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Die Marquise von O....

Textwiedergabe  nach Erzählungen:1810.

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216

Die Marquiſe von O..../

In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen /Italien, ließ die verwittwete Marquiſe von /O...., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und /Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, /durch die Zeitungen bekannt machen: daß ſie, /ohne ihr Wiſſen, in andre Umſtaͤnde gekommen / ſey, sey; daß der Vater zu dem Kinde, das ſie ge/baͤhren wuͤrde, ſich melden ſolle; und daß ſie, /aus Familien-Ruͤckſichten, entſchloſſen waͤre, / 10 ihn zu heirathen. Die Dame, die einen ſo ſon/derbaren, den Spott der Welt reizenden Schritt, /beim Drang unabaͤnderlicher Umſtaͤnde, mit / ſolcher dieser Sicherheit that, war die Tochter des /Herrn von G...., Commendanten[Franz.] Commendant, der oberste Befehlshaber in einer Festung, vgl. [Adelung: ›Commendant‹]. der Citadelle Ein ›größeres Fort, gewöhnlich auf beherrschendem Punkt innerhalb oder seitlich einer ältern Festung gelegen‹. Näheres [Meyers: ›Citadelle‹]. /bei M.... M. Sie hatte, vor ungefaͤhr ohngefähr drei Jah/ren, ihren Gemahl, den Marquis von O...., /dem ſie auf das Innigſte und Zaͤrtlichſte zugethan /217war, auf einer Reiſe verloren, die er, in Ge/ſchaͤften der Familie, nach Paris gemacht hatte. / 20 Auf Frau von G....s, ihrer wuͤrdigen Mutter, /Wunſch, hatte ſie, nach ſeinem Tode, den Land/ſitz verlaſſen, den ſie bisher bei V.... bewohnt /hatte, und war, mit ihren beiden Kindern, in /das Commendantenhaus, zu ihrem Vater, zuruͤck/gekehrt. Hier hatte ſie die naͤchſten Jahre Jahre, mit /Kunſt, Lectuͤre, mit Erziehung, und ihrer El/tern Pflege beſchaͤftigt, in der groͤßten Eingezo/genheit[GWB: ›Eingezogenheit‹] Synonym für ›Abgeschiedenheit Abgeschlossenheit Abgesondertheit Einsamkeit Einsiedelei Zurückgezogenheit‹. zugebracht: bis der .... KriegMöglicherweise der 2. Koalitionskrieg 1799. Vgl. Politzer, 1977. Zum geschichtlichen Hintergrund siehe Eintrag in [Wikipedia]. ploͤtzlich /die Gegend umher mit den Truppen faſt aller / 30 Maͤchte Mächte, und auch mit ruſſiſchen russischen, erfuͤllte. Der /Obriſtveraltet für Oberst. von G...., welcher den Platz zu verthei/digen Ordre hatte, forderte ſeine Gemahlinn und /ſeine Tochter auf, ſich auf das Landgut, entwe/der der letzteren, Letzteren, oder ſeines Sohnes, das bei /V.... lag, zuruͤckzuziehen. Doch ehe ſich die /Abſchaͤtzung noch, hier der Bedraͤngniſſe, denen /man in der Feſtung, dort der Graͤuel, denen /man auf dem platten Lande ausgeſetzt ſeyn sein /konnte, auf der Waage der weiblichen Ueberle/ 40 gung entſchieden hatte: war die Citadelle von /218den ruſſiſchen Truppen ſchon berennt,Beginn einer Belagerung. Näheres in [DWB: ›berennen‹]. und auf/gefordert, ſich zu ergeben. Der Obriſt erklaͤrte /gegen ſeine Familie, daß er ſich nunmehr ver/halten wuͤrde, als ob ſie nicht vorhanden waͤre; /und antwortete mit Kugeln und Granaten. Der /Feind, ſeinerſeits, bombardirte die Citadelle. /Er ſteckte die Magazine in Brand, eroberte ein /Außenwerk, und als der Commendant, nach /einer nochmaligen Aufforderung, mit noch mit der Ueber/ 50 gabe zauderte, ſo ordnete er einen naͤchtlichen /Ueberfall an, und eroberte die Feſtung mit /Sturm./

Eben als die ruſſiſchen Truppen, unter einem /heftigen Haubitzenſpiel,sog. Steilfeuergeschütz. Vgl. Wikipedia-Eintrag ›Haubitze‹ von außen eindrangen, / fing fieng der linke Fluͤgel des Commendanten-Hauſes Commendantenhauses /Feuer und noͤthigte die Frauen, ihn zu verlaſſen. /Die Obriſtin, Obristinn, indem ſie der Tochter, die mit /den Kindern die Treppe hinabfloh, nacheilte, rief, /daß man zuſammenbleiben, und ſich in die un/ 60 teren untern Gewoͤlbe fluͤchten moͤchte; doch eine Gra/nate, die, eben in dieſem Augenblicke, in dem /Hauſe zerplatzte, vollendete die gaͤnzliche Ver/wirrung in demſelben. derselben. Die Marquiſe kam, mit /219ihren beiden Kindern, auf den Vorplatz des /Schloſſes, wo die Schuͤſſe ſchon, im heftigſten /Kampf, durch die Nacht blitzten, und ſie, be/ſinnungslos, wohin ſie ſich wenden ſolle, wieder /in das brennende Gebaͤude zuruͤckjagten. Hier, /ungluͤcklicher Weiſe, begegnete ihr, da ſie eben / 70 durch die eine Hinterthuͤr entſchluͤpfen wollte, ein /Trupp feindlicher Scharfſchuͤtzen, der, bei ihrem /Anblick, ploͤtzlich ſtill ward, die Gewehre uͤber /die Schultern hing, hieng, und ſie, unter abſcheulichen /Gebaͤhrden, mit ſich fortfuͤhrte. Vergebens rief /die Marquiſe, von der entſetzlichen, ſich unter /einander ſelbſt bekaͤmpfenden, Rotte bald hier, /bald dorthin gezerrt, ihre zitternden, durch die /Pforte zuruͤckfliehenden Frauen, zu Huͤlfe. Man /ſchleppte ſie in den hinteren Schloßhof, wo ſie / 80 eben, unter den ſchaͤndlichſten Mißhandlungen, /zu Boden ſinken wollte, als, von dem Zeterge/ſchrei der Dame herbeigerufen, ein ruſſiſcher /Officier erſchien, und die Hunde, die nach ſol/chem Raub luͤſtern waren, mit wuͤthenden Hie/ben zerſtreute. Der Marquiſe ſchien er ein En/gel des Himmels zu ſeyn. sein. Er ſtieß noch dem /220letzten viehiſchen Mordknecht, der ihren ſchlan/ken Leib umfaßt hielt, mit dem Griff des De/gens ins Geſicht, daß er, mit aus dem Mund / 90 vorquellendem Blut, zuruͤcktaumelte; bot dann bot /der Dame, unter einer verbindlichen, franzoͤſiſchen /Anrede den Arm, Arm; und fuͤhrte ſie, die von allen /ſolchen Auftritten ſprachlos war, in den anderen, /von der Flamme noch nicht ergriffenen, Fluͤgel /des Pallaſtes, wo ſie auch voͤllig bewußtlos nie/derſank. Hier — traf er, da bald darauf ihre /erſchrockenen Frauen erſchienen, Anſtalten, einen /Arzt zu rufen; verſicherte, indem er ſich den /Hut aufſetzte, daß ſie ſich bald erholen wuͤrde; / 100 und kehrte in den Kampf zuruͤck./

Der Platz war in kurzer Zeit voͤllig erobert, /und der Commendant, der ſich nur noch wehrte, /weil man ihm keinen Pardon geben[DWB: ›Pardon‹, 2] ›die begnadigung, die schonung des lebens eines besiegten, gefangenen oder verurtheilten‹. wollte, zog /ſich eben mit ſinkenden Kraͤften nach dem Portal /des Hauſes zuruͤck, als der ruſſiſche Officier, /ſehr erhitzt im Geſicht, aus demſelben hervor/trat, und ihm zurief, ſich zu ergeben. Der /Commendant antwortete, daß er auf dieſe Auf/forderung nur gewartet habe, reichte ihm ſeinen / 110 221Degen dar, und bat ſich die Erlaubniß aus, /ſich ins Schloß begeben, begeben und nach ſeiner Familie /umſehen zu duͤrfen. Der ruſſiſche Officier, der, /nach der Rolle zu urtheilen, die er ſpielte, /Einer der Anfuͤhrer des Sturms zu ſeyn sein /ſchien, gab ihm, unter Begleitung einer Wache, /dieſe Freiheit; ſetzte ſich, mit einiger Eilfer/tigkeit,Im Sinne von ›Eile, Hast‹. Vgl. [GWB: ›Eilfertigkeit‹, 1] an die Spitze eines Detaſchements,[GWB: ›Detachement‹] ›Detachement auch -sch- milit: vom Hauptheer abkommandierter Trupp Soldaten‹. /entſchied, wo er noch zweifelhaft zweifelhaft zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] ſeyn sein moch/te, den Kampf, und bemannte ſchleunigſt die / 120 feſten Punkte Puncte des Forts. Bald darauf kehrte /er auf den Waffenplatz[Adelung: ›Waffenplatz‹] ›In engerer Bedeutung ist es in Festungen ein geräumiger Platz in dem verdeckten Wege, die Truppen daselbst zu versammeln‹. zuruͤck, gab Befehl, der /Flamme, welche wuͤthend um ſich zu greifen an/fing, anfieng, Einhalt zu thun, und leiſtete ſelbſt hierbei /Wunder der Anſtrengung, als man ſeine Be/fehle nicht mit dem gehoͤrigen Eifer befolgte. /Bald kletterte er, den Schlauch in der Hand, /mitten unter brennenden Giebeln umher, und /regierte den Waſſerſtrahl; bald ſteckte er, die /Naturen der AsiatenIn den zaristischen russischen Armeen gab es immer auch kosakische und asiatische Verbände. Hier in abwertender Bedeutung. mit Schaudern erfuͤllend, / 130 in den Arſenaͤlen, und waͤlzte Pulverfaͤſſer und /gefuͤllte Bomben heraus. Der Kommandant, Commendant, /der inzwiſchen in das Haus getreten war, ge/222rieth auf die Nachricht von dem Unfall, der die /Marquiſe betroffen hatte, in die aͤußerſte Beſtuͤr/zung. Die Marquiſe, die ſich ſchon voͤllig, ohne /Beihuͤlfe des Arztes, wie der ruſſiſche Officier /vorher geſagt hatte, aus ihrer Ohnmacht wieder /erholt hatte, und bei der Freude, alle die Ihri/gen geſund und wohl zu ſehen, nur noch, um die die / 140 uͤbermaͤßige Sorge derſelben zu beſchwichtigen, /das Bett huͤtete, verſicherte ihn, daß ſie keinen /andern Wunſch habe, als aufſtehen zu duͤrfen, /um ihrem Retter ihre Dankbarkeit zu bezeugen. /Sie wußte ſchon, daß er der Graf F..., Obriſt/lieutenant vom t...n Jaͤgerkorps, Jägercorps, und Ritter /eines Verdienſt- und mehrerer anderen Orden /war. Sie bat ihren Vater, ihn inſtaͤndigſt zu /erſuchen, daß er die Citadelle nicht verlaſſe, ohne /ſich einen Augenblick im Schloß gezeigt zu ha/ 150 ben. Der Commendant, der das Gefuͤhl ſei/ner Tochter ehrte, kehrte auch ungeſaͤumt in das /Fort zuruͤck, und trug ihm, da er unter unauf/hoͤrlichen Kriegsanordnungen umherſchweifte, /und keine beſſere Gelegenheit zu finden war, auf /den Waͤllen, wo er eben die zerſchoſſenen Rot/223ten revidirte, den Wunſch ſeiner geruͤhrten Toch/ter vor. Der Graf verſicherte ihn, daß er nur /auf den Augenblick warte, den er ſeinen Geſchaͤf/ten wuͤrde abmuͤßigen koͤnnen, um ihr ſeine Ehr/ 160 erbietigkeit zu bezeugen. Er wollte noch hoͤren, /wie ſich die Frau Marquiſe befinde? als ihn die /Rapporte mehrer mehrerer mehrerer [emendiert] mehrerer [emendiert] Die Form ›mehrer‹ war um 1800 durchaus noch üblich und wird hier deshalb nicht emendiert. Vgl. [Adelung: ›mehrer‹, II 2.2) ] Officiere ſchon wieder in das /Gewuͤhl des Krieges zuruͤckriſſen. Als der Tag /anbrach, erſchien der Befehlshaber der ruſſiſchen /Truppen, und beſichtigte das Fort. Er bezeugte /dem Kommandanten Commendanten ſeine Hochachtung, be/dauerte, daß das Gluͤck ſeinen Muth nicht beſſer /unterſtuͤtzt habe, und gab ihm, auf ſein Ehren/wort, die Freiheit, ſich hinzubegeben, wohin er / 170 wolle. Der Kommandant Commendant verſicherte ihn ſeiner /Dankbarkeit, und aͤußerte, wie viel er, an dieſem diesem /Tage, den Ruſſen uͤberhaupt, und beſonders dem /jungen Grafen F..., Obriſtlieutenant vom /t...n Jaͤgerkorps, Jägercorps, ſchuldig geworden ſey. sei. Der /General fragte, was vorgefallen ſey; sei; und als /man ihn von dem frevelhaften Anſchlag auf die /Tochter desſelben unterrichtete, zeigte er ſich auf /das Aeußerſte entruͤſtet. Er rief den Grafen /224F... bei Namen vor. Nachdem er ihm zuvoͤr/ 180 derſt wegen ſeines eignen edelmuͤthigen Verhal/tens eine kurze Lobrede gehalten hatte: wobei /der Graf uͤber das ganze Geſicht roth ward; /ſchloß er, daß er die Schandkerle, die den Na/men des Kaiſers brandmarkten, niederſchießen /laſſen wolle; und befahl ihm, zu ſagen, wer ſie /ſeien? Der Graf F... antwortete, in einer ver/wirrten Rede, daß er nicht im Stande ſey, sei, ihre /Namen anzugeben, indem es ihm, bei dem /ſchwachen Schimmer der Reverberen[Meyers: ›Réverbère‹] ›(franz.), soviel wie Reflektor, auch die mit Reflektor versehene Lampe (Laterne) selbst‹. im Schloß/ 190 hof, unmoͤglich geweſen waͤre, ihre Geſichter zu /erkennen. Der General, welcher gehoͤrt hatte, /daß damals ſchon das Schloß in Flammen ſtand, /wunderte ſich daruͤber; er bemerkte, wie man / wohl bekannte wohlbekannte Leute in der Nacht an ihren Stim/men erkennen koͤnnte; und gab ihm, da er mit /einem verlegenen Geſicht die Achſeln zuckte, auf, /der Sache auf das allereifrigſte Allereifrigste und ſtrengſte Strengste /nachzuſpuͤren. In dieſem Augenblick berichtete /jemand, der ſich aus dem hintern Kreiſe hervor/ 200 draͤngte, daß Einer von den, durch den Grafen /F... verwundeten, Frevlern, da er in dem /225Corridor niedergeſunken, von den Leuten des /Commendanten in ein Behaͤltniß geſchleppt wor/den, und darin noch befindlich ſey. sei. Der Gene/ral ließ dieſen hierauf durch eine Wache herbei/fuͤhren, ein kurzes Verhoͤr uͤber ihn halten; /und die ganze Rotte, nachdem jener er ſie genannt /hatte, fuͤnf an der Zahl zuſammen, erſchießen. /Dies abgemacht, gab der General, nach Zuruͤck/ 210 laſſung einer kleinen kleinen Beſatzung, Befehl zum all/gemeinen Aufbruch der uͤbrigen Truppen; die /Officiere zerſtreuten ſich eiligſt zu ihren Corps; /der Graf trat, durch die Verwirrung der Aus/einander-Eilenden, zum Commendanten, Commandanten, und /bedauerte, daß er ſich der Frau Marquiſe, Marquise unter /dieſen Umſtaͤnden, Umständen gehorſamſt empfehlen muͤſſe: /und in weniger, als einer Stunde, war das /ganze Fort von Ruſſen wieder leer./

Die Familie dachte nun darauf, wie ſie sie, in / 220 der Zukunft Zukunft, eine Gelegenheit finden wuͤrde, dem /Grafen irgend eine Aeußerung ihrer Dankbarkeit /zu geben; doch wie groß war ihr Schrecken, als /ſie erfuhr, daß derſelbe noch am Tage ſeines Auf/bruchs aus dem Fort, in einem Gefecht mit den /226feindlichen Truppen, ſeinen Tod gefunden habe. /Der Courier, der dieſe Nachricht nach M... /brachte, hatte ihn mit eignen Augen, toͤdtlich /durch die Bruſt geſchoſſen, nach P.... tragen /ſehen, wo er, wie man ſichere Nachricht hatte, / 230 in dem Augenblick, Augenblick, Augenblick, [emendiert ohne Kommentarhinweis] da ihn die Traͤger von den /Schultern nehmen wollten, verblichen war. Der / Commendant, Commandant, der ſich ſelbſt auf das Poſthaus /verfuͤgte, und ſich nach den naͤheren Umſtaͤnden /dieſes Vorfalls erkundigte, erfuhr noch, daß er /auf dem Schlachtfeld, in dem Moment, da ihn /der Schuß traf, gerufen habe: hatte: „Julietta! Dieſe /Kugel raͤcht dich!” [Sentenz ohne An- und Abführungszeichen] und nachher ſeine Lippen auf /immer geſchloſſen haͤtte. hatte. Die Marquiſe war un/troͤſtlich, daß ſie die Gelegenheit hatte vorbeigehen / 240 laſſen, ſich zu ſeinen Fuͤßen zu werfen. Sie /machte ſich die lebhafteſten Vorwuͤrfe, daß ſie /ihn, bei ſeiner, vielleicht aus Beſcheidenheit, wie /ſie meinte, herruͤhrenden Weigerung, im Schloſſe /zu erſcheinen, nicht ſelbſt aufgeſucht habe; be/dauerte die Ungluͤckliche, ihre Namensſchweſter, /an die er noch im Tode gedacht hatte; bemuͤhte /ſich vergebens, ihren Aufenthalt zu erforſchen,/ 227um ſie von dieſem ungluͤcklichen und ruͤhrenden /Vorfall zu unterrichten; und mehrere Monden / 250 vergingen, vergiengen, ehe ſie ſelbſt ihn vergeſſen konnte./

Die Familie mußte nun das Commendanten/haus Commandantenhaus raͤumen, um dem ruſſiſchen Befehlshaber /darin Platz zu machen. Man uͤberlegte stritt anfangs, /ob man ſich nicht auf die Guͤter des Commen/danten begeben ſollte, wozu die Marquiſe einen /großen Hang hatte; doch da der Obriſt das Land/leben nicht liebte, ſo bezog die Familie ein Haus /in der Stadt, und richtete ſich dasſelbe zu einer /immerwaͤhrenden Wohnung ein. Alles kehrte / 260 nun in die alte Ordnung der Dinge zuruͤck. zurück: Die die /Marquiſe knuͤpfte den lange unterbrochenen Un/terricht ihrer Kinder wieder an, und ſuchte, fuͤr /die Feierſtunden, ihre Staffelei und Buͤcher her/vor: als ſie ſich, ſonſt die Goͤttin Göttinn der Geſund/heit ſelbſt, von wiederholten Unpaͤßlichkeiten be/fallen fuͤhlte, die ſie sie, ganze Wochen lang, fuͤr die /Geſellſchaft untauglich machten. Sie litt an /Uebelkeiten, Schwindeln und Ohnmachten, und /wußte nicht, was ſie aus dieſem ſonderbaren Zu/ 270 ſtand machen ſolle. Eines Morgens, da die /228Familie beim Thee ſaß, und der Vater ſich, auf /einen Augenblick, aus dem Zimmer entfernt hat/te, ſagte die Marquiſe, aus einer langen Ge/dankenloſigkeit erwachend, zu ihrer Mutter: /wenn mir eine Frau ſagte, daß ſie ein Gefuͤhl /haͤtte, eben ſo, wie ich jetzt, da ich die Taſſe er/griff, ſo wuͤrde ich bei mir denken, daß ſie in ge/ſegneten Leibesumſtaͤnden waͤre. Frau von G.... /ſagte, ſie verſtaͤnde ſie nicht. Die Marquiſe er/ 280 klaͤrte ſich noch einmal, daß ſie eben jetzt eine /SensationIm 18. Jahrhundert noch in der Bedeutung von ›sinnlichem Gefühl‹, ›sinnlicher Empfindung‹. Vgl. [DWB: ›Sensation‹]. gehabt haͤtte, wie damals, als ſie /mit ihrer zweiten Tochter ſchwanger war. Frau /von G.... ſagte, ſie wuͤrde vielleicht den Phan/taſusBruder des Morpheus. Verwandelt sich trügerisch in Erde, Stein, Welle, Balken oder andere seelenlose Natur. Vgl. Ovid, Metamorphosen, XI. Buch, 642. gebaͤhren, und lachte. Morpheus Der Traum Traumgott, einer der Söhne des Somnus. Erscheint im Traum in unterschiedlicher menschlicher Gestalt. Vgl. Ovid, Metamorphosen, XI. Buch, 635, 647, 671. Siehe auch [Wikipedia]. wenig/ſtens, verſetzte die Marquiſe, oder einer der /Traͤume aus ſeinem Gefolge, [fehlt] wuͤrde ſein Vater / ſeyn; sein; und ſcherzte gleichfalls. Doch der Obriſt /kam, das Geſpraͤch ward abgebrochen, und der /ganze Gegenſtand, da die Marquiſe ſich in eini/ 290 gen Tagen wieder erholte, vergeſſen./

Bald darauf ward der Familie, eben zu einer /Zeit, da ſich auch der ForſtmeiſterAufseher über einen großen in viele Reviere geteilten Forst. Vgl. [Adelung: ›Forstmeister‹] u. [Meyers: ›Forstmeister‹]. von G...., /des Commendanten Sohn, in dem Hauſe ein/229gefunden hatte, der ſonderbare Schrecken, durch /einen Kammerdiener, der ins in‘s Zimmer trat, den /Grafen F... anmelden zu hoͤren. Der Graf /F...! ſagte der Vater und die Tochter zugleich; /und das Erſtaunen machte alle Alle ſprachlos. Der /Kammerdiener verſicherte, daß er recht geſehen / 300 und gehoͤrt habe, habe; und daß der Graf ſchon im /Vorzimmer ſtehe, und warte. Der Commen/dant ſprang ſogleich ſelbſt auf, ihm zu oͤffnen, /worauf er, ſchoͤn, wie ein junger Gott, ein /wenig bleich im Geſicht, eintrat. Nachdem die /Scene unbegreiflicher Verwunderung voruͤber /war, und der Graf, auf die Anſchuldigung der /Eltern, daß er ja todt ſey, sei, verſichert hatte, daß /er lebe; wandte er ſich, mit vieler Ruͤhrung im /Geſicht, zur Tochter, und ſeine erſte Frage war / 310 gleich, wie ſie ſich befinde? Die Marquiſe ver/ſicherte, ſehr wohl, und wollte nur wiſſen, wie /er ins in’s Leben erſtanden ſey? sei? Doch er, [nicht gesperrt] auf ſei/nem seinen Gegenſtand beharrend, erwiederte: daß ſie /ihm nicht die Wahrheit ſage; auf ihrem Antlitz /druͤcke ſich eine ſeltſame Mattigkeit aus; ihn /muͤſſe Alles truͤgen, oder ſie ſey sei unpaͤßlich, und /230leide. Die Marquiſe, durch die Herzlichkeit, /womit er dies vorbrachte, gut geſtimmt, ver/ſetzte: nun ja; ja, dieſe Mattigkeit, wenn er wolle, / 320 koͤnne fuͤr die Spur einer Kraͤnklichkeit gelten, /an welcher ſie vor einigen Wochen gelitten haͤtte; /ſie fuͤrchte inzwiſchen nicht, daß dieſe weiter von /Folgen ſeyn sein wuͤrde. Worauf er, mit einer auf/flammenden Freude, erwiederte: er auch nicht! /und hinzuſetzte, ob ſie ihn heirathen wolle? Die /Marquiſe wußte nicht, was ſie von dieſer Auf/fuͤhrung denken ſolle. Sie ſah, uͤber und uͤber /roth, ihre Mutter, und dieſe, mit Verlegen/heit, den Sohn und den Vater an; waͤhrend / 330 der Graf vor die Marquiſe trat, und indem er /ihre Hand nahm, als ob er ſie kuͤſſen wollte, wolle, /wiederholte: ob ſie ihn verſtanden haͤtte? Der /Commendant ſagte: ob er nicht Platz nehmen /wolle; und ſetzte ihm, auf eine verbindliche, ob/ſchon etwas ernſthafte, Art einen Stuhl hin. /Die Obriſtinn ſprach: in der That, wir werden /glauben, daß Sie ein Geiſt ſind, bis Sie uns /werden eroͤffnet haben, wie Sie aus dem Grabe, /in welches man Sie zu P... gelegt hatte, er/ 340 231ſtanden ſind. Der Graf ſetzte ſich, indem er /die Hand der Dame fahren ließ, nieder, und /ſagte, daß er, durch die Umſtaͤnde gezwungen, /ſich ſehr kurz faſſen muͤſſe; daß er, toͤdtlich toͤdlich durch /die Bruſt geſchoſſen, nach P... gebracht worden /waͤre; daß er mehrere Monate daſelbſt an ſeinem /Leben verzweifelt haͤtte; daß waͤhrend deſſen die /Frau Marquiſe ſein einziger Gedanke geweſen /waͤre; daß er die Luſt und den Schmerz nicht /beſchreiben koͤnnte, die ſich in dieſer Vorſtellung / 350 umarmt haͤtten; daß er endlich, nach ſeiner /Wiederherſtellung, wieder zur Armee gegangen /waͤre; daß er daſelbſt die lebhafteſte Unruhe em/pfunden haͤtte; daß er mehrere Male die Feder /ergriffen, um in einem Briefe, an den Herrn /Obriſten und die Frau Marquiſe, ſeinem Her/zen Luft zu machen; daß er ploͤtzlich mit Depe/ſchen[GWB: ›Depeschen‹] ›eilige, durch Boten od (meist reitende) Post übermittelte schriftl Nachricht od Sendung amtl od privaten Charakters‹. nach Neapel geſchickt worden waͤre; daß /er nicht wiſſe, ob er nicht von dort weiter nach /Conſtantinopel werde abgeordert werden; daß er / 360 vielleicht gar nach St. Petersburg werde gehen / muͤſſen; daß ihm inzwiſchen unmoͤglich waͤre, /laͤnger zu leben, ohne uͤber eine nothwendige /232Forderung ſeiner Seele ins Reine zu ſeyn; sein; daß /er dem Drang bei ſeiner Durchreiſe durch M..., /einige Schritte zu dieſem Zweck zu thun, nicht /habe widerſtehen koͤnnen; kurz, daß er den /Wunſch hege, mit der Hand der Frau Mar/quiſe begluͤckt zu werden, und daß er auf das / ehrfurchtsvollſte, Ehrfurchtsvollste, inſtaͤndigſte Inständigste und dringendſte Dringendste / 370 bitte, ſich ihm hieruͤber guͤtig zu erklaͤren. — /Der Commendant, nach einer langen Pauſe, /erwiederte: daß ihm dieſer Antrag zwar, wenn /er, wie er nicht zweifle, ernſthaft gemeint ſey, sei, /ſehr ſchmeichelhaft waͤre. Bei dem Tode ihres /Gemahls, des Marquis von O..., haͤtte ſich /ſeine Tochter aber entſchloſſen, in keine zweite /Vermaͤhlung einzugehen. Da ihr jedoch kuͤrzlich /von ihm eine ſo große VerbindlichkeitVgl. [Amelung: ›Verbindlichkeit‹, 2] ›In passiver Bedeutung, der Zustand, da man sich in der moralischen Nothwendigkeit zu einer Handlung befindet, sie rühre nun von einem Gesetze, oder von einem freywilligen Versprechen, oder endlich auch von empfangenen Gefälligkeiten und Wohlthaten her.‹ auferlegt /worden ſey: sei: ſo waͤre es nicht unmoͤglich, daß / 380 ihr Entſchluß dadurch, ſeinen Wuͤnſchen gemaͤß, /eine Abaͤnderung erleide; er bitte ſich inzwiſchen /die Erlaubniß fuͤr ſie aus, daruͤber im Stillen /waͤhrend einiger Zeit nachdenken zu duͤrfen. Der /Graf verſicherte, daß dieſe guͤtige Erklaͤrung /zwar alle ſeine Hoffnungen befriedige; daß ſie /233ihn, unter anderen Umſtaͤnden, auch voͤllig /begluͤcken wuͤrde; daß er die ganze Unſchicklich/keit fuͤhle, ſich mit derſelben nicht zu beruhigen: /daß dringende Verhaͤltniſſe jedoch, uͤber welche / 390 er ſich naͤher auſzulaſſen nicht im Stande ſey, sei, /ihm eine beſtimmtere Erklaͤrung aͤußerſt wuͤn/ſchenswerth machten; daß die Pferde, die ihn /nach Neapel tragen ſollten, vor ſeinem Wagen /ſtuͤnden; und daß er inſtaͤndigſt bitte, wenn /irgend etwas in dieſem Hauſe guͤnſtig fuͤr ihn /ſpreche, — wobei er die Marquiſe anſah — /ihn nicht, ohne eine guͤtige Aeußerung daruͤber, /abreiſen zu laſſen. Der Obriſt, durch dieſe Auf/fuͤhrung ein wenig betreten, antwortete, daß / 400 die Dankbarkeit, die die Marquiſe fuͤr ihn em/pfaͤnde, ihn zwar zu großen Vorausſetzungen / berechtige: berechtige; doch nicht zu ſo großen; großen, ſie werde /bei einem Schritte, bei welchem es das Gluͤck /ihres Lebens gelte, nicht ohne ohne die gehoͤrige Klugheit /verfahren. Es waͤre unerlaßlich, daß ſeiner /Tochter, bevor ſie ſich erklaͤre, das Gluͤck ſeiner /naͤheren Bekanntſchaft wuͤrde. Er lade ihn ein, /nach Vollendung ſeiner Geſchaͤftsreiſe, nach /234M... zuruͤckzukehren, und auf einige Zeit der / 410 Gaſt ſeines Hauſes zu ſeyn. sein. Wenn alsdann die /Frau Marquiſe hoffen koͤnne, durch ihn gluͤck/lich zu werden, ſo werde auch er, eher aber nicht, so werde er, doch eher nicht, /mit Freuden vernehmen, daß ſie ihm eine be/ſtimmte Antwort gegeben habe. Der Graf /aͤußerte, indem ihm eine Roͤthe ins in’s Geſicht ſtieg, /daß er ſeinen ungeduldigen Wuͤnſchen, waͤhrend /ſeiner ganzen Reiſe, dies Schickſal vorausge/ſagt habe; daß er ſich inzwiſchen dadurch in die /aͤußerſte Bekuͤmmerniß geſtuͤrzt ſehe; daß ihm, / 420 bei der unguͤnſtigen Rolle, die er eben jetzt zu /ſpielen gezwungen ſey, sei, eine naͤhere Bekannt/ſchaft nicht anders anders, als vortheilhaft vortheilhaft, ſeyn sein koͤnne; /daß er fuͤr ſeinen Ruf, wenn anders dieſe zwei/deutigſte aller Eigenſchaften in Erwaͤgung gezo/gen werden ſolle, einſtehen zu duͤrfen glaube; /daß die einzige nichtswuͤrdige Handlung, die er /in ſeinem Leben begangen haͤtte, der Welt unbe/kannt, und er ſchon im Begriff ſey, sei, ſie wieder /gut zu machen; daß er, mit einem Wort, ein / 430 ehrlicher Mann ſey, sei, und die Verſicherung anzu/nehmen bitte, daß dieſe Verſicherung wahrhaftig /235 ſey. sei. — Der Commendant erwiederte, indem er /ein wenig, obſchon ohne Ironie, laͤchelte, daß /er alle dieſe Aeußerungen unterſchreibe. Noch /haͤtte er keines jungen Mannes Bekanntſchaft /gemacht, der, in ſo kurzer Zeit, ſo viele vor/treffliche Eigenſchaften des Characters entwickelt /haͤtte. Er glaube faſt, daß eine kurze Bedenk/zeit die Unſchluͤſſigkeit, die noch obwalte, heben / 440 wuͤrde; bevor er jedoch Ruͤckſprache genommen /haͤtte, mit ſeiner ſowohl, als des Herrn Grafen /Familie, koͤnne keine andere Erklaͤrung, als die /gegebene, erfolgen. Hierauf aͤußerte der Graf, /daß er ohne Eltern Eltern, und frei ſey. sei. Sein Onkel / ſey sei der General K..., fuͤr deſſen Einwilligung /er ſtehe. Er ſetzte hinzu, daß er Herr eines /anſehnlichen Vermoͤgens waͤre, und ſich wuͤrde /entſchließen koͤnnen, Italien zu ſeinem Vater/lande zu machen. — Der Commendant machte / 450 ihm eine verbindliche Verbeugung, erklaͤrte ſei/nen Willen noch einmal; und bat ihn, bis nach /vollendeter Reiſe, von dieſer Sache abzubrechen. /Der Graf, nach einer kurzen Pauſe, in welcher /er alle Merkmale der groͤßten Unruhe gegeben /236hatte, ſagte, indem er ſich zur Mutter wandte, /daß er ſein Aeußerſtes gethan haͤtte, um dieſer /Geſchaͤftsreiſe auszuweichen; daß die Schritte, /die er deshalb beim General en Chef,Kommandierender General eines Armeekorps. In der Kaiserlich Russischen Armee ab 1796 nicht mehr als Rangbezeichnung gebräuchlich. Vgl. [Wikipedia] und dem /General K..., ſeinem Onkel, gewagt haͤtte, / 460 die entſcheidendſten Entscheidendsten geweſen waͤren, die ſich /haͤtten thun laſſen; daß man aber geglaubt /haͤtte, ihn dadurch aus einer Schwermuth auf/zuruͤtteln, die ihm von ſeiner Krankheit noch /zuruͤckgeblieben waͤre; und daß er ſich jetzt voͤllig /dadurch ins Elend geſtuͤrzt ſehe. — Die Familie /wußte nicht, was ſie zu dieſer Aeußerung ſagen /ſollte. Der Graf fuhr fort, indem er ſich die /Stirn rieb, daß wenn irgend Hoffnung waͤre, /dem Ziele ſeiner Wuͤnſche dadurch naͤher zu kom/ 470 men, er ſeine Reiſe Reise, auf einen Tag, auch wohl /noch etwas daruͤber, ausſetzen wuͤrde, um es zu /verſuchen. — Hierbei ſah er, nach der Reihe, /den Commendanten, die Marquiſe und die Mut/ter an. Der Commendant blickte mißvergnuͤgt /vor ſich nieder, und antwortete ihm nicht. Die /Obriſtinn ſagte: gehn Sie, gehn Sie, Herr /Graf; reiſen Sie nach Neapel; ſchenken Sie /237uns, wenn Sie wiederkehren, auf einige Zeit /das Gluͤck Ihrer Gegenwart; ſo wird ſich das / 480 Uebrige finden. — Der Graf ſaß einen Augen/blick, und ſchien zu ſuchen, was er zu thun /habe. Drauf, indem er ſich erhob, und ſeinen /Stuhl wegſetzte: da er die Hoffnungen, ſprach /er, mit denen er in dies Haus getreten ſey, sei, als /uͤbereilt erkennen muͤſſe, und die Familie, wie /er nicht mißbillige, auf eine naͤhere Bekannt/ſchaft beſtehe: ſo werde er ſeine Depeſchen, zu /einer anderweitigen Expedition,Auslieferung, Verschickung. Vgl. [GWB: ›Expedition‹] nach Z..., in /das Hauptquartier, zuruͤckſchicken, und das / 490 guͤtige Anerbieten, der Gaſt dieſes Hauſes zu / ſeyn, sein, auf einige Wochen annehmen. Worauf /er noch, den Stuhl in der Hand, an der Wand /ſtehend, einen Augenblick verharrte, und den /Commendanten anſah. Der Commendant ver/ſetzte, daß es ihm aͤußerſt leid thun wuͤrde, wenn /die Leidenſchaft, die er zu ſeiner Tochter gefaßt /zu haben ſcheine, ihm Unannehmlichkeiten von /der ernſthafteſten Art zuzoͤge: daß er indeſſen inzwischen /wiſſen muͤſſe, was er zu thun und zu laſſen / 500 habe, die Depeſchen abſchicken, und die fuͤr ihn /238beſtimmten Zimmer beziehen moͤchte. Man ſah /ihn bei dieſen Worten ſich entfaͤrben, der Mut/ter ehrerbietig die Hand kuͤſſen, ſich gegen die /Uebrigen verneigen und ſich entfernen./

Als er das Zimmer verlaſſen hatte, wußte /die Familie nicht, was ſie aus dieſer Erſchei/nung machen ſolle. Die Mutter ſagte, es waͤre /wohl nicht moͤglich, daß er Depeſchen, mit de/nen er nach Neapel ginge, gienge, nach Z... zuruͤck/ 510 ſchicken wolle, bloß, weil es ihm nicht gelungen /waͤre, auf ſeiner Durchreiſe durch M..., in /einer fuͤnf minutenlangen Minuten langen Unterredung, von /einer ihm ganz unbekannten Dame ein Jawort /zu erhalten. Der Forſtmeiſter aͤußerte, daß eine /ſo leichtſinnige That ja mit nichts Geringerem, /als Feſtungsarreſt, beſtraft werden wuͤrde! Und /Caſſation›Kassation‹: militärische Disziplinarstrafe, Entlassung aus dem Dienst (ohne Aussicht auf Wiedereinstellung). Vgl. [Meyers: ›Kassation‹] obenein, ſetzte der Commendant hinzu. /Es habe aber damit keine Gefahr, fuhr er fort. /Es ſey sei ein bloßer Schreckſchuß beim Sturm; er / 520 werde ſich wohl noch, ehe er die Depeſchen ab/geſchickt, wieder beſinnen. Die Mutter, als ſie /von dieſer Gefahr unterrichtet ward, aͤußerte /die lebhafteſte Beſorgniß, daß er ſie abſchicken /239werde. Sein heftiger, auf einen Punkt Punct hin/treibender Wille, meinte ſie, ſcheine ihr grade /einer ſolchen That faͤhig. Sie bat den Forſt/meiſter auf das dringendſte, Dringendste, ihm ſogleich nach/zugehen, und ihn von einer ſo ungluͤckdrohenden unglücksvollen /Handlung abzuhalten. Der Forſtmeiſter erwie/ 530 derte, daß ein ſolcher Schritt gerade das Gegen/theil bewirken, und ihn nur in der Hoffnung, /durch ſeine Kriegsliſt zu ſiegen, beſtaͤrken wuͤrde. /Die Marquiſe war derſelben Meinung, obſchon /ſie verſicherte, daß ohne ihn die Abſendung der /Depeſchen unfehlbarWahr, sicher, zuverlässig, unbedingt. Vgl. [DWB: ›unfehlbar‹, 1a] erfolgen wuͤrde, indem er /lieber werde ungluͤcklich werden, als ſich eine /Bloͤße geben wollen. Alle kamen darin uͤberein, /daß ſein Betragen ſehr ſonderbar ſey, sei, und daß /er Damenherzen durch Anlauf, wie Feſtungen, / 540 zu erobern gewohnt ſcheine. In dieſem Augen/blick bemerkte der Commendant den angeſpann/ten Wagen des Grafen vor ſeiner Thuͤr. Er /rief die Familie ans an’s Fenſter, und fragte einen /eben eintretenden Bedienten, erſtaunt, ob der /Graf noch im Hauſe ſey? sei? Der Bediente ant/wortete, daß er unten, in der Domeſtikenſtube,Unterkunft des Dienstpersonals. Vgl. ›Zimmer für Domestiken und Hausofficianten‹ in Carl L. v. Bothmer: Betrachtungen und Einfälle über die Bauart der Privatgebäude in Teutschland. Augsburg: Stage, 1779. S. 13 /240in Geſellſchaft eines Adjutanten,Einem höheren Offizier zur Unterstützung beigegebener Leutnant. Briefe ſchreibe /und Pakete verſiegle. Der Commendant, der /ſeine Beſtuͤrzung unterdruͤckte, eilte mit dem / 550 Forſtmeiſter hinunter, und fragte den Grafen, /da er ihn auf dazu nicht ſchicklichen Tiſchen ſeine /Geſchaͤfte betreiben ſah, ob er nicht in ſeine Zim/mer treten wolle? Und ob er ſonſt irgend etwas /befehle? Der Graf erwiederte, indem er mit /Eilfertigkeit fortſchrieb, daß er unterthaͤnigſt / danke, und danke; daß ſein GeſchaͤftIm 18. Jahrhundert noch gebraucht im Sinne von Tätigkeiten (abgeleitet von ›schaffen‹). Vgl. [Adelung: ›Geschäft‹]. abgemachtErledigt, abgeschlossen, fertig gemacht. Vgl. [DWB: ›abmachen‹]. ſey; sei; fragte /noch, indem er den Brief zuſiegelte, nach der /Uhr; und wuͤnſchte dem Adjutanten, nachdem /er ihm das ganze PortefeuilleBriefmappe. uͤbergeben hatte, / 560 eine gluͤckliche Reiſe. Der Commendant, der /ſeinen Augen nicht traute, ſagte, indem der Ad/jutant zum Hauſe hinausging: hinausgieng: Herr Graf, /wenn Sie nicht ſehr wichtige Gruͤnde haben — /Entſcheidende! fiel ihm der Graf ins in’s Wort; /begleitete den Adjutanten zum Wagen, und oͤff/nete ihm die Thuͤr. In dieſem Fall wuͤrde ich /wenigſtens, fuhr der Commendant fort, die De/peſchen — Es iſt nicht moͤglich, antwortete der /Graf, indem er den Adjutanten in den Sitz hob. / 570 241Die Depeſchen gelten nichts in Neapel ohne /mich. Ich habe auch daran gedacht. Fahr zu! /— Und die Briefe Ihres Herrn Onkels? rief /der Adjutant, ſich aus der Thuͤr hervorbeugend. /Treffen mich, erwiederte der Graf, in M.... /Fahr zu, ſagte der Adjutant, und rollte mit dem /Wagen dahin./

Hierauf fragte der Graf F..., indem er ſich /zum Commendanten wandte, ob er ihm gefaͤlligſtUm 1800 noch ohne negative Konnotierung im Sinne von ›Gefallen erweckend‹, ›gefällig sein‹. Vgl. [DWB: ›gefällig‹, insb. 4] /ſein Zimmer anweiſen laſſen wolle? Er wuͤrde / 580 gleich ſelbſt die Ehre haben, antwortete der ver/wirrte Obriſt; rief ſeinen und des Grafen Leu/ten, das Gepaͤck desſelben aufzunehmen: aufzunehmen; und /fuͤhrte ihn in die fuͤr fremden Beſuch beſtimmten /Gemaͤcher des Hauſes, Hauses; wo er ſich ihm mit einem /trocknen GeſichtHier in der Bedeutung von distanzierter, betont ausdrucksloser Mimik. empfahl. Der Graf kleidete ſich /um; verließ das Haus, um ſich bei dem Gouver/neur des Platzes zu melden, melden; und fuͤr den ganzen /weiteren Reſt des Tages im Hauſe unſichtbar, /kehrte er erſt kurz vor der Abendtafel dahin / 590 zuruͤck./

Inzwiſchen war die Familie in der lebhafte/ſten Unruhe. Der Forſtmeiſter erzaͤhlte, wie/242 beſtimmt, auf einige Vorſtellungen des Com/mendanten, des Grafen Antworten ausgefallen /waͤren; meinte, daß ſein Verhalten einem voͤllig /uͤberlegten Schritt aͤhnlich ſehe; und fragte, in /aller Welt, nach den Urſachen einer ſo auf Cou/rierpferden gehenden Bewerbung. Der Com/mendant ſagte, daß er von der Sache nichts ver/ 600 ſtehe, und forderte die Familie Familie Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] auf, davon weiter /nicht in ſeiner Gegenwart zu ſprechen. Die /Mutter ſah alle Augenblicke aus dem Fenſter, /ob er nicht kommen, ſeine leichtſinnige That be/reuen, und wieder gut machen werde. Endlich, /da es finſter ward, ſetzte ſie ſich zur Marquiſe /nieder, welche, mit vieler Emſigkeit, an einem /Tiſch arbeitete, und das Geſpraͤch zu vermeiden /ſchien. Sie fragte ſie halblaut, waͤhrend der /Vater auf- auf- und niederging, niedergieng, ob ſie begreife, was / 610 aus dieſer Sache werden ſolle? Die Marquiſe /antwortete, mit einem einem, ſchuͤchtern nach dem /Commendanten gewandten gewandten, Blick: wenn der Va/ter bewirkt haͤtte, daß er nach Neapel gereiſt gereis’t waͤ/re, ſo waͤre alles Alles gut. Nach Neapel! rief der /Commendant, der dies gehoͤrt hatte. Sollt’ ich /243den Prieſter holen laſſen? Oder haͤtt’ ich ihn / ſchließen binden In Ketten schließen lassen. Vgl. [DWB: ›schließen‹ 2b] In der Phöbus-Version ist hier noch in abgeschwächter Form von ›binden lassen‹ die Rede. laſſen und arretiren,Festnehmen, verhaften. Vgl. [GWB: ›arretieren‹]. und mit Bewa/chung nach Neapel ſchicken ſollen? — Nein, /antwortete die Marquiſe, Marquise; aber lebhafte und ein/ 620 dringliche Vorſtellungen thun ihre Wirkung; Wirkung, /und ſah, ein wenig unwillig, wieder auf ihre /Arbeit nieder. — Endlich gegen die Nacht er/ſchien der Graf. Man erwartete nur, nach den /erſten Hoͤflichkeitsbezeugungen, daß dieſer Ge/genſtand zur Sprache kommen wuͤrde, um ihn /mit vereinter Kraft Macht zu beſtuͤrmen, den Schritt, /den er gewagt hatte, hätte, wenn es noch moͤglich ſey, sei, /wieder zuruͤckzunehmen. Doch vergebens, waͤh/rend der ganzen Abendtafel, erharrteEtwas erwarten. Vgl. [DWB: ›erharren‹]. man dieſen / 630 Augenblick. GefliſſentlichMit Fleiß, mit Vorwand. Vgl. [Adelung: ›geflissentlich‹]. Alles, was darauf /fuͤhren konnte, vermeidend, unterhielt er den /Commendanten vom Kriege, Kriege und den Forſtmei/ſter von der Jagd. Als er des Gefechts bei P..., /in welchem er verwundet worden war, erwaͤhnte, /verwickelte ihn die Mutter bei der Geſchichte ſei/ner Krankheit, fragte ihn, wie es ihm an dieſem /kleinen Orte ergangen ſey, sei, und ob er die gehoͤri/genGebührend, geziemend. Vgl. [DWB: ›gehörig‹, 5 a/b] Bequemlichkeiten gefunden haͤtte. Hierauf/ 244erzaͤhlte er mehrere, durch ſeine Leidenſchaft zur / 640 Marquiſe intereſſanten, Zuͤge: wie ſie beſtaͤndig, /waͤhrend ſeiner Krankheit, an ſeinem Bette ge/ſeſſen haͤtte; wie er die Vorſtellung von ihr, in /der Hitze des Wundfiebers, immer mit der Vor/ſtellung eines SchwansSchwan als Metapher für Weissheit, Reinheit, Unschuld. Sehr ausführlich [DWB: ›Schwan‹]. Hier auch Verweis auf Schwan als Metapher für ›weisze und schönheit‹ der Jungfrauen. Schon in der Antike steht der Schwan für vielerlei Symbolik: er ist der heilige Vogel des Apoll, Jupiter verwandelte sich in einen Schwan, um Leda zu verführen, Schwäne bildeten das Gespann für Venus oder Amor. verwechſelt haͤtte, den /er, als Knabe, auf ſeines Onkels Guͤtern geſe/hen; daß ihm beſonders eine Erinnerung ruͤh/rend geweſen waͤre, da er dieſen Schwan einſt /mit Koth beworfen, worauf dieſer ſtill unterge/taucht, und rein aus der Fluth wieder wieder aus der Fluth emporge/ 650 kommen ſey; sei; daß ſie immer auf feurigen Fluthen /umhergeſchwommen waͤre, und er Thinka geru/fen haͤtte, welches der Name jenes Schwans ge/weſen, daß er gewesen wäre, aber nicht im Stande geweſen /waͤre, ſie an ſich zu locken, locken, indem ſie ihre Freude /gehabt haͤtte, hätte bloß blos am Rudern und In-die-/Bruſt-ſich-werfen; verſicherte ploͤtzlich, blut/roth im Geſicht, daß er ſie außerordentlich liebe: /ſah wieder auf ſeinen Teller nieder, und ſchwieg. /Man mußte endlich von der Tafel aufſtehen; / 660 und da der Graf, nach einem kurzen Geſpraͤch /mit der Mutter, ſich ſogleich gegen die Geſell/245ſchaft verneigte, und wieder in ſein Zimmer zu/ruͤckzog: ſo ſtanden die Mitglieder derſelben wie/der, und wußten nicht, was ſie denken sagen ſollten. /Der Commendant meinte: man muͤſſe der Sa/che ihren Lauf laſſen. Er rechne wahrſcheinlich /auf ſeine Verwandten bei dieſem Schritte. In/fameEhrlos, schändlich. Vgl. [GWB: ›infam‹] Caſſation ſtuͤnde ſonſt darauf. Frau von/ G.... fragte ihre Tochter, was ſie denn von / 670 ihm halte? Und ob ſie ſich wohl zu irgend einer /Aeußerung, die ein Ungluͤck vermiede, wuͤrde /verſtehen koͤnnen? Die Marquiſe antwortete: /Liebſte Mutter! Das iſt nicht moͤglich. Es /thut mir leid, daß meine Dankbarkeit auf eine /ſo harte Probe geſtellt wird. Doch es war mein /Entſchluß, mich nicht wieder zu vermaͤhlen; ich /mag mein Gluͤck nicht, und nicht ſo unuͤberlegt, /auf ein zweites Spiel ſetzen. setzen. setzen. setzen= setzen. [emendiert ohne Kommentarhinweis] Der Forſtmeiſter /bemerkte, daß wenn dies ihr feſter Wille waͤre; / 680 auch dieſe Erklaͤrung ihm Nutzen ſchaffen koͤn/ne, und daß daſs es faſt nothwendig ſcheine, ihm ir/gend eine beſtimmte zu geben. Die Obriſtinn /verſetzte, daß da dieſer junge Mann, den ſo viele /außerordentliche Eigenſchaften empfoͤhlen, empfehlen, ſeinen/246 Aufenthalt in Italien nehmen zu wollen, erklaͤrt /habe, ſein Antrag, nach ihrer Meinung, einige /Ruͤckſicht, und der Entſchluß der Marquiſe Pruͤ/fung verdiene. Der Forſtmeiſter, indem er ſich /bei ihr niederließ, fragte, wie er ihr denn, was / 690 ſeine Perſon anbetreffe, gefalle? Die Marquiſe Marquise Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] /antwortete, mit einiger Verlegenheit: er gefaͤllt /und mißfaͤllt mir; und berief ſich auf das Gefuͤhl /der Anderen. Die Obriſtin Obristinn ſagte: wenn er von /Neapel zuruͤckkehrt, zurückkehrte, und die Erkundigungen, /die wir inzwiſchen uͤber ihn einziehen koͤnnten, /dem Geſammteindruck, den du von ihm empfan/gen haſt, nicht widerſpraͤchen: wie wuͤrdeſt du /dich, falls er alsdann ſeinen Antrag wiederholte, /erklaͤren? In dieſem Fall, verſetzte die Marquiſe Marquise, / 700 wuͤrd’ ich — da in der That ſeine Wuͤnſche ſo /lebhaft ſcheinen, dieſe Wuͤnſche — ſie ſtockte, schwieg, /und ihre Augen glaͤnzten, indem ſie dies ſagte — /um der Verbindlichkeit willen, die ich ihm ſchul/dig bin, erfuͤllen. Die Mutter, die eine zweite /Vermaͤhlung ihrer Tochter immer gewuͤnſcht /hatte, hatte Muͤhe, ihre Freude uͤber dieſe Er/klaͤrung zu verbergen, und ſann, was ſich wohl /247daraus machen laſſe. Der Forſtmeiſter ſagte, /indem er unruhig vom Sitz wieder aufſtand, / 710 daß wenn die Marquiſe irgend an die Moͤglichkeit /denke, ihn einſt mit ihrer Hand zu erfreuen, /jetzt gleich nothwendig ein Schritt dazu geſchehen /muͤſſe, um den Folgen ſeiner raſenden That vor/zubeugen. Die Mutter war derſelben Meinung, /und behauptete, daß zuletzt das Wagſtuͤck nicht /allzugroß waͤre, indem bei ſo vielen vortreff/lichen Eigenſchaften, die er in jener Nacht, da /das Fort von den Ruſſen erſtuͤrmt ward, ent/wickelte, kaum zu fuͤrchten ſey, kaum, daß ſein uͤbri/ 720 ger Lebenswandel ihnen nicht entſprechen ſollte. sollte, zu fürchten sei. /Die Marquiſe ſah, mit dem Ausdruck der /lebhafteſten Unruhe, vor ſich nieder. Man /koͤnnte ihm ja, fuhr die Mutter fort, indem ſie /ihre Hand ergriff, etwa eine Erklaͤrung, daß /du, bis zu ſeiner Ruͤckkehr von Neapel, in /keine andere andre Verbindung eingehen wolleſt, zu/kommen laſſen. Die Marquiſe ſagte: dieſe /Erklaͤrung, liebſte Mutter, kann ich ihm ge/ben; ich fuͤrchte nur, daß ſie ihn nicht beru/ 730 higen, und uns verwickelnIn etwas hineingezogen werden, sich nicht zurechtfinden, sich verirren. Vgl. [DWB: ›verwickeln, 3b‹] wird. Das ſey sei /248meine Sorge! erwiederte die Mutter, mit leb/hafter Freude; und ſah ſich nach dem Com/mendanten um. Lorenzo! fragte ſie, was /meinſt du? und machte Anſtalten, ſich vom /Sitz zu erheben. Der Commendant, der Alles /gehoͤrt hatte, ſtand am Fenſter, ſah auf die /Straße hinaus, und ſagte nichts. Der Forſt/meiſter verſicherte, daß er, mit dieſer unſchaͤdli/chen Erklaͤrung, den Grafen aus dem Hauſe / 740 zu ſchaffen, schaffen ſich anheiſchigEtwas auf sich nehmen, versprechen etwas verbindlich zu tun. Vgl. [DWB: ›anheischig‹] und [Adelung: ›anheischig‹]. mache. Nun ſo /macht! macht! macht! rief der Vater, indem /er ſich umkehrte: ich muß mich dieſem Ruſſen /ſchon zum zweitenmal ergeben! — Hierauf /ſprang die Mutter auf, kuͤßte ihn und die /Tochter, und fragte, indem der Vater Vaͤter uͤber /ihre Geſchaͤftigkeit laͤchelte, wie man dem Gra/fen jetzt dieſe Erklaͤrung augenblicklich hinter/bringen Eine Botschaft, Nachricht überbringen. Vgl. [GWB: ›hinterbringen‹].ſolle? Man beſchloß, auf den Vor/ſchlag des Forſtmeiſters, ihn bitten zu laſſen, / 750 ſich, falls er noch nicht entkleidet ſey, sei, gefaͤlligſt /auf einen Augenblick zur Familie zu verfuͤgen.Sich verfügen: sich wohin begeben. Vgl. [DWB: ›verfügen, 2b‹] /Er werde gleich die Ehre haben zu erſcheinen! /ließ der Graf antworten, und kaum war der /249KammerdienerPersönlicher Bedienter. Vgl. [Adelung: ›Kammerdiener‹]. mit dieſer Meldung zuruͤck, als /er ſchon ſelbſt, mit Schritten, die die Freude be/fluͤgelte, ins in‘s Zimmer trat, und zu den Fuͤßen /der Marquiſe, in der allerlebhafteſten Ruͤhrung Rührung, /niederſank. Der Commendant wollte etwas ſa/gen: doch er, indem er aufſtand, verſetzte er, versetzte, versetzte, [emendiert nach Phöbus-Fassung mit Kommentarhinweis] In der Phöbus-Fassung steht statt ›versetzte er,‹ nur ›versetzte,‹. Diese Textstelle wird in den Kleist-Editionen unterschiedlich behandelt. [DKV III, 159;10], [Kleist/Bartl:2012, 139,23] emendieren (unter Hinweis auf die Phöbus-Fassung im Kommentar) nach der Phöbus-Fassung, [BKA II/2, 42;10] emendiert nicht (mit Hinweis im Kommentar), ebenso [MA, 122;3] (ohne Hinweis auf Phöbus-Fassung im Kommentar). In früheren Editionen (Sembdner, Schmidt, Zolling) wird einheitlich nach der Phöbus-Fassung verfahren (meist ohne textkritischen Hinweis). Beide Lesarten scheinen berechtigt, abhängig davon, wie das Satzgefüge aufgelöst wird: a) ›doch er wisse genug‹, wobei das Pronomen ›er‹ rethorisch wieder aufgenommen wird, oder b) ›doch er versetzte‹. Da im vorliegenden Text hinter dem Doppelpunkt zumeist unmittelbar eine (häufig indirekte) Rede angeschlossen wird, wird die Textstelle im Sinne von a) gelesen und nicht emendiert. er / 760 wiſſe genug! kuͤßte ihm und der Mutter die /Hand, umarmte den Bruder, und bat nur um /die Gefaͤlligkeit, ihm ſogleich zu einem Reiſewa/gen zu verhelfen. Die Marquiſe, obſchon von /dieſem Auftritt bewegt, ſagte doch: ich fuͤrchte /nicht, Herr Graf, daß daſs daß [emendiert ohne Kommentarhinweis] Ihre raſche Hoffnung /Sie zu weit — Nichts! Nichts! verſetzte der /Graf; es iſt nichts geſchehen, wenn die Erkun/digungen, die Sie uͤber mich einziehen moͤgen, /dem Gefuͤhl widerſprechen, das mich zu Ihnen / 770 in dies Zimmer zuruͤckberief. Hierauf um/armte der Commendant ihn auf das herzlichſte, Herzlichste, /der Forſtmeiſter bot ihm ſogleich ſeinen eigenen eignen /Reiſewagen an, ein JaͤgerHier in der Bedeutung eines herrschaftlichen Bedienten in ›jägerischer kleidung‹. Vgl. [DWB: ›Jäger‹, 2] flog auf die Poſt, /Courierpferde auf PraͤmienPreis, Belohnung. Vgl. [DWB: ›Prämie‹] zu beſtellen, und /Freude war bei dieſer Abreiſe, wie noch niemals /bei einem Empfang. Er hoffe, ſagte der Graf, /250die Depeſchen in B... einzuholen, von wo er /jetzt einen naͤheren Weg nach Neapel, als uͤber / M... M..., einſchlagen wuͤrde; in Neapel wuͤrde er / 780 ſein Moͤglichſtes thun, die fernere Geſchaͤftsreiſe /nach Conſtantinopel abzulehnen; und da er, auf /den aͤußerſten Fall, entſchloſſen waͤre, ſich krank /anzugeben, ſo verſicherte er, daß wenn nicht un/vermeidliche Hinderniſſe ihn abhielten, er in Zeit /von vier bis ſechs Wochen unfehlbar wieder in /M... ſeyn sein wuͤrde. Hierauf meldete ſein Jaͤ/ger, daß der Wagen angeſpannt, und Alles zur /Abreiſe bereit ſey. sei. Der Graf nahm ſeinen Huth, /trat vor die Marquiſe, und ergriff ihre Hand. / 790 Nun denn, ſprach er, Julietta, ſo bin ich eini/germaßen beruhigt; und legte ſeine Hand in die /ihrige; obſchon es mein ſehnlichſter sehnlicher Wunſch war, /mich noch vor meiner Abreiſe mit Ihnen zu ver/maͤhlen.Eine eheliche Verbindung, Vereinigung eingehen. Vgl. [Adelung: ›vermählen‹]. Die aufkommende Empörung der Familie und die Nachfrage der Marquise, ob der Graf ›von Sinnen ſey‹, ist schon deshalb nachvollziehbar, da der Graf bei seinem überraschenden Besuch sich offensichtlich nicht nur verloben, sondern zusätzlich noch die Vermählung vollziehen wollte. Vermaͤhlen! riefen alle Mitglieder der /Familie aus. Vermaͤhlen, wiederholte der /Graf, kuͤßte der Marquiſe die Hand, und ver/ſicherte, da dieſe fragte, ob er von Sinnen ſey: sei: /es wuͤrde ein Tag kommen, wo ſie ihn verſtehen /wuͤrde! Die Familie wollte auf ihn boͤſe wer/ 800 251den; doch er nahm gleich gleich hierauf auf das Waͤrmſte von /Allen Abſchied, bat ſie, uͤber dieſe Aeußerung /nicht weiter nachzudenken, nachzudenken, und reiſte reis’te ab./

Mehrere Wochen, in welchen die Familie, /mit ſehr verſchiedenen Empfindungen, auf den /Ausgang dieſer ſonderbaren Sache geſpannt war, / verſtrichen. verstrichen: Der der Commendant empfing empfieng vom Ge/neral K..., dem Onkel des Grafen, eine hoͤf/liche Zuſchrift; der Graf ſelbſt ſchrieb aus Nea/pel; die Erkundigungen, die man uͤber ihn ein/ 810 zog, ſprachen ziemlich zu ſeinem Vortheil; kurz, /man hielt die Verlobung ſchon fuͤr ſo gut, wie /abgemacht: als ſich die Kraͤnklichkeiten der Mar/quiſe, mit groͤßerer Lebhaftigkeit, als jemals, /wieder einſtellten. Sie bemerkte eine unbegreif/liche Veraͤnderung ihrer Geſtalt. Sie entdeckte /ſich mit voͤlliger Freimuͤthigkeit ihrer Mutter, /und ſagte, ſie wiſſe nicht, was ſie von ihrem Zu/ſtand denken ſolle. Die Mutter, welche ſo ſon/derbare Zufaͤlle fuͤr die Geſundheit ihrer Tochter / 820 aͤußerſt beſorgt machten, verlangte, daß ſie einen /Arzt zu Rathe ziehe. Die Marquiſe, die durch /ihre Natur zu ſiegen hoffte, ſtraͤubte ſich dage/252gen; ſie brachte mehrere Tage noch, ohne dem /Rath der Mutter zu folgen, unter den empfind/lichſten Leiden zu: bis Gefuͤhle, immer wieder/kehrend wiederkehrende, und von ſo wunderbarer Art, ſie in /die lebhafteſte Unruhe ſtuͤrzten. Sie ließ einen /Arzt rufen, der das Vertrauen ihres Vaters be/ſaß, noͤthigte ihn, da gerade die Mutter abwe/ 830 ſend war, auf den DivanGepolsterter, orientalischer Sitz. Vgl. [DWB: ›Divan‹, 3] nieder, und eroͤffnete /ihm, nach einer kurzen Einleitung, ſcherzend, /was ſie von ſich glaube. Der Arzt warf einen /forſchenden Blick auf ſie; ſchwieg noch, nachdem /er eine genaue Unterſuchung vollendet hatte, eine /Zeitlang: und antwortete dann dann, mit einer ſehr /ernſthaften Miene, daß daſs sich die Frau Marquiſe /ganz richtig urtheile. beurtheile. Nachdem er ſich sich, auf die /Frage der Dame, wie er dies verſtehe, verstehe? ganz deut/lich erklaͤrt, und mit einem Laͤcheln, das er nicht / 840 unterdruͤcken konnte, geſagt hatte, daß ſie ganz /geſund ſey, sei, und keinen Arzt brauche, brauche: zog die /Marquiſe, und ſah ihn ſehr ſtreng von der Seite /an, die Klingel, und bat ihn, ſich zu entfernen. /Sie aͤußerte halblaut, als ob er der Rede nicht /werth waͤre, vor ſich nieder murmelnd: daß ſie /253nicht Luſt haͤtte, mit ihm uͤber Gegenſtaͤnde dieſer /Art zu ſcherzen. Der Doctor erwiederte em/pfindlich:Gereizt. Vgl. [DWB: ›empfindlich‹, Adv. 2]. er muͤſſe wuͤnſchen, daß ſie immer zum /Scherz ſo wenig aufgelegt geweſen waͤre, wie / 850 jetzt; nahm Stock und Huth, und machte An/ſtalten, ſich ſogleich zu empfehlen. Die Mar/quiſe verſicherte, daß ſie von dieſen Beleidigungen /ihren Vater unterrichten wuͤrde. Der Arzt ant/wortete, daß er ſeine Ausſage vor Gericht be/ſchwoͤren koͤnne: er würde eher Berge, als seine feste Meinung von ihr, versetzten können; oͤffnete die Thuͤr, verneigte ſich, /und wollte das Zimmer verlaſſen. Die Mar/quiſe fragte, da er noch einen Handſchuh, den /er hatte fallen laſſen, von der Erde aufnahm: /und die Moͤglichkeit davon, Herr Doctor? Der / 860 Doctor Arzt erwiederte, daß er ihr die letzten Gruͤnde /der Dinge nicht werde zu erklaͤren brauchen; /verneigte ſich ihr noch einmal, und ging gieng ab./

Die Marquiſe ſtand, wie vom Donner ge/ruͤhrt. Sie raffte ſich auf, und wollte zu ihrem /Vater eilen; doch der ſonderbare Ernſt des Man/nes, von dem ſie ſich beleidigt ſah, laͤhmte alle /ihre Glieder. Sie warf ſich in der groͤßten Be/wegung auf den Divan nieder. Sie durchlief, /254gegen ſich ſelbſt selbt mißtrauiſch, alle Momente des / 870 verfloſſenen Jahres, und hielt ſich fuͤr verruͤckt, /wenn ſie an den letzten dachte. Endlich erſchien /die Mutter; und auf die beſtuͤrzte Frage, war/um weshalb ſie ſo unruhig ſey? sei? erzaͤhlte ihr die Tochter, /was ihr der Arzt ſo eben eroͤffnet hatte. Frau /von G.... nannte ihn einen Unverſchaͤmten und /Nichtswuͤrdigen, und beſtaͤrkte die Tochter in /dem Entſchluß, dieſe Beleidigung dem Vater zu /entdecken. Die Marquiſe verſicherte, daß es /ſein voͤlliger Ernſt geweſen ſey, sei, und daß er ent/ 880 ſchloſſen ſcheine, dem Vater ins in’s Geſicht ſeine ra/ſende Behauptung zu wiederholen. Frau von /G.... fragte, nicht wenig erſchrocken, ob ſie /denn an die Moͤglichkeit eines ſolchen Zuſtandes /glaube? Eher, antwortete die Marquiſe, daß /die Graͤber befruchtet werden, und ſich dem /Schooße der Leichen eine Geburt entwickeln /wird! Nun, du liebes liebes, wunderliches Weib, ſagte /die Obriſtin, Obristinn, indem ſie ſie feſt an ſich druͤckte: /was beunruhigt dich denn? Wenn dein Bewußt/ 890 ſeyn dich rein ſpricht: wie kann dich ein das Urtheil, /und waͤre es das einer einer ganzen Conſulta von Aerz/255ten, nur kuͤmmern? Ob das Seinige aus Irrthum, /ob es aus Bosheit entſprang: gilt es dir nicht /voͤllig gleichviel? Doch ſchicklich›Was gehörig ist‹, der Stellung einer Person (hier des Vaters) angemessen. Vgl. [DWB: ›schicklich‹, 2]. iſt es, daß wir /es dem Vater entdecken. — O Gott! ſagte die /Marquiſe, mit einer convulſiviſchen convulsivischen convulsivischen [emendiert ohne Kommentarhinweis] Krampfartig zuckend. Vgl. [GWB: ›Konvulsion‹] Bewegung: /wie kann ich mich beruhigen. Hab’ ich nicht /mein eignes, innerliches, mir nur allzuwohlbe/kanntes Gefuͤhl gegen mich? Wuͤrd’ ich nicht, / 900 wenn ich in ich einer andern Andern meine Empfindung wuͤßte, /von ihr ſelbſt urtheilen, daß es damit ſeine Rich/tigkeit habe? Es iſt entſetzlich, verſetzte die Obri/ſtin. Obristinn. Bosheit! Irrthum! fuhr die Marquiſe /fort. Was kann dieſer Mann, der uns bis auf /den heutigen Tag ſchaͤtzenswuͤrdig erſchien, fuͤr /Gruͤnde haben, mich auf eine ſo muthwillige und /niedertraͤchtige Art zu kraͤnken? Mich, die ihn / nie nicht beleidigt hatte? Die ihn mit Vertrauen, und /dem Vorgefuͤhl zukuͤnftiger Dankbarkeit, em/ 910 pfing? empfieng? Bei der er, wie ſeine erſten Worte zeug/ten, mit dem reinen und unverfaͤlſchten Willen /erſchien, zu helfen, nicht Schmerzen, grimmi/gere, als ich empfand, erſt zu erregen? Und /wenn ich in der Nothwendigkeit der Wahl, fuhr /256ſie fort, waͤhrend die Mutter ſie unverwandt an/ſah, an einen Irrthum glauben wollte: iſt es /wohl moͤglich, daß ein Arzt, auch nur von mit/telmaͤßiger Geſchicklichkeit, in ſolchem Falle irre? /— Die Obriſtin Obristinn ſagte ein wenig ſpitz: und / 920 gleichwohl muß es doch nothwendig Eins oder /das Andere geweſen ſeyn. sein. Ja! verſetzte die Mar/quiſe, meine theuerſte Mutter, indem ſie ihr, /mit dem Ausdruck der gekraͤnkten Wuͤrde, hoch/roth im Geſicht gluͤhend, die Hand kuͤßte: das /muß es! Obſchon die Umſtaͤnde ſo außerordent/lich ſind, daß es mir erlaubt iſt, daran zu zwei/feln. Ich ſchwoͤre, weil es doch einer Verſicherung /bedarf, daß mein Bewußtſeyn, Bewuſstsein, gleich dem wie meiner /Kinder iſt; nicht reiner, Verehrungswuͤrdigſte, / 930 kann das Ihrige ſeyn. sein. Gleichwohl bitte ich Sie, /mir eine Hebamme rufen zu laſſen, damit ich /mich von dem, was iſt, [gesperrt] uͤberzeuge, und gleich/viel alsdann, was es ſey, sei, beruhige. Eine Heb/amme! rief Frau von G.... mit Entwuͤrdi/gung.Herabsetzung, Herabwürdigung, hier ›gefühl gekränkter würde‹. Vgl. [DWB: ›Entwürdigung‹] Ein reines Bewußtſeyn, Bewuſstsein, und eine Heb/amme! Und die Sprache ging gieng ihr aus. Eine /Hebamme, meine theuerſte Mutter, wiederholte / 257die Marquiſe, indem ſie ſich auf Knieen vor ihr/ niederließ; und das augenblicklich, wenn ich nicht / 940 wahnſinnig werden ſoll. O ſehr gern, verſetzte /die Obriſtin; nur Obristinn. Nur bitte ich, das Wochenlager /nicht in meinem Hauſe zu halten. Und damit /ſtand ſie auf, und wollte das Zimmer verlaſſen. /Die Marquiſe, ihr mit ausgebreiteten ausgestreckten Armen /folgend, fiel ganz auf das Geſicht nieder, und /umfaßte ihre Kniee. Wenn irgend ein unſtraͤf/liches Leben, rief ſie, mit der Beredtſamkeit des /Schmerzes, ein Leben, nach Ihrem Muſter ge/fuͤhrt, mir ein Recht auf Ihre Achtung giebt, / 950 wenn irgend ein muͤtterliches Gefuͤhl auch nur, /ſo lange meine Schuld nicht ſonnenklar entſchie/den iſt, in Ihrem Buſen fuͤr mich ſpricht: ſo /verlaſſen Sie mich in dieſen entſetzlichen Augen/blicken nicht. — Was iſt es, das dich beunru/higt? fragte die Mutter. Iſt es weiter nichts, /als der Ausſpruch des Arztes? Weiter nichts, /als dein innerliches Gefuͤhl? Nichts weiter, /meine Mutter, verſetzte die Marquiſe, und legte /ihre Hand auf die Bruſt. Nichts, Julietta? / 960 fuhr die Mutter fort. Beſinne dich. Ein Fehl/258tritt, ſo unſaͤglich er mich ſchmerzen wuͤrde, er /ließe ſich, und ich muͤßte müſst’ ihn zuletzt verzeihn; doch /wenn du, um einem muͤtterlichen Verweis aus/zuweichen, ein Maͤhrchen von der Umwaͤlzung /der Weltordnung erſinnen, und gotteslaͤſterliche /Schwuͤre haͤufen koͤnnteſt, um es meinem, dir /nur allzugernglaͤubigen, Herzen aufzubuͤrden: /ſo waͤre das ſchaͤndlich: ich wuͤrde dir niemals /wieder gut werden. — Moͤge das Reich der Er/ 970 loͤſung einſt ſo offen vor mir liegen, wie meine /Seele vor Ihnen, rief die Marquiſe. Ich ver/ſchwieg verschweige Ihnen nichts, meine Mutter. — Dieſe /Aeußerung, voll Pathos gethan, erſchuͤtterte die /Mutter. O Himmel! rief ſie: mein liebens/wuͤrdiges Kind! Wie ruͤhrſt du mich! Und hob /ſie auf, und kuͤßte ſie, und druͤckte ſie an ihre /Bruſt. Was denn, in aller Welt, fuͤrchteſt du? /Komm, du biſt ſehr krank. Sie wollte ſie in /ein Bett fuͤhren. Doch die Marquiſe, welcher / 980 die Thraͤnen haͤufig floſſen, verſicherte, daß ſie /ſehr geſund waͤre, und daß ihr gar nichts fehle, /außer jenem ſonderbaren und unbegreiflichen Zu/ſtand. — Zuſtand! rief die Mutter wieder; /259welch wieder. Welch ein Zuſtand? Wenn dein Gedaͤchtniß uͤber /die Vergangenheit ſo ſicher iſt, welch ein Wahn/ſinn der Furcht ergriff dich? Kann ein innerli/ches Gefuͤhl denn, das doch nur dunkel ſich regt, /nicht truͤgen? Nein! Nein! ſagte die Marquiſe, /es truͤgt mich nicht! Und wenn Sie die Heb/ 990 amme rufen laſſen wollen, ſo werden ſie hoͤren, /daß das Entſetzliche, mich Vernichtende, wahr /iſt. — Komm, meine liebſte Tochter, ſagte /Frau von G...., G..., die fuͤr ihren Verſtand zu /fuͤrchten anfing. anfieng. Komm, folge mir, und lege /dich zu Bett. Was meinteſt du, daß dir der /Arzt geſagt hat? Wie dein Geſicht gluͤht! Wie /du an allen Gliedern ſo zitterſt! Was war es /ſchon, daß das [emendiert] dir der Arzt geſagt hat? Und damit /zog ſie die Marquiſe, unglaͤubig nunmehr an den / 1000 ganzen Auftritt, den ſie ihr erzaͤhlt hatte, mit /ſich fort. — Die Marquiſe ſagte: Liebe! Vor/treffliche! indem ſie mit weinenden Augen laͤ/chelte. Ich bin meiner Sinne maͤchtig. Der /Arzt hat mir geſagt, daß ich in geſegneten Lei/besumſtaͤnden Umständen bin. Laſſen Sie die Hebamme /rufen: und ſobald ſie ſagt, daß es nicht wahr /260iſt, bin ich wieder ruhig. Gut, gut! erwiederte /die Obriſtin, Obristinn, die ihre Angſt unterdruͤckte. Sie /ſoll gleich kommen; ſie kommen. Sie ſoll gleich, wenn du / 1010 dich von ihr willſt auslachen laſſen, erſcheinen, /und dir ſagen, daß du eine Traͤumerin, Träumerinn, und /nicht recht klug biſt. Und damit zog ſie die Klin/gel, und ſchickte augenblicklich einen ihrer Leute, /der die Hebamme rufe./

Die Marquiſe lag noch, mit unruhig ſich /hebender Bruſt, in den Armen ihrer Mutter, /als dieſe Frau erſchien, und die Obriſtin Obristinn ihr, /an welcher ſeltſamen Vorſtellung ihre Tochter /krank liege, eroͤffnete. Die Frau Marquiſe / 1020 ſchwoͤre, daß ſie ſich tugendhaft verhalten habe, /und gleichwohl halte ſie, von einer unbegreifli/chen Empfindung getaͤuſcht, fuͤr noͤthig, daß eine /ſachverſtaͤndige Frau ihren Zuſtand unterſuche. /Die Hebamme, waͤhrend ſie ſich von demſelben /unterrichtete, ſprach von jungem Blut und der /Argliſt der Welt; aͤußerte, als ſie ihr Geſchaͤft /vollendet hatte, dergleichen Faͤlle waͤren ihr ſchon / vorgekommen; vorgekommen; vorgekommen; [emendiert ohne Kommentarhinweis] die jungen Wittwen, die in ihre /Lage kaͤmen, meinten alle auf wuͤſten Inſeln›Wüste Inseln‹ und Seeräuber sind ein beliebter Topos in der Literatur des 18. Jahrhundert, vgl. z. B. das Singspiel ›Die wüste Insel‹ von August G. Meißner. [August G. Meißner: Die wüste Insel. Singspiel. Leipzig: Dyck, 1778]. / 1030 261gelebt zu haben; beruhigte inzwiſchen die Frau /Marquiſe, und verſicherte ſie, daß ſich der mun/tere Corſar,Seeräuber. Vgl. [Adelung: ›Corsar‹] der zur Nachtzeit gelandet, ſchon /finden wuͤrde. Bei dieſen Worten fiel die Mar/quiſe in Ohnmacht. Die Obriſtin, Obristinn, die ihr /muͤtterliches Gefuͤhl nicht uͤberwaͤltigen konnte, /brachte ſie zwar, mit Huͤlfe der Hebamme, wie/der ins Leben zuruͤck. Doch die Entruͤſtung /ſiegte, da ſie erwacht war. Julietta! rief die /Mutter mit dem lebhafteſten Schmerz. Willſt / 1040 du dich mir entdecken, willſt entdecken? Willst du den Vater mir /nennen? Und ſchien noch zur Verſoͤhnung ge/neigt. Doch als die Marquiſe ſagte, daß ſie /wahnſinnig werden wuͤrde, ſprach die Mutter, /indem ſie ſich vom Divan erhob: geh! geh! du /biſt nichtswuͤrdig! Verflucht ſey die die Stunde, da /ich dich gebahr!Die Verfluchung der Geburt findet sich schon im Alten Testament (Jeremia, 20), dort allerdings als Selbstverfluchung ›VErflucht sey der tag / darinn ich geboren bin / Der tag müsse vngesegenet sein / darinn mich meine Mutter geboren hat.‹. [Jer 20,14] und verließ das Zimmer./

Die Marquiſe, der das Tageslicht von / neuem Neuem ſchwinden wollte, zog die Geburtshelfe/rin Geburtshelferinn vor ſich nieder, und legte ihr Haupt heftig / 1050 zitternd an ihre Bruſt. Sie fragte, mit gebro/chener Stimme, wie denn die Natur auf ihren /Wegen walte? Und ob die Moͤglichkeit einer un/262wiſſentlichen Empfaͤngniß ſey? sei? — Die Heb/amme laͤchelte, machte ihr das Tuch los, und /ſagte, das wuͤrde ja doch der Frau Marquiſe /Fall nicht ſeyn. sein. Nein, nein, antwortete die /Marquiſe, ſie habe wiſſentlich empfangen, ſie /wolle nur im allgemeinen Allgemeinen wiſſen, ob dieſe Er/ſcheinung im Reiche der Natur ſey? sei? Die Heb/ 1060 amme verſetzte, daß dies, außer der heiligen /Jungfrau, soviel ihr bekannt sei, Die Geburt Jesu wird Maria angekündigt durch den Engel Gabriel: ›31 Sihe / du wirst schwanger werden im Leibe / vnd einen Son geberen / des Namen soltu Jhesus heissen. ... 34 Da sprach Maria zu dem Engel / Wie sol das zugehen? sintemal [zumal] ich von keinem Manne weis. 35 Der Engel antwortet / vnd sprach zu jr / Der heilige Geist wird vber dich komen / vnd die krafft des Hoͤhesten wird dich vberschatten. Darumb auch das Heilige / das von dir geboren wird / wird Gottes Son genennet werden.‹ [Lukas 1;31,34,35] noch keinem Weibe auf Erden zugeſto/ßen waͤre. Die Marquiſe zitterte immer heftiger. /Sie glaubte, daß ſie augenblicklich niederkommen /wuͤrde, und bat die Geburtshelferin, Geburtshelferinn, indem ſie /ſich mit krampfhafter Beaͤngſtigung an ſie ſchloß, /ſie nicht zu verlaſſen. Die Hebamme beruhigte /ſie. Sie verſicherte, daß das Wochenbett noch /betraͤchtlich entfernt waͤre, gab ihr auch die Mit/telEs muß offen bleiben, welche ›Mittel‹ die Hebamme empfiehlt. Dies können – wörtlich gelesen – um 1800 bekannte Naturmittel sein, die zu einer ›Abtreibung der Leibesfrucht‹ führen (Höpfners Deutsche Encyclopädie von 1778 verweist auf ›Sadebaumblätter‹), oder sie spricht im übertragenen Sinn von Strategien, eine legitime Geburt vorzutäuschen, wie sie z. B. Kleist in seiner ›Sonderbaren Geschichte, die sich, zu meiner Zeit, in Italien zutrug‹ [BA 1811, Nr. 2, 5ff] beschreibt. Da der Marquise die ›Troſtgruͤnde‹ wie ›Meſſerſtiche durch die Bruſt fuhren‹, scheint es plausibler, von erstgenannten Abtreibungsmitteln auszugehen. an, wie man, in ſolchen Faͤllen, dem Leu/ 1070 mundDer ›ruf, in dem jemand wegen seines moralischen verhaltens steht‹. Vgl. [DWB: ›Leumund‹, 1,2] der Welt ausweichen koͤnne, und meinte, /es wuͤrde noch Alles gut werden. Doch da dieſe /Troſtgruͤnde der ungluͤcklichen Dame voͤllig wie /Meſſerſtiche durch die Bruſt fuhren, ſo ſam/melte ſie ſich, ſagte, ſie befaͤnde ſich beſſer, und /bat ihre Geſellſchafterin Gesellschafterinn, Die Gesellschaft leistende, hier die Hebamme. Vgl. [DWB: ›Gesellschafterin‹] ſich zu entfernen./

263

Kaum war die Hebamme aus dem Zimmer, /als ihr ein Schreiben von der Mutter gebracht /ward, in welchem dieſe ſich ſo ausließ: auslieſs: „Herr von /G.... wuͤnſche, unter den obwaltenden Um/ 1080 ſtaͤnden, daß ſie ſein Haus verlaſſe. Er ſende /ihr hierbei die uͤber ihr Vermoͤgen lautenden Pa/piere,Vertragsunterlagen, die die Vermögensverhältnisse der Marquise regeln. und hoffe hoffe, daß ihm Gott den Jammer er/ſparen werde, ſie wieder zu ſehen.” sehen.” sehen:” sehen.” [emendiert ohne Kommentarhinweis] sehen=” — Der /Brief war inzwiſchen von Thraͤnen benetzt; und /in einem Winkel ſtand ein verwiſchtes Wort: /dictirt. — Der Marquiſe ſtuͤrzte der Schmerz /aus den Augen. Sie ging, gieng, heftig uͤber den Irr/thum ihrer Eltern weinend, und uͤber die Unge/rechtigkeit, zu welcher dieſe vortrefflichen Men/ 1090 ſchen verfuͤhrt wurden, nach den Gemaͤchern ih/rer Mutter. Es hieß, ſie ſey sei bei ihrem Vater; Vater: /ſie wankte nach den Gemaͤchern ihres Vaters. /Sie ſank, als ſie die Thuͤre verſchloſſen fand, /mit jammernder Stimme, alle Heiligen zu /Zeugen ihrer Unſchuld anrufend, vor derſelben /nieder. Sie mochte wohl ſchon einige Minuten /hier gelegen haben, als der Forſtmeiſter daraus aus derselben /hervortrat, und zu ihr mit mit flammendem Geſicht /264 ſagte: sagte, ſie hoͤre höre, daß der Commendant ſie nicht / 1100 ſehen wolle. Die Marquiſe rief: mein liebſter / Bruder: Bruder! unter vielem Schluchzen; draͤngte ſich /ins Zimmer, und rief: mein theuerſter Vater! /und ſtreckte die Arme nach ihm aus. Der /Commendant wandte ihr, bei ihrem Anblick, /den Ruͤcken zu, und eilte in ſein Schlafge/mach. Er rief, als ſie ihn dahin verfolgte, /hinweg! und wollte die Thuͤre zuwerfen; doch /da ſie, unter Jammern und Flehen, daß er /ſie ſchließe, verhinderte, ſo gab er ploͤtzlich nach / 1110 und eilte, waͤhrend die Marquiſe zu ihm hinein/trat, nach der hintern Wand. Wand. Sie warf ſich ihm, /der ihr den Ruͤcken zugekehrt hatte, eben zu Fuͤ/ßen, und umfaßte zitternd ſeine Kniee, als ein Pi/ſtol,Zum zeitgenössischen Sprachgebrauch gehörte sowohl die feminine Form ›Pistole‹ wie auch das Neutrum ›Pistol‹. Letzteres ist aus der franz. Form ›pistolet‹ abgeleitet. Vgl. [DWB: ›Pistol‹, 2]. Kleist nutzt in der ›Marquise‹ beide Formen (siehe Zeile 1726). das er ergriffen hatte, in dem Augenblick, da /er es von der Wand herabriß, losging, losgieng, und der /Schuß ſchmetternd in die Decke fuhr. /Herr meines Lebens!Formulierung aus dem Buch Jesu Syrach, Cap. 23,4: ›HERR Gott Vater vnd HERR meins Lebens‹. Da Kleist nur den zweiten Teil des Anrufs nutzt, ist dieser auch auf den Vater zu beziehen, zumal dieser gerade auf das Leben der Tochter zielte. rief die Marquiſe, erhob /ſich leichenblaß von ihren Knieen, und eilte /aus ſeinen Gemaͤchern wieder hinweg. Man / 1120 ſoll ſogleich anſpannen, anspannen! ſagte ſie, indem ſie in /die ihrigen trat; ſetzte ſich, matt›matt bis in den Tod‹: Formulierung aus Schillers ›Räubern‹: ›Ich wollt euch bitten mir eine Handvoll Wassers aus diesem Strome zu holen, aber ihr seid alle matt bis in den Tod.‹ Kleist benutzte die Formulierung auch schon in seiner ›Penthesilea‹. Vgl. V 424 im Phöbus-Fragment. bis in den /265Tod, auf einen Seſſel nieder, zog ihre Kinder /eilfertig an, und ließ die Sachen einpacken. /Sie hatte eben ihr Kleinſtes zwiſchen den /Knieen, und ſchlug ihm noch ein Tuch um, /um nunmehr, da alles Alles zur Abreiſe bereit war, in /den Wagen zu ſteigen: als der Forſtmeiſter ein/trat, und auf Befehl des Commendanten die /Zuruͤcklaſſung und Ueberlieferung der Kinder / 1130 von ihr forderte. Dieſer Kinder? fragte ſie; /und ſtand auf. Sag deinem unmenſchlichen /Vater, daß er kommen, und mich niederſchie/ßen, niederschieſsen: nicht aber mir meine Kinder entreißen /koͤnne! Und hob, mit dem ganzen Stolz der /Unſchuld geruͤſtet, ihre Kinder auf, trug ſie sie, /ohne daß der Bruder gewagt haͤtte, ſie anzu/halten, in den Wagen Wagen, und fuhr ab./

Durch dieſe ſchoͤne Anſtrengung mit ſich /ſelbſt bekannt gemacht,Die Formulierung ›mit sich selbst bekannt gemacht‹ findet sich schon in Kants Schrift ›Kurzer Abriss der physischen Geographie‹. Vgl. z. B. ›Sammlung einiger bisher unbekannt bebliebenen kleinen Schriften‹ [Nicolovius, Königsberg, 1807]. hob ſie ſich ploͤtzlich, / 1140 wie an ihrer eigenen eignen Hand, aus der ganzen /Tiefe, in welche das Schickſal ſie herabgeſtuͤrzt /hatte, empor. Der Aufruhr, der ihre Bruſt /zerriß, legte ſich, als ſie im Freien war, ſie /kuͤßte haͤufig die Kinder, dieſe ihre liebe Beute,Anspielung auf den gerade errungenen ›Sieg‹ gegen Vater und Bruder. /266und mit großer Selbſtzufriedenheit gedachte ſie, /welch einen Sieg ſie, durch die Kraft ihres /ſchuldfreien Bewußtſeyns, Bewuſstseins, uͤber ihren Bruder /davon getragen hatte. Ihr Verſtand, ſtark ge/nug, in ihrer ſonderbaren Lage nicht zu reißen, / 1150 gab ſich ganz unter der großen, heiligen und /unerklaͤrlichen Einrichtung der Welt gefangen. /Sie ſah die Unmoͤglichkeit ein, ihre Familie von /ihrer Unſchuld zu uͤberzeugen, begriff, daß ſie /ſich daruͤber troͤſten muͤſſe, [gesperrt] falls ſie nicht untergehen /wolle, und wenige Tage nur waren nach nach ihrer /Ankunft in V.... verfloſſen, als so machte der Schmerz /ganz und gar dem heldenmuͤthigen Vorſatz /Platz machte, [vorgezogen, s. o.] ſich mit Stolz gegen die Anfaͤlle /der Welt zu ruͤſten. Sie beſchloß, ſich ganz / 1160 in ihr Innerſtes zuruͤckzuziehen, ſich, mit aus/ſchließendem Eifer, der Erziehung ihrer beiden /Kinder zu widmen, und des Geſchenks, das ihr /Gott mit dem dritten Dritten gemacht hatte, mit voller voller, /muͤtterlichen Liebe zu pflegen. Sie machte An/ſtalten, in wenig Wochen, ſobald ſie ihre Nie/derkunft uͤberſtanden haben wuͤrde, gleich nach ihrer Niederkunft, ihren ſchoͤ/nen, aber durch die lange Abweſenheit ein wenig /267 verfallenen verfallenen, Landſitz wieder herzuſtellen; ſaß in /der Gartenlaube, und dachte, waͤhrend ſie kleine / 1170 Muͤtzen, Mützen und Struͤmpfe fuͤr kleine Beine ſtrickte, /wie ſie die Zimmer bequem vertheilen wuͤrde; würde, /auch, welches ſie mit Buͤchern fuͤllen, und in /welchem die Staffelei am ſchicklichſten Schicklichsten ſtehen / wuͤrde. würde: Und ſo und noch war der Zeitpunct, da der Graf /F... von Neapel wiederkehren ſollte, noch [vorgezogen, s. o.] nicht /abgelaufen, als da ſie ſchon voͤllig mit dem Schick/ſal, in ewig kloͤſterlicher Eingezogenheit zu leben, /vertraut war. Der Thuͤrſteher Portier In der Phöbus-Fassung durchgängig ›Portier‹ genannt. Der ›Thürsteher‹ ist ›eine Person, welche an der Thür stehet, selbige zu bewachen, eine Art Thürhüter‹. Vgl. [Adelung: ›Thuͤrsteher‹] erhielt Befehl, /keinen Menſchen im Hauſe vorzulaſſen. Nur / 1180 der Gedanke war ihr unertraͤglich, daß dem /jungen Weſen, das ſie in der groͤßten Unſchuld /und Reinheit empfangen hatte, und deſſen Ur/ſprung, eben weil er geheimnißvoller war, auch /goͤttlicher zu ſeyn ſchien, als der anderer Men/ſchen, [fehlt] ein Schandfleck in der buͤrgerlichen Geſell/ſchaft ankleben ſollte. Ein ſonderbares Mittel war /ihr eingefallen, den Vater zu entdecken: ein Mittel, /bei dem ſie, als ſie es zuerſt dachte, das Strick/zeug ſelbſt vor Schrecken aus der Hand fallen / 1190 ließ. Durch ganze Naͤchte, in unruhiger Schlaf/268loſigkeit durchwacht, ward es gedreht und ge/wendet gewendet, um ſich an ſeine seine, ihr innerſtes Gefuͤhl /verletzende, Natur zu gewoͤhnen. Immer noch /ſtraͤubte ſie ſich, mit dem Menſchen, der ſie ſo /hintergangen hatte, in irgend ein Verhaͤltniß /zu treten: indem ſie ſehr richtig ſchloß, daß /derſelbe doch, ohne alle Rettung, zum Aus/wurf ſeiner Gattung gehoͤren muͤſſe, und, auf /welchem Platz der Welt man ihn auch denken / 1200 wolle, nur aus dem zertretenſten und unflaͤ/thigſten Schlamm derſelben, derselben hervorgegangen / ſeyn sein koͤnne. Doch da das Gefuͤhl ihrer Selbſt/ſtaͤndigkeit immer lebhafter in ihr ward, wurde, und /ſie bedachte, daß der Stein ſeinen Werth behaͤlt, /er mag auch eingefaßt ſeyn, sein, wie man er wolle, ſo /griff ſie eines Morgens, da ſich das junge Leben /wieder in ihr regte, ein Herz, und ließ jene /ſonderbare Aufforderung in die Intelligenzblaͤt/terIm 18. und frühen 19. Jahrhundert die Bezeichnung für meist wöchentlich erscheinende Annoncenblätter. Primäres Ziel dieser Blätter war, den einlaufenden Angeboten und Nachfragen ein möglichst großes Publikum zu verschaffen. Ausführlicher hierzu: [Meyers: ›Intelligenzblätter‹], auch [Wikipedia]. von M... ruͤcken, die man am Eingang / 1210 dieſer Erzaͤhlung geleſen hat./

Der Graf F..., den unvermeidliche Ge/ſchaͤfte in Neapel aufhielten, hatte inzwiſchen /zum zweitenmal an die Marquiſe geſchrieben, /269und ſie aufgefordert, es moͤchten fremde Um/ſtaͤnde eintreten, welche da wollten, ihrer, ihm /gegebenen, ſtillſchweigenden Erklaͤrung getreu zu /bleiben. Sobald es ihm gegluͤckt war, ſeine /fernere Geſchaͤftsreiſe nach Conſtantinopel abzu/lehnen, und es ſeine uͤbrigen Verhaͤltniſſe ge/ 1220 ſtatteten, ging gieng er augenblicklich von Neapel ab, /und kam auch richtig, nur wenige Tage nach /der von ihm beſtimmten Friſt, in M... an. /Der Commendant empfing empfieng ihn mit einem ver/legenen Geſicht, ſagte, daß ein nothwendiges /Geſchaͤft ihn aus dem Hauſe noͤthige, und for/derte den den den [emendiert ohne Kommentarhinweis] Forſtmeiſter auf, ihn inzwiſchen zu /unterhalten. Der Forſtmeiſter zog ihn auf ſein /Zimmer, und fragte ihn, nach einer kurzen /Begruͤßung, ob er ſchon wiſſe, was ſich waͤh/ 1230 rend ſeiner Abweſenheit in dem Hauſe des Com/mendanten zugetragen habe. Der Graf ant/wortete, mit einer fluͤchtigen Blaͤſſe: nein. /Hierauf unterrichtete ihn der Forſtmeiſter von /der Schande, die die Marquiſe uͤber die Fami/lie gebracht hatte, und gab ihm die Geſchichts/erzaͤhlung deſſen, was unſre Leſer ſo eben er/270fahren haben. Der Graf ſchlug ſich mit der /Hand vor die Stirn. Warum legte man mir /ſo viele Hinderniſſe in den Weg! rief er in der / 1240 Vergeſſenheit ſeiner. Wenn die Vermaͤhlung /erfolgt waͤre: ſo waͤre alle Schmach und jedes /Ungluͤck uns erſpart! Der Forſtmeiſter fragte, /indem er ihn anglotzte, ob er raſend genug waͤre, wäre: /zu wuͤnſchen, mit dieſer Nichtswuͤrdigen ver/maͤhlt zu ſeyn? sein? Der Graf erwiederte, daß ſie /mehr werth waͤre, als die ganze Welt, die ſie /verachtete; daß ihre Erklaͤrung uͤber ihre Un/ſchuld vollkommnen Glauben bei ihm faͤnde; und /daß er noch heute nach V... gehen, und ſeinen / 1250 Antrag bei ihr wiederholen wuͤrde. Er ergriff /auch ſogleich ſeinen Huth, empfahl ſich dem /Forſtmeiſter, der ihn fuͤr ſeiner Sinne voͤllig /beraubt hielt, und ging gieng ab./

Er beſtieg ein Pferd und ſprengte nach V... /hinaus. Als er am Thore abgeſtiegen war, /und in den Vorplatz treten wollte, ſagte ihm der / Thuͤrſteher, Portier, daß die Frau Marquiſe keinen Men/ſchen ſpraͤche. Der Graf fragte, ob dieſe, fuͤr /Fremde getroffene, Maaßregel Maßregel auch einen / 1260 271Freund des Hauſes gaͤlte; worauf jener der Portier antwor/tete, daß er von keiner Ausnahme wiſſe, /und bald darauf, auf eine zweideutige Art Art, /hinzuſetzte: ob er vielleicht der Graf F... waͤ/re? Der Graf erwiederte, nach einem forſchen/den Blick, nein; und aͤußerte, zu ſeinem Be/dienten gewandt, doch ſo, daß jener es hoͤren /konnte, er werde, unter ſolchen Umſtaͤnden, in /einem Gaſthofe abſteigen, und ſich bei der Frau /Marquiſe ſchriftlich anmelden. Sobald er in/ 1270 zwiſchen dem Thuͤrſteher Portier aus den Augen war, bog /er um eine Ecke, und umſchlich die Mauer eines /weitlaͤufigen Gartens, der ſich hinter dem Hauſe /ausbreitete. Er trat trat, durch eine Pforte, die er /offen fand, in den Garten, durchſtrich die Gaͤn/ge desſelben, und wollte eben die hintere RampeSchräge Fläche vor dem Haustor zur besseren Auffahrt, Begriff stammt ursprünglich aus dem Festungsbau. Vgl. [DWB: ›Rampe‹, 1]. /hinaufſteigen, als er, in einer Laube, die zur /Seite lag, die Marquiſe, in ihrer lieblichen und / geheimnißvollen geheimniſsvollen geheimnißvollen [emendiert ohne Kommentarhinweis] Geſtalt, an einem kleinen Tiſch/chen emſig arbeiten ſah. Er naͤherte ſich ihr ſo, / 1280 daß ſie ihn nicht fruͤher erblicken konnte, als bis /er am Eingang Eingange der Laube, drei kleine Schritte /von ihren Fuͤßen, ſtand. Der Graf F...! ſagte /272die Marquiſe, als ſie die Augen aufſchlug, und /die Roͤthe der Ueberraſchung uͤberflog ihr Geſicht. /Der Graf laͤchelte, blieb noch eine Zeitlang, /ohne ſich im Eingang zu ruͤhren, ſtehen; stehen, ſetzte /ſich dann, mit ſo beſcheidener Zudringlichkeit, /als ſie nicht zu erſchrecken noͤthig war, neben ihr /nieder, und ſchlug, ehe ſie noch, in ihrer ſonder/ 1290 baren Lage, einen Entſchluß gefaßt hatte, ſeinen /Arm ſanft um ihren lieben Leib. Von wo, /Herr Graf, iſt es moͤglich, fragte die Marquiſe /— und ſah ſchuͤchtern vor ſich auf die Erde nie/der. Der Graf ſagte: von M..., und druͤckte /ſie ganz leiſe an ſich; durch eine hintere Pforte, /die ich offen fand. Ich glaubte auf Ihre Ver/zeihung rechnen zu duͤrfen, und trat ein. Hat /man ihnen Ihnen denn in M... nicht geſagt — ? — /fragte ſie, und ruͤhrte noch kein Glied in ſeinen / 1300 Armen. Alles, geliebte Frau, verſetzte der /Graf; doch von ihrer Ihrer Unſchuld voͤllig uͤberzeugt /— Wie! rief die Marquiſe, indem ſie aufſtand, /und ſich loswickelte; und Sie kommen gleich/wohl? gleichwohl — Der Welt zum Trotz, fuhr er fort, in/dem er ſie feſthielt, und ihrer Ihrer Familie zum Trotz, /273und dieſer lieblichen Erſcheinung ſogar zum /Trotz; wobei er einen gluͤhenden Kuß auf ihre /Bruſt druͤckte. wobei er auf ihre Brust glühend niedersah — Hinweg! rief die Marquiſe /— So uͤberzeugt, ſagte er, Julietta, als ob ich / 1310 allwiſſend waͤre, als ob meine Seele in deiner /Bruſt wohnte — Die Marquiſe rief: Laſſen ſie Sie /mich! Ich komme ſchloß er — Komme, schloß er, und ließ ſie nicht — nicht: /meinen Antrag zu wiederholen, und das Loos der /Seeligen, wenn Sie sie mich erhoͤren wollen, von /Ihrer Hand zu empfangen. Laſſen Sie mich /augenblicklich! rief die Marquiſe; ich befehls befehl’s /Ihnen! riß ſich gewaltſam aus ſeinen Armen, /und entfloh. Geliebte! Vortreffliche! fluͤſterte /er, indem er wieder aufſtand, aufstand und ihr folgte. — folgte — / 1320 Sie hoͤren! rief die Marquiſe, und wandte ſich, /und wich ihm aus. Ein einziges, heimliches heimliches, Ge/fluͤſtertes geflüstertes — ! ſagte der Graf, und griff haſtig /nach ihrem glatten, ihm entſchluͤpfenden Arm. Arm /— Ich will nichts wiſſen, verſetzte die Mar/quiſe, ſtieß ihn heftig vor die Bruſt zuruͤck, eilte /auf die Rampe, und verſchwand./

Er war ſchon halb auf die Rampe gekommen, /um ſich, es koſte, was es wolle, bei ihr Gehoͤr /274zu verſchaffen, als die Thuͤr vor ihm zuflog, / 1330 und der Riegel heftig, mit verſtoͤrter Beeiferung, /vor ſeinen Schritten zuraſſelte. Unſchluͤſſig, ei/nen Augenblick, was unter ſolchen Umſtaͤnden zu /thun ſey, sei, ſtand er, und uͤberlegte, ob er durch /ein, zur Seite offen ſtehendes stehendes, Fenſter einſteigen, /und ſeinen Zweck, bis er ihn erreicht, verfolgen /ſolle; doch ſo ſchwer es ihm auch in jedem Sinne /war, umzukehren, diesmal ſchien es die Noth/wendigkeit zu erfordern, und grimmig erbittert /uͤber ſich, daß er ſie aus ſeinen Armen gelaſſen / 1340 hatte, ſchlich er die Rampe hinab, hinab und verließ den /Garten, um ſeine Pferde aufzuſuchen. Er fuͤhlte fühlte, /daß der Verſuch, ſich an ihrem Buſen zu erklaͤ/ren, fuͤr immer fehlgeſchlagen ſey, sei, und ritt ſchritt/weis, indem er einen Brief uͤberlegte, den er /jetzt zu ſchreiben verdammt war, nach M... zu/ruͤck. Abends, da er ſich, in der uͤbelſten Laune /von der Welt,Um 1800 offensichtlich eine stehende Redewendung, da in damaligen Texten öfter gleichlautend zu finden. Z. B.: [Schultes: Reise auf den Glockner. Wien: Degen, 1804. S. 21], [Ernst Wagner: Die reisenden Maler. Leipzig: Göschen, 1806. S. 130], [Johann Friedrich Jünger: Lustspiele. Leipzig: Dyck, 1786. S. 110] u. a. bei einer oͤffentlichen TafelMeist ein eher höfisches Zeremoniell, hier wohl in der Bedeutung eines in besseren Wirtshaͤusern stattfindenden Table d'hôte, an denen die ›oft sehr gute Gesellschaft‹ zusammen kam. Vgl. entsprechenden Bericht aus der Schweiz [Carl G. Küttner: Briefe eines Sachsen aus der Schweiz an seinen Freund in Leipzig. Leipzig: Dyck, 1785.]. einge/funden hatte, traf er den Forſtmeiſter an, der /ihn auch ſogleich befragte, ob er ſeinen Antrag / 1350 in V... gluͤcklich angebracht habe? Der Graf /antwortete kurz: nein! und war ſehr geſtimmt, /ihn mit einer bitteren bitterern Wendung abzufertigen; /275doch um der Hoͤflichkeit ein Genuͤge zu thun, /ſetzte er nach einer Weile hinzu: er habe ſich /entſchloſſen, ſich ſchriftlich an ſie zu wenden, /und werde damit in kurzem Kurzem ins in’s Reine ſeyn. sein. /Der Forſtmeiſter ſagte: er ſehe mit Bedauern, /daß ſeine Leidenſchaft fuͤr die Marquiſe ihn /ſeiner Sinne beraube. Er muͤſſe ihm inzwi/ 1360 ſchen verſichern, daß ſie bereits auf dem Wege / ſey, sei, eine andere Wahl zu treffen; klingelte /nach den neueſten Zeitungen, und gab ihm das /Blatt, in welchem die Aufforderung derſelben /an den Vater ihres Kindes eingeruͤckt war. /Der Graf durchlief, indem ihm das Blut ins in’s /Geſicht ſchoß, die Schrift. Ein Wechſel Eine Verwirrung von /Gefuͤhlen durchkreuzte ergriff ihn. Der Forſtmeiſter /fragte, ob er nicht glaube, daß die Perſon, die /die Frau Marquiſe ſuche, ſich finden werde? / 1370 — Unzweifelhaft! verſetzte der Graf, Graf; indeſſen / er mit ganzer seine Seele uͤber dem Papier lag, und /den Sinn desſelben gierig verſchlang. verschlang, und wiederkäute. Darauf Drauf, /nachdem er einen Augenblick, waͤhrend er /das Blatt zuſammenlegte, an das Fenſter ge/treten war, ſagte er: war: nun iſt es gut! gut! kehrte er sich um; nun /276weiß ich, was ich zu thun habe! kehrte ſich/ ſodann um; und fragte fragte den Forſtmeiſter noch, /auf eine verbindliche Art, ob man ihn bald wie/derſehen werde; empfahl ſich ihm, und ging, gieng, / 1380 voͤllig ausgeſoͤhnt mit ſeinem Schickſal, fort. —/

Inzwiſchen waren in dem Hauſe des Comm/endanten die lebhafteſten Auftritte vorgefal/len. Die Obriſtin Obristinn war uͤber die zerſtoͤrende /Heftigkeit ihres Gatten desselben und uͤber die Schwaͤche, /mit welcher ſie ſich, bei der tyranniſchen Ver/ſtoßung der Tochter, von ihm hatte unterjo/chen laſſen, aͤußerſt erbittert. Sie war, als /der Schuß in des Commendanten Schlafge/mach fiel, und die Tochter aus demſelben her/ 1390 vorſtuͤrzte, in eine Ohnmacht geſunken, aus /der ſie ſich zwar bald wieder erholte; doch erholte. Doch /der Commendant hatte, in dem Augenblick ih/res Erwachens, weiter nichts geſagt, als, es /thaͤte ihm leid, daß ſie dieſen Schrecken um/ſonſt gehabt, und das abgeſchoſſene Piſtol auf /einen Tiſch geworfen. Nachher, da von der /Abforderung der Kinder die Rede war, wagte /ſie ſchuͤchtern, zu erklaͤren, daß man zu einem /277ſolchen Schritt kein Recht habe; ſie bat mit / 1400 einer, durch die gehabte Anwandlung, ſchwa/chen und ruͤhrenden Stimme, heftige Auftritte /im Hauſe zu vermeiden; doch der Commen/dant erwiederte weiter nichts, als, indem er /ſich zum Forſtmeiſter wandte, vor Wuth ſchaͤu/mend: geh! und ſchaff ſie mir! Als der zweite /Brief des Grafen F... ankam, hatte der /Commendant befohlen, daß er nach V... zur /Marquiſe herausgeſchickt werden ſolle, welche /ihn, wie man nachher durch den Boten erfuhr, / 1410 bei Seite gelegt, und geſagt hatte, es waͤre /gut. Die Obriſtin, Obristinn, der in der ganzen Bege/benheit ſo vieles, und beſonders die Geneigt/heit der Marquiſe, eine neue, ihr ganz gleich/guͤltige gleichgültige, Vermaͤhlung einzugehen, dunkel war, /ſuchte vergebens, dieſen Umſtand zur Sprache /zu bringen. Der Commendant bat immer, /auf eine Art, die einem Befehle gleich ſah, zu /ſchweigen; verſicherte, indem er einſt, bei einer /ſolchen Gelegenheit, ein Portrait herabnahm, / 1420 das noch von ihr an der Wand hing, hieng, daß er /ſein Gedaͤchtniß ihrer ganz zu vertilgen wuͤn/278ſche; wünsche, und meinte, er haͤtte keine Tochter mehr. /Drauf erſchien der ſonderbare Aufruf Aufsatz der /Marquiſe in den Zeitungen. Die Obriſtin, Obristinn, /die auf das lebhafteſte Lebhafteste daruͤber betroffen war, / ging gieng mit dem Zeitungsblatt, das das das [emendiert ohne Kommentarhinweis] ſie von dem /Commendanten erhalten hatte, in ſein Zimmer, /wo ſie ihn an einem Tiſch arbeitend fand, und /fragte ihn, was er in aller Welt davon halte? / 1430 Der Commendant ſagte, indem er fortſchrieb: /o! ſie iſt unſchuldig. Wie! rief Frau von /G...., mit dem alleraͤußerſten Erſtaunen: un/ſchuldig? Sie hat es im Schlaf gethan, ſagte /der Commendant, ohne aufzuſehen. Im Schla/fe! verſetzte Frau von G.... Und ein ſo un/geheurer Vorfall waͤre — ? Die Naͤrrin! Närrinn! rief /der Commendant, ſchob die Papiere uͤber ein/ander, und ging gieng weg. weg. weg. weg. /

Am naͤchſten Zeitungſtage las die Obriſtin, Obristinn, / 1440 da beide beim Fruͤhſtuͤck ſaßen, in einem In/telligenzblatt, das eben ganz feucht von der /Preſſe kam, folgende Antwort: Antwort darauf: /

„Wenn die Frau Marquiſe von O.... ſich, /„am 3ten... 11 Uhr Morgens, im Hauſe /279„des Herrn von G...., ihres Vaters, /„einfinden will: ſo wird ſich derjenige, den /„ſie ſucht, ihr daſelbſt zu Fuͤßen werfen.” — [Zitierende Textpassage wird in der Phöbusversion als eigener dreizeiliger Absatz mit einem An- und Abführungszeichen dargestellt. [Zeilenfall abweichend.] [Zeilenfall abweichend.] /

Der Obriſtin Obristinn verging, vergieng, ehe ſie noch auf die /Haͤlfte dieſes unerhoͤrten Artikels gekommen war, / 1450 die Sprache; Sprache, ſie uͤberflog das Ende, und reichte /das Blatt dem Commendanten dar. Der /Obriſt durchlas das Blatt dreimal, als ob er /ſeinen eignen Augen nicht traute. Nun ſage /mir, um des Himmels Willen, Lorenzo, rief /die Obriſtin, Obristinn, was haͤltſt du davon? O die /Schaͤndliche! verſetzte der Commendant, und /ſtand auf; o die verſchmitzte Heuchlerin! Heuchlerinn! Zehn/mal die Schamloſigkeit einer Huͤndin, Hündinn, mit /zehnfacher Liſt des Fuchſes gepaart, reichen noch / 1460 an die ihrige nicht! Solch eine Miene! Zwei /ſolche Augen! Ein CherubHöchster Engel, hier in der Bedeutung eines ›Geschöpf höchster Vollkommenheit‹. Vgl. [GWB: ›Cherub‹, b] hat ſie nicht treuer! — /und jammerte und konnte ſich nicht beruhigen. /Aber was in aller Welt, fragte die Obriſtin, Obristinn, /wenn es eine Liſt iſt, kann ſie damit bezwek/ken? — Was ſie damit bezweckt? Ihre nichts/wuͤrdige Betruͤgerei, mit Gewalt will ſie ſie durch/ſetzen, erwiederte der Obriſt. Auswendig ge/280lernt iſt ſie ſchon, die Fabel,Hier als unwahre erfundene Geschichte zu verstehen. Vgl. [DWB: ›Fabel‹, 2] die ſie uns beide, /ſie und er, am 3ten 11 Uhr Morgens hier auf/ 1470 buͤrdenAusgehend vom folgenden Satz des Vaters steht ›aufbuͤrden‹ hier in der Bedeutung von ›zu Unrecht anlasten‹, ›beschuldigen‹. Vgl. [GWB: ›aufbürden‹, b] [Adelung: ›aufbürden‹, 2]. wollen. Mein liebes Toͤchterchen, ſoll /ich ſagen, das wußte ich nicht, wer konnte das /denken, vergieb mir, nimm meinen Seegen, /und ſey sei wieder gut. Aber die Kugel dem, der /am 3ten Morgens uͤber meine Schwelle tritt! /Es muͤßte denn ſchicklicher ſeyn, sein, ihn mir durch / Bedienten [emendiert in ›Bediente‹] aus dem Hauſe zu ſchaffen. — Frau /von G.... ſagte, nach einer nochmaligen Ueber/leſung des Zeitungsblattes, daß wenn ſie, von /zwei unbegreiflichen Dingen, Einem, Glauben, Einem Glauben In der Phöbus-Fassung fehlte noch ein Komma hinter ›Einem‹. Hier wird durch das eingefügte Komma die Bedeutung von ›Einem‹ verstärkt. Für die Mutter kann nur Eines stimmen, nämlich die behauptete Unchuld der Tochter und nicht die vom Vater behauptete Niederträchtigkeit der Tochter. / 1480 beimeſſen ſolle, ſie lieber an ein unerhoͤrtes /Spiel des Schickſals, als an dieſe Niedertraͤch/tigkeit ihrer ſonſt ſo vortrefflichen Tochter glau/ben wolle. Doch ehe eh ſie noch vollendet hatte, /rief der Commendant ſchon: thu mir den Ge/fallen und ſchweig! und verließ das Zimmer. /Es iſt mir verhaßt, wenn ich nur davon hoͤre./

Wenige Tage nachher erhielt der Commen/dant, in Beziehung auf dieſen Zeitungsartikel, /einen Brief von der Marquiſe, in welchem ſie / 1490 ihn, da ihr die Gnade verſagt waͤre, in ſeinem /281Hauſe erſcheinen zu duͤrfen, auf eine ehrfurchts/volle und ruͤhrende Art bat, denjenigen, der /ſich am 3ten Morgens bei ihm zeigen wuͤrde, /gefaͤlligſtVgl. Anmerkung zu Z. 579 zu ihr nach V... hinauszuſchicken. /Die Obriſtin Obristinn war gerade gegenwaͤrtig, als der /Commendant dieſen Brief empfing; empfieng; und da ſie /auf ſeinem Geſicht deutlich bemerkte, daß er /in ſeiner Empfindung irre geworden war: denn /welch ein Motiv jetzt, falls es eine Betruͤgerei / 1500 war, ſollte er ihr unterlegen, da ſie auf ſeine /Verzeihung gar keine Anſpruͤche zu machen /ſchien? ſo ruͤckte ſie, dadurch dreiſtIn der positiven Bedeutung von kühn, zuversichtlich, beherzt. Vgl. [DWB: ›dreist‹, 1] gemacht, /mit einem Plan hervor, den ſie ſchon lange, /in ihrer von Zweifeln bewegten Bruſt, mit ſich /herum getragen hatte. Sie ſagte, waͤhrend der /Obriſt noch, mit einer nichtsſagenden Miene, /in das Papier hineinſah: ſie habe einen Einfall. /Ob er ihr erlauben wolle, auf einen ein oder zwei /Tage, nach V... hinauszufahren? Sie werde / 1510 die Marquiſe, falls ſie wirklich denjenigen, der /ihr durch die Zeitungen, als ein Unbekannter, /geantwortet, ſchon kenne, in eine Lage zu ver/ſetzen wiſſen, in welcher ſich ihre Seele verra/282then muͤßte, und wenn ſie die abgefeimteſteVon abfeimen, abfäumen (vom Schaum befreien, abschäumen, Abschaum). Abgeklärt, durchtrieben, gerissen. Vgl. [GWB: ›abfeimen‹], [DWB: ›abfeimen‹]. /Verraͤtherinn waͤre. Der Commendant erwie/derte, indem er, mit einer ploͤtzlich heftigen Be/wegung, den Brief zerriß: ſie wiſſe, daß er /mit ihr nichts zu ſchaffen haben wolle, und er /verbiete ihr, in irgend eine GemeinſchaftUmgang aller Art. Vgl. [DWB: ›Gemeinschaft‹, 3d] mit / 1520 ihr zu treten. Er ſiegelte die zerriſſenen Stuͤcke Stücken /ein, ſchrieb eine Adreſſe an die Marquiſe, und /gab ſie dem Boten, als Antwort, zuruͤck. Die / Obriſtin, Obristinn, durch dieſen hartnaͤckigen Eigenſinn, /der alle Moͤglichkeit der Aufklaͤrung vernichtete, /heimlich erbittert, beſchloß ihren Plan jetzt, /gegen ſeinen Willen, auszufuͤhren. Sie nahm /einen von den Jaͤgern des Commendanten, und /fuhr am naͤchſtfolgenden Morgen, da ihr Ge/mahl noch im Bette lag, mit demſelben nach / 1530 V... hinaus. Als ſie am Thore des Landſitzes /angekommen war, ſagte ihr der Thuͤrſteher, Portier, daß /niemand bei der Frau Marquiſe vorgelaſſen /wuͤrde. Frau von G... antwortete, daß ſie /von dieſer Maßregel unterrichtet waͤre, daß er /aber gleichwohl nur gehen, und die Obriſtin Obristinn /von G... bei ihr anmelden moͤgte. Worauf die/283ſer Der Portier verſetzte, daß dies zu nichts helfen wuͤrde, /indem die Frau Marquiſe keinen Menſchen auf /der Welt ſpraͤche. Frau von G... antwortete, / 1540 daß ſie von ihr geſprochen werden wuͤrde, in/dem ſie ihre Mutter waͤre, und daß er /nur nicht laͤnger ſaͤumen, und ſein Geſchaͤft /verrichten moͤchte. Kaum aber war noch noch war der / Thuͤrſteher Portier zu dieſem, wie er meinte, gleichwohl / vergeblichen vergeblichen, Verſuche Unternehmen ins Haus gegangen, /als man ſchon die Marquiſe daraus hervortre/ten, nach dem Thore eilen, und ſich auf Knieen /vor dem Wagen der Obriſtin Obristinn niederſtuͤrzen ſah. /Frau von G.... ſtieg, von ihrem Jaͤger un/ 1550 terſtuͤtzt, aus, und hob die Marquiſe, nicht /ohne einige Bewegung, vom Boden auf. Die /Marquiſe druͤckte ſich, von Gefuͤhlen uͤberwaͤl/tigt, tief auf ihre Hand hinab, und fuͤhrte ſie, /indem ihr die Thraͤnen haͤufig floſſen, ehr/furchtsvoll in die Zimmer ihres Hauſes. Meine /theuerſte Mutter! rief ſie, nachdem ſie ihr den /Divan angewieſen hatte, und noch vor ihr ſte/hen blieb, blieb und ſich die Augen trocknete: welch /ein gluͤcklicher Zufall iſt es, dem ich Ihre, mir / 1560 284 unſchaͤtzbare unschätzbare, Erſcheinung verdanke? Frau von /G.... ſagte, indem ſie ihre Tochter vertrau/lich faßte, ſie muͤſſe ihr nur ſagen, daß ſie /komme, ſie wegen der Haͤrte, mit welcher ſie /aus dem vaͤterlichen Hauſe verſtoßen worden / ſey, sei, um Verzeihung zu bitten. Verzeihung! /fiel ihr die Marquiſe ins Wort, und wollte /ihre Haͤnde kuͤſſen. Doch dieſe, indem ſie den /Handkuß vermied, fuhr fort: denn nicht nur, Doch diese: denn nicht nur, fuhr sie fort, indem sie den Handkuſs vermied, /daß die, in den letzten oͤffentlichen Blaͤttern / 1570 eingeruͤckte, Antwort auf die bewußte Bekannt/machung, mir ſowohl sowohl, als dem Vater, die Ueber/zeugung von deiner Unſchuld gegeben hat; ſo so so [emendiert ohne Kommentarhinweis] / muß ich dir auch ich muß dir nur eroͤffnen, daß er ſich ſelbſt ſchon, /zu unſerm großen und freudigen Erſtaunen, ge/ſtern im Hauſe gezeigt hat. Wer hat ſich — ? /fragte die Marquiſe, und ſetzte ſich bei ihrer /Mutter nieder; — nieder; welcher er ſelbſt hat ſich ge/zeigt — ? und Erwartung ſpannte jede ihrer /Mienen. Er, erwiederte Frau von G..., der / 1580 Verfaſſer jener Antwort, er perſoͤnlich ſelbſt, /an welchen dein Aufruf gerichtet war. — Nun /denn, ſagte die Marquiſe, mit unruhig arbei/285tender Bruſt: wer iſt es? Und noch einmal: /wer iſt es? — Das, erwiederte Frau von /G...., moͤchte ich dich errathen laſſen. Denn /denke, daß ſich geſtern, da wir beim Thee ſitzen, /und eben das ſonderbare Zeitungsblatt leſen, /ein Menſch, von unſrer genaueſten Bekannt/ſchaft, mit Gebaͤhrden der Verzweiflung ins / 1590 Zimmer ſtuͤrzt, und deinem Vater, und bald /darauf auch mir, zu Fuͤßen faͤllt. Wir, un/wiſſend, was wir davon denken ſollen, fordern /ihn auf, zu reden. reden; Darauf ſpricht er: drauf er: ſein / Gewiſſen Gewissen, spricht er, laſſe ihm keine Ruhe; Ruhe, er ſey sei der /Schaͤndliche, der die Frau Marquiſe betrogen, /er muͤſſe wiſſen, wie man ſein Verbrechen beur/theile, und wenn Rache uͤber ihn verhaͤngt /werden ſolle, ſo komme er, ſich ihr ſelbſt dar/zubieten. Aber wer? wer? wer? verſetzte die / 1600 Marquiſe. Wie geſagt, fuhr Frau von G.... /fort, ein junger, ſonſt wohlerzogener Menſch, /dem wir eine ſolche Nichtswuͤrdigkeit niemals /zugetraut haͤtten. Doch erſchrecken wirſt du /nicht, meine Tochter, wenn du erfaͤhrſt, daß /er von niedrigem Stande, und von allen For/286derungen, die man ſonſt an deinen Gemahl /machen duͤrfte, entbloͤßtVon allen Forderungen ... entblößt: ohne alle (materiellen) Mittel. Vgl. [GWB: ›entblößen‹, 2a]. iſt. ist. ist. ist. Gleichviel, meine /vortreffliche Mutter, ſagte die Marquiſe, er /kann nicht ganz unwuͤrdig ſeyn, sein, da er ſich / 1610 Ihnen fruͤher als mir, zuerst zu Fuͤßen geworfen hat. /Aber, wer? wer? Sagen Sie mir nur: wer? /Nun denn, verſetzte die Mutter, es iſt Leo/pardo, der Jaͤger,Siehe Anmerkung Z. 774. den ſich der Vater juͤngſt /aus Tyrol verſchrieb,Sich verschreiben: sich schriftlich verpflichten, per schriftlichem Vertrag anstellen. Vgl. [DWB: ›verschreiben‹, 7]. und den ich, wenn du /ihn wahrnahmſt, ſchon mitgebracht habe, um /ihn dir als Braͤutigam vorzuſtellen. Leopardo, /der Jaͤger! rief die Marquiſe, und druͤckte ihre /Hand, mit dem Ausdruck der Verzweiflung, /vor die Stirn. Was erſchreckt dich? fragte die / 1620 Obriſtin. Obristinn. Haſt du Gruͤnde, daran zu zwei/feln? — Wie? Wo? Wann? fragte die Mar/quiſe verwirrt. Das, antwortete jene, will er /nur dir anvertrauen. Schaam und Liebe, meinte /er, machten es ihm unmoͤglich, ſich einer An/dern hieruͤber zu erklaͤren, als dir. Doch wenn /du willſt, ſo oͤffnen wir das Vorzimmer, wo /er, mit klopfendem Herzen, auf den Ausgang /wartet; und du magſt ſehen, ob du ihm ſein /287Geheimniß, indeſſen ich abtrete, entlockſt. — / 1630 Gott, mein Vater! rief die Marquiſe; ich war /einſt in der Mittagshitze eingeſchlummert, und /ſah ihn von meinem Divan gehen, als ich er/wachte! — Und damit legte ſie ihre kleinen /Haͤnde vor ihr ihr, in Schaam ergluͤhendes erglühendes, Geſicht. Gesicht. Gesicht. Gesicht. Bei dieſen Worten ſank die Mutter auf /Knieen vor ihr nieder. O meine Tochter! rief /ſie; o du Vortreffliche! und ſchlug die Arme /um ſie. Und o ich Nichtswuͤrdige! und ver/barg das Antlitz in ihren Schooß. Die Mar/ 1640 quiſe fragte beſtuͤrzt: was iſt Ihnen, meine /Mutter? Denn begreife, fuhr dieſe fort, o du /Reinere als Engel ſind, daß daß daß [emendiert ohne Kommentarhinweis] von Allem, was /ich dir ſagte, nichts wahr iſt; daß meine ver/derbteVerdorben im moralischen Sinne. Vgl. [DWB: ›verderben‹, ›Verderbtheit‹]. Seele an ſolche Unſchuld nicht, als von /der du umſtrahlt biſt, glauben konnte, und /daß ich dieſer ſchaͤndlichen Liſt erſt bedurfte, /um mich davon zu uͤberzeugen. Meine theuer/ſte Mutter, rief die Marquiſe, und neigte ſich /voll froher Ruͤhrung zu ihr herab, und wollte / 1650 ſie aufheben. Jene verſetzte darauf: Doch jene: nein, eher /nicht von deinen Fuͤßen weich’ ich, ich, sprach sie, bis du mir /288ſagſt, ob du mir die Niedrigkeit meines Ver/haltens, du Herrliche, Ueberirrdiſche, o Du Himmlische verzeihen /kannſt. Ich Ihnen verzeihen, meine Mutter! /Stehen Sie auf, rief die Marquiſe, ich be/ſchwoͤreHeftig, inständig um etwas bitten, jemanden zu etwas ›zu bewegen suchen‹. Vgl. [Adelung: ›beschwören‹, 2c], [GWB: ›beschwören‹, 1] Sie — Du hoͤrſt, ſagte Frau von /G...., ich will wiſſen, ob du mich noch lie/ben, und ſo aufrichtig verehrenJmd. achten. Vgl. [DWB: ›verehren‹, 1] kannſt, als /ſonſt? Meine angebetete Mutter! rief die / 1660 Marquiſe, und legte ſich gleichfalls auf Knieen /vor ihr nieder; Ehrfurcht und Liebe ſind nie /aus meinem Herzen gewichen. Wer konnte /mir, unter ſo unerhoͤrten Umſtaͤnden, Ver/trauen ſchenken? Wie gluͤcklich bin ich, daß ſie Sie /von meiner UnſtraͤflichkeitUntadeligkeit. Moralisch nicht zu verurteilendes Verhalten, frei sein von Schuld. Vgl. [DWB: ›unsträflich‹, 3] uͤberzeugt ſind! Nun /denn, verſetzte Frau von G...., indem ſie, /von ihrer Tochter unterſtuͤtzt, aufſtand: ſo will /ich dich auf Haͤnden tragen, mein liebſtes Kind. /Du ſollſt bei mir dein Wochenlager halten; / 1670 und waͤren die Verhaͤltniſſe ſo, daß ich einen /jungen Fuͤrſten von dir erwartete, mit groͤße/rer Zaͤrtlichkeit nicht und Wuͤrdigkeit koͤnnt könnt’ ich /dein pflegen. Die Tage meines Lebens nicht /mehr von deiner Seite weich’ ich. Ich biete biete deinem unmenschlichen Vater Trotz, ich biete deinem Bruder, ich biete / 289der ganzen Welt Trotz; Trotz, ich will keine heine andre /Ehre mehr, als deine Schande: wenn du mir /nur wieder gut wirſt, und der Haͤrte nicht, /mit welcher ich dich verſtieß, mehr gedenkſt. /Die Marquiſe ſuchte ſie mit Liebkoſungen und / 1680 Beſchwoͤrungen ohne Ende zu troͤſten; doch der /Abend kam heran, und Mitternacht ſchlug, ehe /es ihr gelang. Am folgenden Tage, da ſich der /AffectEin ›hoher Grad einer Gemüthsbewegung und dessen Ausbruch‹. Vgl. [Adelung: ›Affect‹]. der alten Dame, der ihr waͤhrend der /Nacht eine Fieberhitze zugezogen hatte, ein wenig /gelegt hatte, fuhren Mutter und Tochter und /Enkel, wie im Triumph, wieder nach M... /zuruͤck. Sie waren aͤußerſt vergnuͤgt auf der /Reiſe, ſcherzten uͤber Leopardo, den Jaͤger, der /vorn auf dem Bock ſaß; und die Mutter ſagte / 1690 zur Marquiſe, ſie bemerke, daß ſie roth wuͤrde, /ſo oft ſie ſeinen breiten Ruͤcken anſaͤhe. Die /Marquiſe antwortete, mit einer Regung, die /halb ein Seufzer, halb ein Laͤcheln war: wer /weiß, wer zuletzt noch am 3ten 11 Uhr Mor/gens bei uns erſcheint! — Drauf, je mehr man /ſich M... naͤherte, je ernſthafter ſtimmten ſich /wieder die Gemuͤther, in der Vorahndung ent/290ſcheidender Auftritte, die ihnen noch bevorſtan/den. Frau von G...., die ſich von ihren Plaͤ/ 1700 nen nichts merken ließ, fuͤhrte ihre Tochter, da /ſie vor dem Hauſe ausgeſtiegen waren, wieder /in ihre alten Zimmer ein; ſagte, ſie moͤchte es /ſich nur bequem machen, ſie wuͤrde gleich wieder /bei ihr ſeyn, sein, und ſchluͤpfte ab.Entschlüpfen, sich lautlos entfernen. Vgl. [DWB, ›abschlüpfen‹] Nach einer /Stunde kam ſie mit einem ganz erhitzten Geſicht /wieder. Nein, ſolch ein Thomas!Spielt an auf den Apostel Thomas, der als Einziger der zwölf Apostel zunächst nicht an die Wiederauferstehung Jesu glauben will. Vgl. Lukas 20, 24ff ›24 THomas aber der Zwelffen einer / der da heisset Zwilling / war nicht bey jnen / das Jhesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu jm / Wir haben den HErrn gesehen. Er aber sprach zu jnen / Es sey denn / das ich in seinen Henden sehe die Negelmal / vnd lege meinen Finger in die Negelmal / vnd lege meine Hand in seine Seiten / wil ichs nicht gleuben. 26 VND vber acht tage / waren aber mal seine Jünger drinnen / vnd Thomas mit jnen. Kompt Jhesus / da die thür verschlossen waren / vnd trit mitten ein / vnd spricht / Friede sey mit euch. 27 Darnach spricht er zu Thoma / Reiche deinen Finger her / vnd sihe meine Hende / vnd reiche deine Hand her / vnd lege sie in meine Seiten / vnd sey nicht vngleubig / sondern gleubig. 28 Thomas antwortet / vnd sprach zu jm / Mein HErr vnd mein Gott. 29 Spricht Jhesus zu jm / Dieweil du mich gesehen hast Thoma / so gleubestu / Selig sind / die nicht sehen / vnd doch gleuben.‹ ſprach ſie /mit heimlich vergnuͤgter Seele; ſolch ein unglaͤu/biger Thomas! Hab’ ich nicht eine Seigerſtunde›Seiger‹: Uhr. Ein ›nachdrücklicher Ausdruck für Stunde‹. Vgl. [Adelung: ›Seigerstunde‹], [DWB: ›Seiger‹, 3] /gebraucht, ihn zu uͤberzeugen. Aber nun ſitzt er, / 1710 und weint. Wer? fragte die Marquiſe. Er, /antwortete die Mutter. Wer ſonſt, als wer /die groͤßte Urſache dazu hat. Der Vater doch /nicht? rief die Marquiſe. Wie ein Kind, er/wiederte die Mutter; daß ich, wenn ich mir /nicht ſelbſt haͤtte die Thraͤnen aus den Augen /wiſchen muͤſſen, gelacht haͤtte, ſo wie ich nur aus /der Thuͤre heraus war. Und das wegen mei/ner? fragte die Marquiſe, Marquise; und ſtand auf; auf. / und Und ich ſollte hier — ? Nicht von der Stelle! / 1720 ſagte Frau von G.... Warum dictirte er mir /291den Brief. Hier ſucht er dich auf, wenn er /mich, ſo lange lang’ ich lebe, wiederfinden will. Mei/ne theurſte theuerste Mutter, flehte die Marquiſe — Un/erbittlich! fiel ihr die Obriſtin Obristinn ins in’s Wort. War/um griff er nach der Piſtole. — Aber ich be/ſchwoͤreVgl. Anmerkung Z. 1656. Sie — Du ſollſt [nicht gesperrt] nicht, verſetzte Frau /von G...., indem ſie die Tochter wieder auf ih/ren Seſſel niederdruͤckte. Und wenn er nicht /heut vor Abend noch kommt, zieh zieh’ ich morgen / 1730 mit dir weiter. Die Marquiſe nannte dies Ver/fahren hart und ungerecht. Doch die Mutter /erwiederte: Beruhige dich — denn eben hoͤrte /ſie Jemand jemand von Weitem heranſchluchzen:Kleistscher Neologismus. er /koͤmmt ſchon! Wo? fragte die Marquiſe, und /horchte. Iſt wer hier draußen vor der Thuͤr; Thür dies /heftige — ? Allerdings, verſetzte Frau von /G.... Er will, daß wir ihm die Thuͤre oͤffnen. /Laſſen Sie mich! rief die Marquiſe, und riß ſich /vom Stuhl empor. Doch: wenn du mir gut / 1740 biſt, Julietta, verſetzte die Obriſtin, Obristinn, ſo bleib; /und in dem Augenblick trat auch der Commen/dant ſchon, das Tuch vor das Geſicht haltend, /ein. Die Mutter ſtellte ſich breit vor ihre Toch/292ter, und kehrte ihm den Ruͤcken zu. Mein /theuerſter Vater! rief die Marquiſe, und ſtreckte /ihre Arme nach ihm aus. Nicht von der Stelle, /ſagte Frau von G...., du hoͤrſt! Der Commen/dant ſtand in der Stube und weinte. Er ſoll /dir abbitten,Um Vergebung bitten, sich entschuldigen. Vgl. [Adelung: ›abbitten‹] fuhr Frau von G... G.... fort. War/ 1750 um iſt er ſo heftig! Und warum iſt er ſo hartnaͤckig! hartnäckig! hartnaͤckig! [emendiert ohne Kommentarhinweis] ›Fertigkeit besitzend, seine Meinungen und Entschließungen auch bey Entdeckung ihrer Unrichtigkeit oder Schädlichkeit beyzubehalten‹. Halsstarrig, eigensinnig. Vgl. [Adelung: ›hartnaͤckig‹] Ich liebe ihn, aber dich auch; ich ehre ihn, /aber dich auch. Und muß ich eine Wahl treffen, /ſo biſt du vortrefflicher,›vollkommen in bestimmter lebensstellung, beruf, kunst u. s. w.‹. Vgl. [DWB: ›vortrefflich‹, 1b] als er, und ich bleibe /bei dir. Der Commendant beugte ſich ganz /krumm, und heulte, daß die Waͤnde erſchallten. /Aber mein Gott! rief die Marquiſe, gab der /Mutter ploͤtzlich nach, und nahm ihr Tuch, ihre /eigenen Thraͤnen fließen zu laſſen. Frau von /G.... ſagte: — sagte — : er kann nur nicht ſprechen! / 1760 und wich ein wenig zur Seite aus. Hierauf er/hob ſich die Marquiſe, umarmte den Commen/danten, und bat ihn, ſich zu beruhigen. Sie /weinte ſelbſt heftig. Sie fragte ihn, ob er ſich /nicht ſetzen wolle? ſie wollte ihn auf einen Ses/ſel niederziehen; ſie ſchob ihm einen Seſſel hin, /damit er ſich darauf ſetze: doch er antwortete /293nicht; er war nicht von der Stelle zu bringen; /er ſetzte ſich auch nicht, und nicht: er ſtand bloß, das Ge/ſicht tief zur Erde gebeugt, und weinte. Die / 1770 Marquiſe ſagte, indem ſie ihn aufrecht hielt, /halb zur Mutter gewandt: er werde krank wer/den; die Mutter ſelbſt ſchien, da er ſich ganz /convulſiviſchVgl. Anmerkung Z. 897. gebaͤhrdete, ihre Standhaftigkeit /verlieren zu wollen. Doch da der Commendant /ſich endlich, auf die wiederholten Anforderungen›Anforderungen an einen haben, das Recht haben, etwas von jemanden fordern zu können.‹ Vgl. [Adelung: ›Anforderung‹] /der Tochter, niedergeſetzt hatte, und dieſe ihm, /mit unendlichen Liebkoſungen, zu Fuͤßen geſunken /war: ſo nahm ſie wieder das Wort: Wort, ſagte, es ge/ſchehe ihm ganz recht, Recht, er werde nun wohl zur / 1780 Vernunft kommen, entfernte ſich aus dem Zim/mer, und ließ ſie allein./

Sobald ſie draußen war, wiſchte ſie ſich ſelbſt /die Thraͤnen ab, dachte, ob ihm die heftige Er/ſchuͤtterung, Erschütterng nicht doch, in welche ſie ihn verſetzt hatte, nicht /doch [umgestellt, s. o.] gefaͤhrlich ſeyn sein koͤnnte, und ob es wohl /rathſam ſey, sei, einen Arzt rufen zu laſſen? Sie /kochte ihm fuͤr den Abend Alles, was ſie nur /Staͤrkendes und Beruhigendes aufzutreiben wuß/te, in der Kuͤche zuſammen, bereitete und waͤrmte / 1790 294ihm das Bett, um ihn ſogleich hineinzulegen, ſo/bald er nur, an der Hand der Tochter, erſchei/nen wuͤrde, und ſchlich, da er immer noch nicht nicht /kam, und ſchon die Abendtafel gedeckt war, dem /Zimmer der Marquiſe zu, um doch zu hoͤren, /was ſich zutrage? Sie vernahm, da ſie mit ſanft /an die Thuͤr gelegtem Ohr horchte,Kleists Vorlage für das Geschehen zwischen Vater und Tochter ist eine entsprechende Szene aus Rousseaus ›Julie ou la Nouvelle Héloïse‹ (Première partie, Lettre LXIII de Julie à Claire, eine erste zeitgenössische deutsche Übertragung ist 1761 in Leipzig erschienen).
Die Szene lautet im französischen Original: Après le souper, l’air se trouva si froid que ma mère fit faire du feu dans sa chambre. Elle s’assit à l’un des coins de la cheminée, et mon père à l’autre ; j’allais prendre une chaise pour me placer entre eux, quand, m’arrêtant par ma robe, et me tirant à lui sans rien dire, il m’assit sur ses genoux. Tout cela se fit si promptement, et par une sorte de mouvement si involontaire, qu’il en eut une espèce de repentir le moment d’après. Cependant, j’étais sur ses genoux, il ne pouvait plus s’en dédire ; et, ce qu’il y avait de pis pour la contenance, il fallait me tenir embrassée dans cette gênante attitude. Tout cela se faisait en silence : mais je sentais de temps en temps ses bras se presser contre mes flancs avec un soupir assez mal étouffé. Je ne sais quelle mauvaise honte empêchait ces bras paternels de se livrer à ces douces étreintes. Une certaine gravité qu’on n’osait quitter, une certaine confusion qu’on n’osait vaincre, mettaient entre un père et sa fille ce charmant embarras que la pudeur et l’amour donnent aux amants; tandis qu’une tendre mère, transportée d’aise, dévorait en secret un si doux spectacle. Je voyais, je sentais tout cela, mon ange, et ne pus tenir plus longtemps à l’attendrissement qui me gagnait. Je feignis de glisser ; je jetai, pour me retenir, un bras au cou de mon père ; je penchai mon visage sur son visage vénérable, et dans un instant il fut couvert de mes baisers et inondé de mes larmes ; je sentis à celles qui lui coulaient des yeux qu’il était lui-même soulagé d’une grande peine : ma mère vint partager nos transports. Douce et paisible innocence, tu manquas seule à mon cœur pour faire de cette scène de la nature le plus délicieux moment de ma vie !
Zeitgenössisch ist diese Szene wie folgt übersetzt: ›Nach dem Essen war es so kalt, daß meine Mutter das Zimmer heizen ließ. Sie setzte sich an die eine Ecke des Kamins, und mein Vater an die andre. Ich holte einen Stul, um mich in die Mitte zu setzen, als er mich beym Rocke hielt, mich, ohne etwas zu sagen, zu sich zog, und auf seinen Schooß nahm. Alles dieses geschah so geschwind, und mit einer so unfreywilligen Bewegung, daß es ihn einen Augenblick danach gereute. Unterdessen war ich einmal auf seinem Schooße, er konnte mich nicht wieder loslassen, und was für die Stellung am schlimmsten war, er mußte mich in dieser engen Positur umarmt halten. Alles dieses geschah stillschweigend; allein von Zeit zu Zeit fühlte ich, daß er mit einem übel erstickten Seufzer seine Arme an meine Seiten drückte. Ich weis nicht, welche niedrige Schamhaftigkeit diese väterlichen Arme verhinderte, sich diesem süssen Drucke zu überlassen; ein gewisser Ernst, den man nicht ablegen durfte; eine gewisse Verwirrung, die man sich nicht zu überwinden getraute, erweckten zwischen Vater und Tochter diese reizende Verlegenheit, die bey Liebenden aus Scham und Neigung entsteht; indeß daß eine zärtliche Mutter, vor Freuden entzückt, auf ein so angenehmes Schauspiel voll geheimer Freude ihre Augen heftete. Das alles, mein Engel, sah und fühlte ich, und konnte der zärtlichen Regung, die mich einnahm, nicht länger widerstehen. Ich stellte mich, als wollte ich fallen; um mich zu erhalten, warf ich den einen Arm um meines Vaters Hals, neigte zu seinem ehrwürdigen Gesichte das meinige, und in einem Augenblicke ward es mit meinen Küssen erfüllt, und mit meinen Thränen überschwemmt. Aus denen, die ihm von den Augen rollten, sah ich, daß er selbst von einer großen Last erleichtert war; und meine Mutter nahm an unserm Entzücken Theil. Süsse und ruhige Unschuld, du allein fehltest meinem Herzen, um diesen Auftritt der Natur zum vergnügtesten Augenblicke meines Lebens zu machen.‹ [S. 335f]
ein leises, /eben verhallendes Geliſpel, das, wie es ihr /ſchien, von der Marquiſe kam; und, wie ſie / durchs durch's Schluͤſſelloch bemerkte, ſaß ſie auch auf des / 1800 Commendanten Schooß, was er ſonſt in in ſeinem Le/ben nicht zugegeben›gewähren, gestatten, dulden‹. Vgl. [DWB: ›zugeben‹, 4] hatte.
Drauf endlich oͤffnete ſie /die Thuͤr, und ſah nun — und das Herz quoll /ihr vor Freuden empor: die Tochter ſtill, mit zu/ruͤckgebeugtem Nacken, die Augen feſt geſchloſſen, /in des Vaters Armen liegen; indeſſen dieſer, auf /dem Lehnſtuhl ſitzend, lange, heiße und lechzende /Kuͤſſe, das große Auge voll glaͤnzender Thraͤnen, /auf ihren Mund druͤckte: gerade wie ein Ver/liebter! Die Tochter ſprach nicht, er ſprach / 1810 nicht; mit uͤber ſie gebeugtem Antlitz ſaß er, wie /uͤber das Maͤdchen ſeiner erſten Liebe, und legte /ihr den Mund zurecht, und kuͤßte ſie. Die Mut/295ter fuͤhlte ſich, wie eine Seelige; ungeſehen, wie /ſie hinter ſeinem Stuhle ſtand, ſaͤumte ſie, die /Luſt der himmelfrohen Verſoͤhnung, die ihrem /Hauſe wieder geworden war, zu ſtoͤren. Sie /nahte ſich dem Vater endlich, und ſah ihn, da /er eben wieder mit Fingern und Lippen in un/ſaͤglicher Luſt uͤber den Mund ſeiner Tochter / 1820 beſchaͤftigt war, ſich um den Stuhl herumbeu/gend, von der Seite an. Der Commendant /ſchlug, bei ihrem Anblick, das Geſicht ſchon /wieder ganz kraus nieder, nieder und wollte etwas /ſagen; doch ſie rief: sie: o was fuͤr ein Geſicht iſt /das! Gesicht! rief sie, kuͤßte es jetzt auch ihrerſeits in Ordnung, /und machte der Ruͤhrung durch Scherzen ein /Ende. Sie lud und fuͤhrte beide, die wie Braut/leute gingen, giengen, zur Abendtafel, an welcher der /Commendant zwar ſehr heiter war, aber noch / 1830 von Zeit zu Zeit ſchluchzte, wenig aß und /ſprach, auf den Teller niederſah, und mit der /Hand ſeiner Tochter ſpielte./

Nun galt es, beim Anbruch des naͤchſten Ta/ges, die Frage: Frage, wer nur, in aller Welt, morgen um /11 Uhr ſich zeigen wuͤrde; denn morgen war der /296gefuͤrchtete dritte. Dritte. Die Assoziierung des ›Dritten‹ mit ›gefuͤrchtet‹ bzw. ›fuͤrchterlich‹ erscheint dreimal im Text (vgl. noch Z. 1880 u. Z. 2071). Neben der Furcht der Familie vor der ›Offenbarung‹ als engerer Bedeutung spielt Kleist möglicherweise auch mit der biblisch tradierten Bedeutung des ›gefürchteten Dritten‹ bei der Ankunft der Israeliten am Berg Sinai: ›denn am dritten Tage wird der HERR vor allem Volk herabfahren auf den Berg Sinai‹. Dieses ›Herabfahren‹ wird in der Folge durchaus furchterregend inszeniert: ›15 Vnd er [Moses] sprach zu jnen / Seid bereit auff den dritten tag / vnd keiner nahe sich zum Weibe. 16 ALS nu der dritte tag kam / vnd morgen war / Da hub sich ein donnern vnd blitzen / vnd ein dicke wolcken auff dem Berge / vnd ein dohn einer seer starcken Posaunen / Das gantz Volck aber das im Lager war / erschrack. 17 Vnd Mose füret das Volck aus dem Lager / Gott entgegen / Vnd sie traten vnten an den Berg. 18 Der gantz berg aber Sinai rauchet / darumb das der HERR erab auff den Berge fure mit fewr / Vnd sein Rauch gieng auff / wie ein rauch vom ofen / das der gantze Berg seer bebete / 19 Vnd der Posaunen dohn ward jmer stercker.‹ [2. Mose 19, 11ff]. Insbesondere die die Erzählung konterkarierende Formulierung ›vnd keiner nahe sich zum Weibe‹ unterstützt die Vermutung, daß Kleist mit dieser Bibelstelle spielt. Vater und Mutter, und /auch der Bruder, der ſich mit ſeiner Verſoͤh/nung eingefunden hatte, ſtimmten unbedingt, /falls die Perſon nur von einiger Ertraͤglichkeit / 1840 ſeyn sein wuͤrde, fuͤr Vermaͤhlung; Alles, was nur /immer moͤglich war, ſollte geſchehen, um die /Lage der Marquiſe gluͤcklich zu machen. Sollten /die Verhaͤltniſſe derſelben jedoch ſo beſchaffen / ſeyn, sein, daß ſie ſelbſt dann, wenn man ihnen /durch Beguͤnſtigungen zu Huͤlfe kaͤme, kommen wollte, zu weit /hinter den Verhaͤltniſſen der Marquiſe zuruͤck/blieben, ſo widerſetzten ſich die Eltern der Hei/rath; ſie beſchloſſen, die Marquiſe nach wie vor /bei ſich zu behalten, und das Kind zu adoptiren. / 1850 Die Marquiſe hingegen ſchien willens, in jedem /Falle, wenn wenn wenn [emendiert ohne Kommentarhinweis] die Perſon nur nicht ruchlos waͤre, /ihr gegebenes Wort in Erfuͤllung zu bringen, /und dem Kinde, es koſte koste, was es wolle, einen /Vater zu verſchaffen. Am Abend fragte die /Mutter, wie es denn mit dem Empfang der /Perſon gehalten werden ſolle? Der Commen/dant meinte, daß es am ſchicklichſten Schicklichsten ſeyn sein wuͤrde, /wenn man die Marquiſe um 11 Uhr allein /297ließe. Die Marquiſe hingegen beſtand darauf, / 1860 daß beide Eltern, und auch der Bruder, gegen/waͤrtig ſeyn moͤchten, indem ſie keine Art des /Geheimniſſes mit dieſer Perſon zu theilen haben /wolle. Auch meinte ſie, daß dieſer Wunſch ſo/gar in der Antwort derſelben, der Person, dadurch, daß /ſie das Haus des Commendanten zur Zuſam/menkunft vorgeſchlagen, ausgedruͤckt ſcheine; ein /Umſtand, um deſſentwillen ihr gerade dieſe Ant/wort, wie ſie frei geſtehen muͤſſe, ſehr gefallen /habe. Die Mutter bemerkte die Unſchicklichkeit / 1870 der Rollen, die der Vater und der Bruder dabei /zu ſpielen haben wuͤrden, bat die Tochter, die /Entfernung der Maͤnner zuzulaſſen, wogegen ſie /in ihren Wunſch willigen, und bei dem Empfang /der Perſon gegenwaͤrtig ſeyn sein wolle. Nach einer /kurzen Beſinnung der Tochter ward dieſer letzte /Vorſchlag endlich angenommen. Drauf nun /erſchien, nach einer, unter den geſpannteſten /Erwartungen zugebrachten, Nacht der Morgen /des gefuͤrchteten dritten. Dritten. Als die Glocke eilf / 1880 Uhr ſchlug, ſaßen beide Frauen, feſtlich, wie zur /Verlobung angekleidet, im Beſuchzimmer; das /298Herz klopfte ihnen, daß man es gehoͤrt haben /wuͤrde, wenn das Geraͤuſch des Tages geſchwie/gen haͤtte. Der eilfte Glockenſchlag ſummte /noch, als Leopardo, der Jaͤger, eintrat, den /der Vater aus Tyrol verſchrieben hatte. Die /Weiber erblaßten bei dieſem Anblick. Der Graf /F..., ſprach er, iſt vorgefahren, und laͤßt ſich /anmelden. Der Graf F...! riefen beide zu/ 1890 gleich, von einer Art der Beſtuͤrzung in die /andre geworfen. Die Marquiſe rief: Verſchließt /die Thuͤren! Wir ſind fuͤr ihn nicht zu Hauſe; /ſtand auf, das Zimmer gleich ſelbſt zu verrie/geln, und wollte eben den Jaͤger, der ihr im /Wege ſtand, hinausdraͤngen, als der Graf /ſchon, in genau demſelben Kriegsrock, mit Or/den und Waffen, wie er ſie bei der Eroberung /des Forts getragen hatte, zu ihr eintrat. Die /Marquiſe glaubte vor Verwirrung in die Erde / 1900 zu ſinken; ſie griff nach einem Tuch, das ſie /auf dem Stuhl hatte liegen laſſen, und wollte /eben in ein Seitenzimmer entfliehn; doch Frau /von G...., indem ſie die Hand derſelben er/griff, rief: Julietta — ! und wie erſtickt von /299Gedanken, ging gieng ihr die Sprache aus. Sie /heftete die Augen feſt auf den Grafen und wie/derholte: ich bitte dich, Julietta! indem ſie ſie /nach ſich zog: wen Wen erwarten wir denn — ? /Die Marquiſe rief, indem ſie ſich ploͤtzlich / 1910 wandte: nun? doch ihn nicht — ? und ſchlug /mit einem Blick funkelnd, wie ein Wetterſtrahl,Blitz. Vgl. [DWB: ›Wetterstrahl‹, 1] /auf ihn ein, indeſſen Blaͤſſe des Todes ihr /Antlitz uͤberflog. Der Graf hatte ein Knie vor /ihr geſenkt; die rechte Hand lag auf ſeinem /Herzen, das Haupt ſanft sanft sanft [emendiert ohne Kommentarhinweis] auf ſeine Bruſt ge/beugt, lag er, und blickte hochgluͤhend vor ſich /nieder, und ſchwieg. Wen ſonſt, rief die Obri/ſtin mit beklemmter Stimme, wen ſonſt, wir /Sinnberaubten, als ihn — ?Die Mutter beginnt offensichtlich schon unmittelbar nach Eintreten des Grafen den Hergang der Schwängerung ihrer Tochter zu rekonstruieren: von ›wie erſtickt von Gedanken‹ [Z. 1905f] über ›ich bitte dich, Julietta! ... wen erwarten wir denn‹ [Z. 1908f] und ›Wen ſonſt ... wir Sinnberaubten, als ihn‹ [Z. 1919f] bis zu ›fluͤſterte ihr etwas in das Ohr‹ [Z. 1924]. Erst auf diese letzte nicht berichtete Mitteilung der Mutter über den vermuteten Hergang der Vergewaltigung bricht die Marquise zur Verwunderung jener zusammen. Die Marquiſe / 1920 ſtand ſtarr uͤber ihm, und ſagte: ich werde /wahnſinnig werden, meine Mutter! Du Thoͤ/rin, Thörinn, Eine Person, die ›dem gesunden verstande zuwider, unbesonnen handelt, im gegensatze zum weisen, klugen, verständigen‹. Vgl. [DWB: ›Thor‹, 2] erwiederte die Mutter, zog ſie zu ſich, /und fluͤſterte ihr etwas in das Ohr. Die Mar/quiſe wandte ſich, und ſtuͤrzte, beide Haͤnde vor /das Geſicht, auf den Sopha nieder. Die Mut/ter rief: Ungluͤckliche! Was fehlt dir? Was iſt /geſchehn, worauf du nicht vorbereitet warſt? — /300Der Graf wich nicht von der Seite der Obri/ſtin; Obristinn; er faßte, immer noch auf ſeinen Knieen / 1930 liegend, den aͤußerſten Saum ihres Kleides, /und kuͤßte ihn. Liebe! Gnaͤdige! Verehrungs/wuͤrdigſte! fluͤſterte er: eine Thraͤne rollte ihm /die Wangen herab. Die Obriſtin Obristinn ſagte: ſtehn /Sie auf, Herr Graf, ſtehn Sie auf! Troͤſten /Sie jene; ſo ſind wir Alle verſoͤhnt, ſo iſt /Alles vergeben und vergeſſen.Sprichwort: ›Es ist vergeben und vergessen‹. Vgl. [Wander: ›vergeben‹, 21] Der Graf erhob /ſich weinend. Er ließ ſich von Neuem vor der /Marquiſe nieder, er faßte leiſe ihre Hand, als /ob ſie von Gold waͤre, und der Duft der ſei/ 1940 nigen ſie truͤben koͤnnte. Doch dieſe — : gehn /Sie! gehn Sie! gehn Sie! rief ſie, indem ſie /aufſtand; auf einen LaſterhaftenSittlich Verdorbener. Vgl. [GWB: ›lasterhaft‹] war ich gefaßt, gefast, /aber auf keinen — — — Teufel! oͤffnete, in/dem ſie ihm dabei, gleich einem Peſtvergifteten, /auswich, die Thuͤr des Zimmers, und ſagte: /ruft den Obriſten! Julietta! rief die Obriſtinn /mit Erſtaunen. Die Marquiſe blickte, mit toͤd/tender Wildheit, bald auf den Grafen, bald auf /die Mutter Mutter, ein; ihre Bruſt flog, ihr Antlitz / 1950 loderte: eine Furie›wütendes weib. von furere, wüten, rasen, toben‹. Vgl. [DWB: ›Furie‹, 1] blickt sieht nicht ſchrecklicher. Der /301Obriſt und der Forſtmeiſter kamen. Dieſem /Mann, Vater, ſprach ſie, als jene noch unter /dem Eingang waren, kann ich mich nicht ver/maͤhlen! griff in ein Gefaͤß mit Weihwaſſer,Im katholischen Ritual werden dem Weihwasser exorzistische Wirkungen zugesprochen: ›der teufel flieht davor‹. Gläubige durften Weihwasser für den privaten Brauch ›mit nach haus nehmen‹. Der Marquise erscheint der Graf offensichtlich als Inkarnation des Teufels. Hierzu auch der Schluss der Erzählung. Vgl. [DWB: ›Weihwasser‹, 1c 2] /das an der hinteren Thuͤr befeſtigt war, be/ſprengte, in einem großen Wurf, Vater und /Mutter und Bruder damit, und verſchwand./

Der Commendant, von dieſer ſeltſamen Er/ſcheinung betroffen, fragte, was vorgefallen ſey; sei; / 1960 und erblaßte, da er, in dieſem entſcheidenden /Augenblick, den Grafen F... im Zimmer er/blickte. Die Mutter nahm den Grafen bei /der Hand und ſagte: frage nicht; dieſer junge /Mann bereut von Herzen Alles, was geſchehen /iſt; gieb deinen Seegen, gieb, gieb: ſo wird /ſich Alles noch gluͤcklich endigen. Der Graf /ſtand wie vernichtet. Der Commendant legte /ſeine Hand auf ihn; ſeine Augenwimpern zuck/ten, ſeine Lippen waren weiß, wie Kreide. / 1970 Moͤge der Fluch des Himmels von dieſen Schei/teln weichen! rief er: wann gedenken Sie zu /heirathen? — Morgen, antwortete die Mut/ter fuͤr ihn, denn er konnte kein Wort hervor/302bringen, morgen oder heute, wie du willſt; /dem Herrn Grafen, der ſo viel ſchoͤne Beeife/rung gezeigt hat, ſein Vergehen wieder gut zu /machen, wird immer die naͤchſte Stunde die /liebſte ſeyn. sein. — So habe ich das Vergnuͤgen, /Sie morgen um 11 Uhr in der AuguſtinerkircheDer Heilige Augustinus ist als lateinischer Kirchenlehrer der Spätantike Namenspatron für eine Vielzahl an Kirchen und Klöstern. In seinen ›Confessiones‹ berichtet Augustinus von in seiner Jugend ›begangne[n] Schandthaten‹ und der ›fleischlichen Verderbniß‹ [S. 31] seiner Seele. Erst von hier aus findet er im Alter von 33 Jahren seinen Weg zu Gott. Durch die Vermählung in einer ›Auguſtinerkirche‹ platziert Kleist den Grafen in diesen Kontext der Läuterung. Vgl. [Aurelius Augustinus: Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen uͤbersetzt von Adolf Gröninger. Muünster : Theissing, 1798]. Siehe auch Wikipedia: ›Augustinus von Hippo‹. / 1980 zu finden! ſagte der Commendant; verneigte /ſich gegen ihn, rief Frau und Sohn ab, um /ſich in das Zimmer der Marquiſe zu verfuͤgen,Siehe Anmerkung Z. 752 /und ließ ihn ſtehen./

Man bemuͤhte ſich vergebens, von der Mar/quiſe den Grund ihres ſonderbaren Betragens /zu erfahren; ſie lag im heftigſten Fieber, wollte /durchaus›gänzlich, ganz und gar, völlig, schlechterdings, ohne widerrede, in allen stücken, in jeder hinsicht‹. Vgl. [DWB: ›durchaus‹, 1] von Vermaͤhlung nichts wiſſen, und /bat, ſie allein zu laſſen. Auf die Frage: warum /ſie denn ihren Entſchluß ploͤtzlich geaͤndert habe? / 1990 und was ihr den Grafen gehaͤſſiger›Haß habend, bey sich empfindend, für das veraltete hässig. Einem gehässig seyn, ihn hassen.‹ Vgl. [Adelung: ›gehässig‹, 1] mache, als /einen andern? Anderen? ſah ſie den Vater mit großen Au/gen zerſtreut großen, zerstreuten Augen an, und antwortete nichts. Die / Obriſtin Obristinn ſprach: ob ſie vergeſſen habe, daß ſie /Mutter ſey? sei? worauf ſie erwiederte, daß ſie, in /dieſem Falle, mehr an ſich, als ihr Kind, den/ken muͤſſe, und nochmals, indem ſie alle Engel /303und Heiligen zu Zeugen anrief, verſicherte, daß /ſie nicht heirathen wuͤrde. Der Vater, der ſie /offenbar in einem uͤberreizten Gemuͤthszuſtande / 2000 ſah, erklaͤrte, daß ſie ihr Wort halten muͤſſe; /verließ ſie, und ordnete Alles, nach gehoͤriger /ſchriftlicher Ruͤckſprache gehöriger Rücksprache schriftlich Vgl. Anmerkung Z. 638 mit dem Grafen, zur Ver/maͤhlung an. Er legte demſelben einen Heiraths/kontrakt Heirathscontract vor, in welchem dieſer auf alle Rechte /eines Gemahls Verzicht that, dagegen ſich zu /allen Pflichten, die man von ihm fordern wuͤrde, /verſtehen ſollte. Der Graf ſandte das Blatt, /ganz von Thraͤnen durchfeuchtet, mit ſeiner Un/terſchrift zuruͤck. Als der Commendant am an/ 2010 dern Morgen der Marquiſe dieſes Papier uͤber/reichte, hatten ſich ihre Geiſter ein wenig beru/higt. Sie durchlas es, noch im Bette ſitzend, /mehrere Male, legte es ſinnend zuſammen, oͤff/nete es, und durchlas es wieder; und erklaͤrte /hierauf, daß ſie ſich um 11 Uhr in der Auguſti/nerkirche einfinden wuͤrde. Sie ſtand auf, zog /ſich, ohne ein Wort zu ſprechen, an, ſtieg, als /die Glocke ſchlug, mit allen Ihrigen in den Wa/gen, Wagen und fuhr dahin ab./ 2020

304

Erſt an dem Portal der Kirche war es dem /Grafen erlaubt, ſich an die Familie anzuſchlie/ßen. Die Marquiſe ſah, waͤhrend der Feier/lichkeit, ſtarr auf das Altarbild; nicht ein fluͤch/tiger Blick ward dem Manne zu Theil, mit /welchem ſie die Ringe wechſelte. Der Graf bot /ihr, als die Trauung voruͤber vorbei war, den Arm; /doch ſobald ſie wieder aus der Kirche heraus wa/ren, verneigte ſich die Graͤfin Gräfinn vor ihm: der /Commendant fragte, ob er die Ehre haben wuͤr/ 2030 de, ihn zuweilen in den Gemaͤchern ſeiner Toch/ter zu ſehen, sehn worauf der Graf etwas ſtammelte, /das niemand verſtand, den Huth vor der Ge/ſellſchaft abnahm, und verſchwand. verchwand. Er bezog /eine Wohnung in M..., in welcher er mehrere /Monate zubrachte, ohne auch nur den Fuß in /des Commendanten Haus zu ſetzen, bei welchem /die Graͤfin Gräfinn zuruͤckgeblieben war. Nur ſeinem /zarten, wuͤrdigen und voͤllig muſterhaften Be/tragen uͤberall, wo er mit der Familie in irgend / 2040 eine Beruͤhrung kam, hatte er es zu verdanken, /daß er, nach der nunmehr erfolgten Entbindung /der Graͤfin Gräfinn von einem jungen Sohne, zur Taufe /305desſelben eingeladen ward. Die Graͤfin, Gräfinn, die, mit/ TeppichenZierdecke. Vgl. [DWB: ›Teppich‹] bedeckt, auf dem Wochenbette ſaß, /ſah ihn nur auf einen Augenblick, da er unter /die Thuͤr trat, und ſie von weitem Weitem ehrfurchts/voll gruͤßte. Er warf unter den Geſchenken, /womit die Gaͤſte den Neugebohrnen bewillkomm/ten, zwei Papiere auf die Wiege desſelben, deren / 2050 eines, Eines, wie ſich nach ſeiner Entfernung auswies, /eine Schenkung von 20000 Rubel an den Kna/ben, und das andere Andere ein Teſtament war, in /dem er die Mutter, falls er ſtuͤrbe, zur Erbin Erbinn /ſeines ganzen Vermoͤgens einſetzte. Von dieſem /Tage an ward er, auf Veranſtaltung der Frau /von G..., oͤfter eingeladen; ward er öfter eingeladen; ›Veranstaltung‹: ›sorgfältiges herrichten als handlung‹. Vgl. [DWB: ›Veranstaltung‹, 1]. Die Formulierung ›auf Veranstaltung der Frau von G...‹ fehlte noch in der Phöbus-Fassung. Mit dieser Ergänzung wird der Eindruck zurückgedrängt, dass die Marquise sich erst aufgrund der materiellen Ausstattung durch den Grafen für diesen (wieder) zu interessieren beginnt. das Haus ſtand ſei/nem Eintritt offen, es verging vergieng bald kein Abend, /da er ſich nicht darin gezeigt haͤtte. Er fing, fieng, da /ſein Gefuͤhl ihm ſagte, daß ihm von allen Sei/ 2060 ten, um der gebrechlichen Einrichtung der Welt /willen,›um—willen‹: Nach DWB als Präposition in der Bedeutung von ›zu liebe‹ oder abgeschwächt ›aus gefälligkeit‹. Vgl. [DWB: ›willen‹, III A 1]. Das Verzeihen durch die Familie ist also nach dem Gefühl des Grafen darin begründet, die ›gebrechliche Einrichtung der Welt‹ nicht noch zusätzlich zu gefährden. Zur Deutung des Begriffs ›gebrechlich‹ im Sinne von ›mangelhaft überhaupt, unzureichend, unvollkommen‹ findet sich im DWB Kleists Formulierung ›um der gebrechlichen einrichtung der welt willen‹ als Beleg. Vgl. [DWB: ›gebrechlich‹, 2d].
Der Topos ›Einrichtung der Welt‹ ist um 1800 eine feste Formel in Theologie und Philosophie. Unter vielen anderen beschäftigt sich auch Josias Friedrich Christian Löffler, Superintendent in Gotha, in seinen 1801 erschienenen ›Neue[n] Predigten‹ mit dieser ›Einrichtung der Welt‹. Kleist erwähnt besagten Löffler schon in seinem ersten überlieferten Brief an Auguste von Massow anläßlich seines Besuchs bei ihm in Gotha. Ganz im Geist der Aufklärung schreibt Löffler von der ›auf Zweck und Mittel berechnete[n] Einrichtung der Welt‹: ›Daß aber die Welt, daß die einzelnen Geschöpfe so eingerichtet sind, daß wir annehmen müssen,daß ein Verstand diese Einrichtung gedacht und gewollt habe — es waͤre eine lächerliche Thorheit, dieses erst erweisen zu wollen. — Zwar bin ich nicht im Stande, die Art und Weise zu erklären, wie jenes Wesen die Körper der Welt hervorgebracht, und wie es ihnen diese Form, diese Kräfte, diese Bewegung, diese Gesetze gegeben hat — die Schöpfung wage ich nicht zu beschreiben — — Aber das weiß ich, daß eine verständige, auf Zweck und Mittel berechnete Einrichtung der Welt da ist, und daß ich mich vor dem Verstande beugen muß, der diese Einrichtung dachte und wollte.‹ [Josias Friedrich Christian Löffler: Neue Predigten. Erste Sammlung. Jena: F. Frommann, 1801. S. 7]. Diese verständige, auf Zweck und Mittel berechnete Einrichtung der Welt ist für den Erzähler Kleist längst ›gebrechlich‹ geworden.
verziehen ſey, sei, ſeine Bewerbung›bemühung um eine frau, liebeswerben, brautwerbung‹. Vgl. [DWB: ›Werbung‹, 2bα], [DWB: ›werben‹, II B 1] um die / Graͤfin, Gräfinn, ſeine Gemahlinn, von neuem Neuem an, er/hielt, nach Verlauf eines Jahres, ein zweites /Jawort von ihr, und auch eine zweite Hochzeit /ward gefeiert, froher, als die erſte, nach deren /306Abſchluß die ganze Familie nach V... hinauszog. /
Eine ganze Reihe von jungen Ruſſen folgte folgten /jetzt noch dem erſten; und da der Graf, in einer /gluͤcklichen Stunde, ſeine Frau einſt fragte, war/ 2070 um ſie, an jenem fuͤrchterlichen dritten, Dritten, da ſie /auf jeden Laſterhaften gefaßt ſchien, gewesen war, vor ihm, /gleich einem Teufel, geflohen waͤre, antwor/tete ſie, indem ſie ihm um den Hals fiel: er /wuͤrde ihr damals nicht wie ein ein Teufel erſchienen / ſeyn, sein, wenn er ihr nicht, bei ſeiner erſten Erſchei/nung, wie ein Engel vorgekommen waͤre./

https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00013537/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=223

Die Marquise von O....

Quellenangaben für Zitation
https://kleist-digital.de/erzaehlungen/marquise, [ggf. Angabe von Zeile/Vers oder Seite], 28.05.2025

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  • Kollation Editionen
  • Stellenkommentar

Apparat

Erstdruck: [D1] Kleist, Heinrich v. / Müller, Adam H.  (Hrsg.): Phöbus. Ein Journal für die Kunst. Dresden: Carl Gottlob Gärtner, 1808. 2. Stück S. 3ff

Textwiedergabe nach: [D2] Kleist, Heinrich von: Die Marquise von O.... In: Kleist, Heinrich von: Erzählungen. Erster Theil, Berlin, Realschulbuchhandlung, 1810, S. 216–306.

Zugrunde gelegte Exemplare: BSB. Bayerische StaatsBibliothek. Sigle: Rar. 4347-1.
Exemplar aus Privatbesitz.

Überlieferung

Der Druck D2 enthält einzelne Satzfehler. Diese sind im Text in dunkelgrau gesetzt und in der ›Korrigenda‹ chronologisch aufgelistet.

Zum Vergleich mit der Phöbus-Fassung:
Wie generell wird die Kombination ſs (langes-s/s) als ß wiedergegeben. Versale Umlaute (Ä, Ö, Ü) werden in D2 im Gegensatz zur Phöbusfassung aufgelöst zu Ae, Oe, Ue und hier entsprechend transkribiert. Im Vergleich von D1 und D2 werden diese typographisch bedingten Abweichungen nicht extra gelistet. Alle anderen Abweichungen zwischen D1 und D2 werden angezeigt. Die vollständige Transkription der Phöbus-Fassung findet sich in Phöbus, 2. Stück, S. 3ff.

 Emendationen (insges. 24)
  • 119zweifelhalftzweifelhaft
  • 172dieſendieſem
  • 211kleinerkleinen
  • 231Augenbick,Augenblick,
  • 601FamileFamilie
  • 610aufauf-
  • 679ſetzen[¿]ſetzen.
  • 682dasdaß
  • 691MarqniſeMarquiſe
  • 766dasdaß
  • 897covulſiviſchenconvulſiviſchen
  • 1029vorgekomen;vorgekommen;
  • 1084ſehen[¿]”ſehen.”
  • 1227demden
  • 1279geheimißvollengeheimnißvollen
  • 1427daßdas
  • 1439wegweg.
  • 1573foſo
  • 1608iſtiſt.
  • 1636GeſichtGeſicht.
  • 1643dasdaß
  • 1752hartnaͤkig!hartnaͤckig!
  • 1852wenwenn
  • 1916fanftſanft
Pagina Kleist-Ausgaben
  • [BKA] II/2 7–102
  • [MA] II 107–147
  • [DKV] III 143–186
  • [SE:1993] II 104–143
  • [Bartl:2013 (Reclam)] 122–169
 Vergleich Editionen

Die durchgeführte Kollation mit unterschiedlichen historischen und aktuellen Kleist-Editionen zeigt bestimmte Lesarten und Emendationen, die von der vorliegenden emendierten Fassung abweichen. In den Anmerkungen finden sich hierzu häufig nähere Erläuterungen. (Gelegentlich ist die Ursache für Abweichungen ein Transkriptionsfehler in der jeweiligen Edition.)

Disclaimer: Abweichungen, die ihren Grund in typographisch bedingten Normalisierungen und Standardisierungen haben, werden nicht angezeigt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden. Mitgeteilte Abweichungen müssen am Original überprüft werden.

In die Kollation einbezogene Kleist-Ausgaben

[BKA][MA][Bartl:2013 (Reclam)]

[BKA:1989] [9 Abw.]
  • 119zweifelhalft ] zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 601Famile ] Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 679ſetzen[¿] ] setzen=
  • 691Marqniſe ] Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen=”
  • 1439weg ] weg.
  • 1448 ] [Zeilenfall abweichend.]
  • 1608iſt ] ist.
  • 1636Ge/ſicht ] Gesicht.
[Recl;Bartl:2013] [7 Abw.]
  • 163mehrer ] mehrerer [emendiert]
  • 344toͤdtlich ] toͤdlich
  • 679ſetzen[¿] ] setzen.
  • 760verſetzte er, ] versetzte, [emendiert nach Phöbus-Fassung mit Kommentarhinweis]
  • 999daß ] das [emendiert]
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen:”
  • 1477 Bedienten ] [emendiert in ›Bediente‹]
[MA:2010] [23 Abw.]
  • 119zweifelhalft ] zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 163mehrer ] mehrerer [emendiert]
  • 231Augenbick, ] Augenblick, [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 601Famile ] Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 679ſetzen[¿] ] setzen. [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 691Marqniſe ] Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 746Vater ] Vaͤter
  • 766das ] daß [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 897covulſiviſchen ] convulsivischen [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1029vorgekomen; ] vorgekommen; [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen.” [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1227dem ] den [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1279geheimißvollen ] geheimnißvollen [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1427daß ] das [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1439weg ] weg.
  • 1448 ] [Zeilenfall abweichend.]
  • 1573fo ] so [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1608iſt ] ist.
  • 1636Ge/ſicht ] Gesicht.
  • 1643das ] daß [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1752hartnaͤ/kig! ] hartnaͤckig! [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1852wen ] wenn [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1916fanft ] sanft [emendiert ohne Kommentarhinweis]
[Phöbus, Zweites Stück] [480 Abw.]
  • 8ſey, ] sey;
  • 14ſolcher ] dieser
  • 16M.... ] M.
  • 16ungefaͤhr ] ohngefähr
  • 26Jahre ] Jahre,
  • 31Maͤchte ] Mächte,
  • 31ruſſiſchen ] russischen,
  • 35letzteren, ] Letzteren,
  • 39ſeyn ] sein
  • 50mit ] noch mit
  • 56fing ] fieng
  • 56Commendanten-Hauſes ] Commendantenhauses
  • 58Obriſtin, ] Obristinn,
  • 60un/ 60 teren ] untern
  • 64in demſelben. ] derselben.
  • 71die ] eine
  • 74hing, ] hieng,
  • 87ſeyn. ] sein.
  • 91bot dann ] bot
  • 93Arm, ] Arm;
  • 112begeben, ] begeben
  • 115ſeyn ] sein
  • 119zweifelhalft ] zweifelhaft
  • 119ſeyn ] sein
  • 121Punkte ] Puncte
  • 123an/fing, ] anfieng,
  • 132Kommandant, ] Commendant,
  • 140um die ] die
  • 146Jaͤgerkorps, ] Jägercorps,
  • 163mehrer ] mehrerer
  • 167Kommandanten ] Commendanten
  • 171Kommandant ] Commendant
  • 172dieſen ] diesem
  • 175Jaͤgerkorps, ] Jägercorps,
  • 175ſey. ] sei.
  • 176ſey; ] sei;
  • 188ſey, ] sei,
  • 195wohl bekannte ] wohlbekannte
  • 198allereifrigſte ] Allereifrigste
  • 198ſtrengſte ] Strengste
  • 205ſey. ] sei.
  • 208jener ] er
  • 211kleiner ] kleinen
  • 215Commendanten, ] Commandanten,
  • 216Marquiſe, ] Marquise
  • 217Umſtaͤnden, ] Umständen
  • 220ſie ] sie,
  • 221Zukunft ] Zukunft,
  • 231Augenbick, ] Augenblick,
  • 233Commendant, ] Commandant,
  • 237habe: ] hatte:
  • 237 ] [Sentenz ohne An- und Abführungszeichen]
  • 239haͤtte. ] hatte.
  • 251vergingen, ] vergiengen,
  • 252Commendanten/haus ] Commandantenhaus
  • 254uͤberlegte ] stritt
  • 261zuruͤck. ] zurück:
  • 261Die ] die
  • 265Goͤttin ] Göttinn
  • 267ſie ] sie,
  • 285Morpheus ] Der Traum
  • 286oder einer der /Traͤume aus ſeinem Gefolge, ] [fehlt]
  • 288ſeyn; ] sein;
  • 296ins ] in‘s
  • 299alle ] Alle
  • 301habe, ] habe;
  • 308ſey, ] sei,
  • 313ins ] in’s
  • 313ſey? ] sei?
  • 313er, ] [nicht gesperrt]
  • 314ſei/nem ] seinen
  • 317ſey ] sei
  • 320ja; ] ja,
  • 324ſeyn ] sein
  • 332wollte, ] wolle,
  • 364ſeyn; ] sein;
  • 370ehrfurchtsvollſte, ] Ehrfurchtsvollste,
  • 370inſtaͤndigſte ] Inständigste
  • 370dringendſte ] Dringendste
  • 374ſey, ] sei,
  • 380ſey: ] sei:
  • 391ſey, ] sei,
  • 403berechtige: ] berechtige;
  • 403großen; ] großen,
  • 405nicht ohne ] ohne
  • 411ſeyn. ] sein.
  • 413ſo werde auch er, eher aber nicht, ] so werde er, doch eher nicht,
  • 416ins ] in’s
  • 422ſey, ] sei,
  • 423anders ] anders,
  • 423vortheilhaft ] vortheilhaft,
  • 423ſeyn ] sein
  • 429ſey, ] sei,
  • 431ſey, ] sei,
  • 433ſey. ] sei.
  • 445Eltern ] Eltern,
  • 445ſey. ] sei.
  • 446ſey ] sei
  • 461entſcheidendſten ] Entscheidendsten
  • 471Reiſe ] Reise,
  • 485ſey, ] sei,
  • 492ſeyn, ] sein,
  • 499indeſſen ] inzwischen
  • 510ginge, ] gienge,
  • 513minutenlangen ] Minuten langen
  • 520ſey ] sei
  • 525Punkt ] Punct
  • 528dringendſte, ] Dringendste,
  • 529ungluͤckdrohenden ] unglücksvollen
  • 539ſey, ] sei,
  • 544ans ] an’s
  • 546ſey? ] sei?
  • 557danke, und ] danke;
  • 557ſey; ] sei;
  • 563hinausging: ] hinausgieng:
  • 565ins ] in’s
  • 583aufzunehmen: ] aufzunehmen;
  • 585Hauſes, ] Hauses;
  • 588melden, ] melden;
  • 601Famile ] Familie
  • 610auf ] auf-
  • 610niederging, ] niedergieng,
  • 612einem ] einem,
  • 613gewandten ] gewandten,
  • 614gereiſt ] gereis’t
  • 615alles ] Alles
  • 618ſchließen ] binden
  • 620Marquiſe, ] Marquise;
  • 621Wirkung; ] Wirkung,
  • 627Kraft ] Macht
  • 628hatte, ] hätte,
  • 628ſey, ] sei,
  • 633Kriege, ] Kriege
  • 638ſey, ] sei,
  • 650aus der Fluth wieder ] wieder aus der Fluth
  • 651ſey; ] sei;
  • 654ge/weſen, daß er ] gewesen wäre,
  • 655zu locken, ] locken,
  • 656haͤtte, ] hätte
  • 656bloß ] blos
  • 665denken ] sagen
  • 679ſetzen[¿] ] setzen.
  • 682das ] daſs
  • 685empfoͤhlen, ] empfehlen,
  • 691Marqniſe ] Marquise
  • 694Obriſtin ] Obristinn
  • 695zuruͤckkehrt, ] zurückkehrte,
  • 700Marquiſe ] Marquise,
  • 702ſtockte, ] schwieg,
  • 720kaum zu fuͤrchten ſey, ] kaum,
  • 721ſollte. ] sollte, zu fürchten sei.
  • 727andere ] andre
  • 731ſey ] sei
  • 741ſchaffen, ] schaffen
  • 751ſey, ] sei,
  • 757ins ] in‘s
  • 758Ruͤhrung ] Rührung,
  • 760verſetzte er, ] versetzte,
  • 766das ] daſs
  • 772herzlichſte, ] Herzlichste,
  • 773eigenen ] eignen
  • 780M... ] M...,
  • 787ſeyn ] sein
  • 789ſey. ] sei.
  • 793ſehnlichſter ] sehnlicher
  • 798ſey: ] sei:
  • 801gleich ] gleich hierauf
  • 803weiter nachzudenken, ] nachzudenken,
  • 803reiſte ] reis’te
  • 807verſtrichen. ] verstrichen:
  • 807Der ] der
  • 807empfing ] empfieng
  • 826wieder/kehrend ] wiederkehrende,
  • 836dann ] dann,
  • 837daß ] daſs sich
  • 838urtheile. ] beurtheile.
  • 838ſich ] sich,
  • 839verſtehe, ] verstehe?
  • 842ſey, ] sei,
  • 842brauche, ] brauche:
  • 855daß er ſeine Ausſage vor Gericht be/ſchwoͤren koͤnne: ] er würde eher Berge, als seine feste Meinung von ihr, versetzten können;
  • 861Doctor ] Arzt
  • 863ging ] gieng
  • 870ſelbſt ] selbt
  • 873war/um ] weshalb
  • 874ſey? ] sei?
  • 880ſey, ] sei,
  • 881ins ] in’s
  • 881liebes ] liebes,
  • 889Obriſtin, ] Obristinn,
  • 891ein ] das
  • 892das einer ] einer
  • 897covulſiviſchen ] convulsivischen
  • 901ich in ] ich
  • 901andern ] Andern
  • 903Obri/ſtin. ] Obristinn.
  • 909nie ] nicht
  • 910em/ 910 pfing? ] empfieng?
  • 920Obriſtin ] Obristinn
  • 922ſeyn. ] sein.
  • 929Bewußtſeyn, ] Bewuſstsein,
  • 929gleich dem ] wie
  • 931ſeyn. ] sein.
  • 933iſt, ] [gesperrt]
  • 934ſey, ] sei,
  • 936Bewußtſeyn, ] Bewuſstsein,
  • 937ging ] gieng
  • 942Obriſtin; nur ] Obristinn. Nur
  • 945ausgebreiteten ] ausgestreckten
  • 963muͤßte ] müſst’
  • 972ver/ſchwieg ] verschweige
  • 984wieder; /259welch ] wieder. Welch
  • 994G...., ] G...,
  • 995anfing. ] anfieng.
  • 1005Lei/besumſtaͤnden ] Umständen
  • 1009Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1010kommen; ſie ] kommen. Sie
  • 1012Traͤumerin, ] Träumerinn,
  • 1018Obriſtin ] Obristinn
  • 1029vorgekomen; ] vorgekommen;
  • 1035Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1041entdecken, willſt ] entdecken? Willst
  • 1046ſey die ] die
  • 1049neuem ] Neuem
  • 1049Geburtshelfe/rin ] Geburtshelferinn
  • 1054ſey? ] sei?
  • 1057ſeyn. ] sein.
  • 1059allgemeinen ] Allgemeinen
  • 1060ſey? ] sei?
  • 1061außer der heiligen /Jungfrau, ] soviel ihr bekannt sei,
  • 1065Geburtshelferin, ] Geburtshelferinn,
  • 1076Geſellſchafterin ] Gesellschafterinn,
  • 1079ſo ausließ: ] auslieſs:
  • 1083hoffe ] hoffe,
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen.”
  • 1088ging, ] gieng,
  • 1092ſey ] sei
  • 1092Vater; ] Vater:
  • 1098daraus ] aus derselben
  • 1099zu ihr mit ] mit
  • 1100ſagte: ] sagte,
  • 1100hoͤre ] höre,
  • 1102Bruder: ] Bruder!
  • 1112hintern Wand. ] Wand.
  • 1116losging, ] losgieng,
  • 1121anſpannen, ] anspannen!
  • 1127alles ] Alles
  • 1133niederſchie/ßen, ] niederschieſsen:
  • 1136ſie ] sie,
  • 1138Wagen ] Wagen,
  • 1141eigenen ] eignen
  • 1148Bewußtſeyns, ] Bewuſstseins,
  • 1155muͤſſe, ] [gesperrt]
  • 1156nur waren nach ] nach
  • 1157als ] so machte
  • 1159machte, ] [vorgezogen, s. o.]
  • 1164dritten ] Dritten
  • 1164voller ] voller,
  • 1166in wenig Wochen, ſobald ſie ihre Nie/derkunft uͤberſtanden haben wuͤrde, ] gleich nach ihrer Niederkunft,
  • 1169verfallenen ] verfallenen,
  • 1171Muͤtzen, ] Mützen
  • 1172wuͤrde; ] würde,
  • 1174ſchicklichſten ] Schicklichsten
  • 1175wuͤrde. ] würde:
  • 1175Und ſo ] und noch
  • 1176noch ] [vorgezogen, s. o.]
  • 1177als ] da
  • 1179Thuͤrſteher ] Portier
  • 1184und deſſen Ur/ſprung, eben weil er geheimnißvoller war, auch /goͤttlicher zu ſeyn ſchien, als der anderer Men/ſchen, ] [fehlt]
  • 1192ge/wendet ] gewendet,
  • 1193ſeine ] seine,
  • 1202derſelben, ] derselben
  • 1203ſeyn ] sein
  • 1204ward, ] wurde,
  • 1206ſeyn, ] sein,
  • 1206man ] er
  • 1221ging ] gieng
  • 1224empfing ] empfieng
  • 1227dem ] den
  • 1244waͤre, ] wäre:
  • 1246ſeyn? ] sein?
  • 1254ging ] gieng
  • 1258Thuͤrſteher, ] Portier,
  • 1260Maaßregel ] Maßregel
  • 1261jener ] der Portier
  • 1263Art ] Art,
  • 1271Thuͤrſteher ] Portier
  • 1274trat ] trat,
  • 1279geheimißvollen ] geheimniſsvollen
  • 1282Eingang ] Eingange
  • 1287ſtehen; ] stehen,
  • 1299ihnen ] Ihnen
  • 1302ihrer ] Ihrer
  • 1304gleich/wohl? ] gleichwohl
  • 1306ihrer ] Ihrer
  • 1308wobei er einen gluͤhenden Kuß auf ihre /Bruſt druͤckte. ] wobei er auf ihre Brust glühend niedersah
  • 1312ſie ] Sie
  • 1313Ich komme ſchloß er — ] Komme, schloß er,
  • 1313nicht — ] nicht:
  • 1315Sie ] sie
  • 1317befehls ] befehl’s
  • 1320aufſtand, ] aufstand
  • 1320folgte. — ] folgte —
  • 1322heimliches ] heimliches,
  • 1322Ge/fluͤſtertes ] geflüstertes
  • 1324Arm. ] Arm
  • 1334ſey, ] sei,
  • 1335ſtehendes ] stehendes,
  • 1341hinab, ] hinab
  • 1342fuͤhlte ] fühlte,
  • 1344ſey, ] sei,
  • 1353bitteren ] bitterern
  • 1357kurzem ] Kurzem
  • 1357ins ] in’s
  • 1357ſeyn. ] sein.
  • 1362ſey, ] sei,
  • 1366ins ] in’s
  • 1367Ein Wechſel ] Eine Verwirrung
  • 1368durchkreuzte ] ergriff
  • 1371Graf, ] Graf;
  • 1372er mit ganzer ] seine
  • 1373gierig verſchlang. ] verschlang, und wiederkäute.
  • 1373Darauf ] Drauf,
  • 1376war, ſagte er: ] war:
  • 1376gut! ] gut! kehrte er sich um;
  • 1377kehrte ſich/ ſodann um; und fragte ] fragte
  • 1380ging, ] gieng,
  • 1384Obriſtin ] Obristinn
  • 1385ihres Gatten ] desselben
  • 1392erholte; doch ] erholte. Doch
  • 1412Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1414gleich/guͤltige ] gleichgültige,
  • 1421hing, ] hieng,
  • 1422wuͤn/278ſche; ] wünsche,
  • 1424Aufruf ] Aufsatz
  • 1425Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1426lebhafteſte ] Lebhafteste
  • 1427ging ] gieng
  • 1427daß ] das
  • 1437Naͤrrin! ] Närrinn!
  • 1439ging ] gieng
  • 1439weg ] weg.
  • 1440Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1443Antwort: ] Antwort darauf:
  • 1448 ] [Zitierende Textpassage wird in der Phöbusversion als eigener dreizeiliger Absatz mit einem An- und Abführungszeichen dargestellt.
  • 1449Obriſtin ] Obristinn
  • 1449verging, ] vergieng,
  • 1451Sprache; ] Sprache,
  • 1456Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1458Heuchlerin! ] Heuchlerinn!
  • 1459Huͤndin, ] Hündinn,
  • 1464Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1474ſey ] sei
  • 1476ſeyn, ] sein,
  • 1480Einem, Glauben, ] Einem Glauben
  • 1484ehe ] eh
  • 1496Obriſtin ] Obristinn
  • 1497empfing; ] empfieng;
  • 1509einen ] ein
  • 1521Stuͤcke ] Stücken
  • 1524Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1532Thuͤrſteher, ] Portier,
  • 1536Obriſtin ] Obristinn
  • 1537Worauf die/283ſer ] Der Portier
  • 1544aber war noch ] noch war
  • 1545Thuͤrſteher ] Portier
  • 1546vergeblichen ] vergeblichen,
  • 1546Verſuche ] Unternehmen
  • 1549Obriſtin ] Obristinn
  • 1559blieb, ] blieb
  • 1561unſchaͤtzbare ] unschätzbare,
  • 1566ſey, ] sei,
  • 1568Doch dieſe, indem ſie den /Handkuß vermied, fuhr fort: denn nicht nur, ] Doch diese: denn nicht nur, fuhr sie fort, indem sie den Handkuſs vermied,
  • 1572ſowohl ] sowohl,
  • 1573fo ] so
  • 1573muß ich dir auch ] ich muß dir nur
  • 1578nieder; — ] nieder;
  • 1594reden. ] reden;
  • 1594Darauf ſpricht er: ] drauf er:
  • 1595Gewiſſen ] Gewissen, spricht er,
  • 1595Ruhe; ] Ruhe,
  • 1595ſey ] sei
  • 1608iſt ] ist.
  • 1610ſeyn, ] sein,
  • 1611fruͤher als mir, ] zuerst
  • 1621Obriſtin. ] Obristinn.
  • 1635ihr ] ihr,
  • 1635ergluͤhendes ] erglühendes,
  • 1636Ge/ſicht ] Gesicht.
  • 1643das ] daß
  • 1651Jene verſetzte darauf: ] Doch jene:
  • 1652ich, ] ich, sprach sie,
  • 1654du Herrliche, Ueberirrdiſche, ] o Du Himmlische
  • 1665ſie ] Sie
  • 1673koͤnnt ] könnt’
  • 1675biete ] biete deinem unmenschlichen Vater Trotz, ich biete deinem Bruder, ich biete
  • 1676Trotz; ] Trotz,
  • 1676keine ] heine
  • 1705ſeyn, ] sein,
  • 1719Marquiſe, ] Marquise;
  • 1719auf; ] auf.
  • 1720und ] Und
  • 1723lange ] lang’
  • 1724theurſte ] theuerste
  • 1725Obriſtin ] Obristinn
  • 1725ins ] in’s
  • 1727ſollſt ] [nicht gesperrt]
  • 1730zieh ] zieh’
  • 1734Jemand ] jemand
  • 1736Thuͤr; ] Thür
  • 1741Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1750G... ] G....
  • 1752hartnaͤ/kig! ] hartnäckig!
  • 1760ſagte: — ] sagte — :
  • 1769nicht, und ] nicht: er
  • 1779Wort: ] Wort,
  • 1780recht, ] Recht,
  • 1784Er/ſchuͤtterung, ] Erschütterng nicht doch,
  • 1785nicht /doch ] [umgestellt, s. o.]
  • 1786ſeyn ] sein
  • 1787ſey, ] sei,
  • 1793noch nicht ] nicht
  • 1800durchs ] durch's
  • 1801ſonſt in ] in
  • 1824nieder, ] nieder
  • 1825ſie rief: ] sie:
  • 1826Geſicht iſt /das! ] Gesicht! rief sie,
  • 1829gingen, ] giengen,
  • 1835Frage: ] Frage,
  • 1837dritte. ] Dritte.
  • 1841ſeyn ] sein
  • 1845ſeyn, ] sein,
  • 1846kaͤme, ] kommen wollte,
  • 1852wen ] wenn
  • 1854koſte ] koste,
  • 1858ſchicklichſten ] Schicklichsten
  • 1858ſeyn ] sein
  • 1865derſelben, ] der Person,
  • 1875ſeyn ] sein
  • 1880dritten. ] Dritten.
  • 1906ging ] gieng
  • 1909wen ] Wen
  • 1916fanft ] sanft
  • 1922Thoͤ/rin, ] Thörinn,
  • 1929Obri/ſtin; ] Obristinn;
  • 1934Obriſtin ] Obristinn
  • 1943gefaßt, ] gefast,
  • 1950Mutter ] Mutter,
  • 1951blickt ] sieht
  • 1960ſey; ] sei;
  • 1979ſeyn. ] sein.
  • 1992andern? ] Anderen?
  • 1992großen Au/gen zerſtreut ] großen, zerstreuten Augen
  • 1994Obriſtin ] Obristinn
  • 1995ſey? ] sei?
  • 2002gehoͤriger /ſchriftlicher Ruͤckſprache ] gehöriger Rücksprache schriftlich
  • 2004Heiraths/kontrakt ] Heirathscontract
  • 2019Wa/gen, ] Wagen
  • 2027voruͤber ] vorbei
  • 2029Graͤfin ] Gräfinn
  • 2032ſehen, ] sehn
  • 2034verſchwand. ] verchwand.
  • 2038Graͤfin ] Gräfinn
  • 2043Graͤfin ] Gräfinn
  • 2044Graͤfin, ] Gräfinn,
  • 2047weitem ] Weitem
  • 2051eines, ] Eines,
  • 2053andere ] Andere
  • 2054Erbin ] Erbinn
  • 2056ward er, auf Veranſtaltung der Frau /von G..., oͤfter eingeladen; ] ward er öfter eingeladen;
  • 2058verging ] vergieng
  • 2059fing, ] fieng,
  • 2062ſey, ] sei,
  • 2069Graͤfin, ] Gräfinn,
  • 2063neuem ] Neuem
  • 2068folgte ] folgten
  • 2071dritten, ] Dritten,
  • 2072ſchien, ] gewesen war,
  • 2075wie ein ] ein
  • 2076ſeyn, ] sein,
Stellenkommentar

15Commendanten[Franz.] Commendant, der oberste Befehlshaber in einer Festung, vgl. [Adelung: ›Commendant‹].

15Citadelle Ein ›größeres Fort, gewöhnlich auf beherrschendem Punkt innerhalb oder seitlich einer ältern Festung gelegen‹. Näheres [Meyers: ›Citadelle‹].

28 Eingezogenheit[GWB: ›Eingezogenheit‹] Synonym für ›Abgeschiedenheit Abgeschlossenheit Abgesondertheit Einsamkeit Einsiedelei Zurückgezogenheit‹.

29.... KriegMöglicherweise der 2. Koalitionskrieg 1799. Vgl. Politzer, 1977. Zum geschichtlichen Hintergrund siehe Eintrag in [Wikipedia].

32Obriſtveraltet für Oberst.

42berenntBeginn einer Belagerung. Näheres in [DWB: ›berennen‹].

55Haubitzenſpiel,sog. Steilfeuergeschütz. Vgl. Wikipedia-Eintrag ›Haubitze‹

104Pardon geben[DWB: ›Pardon‹, 2] ›die begnadigung, die schonung des lebens eines besiegten, gefangenen oder verurtheilten‹.

118Eilfertigkeit,Im Sinne von ›Eile, Hast‹. Vgl. [GWB: ›Eilfertigkeit‹, 1]

118Detaſchements,[GWB: ›Detachement‹] ›Detachement auch -sch- milit: vom Hauptheer abkommandierter Trupp Soldaten‹.

122Waffenplatz[Adelung: ›Waffenplatz‹] ›In engerer Bedeutung ist es in Festungen ein geräumiger Platz in dem verdeckten Wege, die Truppen daselbst zu versammeln‹.

130AsiatenIn den zaristischen russischen Armeen gab es immer auch kosakische und asiatische Verbände. Hier in abwertender Bedeutung.

163 mehrer Die Form ›mehrer‹ war um 1800 durchaus noch üblich und wird hier deshalb nicht emendiert. Vgl. [Adelung: ›mehrer‹, II 2.2) ]

190Reverberen[Meyers: ›Réverbère‹] ›(franz.), soviel wie Reflektor, auch die mit Reflektor versehene Lampe (Laterne) selbst‹.

282SensationIm 18. Jahrhundert noch in der Bedeutung von ›sinnlichem Gefühl‹, ›sinnlicher Empfindung‹. Vgl. [DWB: ›Sensation‹].

284PhantaſusBruder des Morpheus. Verwandelt sich trügerisch in Erde, Stein, Welle, Balken oder andere seelenlose Natur. Vgl. Ovid, Metamorphosen, XI. Buch, 642.

285 Morpheus Traumgott, einer der Söhne des Somnus. Erscheint im Traum in unterschiedlicher menschlicher Gestalt. Vgl. Ovid, Metamorphosen, XI. Buch, 635, 647, 671. Siehe auch [Wikipedia].

293Aufseher über einen großen in viele Reviere geteilten Forst. Vgl. [Adelung: ›Forstmeister‹] u. [Meyers: ›Forstmeister‹].

357Depeſchen[GWB: ›Depeschen‹] ›eilige, durch Boten od (meist reitende) Post übermittelte schriftl Nachricht od Sendung amtl od privaten Charakters‹.

379VerbindlichkeitVgl. [Amelung: ›Verbindlichkeit‹, 2] ›In passiver Bedeutung, der Zustand, da man sich in der moralischen Nothwendigkeit zu einer Handlung befindet, sie rühre nun von einem Gesetze, oder von einem freywilligen Versprechen, oder endlich auch von empfangenen Gefälligkeiten und Wohlthaten her.‹

459General en ChefKommandierender General eines Armeekorps. In der Kaiserlich Russischen Armee ab 1796 nicht mehr als Rangbezeichnung gebräuchlich. Vgl. [Wikipedia]

489Expedition,Auslieferung, Verschickung. Vgl. [GWB: ›Expedition‹]

518Caſſation›Kassation‹: militärische Disziplinarstrafe, Entlassung aus dem Dienst (ohne Aussicht auf Wiedereinstellung). Vgl. [Meyers: ›Kassation‹]

536unfehlbarWahr, sicher, zuverlässig, unbedingt. Vgl. [DWB: ›unfehlbar‹, 1a]

547Domeſtikenſtube,Unterkunft des Dienstpersonals. Vgl. ›Zimmer für Domestiken und Hausofficianten‹ in Carl L. v. Bothmer: Betrachtungen und Einfälle über die Bauart der Privatgebäude in Teutschland. Augsburg: Stage, 1779. S. 13

548Adjutanten,Einem höheren Offizier zur Unterstützung beigegebener Leutnant.

557GeſchaͤftIm 18. Jahrhundert noch gebraucht im Sinne von Tätigkeiten (abgeleitet von ›schaffen‹). Vgl. [Adelung: ›Geschäft‹].

557abgemachtErledigt, abgeschlossen, fertig gemacht. Vgl. [DWB: ›abmachen‹].

560PortefeuilleBriefmappe.

579gefaͤlligſtUm 1800 noch ohne negative Konnotierung im Sinne von ›Gefallen erweckend‹, ›gefällig sein‹. Vgl. [DWB: ›gefällig‹, insb. 4]

586trocknen GeſichtHier in der Bedeutung von distanzierter, betont ausdrucksloser Mimik.

618 ſchließen In Ketten schließen lassen. Vgl. [DWB: ›schließen‹ 2b] In der Phöbus-Version ist hier noch in abgeschwächter Form von ›binden lassen‹ die Rede.

618arretiren,Festnehmen, verhaften. Vgl. [GWB: ›arretieren‹].

630erharrteEtwas erwarten. Vgl. [DWB: ›erharren‹].

631GefliſſentlichMit Fleiß, mit Vorwand. Vgl. [Adelung: ›geflissentlich‹].

638gehoͤrigenGebührend, geziemend. Vgl. [DWB: ›gehörig‹, 5 a/b]

645SchwansSchwan als Metapher für Weissheit, Reinheit, Unschuld. Sehr ausführlich [DWB: ›Schwan‹]. Hier auch Verweis auf Schwan als Metapher für ›weisze und schönheit‹ der Jungfrauen. Schon in der Antike steht der Schwan für vielerlei Symbolik: er ist der heilige Vogel des Apoll, Jupiter verwandelte sich in einen Schwan, um Leda zu verführen, Schwäne bildeten das Gespann für Venus oder Amor.

668InfameEhrlos, schändlich. Vgl. [GWB: ›infam‹]

731verwickelnIn etwas hineingezogen werden, sich nicht zurechtfinden, sich verirren. Vgl. [DWB: ›verwickeln, 3b‹]

741anheiſchigEtwas auf sich nehmen, versprechen etwas verbindlich zu tun. Vgl. [DWB: ›anheischig‹] und [Adelung: ›anheischig‹].

748hinterbringenEine Botschaft, Nachricht überbringen. Vgl. [GWB: ›hinterbringen‹].

752verfuͤgen.Sich verfügen: sich wohin begeben. Vgl. [DWB: ›verfügen, 2b‹]

755KammerdienerPersönlicher Bedienter. Vgl. [Adelung: ›Kammerdiener‹].

760 verſetzte er, In der Phöbus-Fassung steht statt ›versetzte er,‹ nur ›versetzte,‹. Diese Textstelle wird in den Kleist-Editionen unterschiedlich behandelt. [DKV III, 159;10], [Kleist/Bartl:2012, 139,23] emendieren (unter Hinweis auf die Phöbus-Fassung im Kommentar) nach der Phöbus-Fassung, [BKA II/2, 42;10] emendiert nicht (mit Hinweis im Kommentar), ebenso [MA, 122;3] (ohne Hinweis auf Phöbus-Fassung im Kommentar). In früheren Editionen (Sembdner, Schmidt, Zolling) wird einheitlich nach der Phöbus-Fassung verfahren (meist ohne textkritischen Hinweis). Beide Lesarten scheinen berechtigt, abhängig davon, wie das Satzgefüge aufgelöst wird: a) ›doch er wisse genug‹, wobei das Pronomen ›er‹ rethorisch wieder aufgenommen wird, oder b) ›doch er versetzte‹. Da im vorliegenden Text hinter dem Doppelpunkt zumeist unmittelbar eine (häufig indirekte) Rede angeschlossen wird, wird die Textstelle im Sinne von a) gelesen und nicht emendiert.

774JaͤgerHier in der Bedeutung eines herrschaftlichen Bedienten in ›jägerischer kleidung‹. Vgl. [DWB: ›Jäger‹, 2]

775PraͤmienPreis, Belohnung. Vgl. [DWB: ›Prämie‹]

794vermaͤhlen.Eine eheliche Verbindung, Vereinigung eingehen. Vgl. [Adelung: ›vermählen‹]. Die aufkommende Empörung der Familie und die Nachfrage der Marquise, ob der Graf ›von Sinnen ſey‹, ist schon deshalb nachvollziehbar, da der Graf bei seinem überraschenden Besuch sich offensichtlich nicht nur verloben, sondern zusätzlich noch die Vermählung vollziehen wollte.

831DivanGepolsterter, orientalischer Sitz. Vgl. [DWB: ›Divan‹, 3]

848empfindlich:Gereizt. Vgl. [DWB: ›empfindlich‹, Adv. 2].

895ſchicklich›Was gehörig ist‹, der Stellung einer Person (hier des Vaters) angemessen. Vgl. [DWB: ›schicklich‹, 2].

897 covulſiviſchen Krampfartig zuckend. Vgl. [GWB: ›Konvulsion‹]

935Entwuͤrdigung.Herabsetzung, Herabwürdigung, hier ›gefühl gekränkter würde‹. Vgl. [DWB: ›Entwürdigung‹]

1030wuͤſten Inſeln›Wüste Inseln‹ und Seeräuber sind ein beliebter Topos in der Literatur des 18. Jahrhundert, vgl. z. B. das Singspiel ›Die wüste Insel‹ von August G. Meißner. [August G. Meißner: Die wüste Insel. Singspiel. Leipzig: Dyck, 1778].

1033Corſar,Seeräuber. Vgl. [Adelung: ›Corsar‹]

1046Verflucht ſey die Stunde, da ich dich gebahr!Die Verfluchung der Geburt findet sich schon im Alten Testament (Jeremia, 20), dort allerdings als Selbstverfluchung ›VErflucht sey der tag / darinn ich geboren bin / Der tag müsse vngesegenet sein / darinn mich meine Mutter geboren hat.‹. [Jer 20,14]

1061 außer der heiligen Jungfrau, Die Geburt Jesu wird Maria angekündigt durch den Engel Gabriel: ›31 Sihe / du wirst schwanger werden im Leibe / vnd einen Son geberen / des Namen soltu Jhesus heissen. ... 34 Da sprach Maria zu dem Engel / Wie sol das zugehen? sintemal [zumal] ich von keinem Manne weis. 35 Der Engel antwortet / vnd sprach zu jr / Der heilige Geist wird vber dich komen / vnd die krafft des Hoͤhesten wird dich vberschatten. Darumb auch das Heilige / das von dir geboren wird / wird Gottes Son genennet werden.‹ [Lukas 1;31,34,35]

1069MittelEs muß offen bleiben, welche ›Mittel‹ die Hebamme empfiehlt. Dies können – wörtlich gelesen – um 1800 bekannte Naturmittel sein, die zu einer ›Abtreibung der Leibesfrucht‹ führen (Höpfners Deutsche Encyclopädie von 1778 verweist auf ›Sadebaumblätter‹), oder sie spricht im übertragenen Sinn von Strategien, eine legitime Geburt vorzutäuschen, wie sie z. B. Kleist in seiner ›Sonderbaren Geschichte, die sich, zu meiner Zeit, in Italien zutrug‹ [BA 1811, Nr. 2, 5ff] beschreibt. Da der Marquise die ›Troſtgruͤnde‹ wie ›Meſſerſtiche durch die Bruſt fuhren‹, scheint es plausibler, von erstgenannten Abtreibungsmitteln auszugehen.

1070LeumundDer ›ruf, in dem jemand wegen seines moralischen verhaltens steht‹. Vgl. [DWB: ›Leumund‹, 1,2]

1076 Geſellſchafterin Die Gesellschaft leistende, hier die Hebamme. Vgl. [DWB: ›Gesellschafterin‹]

1082uͤber ihr Vermoͤgen lautenden Papiere,Vertragsunterlagen, die die Vermögensverhältnisse der Marquise regeln.

1114Piſtol,Zum zeitgenössischen Sprachgebrauch gehörte sowohl die feminine Form ›Pistole‹ wie auch das Neutrum ›Pistol‹. Letzteres ist aus der franz. Form ›pistolet‹ abgeleitet. Vgl. [DWB: ›Pistol‹, 2]. Kleist nutzt in der ›Marquise‹ beide Formen (siehe Zeile 1726).

1118Herr meines Lebens!Formulierung aus dem Buch Jesu Syrach, Cap. 23,4: ›HERR Gott Vater vnd HERR meins Lebens‹. Da Kleist nur den zweiten Teil des Anrufs nutzt, ist dieser auch auf den Vater zu beziehen, zumal dieser gerade auf das Leben der Tochter zielte.

1122matt›matt bis in den Tod‹: Formulierung aus Schillers ›Räubern‹: ›Ich wollt euch bitten mir eine Handvoll Wassers aus diesem Strome zu holen, aber ihr seid alle matt bis in den Tod.‹ Kleist benutzte die Formulierung auch schon in seiner ›Penthesilea‹. Vgl. V 424 im Phöbus-Fragment.

1140ſelbſt bekannt gemacht,Die Formulierung ›mit sich selbst bekannt gemacht‹ findet sich schon in Kants Schrift ›Kurzer Abriss der physischen Geographie‹. Vgl. z. B. ›Sammlung einiger bisher unbekannt bebliebenen kleinen Schriften‹ [Nicolovius, Königsberg, 1807].

1145ihre liebe Beute,Anspielung auf den gerade errungenen ›Sieg‹ gegen Vater und Bruder.

1179 Thuͤrſteher In der Phöbus-Fassung durchgängig ›Portier‹ genannt. Der ›Thürsteher‹ ist ›eine Person, welche an der Thür stehet, selbige zu bewachen, eine Art Thürhüter‹. Vgl. [Adelung: ›Thuͤrsteher‹]

1209IntelligenzblaͤtterIm 18. und frühen 19. Jahrhundert die Bezeichnung für meist wöchentlich erscheinende Annoncenblätter. Primäres Ziel dieser Blätter war, den einlaufenden Angeboten und Nachfragen ein möglichst großes Publikum zu verschaffen. Ausführlicher hierzu: [Meyers: ›Intelligenzblätter‹], auch [Wikipedia].

1276RampeSchräge Fläche vor dem Haustor zur besseren Auffahrt, Begriff stammt ursprünglich aus dem Festungsbau. Vgl. [DWB: ›Rampe‹, 1].

1347in der uͤbelſten Laune von der Welt,Um 1800 offensichtlich eine stehende Redewendung, da in damaligen Texten öfter gleichlautend zu finden. Z. B.: [Schultes: Reise auf den Glockner. Wien: Degen, 1804. S. 21], [Ernst Wagner: Die reisenden Maler. Leipzig: Göschen, 1806. S. 130], [Johann Friedrich Jünger: Lustspiele. Leipzig: Dyck, 1786. S. 110] u. a.

1348oͤffentlichen TafelMeist ein eher höfisches Zeremoniell, hier wohl in der Bedeutung eines in besseren Wirtshaͤusern stattfindenden Table d'hôte, an denen die ›oft sehr gute Gesellschaft‹ zusammen kam. Vgl. entsprechenden Bericht aus der Schweiz [Carl G. Küttner: Briefe eines Sachsen aus der Schweiz an seinen Freund in Leipzig. Leipzig: Dyck, 1785.].

1462CherubHöchster Engel, hier in der Bedeutung eines ›Geschöpf höchster Vollkommenheit‹. Vgl. [GWB: ›Cherub‹, b]

1469Fabel,Hier als unwahre erfundene Geschichte zu verstehen. Vgl. [DWB: ›Fabel‹, 2]

1470aufbuͤrdenAusgehend vom folgenden Satz des Vaters steht ›aufbuͤrden‹ hier in der Bedeutung von ›zu Unrecht anlasten‹, ›beschuldigen‹. Vgl. [GWB: ›aufbürden‹, b] [Adelung: ›aufbürden‹, 2].

1480 Einem, Glauben, In der Phöbus-Fassung fehlte noch ein Komma hinter ›Einem‹. Hier wird durch das eingefügte Komma die Bedeutung von ›Einem‹ verstärkt. Für die Mutter kann nur Eines stimmen, nämlich die behauptete Unchuld der Tochter und nicht die vom Vater behauptete Niederträchtigkeit der Tochter.

1495gefaͤlligſtVgl. Anmerkung zu Z. 579

1503dreiſtIn der positiven Bedeutung von kühn, zuversichtlich, beherzt. Vgl. [DWB: ›dreist‹, 1]

1515abgefeimteſteVon abfeimen, abfäumen (vom Schaum befreien, abschäumen, Abschaum). Abgeklärt, durchtrieben, gerissen. Vgl. [GWB: ›abfeimen‹], [DWB: ›abfeimen‹].

1520GemeinſchaftUmgang aller Art. Vgl. [DWB: ›Gemeinschaft‹, 3d]

1608entbloͤßtVon allen Forderungen ... entblößt: ohne alle (materiellen) Mittel. Vgl. [GWB: ›entblößen‹, 2a].

1614Jaͤger,Siehe Anmerkung Z. 774.

1615verſchrieb,Sich verschreiben: sich schriftlich verpflichten, per schriftlichem Vertrag anstellen. Vgl. [DWB: ›verschreiben‹, 7].

1644verderbteVerdorben im moralischen Sinne. Vgl. [DWB: ›verderben‹, ›Verderbtheit‹].

1656beſchwoͤreHeftig, inständig um etwas bitten, jemanden zu etwas ›zu bewegen suchen‹. Vgl. [Adelung: ›beschwören‹, 2c], [GWB: ›beschwören‹, 1]

1659verehrenJmd. achten. Vgl. [DWB: ›verehren‹, 1]

1666UnſtraͤflichkeitUntadeligkeit. Moralisch nicht zu verurteilendes Verhalten, frei sein von Schuld. Vgl. [DWB: ›unsträflich‹, 3]

1684AffectEin ›hoher Grad einer Gemüthsbewegung und dessen Ausbruch‹. Vgl. [Adelung: ›Affect‹].

1705ſchluͤpfte ab.Entschlüpfen, sich lautlos entfernen. Vgl. [DWB, ›abschlüpfen‹]

1707ſolch ein Thomas!Spielt an auf den Apostel Thomas, der als Einziger der zwölf Apostel zunächst nicht an die Wiederauferstehung Jesu glauben will. Vgl. Lukas 20, 24ff ›24 THomas aber der Zwelffen einer / der da heisset Zwilling / war nicht bey jnen / das Jhesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu jm / Wir haben den HErrn gesehen. Er aber sprach zu jnen / Es sey denn / das ich in seinen Henden sehe die Negelmal / vnd lege meinen Finger in die Negelmal / vnd lege meine Hand in seine Seiten / wil ichs nicht gleuben. 26 VND vber acht tage / waren aber mal seine Jünger drinnen / vnd Thomas mit jnen. Kompt Jhesus / da die thür verschlossen waren / vnd trit mitten ein / vnd spricht / Friede sey mit euch. 27 Darnach spricht er zu Thoma / Reiche deinen Finger her / vnd sihe meine Hende / vnd reiche deine Hand her / vnd lege sie in meine Seiten / vnd sey nicht vngleubig / sondern gleubig. 28 Thomas antwortet / vnd sprach zu jm / Mein HErr vnd mein Gott. 29 Spricht Jhesus zu jm / Dieweil du mich gesehen hast Thoma / so gleubestu / Selig sind / die nicht sehen / vnd doch gleuben.‹

1709Seigerſtunde›Seiger‹: Uhr. Ein ›nachdrücklicher Ausdruck für Stunde‹. Vgl. [Adelung: ›Seigerstunde‹], [DWB: ›Seiger‹, 3]

1726beſchwoͤreVgl. Anmerkung Z. 1656.

1734heranſchluchzen:Kleistscher Neologismus.

1750abbitten,Um Vergebung bitten, sich entschuldigen. Vgl. [Adelung: ›abbitten‹]

1751 hartnaͤkig! ›Fertigkeit besitzend, seine Meinungen und Entschließungen auch bey Entdeckung ihrer Unrichtigkeit oder Schädlichkeit beyzubehalten‹. Halsstarrig, eigensinnig. Vgl. [Adelung: ›hartnaͤckig‹]

1754vortrefflicher,›vollkommen in bestimmter lebensstellung, beruf, kunst u. s. w.‹. Vgl. [DWB: ›vortrefflich‹, 1b]

1774convulſiviſchVgl. Anmerkung Z. 897.

1776Anforderungen›Anforderungen an einen haben, das Recht haben, etwas von jemanden fordern zu können.‹ Vgl. [Adelung: ›Anforderung‹]

1796Sie vernahm, da ſie mit ſanft an die Thuͤr gelegtem Ohr horchte,Kleists Vorlage für das Geschehen zwischen Vater und Tochter ist eine entsprechende Szene aus Rousseaus ›Julie ou la Nouvelle Héloïse‹ (Première partie, Lettre LXIII de Julie à Claire, eine erste zeitgenössische deutsche Übertragung ist 1761 in Leipzig erschienen).
Die Szene lautet im französischen Original: Après le souper, l’air se trouva si froid que ma mère fit faire du feu dans sa chambre. Elle s’assit à l’un des coins de la cheminée, et mon père à l’autre ; j’allais prendre une chaise pour me placer entre eux, quand, m’arrêtant par ma robe, et me tirant à lui sans rien dire, il m’assit sur ses genoux. Tout cela se fit si promptement, et par une sorte de mouvement si involontaire, qu’il en eut une espèce de repentir le moment d’après. Cependant, j’étais sur ses genoux, il ne pouvait plus s’en dédire ; et, ce qu’il y avait de pis pour la contenance, il fallait me tenir embrassée dans cette gênante attitude. Tout cela se faisait en silence : mais je sentais de temps en temps ses bras se presser contre mes flancs avec un soupir assez mal étouffé. Je ne sais quelle mauvaise honte empêchait ces bras paternels de se livrer à ces douces étreintes. Une certaine gravité qu’on n’osait quitter, une certaine confusion qu’on n’osait vaincre, mettaient entre un père et sa fille ce charmant embarras que la pudeur et l’amour donnent aux amants; tandis qu’une tendre mère, transportée d’aise, dévorait en secret un si doux spectacle. Je voyais, je sentais tout cela, mon ange, et ne pus tenir plus longtemps à l’attendrissement qui me gagnait. Je feignis de glisser ; je jetai, pour me retenir, un bras au cou de mon père ; je penchai mon visage sur son visage vénérable, et dans un instant il fut couvert de mes baisers et inondé de mes larmes ; je sentis à celles qui lui coulaient des yeux qu’il était lui-même soulagé d’une grande peine : ma mère vint partager nos transports. Douce et paisible innocence, tu manquas seule à mon cœur pour faire de cette scène de la nature le plus délicieux moment de ma vie !
Zeitgenössisch ist diese Szene wie folgt übersetzt: ›Nach dem Essen war es so kalt, daß meine Mutter das Zimmer heizen ließ. Sie setzte sich an die eine Ecke des Kamins, und mein Vater an die andre. Ich holte einen Stul, um mich in die Mitte zu setzen, als er mich beym Rocke hielt, mich, ohne etwas zu sagen, zu sich zog, und auf seinen Schooß nahm. Alles dieses geschah so geschwind, und mit einer so unfreywilligen Bewegung, daß es ihn einen Augenblick danach gereute. Unterdessen war ich einmal auf seinem Schooße, er konnte mich nicht wieder loslassen, und was für die Stellung am schlimmsten war, er mußte mich in dieser engen Positur umarmt halten. Alles dieses geschah stillschweigend; allein von Zeit zu Zeit fühlte ich, daß er mit einem übel erstickten Seufzer seine Arme an meine Seiten drückte. Ich weis nicht, welche niedrige Schamhaftigkeit diese väterlichen Arme verhinderte, sich diesem süssen Drucke zu überlassen; ein gewisser Ernst, den man nicht ablegen durfte; eine gewisse Verwirrung, die man sich nicht zu überwinden getraute, erweckten zwischen Vater und Tochter diese reizende Verlegenheit, die bey Liebenden aus Scham und Neigung entsteht; indeß daß eine zärtliche Mutter, vor Freuden entzückt, auf ein so angenehmes Schauspiel voll geheimer Freude ihre Augen heftete. Das alles, mein Engel, sah und fühlte ich, und konnte der zärtlichen Regung, die mich einnahm, nicht länger widerstehen. Ich stellte mich, als wollte ich fallen; um mich zu erhalten, warf ich den einen Arm um meines Vaters Hals, neigte zu seinem ehrwürdigen Gesichte das meinige, und in einem Augenblicke ward es mit meinen Küssen erfüllt, und mit meinen Thränen überschwemmt. Aus denen, die ihm von den Augen rollten, sah ich, daß er selbst von einer großen Last erleichtert war; und meine Mutter nahm an unserm Entzücken Theil. Süsse und ruhige Unschuld, du allein fehltest meinem Herzen, um diesen Auftritt der Natur zum vergnügtesten Augenblicke meines Lebens zu machen.‹ [S. 335f]

1802zugegeben›gewähren, gestatten, dulden‹. Vgl. [DWB: ›zugeben‹, 4]

1837gefuͤrchtete dritte. Die Assoziierung des ›Dritten‹ mit ›gefuͤrchtet‹ bzw. ›fuͤrchterlich‹ erscheint dreimal im Text (vgl. noch Z. 1880 u. Z. 2071). Neben der Furcht der Familie vor der ›Offenbarung‹ als engerer Bedeutung spielt Kleist möglicherweise auch mit der biblisch tradierten Bedeutung des ›gefürchteten Dritten‹ bei der Ankunft der Israeliten am Berg Sinai: ›denn am dritten Tage wird der HERR vor allem Volk herabfahren auf den Berg Sinai‹. Dieses ›Herabfahren‹ wird in der Folge durchaus furchterregend inszeniert: ›15 Vnd er [Moses] sprach zu jnen / Seid bereit auff den dritten tag / vnd keiner nahe sich zum Weibe. 16 ALS nu der dritte tag kam / vnd morgen war / Da hub sich ein donnern vnd blitzen / vnd ein dicke wolcken auff dem Berge / vnd ein dohn einer seer starcken Posaunen / Das gantz Volck aber das im Lager war / erschrack. 17 Vnd Mose füret das Volck aus dem Lager / Gott entgegen / Vnd sie traten vnten an den Berg. 18 Der gantz berg aber Sinai rauchet / darumb das der HERR erab auff den Berge fure mit fewr / Vnd sein Rauch gieng auff / wie ein rauch vom ofen / das der gantze Berg seer bebete / 19 Vnd der Posaunen dohn ward jmer stercker.‹ [2. Mose 19, 11ff]. Insbesondere die die Erzählung konterkarierende Formulierung ›vnd keiner nahe sich zum Weibe‹ unterstützt die Vermutung, daß Kleist mit dieser Bibelstelle spielt.

1912Wetterſtrahl,Blitz. Vgl. [DWB: ›Wetterstrahl‹, 1]

1919wen ſonſt, wir Sinnberaubten, als ihn — ?Die Mutter beginnt offensichtlich schon unmittelbar nach Eintreten des Grafen den Hergang der Schwängerung ihrer Tochter zu rekonstruieren: von ›wie erſtickt von Gedanken‹ [Z. 1905f] über ›ich bitte dich, Julietta! ... wen erwarten wir denn‹ [Z. 1908f] und ›Wen ſonſt ... wir Sinnberaubten, als ihn‹ [Z. 1919f] bis zu ›fluͤſterte ihr etwas in das Ohr‹ [Z. 1924]. Erst auf diese letzte nicht berichtete Mitteilung der Mutter über den vermuteten Hergang der Vergewaltigung bricht die Marquise zur Verwunderung jener zusammen.

1922 Thoͤrin, Eine Person, die ›dem gesunden verstande zuwider, unbesonnen handelt, im gegensatze zum weisen, klugen, verständigen‹. Vgl. [DWB: ›Thor‹, 2]

1937Alles vergeben und vergeſſen.Sprichwort: ›Es ist vergeben und vergessen‹. Vgl. [Wander: ›vergeben‹, 21]

1943LaſterhaftenSittlich Verdorbener. Vgl. [GWB: ›lasterhaft‹]

1951Furie›wütendes weib. von furere, wüten, rasen, toben‹. Vgl. [DWB: ›Furie‹, 1]

1955Weihwaſſer,Im katholischen Ritual werden dem Weihwasser exorzistische Wirkungen zugesprochen: ›der teufel flieht davor‹. Gläubige durften Weihwasser für den privaten Brauch ›mit nach haus nehmen‹. Der Marquise erscheint der Graf offensichtlich als Inkarnation des Teufels. Hierzu auch der Schluss der Erzählung. Vgl. [DWB: ›Weihwasser‹, 1c 2]

1980AuguſtinerkircheDer Heilige Augustinus ist als lateinischer Kirchenlehrer der Spätantike Namenspatron für eine Vielzahl an Kirchen und Klöstern. In seinen ›Confessiones‹ berichtet Augustinus von in seiner Jugend ›begangne[n] Schandthaten‹ und der ›fleischlichen Verderbniß‹ [S. 31] seiner Seele. Erst von hier aus findet er im Alter von 33 Jahren seinen Weg zu Gott. Durch die Vermählung in einer ›Auguſtinerkirche‹ platziert Kleist den Grafen in diesen Kontext der Läuterung. Vgl. [Aurelius Augustinus: Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen uͤbersetzt von Adolf Gröninger. Muünster : Theissing, 1798]. Siehe auch Wikipedia: ›Augustinus von Hippo‹.

1983verfuͤgen,Siehe Anmerkung Z. 752

1988durchaus›gänzlich, ganz und gar, völlig, schlechterdings, ohne widerrede, in allen stücken, in jeder hinsicht‹. Vgl. [DWB: ›durchaus‹, 1]

1991gehaͤſſiger›Haß habend, bey sich empfindend, für das veraltete hässig. Einem gehässig seyn, ihn hassen.‹ Vgl. [Adelung: ›gehässig‹, 1]

2002 gehoͤriger ſchriftlicher Ruͤckſprache Vgl. Anmerkung Z. 638

2045TeppichenZierdecke. Vgl. [DWB: ›Teppich‹]

2056 ward er, auf Veranſtaltung der Frau von G..., oͤfter eingeladen; ›Veranstaltung‹: ›sorgfältiges herrichten als handlung‹. Vgl. [DWB: ›Veranstaltung‹, 1]. Die Formulierung ›auf Veranstaltung der Frau von G...‹ fehlte noch in der Phöbus-Fassung. Mit dieser Ergänzung wird der Eindruck zurückgedrängt, dass die Marquise sich erst aufgrund der materiellen Ausstattung durch den Grafen für diesen (wieder) zu interessieren beginnt.

2061um der gebrechlichen Einrichtung der Welt willen,›um—willen‹: Nach DWB als Präposition in der Bedeutung von ›zu liebe‹ oder abgeschwächt ›aus gefälligkeit‹. Vgl. [DWB: ›willen‹, III A 1]. Das Verzeihen durch die Familie ist also nach dem Gefühl des Grafen darin begründet, die ›gebrechliche Einrichtung der Welt‹ nicht noch zusätzlich zu gefährden. Zur Deutung des Begriffs ›gebrechlich‹ im Sinne von ›mangelhaft überhaupt, unzureichend, unvollkommen‹ findet sich im DWB Kleists Formulierung ›um der gebrechlichen einrichtung der welt willen‹ als Beleg. Vgl. [DWB: ›gebrechlich‹, 2d].
Der Topos ›Einrichtung der Welt‹ ist um 1800 eine feste Formel in Theologie und Philosophie. Unter vielen anderen beschäftigt sich auch Josias Friedrich Christian Löffler, Superintendent in Gotha, in seinen 1801 erschienenen ›Neue[n] Predigten‹ mit dieser ›Einrichtung der Welt‹. Kleist erwähnt besagten Löffler schon in seinem ersten überlieferten Brief an Auguste von Massow anläßlich seines Besuchs bei ihm in Gotha. Ganz im Geist der Aufklärung schreibt Löffler von der ›auf Zweck und Mittel berechnete[n] Einrichtung der Welt‹: ›Daß aber die Welt, daß die einzelnen Geschöpfe so eingerichtet sind, daß wir annehmen müssen,daß ein Verstand diese Einrichtung gedacht und gewollt habe — es waͤre eine lächerliche Thorheit, dieses erst erweisen zu wollen. — Zwar bin ich nicht im Stande, die Art und Weise zu erklären, wie jenes Wesen die Körper der Welt hervorgebracht, und wie es ihnen diese Form, diese Kräfte, diese Bewegung, diese Gesetze gegeben hat — die Schöpfung wage ich nicht zu beschreiben — — Aber das weiß ich, daß eine verständige, auf Zweck und Mittel berechnete Einrichtung der Welt da ist, und daß ich mich vor dem Verstande beugen muß, der diese Einrichtung dachte und wollte.‹ [Josias Friedrich Christian Löffler: Neue Predigten. Erste Sammlung. Jena: F. Frommann, 1801. S. 7]. Diese verständige, auf Zweck und Mittel berechnete Einrichtung der Welt ist für den Erzähler Kleist längst ›gebrechlich‹ geworden.

2062Bewerbung›bemühung um eine frau, liebeswerben, brautwerbung‹. Vgl. [DWB: ›Werbung‹, 2bα], [DWB: ›werben‹, II B 1]

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