Die Marquise von O....
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Die Marquiſe von O..../
In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen /Italien, ließ die verwittwete Marquiſe von /O...., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und /Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, /durch die Zeitungen bekannt machen: daß ſie, /ohne ihr Wiſſen, in andre Umſtaͤnde gekommen / ſey, sey; daß der Vater zu dem Kinde, das ſie ge/baͤhren wuͤrde, ſich melden ſolle; und daß ſie, /aus Familien-Ruͤckſichten, entſchloſſen waͤre, / 10 ihn zu heirathen. Die Dame, die einen ſo ſon/derbaren, den Spott der Welt reizenden Schritt, /beim Drang unabaͤnderlicher Umſtaͤnde, mit / ſolcher dieser Sicherheit that, war die Tochter des /Herrn von G...., Commendanten der Citadelle /bei M.... M. Sie hatte, vor ungefaͤhr ohngefähr drei Jah/ren, ihren Gemahl, den Marquis von O...., /dem ſie auf das Innigſte und Zaͤrtlichſte zugethan /217war, auf einer Reiſe verloren, die er, in Ge/ſchaͤften der Familie, nach Paris gemacht hatte. / 20 Auf Frau von G....s, ihrer wuͤrdigen Mutter, /Wunſch, hatte ſie, nach ſeinem Tode, den Land/ſitz verlaſſen, den ſie bisher bei V.... bewohnt /hatte, und war, mit ihren beiden Kindern, in /das Commendantenhaus, zu ihrem Vater, zuruͤck/gekehrt. Hier hatte ſie die naͤchſten Jahre Jahre, mit /Kunſt, Lectuͤre, mit Erziehung, und ihrer El/tern Pflege beſchaͤftigt, in der groͤßten Eingezo/genheit zugebracht: bis der .... Krieg ploͤtzlich /die Gegend umher mit den Truppen faſt aller / 30 Maͤchte Mächte, und auch mit ruſſiſchen russischen, erfuͤllte. Der /Obriſt von G...., welcher den Platz zu verthei/digen Ordre hatte, forderte ſeine Gemahlinn und /ſeine Tochter auf, ſich auf das Landgut, entwe/der der letzteren, Letzteren, oder ſeines Sohnes, das bei /V.... lag, zuruͤckzuziehen. Doch ehe ſich die /Abſchaͤtzung noch, hier der Bedraͤngniſſe, denen /man in der Feſtung, dort der Graͤuel, denen /man auf dem platten Lande ausgeſetzt ſeyn sein /konnte, auf der Waage der weiblichen Ueberle/ 40 gung entſchieden hatte: war die Citadelle von /218den ruſſiſchen Truppen ſchon berennt, und auf/gefordert, ſich zu ergeben. Der Obriſt erklaͤrte /gegen ſeine Familie, daß er ſich nunmehr ver/halten wuͤrde, als ob ſie nicht vorhanden waͤre; /und antwortete mit Kugeln und Granaten. Der /Feind, ſeinerſeits, bombardirte die Citadelle. /Er ſteckte die Magazine in Brand, eroberte ein /Außenwerk, und als der Commendant, nach /einer nochmaligen Aufforderung, mit noch mit der Ueber/ 50 gabe zauderte, ſo ordnete er einen naͤchtlichen /Ueberfall an, und eroberte die Feſtung mit /Sturm./
Eben als die ruſſiſchen Truppen, unter einem /heftigen Haubitzenſpiel, von außen eindrangen, / fing fieng der linke Fluͤgel des Commendanten-Hauſes Commendantenhauses /Feuer und noͤthigte die Frauen, ihn zu verlaſſen. /Die Obriſtin, Obristinn, indem ſie der Tochter, die mit /den Kindern die Treppe hinabfloh, nacheilte, rief, /daß man zuſammenbleiben, und ſich in die un/ 60 teren untern Gewoͤlbe fluͤchten moͤchte; doch eine Gra/nate, die, eben in dieſem Augenblicke, in dem /Hauſe zerplatzte, vollendete die gaͤnzliche Ver/wirrung in demſelben. derselben. Die Marquiſe kam, mit /219ihren beiden Kindern, auf den Vorplatz des /Schloſſes, wo die Schuͤſſe ſchon, im heftigſten /Kampf, durch die Nacht blitzten, und ſie, be/ſinnungslos, wohin ſie ſich wenden ſolle, wieder /in das brennende Gebaͤude zuruͤckjagten. Hier, /ungluͤcklicher Weiſe, begegnete ihr, da ſie eben / 70 durch die eine Hinterthuͤr entſchluͤpfen wollte, ein /Trupp feindlicher Scharfſchuͤtzen, der, bei ihrem /Anblick, ploͤtzlich ſtill ward, die Gewehre uͤber /die Schultern hing, hieng, und ſie, unter abſcheulichen /Gebaͤhrden, mit ſich fortfuͤhrte. Vergebens rief /die Marquiſe, von der entſetzlichen, ſich unter /einander ſelbſt bekaͤmpfenden, Rotte bald hier, /bald dorthin gezerrt, ihre zitternden, durch die /Pforte zuruͤckfliehenden Frauen, zu Huͤlfe. Man /ſchleppte ſie in den hinteren Schloßhof, wo ſie / 80 eben, unter den ſchaͤndlichſten Mißhandlungen, /zu Boden ſinken wollte, als, von dem Zeterge/ſchrei der Dame herbeigerufen, ein ruſſiſcher /Officier erſchien, und die Hunde, die nach ſol/chem Raub luͤſtern waren, mit wuͤthenden Hie/ben zerſtreute. Der Marquiſe ſchien er ein En/gel des Himmels zu ſeyn. sein. Er ſtieß noch dem /220letzten viehiſchen Mordknecht, der ihren ſchlan/ken Leib umfaßt hielt, mit dem Griff des De/gens ins Geſicht, daß er, mit aus dem Mund / 90 vorquellendem Blut, zuruͤcktaumelte; bot dann bot /der Dame, unter einer verbindlichen, franzoͤſiſchen /Anrede den Arm, Arm; und fuͤhrte ſie, die von allen /ſolchen Auftritten ſprachlos war, in den anderen, /von der Flamme noch nicht ergriffenen, Fluͤgel /des Pallaſtes, wo ſie auch voͤllig bewußtlos nie/derſank. Hier — traf er, da bald darauf ihre /erſchrockenen Frauen erſchienen, Anſtalten, einen /Arzt zu rufen; verſicherte, indem er ſich den /Hut aufſetzte, daß ſie ſich bald erholen wuͤrde; / 100 und kehrte in den Kampf zuruͤck./
Der Platz war in kurzer Zeit voͤllig erobert, /und der Commendant, der ſich nur noch wehrte, /weil man ihm keinen Pardon geben wollte, zog /ſich eben mit ſinkenden Kraͤften nach dem Portal /des Hauſes zuruͤck, als der ruſſiſche Officier, /ſehr erhitzt im Geſicht, aus demſelben hervor/trat, und ihm zurief, ſich zu ergeben. Der /Commendant antwortete, daß er auf dieſe Auf/forderung nur gewartet habe, reichte ihm ſeinen / 110 221Degen dar, und bat ſich die Erlaubniß aus, /ſich ins Schloß begeben, begeben und nach ſeiner Familie /umſehen zu duͤrfen. Der ruſſiſche Officier, der, /nach der Rolle zu urtheilen, die er ſpielte, /Einer der Anfuͤhrer des Sturms zu ſeyn sein /ſchien, gab ihm, unter Begleitung einer Wache, /dieſe Freiheit; ſetzte ſich, mit einiger Eilfer/tigkeit, an die Spitze eines Detaſchements, /entſchied, wo er noch zweifelhaft zweifelhaft zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] ſeyn sein moch/te, den Kampf, und bemannte ſchleunigſt die / 120 feſten Punkte Puncte des Forts. Bald darauf kehrte /er auf den Waffenplatz zuruͤck, gab Befehl, der /Flamme, welche wuͤthend um ſich zu greifen an/fing, anfieng, Einhalt zu thun, und leiſtete ſelbſt hierbei /Wunder der Anſtrengung, als man ſeine Be/fehle nicht mit dem gehoͤrigen Eifer befolgte. /Bald kletterte er, den Schlauch in der Hand, /mitten unter brennenden Giebeln umher, und /regierte den Waſſerſtrahl; bald ſteckte er, die /Naturen der Asiaten mit Schaudern erfuͤllend, / 130 in den Arſenaͤlen, und waͤlzte Pulverfaͤſſer und /gefuͤllte Bomben heraus. Der Kommandant, Commendant, /der inzwiſchen in das Haus getreten war, ge/222rieth auf die Nachricht von dem Unfall, der die /Marquiſe betroffen hatte, in die aͤußerſte Beſtuͤr/zung. Die Marquiſe, die ſich ſchon voͤllig, ohne /Beihuͤlfe des Arztes, wie der ruſſiſche Officier /vorher geſagt hatte, aus ihrer Ohnmacht wieder /erholt hatte, und bei der Freude, alle die Ihri/gen geſund und wohl zu ſehen, nur noch, um die die / 140 uͤbermaͤßige Sorge derſelben zu beſchwichtigen, /das Bett huͤtete, verſicherte ihn, daß ſie keinen /andern Wunſch habe, als aufſtehen zu duͤrfen, /um ihrem Retter ihre Dankbarkeit zu bezeugen. /Sie wußte ſchon, daß er der Graf F..., Obriſt/lieutenant vom t...n Jaͤgerkorps, Jägercorps, und Ritter /eines Verdienſt- und mehrerer anderen Orden /war. Sie bat ihren Vater, ihn inſtaͤndigſt zu /erſuchen, daß er die Citadelle nicht verlaſſe, ohne /ſich einen Augenblick im Schloß gezeigt zu ha/ 150 ben. Der Commendant, der das Gefuͤhl ſei/ner Tochter ehrte, kehrte auch ungeſaͤumt in das /Fort zuruͤck, und trug ihm, da er unter unauf/hoͤrlichen Kriegsanordnungen umherſchweifte, /und keine beſſere Gelegenheit zu finden war, auf /den Waͤllen, wo er eben die zerſchoſſenen Rot/223ten revidirte, den Wunſch ſeiner geruͤhrten Toch/ter vor. Der Graf verſicherte ihn, daß er nur /auf den Augenblick warte, den er ſeinen Geſchaͤf/ten wuͤrde abmuͤßigen koͤnnen, um ihr ſeine Ehr/ 160 erbietigkeit zu bezeugen. Er wollte noch hoͤren, /wie ſich die Frau Marquiſe befinde? als ihn die /Rapporte mehrer mehrerer mehrerer [emendiert] Officiere ſchon wieder in das /Gewuͤhl des Krieges zuruͤckriſſen. Als der Tag /anbrach, erſchien der Befehlshaber der ruſſiſchen /Truppen, und beſichtigte das Fort. Er bezeugte /dem Kommandanten Commendanten ſeine Hochachtung, be/dauerte, daß das Gluͤck ſeinen Muth nicht beſſer /unterſtuͤtzt habe, und gab ihm, auf ſein Ehren/wort, die Freiheit, ſich hinzubegeben, wohin er / 170 wolle. Der Kommandant Commendant verſicherte ihn ſeiner /Dankbarkeit, und aͤußerte, wie viel er, an dieſem diesem /Tage, den Ruſſen uͤberhaupt, und beſonders dem /jungen Grafen F..., Obriſtlieutenant vom /t...n Jaͤgerkorps, Jägercorps, ſchuldig geworden ſey. sei. Der /General fragte, was vorgefallen ſey; sei; und als /man ihn von dem frevelhaften Anſchlag auf die /Tochter desſelben unterrichtete, zeigte er ſich auf /das Aeußerſte entruͤſtet. Er rief den Grafen /224F... bei Namen vor. Nachdem er ihm zuvoͤr/ 180 derſt wegen ſeines eignen edelmuͤthigen Verhal/tens eine kurze Lobrede gehalten hatte: wobei /der Graf uͤber das ganze Geſicht roth ward; /ſchloß er, daß er die Schandkerle, die den Na/men des Kaiſers brandmarkten, niederſchießen /laſſen wolle; und befahl ihm, zu ſagen, wer ſie /ſeien? Der Graf F... antwortete, in einer ver/wirrten Rede, daß er nicht im Stande ſey, sei, ihre /Namen anzugeben, indem es ihm, bei dem /ſchwachen Schimmer der Reverberen im Schloß/ 190 hof, unmoͤglich geweſen waͤre, ihre Geſichter zu /erkennen. Der General, welcher gehoͤrt hatte, /daß damals ſchon das Schloß in Flammen ſtand, /wunderte ſich daruͤber; er bemerkte, wie man / wohl bekannte wohlbekannte Leute in der Nacht an ihren Stim/men erkennen koͤnnte; und gab ihm, da er mit /einem verlegenen Geſicht die Achſeln zuckte, auf, /der Sache auf das allereifrigſte Allereifrigste und ſtrengſte Strengste /nachzuſpuͤren. In dieſem Augenblick berichtete /jemand, der ſich aus dem hintern Kreiſe hervor/ 200 draͤngte, daß Einer von den, durch den Grafen /F... verwundeten, Frevlern, da er in dem /225Corridor niedergeſunken, von den Leuten des /Commendanten in ein Behaͤltniß geſchleppt wor/den, und darin noch befindlich ſey. sei. Der Gene/ral ließ dieſen hierauf durch eine Wache herbei/fuͤhren, ein kurzes Verhoͤr uͤber ihn halten; /und die ganze Rotte, nachdem jener er ſie genannt /hatte, fuͤnf an der Zahl zuſammen, erſchießen. /Dies abgemacht, gab der General, nach Zuruͤck/ 210 laſſung einer kleinen kleinen Beſatzung, Befehl zum all/gemeinen Aufbruch der uͤbrigen Truppen; die /Officiere zerſtreuten ſich eiligſt zu ihren Corps; /der Graf trat, durch die Verwirrung der Aus/einander-Eilenden, zum Commendanten, Commandanten, und /bedauerte, daß er ſich der Frau Marquiſe, Marquise unter /dieſen Umſtaͤnden, Umständen gehorſamſt empfehlen muͤſſe: /und in weniger, als einer Stunde, war das /ganze Fort von Ruſſen wieder leer./
Die Familie dachte nun darauf, wie ſie sie, in / 220 der Zukunft Zukunft, eine Gelegenheit finden wuͤrde, dem /Grafen irgend eine Aeußerung ihrer Dankbarkeit /zu geben; doch wie groß war ihr Schrecken, als /ſie erfuhr, daß derſelbe noch am Tage ſeines Auf/bruchs aus dem Fort, in einem Gefecht mit den /226feindlichen Truppen, ſeinen Tod gefunden habe. /Der Courier, der dieſe Nachricht nach M... /brachte, hatte ihn mit eignen Augen, toͤdtlich /durch die Bruſt geſchoſſen, nach P.... tragen /ſehen, wo er, wie man ſichere Nachricht hatte, / 230 in dem Augenblick, Augenblick, Augenblick, [emendiert ohne Kommentarhinweis] da ihn die Traͤger von den /Schultern nehmen wollten, verblichen war. Der / Commendant, Commandant, der ſich ſelbſt auf das Poſthaus /verfuͤgte, und ſich nach den naͤheren Umſtaͤnden /dieſes Vorfalls erkundigte, erfuhr noch, daß er /auf dem Schlachtfeld, in dem Moment, da ihn /der Schuß traf, gerufen habe: hatte: „Julietta! Dieſe /Kugel raͤcht dich!” [Sentenz ohne An- und Abführungszeichen] und nachher ſeine Lippen auf /immer geſchloſſen haͤtte. hatte. Die Marquiſe war un/troͤſtlich, daß ſie die Gelegenheit hatte vorbeigehen / 240 laſſen, ſich zu ſeinen Fuͤßen zu werfen. Sie /machte ſich die lebhafteſten Vorwuͤrfe, daß ſie /ihn, bei ſeiner, vielleicht aus Beſcheidenheit, wie /ſie meinte, herruͤhrenden Weigerung, im Schloſſe /zu erſcheinen, nicht ſelbſt aufgeſucht habe; be/dauerte die Ungluͤckliche, ihre Namensſchweſter, /an die er noch im Tode gedacht hatte; bemuͤhte /ſich vergebens, ihren Aufenthalt zu erforſchen,/ 227um ſie von dieſem ungluͤcklichen und ruͤhrenden /Vorfall zu unterrichten; und mehrere Monden / 250 vergingen, vergiengen, ehe ſie ſelbſt ihn vergeſſen konnte./
Die Familie mußte nun das Commendanten/haus Commandantenhaus raͤumen, um dem ruſſiſchen Befehlshaber /darin Platz zu machen. Man uͤberlegte stritt anfangs, /ob man ſich nicht auf die Guͤter des Commen/danten begeben ſollte, wozu die Marquiſe einen /großen Hang hatte; doch da der Obriſt das Land/leben nicht liebte, ſo bezog die Familie ein Haus /in der Stadt, und richtete ſich dasſelbe zu einer /immerwaͤhrenden Wohnung ein. Alles kehrte / 260 nun in die alte Ordnung der Dinge zuruͤck. zurück: Die die /Marquiſe knuͤpfte den lange unterbrochenen Un/terricht ihrer Kinder wieder an, und ſuchte, fuͤr /die Feierſtunden, ihre Staffelei und Buͤcher her/vor: als ſie ſich, ſonſt die Goͤttin Göttinn der Geſund/heit ſelbſt, von wiederholten Unpaͤßlichkeiten be/fallen fuͤhlte, die ſie sie, ganze Wochen lang, fuͤr die /Geſellſchaft untauglich machten. Sie litt an /Uebelkeiten, Schwindeln und Ohnmachten, und /wußte nicht, was ſie aus dieſem ſonderbaren Zu/ 270 ſtand machen ſolle. Eines Morgens, da die /228Familie beim Thee ſaß, und der Vater ſich, auf /einen Augenblick, aus dem Zimmer entfernt hat/te, ſagte die Marquiſe, aus einer langen Ge/dankenloſigkeit erwachend, zu ihrer Mutter: /wenn mir eine Frau ſagte, daß ſie ein Gefuͤhl /haͤtte, eben ſo, wie ich jetzt, da ich die Taſſe er/griff, ſo wuͤrde ich bei mir denken, daß ſie in ge/ſegneten Leibesumſtaͤnden waͤre. Frau von G.... /ſagte, ſie verſtaͤnde ſie nicht. Die Marquiſe er/ 280 klaͤrte ſich noch einmal, daß ſie eben jetzt eine /Sensation gehabt haͤtte, wie damals, als ſie /mit ihrer zweiten Tochter ſchwanger war. Frau /von G.... ſagte, ſie wuͤrde vielleicht den Phan/taſus gebaͤhren, und lachte. Morpheus Der Traum wenig/ſtens, verſetzte die Marquiſe, oder einer der /Traͤume aus ſeinem Gefolge, [fehlt] wuͤrde ſein Vater / ſeyn; sein; und ſcherzte gleichfalls. Doch der Obriſt /kam, das Geſpraͤch ward abgebrochen, und der /ganze Gegenſtand, da die Marquiſe ſich in eini/ 290 gen Tagen wieder erholte, vergeſſen./
Bald darauf ward der Familie, eben zu einer /Zeit, da ſich auch der Forſtmeiſter von G...., /des Commendanten Sohn, in dem Hauſe ein/229gefunden hatte, der ſonderbare Schrecken, durch /einen Kammerdiener, der ins in‘s Zimmer trat, den /Grafen F... anmelden zu hoͤren. Der Graf /F...! ſagte der Vater und die Tochter zugleich; /und das Erſtaunen machte alle Alle ſprachlos. Der /Kammerdiener verſicherte, daß er recht geſehen / 300 und gehoͤrt habe, habe; und daß der Graf ſchon im /Vorzimmer ſtehe, und warte. Der Commen/dant ſprang ſogleich ſelbſt auf, ihm zu oͤffnen, /worauf er, ſchoͤn, wie ein junger Gott, ein /wenig bleich im Geſicht, eintrat. Nachdem die /Scene unbegreiflicher Verwunderung voruͤber /war, und der Graf, auf die Anſchuldigung der /Eltern, daß er ja todt ſey, sei, verſichert hatte, daß /er lebe; wandte er ſich, mit vieler Ruͤhrung im /Geſicht, zur Tochter, und ſeine erſte Frage war / 310 gleich, wie ſie ſich befinde? Die Marquiſe ver/ſicherte, ſehr wohl, und wollte nur wiſſen, wie /er ins in’s Leben erſtanden ſey? sei? Doch er, [nicht gesperrt] auf ſei/nem seinen Gegenſtand beharrend, erwiederte: daß ſie /ihm nicht die Wahrheit ſage; auf ihrem Antlitz /druͤcke ſich eine ſeltſame Mattigkeit aus; ihn /muͤſſe Alles truͤgen, oder ſie ſey sei unpaͤßlich, und /230leide. Die Marquiſe, durch die Herzlichkeit, /womit er dies vorbrachte, gut geſtimmt, ver/ſetzte: nun ja; ja, dieſe Mattigkeit, wenn er wolle, / 320 koͤnne fuͤr die Spur einer Kraͤnklichkeit gelten, /an welcher ſie vor einigen Wochen gelitten haͤtte; /ſie fuͤrchte inzwiſchen nicht, daß dieſe weiter von /Folgen ſeyn sein wuͤrde. Worauf er, mit einer auf/flammenden Freude, erwiederte: er auch nicht! /und hinzuſetzte, ob ſie ihn heirathen wolle? Die /Marquiſe wußte nicht, was ſie von dieſer Auf/fuͤhrung denken ſolle. Sie ſah, uͤber und uͤber /roth, ihre Mutter, und dieſe, mit Verlegen/heit, den Sohn und den Vater an; waͤhrend / 330 der Graf vor die Marquiſe trat, und indem er /ihre Hand nahm, als ob er ſie kuͤſſen wollte, wolle, /wiederholte: ob ſie ihn verſtanden haͤtte? Der /Commendant ſagte: ob er nicht Platz nehmen /wolle; und ſetzte ihm, auf eine verbindliche, ob/ſchon etwas ernſthafte, Art einen Stuhl hin. /Die Obriſtinn ſprach: in der That, wir werden /glauben, daß Sie ein Geiſt ſind, bis Sie uns /werden eroͤffnet haben, wie Sie aus dem Grabe, /in welches man Sie zu P... gelegt hatte, er/ 340 231ſtanden ſind. Der Graf ſetzte ſich, indem er /die Hand der Dame fahren ließ, nieder, und /ſagte, daß er, durch die Umſtaͤnde gezwungen, /ſich ſehr kurz faſſen muͤſſe; daß er, toͤdtlich durch /die Bruſt geſchoſſen, nach P... gebracht worden /waͤre; daß er mehrere Monate daſelbſt an ſeinem /Leben verzweifelt haͤtte; daß waͤhrend deſſen die /Frau Marquiſe ſein einziger Gedanke geweſen /waͤre; daß er die Luſt und den Schmerz nicht /beſchreiben koͤnnte, die ſich in dieſer Vorſtellung / 350 umarmt haͤtten; daß er endlich, nach ſeiner /Wiederherſtellung, wieder zur Armee gegangen /waͤre; daß er daſelbſt die lebhafteſte Unruhe em/pfunden haͤtte; daß er mehrere Male die Feder /ergriffen, um in einem Briefe, an den Herrn /Obriſten und die Frau Marquiſe, ſeinem Her/zen Luft zu machen; daß er ploͤtzlich mit Depe/ſchen nach Neapel geſchickt worden waͤre; daß /er nicht wiſſe, ob er nicht von dort weiter nach /Conſtantinopel werde abgeordert werden; daß er / 360 vielleicht gar nach St. Petersburg werde gehen / muͤſſen; daß ihm inzwiſchen unmoͤglich waͤre, /laͤnger zu leben, ohne uͤber eine nothwendige /232Forderung ſeiner Seele ins Reine zu ſeyn; sein; daß /er dem Drang bei ſeiner Durchreiſe durch M..., /einige Schritte zu dieſem Zweck zu thun, nicht /habe widerſtehen koͤnnen; kurz, daß er den /Wunſch hege, mit der Hand der Frau Mar/quiſe begluͤckt zu werden, und daß er auf das / ehrfurchtsvollſte, Ehrfurchtsvollste, inſtaͤndigſte Inständigste und dringendſte Dringendste / 370 bitte, ſich ihm hieruͤber guͤtig zu erklaͤren. — /Der Commendant, nach einer langen Pauſe, /erwiederte: daß ihm dieſer Antrag zwar, wenn /er, wie er nicht zweifle, ernſthaft gemeint ſey, sei, /ſehr ſchmeichelhaft waͤre. Bei dem Tode ihres /Gemahls, des Marquis von O..., haͤtte ſich /ſeine Tochter aber entſchloſſen, in keine zweite /Vermaͤhlung einzugehen. Da ihr jedoch kuͤrzlich /von ihm eine ſo große Verbindlichkeit auferlegt /worden ſey: sei: ſo waͤre es nicht unmoͤglich, daß / 380 ihr Entſchluß dadurch, ſeinen Wuͤnſchen gemaͤß, /eine Abaͤnderung erleide; er bitte ſich inzwiſchen /die Erlaubniß fuͤr ſie aus, daruͤber im Stillen /waͤhrend einiger Zeit nachdenken zu duͤrfen. Der /Graf verſicherte, daß dieſe guͤtige Erklaͤrung /zwar alle ſeine Hoffnungen befriedige; daß ſie /233ihn, unter anderen Umſtaͤnden, auch voͤllig /begluͤcken wuͤrde; daß er die ganze Unſchicklich/keit fuͤhle, ſich mit derſelben nicht zu beruhigen: /daß dringende Verhaͤltniſſe jedoch, uͤber welche / 390 er ſich naͤher auſzulaſſen nicht im Stande ſey, sei, /ihm eine beſtimmtere Erklaͤrung aͤußerſt wuͤn/ſchenswerth machten; daß die Pferde, die ihn /nach Neapel tragen ſollten, vor ſeinem Wagen /ſtuͤnden; und daß er inſtaͤndigſt bitte, wenn /irgend etwas in dieſem Hauſe guͤnſtig fuͤr ihn /ſpreche, — wobei er die Marquiſe anſah — /ihn nicht, ohne eine guͤtige Aeußerung daruͤber, /abreiſen zu laſſen. Der Obriſt, durch dieſe Auf/fuͤhrung ein wenig betreten, antwortete, daß / 400 die Dankbarkeit, die die Marquiſe fuͤr ihn em/pfaͤnde, ihn zwar zu großen Vorausſetzungen / berechtige: berechtige; doch nicht zu ſo großen; großen, ſie werde /bei einem Schritte, bei welchem es das Gluͤck /ihres Lebens gelte, nicht ohne ohne die gehoͤrige Klugheit /verfahren. Es waͤre unerlaßlich, daß ſeiner /Tochter, bevor ſie ſich erklaͤre, das Gluͤck ſeiner /naͤheren Bekanntſchaft wuͤrde. Er lade ihn ein, /nach Vollendung ſeiner Geſchaͤftsreiſe, nach /234M... zuruͤckzukehren, und auf einige Zeit der / 410 Gaſt ſeines Hauſes zu ſeyn. sein. Wenn alsdann die /Frau Marquiſe hoffen koͤnne, durch ihn gluͤck/lich zu werden, ſo werde auch er, eher aber nicht, so werde er, doch eher nicht, /mit Freuden vernehmen, daß ſie ihm eine be/ſtimmte Antwort gegeben habe. Der Graf /aͤußerte, indem ihm eine Roͤthe ins in’s Geſicht ſtieg, /daß er ſeinen ungeduldigen Wuͤnſchen, waͤhrend /ſeiner ganzen Reiſe, dies Schickſal vorausge/ſagt habe; daß er ſich inzwiſchen dadurch in die /aͤußerſte Bekuͤmmerniß geſtuͤrzt ſehe; daß ihm, / 420 bei der unguͤnſtigen Rolle, die er eben jetzt zu /ſpielen gezwungen ſey, sei, eine naͤhere Bekannt/ſchaft nicht anders anders, als vortheilhaft vortheilhaft, ſeyn sein koͤnne; /daß er fuͤr ſeinen Ruf, wenn anders dieſe zwei/deutigſte aller Eigenſchaften in Erwaͤgung gezo/gen werden ſolle, einſtehen zu duͤrfen glaube; /daß die einzige nichtswuͤrdige Handlung, die er /in ſeinem Leben begangen haͤtte, der Welt unbe/kannt, und er ſchon im Begriff ſey, sei, ſie wieder /gut zu machen; daß er, mit einem Wort, ein / 430 ehrlicher Mann ſey, sei, und die Verſicherung anzu/nehmen bitte, daß dieſe Verſicherung wahrhaftig /235 ſey. sei. — Der Commendant erwiederte, indem er /ein wenig, obſchon ohne Ironie, laͤchelte, daß /er alle dieſe Aeußerungen unterſchreibe. Noch /haͤtte er keines jungen Mannes Bekanntſchaft /gemacht, der, in ſo kurzer Zeit, ſo viele vor/treffliche Eigenſchaften des Characters entwickelt /haͤtte. Er glaube faſt, daß eine kurze Bedenk/zeit die Unſchluͤſſigkeit, die noch obwalte, heben / 440 wuͤrde; bevor er jedoch Ruͤckſprache genommen /haͤtte, mit ſeiner ſowohl, als des Herrn Grafen /Familie, koͤnne keine andere Erklaͤrung, als die /gegebene, erfolgen. Hierauf aͤußerte der Graf, /daß er ohne Eltern Eltern, und frei ſey. sei. Sein Onkel / ſey sei der General K..., fuͤr deſſen Einwilligung /er ſtehe. Er ſetzte hinzu, daß er Herr eines /anſehnlichen Vermoͤgens waͤre, und ſich wuͤrde /entſchließen koͤnnen, Italien zu ſeinem Vater/lande zu machen. — Der Commendant machte / 450 ihm eine verbindliche Verbeugung, erklaͤrte ſei/nen Willen noch einmal; und bat ihn, bis nach /vollendeter Reiſe, von dieſer Sache abzubrechen. /Der Graf, nach einer kurzen Pauſe, in welcher /er alle Merkmale der groͤßten Unruhe gegeben /236hatte, ſagte, indem er ſich zur Mutter wandte, /daß er ſein Aeußerſtes gethan haͤtte, um dieſer /Geſchaͤftsreiſe auszuweichen; daß die Schritte, /die er deshalb beim General en Chef, und dem /General K..., ſeinem Onkel, gewagt haͤtte, / 460 die entſcheidendſten Entscheidendsten geweſen waͤren, die ſich /haͤtten thun laſſen; daß man aber geglaubt /haͤtte, ihn dadurch aus einer Schwermuth auf/zuruͤtteln, die ihm von ſeiner Krankheit noch /zuruͤckgeblieben waͤre; und daß er ſich jetzt voͤllig /dadurch ins Elend geſtuͤrzt ſehe. — Die Familie /wußte nicht, was ſie zu dieſer Aeußerung ſagen /ſollte. Der Graf fuhr fort, indem er ſich die /Stirn rieb, daß wenn irgend Hoffnung waͤre, /dem Ziele ſeiner Wuͤnſche dadurch naͤher zu kom/ 470 men, er ſeine Reiſe Reise, auf einen Tag, auch wohl /noch etwas daruͤber, ausſetzen wuͤrde, um es zu /verſuchen. — Hierbei ſah er, nach der Reihe, /den Commendanten, die Marquiſe und die Mut/ter an. Der Commendant blickte mißvergnuͤgt /vor ſich nieder, und antwortete ihm nicht. Die /Obriſtinn ſagte: gehn Sie, gehn Sie, Herr /Graf; reiſen Sie nach Neapel; ſchenken Sie /237uns, wenn Sie wiederkehren, auf einige Zeit /das Gluͤck Ihrer Gegenwart; ſo wird ſich das / 480 Uebrige finden. — Der Graf ſaß einen Augen/blick, und ſchien zu ſuchen, was er zu thun /habe. Drauf, indem er ſich erhob, und ſeinen /Stuhl wegſetzte: da er die Hoffnungen, ſprach /er, mit denen er in dies Haus getreten ſey, sei, als /uͤbereilt erkennen muͤſſe, und die Familie, wie /er nicht mißbillige, auf eine naͤhere Bekannt/ſchaft beſtehe: ſo werde er ſeine Depeſchen, zu /einer anderweitigen Expedition, nach Z..., in /das Hauptquartier, zuruͤckſchicken, und das / 490 guͤtige Anerbieten, der Gaſt dieſes Hauſes zu / ſeyn, sein, auf einige Wochen annehmen. Worauf /er noch, den Stuhl in der Hand, an der Wand /ſtehend, einen Augenblick verharrte, und den /Commendanten anſah. Der Commendant ver/ſetzte, daß es ihm aͤußerſt leid thun wuͤrde, wenn /die Leidenſchaft, die er zu ſeiner Tochter gefaßt /zu haben ſcheine, ihm Unannehmlichkeiten von /der ernſthafteſten Art zuzoͤge: daß er indeſſen inzwischen /wiſſen muͤſſe, was er zu thun und zu laſſen / 500 habe, die Depeſchen abſchicken, und die fuͤr ihn /238beſtimmten Zimmer beziehen moͤchte. Man ſah /ihn bei dieſen Worten ſich entfaͤrben, der Mut/ter ehrerbietig die Hand kuͤſſen, ſich gegen die /Uebrigen verneigen und ſich entfernen./
Als er das Zimmer verlaſſen hatte, wußte /die Familie nicht, was ſie aus dieſer Erſchei/nung machen ſolle. Die Mutter ſagte, es waͤre /wohl nicht moͤglich, daß er Depeſchen, mit de/nen er nach Neapel ginge, gienge, nach Z... zuruͤck/ 510 ſchicken wolle, bloß, weil es ihm nicht gelungen /waͤre, auf ſeiner Durchreiſe durch M..., in /einer fuͤnf minutenlangen Minuten langen Unterredung, von /einer ihm ganz unbekannten Dame ein Jawort /zu erhalten. Der Forſtmeiſter aͤußerte, daß eine /ſo leichtſinnige That ja mit nichts Geringerem, /als Feſtungsarreſt, beſtraft werden wuͤrde! Und /Caſſation obenein, ſetzte der Commendant hinzu. /Es habe aber damit keine Gefahr, fuhr er fort. /Es ſey sei ein bloßer Schreckſchuß beim Sturm; er / 520 werde ſich wohl noch, ehe er die Depeſchen ab/geſchickt, wieder beſinnen. Die Mutter, als ſie /von dieſer Gefahr unterrichtet ward, aͤußerte /die lebhafteſte Beſorgniß, daß er ſie abſchicken /239werde. Sein heftiger, auf einen Punkt Punct hin/treibender Wille, meinte ſie, ſcheine ihr grade /einer ſolchen That faͤhig. Sie bat den Forſt/meiſter auf das dringendſte, Dringendste, ihm ſogleich nach/zugehen, und ihn von einer ſo ungluͤckdrohenden unglücksvollen /Handlung abzuhalten. Der Forſtmeiſter erwie/ 530 derte, daß ein ſolcher Schritt gerade das Gegen/theil bewirken, und ihn nur in der Hoffnung, /durch ſeine Kriegsliſt zu ſiegen, beſtaͤrken wuͤrde. /Die Marquiſe war derſelben Meinung, obſchon /ſie verſicherte, daß ohne ihn die Abſendung der /Depeſchen unfehlbar erfolgen wuͤrde, indem er /lieber werde ungluͤcklich werden, als ſich eine /Bloͤße geben wollen. Alle kamen darin uͤberein, /daß ſein Betragen ſehr ſonderbar ſey, sei, und daß /er Damenherzen durch Anlauf, wie Feſtungen, / 540 zu erobern gewohnt ſcheine. In dieſem Augen/blick bemerkte der Commendant den angeſpann/ten Wagen des Grafen vor ſeiner Thuͤr. Er /rief die Familie ans an’s Fenſter, und fragte einen /eben eintretenden Bedienten, erſtaunt, ob der /Graf noch im Hauſe ſey? sei? Der Bediente ant/wortete, daß er unten, in der Domeſtikenſtube, /240in Geſellſchaft eines Adjutanten, Briefe ſchreibe /und Pakete verſiegle. Der Commendant, der /ſeine Beſtuͤrzung unterdruͤckte, eilte mit dem / 550 Forſtmeiſter hinunter, und fragte den Grafen, /da er ihn auf dazu nicht ſchicklichen Tiſchen ſeine /Geſchaͤfte betreiben ſah, ob er nicht in ſeine Zim/mer treten wolle? Und ob er ſonſt irgend etwas /befehle? Der Graf erwiederte, indem er mit /Eilfertigkeit fortſchrieb, daß er unterthaͤnigſt / danke, und danke; daß ſein Geſchaͤft abgemacht ſey; sei; fragte /noch, indem er den Brief zuſiegelte, nach der /Uhr; und wuͤnſchte dem Adjutanten, nachdem /er ihm das ganze Portefeuille uͤbergeben hatte, / 560 eine gluͤckliche Reiſe. Der Commendant, der /ſeinen Augen nicht traute, ſagte, indem der Ad/jutant zum Hauſe hinausging: hinausgieng: Herr Graf, /wenn Sie nicht ſehr wichtige Gruͤnde haben — /Entſcheidende! fiel ihm der Graf ins in’s Wort; /begleitete den Adjutanten zum Wagen, und oͤff/nete ihm die Thuͤr. In dieſem Fall wuͤrde ich /wenigſtens, fuhr der Commendant fort, die De/peſchen — Es iſt nicht moͤglich, antwortete der /Graf, indem er den Adjutanten in den Sitz hob. / 570 241Die Depeſchen gelten nichts in Neapel ohne /mich. Ich habe auch daran gedacht. Fahr zu! /— Und die Briefe Ihres Herrn Onkels? rief /der Adjutant, ſich aus der Thuͤr hervorbeugend. /Treffen mich, erwiederte der Graf, in M.... /Fahr zu, ſagte der Adjutant, und rollte mit dem /Wagen dahin./
Hierauf fragte der Graf F..., indem er ſich /zum Commendanten wandte, ob er ihm gefaͤlligſt /ſein Zimmer anweiſen laſſen wolle? Er wuͤrde / 580 gleich ſelbſt die Ehre haben, antwortete der ver/wirrte Obriſt; rief ſeinen und des Grafen Leu/ten, das Gepaͤck desſelben aufzunehmen: aufzunehmen; und /fuͤhrte ihn in die fuͤr fremden Beſuch beſtimmten /Gemaͤcher des Hauſes, Hauses; wo er ſich ihm mit einem /trocknen Geſicht empfahl. Der Graf kleidete ſich /um; verließ das Haus, um ſich bei dem Gouver/neur des Platzes zu melden, melden; und fuͤr den ganzen /weiteren Reſt des Tages im Hauſe unſichtbar, /kehrte er erſt kurz vor der Abendtafel dahin / 590 zuruͤck./
Inzwiſchen war die Familie in der lebhafte/ſten Unruhe. Der Forſtmeiſter erzaͤhlte, wie/242 beſtimmt, auf einige Vorſtellungen des Com/mendanten, des Grafen Antworten ausgefallen /waͤren; meinte, daß ſein Verhalten einem voͤllig /uͤberlegten Schritt aͤhnlich ſehe; und fragte, in /aller Welt, nach den Urſachen einer ſo auf Cou/rierpferden gehenden Bewerbung. Der Com/mendant ſagte, daß er von der Sache nichts ver/ 600 ſtehe, und forderte die Familie Familie Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] auf, davon weiter /nicht in ſeiner Gegenwart zu ſprechen. Die /Mutter ſah alle Augenblicke aus dem Fenſter, /ob er nicht kommen, ſeine leichtſinnige That be/reuen, und wieder gut machen werde. Endlich, /da es finſter ward, ſetzte ſie ſich zur Marquiſe /nieder, welche, mit vieler Emſigkeit, an einem /Tiſch arbeitete, und das Geſpraͤch zu vermeiden /ſchien. Sie fragte ſie halblaut, waͤhrend der /Vater auf- auf- und niederging, niedergieng, ob ſie begreife, was / 610 aus dieſer Sache werden ſolle? Die Marquiſe /antwortete, mit einem einem, ſchuͤchtern nach dem /Commendanten gewandten gewandten, Blick: wenn der Va/ter bewirkt haͤtte, daß er nach Neapel gereiſt gereis’t waͤ/re, ſo waͤre alles Alles gut. Nach Neapel! rief der /Commendant, der dies gehoͤrt hatte. Sollt’ ich /243den Prieſter holen laſſen? Oder haͤtt’ ich ihn / ſchließen binden laſſen und arretiren, und mit Bewa/chung nach Neapel ſchicken ſollen? — Nein, /antwortete die Marquiſe, Marquise; aber lebhafte und ein/ 620 dringliche Vorſtellungen thun ihre Wirkung; Wirkung, /und ſah, ein wenig unwillig, wieder auf ihre /Arbeit nieder. — Endlich gegen die Nacht er/ſchien der Graf. Man erwartete nur, nach den /erſten Hoͤflichkeitsbezeugungen, daß dieſer Ge/genſtand zur Sprache kommen wuͤrde, um ihn /mit vereinter Kraft Macht zu beſtuͤrmen, den Schritt, /den er gewagt hatte, hätte, wenn es noch moͤglich ſey, sei, /wieder zuruͤckzunehmen. Doch vergebens, waͤh/rend der ganzen Abendtafel, erharrte man dieſen / 630 Augenblick. Gefliſſentlich Alles, was darauf /fuͤhren konnte, vermeidend, unterhielt er den /Commendanten vom Kriege, Kriege und den Forſtmei/ſter von der Jagd. Als er des Gefechts bei P..., /in welchem er verwundet worden war, erwaͤhnte, /verwickelte ihn die Mutter bei der Geſchichte ſei/ner Krankheit, fragte ihn, wie es ihm an dieſem /kleinen Orte ergangen ſey, sei, und ob er die gehoͤri/gen Bequemlichkeiten gefunden haͤtte. Hierauf/ 244erzaͤhlte er mehrere, durch ſeine Leidenſchaft zur / 640 Marquiſe intereſſanten, Zuͤge: wie ſie beſtaͤndig, /waͤhrend ſeiner Krankheit, an ſeinem Bette ge/ſeſſen haͤtte; wie er die Vorſtellung von ihr, in /der Hitze des Wundfiebers, immer mit der Vor/ſtellung eines Schwans verwechſelt haͤtte, den /er, als Knabe, auf ſeines Onkels Guͤtern geſe/hen; daß ihm beſonders eine Erinnerung ruͤh/rend geweſen waͤre, da er dieſen Schwan einſt /mit Koth beworfen, worauf dieſer ſtill unterge/taucht, und rein aus der Fluth wieder wieder aus der Fluth emporge/ 650 kommen ſey; sei; daß ſie immer auf feurigen Fluthen /umhergeſchwommen waͤre, und er Thinka geru/fen haͤtte, welches der Name jenes Schwans ge/weſen, daß er gewesen wäre, aber nicht im Stande geweſen /waͤre, ſie an ſich zu locken, locken, indem ſie ihre Freude /gehabt haͤtte, hätte bloß blos am Rudern und In-die-/Bruſt-ſich-werfen; verſicherte ploͤtzlich, blut/roth im Geſicht, daß er ſie außerordentlich liebe: /ſah wieder auf ſeinen Teller nieder, und ſchwieg. /Man mußte endlich von der Tafel aufſtehen; / 660 und da der Graf, nach einem kurzen Geſpraͤch /mit der Mutter, ſich ſogleich gegen die Geſell/245ſchaft verneigte, und wieder in ſein Zimmer zu/ruͤckzog: ſo ſtanden die Mitglieder derſelben wie/der, und wußten nicht, was ſie denken sagen ſollten. /Der Commendant meinte: man muͤſſe der Sa/che ihren Lauf laſſen. Er rechne wahrſcheinlich /auf ſeine Verwandten bei dieſem Schritte. In/fame Caſſation ſtuͤnde ſonſt darauf. Frau von/ G.... fragte ihre Tochter, was ſie denn von / 670 ihm halte? Und ob ſie ſich wohl zu irgend einer /Aeußerung, die ein Ungluͤck vermiede, wuͤrde /verſtehen koͤnnen? Die Marquiſe antwortete: /Liebſte Mutter! Das iſt nicht moͤglich. Es /thut mir leid, daß meine Dankbarkeit auf eine /ſo harte Probe geſtellt wird. Doch es war mein /Entſchluß, mich nicht wieder zu vermaͤhlen; ich /mag mein Gluͤck nicht, und nicht ſo unuͤberlegt, /auf ein zweites Spiel ſetzen. setzen. setzen= setzen. [emendiert ohne Kommentarhinweis] Der Forſtmeiſter /bemerkte, daß wenn dies ihr feſter Wille waͤre; / 680 auch dieſe Erklaͤrung ihm Nutzen ſchaffen koͤn/ne, und daß daſs es faſt nothwendig ſcheine, ihm ir/gend eine beſtimmte zu geben. Die Obriſtinn /verſetzte, daß da dieſer junge Mann, den ſo viele /außerordentliche Eigenſchaften empfoͤhlen, empfehlen, ſeinen/246 Aufenthalt in Italien nehmen zu wollen, erklaͤrt /habe, ſein Antrag, nach ihrer Meinung, einige /Ruͤckſicht, und der Entſchluß der Marquiſe Pruͤ/fung verdiene. Der Forſtmeiſter, indem er ſich /bei ihr niederließ, fragte, wie er ihr denn, was / 690 ſeine Perſon anbetreffe, gefalle? Die Marquiſe Marquise Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] /antwortete, mit einiger Verlegenheit: er gefaͤllt /und mißfaͤllt mir; und berief ſich auf das Gefuͤhl /der Anderen. Die Obriſtin Obristinn ſagte: wenn er von /Neapel zuruͤckkehrt, zurückkehrte, und die Erkundigungen, /die wir inzwiſchen uͤber ihn einziehen koͤnnten, /dem Geſammteindruck, den du von ihm empfan/gen haſt, nicht widerſpraͤchen: wie wuͤrdeſt du /dich, falls er alsdann ſeinen Antrag wiederholte, /erklaͤren? In dieſem Fall, verſetzte die Marquiſe Marquise, / 700 wuͤrd’ ich — da in der That ſeine Wuͤnſche ſo /lebhaft ſcheinen, dieſe Wuͤnſche — ſie ſtockte, schwieg, /und ihre Augen glaͤnzten, indem ſie dies ſagte — /um der Verbindlichkeit willen, die ich ihm ſchul/dig bin, erfuͤllen. Die Mutter, die eine zweite /Vermaͤhlung ihrer Tochter immer gewuͤnſcht /hatte, hatte Muͤhe, ihre Freude uͤber dieſe Er/klaͤrung zu verbergen, und ſann, was ſich wohl /247daraus machen laſſe. Der Forſtmeiſter ſagte, /indem er unruhig vom Sitz wieder aufſtand, / 710 daß wenn die Marquiſe irgend an die Moͤglichkeit /denke, ihn einſt mit ihrer Hand zu erfreuen, /jetzt gleich nothwendig ein Schritt dazu geſchehen /muͤſſe, um den Folgen ſeiner raſenden That vor/zubeugen. Die Mutter war derſelben Meinung, /und behauptete, daß zuletzt das Wagſtuͤck nicht /allzugroß waͤre, indem bei ſo vielen vortreff/lichen Eigenſchaften, die er in jener Nacht, da /das Fort von den Ruſſen erſtuͤrmt ward, ent/wickelte, kaum zu fuͤrchten ſey, kaum, daß ſein uͤbri/ 720 ger Lebenswandel ihnen nicht entſprechen ſollte. sollte, zu fürchten sei. /Die Marquiſe ſah, mit dem Ausdruck der /lebhafteſten Unruhe, vor ſich nieder. Man /koͤnnte ihm ja, fuhr die Mutter fort, indem ſie /ihre Hand ergriff, etwa eine Erklaͤrung, daß /du, bis zu ſeiner Ruͤckkehr von Neapel, in /keine andere andre Verbindung eingehen wolleſt, zu/kommen laſſen. Die Marquiſe ſagte: dieſe /Erklaͤrung, liebſte Mutter, kann ich ihm ge/ben; ich fuͤrchte nur, daß ſie ihn nicht beru/ 730 higen, und uns verwickeln wird. Das ſey sei /248meine Sorge! erwiederte die Mutter, mit leb/hafter Freude; und ſah ſich nach dem Com/mendanten um. Lorenzo! fragte ſie, was /meinſt du? und machte Anſtalten, ſich vom /Sitz zu erheben. Der Commendant, der Alles /gehoͤrt hatte, ſtand am Fenſter, ſah auf die /Straße hinaus, und ſagte nichts. Der Forſt/meiſter verſicherte, daß er, mit dieſer unſchaͤdli/chen Erklaͤrung, den Grafen aus dem Hauſe / 740 zu ſchaffen, schaffen ſich anheiſchig mache. Nun ſo /macht! macht! macht! rief der Vater, indem /er ſich umkehrte: ich muß mich dieſem Ruſſen /ſchon zum zweitenmal ergeben! — Hierauf /ſprang die Mutter auf, kuͤßte ihn und die /Tochter, und fragte, indem der Vater Vaͤter uͤber /ihre Geſchaͤftigkeit laͤchelte, wie man dem Gra/fen jetzt dieſe Erklaͤrung augenblicklich hinter/bringen ſolle? Man beſchloß, auf den Vor/ſchlag des Forſtmeiſters, ihn bitten zu laſſen, / 750 ſich, falls er noch nicht entkleidet ſey, sei, gefaͤlligſt /auf einen Augenblick zur Familie zu verfuͤgen. /Er werde gleich die Ehre haben zu erſcheinen! /ließ der Graf antworten, und kaum war der /249Kammerdiener mit dieſer Meldung zuruͤck, als /er ſchon ſelbſt, mit Schritten, die die Freude be/fluͤgelte, ins in‘s Zimmer trat, und zu den Fuͤßen /der Marquiſe, in der allerlebhafteſten Ruͤhrung Rührung, /niederſank. Der Commendant wollte etwas ſa/gen: doch er, indem er aufſtand, verſetzte er, versetzte, er / 760 wiſſe genug! kuͤßte ihm und der Mutter die /Hand, umarmte den Bruder, und bat nur um /die Gefaͤlligkeit, ihm ſogleich zu einem Reiſewa/gen zu verhelfen. Die Marquiſe, obſchon von /dieſem Auftritt bewegt, ſagte doch: ich fuͤrchte /nicht, Herr Graf, daß daſs daß [emendiert ohne Kommentarhinweis] Ihre raſche Hoffnung /Sie zu weit — Nichts! Nichts! verſetzte der /Graf; es iſt nichts geſchehen, wenn die Erkun/digungen, die Sie uͤber mich einziehen moͤgen, /dem Gefuͤhl widerſprechen, das mich zu Ihnen / 770 in dies Zimmer zuruͤckberief. Hierauf um/armte der Commendant ihn auf das herzlichſte, Herzlichste, /der Forſtmeiſter bot ihm ſogleich ſeinen eigenen eignen /Reiſewagen an, ein Jaͤger flog auf die Poſt, /Courierpferde auf Praͤmien zu beſtellen, und /Freude war bei dieſer Abreiſe, wie noch niemals /bei einem Empfang. Er hoffe, ſagte der Graf, /250die Depeſchen in B... einzuholen, von wo er /jetzt einen naͤheren Weg nach Neapel, als uͤber / M... M..., einſchlagen wuͤrde; in Neapel wuͤrde er / 780 ſein Moͤglichſtes thun, die fernere Geſchaͤftsreiſe /nach Conſtantinopel abzulehnen; und da er, auf /den aͤußerſten Fall, entſchloſſen waͤre, ſich krank /anzugeben, ſo verſicherte er, daß wenn nicht un/vermeidliche Hinderniſſe ihn abhielten, er in Zeit /von vier bis ſechs Wochen unfehlbar wieder in /M... ſeyn sein wuͤrde. Hierauf meldete ſein Jaͤ/ger, daß der Wagen angeſpannt, und Alles zur /Abreiſe bereit ſey. sei. Der Graf nahm ſeinen Huth, /trat vor die Marquiſe, und ergriff ihre Hand. / 790 Nun denn, ſprach er, Julietta, ſo bin ich eini/germaßen beruhigt; und legte ſeine Hand in die /ihrige; obſchon es mein ſehnlichſter sehnlicher Wunſch war, /mich noch vor meiner Abreiſe mit Ihnen zu ver/maͤhlen. Vermaͤhlen! riefen alle Mitglieder der /Familie aus. Vermaͤhlen, wiederholte der /Graf, kuͤßte der Marquiſe die Hand, und ver/ſicherte, da dieſe fragte, ob er von Sinnen ſey: sei: /es wuͤrde ein Tag kommen, wo ſie ihn verſtehen /wuͤrde! Die Familie wollte auf ihn boͤſe wer/ 800 251den; doch er nahm gleich gleich hierauf auf das Waͤrmſte von /Allen Abſchied, bat ſie, uͤber dieſe Aeußerung /nicht weiter nachzudenken, nachzudenken, und reiſte reis’te ab./
Mehrere Wochen, in welchen die Familie, /mit ſehr verſchiedenen Empfindungen, auf den /Ausgang dieſer ſonderbaren Sache geſpannt war, / verſtrichen. verstrichen: Der der Commendant empfing empfieng vom Ge/neral K..., dem Onkel des Grafen, eine hoͤf/liche Zuſchrift; der Graf ſelbſt ſchrieb aus Nea/pel; die Erkundigungen, die man uͤber ihn ein/ 810 zog, ſprachen ziemlich zu ſeinem Vortheil; kurz, /man hielt die Verlobung ſchon fuͤr ſo gut, wie /abgemacht: als ſich die Kraͤnklichkeiten der Mar/quiſe, mit groͤßerer Lebhaftigkeit, als jemals, /wieder einſtellten. Sie bemerkte eine unbegreif/liche Veraͤnderung ihrer Geſtalt. Sie entdeckte /ſich mit voͤlliger Freimuͤthigkeit ihrer Mutter, /und ſagte, ſie wiſſe nicht, was ſie von ihrem Zu/ſtand denken ſolle. Die Mutter, welche ſo ſon/derbare Zufaͤlle fuͤr die Geſundheit ihrer Tochter / 820 aͤußerſt beſorgt machten, verlangte, daß ſie einen /Arzt zu Rathe ziehe. Die Marquiſe, die durch /ihre Natur zu ſiegen hoffte, ſtraͤubte ſich dage/252gen; ſie brachte mehrere Tage noch, ohne dem /Rath der Mutter zu folgen, unter den empfind/lichſten Leiden zu: bis Gefuͤhle, immer wieder/kehrend wiederkehrende, und von ſo wunderbarer Art, ſie in /die lebhafteſte Unruhe ſtuͤrzten. Sie ließ einen /Arzt rufen, der das Vertrauen ihres Vaters be/ſaß, noͤthigte ihn, da gerade die Mutter abwe/ 830 ſend war, auf den Divan nieder, und eroͤffnete /ihm, nach einer kurzen Einleitung, ſcherzend, /was ſie von ſich glaube. Der Arzt warf einen /forſchenden Blick auf ſie; ſchwieg noch, nachdem /er eine genaue Unterſuchung vollendet hatte, eine /Zeitlang: und antwortete dann dann, mit einer ſehr /ernſthaften Miene, daß daſs sich die Frau Marquiſe /ganz richtig urtheile. beurtheile. Nachdem er ſich sich, auf die /Frage der Dame, wie er dies verſtehe, verstehe? ganz deut/lich erklaͤrt, und mit einem Laͤcheln, das er nicht / 840 unterdruͤcken konnte, geſagt hatte, daß ſie ganz /geſund ſey, sei, und keinen Arzt brauche, brauche: zog die /Marquiſe, und ſah ihn ſehr ſtreng von der Seite /an, die Klingel, und bat ihn, ſich zu entfernen. /Sie aͤußerte halblaut, als ob er der Rede nicht /werth waͤre, vor ſich nieder murmelnd: daß ſie /253nicht Luſt haͤtte, mit ihm uͤber Gegenſtaͤnde dieſer /Art zu ſcherzen. Der Doctor erwiederte em/pfindlich: er muͤſſe wuͤnſchen, daß ſie immer zum /Scherz ſo wenig aufgelegt geweſen waͤre, wie / 850 jetzt; nahm Stock und Huth, und machte An/ſtalten, ſich ſogleich zu empfehlen. Die Mar/quiſe verſicherte, daß ſie von dieſen Beleidigungen /ihren Vater unterrichten wuͤrde. Der Arzt ant/wortete, daß er ſeine Ausſage vor Gericht be/ſchwoͤren koͤnne: er würde eher Berge, als seine feste Meinung von ihr, versetzten können; oͤffnete die Thuͤr, verneigte ſich, /und wollte das Zimmer verlaſſen. Die Mar/quiſe fragte, da er noch einen Handſchuh, den /er hatte fallen laſſen, von der Erde aufnahm: /und die Moͤglichkeit davon, Herr Doctor? Der / 860 Doctor Arzt erwiederte, daß er ihr die letzten Gruͤnde /der Dinge nicht werde zu erklaͤren brauchen; /verneigte ſich ihr noch einmal, und ging gieng ab./
Die Marquiſe ſtand, wie vom Donner ge/ruͤhrt. Sie raffte ſich auf, und wollte zu ihrem /Vater eilen; doch der ſonderbare Ernſt des Man/nes, von dem ſie ſich beleidigt ſah, laͤhmte alle /ihre Glieder. Sie warf ſich in der groͤßten Be/wegung auf den Divan nieder. Sie durchlief, /254gegen ſich ſelbſt selbt mißtrauiſch, alle Momente des / 870 verfloſſenen Jahres, und hielt ſich fuͤr verruͤckt, /wenn ſie an den letzten dachte. Endlich erſchien /die Mutter; und auf die beſtuͤrzte Frage, war/um weshalb ſie ſo unruhig ſey? sei? erzaͤhlte ihr die Tochter, /was ihr der Arzt ſo eben eroͤffnet hatte. Frau /von G.... nannte ihn einen Unverſchaͤmten und /Nichtswuͤrdigen, und beſtaͤrkte die Tochter in /dem Entſchluß, dieſe Beleidigung dem Vater zu /entdecken. Die Marquiſe verſicherte, daß es /ſein voͤlliger Ernſt geweſen ſey, sei, und daß er ent/ 880 ſchloſſen ſcheine, dem Vater ins in’s Geſicht ſeine ra/ſende Behauptung zu wiederholen. Frau von /G.... fragte, nicht wenig erſchrocken, ob ſie /denn an die Moͤglichkeit eines ſolchen Zuſtandes /glaube? Eher, antwortete die Marquiſe, daß /die Graͤber befruchtet werden, und ſich dem /Schooße der Leichen eine Geburt entwickeln /wird! Nun, du liebes liebes, wunderliches Weib, ſagte /die Obriſtin, Obristinn, indem ſie ſie feſt an ſich druͤckte: /was beunruhigt dich denn? Wenn dein Bewußt/ 890 ſeyn dich rein ſpricht: wie kann dich ein das Urtheil, /und waͤre es das einer einer ganzen Conſulta von Aerz/255ten, nur kuͤmmern? Ob das Seinige aus Irrthum, /ob es aus Bosheit entſprang: gilt es dir nicht /voͤllig gleichviel? Doch ſchicklich iſt es, daß wir /es dem Vater entdecken. — O Gott! ſagte die /Marquiſe, mit einer convulſiviſchen convulsivischen convulsivischen [emendiert ohne Kommentarhinweis] Bewegung: /wie kann ich mich beruhigen. Hab’ ich nicht /mein eignes, innerliches, mir nur allzuwohlbe/kanntes Gefuͤhl gegen mich? Wuͤrd’ ich nicht, / 900 wenn ich in ich einer andern Andern meine Empfindung wuͤßte, /von ihr ſelbſt urtheilen, daß es damit ſeine Rich/tigkeit habe? Es iſt entſetzlich, verſetzte die Obri/ſtin. Obristinn. Bosheit! Irrthum! fuhr die Marquiſe /fort. Was kann dieſer Mann, der uns bis auf /den heutigen Tag ſchaͤtzenswuͤrdig erſchien, fuͤr /Gruͤnde haben, mich auf eine ſo muthwillige und /niedertraͤchtige Art zu kraͤnken? Mich, die ihn / nie nicht beleidigt hatte? Die ihn mit Vertrauen, und /dem Vorgefuͤhl zukuͤnftiger Dankbarkeit, em/ 910 pfing? empfieng? Bei der er, wie ſeine erſten Worte zeug/ten, mit dem reinen und unverfaͤlſchten Willen /erſchien, zu helfen, nicht Schmerzen, grimmi/gere, als ich empfand, erſt zu erregen? Und /wenn ich in der Nothwendigkeit der Wahl, fuhr /256ſie fort, waͤhrend die Mutter ſie unverwandt an/ſah, an einen Irrthum glauben wollte: iſt es /wohl moͤglich, daß ein Arzt, auch nur von mit/telmaͤßiger Geſchicklichkeit, in ſolchem Falle irre? /— Die Obriſtin Obristinn ſagte ein wenig ſpitz: und / 920 gleichwohl muß es doch nothwendig Eins oder /das Andere geweſen ſeyn. sein. Ja! verſetzte die Mar/quiſe, meine theuerſte Mutter, indem ſie ihr, /mit dem Ausdruck der gekraͤnkten Wuͤrde, hoch/roth im Geſicht gluͤhend, die Hand kuͤßte: das /muß es! Obſchon die Umſtaͤnde ſo außerordent/lich ſind, daß es mir erlaubt iſt, daran zu zwei/feln. Ich ſchwoͤre, weil es doch einer Verſicherung /bedarf, daß mein Bewußtſeyn, Bewuſstsein, gleich dem wie meiner /Kinder iſt; nicht reiner, Verehrungswuͤrdigſte, / 930 kann das Ihrige ſeyn. sein. Gleichwohl bitte ich Sie, /mir eine Hebamme rufen zu laſſen, damit ich /mich von dem, was iſt, [gesperrt] uͤberzeuge, und gleich/viel alsdann, was es ſey, sei, beruhige. Eine Heb/amme! rief Frau von G.... mit Entwuͤrdi/gung. Ein reines Bewußtſeyn, Bewuſstsein, und eine Heb/amme! Und die Sprache ging gieng ihr aus. Eine /Hebamme, meine theuerſte Mutter, wiederholte / 257die Marquiſe, indem ſie ſich auf Knieen vor ihr/ niederließ; und das augenblicklich, wenn ich nicht / 940 wahnſinnig werden ſoll. O ſehr gern, verſetzte /die Obriſtin; nur Obristinn. Nur bitte ich, das Wochenlager /nicht in meinem Hauſe zu halten. Und damit /ſtand ſie auf, und wollte das Zimmer verlaſſen. /Die Marquiſe, ihr mit ausgebreiteten ausgestreckten Armen /folgend, fiel ganz auf das Geſicht nieder, und /umfaßte ihre Kniee. Wenn irgend ein unſtraͤf/liches Leben, rief ſie, mit der Beredtſamkeit des /Schmerzes, ein Leben, nach Ihrem Muſter ge/fuͤhrt, mir ein Recht auf Ihre Achtung giebt, / 950 wenn irgend ein muͤtterliches Gefuͤhl auch nur, /ſo lange meine Schuld nicht ſonnenklar entſchie/den iſt, in Ihrem Buſen fuͤr mich ſpricht: ſo /verlaſſen Sie mich in dieſen entſetzlichen Augen/blicken nicht. — Was iſt es, das dich beunru/higt? fragte die Mutter. Iſt es weiter nichts, /als der Ausſpruch des Arztes? Weiter nichts, /als dein innerliches Gefuͤhl? Nichts weiter, /meine Mutter, verſetzte die Marquiſe, und legte /ihre Hand auf die Bruſt. Nichts, Julietta? / 960 fuhr die Mutter fort. Beſinne dich. Ein Fehl/258tritt, ſo unſaͤglich er mich ſchmerzen wuͤrde, er /ließe ſich, und ich muͤßte müſst’ ihn zuletzt verzeihn; doch /wenn du, um einem muͤtterlichen Verweis aus/zuweichen, ein Maͤhrchen von der Umwaͤlzung /der Weltordnung erſinnen, und gotteslaͤſterliche /Schwuͤre haͤufen koͤnnteſt, um es meinem, dir /nur allzugernglaͤubigen, Herzen aufzubuͤrden: /ſo waͤre das ſchaͤndlich: ich wuͤrde dir niemals /wieder gut werden. — Moͤge das Reich der Er/ 970 loͤſung einſt ſo offen vor mir liegen, wie meine /Seele vor Ihnen, rief die Marquiſe. Ich ver/ſchwieg verschweige Ihnen nichts, meine Mutter. — Dieſe /Aeußerung, voll Pathos gethan, erſchuͤtterte die /Mutter. O Himmel! rief ſie: mein liebens/wuͤrdiges Kind! Wie ruͤhrſt du mich! Und hob /ſie auf, und kuͤßte ſie, und druͤckte ſie an ihre /Bruſt. Was denn, in aller Welt, fuͤrchteſt du? /Komm, du biſt ſehr krank. Sie wollte ſie in /ein Bett fuͤhren. Doch die Marquiſe, welcher / 980 die Thraͤnen haͤufig floſſen, verſicherte, daß ſie /ſehr geſund waͤre, und daß ihr gar nichts fehle, /außer jenem ſonderbaren und unbegreiflichen Zu/ſtand. — Zuſtand! rief die Mutter wieder; /259welch wieder. Welch ein Zuſtand? Wenn dein Gedaͤchtniß uͤber /die Vergangenheit ſo ſicher iſt, welch ein Wahn/ſinn der Furcht ergriff dich? Kann ein innerli/ches Gefuͤhl denn, das doch nur dunkel ſich regt, /nicht truͤgen? Nein! Nein! ſagte die Marquiſe, /es truͤgt mich nicht! Und wenn Sie die Heb/ 990 amme rufen laſſen wollen, ſo werden ſie hoͤren, /daß das Entſetzliche, mich Vernichtende, wahr /iſt. — Komm, meine liebſte Tochter, ſagte /Frau von G...., G..., die fuͤr ihren Verſtand zu /fuͤrchten anfing. anfieng. Komm, folge mir, und lege /dich zu Bett. Was meinteſt du, daß dir der /Arzt geſagt hat? Wie dein Geſicht gluͤht! Wie /du an allen Gliedern ſo zitterſt! Was war es /ſchon, daß dir der Arzt geſagt hat? Und damit /zog ſie die Marquiſe, unglaͤubig nunmehr an den / 1000 ganzen Auftritt, den ſie ihr erzaͤhlt hatte, mit /ſich fort. — Die Marquiſe ſagte: Liebe! Vor/treffliche! indem ſie mit weinenden Augen laͤ/chelte. Ich bin meiner Sinne maͤchtig. Der /Arzt hat mir geſagt, daß ich in geſegneten Lei/besumſtaͤnden Umständen bin. Laſſen Sie die Hebamme /rufen: und ſobald ſie ſagt, daß es nicht wahr /260iſt, bin ich wieder ruhig. Gut, gut! erwiederte /die Obriſtin, Obristinn, die ihre Angſt unterdruͤckte. Sie /ſoll gleich kommen; ſie kommen. Sie ſoll gleich, wenn du / 1010 dich von ihr willſt auslachen laſſen, erſcheinen, /und dir ſagen, daß du eine Traͤumerin, Träumerinn, und /nicht recht klug biſt. Und damit zog ſie die Klin/gel, und ſchickte augenblicklich einen ihrer Leute, /der die Hebamme rufe./
Die Marquiſe lag noch, mit unruhig ſich /hebender Bruſt, in den Armen ihrer Mutter, /als dieſe Frau erſchien, und die Obriſtin Obristinn ihr, /an welcher ſeltſamen Vorſtellung ihre Tochter /krank liege, eroͤffnete. Die Frau Marquiſe / 1020 ſchwoͤre, daß ſie ſich tugendhaft verhalten habe, /und gleichwohl halte ſie, von einer unbegreifli/chen Empfindung getaͤuſcht, fuͤr noͤthig, daß eine /ſachverſtaͤndige Frau ihren Zuſtand unterſuche. /Die Hebamme, waͤhrend ſie ſich von demſelben /unterrichtete, ſprach von jungem Blut und der /Argliſt der Welt; aͤußerte, als ſie ihr Geſchaͤft /vollendet hatte, dergleichen Faͤlle waͤren ihr ſchon / vorgekommen; vorgekommen; vorgekommen; [emendiert ohne Kommentarhinweis] die jungen Wittwen, die in ihre /Lage kaͤmen, meinten alle auf wuͤſten Inſeln / 1030 261gelebt zu haben; beruhigte inzwiſchen die Frau /Marquiſe, und verſicherte ſie, daß ſich der mun/tere Corſar, der zur Nachtzeit gelandet, ſchon /finden wuͤrde. Bei dieſen Worten fiel die Mar/quiſe in Ohnmacht. Die Obriſtin, Obristinn, die ihr /muͤtterliches Gefuͤhl nicht uͤberwaͤltigen konnte, /brachte ſie zwar, mit Huͤlfe der Hebamme, wie/der ins Leben zuruͤck. Doch die Entruͤſtung /ſiegte, da ſie erwacht war. Julietta! rief die /Mutter mit dem lebhafteſten Schmerz. Willſt / 1040 du dich mir entdecken, willſt entdecken? Willst du den Vater mir /nennen? Und ſchien noch zur Verſoͤhnung ge/neigt. Doch als die Marquiſe ſagte, daß ſie /wahnſinnig werden wuͤrde, ſprach die Mutter, /indem ſie ſich vom Divan erhob: geh! geh! du /biſt nichtswuͤrdig! Verflucht ſey die die Stunde, da /ich dich gebahr! und verließ das Zimmer./
Die Marquiſe, der das Tageslicht von / neuem Neuem ſchwinden wollte, zog die Geburtshelfe/rin Geburtshelferinn vor ſich nieder, und legte ihr Haupt heftig / 1050 zitternd an ihre Bruſt. Sie fragte, mit gebro/chener Stimme, wie denn die Natur auf ihren /Wegen walte? Und ob die Moͤglichkeit einer un/262wiſſentlichen Empfaͤngniß ſey? sei? — Die Heb/amme laͤchelte, machte ihr das Tuch los, und /ſagte, das wuͤrde ja doch der Frau Marquiſe /Fall nicht ſeyn. sein. Nein, nein, antwortete die /Marquiſe, ſie habe wiſſentlich empfangen, ſie /wolle nur im allgemeinen Allgemeinen wiſſen, ob dieſe Er/ſcheinung im Reiche der Natur ſey? sei? Die Heb/ 1060 amme verſetzte, daß dies, außer der heiligen /Jungfrau, soviel ihr bekannt sei, noch keinem Weibe auf Erden zugeſto/ßen waͤre. Die Marquiſe zitterte immer heftiger. /Sie glaubte, daß ſie augenblicklich niederkommen /wuͤrde, und bat die Geburtshelferin, Geburtshelferinn, indem ſie /ſich mit krampfhafter Beaͤngſtigung an ſie ſchloß, /ſie nicht zu verlaſſen. Die Hebamme beruhigte /ſie. Sie verſicherte, daß das Wochenbett noch /betraͤchtlich entfernt waͤre, gab ihr auch die Mit/tel an, wie man, in ſolchen Faͤllen, dem Leu/ 1070 mund der Welt ausweichen koͤnne, und meinte, /es wuͤrde noch Alles gut werden. Doch da dieſe /Troſtgruͤnde der ungluͤcklichen Dame voͤllig wie /Meſſerſtiche durch die Bruſt fuhren, ſo ſam/melte ſie ſich, ſagte, ſie befaͤnde ſich beſſer, und /bat ihre Geſellſchafterin Gesellschafterinn, ſich zu entfernen./
263Kaum war die Hebamme aus dem Zimmer, /als ihr ein Schreiben von der Mutter gebracht /ward, in welchem dieſe ſich ſo ausließ: auslieſs: „Herr von /G.... wuͤnſche, unter den obwaltenden Um/ 1080 ſtaͤnden, daß ſie ſein Haus verlaſſe. Er ſende /ihr hierbei die uͤber ihr Vermoͤgen lautenden Pa/piere, und hoffe hoffe, daß ihm Gott den Jammer er/ſparen werde, ſie wieder zu ſehen.” sehen.” sehen.” [emendiert ohne Kommentarhinweis] sehen=” — Der /Brief war inzwiſchen von Thraͤnen benetzt; und /in einem Winkel ſtand ein verwiſchtes Wort: /dictirt. — Der Marquiſe ſtuͤrzte der Schmerz /aus den Augen. Sie ging, gieng, heftig uͤber den Irr/thum ihrer Eltern weinend, und uͤber die Unge/rechtigkeit, zu welcher dieſe vortrefflichen Men/ 1090 ſchen verfuͤhrt wurden, nach den Gemaͤchern ih/rer Mutter. Es hieß, ſie ſey sei bei ihrem Vater; Vater: /ſie wankte nach den Gemaͤchern ihres Vaters. /Sie ſank, als ſie die Thuͤre verſchloſſen fand, /mit jammernder Stimme, alle Heiligen zu /Zeugen ihrer Unſchuld anrufend, vor derſelben /nieder. Sie mochte wohl ſchon einige Minuten /hier gelegen haben, als der Forſtmeiſter daraus aus derselben /hervortrat, und zu ihr mit mit flammendem Geſicht /264 ſagte: sagte, ſie hoͤre höre, daß der Commendant ſie nicht / 1100 ſehen wolle. Die Marquiſe rief: mein liebſter / Bruder: Bruder! unter vielem Schluchzen; draͤngte ſich /ins Zimmer, und rief: mein theuerſter Vater! /und ſtreckte die Arme nach ihm aus. Der /Commendant wandte ihr, bei ihrem Anblick, /den Ruͤcken zu, und eilte in ſein Schlafge/mach. Er rief, als ſie ihn dahin verfolgte, /hinweg! und wollte die Thuͤre zuwerfen; doch /da ſie, unter Jammern und Flehen, daß er /ſie ſchließe, verhinderte, ſo gab er ploͤtzlich nach / 1110 und eilte, waͤhrend die Marquiſe zu ihm hinein/trat, nach der hintern Wand. Wand. Sie warf ſich ihm, /der ihr den Ruͤcken zugekehrt hatte, eben zu Fuͤ/ßen, und umfaßte zitternd ſeine Kniee, als ein Pi/ſtol, das er ergriffen hatte, in dem Augenblick, da /er es von der Wand herabriß, losging, losgieng, und der /Schuß ſchmetternd in die Decke fuhr. /Herr meines Lebens! rief die Marquiſe, erhob /ſich leichenblaß von ihren Knieen, und eilte /aus ſeinen Gemaͤchern wieder hinweg. Man / 1120 ſoll ſogleich anſpannen, anspannen! ſagte ſie, indem ſie in /die ihrigen trat; ſetzte ſich, matt bis in den /265Tod, auf einen Seſſel nieder, zog ihre Kinder /eilfertig an, und ließ die Sachen einpacken. /Sie hatte eben ihr Kleinſtes zwiſchen den /Knieen, und ſchlug ihm noch ein Tuch um, /um nunmehr, da alles Alles zur Abreiſe bereit war, in /den Wagen zu ſteigen: als der Forſtmeiſter ein/trat, und auf Befehl des Commendanten die /Zuruͤcklaſſung und Ueberlieferung der Kinder / 1130 von ihr forderte. Dieſer Kinder? fragte ſie; /und ſtand auf. Sag deinem unmenſchlichen /Vater, daß er kommen, und mich niederſchie/ßen, niederschieſsen: nicht aber mir meine Kinder entreißen /koͤnne! Und hob, mit dem ganzen Stolz der /Unſchuld geruͤſtet, ihre Kinder auf, trug ſie sie, /ohne daß der Bruder gewagt haͤtte, ſie anzu/halten, in den Wagen Wagen, und fuhr ab./
Durch dieſe ſchoͤne Anſtrengung mit ſich /ſelbſt bekannt gemacht, hob ſie ſich ploͤtzlich, / 1140 wie an ihrer eigenen eignen Hand, aus der ganzen /Tiefe, in welche das Schickſal ſie herabgeſtuͤrzt /hatte, empor. Der Aufruhr, der ihre Bruſt /zerriß, legte ſich, als ſie im Freien war, ſie /kuͤßte haͤufig die Kinder, dieſe ihre liebe Beute, /266und mit großer Selbſtzufriedenheit gedachte ſie, /welch einen Sieg ſie, durch die Kraft ihres /ſchuldfreien Bewußtſeyns, Bewuſstseins, uͤber ihren Bruder /davon getragen hatte. Ihr Verſtand, ſtark ge/nug, in ihrer ſonderbaren Lage nicht zu reißen, / 1150 gab ſich ganz unter der großen, heiligen und /unerklaͤrlichen Einrichtung der Welt gefangen. /Sie ſah die Unmoͤglichkeit ein, ihre Familie von /ihrer Unſchuld zu uͤberzeugen, begriff, daß ſie /ſich daruͤber troͤſten muͤſſe, [gesperrt] falls ſie nicht untergehen /wolle, und wenige Tage nur waren nach nach ihrer /Ankunft in V.... verfloſſen, als so machte der Schmerz /ganz und gar dem heldenmuͤthigen Vorſatz /Platz machte, [vorgezogen, s. o.] ſich mit Stolz gegen die Anfaͤlle /der Welt zu ruͤſten. Sie beſchloß, ſich ganz / 1160 in ihr Innerſtes zuruͤckzuziehen, ſich, mit aus/ſchließendem Eifer, der Erziehung ihrer beiden /Kinder zu widmen, und des Geſchenks, das ihr /Gott mit dem dritten Dritten gemacht hatte, mit voller voller, /muͤtterlichen Liebe zu pflegen. Sie machte An/ſtalten, in wenig Wochen, ſobald ſie ihre Nie/derkunft uͤberſtanden haben wuͤrde, gleich nach ihrer Niederkunft, ihren ſchoͤ/nen, aber durch die lange Abweſenheit ein wenig /267 verfallenen verfallenen, Landſitz wieder herzuſtellen; ſaß in /der Gartenlaube, und dachte, waͤhrend ſie kleine / 1170 Muͤtzen, Mützen und Struͤmpfe fuͤr kleine Beine ſtrickte, /wie ſie die Zimmer bequem vertheilen wuͤrde; würde, /auch, welches ſie mit Buͤchern fuͤllen, und in /welchem die Staffelei am ſchicklichſten Schicklichsten ſtehen / wuͤrde. würde: Und ſo und noch war der Zeitpunct, da der Graf /F... von Neapel wiederkehren ſollte, noch [vorgezogen, s. o.] nicht /abgelaufen, als da ſie ſchon voͤllig mit dem Schick/ſal, in ewig kloͤſterlicher Eingezogenheit zu leben, /vertraut war. Der Thuͤrſteher Portier erhielt Befehl, /keinen Menſchen im Hauſe vorzulaſſen. Nur / 1180 der Gedanke war ihr unertraͤglich, daß dem /jungen Weſen, das ſie in der groͤßten Unſchuld /und Reinheit empfangen hatte, und deſſen Ur/ſprung, eben weil er geheimnißvoller war, auch /goͤttlicher zu ſeyn ſchien, als der anderer Men/ſchen, [fehlt] ein Schandfleck in der buͤrgerlichen Geſell/ſchaft ankleben ſollte. Ein ſonderbares Mittel war /ihr eingefallen, den Vater zu entdecken: ein Mittel, /bei dem ſie, als ſie es zuerſt dachte, das Strick/zeug ſelbſt vor Schrecken aus der Hand fallen / 1190 ließ. Durch ganze Naͤchte, in unruhiger Schlaf/268loſigkeit durchwacht, ward es gedreht und ge/wendet gewendet, um ſich an ſeine seine, ihr innerſtes Gefuͤhl /verletzende, Natur zu gewoͤhnen. Immer noch /ſtraͤubte ſie ſich, mit dem Menſchen, der ſie ſo /hintergangen hatte, in irgend ein Verhaͤltniß /zu treten: indem ſie ſehr richtig ſchloß, daß /derſelbe doch, ohne alle Rettung, zum Aus/wurf ſeiner Gattung gehoͤren muͤſſe, und, auf /welchem Platz der Welt man ihn auch denken / 1200 wolle, nur aus dem zertretenſten und unflaͤ/thigſten Schlamm derſelben, derselben hervorgegangen / ſeyn sein koͤnne. Doch da das Gefuͤhl ihrer Selbſt/ſtaͤndigkeit immer lebhafter in ihr ward, wurde, und /ſie bedachte, daß der Stein ſeinen Werth behaͤlt, /er mag auch eingefaßt ſeyn, sein, wie man er wolle, ſo /griff ſie eines Morgens, da ſich das junge Leben /wieder in ihr regte, ein Herz, und ließ jene /ſonderbare Aufforderung in die Intelligenzblaͤt/ter von M... ruͤcken, die man am Eingang / 1210 dieſer Erzaͤhlung geleſen hat./
Der Graf F..., den unvermeidliche Ge/ſchaͤfte in Neapel aufhielten, hatte inzwiſchen /zum zweitenmal an die Marquiſe geſchrieben, /269und ſie aufgefordert, es moͤchten fremde Um/ſtaͤnde eintreten, welche da wollten, ihrer, ihm /gegebenen, ſtillſchweigenden Erklaͤrung getreu zu /bleiben. Sobald es ihm gegluͤckt war, ſeine /fernere Geſchaͤftsreiſe nach Conſtantinopel abzu/lehnen, und es ſeine uͤbrigen Verhaͤltniſſe ge/ 1220 ſtatteten, ging gieng er augenblicklich von Neapel ab, /und kam auch richtig, nur wenige Tage nach /der von ihm beſtimmten Friſt, in M... an. /Der Commendant empfing empfieng ihn mit einem ver/legenen Geſicht, ſagte, daß ein nothwendiges /Geſchaͤft ihn aus dem Hauſe noͤthige, und for/derte den den den [emendiert ohne Kommentarhinweis] Forſtmeiſter auf, ihn inzwiſchen zu /unterhalten. Der Forſtmeiſter zog ihn auf ſein /Zimmer, und fragte ihn, nach einer kurzen /Begruͤßung, ob er ſchon wiſſe, was ſich waͤh/ 1230 rend ſeiner Abweſenheit in dem Hauſe des Com/mendanten zugetragen habe. Der Graf ant/wortete, mit einer fluͤchtigen Blaͤſſe: nein. /Hierauf unterrichtete ihn der Forſtmeiſter von /der Schande, die die Marquiſe uͤber die Fami/lie gebracht hatte, und gab ihm die Geſchichts/erzaͤhlung deſſen, was unſre Leſer ſo eben er/270fahren haben. Der Graf ſchlug ſich mit der /Hand vor die Stirn. Warum legte man mir /ſo viele Hinderniſſe in den Weg! rief er in der / 1240 Vergeſſenheit ſeiner. Wenn die Vermaͤhlung /erfolgt waͤre: ſo waͤre alle Schmach und jedes /Ungluͤck uns erſpart! Der Forſtmeiſter fragte, /indem er ihn anglotzte, ob er raſend genug waͤre, wäre: /zu wuͤnſchen, mit dieſer Nichtswuͤrdigen ver/maͤhlt zu ſeyn? sein? Der Graf erwiederte, daß ſie /mehr werth waͤre, als die ganze Welt, die ſie /verachtete; daß ihre Erklaͤrung uͤber ihre Un/ſchuld vollkommnen Glauben bei ihm faͤnde; und /daß er noch heute nach V... gehen, und ſeinen / 1250 Antrag bei ihr wiederholen wuͤrde. Er ergriff /auch ſogleich ſeinen Huth, empfahl ſich dem /Forſtmeiſter, der ihn fuͤr ſeiner Sinne voͤllig /beraubt hielt, und ging gieng ab./
Er beſtieg ein Pferd und ſprengte nach V... /hinaus. Als er am Thore abgeſtiegen war, /und in den Vorplatz treten wollte, ſagte ihm der / Thuͤrſteher, Portier, daß die Frau Marquiſe keinen Men/ſchen ſpraͤche. Der Graf fragte, ob dieſe, fuͤr /Fremde getroffene, Maaßregel Maßregel auch einen / 1260 271Freund des Hauſes gaͤlte; worauf jener der Portier antwor/tete, daß er von keiner Ausnahme wiſſe, /und bald darauf, auf eine zweideutige Art Art, /hinzuſetzte: ob er vielleicht der Graf F... waͤ/re? Der Graf erwiederte, nach einem forſchen/den Blick, nein; und aͤußerte, zu ſeinem Be/dienten gewandt, doch ſo, daß jener es hoͤren /konnte, er werde, unter ſolchen Umſtaͤnden, in /einem Gaſthofe abſteigen, und ſich bei der Frau /Marquiſe ſchriftlich anmelden. Sobald er in/ 1270 zwiſchen dem Thuͤrſteher Portier aus den Augen war, bog /er um eine Ecke, und umſchlich die Mauer eines /weitlaͤufigen Gartens, der ſich hinter dem Hauſe /ausbreitete. Er trat trat, durch eine Pforte, die er /offen fand, in den Garten, durchſtrich die Gaͤn/ge desſelben, und wollte eben die hintere Rampe /hinaufſteigen, als er, in einer Laube, die zur /Seite lag, die Marquiſe, in ihrer lieblichen und / geheimnißvollen geheimniſsvollen geheimnißvollen [emendiert ohne Kommentarhinweis] Geſtalt, an einem kleinen Tiſch/chen emſig arbeiten ſah. Er naͤherte ſich ihr ſo, / 1280 daß ſie ihn nicht fruͤher erblicken konnte, als bis /er am Eingang Eingange der Laube, drei kleine Schritte /von ihren Fuͤßen, ſtand. Der Graf F...! ſagte /272die Marquiſe, als ſie die Augen aufſchlug, und /die Roͤthe der Ueberraſchung uͤberflog ihr Geſicht. /Der Graf laͤchelte, blieb noch eine Zeitlang, /ohne ſich im Eingang zu ruͤhren, ſtehen; stehen, ſetzte /ſich dann, mit ſo beſcheidener Zudringlichkeit, /als ſie nicht zu erſchrecken noͤthig war, neben ihr /nieder, und ſchlug, ehe ſie noch, in ihrer ſonder/ 1290 baren Lage, einen Entſchluß gefaßt hatte, ſeinen /Arm ſanft um ihren lieben Leib. Von wo, /Herr Graf, iſt es moͤglich, fragte die Marquiſe /— und ſah ſchuͤchtern vor ſich auf die Erde nie/der. Der Graf ſagte: von M..., und druͤckte /ſie ganz leiſe an ſich; durch eine hintere Pforte, /die ich offen fand. Ich glaubte auf Ihre Ver/zeihung rechnen zu duͤrfen, und trat ein. Hat /man ihnen Ihnen denn in M... nicht geſagt — ? — /fragte ſie, und ruͤhrte noch kein Glied in ſeinen / 1300 Armen. Alles, geliebte Frau, verſetzte der /Graf; doch von ihrer Ihrer Unſchuld voͤllig uͤberzeugt /— Wie! rief die Marquiſe, indem ſie aufſtand, /und ſich loswickelte; und Sie kommen gleich/wohl? gleichwohl — Der Welt zum Trotz, fuhr er fort, in/dem er ſie feſthielt, und ihrer Ihrer Familie zum Trotz, /273und dieſer lieblichen Erſcheinung ſogar zum /Trotz; wobei er einen gluͤhenden Kuß auf ihre /Bruſt druͤckte. wobei er auf ihre Brust glühend niedersah — Hinweg! rief die Marquiſe /— So uͤberzeugt, ſagte er, Julietta, als ob ich / 1310 allwiſſend waͤre, als ob meine Seele in deiner /Bruſt wohnte — Die Marquiſe rief: Laſſen ſie Sie /mich! Ich komme ſchloß er — Komme, schloß er, und ließ ſie nicht — nicht: /meinen Antrag zu wiederholen, und das Loos der /Seeligen, wenn Sie sie mich erhoͤren wollen, von /Ihrer Hand zu empfangen. Laſſen Sie mich /augenblicklich! rief die Marquiſe; ich befehls befehl’s /Ihnen! riß ſich gewaltſam aus ſeinen Armen, /und entfloh. Geliebte! Vortreffliche! fluͤſterte /er, indem er wieder aufſtand, aufstand und ihr folgte. — folgte — / 1320 Sie hoͤren! rief die Marquiſe, und wandte ſich, /und wich ihm aus. Ein einziges, heimliches heimliches, Ge/fluͤſtertes geflüstertes — ! ſagte der Graf, und griff haſtig /nach ihrem glatten, ihm entſchluͤpfenden Arm. Arm /— Ich will nichts wiſſen, verſetzte die Mar/quiſe, ſtieß ihn heftig vor die Bruſt zuruͤck, eilte /auf die Rampe, und verſchwand./
Er war ſchon halb auf die Rampe gekommen, /um ſich, es koſte, was es wolle, bei ihr Gehoͤr /274zu verſchaffen, als die Thuͤr vor ihm zuflog, / 1330 und der Riegel heftig, mit verſtoͤrter Beeiferung, /vor ſeinen Schritten zuraſſelte. Unſchluͤſſig, ei/nen Augenblick, was unter ſolchen Umſtaͤnden zu /thun ſey, sei, ſtand er, und uͤberlegte, ob er durch /ein, zur Seite offen ſtehendes stehendes, Fenſter einſteigen, /und ſeinen Zweck, bis er ihn erreicht, verfolgen /ſolle; doch ſo ſchwer es ihm auch in jedem Sinne /war, umzukehren, diesmal ſchien es die Noth/wendigkeit zu erfordern, und grimmig erbittert /uͤber ſich, daß er ſie aus ſeinen Armen gelaſſen / 1340 hatte, ſchlich er die Rampe hinab, hinab und verließ den /Garten, um ſeine Pferde aufzuſuchen. Er fuͤhlte fühlte, /daß der Verſuch, ſich an ihrem Buſen zu erklaͤ/ren, fuͤr immer fehlgeſchlagen ſey, sei, und ritt ſchritt/weis, indem er einen Brief uͤberlegte, den er /jetzt zu ſchreiben verdammt war, nach M... zu/ruͤck. Abends, da er ſich, in der uͤbelſten Laune /von der Welt, bei einer oͤffentlichen Tafel einge/funden hatte, traf er den Forſtmeiſter an, der /ihn auch ſogleich befragte, ob er ſeinen Antrag / 1350 in V... gluͤcklich angebracht habe? Der Graf /antwortete kurz: nein! und war ſehr geſtimmt, /ihn mit einer bitteren bitterern Wendung abzufertigen; /275doch um der Hoͤflichkeit ein Genuͤge zu thun, /ſetzte er nach einer Weile hinzu: er habe ſich /entſchloſſen, ſich ſchriftlich an ſie zu wenden, /und werde damit in kurzem Kurzem ins in’s Reine ſeyn. sein. /Der Forſtmeiſter ſagte: er ſehe mit Bedauern, /daß ſeine Leidenſchaft fuͤr die Marquiſe ihn /ſeiner Sinne beraube. Er muͤſſe ihm inzwi/ 1360 ſchen verſichern, daß ſie bereits auf dem Wege / ſey, sei, eine andere Wahl zu treffen; klingelte /nach den neueſten Zeitungen, und gab ihm das /Blatt, in welchem die Aufforderung derſelben /an den Vater ihres Kindes eingeruͤckt war. /Der Graf durchlief, indem ihm das Blut ins in’s /Geſicht ſchoß, die Schrift. Ein Wechſel Eine Verwirrung von /Gefuͤhlen durchkreuzte ergriff ihn. Der Forſtmeiſter /fragte, ob er nicht glaube, daß die Perſon, die /die Frau Marquiſe ſuche, ſich finden werde? / 1370 — Unzweifelhaft! verſetzte der Graf, Graf; indeſſen / er mit ganzer seine Seele uͤber dem Papier lag, und /den Sinn desſelben gierig verſchlang. verschlang, und wiederkäute. Darauf Drauf, /nachdem er einen Augenblick, waͤhrend er /das Blatt zuſammenlegte, an das Fenſter ge/treten war, ſagte er: war: nun iſt es gut! gut! kehrte er sich um; nun /276weiß ich, was ich zu thun habe! kehrte ſich/ ſodann um; und fragte fragte den Forſtmeiſter noch, /auf eine verbindliche Art, ob man ihn bald wie/derſehen werde; empfahl ſich ihm, und ging, gieng, / 1380 voͤllig ausgeſoͤhnt mit ſeinem Schickſal, fort. —/
Inzwiſchen waren in dem Hauſe des Comm/endanten die lebhafteſten Auftritte vorgefal/len. Die Obriſtin Obristinn war uͤber die zerſtoͤrende /Heftigkeit ihres Gatten desselben und uͤber die Schwaͤche, /mit welcher ſie ſich, bei der tyranniſchen Ver/ſtoßung der Tochter, von ihm hatte unterjo/chen laſſen, aͤußerſt erbittert. Sie war, als /der Schuß in des Commendanten Schlafge/mach fiel, und die Tochter aus demſelben her/ 1390 vorſtuͤrzte, in eine Ohnmacht geſunken, aus /der ſie ſich zwar bald wieder erholte; doch erholte. Doch /der Commendant hatte, in dem Augenblick ih/res Erwachens, weiter nichts geſagt, als, es /thaͤte ihm leid, daß ſie dieſen Schrecken um/ſonſt gehabt, und das abgeſchoſſene Piſtol auf /einen Tiſch geworfen. Nachher, da von der /Abforderung der Kinder die Rede war, wagte /ſie ſchuͤchtern, zu erklaͤren, daß man zu einem /277ſolchen Schritt kein Recht habe; ſie bat mit / 1400 einer, durch die gehabte Anwandlung, ſchwa/chen und ruͤhrenden Stimme, heftige Auftritte /im Hauſe zu vermeiden; doch der Commen/dant erwiederte weiter nichts, als, indem er /ſich zum Forſtmeiſter wandte, vor Wuth ſchaͤu/mend: geh! und ſchaff ſie mir! Als der zweite /Brief des Grafen F... ankam, hatte der /Commendant befohlen, daß er nach V... zur /Marquiſe herausgeſchickt werden ſolle, welche /ihn, wie man nachher durch den Boten erfuhr, / 1410 bei Seite gelegt, und geſagt hatte, es waͤre /gut. Die Obriſtin, Obristinn, der in der ganzen Bege/benheit ſo vieles, und beſonders die Geneigt/heit der Marquiſe, eine neue, ihr ganz gleich/guͤltige gleichgültige, Vermaͤhlung einzugehen, dunkel war, /ſuchte vergebens, dieſen Umſtand zur Sprache /zu bringen. Der Commendant bat immer, /auf eine Art, die einem Befehle gleich ſah, zu /ſchweigen; verſicherte, indem er einſt, bei einer /ſolchen Gelegenheit, ein Portrait herabnahm, / 1420 das noch von ihr an der Wand hing, hieng, daß er /ſein Gedaͤchtniß ihrer ganz zu vertilgen wuͤn/278ſche; wünsche, und meinte, er haͤtte keine Tochter mehr. /Drauf erſchien der ſonderbare Aufruf Aufsatz der /Marquiſe in den Zeitungen. Die Obriſtin, Obristinn, /die auf das lebhafteſte Lebhafteste daruͤber betroffen war, / ging gieng mit dem Zeitungsblatt, das das das [emendiert ohne Kommentarhinweis] ſie von dem /Commendanten erhalten hatte, in ſein Zimmer, /wo ſie ihn an einem Tiſch arbeitend fand, und /fragte ihn, was er in aller Welt davon halte? / 1430 Der Commendant ſagte, indem er fortſchrieb: /o! ſie iſt unſchuldig. Wie! rief Frau von /G...., mit dem alleraͤußerſten Erſtaunen: un/ſchuldig? Sie hat es im Schlaf gethan, ſagte /der Commendant, ohne aufzuſehen. Im Schla/fe! verſetzte Frau von G.... Und ein ſo un/geheurer Vorfall waͤre — ? Die Naͤrrin! Närrinn! rief /der Commendant, ſchob die Papiere uͤber ein/ander, und ging gieng weg. weg. weg. weg. /
Am naͤchſten Zeitungſtage las die Obriſtin, Obristinn, / 1440 da beide beim Fruͤhſtuͤck ſaßen, in einem In/telligenzblatt, das eben ganz feucht von der /Preſſe kam, folgende Antwort: Antwort darauf: /
„Wenn die Frau Marquiſe von O.... ſich, /„am 3ten... 11 Uhr Morgens, im Hauſe /279„des Herrn von G...., ihres Vaters, /„einfinden will: ſo wird ſich derjenige, den /„ſie ſucht, ihr daſelbſt zu Fuͤßen werfen.” — [Zitierende Textpassage wird in der Phöbusversion als eigener dreizeiliger Absatz mit einem An- und Abführungszeichen dargestellt. [Zeilenfall abweichend.] [Zeilenfall abweichend.] /
Der Obriſtin Obristinn verging, vergieng, ehe ſie noch auf die /Haͤlfte dieſes unerhoͤrten Artikels gekommen war, / 1450 die Sprache; Sprache, ſie uͤberflog das Ende, und reichte /das Blatt dem Commendanten dar. Der /Obriſt durchlas das Blatt dreimal, als ob er /ſeinen eignen Augen nicht traute. Nun ſage /mir, um des Himmels Willen, Lorenzo, rief /die Obriſtin, Obristinn, was haͤltſt du davon? O die /Schaͤndliche! verſetzte der Commendant, und /ſtand auf; o die verſchmitzte Heuchlerin! Heuchlerinn! Zehn/mal die Schamloſigkeit einer Huͤndin, Hündinn, mit /zehnfacher Liſt des Fuchſes gepaart, reichen noch / 1460 an die ihrige nicht! Solch eine Miene! Zwei /ſolche Augen! Ein Cherub hat ſie nicht treuer! — /und jammerte und konnte ſich nicht beruhigen. /Aber was in aller Welt, fragte die Obriſtin, Obristinn, /wenn es eine Liſt iſt, kann ſie damit bezwek/ken? — Was ſie damit bezweckt? Ihre nichts/wuͤrdige Betruͤgerei, mit Gewalt will ſie ſie durch/ſetzen, erwiederte der Obriſt. Auswendig ge/280lernt iſt ſie ſchon, die Fabel, die ſie uns beide, /ſie und er, am 3ten 11 Uhr Morgens hier auf/ 1470 buͤrden wollen. Mein liebes Toͤchterchen, ſoll /ich ſagen, das wußte ich nicht, wer konnte das /denken, vergieb mir, nimm meinen Seegen, /und ſey sei wieder gut. Aber die Kugel dem, der /am 3ten Morgens uͤber meine Schwelle tritt! /Es muͤßte denn ſchicklicher ſeyn, sein, ihn mir durch / Bedienten aus dem Hauſe zu ſchaffen. — Frau /von G.... ſagte, nach einer nochmaligen Ueber/leſung des Zeitungsblattes, daß wenn ſie, von /zwei unbegreiflichen Dingen, Einem, Glauben, Einem Glauben / 1480 beimeſſen ſolle, ſie lieber an ein unerhoͤrtes /Spiel des Schickſals, als an dieſe Niedertraͤch/tigkeit ihrer ſonſt ſo vortrefflichen Tochter glau/ben wolle. Doch ehe eh ſie noch vollendet hatte, /rief der Commendant ſchon: thu mir den Ge/fallen und ſchweig! und verließ das Zimmer. /Es iſt mir verhaßt, wenn ich nur davon hoͤre./
Wenige Tage nachher erhielt der Commen/dant, in Beziehung auf dieſen Zeitungsartikel, /einen Brief von der Marquiſe, in welchem ſie / 1490 ihn, da ihr die Gnade verſagt waͤre, in ſeinem /281Hauſe erſcheinen zu duͤrfen, auf eine ehrfurchts/volle und ruͤhrende Art bat, denjenigen, der /ſich am 3ten Morgens bei ihm zeigen wuͤrde, /gefaͤlligſt zu ihr nach V... hinauszuſchicken. /Die Obriſtin Obristinn war gerade gegenwaͤrtig, als der /Commendant dieſen Brief empfing; empfieng; und da ſie /auf ſeinem Geſicht deutlich bemerkte, daß er /in ſeiner Empfindung irre geworden war: denn /welch ein Motiv jetzt, falls es eine Betruͤgerei / 1500 war, ſollte er ihr unterlegen, da ſie auf ſeine /Verzeihung gar keine Anſpruͤche zu machen /ſchien? ſo ruͤckte ſie, dadurch dreiſt gemacht, /mit einem Plan hervor, den ſie ſchon lange, /in ihrer von Zweifeln bewegten Bruſt, mit ſich /herum getragen hatte. Sie ſagte, waͤhrend der /Obriſt noch, mit einer nichtsſagenden Miene, /in das Papier hineinſah: ſie habe einen Einfall. /Ob er ihr erlauben wolle, auf einen ein oder zwei /Tage, nach V... hinauszufahren? Sie werde / 1510 die Marquiſe, falls ſie wirklich denjenigen, der /ihr durch die Zeitungen, als ein Unbekannter, /geantwortet, ſchon kenne, in eine Lage zu ver/ſetzen wiſſen, in welcher ſich ihre Seele verra/282then muͤßte, und wenn ſie die abgefeimteſte /Verraͤtherinn waͤre. Der Commendant erwie/derte, indem er, mit einer ploͤtzlich heftigen Be/wegung, den Brief zerriß: ſie wiſſe, daß er /mit ihr nichts zu ſchaffen haben wolle, und er /verbiete ihr, in irgend eine Gemeinſchaft mit / 1520 ihr zu treten. Er ſiegelte die zerriſſenen Stuͤcke Stücken /ein, ſchrieb eine Adreſſe an die Marquiſe, und /gab ſie dem Boten, als Antwort, zuruͤck. Die / Obriſtin, Obristinn, durch dieſen hartnaͤckigen Eigenſinn, /der alle Moͤglichkeit der Aufklaͤrung vernichtete, /heimlich erbittert, beſchloß ihren Plan jetzt, /gegen ſeinen Willen, auszufuͤhren. Sie nahm /einen von den Jaͤgern des Commendanten, und /fuhr am naͤchſtfolgenden Morgen, da ihr Ge/mahl noch im Bette lag, mit demſelben nach / 1530 V... hinaus. Als ſie am Thore des Landſitzes /angekommen war, ſagte ihr der Thuͤrſteher, Portier, daß /niemand bei der Frau Marquiſe vorgelaſſen /wuͤrde. Frau von G... antwortete, daß ſie /von dieſer Maßregel unterrichtet waͤre, daß er /aber gleichwohl nur gehen, und die Obriſtin Obristinn /von G... bei ihr anmelden moͤgte. Worauf die/283ſer Der Portier verſetzte, daß dies zu nichts helfen wuͤrde, /indem die Frau Marquiſe keinen Menſchen auf /der Welt ſpraͤche. Frau von G... antwortete, / 1540 daß ſie von ihr geſprochen werden wuͤrde, in/dem ſie ihre Mutter waͤre, und daß er /nur nicht laͤnger ſaͤumen, und ſein Geſchaͤft /verrichten moͤchte. Kaum aber war noch noch war der / Thuͤrſteher Portier zu dieſem, wie er meinte, gleichwohl / vergeblichen vergeblichen, Verſuche Unternehmen ins Haus gegangen, /als man ſchon die Marquiſe daraus hervortre/ten, nach dem Thore eilen, und ſich auf Knieen /vor dem Wagen der Obriſtin Obristinn niederſtuͤrzen ſah. /Frau von G.... ſtieg, von ihrem Jaͤger un/ 1550 terſtuͤtzt, aus, und hob die Marquiſe, nicht /ohne einige Bewegung, vom Boden auf. Die /Marquiſe druͤckte ſich, von Gefuͤhlen uͤberwaͤl/tigt, tief auf ihre Hand hinab, und fuͤhrte ſie, /indem ihr die Thraͤnen haͤufig floſſen, ehr/furchtsvoll in die Zimmer ihres Hauſes. Meine /theuerſte Mutter! rief ſie, nachdem ſie ihr den /Divan angewieſen hatte, und noch vor ihr ſte/hen blieb, blieb und ſich die Augen trocknete: welch /ein gluͤcklicher Zufall iſt es, dem ich Ihre, mir / 1560 284 unſchaͤtzbare unschätzbare, Erſcheinung verdanke? Frau von /G.... ſagte, indem ſie ihre Tochter vertrau/lich faßte, ſie muͤſſe ihr nur ſagen, daß ſie /komme, ſie wegen der Haͤrte, mit welcher ſie /aus dem vaͤterlichen Hauſe verſtoßen worden / ſey, sei, um Verzeihung zu bitten. Verzeihung! /fiel ihr die Marquiſe ins Wort, und wollte /ihre Haͤnde kuͤſſen. Doch dieſe, indem ſie den /Handkuß vermied, fuhr fort: denn nicht nur, Doch diese: denn nicht nur, fuhr sie fort, indem sie den Handkuſs vermied, /daß die, in den letzten oͤffentlichen Blaͤttern / 1570 eingeruͤckte, Antwort auf die bewußte Bekannt/machung, mir ſowohl sowohl, als dem Vater, die Ueber/zeugung von deiner Unſchuld gegeben hat; ſo so so [emendiert ohne Kommentarhinweis] / muß ich dir auch ich muß dir nur eroͤffnen, daß er ſich ſelbſt ſchon, /zu unſerm großen und freudigen Erſtaunen, ge/ſtern im Hauſe gezeigt hat. Wer hat ſich — ? /fragte die Marquiſe, und ſetzte ſich bei ihrer /Mutter nieder; — nieder; welcher er ſelbſt hat ſich ge/zeigt — ? und Erwartung ſpannte jede ihrer /Mienen. Er, erwiederte Frau von G..., der / 1580 Verfaſſer jener Antwort, er perſoͤnlich ſelbſt, /an welchen dein Aufruf gerichtet war. — Nun /denn, ſagte die Marquiſe, mit unruhig arbei/285tender Bruſt: wer iſt es? Und noch einmal: /wer iſt es? — Das, erwiederte Frau von /G...., moͤchte ich dich errathen laſſen. Denn /denke, daß ſich geſtern, da wir beim Thee ſitzen, /und eben das ſonderbare Zeitungsblatt leſen, /ein Menſch, von unſrer genaueſten Bekannt/ſchaft, mit Gebaͤhrden der Verzweiflung ins / 1590 Zimmer ſtuͤrzt, und deinem Vater, und bald /darauf auch mir, zu Fuͤßen faͤllt. Wir, un/wiſſend, was wir davon denken ſollen, fordern /ihn auf, zu reden. reden; Darauf ſpricht er: drauf er: ſein / Gewiſſen Gewissen, spricht er, laſſe ihm keine Ruhe; Ruhe, er ſey sei der /Schaͤndliche, der die Frau Marquiſe betrogen, /er muͤſſe wiſſen, wie man ſein Verbrechen beur/theile, und wenn Rache uͤber ihn verhaͤngt /werden ſolle, ſo komme er, ſich ihr ſelbſt dar/zubieten. Aber wer? wer? wer? verſetzte die / 1600 Marquiſe. Wie geſagt, fuhr Frau von G.... /fort, ein junger, ſonſt wohlerzogener Menſch, /dem wir eine ſolche Nichtswuͤrdigkeit niemals /zugetraut haͤtten. Doch erſchrecken wirſt du /nicht, meine Tochter, wenn du erfaͤhrſt, daß /er von niedrigem Stande, und von allen For/286derungen, die man ſonſt an deinen Gemahl /machen duͤrfte, entbloͤßt iſt. ist. ist. ist. Gleichviel, meine /vortreffliche Mutter, ſagte die Marquiſe, er /kann nicht ganz unwuͤrdig ſeyn, sein, da er ſich / 1610 Ihnen fruͤher als mir, zuerst zu Fuͤßen geworfen hat. /Aber, wer? wer? Sagen Sie mir nur: wer? /Nun denn, verſetzte die Mutter, es iſt Leo/pardo, der Jaͤger, den ſich der Vater juͤngſt /aus Tyrol verſchrieb, und den ich, wenn du /ihn wahrnahmſt, ſchon mitgebracht habe, um /ihn dir als Braͤutigam vorzuſtellen. Leopardo, /der Jaͤger! rief die Marquiſe, und druͤckte ihre /Hand, mit dem Ausdruck der Verzweiflung, /vor die Stirn. Was erſchreckt dich? fragte die / 1620 Obriſtin. Obristinn. Haſt du Gruͤnde, daran zu zwei/feln? — Wie? Wo? Wann? fragte die Mar/quiſe verwirrt. Das, antwortete jene, will er /nur dir anvertrauen. Schaam und Liebe, meinte /er, machten es ihm unmoͤglich, ſich einer An/dern hieruͤber zu erklaͤren, als dir. Doch wenn /du willſt, ſo oͤffnen wir das Vorzimmer, wo /er, mit klopfendem Herzen, auf den Ausgang /wartet; und du magſt ſehen, ob du ihm ſein /287Geheimniß, indeſſen ich abtrete, entlockſt. — / 1630 Gott, mein Vater! rief die Marquiſe; ich war /einſt in der Mittagshitze eingeſchlummert, und /ſah ihn von meinem Divan gehen, als ich er/wachte! — Und damit legte ſie ihre kleinen /Haͤnde vor ihr ihr, in Schaam ergluͤhendes erglühendes, Geſicht. Gesicht. Gesicht. Gesicht. Bei dieſen Worten ſank die Mutter auf /Knieen vor ihr nieder. O meine Tochter! rief /ſie; o du Vortreffliche! und ſchlug die Arme /um ſie. Und o ich Nichtswuͤrdige! und ver/barg das Antlitz in ihren Schooß. Die Mar/ 1640 quiſe fragte beſtuͤrzt: was iſt Ihnen, meine /Mutter? Denn begreife, fuhr dieſe fort, o du /Reinere als Engel ſind, daß daß daß [emendiert ohne Kommentarhinweis] von Allem, was /ich dir ſagte, nichts wahr iſt; daß meine ver/derbte Seele an ſolche Unſchuld nicht, als von /der du umſtrahlt biſt, glauben konnte, und /daß ich dieſer ſchaͤndlichen Liſt erſt bedurfte, /um mich davon zu uͤberzeugen. Meine theuer/ſte Mutter, rief die Marquiſe, und neigte ſich /voll froher Ruͤhrung zu ihr herab, und wollte / 1650 ſie aufheben. Jene verſetzte darauf: Doch jene: nein, eher /nicht von deinen Fuͤßen weich’ ich, ich, sprach sie, bis du mir /288ſagſt, ob du mir die Niedrigkeit meines Ver/haltens, du Herrliche, Ueberirrdiſche, o Du Himmlische verzeihen /kannſt. Ich Ihnen verzeihen, meine Mutter! /Stehen Sie auf, rief die Marquiſe, ich be/ſchwoͤre Sie — Du hoͤrſt, ſagte Frau von /G...., ich will wiſſen, ob du mich noch lie/ben, und ſo aufrichtig verehren kannſt, als /ſonſt? Meine angebetete Mutter! rief die / 1660 Marquiſe, und legte ſich gleichfalls auf Knieen /vor ihr nieder; Ehrfurcht und Liebe ſind nie /aus meinem Herzen gewichen. Wer konnte /mir, unter ſo unerhoͤrten Umſtaͤnden, Ver/trauen ſchenken? Wie gluͤcklich bin ich, daß ſie Sie /von meiner Unſtraͤflichkeit uͤberzeugt ſind! Nun /denn, verſetzte Frau von G...., indem ſie, /von ihrer Tochter unterſtuͤtzt, aufſtand: ſo will /ich dich auf Haͤnden tragen, mein liebſtes Kind. /Du ſollſt bei mir dein Wochenlager halten; / 1670 und waͤren die Verhaͤltniſſe ſo, daß ich einen /jungen Fuͤrſten von dir erwartete, mit groͤße/rer Zaͤrtlichkeit nicht und Wuͤrdigkeit koͤnnt könnt’ ich /dein pflegen. Die Tage meines Lebens nicht /mehr von deiner Seite weich’ ich. Ich biete biete deinem unmenschlichen Vater Trotz, ich biete deinem Bruder, ich biete / 289der ganzen Welt Trotz; Trotz, ich will keine heine andre /Ehre mehr, als deine Schande: wenn du mir /nur wieder gut wirſt, und der Haͤrte nicht, /mit welcher ich dich verſtieß, mehr gedenkſt. /Die Marquiſe ſuchte ſie mit Liebkoſungen und / 1680 Beſchwoͤrungen ohne Ende zu troͤſten; doch der /Abend kam heran, und Mitternacht ſchlug, ehe /es ihr gelang. Am folgenden Tage, da ſich der /Affect der alten Dame, der ihr waͤhrend der /Nacht eine Fieberhitze zugezogen hatte, ein wenig /gelegt hatte, fuhren Mutter und Tochter und /Enkel, wie im Triumph, wieder nach M... /zuruͤck. Sie waren aͤußerſt vergnuͤgt auf der /Reiſe, ſcherzten uͤber Leopardo, den Jaͤger, der /vorn auf dem Bock ſaß; und die Mutter ſagte / 1690 zur Marquiſe, ſie bemerke, daß ſie roth wuͤrde, /ſo oft ſie ſeinen breiten Ruͤcken anſaͤhe. Die /Marquiſe antwortete, mit einer Regung, die /halb ein Seufzer, halb ein Laͤcheln war: wer /weiß, wer zuletzt noch am 3ten 11 Uhr Mor/gens bei uns erſcheint! — Drauf, je mehr man /ſich M... naͤherte, je ernſthafter ſtimmten ſich /wieder die Gemuͤther, in der Vorahndung ent/290ſcheidender Auftritte, die ihnen noch bevorſtan/den. Frau von G...., die ſich von ihren Plaͤ/ 1700 nen nichts merken ließ, fuͤhrte ihre Tochter, da /ſie vor dem Hauſe ausgeſtiegen waren, wieder /in ihre alten Zimmer ein; ſagte, ſie moͤchte es /ſich nur bequem machen, ſie wuͤrde gleich wieder /bei ihr ſeyn, sein, und ſchluͤpfte ab. Nach einer /Stunde kam ſie mit einem ganz erhitzten Geſicht /wieder. Nein, ſolch ein Thomas! ſprach ſie /mit heimlich vergnuͤgter Seele; ſolch ein unglaͤu/biger Thomas! Hab’ ich nicht eine Seigerſtunde /gebraucht, ihn zu uͤberzeugen. Aber nun ſitzt er, / 1710 und weint. Wer? fragte die Marquiſe. Er, /antwortete die Mutter. Wer ſonſt, als wer /die groͤßte Urſache dazu hat. Der Vater doch /nicht? rief die Marquiſe. Wie ein Kind, er/wiederte die Mutter; daß ich, wenn ich mir /nicht ſelbſt haͤtte die Thraͤnen aus den Augen /wiſchen muͤſſen, gelacht haͤtte, ſo wie ich nur aus /der Thuͤre heraus war. Und das wegen mei/ner? fragte die Marquiſe, Marquise; und ſtand auf; auf. / und Und ich ſollte hier — ? Nicht von der Stelle! / 1720 ſagte Frau von G.... Warum dictirte er mir /291den Brief. Hier ſucht er dich auf, wenn er /mich, ſo lange lang’ ich lebe, wiederfinden will. Mei/ne theurſte theuerste Mutter, flehte die Marquiſe — Un/erbittlich! fiel ihr die Obriſtin Obristinn ins in’s Wort. War/um griff er nach der Piſtole. — Aber ich be/ſchwoͤre Sie — Du ſollſt [nicht gesperrt] nicht, verſetzte Frau /von G...., indem ſie die Tochter wieder auf ih/ren Seſſel niederdruͤckte. Und wenn er nicht /heut vor Abend noch kommt, zieh zieh’ ich morgen / 1730 mit dir weiter. Die Marquiſe nannte dies Ver/fahren hart und ungerecht. Doch die Mutter /erwiederte: Beruhige dich — denn eben hoͤrte /ſie Jemand jemand von Weitem heranſchluchzen: er /koͤmmt ſchon! Wo? fragte die Marquiſe, und /horchte. Iſt wer hier draußen vor der Thuͤr; Thür dies /heftige — ? Allerdings, verſetzte Frau von /G.... Er will, daß wir ihm die Thuͤre oͤffnen. /Laſſen Sie mich! rief die Marquiſe, und riß ſich /vom Stuhl empor. Doch: wenn du mir gut / 1740 biſt, Julietta, verſetzte die Obriſtin, Obristinn, ſo bleib; /und in dem Augenblick trat auch der Commen/dant ſchon, das Tuch vor das Geſicht haltend, /ein. Die Mutter ſtellte ſich breit vor ihre Toch/292ter, und kehrte ihm den Ruͤcken zu. Mein /theuerſter Vater! rief die Marquiſe, und ſtreckte /ihre Arme nach ihm aus. Nicht von der Stelle, /ſagte Frau von G...., du hoͤrſt! Der Commen/dant ſtand in der Stube und weinte. Er ſoll /dir abbitten, fuhr Frau von G... G.... fort. War/ 1750 um iſt er ſo heftig! Und warum iſt er ſo hartnaͤckig! hartnäckig! hartnaͤckig! [emendiert ohne Kommentarhinweis] Ich liebe ihn, aber dich auch; ich ehre ihn, /aber dich auch. Und muß ich eine Wahl treffen, /ſo biſt du vortrefflicher, als er, und ich bleibe /bei dir. Der Commendant beugte ſich ganz /krumm, und heulte, daß die Waͤnde erſchallten. /Aber mein Gott! rief die Marquiſe, gab der /Mutter ploͤtzlich nach, und nahm ihr Tuch, ihre /eigenen Thraͤnen fließen zu laſſen. Frau von /G.... ſagte: — sagte — : er kann nur nicht ſprechen! / 1760 und wich ein wenig zur Seite aus. Hierauf er/hob ſich die Marquiſe, umarmte den Commen/danten, und bat ihn, ſich zu beruhigen. Sie /weinte ſelbſt heftig. Sie fragte ihn, ob er ſich /nicht ſetzen wolle? ſie wollte ihn auf einen Ses/ſel niederziehen; ſie ſchob ihm einen Seſſel hin, /damit er ſich darauf ſetze: doch er antwortete /293nicht; er war nicht von der Stelle zu bringen; /er ſetzte ſich auch nicht, und nicht: er ſtand bloß, das Ge/ſicht tief zur Erde gebeugt, und weinte. Die / 1770 Marquiſe ſagte, indem ſie ihn aufrecht hielt, /halb zur Mutter gewandt: er werde krank wer/den; die Mutter ſelbſt ſchien, da er ſich ganz /convulſiviſch gebaͤhrdete, ihre Standhaftigkeit /verlieren zu wollen. Doch da der Commendant /ſich endlich, auf die wiederholten Anforderungen /der Tochter, niedergeſetzt hatte, und dieſe ihm, /mit unendlichen Liebkoſungen, zu Fuͤßen geſunken /war: ſo nahm ſie wieder das Wort: Wort, ſagte, es ge/ſchehe ihm ganz recht, Recht, er werde nun wohl zur / 1780 Vernunft kommen, entfernte ſich aus dem Zim/mer, und ließ ſie allein./
Sobald ſie draußen war, wiſchte ſie ſich ſelbſt /die Thraͤnen ab, dachte, ob ihm die heftige Er/ſchuͤtterung, Erschütterng nicht doch, in welche ſie ihn verſetzt hatte, nicht /doch [umgestellt, s. o.] gefaͤhrlich ſeyn sein koͤnnte, und ob es wohl /rathſam ſey, sei, einen Arzt rufen zu laſſen? Sie /kochte ihm fuͤr den Abend Alles, was ſie nur /Staͤrkendes und Beruhigendes aufzutreiben wuß/te, in der Kuͤche zuſammen, bereitete und waͤrmte / 1790 294ihm das Bett, um ihn ſogleich hineinzulegen, ſo/bald er nur, an der Hand der Tochter, erſchei/nen wuͤrde, und ſchlich, da er immer noch nicht nicht /kam, und ſchon die Abendtafel gedeckt war, dem /Zimmer der Marquiſe zu, um doch zu hoͤren, /was ſich zutrage? Sie vernahm, da ſie mit ſanft /an die Thuͤr gelegtem Ohr horchte, ein leises, /eben verhallendes Geliſpel, das, wie es ihr /ſchien, von der Marquiſe kam; und, wie ſie / durchs durch's Schluͤſſelloch bemerkte, ſaß ſie auch auf des / 1800 Commendanten Schooß, was er ſonſt in in ſeinem Le/ben nicht zugegeben hatte. Drauf endlich oͤffnete ſie /die Thuͤr, und ſah nun — und das Herz quoll /ihr vor Freuden empor: die Tochter ſtill, mit zu/ruͤckgebeugtem Nacken, die Augen feſt geſchloſſen, /in des Vaters Armen liegen; indeſſen dieſer, auf /dem Lehnſtuhl ſitzend, lange, heiße und lechzende /Kuͤſſe, das große Auge voll glaͤnzender Thraͤnen, /auf ihren Mund druͤckte: gerade wie ein Ver/liebter! Die Tochter ſprach nicht, er ſprach / 1810 nicht; mit uͤber ſie gebeugtem Antlitz ſaß er, wie /uͤber das Maͤdchen ſeiner erſten Liebe, und legte /ihr den Mund zurecht, und kuͤßte ſie. Die Mut/295ter fuͤhlte ſich, wie eine Seelige; ungeſehen, wie /ſie hinter ſeinem Stuhle ſtand, ſaͤumte ſie, die /Luſt der himmelfrohen Verſoͤhnung, die ihrem /Hauſe wieder geworden war, zu ſtoͤren. Sie /nahte ſich dem Vater endlich, und ſah ihn, da /er eben wieder mit Fingern und Lippen in un/ſaͤglicher Luſt uͤber den Mund ſeiner Tochter / 1820 beſchaͤftigt war, ſich um den Stuhl herumbeu/gend, von der Seite an. Der Commendant /ſchlug, bei ihrem Anblick, das Geſicht ſchon /wieder ganz kraus nieder, nieder und wollte etwas /ſagen; doch ſie rief: sie: o was fuͤr ein Geſicht iſt /das! Gesicht! rief sie, kuͤßte es jetzt auch ihrerſeits in Ordnung, /und machte der Ruͤhrung durch Scherzen ein /Ende. Sie lud und fuͤhrte beide, die wie Braut/leute gingen, giengen, zur Abendtafel, an welcher der /Commendant zwar ſehr heiter war, aber noch / 1830 von Zeit zu Zeit ſchluchzte, wenig aß und /ſprach, auf den Teller niederſah, und mit der /Hand ſeiner Tochter ſpielte./
Nun galt es, beim Anbruch des naͤchſten Ta/ges, die Frage: Frage, wer nur, in aller Welt, morgen um /11 Uhr ſich zeigen wuͤrde; denn morgen war der /296gefuͤrchtete dritte. Dritte. Vater und Mutter, und /auch der Bruder, der ſich mit ſeiner Verſoͤh/nung eingefunden hatte, ſtimmten unbedingt, /falls die Perſon nur von einiger Ertraͤglichkeit / 1840 ſeyn sein wuͤrde, fuͤr Vermaͤhlung; Alles, was nur /immer moͤglich war, ſollte geſchehen, um die /Lage der Marquiſe gluͤcklich zu machen. Sollten /die Verhaͤltniſſe derſelben jedoch ſo beſchaffen / ſeyn, sein, daß ſie ſelbſt dann, wenn man ihnen /durch Beguͤnſtigungen zu Huͤlfe kaͤme, kommen wollte, zu weit /hinter den Verhaͤltniſſen der Marquiſe zuruͤck/blieben, ſo widerſetzten ſich die Eltern der Hei/rath; ſie beſchloſſen, die Marquiſe nach wie vor /bei ſich zu behalten, und das Kind zu adoptiren. / 1850 Die Marquiſe hingegen ſchien willens, in jedem /Falle, wenn wenn wenn [emendiert ohne Kommentarhinweis] die Perſon nur nicht ruchlos waͤre, /ihr gegebenes Wort in Erfuͤllung zu bringen, /und dem Kinde, es koſte koste, was es wolle, einen /Vater zu verſchaffen. Am Abend fragte die /Mutter, wie es denn mit dem Empfang der /Perſon gehalten werden ſolle? Der Commen/dant meinte, daß es am ſchicklichſten Schicklichsten ſeyn sein wuͤrde, /wenn man die Marquiſe um 11 Uhr allein /297ließe. Die Marquiſe hingegen beſtand darauf, / 1860 daß beide Eltern, und auch der Bruder, gegen/waͤrtig ſeyn moͤchten, indem ſie keine Art des /Geheimniſſes mit dieſer Perſon zu theilen haben /wolle. Auch meinte ſie, daß dieſer Wunſch ſo/gar in der Antwort derſelben, der Person, dadurch, daß /ſie das Haus des Commendanten zur Zuſam/menkunft vorgeſchlagen, ausgedruͤckt ſcheine; ein /Umſtand, um deſſentwillen ihr gerade dieſe Ant/wort, wie ſie frei geſtehen muͤſſe, ſehr gefallen /habe. Die Mutter bemerkte die Unſchicklichkeit / 1870 der Rollen, die der Vater und der Bruder dabei /zu ſpielen haben wuͤrden, bat die Tochter, die /Entfernung der Maͤnner zuzulaſſen, wogegen ſie /in ihren Wunſch willigen, und bei dem Empfang /der Perſon gegenwaͤrtig ſeyn sein wolle. Nach einer /kurzen Beſinnung der Tochter ward dieſer letzte /Vorſchlag endlich angenommen. Drauf nun /erſchien, nach einer, unter den geſpannteſten /Erwartungen zugebrachten, Nacht der Morgen /des gefuͤrchteten dritten. Dritten. Als die Glocke eilf / 1880 Uhr ſchlug, ſaßen beide Frauen, feſtlich, wie zur /Verlobung angekleidet, im Beſuchzimmer; das /298Herz klopfte ihnen, daß man es gehoͤrt haben /wuͤrde, wenn das Geraͤuſch des Tages geſchwie/gen haͤtte. Der eilfte Glockenſchlag ſummte /noch, als Leopardo, der Jaͤger, eintrat, den /der Vater aus Tyrol verſchrieben hatte. Die /Weiber erblaßten bei dieſem Anblick. Der Graf /F..., ſprach er, iſt vorgefahren, und laͤßt ſich /anmelden. Der Graf F...! riefen beide zu/ 1890 gleich, von einer Art der Beſtuͤrzung in die /andre geworfen. Die Marquiſe rief: Verſchließt /die Thuͤren! Wir ſind fuͤr ihn nicht zu Hauſe; /ſtand auf, das Zimmer gleich ſelbſt zu verrie/geln, und wollte eben den Jaͤger, der ihr im /Wege ſtand, hinausdraͤngen, als der Graf /ſchon, in genau demſelben Kriegsrock, mit Or/den und Waffen, wie er ſie bei der Eroberung /des Forts getragen hatte, zu ihr eintrat. Die /Marquiſe glaubte vor Verwirrung in die Erde / 1900 zu ſinken; ſie griff nach einem Tuch, das ſie /auf dem Stuhl hatte liegen laſſen, und wollte /eben in ein Seitenzimmer entfliehn; doch Frau /von G...., indem ſie die Hand derſelben er/griff, rief: Julietta — ! und wie erſtickt von /299Gedanken, ging gieng ihr die Sprache aus. Sie /heftete die Augen feſt auf den Grafen und wie/derholte: ich bitte dich, Julietta! indem ſie ſie /nach ſich zog: wen Wen erwarten wir denn — ? /Die Marquiſe rief, indem ſie ſich ploͤtzlich / 1910 wandte: nun? doch ihn nicht — ? und ſchlug /mit einem Blick funkelnd, wie ein Wetterſtrahl, /auf ihn ein, indeſſen Blaͤſſe des Todes ihr /Antlitz uͤberflog. Der Graf hatte ein Knie vor /ihr geſenkt; die rechte Hand lag auf ſeinem /Herzen, das Haupt ſanft sanft sanft [emendiert ohne Kommentarhinweis] auf ſeine Bruſt ge/beugt, lag er, und blickte hochgluͤhend vor ſich /nieder, und ſchwieg. Wen ſonſt, rief die Obri/ſtin mit beklemmter Stimme, wen ſonſt, wir /Sinnberaubten, als ihn — ? Die Marquiſe / 1920 ſtand ſtarr uͤber ihm, und ſagte: ich werde /wahnſinnig werden, meine Mutter! Du Thoͤ/rin, Thörinn, erwiederte die Mutter, zog ſie zu ſich, /und fluͤſterte ihr etwas in das Ohr. Die Mar/quiſe wandte ſich, und ſtuͤrzte, beide Haͤnde vor /das Geſicht, auf den Sopha nieder. Die Mut/ter rief: Ungluͤckliche! Was fehlt dir? Was iſt /geſchehn, worauf du nicht vorbereitet warſt? — /300Der Graf wich nicht von der Seite der Obri/ſtin; Obristinn; er faßte, immer noch auf ſeinen Knieen / 1930 liegend, den aͤußerſten Saum ihres Kleides, /und kuͤßte ihn. Liebe! Gnaͤdige! Verehrungs/wuͤrdigſte! fluͤſterte er: eine Thraͤne rollte ihm /die Wangen herab. Die Obriſtin Obristinn ſagte: ſtehn /Sie auf, Herr Graf, ſtehn Sie auf! Troͤſten /Sie jene; ſo ſind wir Alle verſoͤhnt, ſo iſt /Alles vergeben und vergeſſen. Der Graf erhob /ſich weinend. Er ließ ſich von Neuem vor der /Marquiſe nieder, er faßte leiſe ihre Hand, als /ob ſie von Gold waͤre, und der Duft der ſei/ 1940 nigen ſie truͤben koͤnnte. Doch dieſe — : gehn /Sie! gehn Sie! gehn Sie! rief ſie, indem ſie /aufſtand; auf einen Laſterhaften war ich gefaßt, gefast, /aber auf keinen — — — Teufel! oͤffnete, in/dem ſie ihm dabei, gleich einem Peſtvergifteten, /auswich, die Thuͤr des Zimmers, und ſagte: /ruft den Obriſten! Julietta! rief die Obriſtinn /mit Erſtaunen. Die Marquiſe blickte, mit toͤd/tender Wildheit, bald auf den Grafen, bald auf /die Mutter Mutter, ein; ihre Bruſt flog, ihr Antlitz / 1950 loderte: eine Furie blickt sieht nicht ſchrecklicher. Der /301Obriſt und der Forſtmeiſter kamen. Dieſem /Mann, Vater, ſprach ſie, als jene noch unter /dem Eingang waren, kann ich mich nicht ver/maͤhlen! griff in ein Gefaͤß mit Weihwaſſer, /das an der hinteren Thuͤr befeſtigt war, be/ſprengte, in einem großen Wurf, Vater und /Mutter und Bruder damit, und verſchwand./
Der Commendant, von dieſer ſeltſamen Er/ſcheinung betroffen, fragte, was vorgefallen ſey; sei; / 1960 und erblaßte, da er, in dieſem entſcheidenden /Augenblick, den Grafen F... im Zimmer er/blickte. Die Mutter nahm den Grafen bei /der Hand und ſagte: frage nicht; dieſer junge /Mann bereut von Herzen Alles, was geſchehen /iſt; gieb deinen Seegen, gieb, gieb: ſo wird /ſich Alles noch gluͤcklich endigen. Der Graf /ſtand wie vernichtet. Der Commendant legte /ſeine Hand auf ihn; ſeine Augenwimpern zuck/ten, ſeine Lippen waren weiß, wie Kreide. / 1970 Moͤge der Fluch des Himmels von dieſen Schei/teln weichen! rief er: wann gedenken Sie zu /heirathen? — Morgen, antwortete die Mut/ter fuͤr ihn, denn er konnte kein Wort hervor/302bringen, morgen oder heute, wie du willſt; /dem Herrn Grafen, der ſo viel ſchoͤne Beeife/rung gezeigt hat, ſein Vergehen wieder gut zu /machen, wird immer die naͤchſte Stunde die /liebſte ſeyn. sein. — So habe ich das Vergnuͤgen, /Sie morgen um 11 Uhr in der Auguſtinerkirche / 1980 zu finden! ſagte der Commendant; verneigte /ſich gegen ihn, rief Frau und Sohn ab, um /ſich in das Zimmer der Marquiſe zu verfuͤgen, /und ließ ihn ſtehen./
Man bemuͤhte ſich vergebens, von der Mar/quiſe den Grund ihres ſonderbaren Betragens /zu erfahren; ſie lag im heftigſten Fieber, wollte /durchaus von Vermaͤhlung nichts wiſſen, und /bat, ſie allein zu laſſen. Auf die Frage: warum /ſie denn ihren Entſchluß ploͤtzlich geaͤndert habe? / 1990 und was ihr den Grafen gehaͤſſiger mache, als /einen andern? Anderen? ſah ſie den Vater mit großen Au/gen zerſtreut großen, zerstreuten Augen an, und antwortete nichts. Die / Obriſtin Obristinn ſprach: ob ſie vergeſſen habe, daß ſie /Mutter ſey? sei? worauf ſie erwiederte, daß ſie, in /dieſem Falle, mehr an ſich, als ihr Kind, den/ken muͤſſe, und nochmals, indem ſie alle Engel /303und Heiligen zu Zeugen anrief, verſicherte, daß /ſie nicht heirathen wuͤrde. Der Vater, der ſie /offenbar in einem uͤberreizten Gemuͤthszuſtande / 2000 ſah, erklaͤrte, daß ſie ihr Wort halten muͤſſe; /verließ ſie, und ordnete Alles, nach gehoͤriger /ſchriftlicher Ruͤckſprache gehöriger Rücksprache schriftlich mit dem Grafen, zur Ver/maͤhlung an. Er legte demſelben einen Heiraths/kontrakt Heirathscontract vor, in welchem dieſer auf alle Rechte /eines Gemahls Verzicht that, dagegen ſich zu /allen Pflichten, die man von ihm fordern wuͤrde, /verſtehen ſollte. Der Graf ſandte das Blatt, /ganz von Thraͤnen durchfeuchtet, mit ſeiner Un/terſchrift zuruͤck. Als der Commendant am an/ 2010 dern Morgen der Marquiſe dieſes Papier uͤber/reichte, hatten ſich ihre Geiſter ein wenig beru/higt. Sie durchlas es, noch im Bette ſitzend, /mehrere Male, legte es ſinnend zuſammen, oͤff/nete es, und durchlas es wieder; und erklaͤrte /hierauf, daß ſie ſich um 11 Uhr in der Auguſti/nerkirche einfinden wuͤrde. Sie ſtand auf, zog /ſich, ohne ein Wort zu ſprechen, an, ſtieg, als /die Glocke ſchlug, mit allen Ihrigen in den Wa/gen, Wagen und fuhr dahin ab./ 2020
304Erſt an dem Portal der Kirche war es dem /Grafen erlaubt, ſich an die Familie anzuſchlie/ßen. Die Marquiſe ſah, waͤhrend der Feier/lichkeit, ſtarr auf das Altarbild; nicht ein fluͤch/tiger Blick ward dem Manne zu Theil, mit /welchem ſie die Ringe wechſelte. Der Graf bot /ihr, als die Trauung voruͤber vorbei war, den Arm; /doch ſobald ſie wieder aus der Kirche heraus wa/ren, verneigte ſich die Graͤfin Gräfinn vor ihm: der /Commendant fragte, ob er die Ehre haben wuͤr/ 2030 de, ihn zuweilen in den Gemaͤchern ſeiner Toch/ter zu ſehen, sehn worauf der Graf etwas ſtammelte, /das niemand verſtand, den Huth vor der Ge/ſellſchaft abnahm, und verſchwand. verchwand. Er bezog /eine Wohnung in M..., in welcher er mehrere /Monate zubrachte, ohne auch nur den Fuß in /des Commendanten Haus zu ſetzen, bei welchem /die Graͤfin Gräfinn zuruͤckgeblieben war. Nur ſeinem /zarten, wuͤrdigen und voͤllig muſterhaften Be/tragen uͤberall, wo er mit der Familie in irgend / 2040 eine Beruͤhrung kam, hatte er es zu verdanken, /daß er, nach der nunmehr erfolgten Entbindung /der Graͤfin Gräfinn von einem jungen Sohne, zur Taufe /305desſelben eingeladen ward. Die Graͤfin, Gräfinn, die, mit/ Teppichen bedeckt, auf dem Wochenbette ſaß, /ſah ihn nur auf einen Augenblick, da er unter /die Thuͤr trat, und ſie von weitem Weitem ehrfurchts/voll gruͤßte. Er warf unter den Geſchenken, /womit die Gaͤſte den Neugebohrnen bewillkomm/ten, zwei Papiere auf die Wiege desſelben, deren / 2050 eines, Eines, wie ſich nach ſeiner Entfernung auswies, /eine Schenkung von 20000 Rubel an den Kna/ben, und das andere Andere ein Teſtament war, in /dem er die Mutter, falls er ſtuͤrbe, zur Erbin Erbinn /ſeines ganzen Vermoͤgens einſetzte. Von dieſem /Tage an ward er, auf Veranſtaltung der Frau /von G..., oͤfter eingeladen; ward er öfter eingeladen; das Haus ſtand ſei/nem Eintritt offen, es verging vergieng bald kein Abend, /da er ſich nicht darin gezeigt haͤtte. Er fing, fieng, da /ſein Gefuͤhl ihm ſagte, daß ihm von allen Sei/ 2060 ten, um der gebrechlichen Einrichtung der Welt /willen, verziehen ſey, sei, ſeine Bewerbung um die / Graͤfin, Gräfinn, ſeine Gemahlinn, von neuem Neuem an, er/hielt, nach Verlauf eines Jahres, ein zweites /Jawort von ihr, und auch eine zweite Hochzeit /ward gefeiert, froher, als die erſte, nach deren /306Abſchluß die ganze Familie nach V... hinauszog. /Eine ganze Reihe von jungen Ruſſen folgte folgten /jetzt noch dem erſten; und da der Graf, in einer /gluͤcklichen Stunde, ſeine Frau einſt fragte, war/ 2070 um ſie, an jenem fuͤrchterlichen dritten, Dritten, da ſie /auf jeden Laſterhaften gefaßt ſchien, gewesen war, vor ihm, /gleich einem Teufel, geflohen waͤre, antwor/tete ſie, indem ſie ihm um den Hals fiel: er /wuͤrde ihr damals nicht wie ein ein Teufel erſchienen / ſeyn, sein, wenn er ihr nicht, bei ſeiner erſten Erſchei/nung, wie ein Engel vorgekommen waͤre./