490 ſich in dem Kreis buͤrgerlicher Thaͤtigkeit nicht; /er miſchte ſich beim Ausbruch der Revolution /in die oͤffentlichen Geſchaͤfte, und ging im /Jahr 1795 mit einer franzoͤſiſchen Geſand/ſchaft an den tuͤrkiſchen Hof, von wo er, /meines Wiſſens, bis dieſen Augenblick noch /nicht zuruͤckgekehrt iſt. Der Fremde ſagte /laͤchelnd zu Toni, indem er ihre Hand faßte: /daß ſie ja in dieſem Falle ein vornehmes und /reiches Maͤdchen waͤre. Er munterte ſie auf, / 500 dieſe Vortheile geltend zu machen, und meinte, /23 daß ſie Hoffnung haͤtte, noch einmal an der /Hand ihres Vaters in glaͤnzendere Verhaͤlt/niſſe, als in denen ſie jetzt lebte, eingefuͤhrt /zu werden! „Schwerlich,“ verſetzte die Alte /mit unterdruͤckter Empfindlichkeit. „Herr Ber/trand laͤugnete mir, waͤhrend meiner Schwan/gerſchaft zu Paris, aus Scham vor einer /jungen reichen Braut, die er heirathen wollte, /die Vaterſchaft zu dieſem Kinde vor Gericht / 510 ab. Ich werde den Eidſchwur, den er die /Frechheit hatte, mir ins Geſicht zu leiſten, /niemals vergeſſen, ein Gallenfieber war die /Folge davon, und bald darauf noch ſechzig /Peitſchenhiebe, die mir Hr. Villeneuve geben /ließ, und in deren Folge ich noch bis auf /dieſen Tag an der Schwindſucht leide.“ — — /Toni, welche den Kopf gedankenvoll auf ihre /Hand gelegt hatte, fragte den Fremden: wer /er denn waͤre? wo er herkaͤme und wo er / 520 hinginge? worauf dieſer nach einer kurzen /Verlegenheit, worin ihn die erbitterte Rede /der Alten verſetzt hatte, erwiderte: daß er /mit Hrn. Stroͤmlis, ſeines Oheims Fa/24milie, die er, unter dem Schutze zweier jun/gen Vettern, in der Bergwaldung am Moͤ/wenweiher zuruͤckgelaſſen, vom Fort Dauphin /kaͤme. Er erzaͤhlte, auf des Maͤdchens Bitte, /mehrere Zuͤge der in dieſer Stadt ausgebro/chenen Empoͤrung; wie zur Zeit der Mitter/ 530 nacht, da alles geſchlafen, auf ein verraͤtheriſch /gegebenes Zeichen, das Gemetzel der Schwar/zen gegen die Weißen losgegangen waͤre; wie /der Chef der Negern, ein Sergeant bei dem /franzoͤſiſchen Pionirkorps, die Bosheit gehabt, /ſogleich alle Schiffe im Hafen in Brand zu /ſtecken, um den Weißen die Flucht nach Eu/ropa abzuſchneiden; wie die Familie kaum /Zeit gehabt, ſich mit einigen Habſeeligkeiten /vor die Thore der Stadt zu retten, und wie / 540 ihr, bei dem gleichzeitigen Auflodern der Em/poͤrung in allen Kuͤſtenplaͤtzen, nichts uͤbrig /geblieben waͤre, als mit Huͤlfe zweier Maul/eſel, die ſie aufgetrieben, den Weg quer durch /das ganze Land nach Port au Prince ein/zuſchlagen, das allein noch, von einem ſtar/ken franzoͤſiſchen Heere beſchuͤtzt, der uͤber/25hand nehmenden Macht der Negern in dieſem /Augenblick Widerſtand leiſte. — Toni fragte: /wodurch ſich denn die Weißen daſelbſt ſo ver/ 550 haßt gemacht haͤtten? — Der Fremde erwi/derte betroffen: durch das allgemeine Ver/haͤltniß, das ſie, als Herren der Inſel, zu /den Schwarzen hatten, und das ich, die /Wahrheit zu geſtehen, mich nicht unterfangen /will, in Schutz zu nehmen; das aber ſchon /ſeit vielen Jahrhunderten auf dieſe Weiſe be/ſtand! Der Wahnſinn der Freiheit, der alle /dieſe Pflanzungen ergriffen hat, trieb die Ne/gern und Kreolen, die Ketten, die ſie druͤck/ 560 ten, zu brechen, und an den Weißen wegen /vielfacher und tadelnswuͤrdiger Mißhandlun/gen, die ſie von einigen ſchlechten Mitglie/dern derſelben erlitten, Rache zu nehmen. — /Beſonders, fuhr er nach einem kurzen Still/ſchweigen fort, war mir die That eines jun/gen Maͤdchens ſchauderhaft und merkwuͤrdig. /Dieſes Maͤdchen, vom Stamm der Negern, /lag gerade zur Zeit, da die Empoͤrung auflo/derte, an dem gelben Fieber krank, das zur / 570 26 Verdoppelung des Elends in der Stadt aus/gebrochen war. Sie hatte drei Jahre zuvor /einem Pflanzer vom Geſchlecht der Weißen /als Sclavinn gedient, der ſie aus Empfind/lichkeit, weil ſie ſich ſeinen Wuͤnſchen nicht /willfaͤhrig gezeigt hatte, hart behandelt und /nachher an einen Creoliſchen Pflanzer ver/kauft hatte. Da nun das Maͤdchen an dem /Tage des allgemeinen Aufruhrs erfuhr, daß /ſich der Pflanzer, ihr ehemaliger Herr, vor / 580 der Wuth der Negern, die ihn verfolgten, /in einen nahegelegenen Holzſtall gefluͤchtet /hatte: ſo ſchickte ſie, jener Mißhandlungen /eingedenk, beim Anbruch der Daͤmmerung, /ihren Bruder zu ihm, mit der Einladung, bei /ihr zu uͤbernachten. Der Ungluͤckliche, der /weder wußte, daß das Maͤdchen unpaͤßlich /war, noch an welcher Krankheit ſie litt, kam /und ſchloß ſie voll Dankbarkeit, da er ſich /gerettet glaubte, in ſeine Arme: doch kaum / 590 hatte er eine halbe Stunde unter Liebkoſun/gen und Zaͤrtlichkeiten in ihrem Bette zuge/bracht, als ſie ſich ploͤtzlich mit dem Ausdruck /27 wilder und kalter Wuth, darin erhob und /ſprach: eine Peſtkranke, die den Tod in der /Bruſt traͤgt, haſt du gekuͤßt: geh und gieb /das gelbe Fieber allen denen, die dir glei/chen! — Der Officier, waͤhrend die Alte mit /lauten Worten ihren Abſcheu hieruͤber zu er/kennen gab, fragte Toni: ob ſie wohl einer / 600 ſolchen That faͤhig waͤre? Nein! ſagte Toni, /indem ſie verwirrt vor ſich niederſah. Der /Fremde, indem er das Tuch auf dem Tiſche /legte, verſetzte: daß, nach dem Gefuͤhl ſeiner /Seele, keine Tyrannei, die die Weißen je /veruͤbt, einen Verrath, ſo niedertraͤchtig und /abſcheulich, rechtfertigen koͤnnte. Die Rache /des Himmels, meinte er, indem er ſich mit /einem leidenſchaftlichen Ausdruck erhob, wuͤrde /dadurch entwaffnet: die Engel ſelbſt, dadurch / 610 empoͤrt, ſtellten ſich auf Seiten derer, die /Unrecht haͤtten, und naͤhmen, zur Aufrecht/haltung menſchlicher und goͤttlicher Ordnung, /ihre Sache! Er trat bei dieſen Worten auf /einen Augenblick an das Fenſter, und ſah in /die Nacht hinaus, die mit ſtuͤrmiſchen Wol/28ken uͤber den Mond und die Sterne voruͤber /zog; und da es ihm ſchien, als ob Mutter /und Tochter einander anſaͤhen, obſchon er auf /keine Weiſe merkte, daß ſie ſich Winke zuge/ 620 worfen haͤtten: ſo uͤbernahm ihn ein wider/waͤrtiges und verdrießliches Gefuͤhl; er wandte /ſich und bat, daß man ihm das Zimmer an/weiſen moͤgte, wo er ſchlafen koͤnne. /
Die Mutter bemerkte, indem ſie nach der /Wanduhr ſah, daß es uͤberdies nahe an Mit/ternacht ſey, nahm ein Licht in die Hand, /und forderte den Fremden auf, ihr zu folgen. /Sie fuͤhrte ihn durch einen langen Gang in /das fuͤr ihn beſtimmte Zimmer; Toni trug / 630 den Ueberrock des Fremden und mehrere an/dere Sachen, die er abgelegt hatte; die Mut/ter zeigte ihm ein von Polſtern bequem auf/geſtapeltes Bett, worin er ſchlafen ſollte, und /nachdem ſie Toni noch befohlen hatte, dem /Herrn ein Fußbad zu bereiten, wuͤnſchte ſie /ihm eine gute Nacht und empfahl ſich. Der /Fremde ſtellte ſeinen Degen in den Winkel /und legte ein Paar Piſtolen, die er im Guͤr/29tel trug, auf den Tiſch. Er ſah ſich, waͤh/ 640 rend Toni das Bett vorſchob und ein weißes /Tuch daruͤber breitete, im Zimmer um; und /da er gar bald, aus der Pracht und dem /Geſchmack, die darin herrſchten, ſchloß, daß /es dem vormaligen Beſitzer der Pflanzung /angehoͤrt haben muͤſſe: ſo legte ſich ein Ge/fuͤhl der Unruhe wie ein Geyer um ſein Herz, /und er wuͤnſchte ſich, hungrig und durſtig, /wie er gekommen war, wieder in die Wal/dung zu den Seinigen zuruͤck. Das Maͤd/ 650 chen hatte mittlerweile, aus der nahbelegenen /Kuͤche, ein Gefaͤß mit warmem Waſſer, von /wohlriechenden Kraͤutern duftend, hereingeholt, /und forderte den Officier, der ſich in das Fen/ſter gelehnt hatte, auf, ſich darin zu zu [emendiert ohne Hinweis] erqui/cken. Der Officier ließ ſich, waͤhrend er ſich /ſchweigend von der Halsbinde und der Weſte /befreite, auf den Stuhl nieder; er ſchickte /ſich an, ſich die Fuͤße zu entbloͤßen, und waͤh/rend das Maͤdchen, auf ihre Kniee vor ihm / 660 hingekauert, die kleinen Vorkehrungen zum /Bade beſorgte, betrachtete er ihre einnehmende /30 Geſtalt. Ihr Haar, in dunkeln Locken ſchwel/lend, war ihr, als ſie niederknieete, auf ihre /jungen Bruͤſte herabgerollt; ein Zug von aus/nehmender Anmuth ſpielte um ihre Lippen /und uͤber ihre langen, uͤber die geſenkten Au/gen hervorragenden Augenwimpern; Augenwimper; [nicht emendiert] Augenwimper; [nicht emendiert] er haͤtte, /bis auf die Farbe, die ihm anſtoͤßig war, /ſchwoͤren moͤgen, daß er nie etwas Schoͤne/ 670 res geſehen. Dabei fiel ihm eine entfernte /Aehnlichkeit, er wußte noch ſelbſt nicht recht /mit wem, auf, die er ſchon bei ſeinem Ein/tritt in das Haus bemerkt hatte, und die ſeine /ganze Seele fuͤr ſie in Anſpruch nahm. Er /ergriff ſie, als ſie in den Geſchaͤften, die ſie /betrieb, aufſtand, bei der Hand, und da er /gar richtig ſchloß, daß es nur ein Mittel gab, /zu erpruͤfen, ob das Maͤdchen ein Herz habe /oder nicht, ſo zog er ſie auf ſeinen Schooß / 680 nieder und fragte ſie: „ob ſie ſchon einem /Braͤutigam verlobt waͤre?“ Nein! liſpelte /das Maͤdchen, indem ſie ihre großen ſchwar/zen Augen in lieblicher Verſchaͤmtheit zur /Erde ſchlug. Sie ſetzte, ohne ſich auf ſeinem /31 Schooß zu ruͤhren, hinzu: Konelly, der junge /Neger aus der Nachbarſchaft, haͤtte zwar /vor drei Monaten um ſie angehalten; ſie /haͤtte ihn aber, weil ſie noch zu jung waͤre, /ausgeſchlagen. Der Fremde, der, mit ſeinen / 690 beiden Haͤnden, ihren ſchlanken Leib umfaßt /hielt, ſagte: „in ſeinem Vaterlande waͤre, /nach einem daſelbſt herrſchenden Sprichwort, /ein Maͤdchen von vierzehn Jahren und ſieben /Wochen bejahrt genug, um zu heirathen.“ /Er fragte, waͤhrend ſie ein kleines, goldenes /Kreuz, das er auf der Bruſt trug, betrach/tete: „wie alt ſie waͤre?“ — Funfzehn Jahre, /erwiederte Toni. „Nun alſo!“ ſprach der /Fremde. — Fehlt es ihm denn an Vermoͤgen, / 700 um ſich haͤuslich, wie du es wuͤnſcheſt, mit /dir niederzulaſſen?“ Toni, ohne die Augen /zu ihm aufzuſchlagen, erwiderte: o nein! — /Vielmehr, ſprach ſie, indem ſie das Kreuz, /das ſie in der Hand hielt, fahren ließ: Ko/nelly iſt, ſeit der letzten Wendung der Dinge, /ein reicher Mann geworden; ſeinem Vater /iſt die ganze Niederlaſſung, die ſonſt dem /32Pflanzer, ſeinem Herrn, gehoͤrte, zugefallen. — /„Warum lehnteſt du denn ſeinen Antrag ab?“ / 710 fragte der Fremde. Er ſtreichelte ihr freund/lich das Haar von der Stirn und ſprach: /„gefiel er dir etwa nicht?“ Das Maͤdchen, /indem ſie kurz mit dem Kopf ſchuͤttelte, lachte; /und auf die Frage des Fremden, ihr ſcher/zend ins Ohr gefluͤſtert: ob es vielleicht ein /Weißer ſeyn muͤſſe, der ihr Gunſt davon tra/gen ſolle? legte ſie ſich ploͤtzlich, nach einem /fluͤchtigen, traͤumeriſchen Bedenken, unter ei/nem uͤberaus reizenden Erroͤthen, das uͤber / 720 ihr verbranntes Geſicht aufloderte, an ſeine /Bruſt. Der Fremde, von ihrer Anmuth und /Lieblichkeit geruͤhrt, nannte ſie ſein liebes Maͤd/chen, und ſchloß ſie, wie durch goͤttliche Hand /von jeder Sorge erloͤſt, in ſeine Arme. Es /war ihm unmoͤglich zu glauben, daß alle dieſe /Bewegungen, die er an ihr wahrnahm, der /bloße elende Ausdruck einer kalten und graͤß/lichen Verraͤtherei ſeyn ſollten. Die Gedan/ken, die ihn beunruhigt hatten, wichen, wie / 730 ein Heer ſchauerlicher Voͤgel, von ihm; er /33ſchalt ſich, ihr Herz nur einen Augenblick /verkannt zu haben, und waͤhrend er ſie auf /ſeinen Knieen ſchaukelte, und den ſuͤßen Athem /einſog, den ſie ihm heraufſandte, druͤckte er, /gleichſam zum Zeichen der Ausſoͤhnung und /Vergebung, einen Kuß auf ihre Stirn. In/zwiſchen hatte ſich das Maͤdchen, unter einem /ſonderbar ploͤtzlichen Aufhorchen, als ob je/mand von dem Gange her der Thuͤr nahte, / 740 emporgerichtet; ſie ruͤckte ſich gedankenvoll /und traͤumeriſch das Tuch, das das [emendiert ohne Hinweis] ſich uͤber ihrer /Bruſt verſchoben hatte, zurecht; und erſt als /ſie ſah, daß ſie von einem Irrthum getaͤuſcht /worden war, wandte ſie ſich mit einigem /Ausdruck von Heiterkeit wieder zu dem Frem/den zuruͤck und erinnerte ihn: daß ſich das /Waſſer, wenn er nicht bald Gebrauch davon /machte, abkaͤlten wuͤrde. — Nun? ſagte ſie be/treten, da der Fremde ſchwieg und ſie gedan/ 750 kenvoll betrachtete: was ſeht ihr mich ſo auf/merkſam an? Sie ſuchte, indem ſie ſich mit ih/rem Latz beſchaͤftigte, die Verlegenheit, die ſie er/griffen, zu verbergen, und rief lachend: wun/ 34derlicher Herr, was faͤllt euch in meinem An/blick ſo auf? Der Fremde, der ſich mit der /Hand uͤber die Stirn gefahren war, ſagte, /einen Seufzer unterdruͤckend, indem er ſie /von ſeinem Schooß herunterhob: eine wun/derbare Aehnlichkeit zwiſchen dir und einer / 760 Freundinn!“ — Toni, welche ſichtbar be/merkte, daß ſich ſeine Heiterkeit zerſtreut hat/te, nahm ihn freundlich und theilnehmend bei /der Hand, und fragte: mit welcher? wor/auf jener, nach einer kurzen Beſinnung das /Wort nahm und ſprach: „Ihr Name war /Mariane Congreve und ihre Vaterſtadt Straß/burg. Ich hatte ſie in dieſer Stadt, wo /ihr Vater Kaufmann war, kurz vor dem /Ausbruch der Revolution kennen gelernt, und / 770 war gluͤcklich genug geweſen, ihr Jawort und /vorlaͤufig auch ihrer Mutter Zuſtimmung zu er/halten. Ach, es war die treuſte Seele unter /der Sonne; und die ſchrecklichen und ruͤh/renden Umſtaͤnde, unter denen ich ſie verlor, /werden mir, wenn ich dich anſehe, ſo gegen/waͤrtig, daß ich mich vor Wehmuth der Thraͤ/35nen nicht enthalten kann.“ Wie? ſagte Toni,/ indem ſie ſich herzlich und innig an ihn druͤck/te: ſie lebt nicht mehr? — „Sie ſtarb,“ ant/ 780 wortete der Fremde, „und ich lernte den In/begriff aller Guͤte und Vortrefflichkeit erſt mit /ihrem Tode kennen. Gott weiß,“ fuhr er /fort, indem er ſein Haupt ſchmerzlich an ihre /Schulter lehnte, „wie ich die Unbeſonnen/heit ſo weit treiben konnte, mir eines Abends /an einem oͤffentlichen Ort Aeußerungen uͤber /das eben errichtete furchtbare Revolutionstri/bunal zu erlauben. Man verklagte, man /ſuchte mich; ja, in Ermangelung meiner, der / 790 gluͤcklich genug geweſen war, ſich in die Vor/ſtadt zu retten, lief die Rotte meiner raſen/den Verfolger, die ein Opfer haben mußte, /nach der Wohnung meiner Braut, und durch /ihre wahrhaftige Verſicherung, daß ſie nicht /wiſſe, wo ich ſey, erbittert, ſchleppte man die/ſelbe, unter dem Vorwand, daß ſie mit mir /im Einverſtaͤndniß ſey, mit unerhoͤrter Leicht/fertigkeit ſtatt meiner auf den Richtplatz./ Kaum war mir dieſe entſetzliche Nachricht / 800 36 hinterbracht worden, als ich ſogleich aus dem /Schlupfwinkel, in welchen ich mich gefluͤchtet /hatte, hervortrat, und indem ich, die Menge /durchbrechend, nach dem Richtplatz eilte, laut /ausrief: Hier, ihr Unmenſchlichen, hier bin /ich! Doch ſie, die ſchon auf dem Geruͤſte /der Guillotine ſtand, antwortete auf die /Frage einiger Richter, denen ich ungluͤckli/cher Weiſe fremd ſeyn mußte, indem ſie /ſich mit einem Blick, der mir unausloͤſch/ 810 lich in die Seele gepraͤgt iſt, von mir ab/wandte: dieſen Menſchen kenne ich nicht! — /worauf unter Trommeln und Laͤrmen, von /den ungeduldigen Blutmenſchen angezettelt, /das Eiſen, wenige Augenblicke nachher, her/abfiel, und ihr Haupt von ſeinem Rumpfe /trennte. — Wie ich gerettet worden bin, das /weiß ich nicht; ich befand mich, eine Viertel/ſtunde darauf, in der Wohnung eines Freun/des, wo ich aus einer Ohnmacht in die an/ 820 dere fiel, und halbwahnwitzig gegen Abend /auf einen Wagen geladen und uͤber den Rhein /geſchafft wurde.“ — Bei dieſen Worten trat /37der Fremde, indem er das Maͤdchen losließ, /an das Fenſter; und da dieſe ſah, daß er /ſein Geſicht ſehr geruͤhrt in ein Tuch druͤckte: /ſo uͤbernahm ſie, von manchen Seiten ge/weckt, ein menſchliches Gefuͤhl; ſie folgte /ihm mit einer ploͤtzlichen Bewegung, fiel ihm /um den Hals, und miſchte ihre Thraͤnen mit / 830 den ſeinigen. /
Was weiter erfolgte, brauchen wir nicht /zu melden, weil es jeder, der an dieſe Stelle /kommt, von ſelbſt lieſ’t. Der Fremde, als /er ſich wieder geſammlet hatte, wußte nicht, /wohin ihn die That, die er begangen, fuͤh/ren wuͤrde; inzwiſchen ſah er ſo viel ein, daß /er gerettet, und in dem Hauſe, in welchem /er ſich befand, fuͤr ihn nichts von dem Maͤd/chen zu befuͤrchten war. Er verſuchte, da / 840 er ſie mit verſchraͤnkten Armen auf dem Bett /weinen ſah, alles nur Moͤgliche, um ſie zu /beruhigen. Er nahm ſich das kleine goldene /Kreuz, ein Geſchenk der treuen Mariane, ſei/ner abgeſchiedenen Braut, von der Bruſt; /und, indem er ſich unter unendlichen Liebko/38ſungen uͤber ſie neigte, hing er es ihr als ein /Brautgeſchenk, wie er es nannte, um den /Hals. Er ſetzte ſich, da ſie in Thraͤnen zer/floß und auf ſeine Worte nicht hoͤrte, auf / 850 den Rand des Bettes nieder, und ſagte ihr, /indem er ihre Hand bald ſtreichelte, bald /kuͤßte: daß er bei ihrer Mutter am Morgen /des naͤchſten Tages um ſie anhalten wolle. /Er beſchrieb ihr, welch ein kleines Eigenthum, /frei und unabhaͤngig, er an den Ufern Ufern [emendiert ohne Hinweis] der Aaar /beſitze; eine Wohnung, bequem und geraͤumig /genug, ſie und auch ihre Mutter, wenn ihr Al/ter die Reiſe zulaſſe, darin aufzunehmen; Fel/der, Gaͤrten, Wieſen und Weinberge; und einen / 860 alten ehrwuͤrdigen Vater, der ſie dankbar und /liebreich daſelbſt, weil ſie ſeinen Sohn geret/tet, empfangen wuͤrde. Er ſchloß ſie, da /ihre Thraͤnen in unendlichen Ergießungen auf /das Bettkiſſen niederfloſſen, in ſeine Arme, /und fragte ſie, von Ruͤhrung ſelber ergriffen: /was er ihr zu Leide gethan und ob ſie ihm /nicht vergeben koͤnne? Er ſchwor ihr, daß /Liebe fuͤr ſie nie aus ſeinem Herzen wei/39chen wuͤrde, und daß nur, im Taumel wun/ 870 derbar verwirrter Sinne, eine Miſchung von /Begierde und Angſt, die ſie ihm eingefloͤßt, /ihn zu einer ſolchen That habe verfuͤhren koͤn/nen. Er erinnerte ſie zuletzt, daß die Mor/genſterne funkelten, und daß, wenn ſie laͤn/ger im Bette verweilte, die Mutter kommen /und ſie darin uͤberraſchen wuͤrde; er forderte /ſie, ihrer Geſundheit wegen, auf, ſich zu /erheben und noch einige Stunden auf ihrem /eignen Lager auszuruhen; er fragte ſie, durch / 880 ihren Zuſtand in die entſetzlichſten Beſorgniſſe /geſtuͤrzt, ob er ſie vielleicht in ſeinen Armen /aufheben und in ihre Kammer tragen ſolle; /doch da ſie auf Alles, was er vorbrachte, /nicht antwortete, und, ihr Haupt ſtilljam/mernd, ohne ſich zu ruͤhren, in ihre Arme /gedruͤckt, auf den verwirrten Kiſſen des Bet/tes dalag: ſo blieb ihm zuletzt, hell wie der /Tag ſchon durch beide Fenſter ſchimmerte, /nichts uͤbrig, als ſie, ohne weitere Ruͤckſpra/ 890 che, aufzuheben; er trug ſie, die wie eine /Lebloſe von ſeiner Schulter niederhing, die /40Treppe hinauf in ihre Kammer, und nachdem /er ſie auf ihr Bette niedergelegt, und ihr un/ter tauſend Liebkoſungen noch einmal Alles, /was er ihr ſchon geſagt, wiederholt hatte, /nannte er ſie noch einmal ſeine liebe Braut, /druͤckte einen Kuß auf ihre Wangen, und eilte /in ſein Zimmer zuruͤck. /
Sobald der Tag voͤllig angebrochen war, / 900 begab ſich die alte Babekan zu ihrer Tochter /hinauf, und eroͤffnete ihr, indem ſie ſich an /ihr Bett niederſetzte, welch’ einen Plan ſie mit /dem Fremden ſowohl, als ſeiner Reiſegeſell/ſchaft vor habe. Sie meinte, daß, da der Ne/ger Congo Hoango erſt in zwei Tagen wieder/kehre, Alles darauf ankaͤme, den Fremden /waͤhrend dieſer Zeit in dem Hauſe hinzuhal/ten, ohne die Familie ſeiner Angehoͤrigen, /deren Gegenwart, ihrer Menge wegen, ge/ 910 faͤhrlich werden koͤnnte, darinn zuzulaſſen. /Zu dieſem Zweck, ſprach ſie, habe ſie erdacht, /dem Fremden vorzuſpiegeln, daß, einer ſo /eben eingelaufenen Nachricht zufolge, der Ge/neral Deſſalines ſich mit ſeinem Heer in dieſe /41Gegend wenden werde, und daß man mithin, /wegen allzugroßer Gefahr, erſt am dritten /Tage, wenn er voruͤber waͤre, wuͤrde moͤglich /machen koͤnnen, die Familie, ſeinem Wunſche /gemaͤß, in dem Hauſe aufzunehmen. Die / 920 Geſellſchaft ſelbſt, ſchloß ſie, muͤſſe inzwi/ſchen, damit ſie nicht weiter reiſe, mit Le/bensmitteln verſorgt, und gleichfalls, um ſich /ihrer ſpaͤterhin zu bemaͤchtigen, in dem Wahn, /daß ſie eine Zuflucht in dem Hauſe finden /werde, hingehalten werden. Sie bemerkte, /daß die Sache wichtig ſey, indem die Familie /wahrſcheinlich betraͤchtliche Habſeeligkeiten mit /ſich fuͤhre; und forderte die Tochter auf, ſie /aus allen Kraͤften in dem Vorhaben, das ſie / 930 ihr angegeben, zu unterſtuͤtzen. Toni, halb /im Bette aufgerichtet, indem die Roͤthe des /Unwillens ihr Geſicht uͤberflog, verſetzte: /„daß es ſchaͤndlich und niedertraͤchtig waͤre, /das Gaſtrecht an Perſonen, die man in das /Haus gelockt, alſo zu verletzen. Sie meinte, /daß ein Verfolgter, der ſich ihrem Schutz /anvertraut, doppelt ſicher bei ihnen ſein ſollte; /42 und verſicherte, daß, wenn ſie den blutigen/ Anſchlag, den ſie ihr geaͤußert, nicht aufgaͤbe, / 940 ſie auf der Stelle hingehen und dem Fremden /anzeigen wuͤrde, welch eine Moͤrdergrube das /Haus ſei, in welchem er geglaubt habe, ſeine /Rettung zu finden.“ Toni! ſagte die Mut/ter, indem ſie die Arme in die Seite ſtaͤmmte, /und dieſelbe mit großen Augen anſah. — /„Gewiß!“ erwiederte Toni, indem ſie die /Stimme ſenkte. „Was hat uns dieſer Juͤng/ling, der von Geburt gar nicht einmal ein /Franzoſe, ſondern, wie wir geſehen haben, / 950 ein Schweizer iſt, zu leide gethan, daß wir, /nach Art der Raͤuber, uͤber ihn herfallen, /ihn toͤdten und auspluͤndern wollen? Gelten /die Beſchwerden, die man hier gegen die /Pflanzer fuͤhrt, auch in der Gegend der In/ſel, aus welcher er herkoͤmmt? Zeigt nicht /vielmehr Alles, daß er der edelſte und vor/trefflichſte Menſch iſt, und gewiß das Unrecht, /das die Schwarzen ſeiner Gattung vorwer/fen moͤgen, auf keine Weiſe theilt?“ — Die / 960 Alte, waͤhrend ſie den ſonderbaren Ausdruck /43 des Maͤdchens betrachtete, ſagte bloß mit be/benden Lippen: daß ſie erſtaune. Sie fragte, /was der junge Portugieſe verſchuldet, den /man unter dem Thorweg kuͤrzlich mit Keulen /zu Boden geworfen habe? Sie fragte, was /die beiden Hollaͤnder verbrochen, die vor drei /Wochen durch die Kugeln der Neger im Hofe /gefallen waͤren? Sie wollte wiſſen, was man /den drei Franzoſen und ſo vielen andern ein/ 970 zelnen Fluͤchtlingen, vom Geſchlecht der Wei/ßen, zur Laſt gelegt habe, die mit Buͤchſen, /Spießen und Dolchen, ſeit dem Ausbruch /der Empoͤrung, im Hauſe hingerichtet wor/den waͤren? „Beim Licht der Sonne,“ ſagte /die Tochter, indem ſie wild aufſtand, „du /haſt ſehr Unrecht, mich an dieſe Graͤuelthaten /zu erinnern! Die Unmenſchlichkeiten, an de/nen ihr mich Theil zu nehmen zwingt, em/poͤrten laͤngſt mein innerſtes Gefuͤhl; und / 980 um mir Gottes Rache wegen Alles, was vor/gefallen, zu verſoͤhnen, ſo, ſchwoͤre ich dir, /daß ich eher zehnfachen Todes ſterben, als /zugeben werde, daß dieſem Juͤngling, ſo lange /44er ſich in unſerm Hauſe befindet, auch nur /ein Haar gekruͤmmt werde.“ — Wohlan, /ſagte die Alte, mit einem ploͤtzlichen Ausdruck /von Nachgiebigkeit: ſo mag der Fremde rei/ſen! Aber wenn Congo Hoango zuruͤckkoͤmmt, /ſetzte ſie hinzu, indem ſie um das Zimmer / 990 zu verlaſſen, aufſtand, und erfaͤhrt, daß ein /Weißer in unſerm Hauſe uͤbernachtet hat, /ſo magſt du das Mitleiden, das dich bewog, /ihn gegen das ausdruͤckliche Gebot wieder /abziehen zu laſſen, verantworten. /
Auf dieſe Aeußerung, bei welcher, trotz /aller ſcheinbaren Milde, der Ingrimm der /Alten heimlich hervorbrach, blieb das Maͤd/chen in nicht geringer Beſtuͤrzung im Zim/mer zuruͤck. Sie kannte den Haß der Alten / 1000 gegen die Weißen zu gut, als daß ſie haͤtte /glauben koͤnnen, ſie werde eine ſolche Gele/genheit, ihn zu ſaͤttigen, ungenutzt voruͤber /gehen laſſen. Furcht, daß ſie ſogleich in die /benachbarten Pflanzungen ſchicken und die /Neger zur Überwaͤltigung des Fremden her/beirufen moͤchte, bewog ſie, ſich anzukleiden /45 und ihr unverzuͤglich in das untere Wohn/zimmer zu folgen. Sie ſtellte ſich sich, [emendiert] sich, [emendiert ohne Hinweis] waͤh/rend dieſe verſtoͤrt den Speiſeſchrank, bei / 1010 welchem ſie ein Geſchaͤft zu haben ſchien, ver/ließ, und ſich an einen Spinnrocken nieder/ſetzte, vor das an die Thuͤr geſchlagene Man/dat, in welchem allen Schwarzen bei Lebens/ſtrafe verboten war, den Weißen Schutz und /Obdach zu geben; und gleichſam als ob ſie, /von Schrecken ergriffen, das Unrecht, das das [emendiert ohne Hinweis] /ſie begangen, einſaͤhe, wandte ſie ſich ploͤtz/lich, und fiel der Mutter, die ſie, wie ſie /wohl wußte, von hinten beobachtet hatte, zu / 1020 Fuͤßen. Sie bat, die Kniee derſelben um/klammernd, ihr die raſenden Aeußerungen, /die ſie ſich zu Gunſten des Fremden erlaubt, /zu vergeben; entſchuldigte ſich mit dem Zu/ſtand, halb traͤumend, halb wachend, in /welchem ſie von ihr mit den Vorſchlaͤgen zu /ſeiner Ueberliſtung, da ſie noch im Bette ge/legen, uͤberraſcht worden ſei, und meinte, daß /ſie ihn ganz und gar der Rache der beſtehen/den Landesgeſetze, die ſeine Vernichtung ein/ 1030 46mal beſchloſſen, Preis gaͤbe. Die Alte, nach /einer Pauſe, in der ſie das Maͤdchen unver/wandt betrachtete, ſagte: „Beim Himmel, /dieſe deine Erklaͤrung rettet ihm fuͤr heute /das Leben! Denn die Speiſe, da du ihn in /deinen Schutz zu nehmen drohteſt, war ſchon /vergiftet, die ihn der Gewalt Congo Hoan/go’s, ſeinem Befehl gemaͤß, wenigſtens todt /uͤberliefert haben wuͤrde.“ Und damit ſtand /ſie auf und ſchuͤttete einen Topf mit Milch, / 1040 der auf dem Tiſch ſtand, aus dem Fenſter. /Toni, welche ihren Sinnen nicht traute, /ſtarrte, von Entſetzen ergriffen, die Mutter /an. Die Alte, waͤhrend ſie ſich wieder nie/derſetzte, und das Maͤdchen, das noch im/mer auf den Knieen dalag, vom Boden auf/hob, fragte: „was denn im Lauf einer ein/zigen Nacht ihre Gedanken ſo ploͤtzlich um/gewandelt haͤtte? Ob ſie geſtern, nachdem ſie /ihm das Bad bereitet, noch lange bei ihm ge/ 1050 weſen waͤre? Und ob ſie viel mit dem Frem/den geſprochen haͤtte?“ Doch Toni, deren /Bruſt flog, antwortete hierauf nicht, oder /47nichts Beſtimmtes; das Auge zu Boden ge/ſchlagen, ſtand ſie, indem ſie ſich den Kopf /hielt, und berief ſich auf einen Traum; ein /Blick jedoch auf die Bruſt ihrer ungluͤckli/chen Mutter, ſprach ſie, indem ſie ſich raſch /buͤckte und ihre Hand kuͤßte, rufe ihr die /ganze Unmenſchlichkeit der Gattung, zu der / 1060 dieſer Fremde gehoͤre, wieder ins Gedaͤchtniß /zuruͤck: und betheuerte, indem ſie ſich um/kehrte und das Geſicht in ihre Schuͤrze druͤck/te, daß, ſobald der Neger Hoango eingetrof/fen waͤre, ſie ſehen wuͤrde, was ſie an ihr /fuͤr eine Tochter habe. /
Babekan ſaß noch in Gedanken verſenkt, /und erwog, woher wohl die ſonderbare Leiden/ſchaftlichkeit des Maͤdchens entſpringe: als /der Fremde mit einem in ſeinem Schlafge/ 1070 mach geſchriebenen Zettel, worin er die Fa/milie einlud, einige Tage in der Pflanzung /des Negers Hoango zuzubringen, in das Zim/mer trat. Er gruͤßte ſehr heiter und freund/lich die Mutter und die Tochter, und bat, in/dem er der Alten den Zettel uͤbergab: daß man /48ſogleich in die Waldung ſchicken und fuͤr die /Geſellſchaft, dem ihm gegebenen Verſprechen /gemaͤß, Sorge tragen moͤchte. Babekan ſtand /auf und ſagte, mit einem Ausdruck von Un/ 1080 ruhe, indem ſie den Zettel in den Wandſchrank /legte: „Herr, wir muͤſſen euch bitten, euch /ſogleich in euer Schlafzimmer zuruͤck zu ver/fuͤgen. Die Straße iſt voll von einzelnen /Negertrupps, die voruͤberziehen und uns an/melden, daß ſich der General Deſſalines mit /ſeinem Heer in dieſe Gegend wenden werde. /Dies Haus, das jedem offen ſteht, gewaͤhrt /euch keine Sicherheit, falls ihr euch nicht in /eurem, auf den Hof hinausgehenden, Schlaf/ 1090 gemach verbergt, und die Thuͤren ſowohl, als /auch die Fenſterladen, auf das Sorgfaͤltigſte /verſchließt.“ — Wie? ſagte der Fremde be/troffen: der General Deſſalines — „Fragt /nicht!“ unterbrach ihn die Alte, indem ſie /mit einem Stock dreimal auf den Fußboden /klopfte: „in eurem Schlafgemach, wohin ich /euch folgen werde, will ich euch Alles erklaͤ/ren.“ Der Fremde von der Alten mit aͤngſt/ 49lichen Gebehrden aus dem Zimmer gedraͤngt, / 1100 wandte ſich noch einmal unter der Thuͤr und /rief: aber wird man der Familie, die meiner /harrt, nicht wenigſtens einen Boten zuſen/den muͤſſen, der ſie — ? „Es wird Alles be/ſorgt werden,“ fiel ihm die Alte ein, waͤh/rend, durch ihr Klopfen gerufen, der Ba/ſtardknabe, den wir ſchon kennen, hereinkam; /und damit befahl ſie Toni, die, dem Frem/den den Ruͤcken zukehrend, vor den Spiegel /getreten war, einen Korb mit Lebensmitteln, / 1110 der in dem Winkel ſtand, aufzunehmen; und /Mutter, Tochter, der Fremde und der Knabe /begaben ſich in das Schlafzimmer hinauf. /
Hier erzaͤhlte die Alte, indem ſie ſich auf /gemaͤchliche Weiſe auf den Seſſel niederließ, /wie man die ganze Nacht uͤber auf den, den /Horizont abſchneidenden Bergen, die Feuer /des Generals Deſſalines ſchimmern geſehen: /ein Umſtand, der in der That gegruͤndet war, /obſchon ſich bis dieſen Augenblick noch kein / 1120 einziger Neger von ſeinem Heer, das ſuͤd/weſtlich [liest ›sudwestlich‹] [liest ›sudwestlich‹] gegen Port au Prince anruͤckte, in / 50dieſer Gegend gezeigt hatte. Es gelang ihr, /den Fremden dadurch in einen Wirbel von /Unruhe zu ſtuͤrzen, den ſie jedoch nachher /wieder durch die Verſicherung, daß ſie alles /Moͤgliche, ſelbſt in dem ſchlimmen Fall, daß /ſie Einquartierung bekaͤme, zu ſeiner Ret/tung beitragen wuͤrde, zu ſtillen wußte. /Sie nahm, auf die wiederholte inſtaͤndige / 1130 Erinnerung desſelben, unter dieſen Umſtaͤn/den ſeiner Familie wenigſtens mit Lebensmit/teln beizuſpringen, der Tochter den Korb /aus der Hand, und indem ſie ihn dem Kna/ben gab, ſagte ſie ihm: „er ſolle an den Moͤ/wenweiher, in die nahgelegnen Waldberge hin/aus gehen, und ihn der daſelbſt befindlichen /Familie des fremden Offiziers uͤberbringen. /Der Offizier ſelbſt,“ ſolle er hinzuſetzen, /„befinde ſich wohl; Freunde der Weißen, / 1140 die ſelbſt viel der Parthei wegen, die ſie er/griffen, von den Schwarzen leiden muͤßten, /haͤtten ihn in ihrem Hauſe mitleidig aufge/nommen. Sie ſchloß, daß ſobald die Land/ſtraße nur von den bewaffneten Negerhaufen, /51 die man erwartete, befreit waͤre, man ſogleich /Anſtalten treffen wuͤrde, auch ihr, der Fa/milie, ein Unterkommen in dieſem Hauſe zu /verſchaffen. — Haſt du verſtanden? fragte /ſie, da ſie geendet hatte. Der Knabe, indem / 1150 er den Korb auf ſeinen Kopf ſetzte, antwor/tete: daß er den ihm beſchriebenen Moͤwen/weiher, an dem er zuweilen mit ſeinen Ka/meraden zu fiſchen pflege, gar wohl kenne, /und daß er Alles, wie man es ihm aufgetra/gen, an die daſelbſt uͤbernachtende Familie /des fremden Herrn beſtellen wuͤrde. Der /Fremde zog ſich, auf die Frage der Alten: /ob er noch etwas hinzuzuſetzen haͤtte? noch /einen Ring vom Finger, und haͤndigte ihn / 1160 dem Knaben ein, mit dem Auftrag, ihn zum /Zeichen, daß es mit den uͤberbrachten Mel/dungen ſeine Richtigkeit habe, dem Oberhaupt /der Familie, Hrn. Stroͤmli, zu uͤbergeben. /Hierauf traf die Mutter mehrere, die Sicher/heit des Fremden, wie ſie ſagte, abzweckende /Veranſtaltungen; befahl Toni, die Fenſter/laden zu verſchließen, und zuͤndete ſelbſt, um / 52die Nacht, die dadurch in dem Zimmer herr/ſchend geworden war, zu zerſtreuen, an ei/ 1170 nem auf dem Kaminſims befindlichen Feuer/zeug, nicht ohne Muͤhſeligkeit, indem der /Zunder nicht fangen wollte, ein Licht an. /Der Fremde benutzte dieſen Augenblick, um /den Arm ſanft um Toni’s Leib zu legen, /und ihr ins Ohr zu fluͤſtern: wie ſie geſchla/fen? und: ob er die Mutter nicht von dem, /was vorgefallen, unterrichten ſolle? doch auf /die erſte Frage antwortete Toni nicht, und /auf die andere verſetzte ſie, indem ſie ſich aus / 1180 ſeinem Arm loswand: nein, wenn ihr mich /liebt, kein Wort! Sie unterdruͤckte die Angſt, /die alle dieſe luͤgenhaften Anſtalten in ihr er/weckten; und unter dem Vorwand, dem Frem/den ein Fruͤhſtuͤck zu bereiten, ſtuͤrzte ſie ei/lig in das untere Wohnzimmer herab. /
Sie nahm aus dem Schrank der Mutter /den Brief, worin der Fremde in ſeiner Un/ſchuld die Familie eingeladen hatte, dem Kna/ben in die Niederlaſſung zu folgen: und auf / 1190 gut Gluͤck hin, ob die Mutter ihn vermiſſen /wuͤrde, entſchloſſen, im ſchlimmſten Falle den /53Tod mit ihm zu leiden, flog ſie damit dem /ſchon auf der Landſtraße wandernden Knaben /nach. Denn ſie ſah den Juͤngling, vor Gott /und ihrem Herzen, nicht mehr als einen blo/ßen Gaſt, dem ſie Schutz und Obdach gege/ben, ſondern als ihren Verlobten und Ge/mahl an, und war Willens, ſobald nur ſeine /Parthei im Hauſe ſtark genug ſeyn wuͤrde, / 1200 dies der Mutter, auf deren Beſtuͤrzung ſie /unter dieſen Umſtaͤnden rechnete, ohne Ruͤck/halt zu erklaͤren. „Nanky,“ ſprach ſie, da /ſie den Knaben athemlos und eilfertig auf der /Landſtraße erreicht hatte: „die Mutter hat /ihren Plan, die Familie Hrn. Stroͤmli’s an/betreffend, umgeaͤndert. Nimm dieſen Brief! /Er lautet an Hrn. Stroͤmli, das alte Ober/haupt der Familie, und enthaͤlt die Einladung, /einige Tage mit Allem, was zu ihm gehoͤrt, / 1210 in unſerer Niederlaſſung zu verweilen. — Sey /klug und trage ſelbſt alles Moͤgliche dazu bei, /dieſen Entſchluß zur Reife zu bringen; Con/go Hoango, der Neger, wird, wenn er wie/derkoͤmmt, es dir lohnen!“ Gut, gut, Baſe /54Toni, antwortete der Knabe. Er fragte, in/dem er den Brief ſorgſam eingewickelt in /ſeine Taſche ſteckte: und ich ſoll dem Zuge, /auf ſeinem Wege hierher, zum Fuͤhrer die/nen? „Allerdings,“ verſetzte Toni; „das / 1220 verſteht ſich, weil ſie die Gegend nicht ken/nen, von ſelbſt. Doch wirſt du, moͤglicher /Truppenmaͤrſche wegen, die auf der Land/ſtraße ſtatt finden koͤnnten, die Wanderung /eher nicht, als um Mitternacht antreten; /aber dann dieſelbe auch ſo beſchleunigen, daß /du vor der Daͤmmerung des Tages hier ein/triffſt. [liest ›eintriffst‹ und emendiert in ›eintriffst.‹] [liest ›eintriffst‹ und emendiert in ›eintriffst.‹] — Kann man ſich auf dich verlaſſen? /fragte ſie. Verlaßt euch auf Nanky! antwor/tete der Knabe; ich weiß, warum ihr dieſe / 1230 weißen Fluͤchtlinge in die Pflanzung lockt, /und der Neger Hoango ſoll mit mir zufrie/den ſeyn! /
Hierauf trug Toni dem Fremden das Fruͤh/ſtuͤck auf; und nachdem es wieder abgenom/men war, begaben ſich Mutter und Tochter, /ihrer haͤuslichen Geſchaͤfte wegen, in das vor/dere Wohnzimmer zuruͤck. Es konnte nicht /55fehlen, daß die Mutter einige Zeit darauf an /den Schrank trat, und, wie es natuͤrlich / 1240 war, den Brief vermißte. Sie legte die Hand, /unglaͤubig gegen ihr Gedaͤchtniß, einen Au/genblick an den Kopf, und fragte Toni: wo /ſie den Brief, den ihr der Fremde gegeben, /wohl hingelegt haben koͤnne? Toni antwortete /nach einer kurzen Pauſe, in der ſie auf den /Boden niederſah: daß ihn der Fremde ja, /ihres Wiſſens, wieder eingeſteckt und oben im /Zimmer, in ihrer beider Gegenwart, zerriſſen /habe! Die Mutter ſchaute das Maͤdchen mit / 1250 großen Augen an; ſie meinte, ſich beſtimmt /zu erinnern, daß ſie den Brief aus ſeiner /Hand empfangen und in den Schrank gelegt /habe; doch da ſie ihn nach vielem vergeblichen /Suchen darin nicht fand, und ihrem Gedaͤcht/niß, mehrerer aͤhnlichen Vorfaͤlle wegen, mis/traute: ſo blieb ihr zuletzt nichts uͤbrig, als /der Meinung, die ihr die Tochter geaͤußert, /Glauben zu ſchenken. Inzwiſchen konnte ſie /ihr lebhaftes Misvergnuͤgen uͤber dieſen Um/ 1260 ſtand nicht unterdruͤcken, und meinte, daß /56 der Brief dem Neger Hoango, um die Fa/milie in die Pflanzung hereinzubringen, von /der groͤßten Wichtigkeit geweſen ſeyn wuͤrde. /Am Mittag und Abend, da Toni den Frem/den mit Speiſen bediente, nahm ſie, zu ſei/ner Unterhaltung an der Tiſchecke ſitzend, meh/reremal Gelegenheit, ihn nach dem Briefe zu /fragen; doch Toni war geſchickt genug, das /Geſpraͤch, ſo oft es auf dieſen gefaͤhrlichen / 1270 Punkt kam, abzulenken oder zu verwirren; /dergeſtalt, daß die Mutter durch die Erklaͤ/rungen des Fremden uͤber das eigentliche Schick/ſal des Briefes auf keine Weiſe ins Reine /kam. So verfloß der Tag; die Mutter ver/ſchloß nach dem Abendeſſen aus Vorſicht, wie /ſie ſagte, des Fremden Zimmer; und nach/dem ſie noch mit Toni uͤberlegt hatte, durch /welche Liſt ſie ſich von neuem, am folgenden /Tage, in den Beſitz eines ſolchen Briefes ſez/ 1280 zen koͤnne, begab ſie ſich zur Ruhe, und be/fahl dem Maͤdchen gleichfalls, zu Bette zu /gehen. /
Sobald Toni, die dieſen Augenblick mit /57 Sehnſucht erwartet hatte, ihre Schlafkammer /erreicht und ſich uͤberzeugt hatte, daß die /Mutter entſchlummert war, ſtellte ſie das /Bildniß der heiligen Jungfrau, das neben /ihrem Bette hing, auf einen Seſſel, und ließ /ſich mit verſchraͤnkten Haͤnden auf Knieen da/ 1290 vor nieder. Sie flehte den Erloͤſer, ihren goͤttli/chen Sohn, in einem Gebet voll unendlicher /Innbrunſt, um Muth und Standhaftigkeit an, /dem Juͤngling, dem ſie ſich zu eigen gegeben, /das Geſtaͤndniß der Verbrechen, die ihren /jungen Buſen beſchwerten, abzulegen. Sie /gelobte, dieſem, was es ihrem Herzen auch /koſten wuͤrde, nichts, auch nicht die Abſicht, /erbarmungslos und entſetzlich, in der ſie ihn /geſtern in das Haus gelockt, zu verbergen; / 1300 doch um der Schritte willen, die ſie bereits /zu ſeiner Rettung gethan, wuͤnſchte ſie, daß /er ihr vergeben, und ſie als ſein treues Weib /mit ſich nach Europa fuͤhren moͤchte. Durch /dies Gebet wunderbar geſtaͤrkt, ergriff ſie, /indem ſie aufſtand, den Hauptſchluͤſſel, der /alle Gemaͤcher des Hauſes ſchloß, und ſchritt /58damit langſam, ohne Licht, uͤber den ſchmalen /Gang, der das Gebaͤude durchſchnitt, dem /Schlafgemach des Fremden zu. Sie oͤffnete / 1310 das Zimmer leiſe und trat vor ſein Bett, wo /er in tiefen Schlaf verſenkt ruhte. Der /Mond beſchien ſein bluͤhendes Antlitz, und /der Nachtwind, der durch die geoͤffneten Fen/ſter eindrang, ſpielte mit dem Haar auf ſei/ner Stirn. Sie neigte ſich ſanft uͤber ihn /und rief ihn, ſeinen ſuͤßen Athem einſaugend, /beim Namen; aber ein tiefer Traum, von /dem ſie der Gegenſtand zu ſeyn ſchien, be/ſchaͤftigte ihn: wenigſtens hoͤrte ſie, zu wie/ 1320 derholten Malen, von ſeinen gluͤhenden, zit/ternden Lippen das gefluͤſterte Wort: Toni! /Wehmuth, die nicht zu beſchreiben iſt, ergriff /ſie; ſie konnte ſich nicht entſchließen, ihn aus /den Himmeln lieblicher Einbildung in die /Tiefe einer gemeinen und elenden Wirklichkeit /herabzureißen; und in der Gewißheit, daß er /ja fruͤh oder ſpaͤt von ſelbſt erwachen muͤſſe, /kniete ſie an ſeinem Bette nieder und uͤber/deckte ſeine theure Hand mit Kuͤſſen./ 1330
59Aber wer beſchreibt das Entſetzen, das /wenige Augenblicke darauf ihren Buſen ergriff, /als ſie ploͤtzlich, im Innern des Hofraums, /ein Geraͤuſch von Menſchen, Pferden und /Waffen hoͤrte, und darunter ganz deutlich die /Stimme des Negers Congo Hoango erkannte, /der unvermutheter Weiſe mit ſeinem ganzen /Troß aus dem Lager des Generals Deſſali/nes zuruͤckgekehrt war. Sie ſtuͤrzte, den /Mondſchein, der ſie zu verrathen drohte, ſorg/ 1340 ſam vermeidend, hinter die Vorhaͤnge des Fenſters, Fensters, [emendiert ohne Hinweis] und hoͤrte auch ſchon die Mutter, welche /dem Neger von Allem, was waͤhrend deſſen /vorgefallen war, auch von der Anweſenheit /des europaͤiſchen Fluͤchtlings im Hauſe, Nach/richt gab. Der Neger befahl den Seinigen, /mit gedaͤmpfter Stimme, im Hofe ſtill zu /ſeyn. Er fragte die Alte, wo der Fremde in /dieſem Augenblick befindlich ſey? worauf dieſe /ihm das Zimmer bezeichnete, und ſogleich auch / 1350 Gelegenheit nahm, ihn von dem ſonderbaren /und auffallenden Geſpraͤch, das ſie, den Fluͤcht/ling betreffend, mit der Tochter gehabt hatte, /60zu unterrichten. Sie verſicherte dem Neger, /daß das Maͤdchen eine Verraͤtherinn, und der /ganze Anſchlag, desſelben habhaft zu werden, /in Gefahr ſey, zu ſcheitern. Wenigſtens ſey /die Spitzbuͤbin, wie ſie bemerkt, heimlich beim /Einbruch der Nacht in ſein Bette geſchlichen, /wo ſie noch bis dieſen Augenblick in guter / 1360 Ruhe befindlich ſey; und wahrſcheinlich, wenn /der Fremde nicht ſchon entflohen ſey, werde /derſelbe eben jetzt gewarnt, und die Mittel, /wie ſeine Flucht zu bewerkſtelligen ſey, mit /ihm verabredet. Der Neger, der die Treue /des Maͤdchens ſchon in aͤhnlichen Faͤllen er/probt hatte, antwortete: es waͤre wohl nicht /moͤglich? Und: Kelly! rief er wuͤthend, und: /Omra! Nehmt eure Buͤchſen! Und damit, /ohne weiter ein Wort zu ſagen, ſtieg er, im / 1370 Gefolge aller ſeiner Neger, die Treppe hin/auf, und begab ſich in das Zimmer des /Fremden. /
Toni, vor deren Augen ſich, waͤhrend /weniger Minuten, dieſer ganze Auftritt abge/ſpielt hatte, ſtand, gelaͤhmt an allen Gliedern, /61als ob ſie ein Wetterſtrahl getroffen haͤtte, da. /Sie dachte einen Augenblick daran, den Frem/den zu wecken; doch theils war, wegen Be/ſetzung des Hofraums, keine Flucht fuͤr ihn / 1380 moͤglich, theils auch ſah ſie voraus, daß er /zu den Waffen greifen, und ſomit bei der /Ueberlegenheit der Neger, Zubodenſtreckung /unmittelbar ſein Loos ſeyn wuͤrde. Ja, die /entſetzlichſte Ruͤckſicht, die ſie zu nehmen genoͤ/thigt war, war dieſe, daß der Ungluͤckliche /ſie ſelbſt, wenn er ſie in dieſer Stunde bei /ſeinem Bette faͤnde, fuͤr eine Verraͤtherinn /halten, und, ſtatt auf ihren Rath zu hoͤren, /in der Raſerei eines ſo heilloſen Wahns, dem / 1390 Neger Hoango voͤllig beſinnungslos in die /Arme laufen wuͤrde. In dieſer unausſprech/lichen Angſt fiel ihr ein Strick in die Augen, /welcher, der Himmel weiß durch welchen /Zufall, an dem Riegel der Wand hing. Gott /ſelbſt, meinte ſie, indem ſie ihn herabriß, /haͤtte ihn zu ihrer und des Freundes Rettung /dahin gefuͤhrt. Sie umſchlang den Juͤngling, /vielfache Knoten ſchuͤrzend, an Haͤnden und /62Fuͤßen damit; und nachdem ſie, ohne darauf / 1400 zu achten, daß er ſich ruͤhrte und ſtraͤubte, /die Enden angezogen und an das Geſtell des /Bettes feſtgebunden hatte: druͤckte ſie, froh, /des Augenblicks maͤchtig geworden zu ſeyn, /einen Kuß auf ſeine Lippen, und eilte dem /Neger Hoango, der ſchon auf der Treppe /klirrte, entgegen. /
Der Neger, der dem Bericht der Alten, /Toni anbetreffend, immer noch keinen Glau/ben ſchenkte, ſtand, als er ſie aus dem be/ 1410 zeichneten Zimmer hervortreten ſah, beſtuͤrzt /und verwirrt, im Corridor mit ſeinem Troß /von Fackeln und Bewaffneten ſtill. Er rief: /„die Treuloſe! die Bundbruͤchige!“ und indem /er ſich zu Babekan wandete, wandte, [emendiert] wandte, [emendiert ohne Hinweis] welche einige /Schritte vorwaͤrts gegen die Thuͤr des Frem/den gethan hatte, fragte er: „iſt der Fremde /entflohn?“ Babekan, welche die Thuͤr, ohne /hineinzuſehen, offen gefunden hatte, rief, in/dem ſie als eine Wuͤthende zuruͤckkehrte: Die / 1420 Gaunerinn! Sie hat ihn entwiſchen laſſen! /Eilt, und beſetzt die Ausgaͤnge, ehe er das /63weite Feld erreicht! „Was giebt’s?“ fragte /Toni, indem ſie mit dem Ausdruck des Er/ſtaunens den Alten und die Neger, die ihn /umringten, anſah. Was es giebt? erwiederte /Hoango; und damit ergriff er ſie bei der /Bruſt und ſchleppte ſie nach dem Zimmer hin. /„Seid ihr raſend?“ rief Toni, indem ſie den /Alten, der bei dem ſich ihm darbietenden An/ 1430 blick erſtarrte, von ſich ſtieß: „da liegt der /Fremde, von mir in ſeinem Bette feſtgebun/den; und, beim Himmel, es iſt nicht die /ſchlechteſte That, die ich in meinem Leben /gethan!“ Bei dieſen Worten kehrte ſie ihm /den Ruͤcken zu, und ſetzte ſich, als ob ſie wein/te, an einen Tiſch nieder. Der Alte wandte /ſich gegen die in Verwirrung zur Seite ſte/hende Mutter und ſprach: o Babekan, mit wel/chem Maͤhrchen haſt du mich getaͤuſcht? „Dem / 1440 Himmel ſey Dank,“ antwortete die Mutter, /indem ſie die Stricke, mit welchen der Frem/de gebunden war, verlegen unterſuchte; „der /Fremde iſt da, obſchon ich von dem Zuſam/menhang nichts begreife.“ Der Neger trat, /64das Schwerdt in die Scheide ſteckend, an das /Bett und fragte den Fremden: wer er ſey? /woher er komme und wohin er reiſe? Doch /da dieſer, unter krampfhaften Anſtrengungen /ſich loszuwinden, nichts hervorbrachte, als, / 1450 auf jaͤmmerlich ſchmerzhafte Weiſe: o Toni! /o Toni! — ſo nahm die Mutter das Wort /und bedeutete ihm, daß er ein Schweizer ſey, /Namens Guſtav von der Ried, und daß er /mit einer ganzen Familie europaͤiſcher Hunde, /welche in dieſem Augenblick in den Berghoͤh/len am Moͤwenweiher verſteckt ſey, von dem /Kuͤſtenplatz Fort Dauphin komme. Hoango, /der das Maͤdchen, den Kopf ſchwermuͤthig /auf ihre Haͤnde geſtuͤtzt, daſitzen ſah, trat / 1460 zu ihr und nannte ſie ſein liebes Maͤdchen; /klopfte ihr die Wangen, und forderte ſie auf, /ihm den uͤbereilten Verdacht, den er ihr /geaͤußert, zu vergeben. Die Alte, die gleich/falls vor das Maͤdchen hingetreten war, ſtaͤmm/te die Arme kopfſchuͤttelnd in die Seite und /fragte: weshalb ſie denn den Fremden, der /doch von der Gefahr, in der er ſich befun/65den, gar nichts gewußt, mit Stricken in dem /Bette feſtgebunden habe? Toni, vor Schmerz / 1470 und Wuth in der That weinend, antwortete, /ploͤtzlich zur Mutter gekehrt: „weil du keine /Augen und Ohren haſt! Weil er die Gefahr, /in der er ſchwebte, gar wohl begriff! Weil /er entfliehen wollte; weil er mich gebeten hat/te, ihm zu ſeiner Flucht behuͤlflich zu ſeyn; /weil er einen Anſchlag auf dein eignes Leben /gemacht hatte, und ſein Vorhaben bei An/bruch des Tages ohne Zweifel, wenn ich ihn /nicht ſchlafend gebunden haͤtte, in Ausfuͤhrung / 1480 gebracht haben wuͤrde.“ Der Alte liebkoſete /und beruhigte das Maͤdchen, und befahl Ba/bekan, von dieſer Sache zu ſchweigen. Er /rief ein Paar Schuͤtzen mit Buͤchſen vor, um /das Geſetz, dem der Fremdling verfallen war, /augenblicklich an demſelben zu vollſtrecken; /aber Babekan fluͤſterte ihm heimlich zu: „nein, /um’s Himmels willen, Hoango!“ — Sie /nahm ihn auf die Seite und bedeutete ihm: /„Der Fremde muͤſſe, bevor er hingerichtet / 1490 werde, eine Einladung aufſetzen, um vermit/66telſt derſelben die Familie, deren Bekaͤmpfung /im Walde manchen Gefahren ausgeſetzt ſey, /in die Pflanzung zu locken.“ — Hoango, in /Erwaͤgung, daß die Familie wahrſcheinlich /nicht unbewaffnet ſeyn werde, gab dieſem Vor/ſchlage ſeinen Beifall; er ſtellte, weil es zu ſpaͤt /war, den Brief verabredeter Maßen ſchreiben /zu laſſen, zwei Wachen bei dem weißen Fluͤcht/ling aus; und nachdem er noch, der Sicher/ 1500 heit wegen, die Stricke unterſucht, auch, weil /er ſie zu locker befand, ein Paar Leute her/beigerufen hatte, um ſie noch enger zuſam/menzuziehen, verließ er mit ſeinem ganzen /Troß das Zimmer, und Alles nach und nach /begab ſich zur Ruh. /
Aber Toni, welche nur ſcheinbar dem Al/ten, der ihr noch einmal die Hand gereicht, /gute Nacht geſagt und ſich zu Bette gelegt /hatte, ſtand, ſobald ſie Alles im Hauſe ſtill / 1510 ſah, wieder auf, ſchlich ſich durch eine Hin/terpforte des Hauſes auf das freie Feld hin/aus, und lief, die wildeſte Verzweiflung im /Herzen, auf dem, die Landſtraße durchkreu/67zenden, Wege der Gegend zu, von welcher /die Famile Familie [emendiert] Familie [emendiert ohne Hinweis] Hrn. Stroͤmli’s herankommen muß/te. Denn die Blicke voll Verachtung, die der /Fremde von ſeinem Bette aus auf ſie gewor/fen hatte, waren ihr empfindlich, wie Meſ/ſerſtiche, durchs Herz gegangen; es miſchte / 1520 ſich ein Gefuͤhl heißer Bitterkeit in ihre Liebe /zu ihm, und ſie frohlockte bei dem Gedanken, /in dieſer zu ſeiner Rettung angeordneten Un/ternehmung zu ſterben. Sie ſtellte ſich, in /der Beſorgniß, die Familie zu verfehlen, an /den Stamm einer Pinie, bei welcher, falls /die Einladung angenommen worden war, die /Geſellſchaft voruͤberziehen mußte, und kaum /war auch, der Verabredung gemaͤß, der erſte /Strahl der Daͤmmerung am Horizont ange/ 1530 brochen, als Nankys, des Knaben, Stimme, /der dem Troſſe zum Fuͤhrer diente, ſchon fern/her unter den Baͤumen des Waldes hoͤrbar /ward. /
Der Zug beſtand aus Hrn. Stroͤmli und /ſeiner Gemahlinn, welche letztere auf einem /Mauleſel ritt; fuͤnf Kindern desſelben, deren / 68zwei, Adelbert und Gottfried, Juͤnglinge von /18 und 17 Jahren, neben dem Mauleſel her/gingen; drei Dienern und zwei Maͤgden, wo/ 1540 von die eine, einen Saͤugling an der Bruſt, / auf [liest ›auf‹] [liest ›auf‹] dem andern Mauleſel ritt; in allem aus /zwoͤlf Perſonen. Er bewegte ſich langſam /uͤber die den Weg durchflechtenden Kienwur/zeln, dem Stamm der Pinie zu: wo Toni, /ſo geraͤuſchlos, als niemand zu erſchrecken noͤ/thig war, aus dem Schatten des Baums /hervortrat, und dem Zuge zurief: Halt! Der /Knabe kannte ſie ſogleich; und auf ihre Fra/ge: wo Herr Stroͤmli ſei? waͤhrend Maͤn/ 1550 ner, Weiber und Kinder ſie umringten, ſtellte /dieſer ſie freudig dem alten Oberhaupt der Fa/milie, Herrn Stroͤmli, vor. „Edler Herr!“ /ſagte Toni, indem ſie die Begruͤßungen des/ſelben mit feſter Stimme unterbrach: „der /Neger Hoango iſt, auf uͤberraſchende Weiſe, /mit ſeinem ganzen Troß in die Niederlaſſung /zuruͤck gekommen. Ihr koͤnnt jetzt, ohne die /groͤßeſte Lebensgefahr, nicht darin einkehren; /ja, euer Vetter, der zu ſeinem Ungluͤck eine / 1560 69Aufnahme darin fand fand, [emendiert] fand, [emendiert] iſt verloren, wenn ihr /nicht zu den Waffen greift, und mir, zu /ſeiner Befreiung aus der Haft, in welcher /ihn der Neger Hoango gefangen haͤlt, in /die Pflanzung folgt!“ Gott im Himmel! /riefen, von Schrecken erfaßt, alle Mitglieder /der Familie; und die Mutter, die krank und /von der Reiſe erſchoͤpft war, fiel von dem /Maulthier ohnmaͤchtig auf den Boden nieder. /Toni, waͤhrend, auf den den [emendiert ohne Hinweis] Ruf Herrn Stroͤmli’s Stroͤmli’s [emendiert ohne Hinweis] die Maͤgde herbeieilten, um ihrer Frau /zu helfen, fuͤhrte, von den Juͤnglingen mit /Fragen beſtuͤrmt, Herrn Stroͤmli und die /uͤbrigen Maͤnner, aus Furcht vor dem Kna/ben Nanky, auf die Seite. Sie erzaͤhlte den /Maͤnnern, ihre Thraͤnen vor Scham und /Reue nicht zuruͤckhaltend, Alles, was vorge/fallen; wie die Verhaͤltniſſe, in dem Augen/blick, da der Juͤngling eingetroffen, im Hauſe /beſtanden; wie das Geſpraͤch, das ſie unter / 1580 vier Augen mit ihm gehabt, dieſelben auf /ganz unbegreifliche Weiſe veraͤndert; was ſie /bei der Ankunft des Negers, faſt wahnſinnig /70vor Angſt, gethan, und wie ſie nun Tod und /Leben daran ſetzen wolle, ihn aus der Ge/fangenſchaft, worin ſie ihn ſelbſt geſtuͤrzt, wie/der zu befreien.“ Meine Waffen! rief Herr /Stroͤmli, indem er zu dem Maulthier ſeiner /Frau eilte und ſeine Buͤchſe herabnahm. Er /ſagte, waͤhrend auch Adelbert und Gottfried, / 1590 ſeine ruͤſtigen Soͤhne, und die drei wackern /Diener ſich bewaffneten: Vetter Auguſt hat /mehr als Einem von uns das Leben gerettet; /jetzt iſt es an uns, ihm den gleichen Dienſt /zu thun; und damit hob er ſeine Frau, welche /ſich erholt hatte, wieder auf das Maulthier, /ließ dem Knaben Nanky, aus Vorſicht, als /eine Art von Geißel, die Haͤnde binden; /ſchickte den ganzen Troß, Weiber und Kin/der, unter dem bloßen Schutz ſeines dreizehn/ 1600 jaͤhrigen, gleichfalls bewaffneten Sohnes, Fer/dinand, an den Moͤwenweiher zuruͤck; und /nachdem er noch Toni, welche ſelbſt einen /Helm und einen Spieß genommen hatte, uͤber /die Staͤrke der Neger und ihre Vertheilung /im Hofraume ausgefragt und ihr verſprochen /71hatte, Hoango’s ſowohl, als ihrer Mutter, /ſo viel es ſich thun ließ, bei dieſer Unterneh/mung zu ſchonen: ſtellte er ſich muthig, und /auf Gott vertrauend, an die Spitze ſeines / 1610 kleinen Haufens, und brach, von Toni ge/fuͤhrt, in die Niederlaſſung auf. /
Toni, ſobald der Haufen durch die hintere /Pforte eingeſchlichen war, zeigte Herrn /Stroͤmli das Zimmer, in welchem Hoango /und Babekan ruhten; und waͤhrend Herr /Stroͤmli geraͤuſchlos mit ſeinen Leuten in das /offne Haus eintrat, und ſich ſaͤmmtlicher zu/ſammengeſetzter Gewehre der Neger bemaͤch/tigte, ſchlich ſie zur Seite ab in den Stall, / 1620 in welchem der fuͤnfjaͤhrige Halbbruder des /Nanky, Seppy, ſchlief. Denn Nanky und /Seppy, Baſtardkinder des alten Hoango, /waren dieſem, beſonders der letzte, deſſen /Mutter kuͤrzlich geſtorben war, ſehr theuer; /und da, ſelbſt in dem Fall, daß man den /gefangenen Juͤngling befreite, der Ruͤckzug /an den Moͤwenweiher und die Flucht von /dort nach Port au Prince, der ſie ſich anzu/72ſchließen gedachte, noch mancherlei Schwie/ 1630 rigkeiten ausgeſetzt war: ſo ſchloß ſie nicht /unrichtig, daß der Beſitz beider Knaben, als /einer Art von Unterpfand, dem Zuge, bei /etwaniger Verfolgung der Negern, von gro/ßem Vortheil ſeyn wuͤrde. Es gelang ihr, /den Knaben ungeſehen aus ſeinem Bette zu /heben, und in ihren Armen, halb ſchlafend, /halb wachend, in das Hauptgebaͤude hinuͤber/zutragen. Inzwiſchen war Herr Stroͤmli, /ſo heimlich, als es ſich thun ließ, mit ſeinem / 1640 Haufen in Hoango’s Stubenthuͤre eingetre/ten; aber ſtatt ihn und Babekan, wie er /glaubte, im Bette zu finden, ſtanden, durch /das Geraͤuſch geweckt, beide, obſchon halb/nackt und huͤlflos, in der Mitte des Zimmers /da. Herr Stroͤmli, indem er ſeine Buͤchſe /in die Hand nahm, rief: ſie ſollten ſich erge/ben, oder ſie waͤren des Todes! doch Hoan/go, ſtatt aller Antwort, riß ein Piſtol von /der Wand und platzte es, Herrn Stroͤmli / 1650 am Kopf ſtreifend, unter die Menge los. /Herrn Stroͤmli’s Haufen, auf dies Signal, /73fiel wuͤthend uͤber ihn her; Hoango, nach /einem zweiten Schuß, der einem Diener die /Schulter durchbohrte, ward durch einen Saͤ/belhieb an der Hand verwundet, und beide, /Babekan und er, wurden niedergeworfen und /mit Stricken am Geſtell eines großen Tiſches /feſt gebunden. Mittlerweile waren, durch die /Schuͤſſe geweckt, die Neger des Hoango, zwan/ 1660 zig und mehr an der Zahl, aus ihren Staͤl/len hervorgeſtuͤrzt, und drangen, da ſie die /alte Babekan im Hauſe ſchreien hoͤrten, wuͤ/thend gegen dasſelbe vor, um ihre Waffen /wieder zu erobern. Vergebens poſtirte Herr /Stroͤmli, deſſen Wunde von keiner Bedeu/tung war, ſeine Leute an die Fenſter des Hau/ſes, und ließ, um die Kerle im Zaum zu /halten, mit Buͤchſen unter ſie feuern; ſie ach/teten zweier Todten nicht, die ſchon auf dem / 1670 Hofe umher lagen, und waren im Begriff, /Aexte und Brechſtangen zu holen, um die /Hausthuͤr, welche Hr. Stroͤmli verriegelt /hatte, einzuſprengen, als Toni, zitternd und /bebend, den Knaben Seppy auf dem Arm, /74in Hoangos Zimmer trat. Herr Stroͤmli, /dem dieſe Erſcheinung aͤußerſt erwuͤnſcht war, /riß ihr den Knaben vom Arm; er wandte ſich, /indem er ſeinen Hirſchfaͤnger zog, zu Hoan/go, und ſchwor, daß er den Jungen augen/ 1680 blicklich toͤdten wuͤrde, wenn er den Negern /nicht zuriefe, von ihrem Vorhaben abzuſtehen. /Hoango, deſſen Kraft durch den Hieb uͤber /die drei Finger der Hand gebrochen war, und /der ſein eignes Leben, im Fall einer Weige/rung, ausgeſetzt haben wuͤrde, erwiederte nach /einigen Bedenken, indem er ſich vom Boden /aufheben ließ: „daß er dies thun wolle;“ er /ſtellte ſich, von Herrn Stroͤmli gefuͤhrt, an /das Fenſter, und mit einem Schnupftuch, das / 1690 er in die linke Hand nahm, uͤber den Hof /hinauswinkend, rief er den Negern zu: „daß /ſie die Thuͤr, indem es, ſein Leben zu retten, /keiner Huͤlfe beduͤrfe, unberuͤhrt laſſen ſollten /und in ihre Staͤlle zuruͤckkehren moͤchten!“ /Hierauf beruhigte ſich der Kampf ein wenig; /Hoango ſchickte, auf Verlangen Herrn Stroͤm/li’s, einen im Hauſe eingefangenen Neger, /75mit der Wiederholung dieſes Befehls, zu dem /im Hofe noch verweilenden und ſich berath/ 1700 ſchlagenden Haufen hinab; und da die Schwar/zen, ſo wenig ſie auch von der Sache begrif/fen, den Worten dieſes foͤrmlichen Bothſchaf/ters Folge leiſten mußten, ſo gaben ſie ihren /Anſchlag, zu deſſen Ausfuͤhrung ſchon Alles /in Bereitſchaft war, auf, und verfuͤgten ſich /nach und nach, obſchon murrend und ſchim/pfend, in ihre Staͤlle zuruͤck. Herr Stroͤmli, /indem er dem Knaben Seppy vor den Augen /Hoango’s die Haͤnde binden ließ, ſagte die/ 1710 ſem: „daß ſeine Abſicht keine andere ſey, als /den Offizier, ſeinen Vetter aus der in der /Pflanzung uͤber ihn verhaͤngten Haft zu be/freien, und daß, wenn ſeiner Flucht nach /Port au Prince keine Hinderniſſe in den Weg /gelegt wuͤrden, weder fuͤr ſein, Hoango’s, /noch fuͤr ſeiner Kinder Leben, die er ihm wie/dergeben wuͤrde, etwas zu befuͤrchten ſeyn /wuͤrde. Babekan, welcher Toni ſich naͤherte /und zum Abſchied in einer Ruͤhrung, die ſie / 1720 nicht unterdruͤcken konnte, die Hand geben /76wollte, ſtieß dieſe heftig von ſich. Sie nannte /ſie eine Niedertraͤchtige und Verraͤtherinn, /und meinte, indem ſie ſich am Geſtell des /Tiſches, an dem ſie lag, umkehrte: die Rache /Gottes wuͤrde ſie, noch ehe ſie ihrer Schand/that froh geworden, ereilen. Toni antworte/te: „ich habe euch nicht verrathen; ich bin /eine Weiße, und dem Juͤngling, den ihr ge/fangen haltet, verlobt; ich gehoͤre zu dem Ge/ 1730 ſchlecht derer, mit denen ihr im offenen Kriege /liegt, und werde vor Gott, daß ich mich auf ihre /Seite ſtellte, zu verantworten wiſſen.“ Hier/auf gab Herr Stroͤmli dem Neger Hoango, /den er zur Sicherheit wieder hatte feſſeln und /an die Pfoſten der Thuͤr feſtbinden laſſen, eine /Wache; er ließ den Diener, der, mit zer/ſplittertem Schulterknochen, ohnmaͤchtig am /Boden lag, aufheben und wegtragen; und /nachdem er dem Hoango noch geſagt hatte, / 1740 daß er beide Kinder, den Nanky ſowohl als /den Seppy, nach Verlauf einiger Tage, in /Sainte Luͤze, wo die erſten franzoͤſiſchen Vor/poſten ſtuͤnden, abholen laſſen koͤnne, nahm /77er Toni, die, von mancherlei Gefuͤhlen be/ſtuͤrmt, ſich nicht enthalten konnte zu wei/nen, bei der Hand, und fuͤhrte ſie, unter /den Fluͤchen Babekans und des alten Hoango, /aus dem Schlafzimmer fort. /
Inzwiſchen waren Adelbert und Gottfried, / 1750 Hrn. Stroͤmli’s Soͤhne, ſchon nach Beendi/gung des erſten, an den Fenſtern gefochtenen /Hauptkampfs, auf Befehl des Vaters, in /das Zimmer ihres Vetters Auguſt geeilt, und /waren gluͤcklich genug geweſen, die beiden /Schwarzen, die dieſen bewachten, nach einem /hartnaͤckigen Widerſtand zu uͤberwaͤltigen. Der /eine lag todt im Zimmer; der andere hatte /ſich mit einer ſchweren Schußwunde bis auf /den Corridor hinausgeſchleppt. Die Bruͤder, / 1760 deren einer, der Aeltere, dabei ſelbſt, obſchon /nur leicht, am Schenkel verwundet worden /war, banden den theuren lieben Vetter los: /ſie umarmten und kuͤßten ihn, und forderten /ihn jauchzend, indem ſie ihm Gewehr und /Waffen gaben, auf, ihnen nach dem vorde/ren Zimmer, in welchem, da der Sieg ent/78ſchieden, Herr Stroͤmli wahrſcheinlich Alles /ſchon zum Ruͤckzug anordne, zu folgen. Aber /Vetter Auguſt, halb im Bette aufgerichtet, / 1770 druͤckte ihnen freundlich die Hand; im uͤbri/gen war er ſtill und zerſtreut, und ſtatt die /Piſtolen, die ſie ihm darreichten, zu ergreifen, /hob er die Rechte, und ſtrich ſich, mit einem /unausſprechlichen Ausdruck von Gram, da/mit uͤber die Stirn. Die Juͤnglinge, die /ſich bei ihm niedergeſetzt hatten, fragten: was /ihm fehle? und ſchon, da er ſie mit ſeinem /Arm umſchloß, und ſich mit dem Kopf ſchwei/gend an die Schulter des Juͤngern lehnte, / 1780 wollte Adelbert ſich erheben, um ihn im Wahn, /daß ihn eine Ohnmacht anwandle, einen Trunk /Waſſer herbeiholen: als Toni, den Knaben /Seppy auf dem Arm, an der Hand Herrn /Stroͤmli’s, in das Zimmer trat. Auguſt wech/ſelte bei dieſem Anblick die Farbe; er hielt /ſich, indem er aufſtand, als ob er umſinken /wollte, an den Leibern der Freunde feſt; und /ehe die Juͤnglinge noch wußten, was er mit /dem Piſtol, das er ihnen jetzt aus der Hand / 1790 79nahm, anfangen wollte: druͤckte er dasſelbe /ſchon, knirſchend vor Wuth, gegen Toni ab. /Der Schuß war ihr mitten durch die Bruſt /gegangen; und da ſie, mit einem gebrochenen /Laut des Schmerzes, noch einige Schritte /gegen ihn that, und ſodann, indem ſie den /Knaben an Herrn Stroͤmli gab, vor ihm nie/derſank: ſchleuderte er das Piſtol uͤber ſie, /ſtieß ſie mit dem Fuß von ſich, und warf ſich, /indem er ſie eine Hure nannte, wieder auf / 1800 das Bette nieder. „Du ungeheurer Menſch!“ /riefen Herr Stroͤmli und ſeine beiden Soͤhne. /Die Juͤnglinge warfen ſich uͤber das Maͤdchen, /und riefen, indem ſie es aufhoben, einen der /alten Diener herbei, der dem Zuge ſchon in /manchen aͤhnlichen, verzweiflungsvollen Faͤllen /die Huͤlfe eines Arztes geleiſtet hatte; aber /das Maͤdchen, das ſich mit der Hand krampf/haft die Wunde hielt, druͤckte die Freunde /hinweg, und: „ſagt ihm —!“ ſtammelte ſie / 1810 roͤchelnd, auf ihn, der ſie erſchoſſen, hindeu/tend, und wiederholte: „ſagt ihm — —!“ /„Was ſollen wir ihm ſagen? fragte Herr /80Stroͤmli, da der Tod ihr die Sprache raubte. /Adelbert und Gottfried ſtanden auf und rie/fen dem unbegreiflich graͤßlichen Moͤrder zu: /ob er wiſſe, daß das Maͤdchen ſeine Rette/rinn ſey; daß ſie ihn liebe und daß es ihre /Abſicht geweſen ſey, mit ihm, dem ſie Alles, /Eltern und Eigenthum, aufgeofert, aufgeopfert [emendiert] aufgeopfert [emendiert ohne Hinweis] nach Port / 1820 au Prince zu entfliehen? — Sie donnerten /ihm: Guſtav! in die Ohren, und fragten ihn: /ob er nichts hoͤre? und ſchuͤttelten ihn und /griffen ihn in die Haare, da er unempfindlich, /und ohne auf ſie zu achten, auf dem Bette /lag. Guſtav richtete ſich auf. Er warf einen /Blick auf das in ſeinem Blut ſich waͤlzende /Maͤdchen; und die Wuth, die dieſe That ver/anlaßt hatte, machte, auf natuͤrliche Weiſe, ei/nem Gefuͤhl gemeinen Mitleidens Platz. Hr. / 1830 Stroͤmli, heiße Thraͤnen auf ſein Schnupf/tuch niederweinend, fragte: warum, Elender, /haſt du das gethan? Vetter Guſtav, der von /dem Bette aufgeſtanden war, und das Maͤd/chen, indem er ſich den Schweiß von der /Stirn abwiſchte, betrachtete, antwortete: daß / 81ſie ihn ſchaͤndlicher Weiſe zur Nachtzeit gebun/den, und dem Neger Hoango uͤbergeben habe. /„Ach!“ rief Toni, und ſtreckte, mit einem unbe/ſchreiblichen Blick, ihre Hand nach ihm aus: / 1840 „dich, liebſten Freund, band ich, weil — —!“ /Aber ſie konnte nicht reden und ihn auch mit der /Hand nicht erreichen; ſie fiel, mit einer ploͤtz/lichen Erſchlaffung der Kraft, wieder auf den /Schooß Herrn Stroͤmli’s zuruͤck. Weshalb? /fragte Guſtav blaß, indem er zu ihr nieder/kniete. Herr Stroͤmli, nach einer langen, /nur durch das Roͤcheln Toni’s unterbrochenen /Pauſe, in welcher man vergebens auf eine /Antwort von ihr gehofft hatte, nahm das / 1850 Wort und ſprach: weil, nach der Ankunft /Hoango’s, dich, Ungluͤcklichen, zu retten, kein /anderes Mittel war; weil ſie den Kampf, den /du unfehlbar eingegangen waͤreſt, vermeiden, /weil ſie Zeit gewinnen wollte, bis wir, die /wir ſchon vermoͤge ihrer Veranſtaltung her/beieilten, deine Befreiung mit den Waffen in /der Hand erzwingen konnten. Guſtav legte /die Haͤnde vor ſein Geſicht. Oh! rief er, /82ohne aufzuſehen, und meinte, die Erde ver/ 1860 ſaͤnke unter ſeinen Fuͤßen: iſt das, was ihr /mir ſagt, wahr? Er legte ſeine Arme um /ihren Leib und ſah ihr mit jammervoll zer/riſſenem Herzen ins Geſicht. „Ach,“ rief /Toni, und dies waren ihre letzten Worte: /„du haͤtteſt mir nicht mißtrauen ſollen!“ Und /damit hauchte ſie ihre ſchoͤne Seele aus. Gu/ſtav raufte ſich die Haare. Gewiß! ſagte /er, da ihn die Vettern von der Leiche weg/riſſen: ich haͤtte dir nicht mißtrauen ſollen; / 1870 denn du warſt mir durch einen Eidſchwur ver/lobt, obſchon wir keine Worte daruͤber ge/wechſelt hatten! Herr Stroͤmli druͤckte jam/mernd den Latz, der des Maͤdchens Bruſt /umſchloß, nieder. Er ermunterte den Die/ner, der mit einigen unvollkommenen Ret/tungs-Werkzeugen neben ihm ſtand, die Ku/gel, die, wie er meinte, in dem Bruſtknochen /ſtecken muͤſſe, auszuziehen; aber alle Bemuͤ/hung, wie geſagt, war vergebens, ſie war von / 1880 dem Blei ganz durchbohrt, und ihre Seele /ſchon zu beſſeren Sternen entflohn. — In/83zwiſchen war Guſtav ans Fenſter getreten; /und waͤhrend Herr Stroͤmli und ſeine Soͤhne /unter ſtillen Thraͤnen berathſchlagten, was /mit der Leiche anzufangen ſey, und ob man /nicht die Mutter herbeirufen ſolle: jagte Gu/ſtav ſich die Kugel, womit das andere Piſtol /geladen war, durchs Hirn. Dieſe neue Schrek/kensthat raubte den Verwandten voͤllig alle / 1890 Beſinnung. Die Huͤlfe wandte ſich jetzt auf /ihn; aber des Aermſten [liest ›Ärmsten‹. Versale Umlaute werden in heutiger Schreibung wiedergegeben] [liest ›Ärmsten‹] Schaͤdel war ganz /zerſchmettert, und hing, da er ſich das Pi/ſtol in den Mund geſetzt hatte, zum Theil /an den Waͤnden umher. Herr Stroͤmli war /der Erſte, der ſich wieder ſammelte. Denn /da der Tag ſchon ganz hell durch die Fenſter /ſchien, und auch Nachrichten einliefen, daß /die Neger ſich ſchon wieder auf dem Hofe /zeigten: ſo blieb nichts uͤbrig, als ungeſaͤumt / 1900 an den Ruͤckzug zu denken. Man legte die /beiden Leichen, die man nicht der muthwilli/gen Gewalt der Neger uͤberlaſſen wollte, auf /ein Brett, und nachdem die Buͤchſen von /neuem geladen waren, brach der traurige Zug /84nach dem Moͤwenweiher auf. Herr Stroͤmli, /den Knaben Seppy auf dem Arm, ging vor/an; ihm folgten die beiden ſtaͤrkſten Diener, /welche auf [liest ›auf‹] [liest ›auf‹] ihren Schultern die Leichen tru/gen; der Verwundete ſchwankte an einem / 1910 Stabe hinterher; und Adelbert und Gottfried /gingen mit geſpannten Buͤchſen dem langſam /fortſchreitenden Leichenzuge zur Seite. Die /Neger, da ſie den Haufen ſo ſchwach erblick/ten, traten mit Spießen und Gabeln aus ih/ren Wohnungen hervor, und ſchienen Miene /zu machen, angreifen zu wollen; aber Hoan/go, den man die Vorſicht beobachtet hatte, /loszubinden, trat auf die Treppe des Hauſes /hinaus, und winkte den Negern, zu ruhen. / 1920 „In Sainte Luͤze!“ rief er Herrn Herrn [emendiert ohne Hinweis] Stroͤmli /zu, der ſchon mit den Leichen unter dem Thor/weg war. „In Sainte Luͤze!“ antwortete /dieſer: worauf der Zug, ohne verfolgt zu /werden, auf das Feld hinauskam und die /Waldung erreichte. Am Moͤwenweiher, wo /man die Familie fand, grub man, unter vie/len Thraͤnen, den Leichen ein Grab; und /nachdem man noch die Ringe, die ſie an der /85Hand trugen, gewechſelt hatte, ſenkte man / 1930 ſie unter ſtillen Gebeten in die Wohnungen /des ewigen Friedens ein. Herr Stroͤmli war /gluͤcklich genug, mit ſeiner Frau und ſeinen /Kindern, fuͤnf Tage darauf, Sainte Luͤze zu /erreichen, wo er die beiden Negerknaben, ſei/nem Verſprechen gemaͤß, zuruͤckließ. Er traf /kurz vor Anfang der Belagerung in Port au /Prince ein, wo er noch auf den Waͤllen fuͤr /die Sache der Weißen focht; und als die /Stadt nach einer hartnaͤckigen Gegenwehr an / 1940 den General Deſſalines uͤberging, rettete er /ſich mit dem franzoͤſiſchen Heer auf die eng/liſche Flotte, von wo die Familie nach Eu/ropa uͤberſchiffte, und ohne weitere Unfaͤlle /ihr Vaterland, die Schweiz, erreichte. Herr /Stroͤmli kaufte ſich daſelbſt mit dem Reſt /ſeines kleinen Vermoͤgens, in der Gegend des /Rigi, an; und noch im Jahr 1807 war un/ter den Buͤſchen ſeines Gartens das Denk/maal zu ſehen, das er Guſtav, ſeinem Vet/ 1950 ter, und der Verlobten desſelben, der treuen /Toni, hatte ſetzen laſſen. /