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  • Die Marquise von O....

Die Marquise von O....

Textwiedergabe  nach Erzählungen:1810.

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216Faksimile

Die Marquiſe von O....

In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen
Italien, ließ die verwittwete Marquiſe von
O...., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und
Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, 5
durch die Zeitungen bekannt machen: daß ſie,
ohne ihr Wiſſen, in andre Umſtaͤnde gekommen
ſey, sey; daß der Vater zu dem Kinde, das ſie ge⸗
baͤhren
wuͤrde, ſich melden ſolle; und daß ſie,
aus Familien-Ruͤckſichten, entſchloſſen waͤre, 10
ihn zu heirathen.
Die Dame, die einen ſo ſon⸗
derbaren
, den Spott der Welt reizenden Schritt,
beim Drang unabaͤnderlicher Umſtaͤnde, mit
ſolcher dieser Sicherheit that, war die Tochter des
Herrn von G...., Commendanten der Citadelle 15
bei M.... M.
Sie hatte, vor ungefaͤhr ohngefähr drei Jah⸗
ren
, ihren Gemahl, den Marquis von O....,
dem ſie auf das Innigſte und Zaͤrtlichſte zugethan
217Faksimilewar, auf einer Reiſe verloren, die er, in Ge⸗
ſchaͤften
der Familie, nach Paris gemacht hatte. 20
Auf Frau von G....s, ihrer wuͤrdigen Mutter,
Wunſch, hatte ſie, nach ſeinem Tode, den Land⸗
ſitz
verlaſſen, den ſie bisher bei V.... bewohnt
hatte, und war, mit ihren beiden Kindern, in
das Commendantenhaus, zu ihrem Vater, zuruͤck⸗25
gekehrt
. Hier hatte ſie die naͤchſten Jahre Jahre, mit
Kunſt, Lectuͤre, mit Erziehung, und ihrer El⸗
tern
Pflege beſchaͤftigt, in der groͤßten Eingezo⸗
genheit
zugebracht: bis der .... Krieg ploͤtzlich
die Gegend umher mit den Truppen faſt aller 30
Maͤchte Mächte, und auch mit ruſſiſchen russischen, erfuͤllte.
Der
Obriſt von G...., welcher den Platz zu verthei⸗
digen
Ordre hatte, forderte ſeine Gemahlinn und
ſeine Tochter auf, ſich auf das Landgut, entwe⸗
der
der letzteren, Letzteren, oder ſeines Sohnes, das bei 35
V.... lag, zuruͤckzuziehen.
Doch ehe ſich die
Abſchaͤtzung noch, hier der Bedraͤngniſſe, denen
man in der Feſtung, dort der Graͤuel, denen
man auf dem platten Lande ausgeſetzt ſeyn sein
konnte, auf der Waage der weiblichen Ueberle⸗40
gung
entſchieden hatte: war die Citadelle von
218Faksimileden ruſſiſchen Truppen ſchon berennt, und auf⸗
gefordert
, ſich zu ergeben.
Der Obriſt erklaͤrte
gegen ſeine Familie, daß er ſich nunmehr ver⸗
halten
wuͤrde, als ob ſie nicht vorhanden waͤre; 45
und antwortete mit Kugeln und Granaten.
Der
Feind, ſeinerſeits, bombardirte die Citadelle.
Er ſteckte die Magazine in Brand, eroberte ein
Außenwerk, und als der Commendant, nach
einer nochmaligen Aufforderung, mit noch mit der Ueber⸗50
gabe
zauderte, ſo ordnete er einen naͤchtlichen
Ueberfall an, und eroberte die Feſtung mit
Sturm.

Eben als die ruſſiſchen Truppen, unter einem
heftigen Haubitzenſpiel, von außen eindrangen, 55
fing fieng der linke Fluͤgel des Commendanten-Hauſes Commendantenhauses
Feuer und noͤthigte die Frauen, ihn zu verlaſſen.
Die Obriſtin, Obristinn, indem ſie der Tochter, die mit
den Kindern die Treppe hinabfloh, nacheilte, rief,
daß man zuſammenbleiben, und ſich in die un60
teren
untern
Gewoͤlbe fluͤchten moͤchte; doch eine Gra⸗
nate
, die, eben in dieſem Augenblicke, in dem
Hauſe zerplatzte, vollendete die gaͤnzliche Ver⸗
wirrung
in demſelben. derselben.
Die Marquiſe kam, mit
219Faksimileihren beiden Kindern, auf den Vorplatz des 65
Schloſſes, wo die Schuͤſſe ſchon, im heftigſten
Kampf, durch die Nacht blitzten, und ſie, be⸗
ſinnungslos
, wohin ſie ſich wenden ſolle, wieder
in das brennende Gebaͤude zuruͤckjagten.
Hier,
ungluͤcklicher Weiſe, begegnete ihr, da ſie eben 70
durch die eine Hinterthuͤr entſchluͤpfen wollte, ein
Trupp feindlicher Scharfſchuͤtzen, der, bei ihrem
Anblick, ploͤtzlich ſtill ward, die Gewehre uͤber
die Schultern hing, hieng, und ſie, unter abſcheulichen
Gebaͤhrden, mit ſich fortfuͤhrte.
Vergebens rief 75
die Marquiſe, von der entſetzlichen, ſich unter
einander ſelbſt bekaͤmpfenden, Rotte bald hier,
bald dorthin gezerrt, ihre zitternden, durch die
Pforte zuruͤckfliehenden Frauen, zu Huͤlfe.
Man
ſchleppte ſie in den hinteren Schloßhof, wo ſie 80
eben, unter den ſchaͤndlichſten Mißhandlungen,
zu Boden ſinken wollte, als, von dem Zeterge⸗
ſchrei
der Dame herbeigerufen, ein ruſſiſcher
Officier erſchien, und die Hunde, die nach ſol⸗
chem
Raub luͤſtern waren, mit wuͤthenden Hie⸗85
ben
zerſtreute.
Der Marquiſe ſchien er ein En⸗
gel
des Himmels zu ſeyn. sein.
Er ſtieß noch dem
220Faksimileletzten viehiſchen Mordknecht, der ihren ſchlan⸗
ken
Leib umfaßt hielt, mit dem Griff des De⸗
gens
ins Geſicht, daß er, mit aus dem Mund 90
vorquellendem Blut, zuruͤcktaumelte; bot dann bot
der Dame, unter einer verbindlichen, franzoͤſiſchen
Anrede den Arm, Arm; und fuͤhrte ſie, die von allen
ſolchen Auftritten ſprachlos war, in den anderen,
von der Flamme noch nicht ergriffenen, Fluͤgel 95
des Pallaſtes, wo ſie auch voͤllig bewußtlos nie⸗
derſank
.
Hier — traf er, da bald darauf ihre
erſchrockenen Frauen erſchienen, Anſtalten, einen
Arzt zu rufen; verſicherte, indem er ſich den
Hut aufſetzte, daß ſie ſich bald erholen wuͤrde; 100
und kehrte in den Kampf zuruͤck.

Der Platz war in kurzer Zeit voͤllig erobert,
und der Commendant, der ſich nur noch wehrte,
weil man ihm keinen Pardon geben wollte, zog
ſich eben mit ſinkenden Kraͤften nach dem Portal 105
des Hauſes zuruͤck, als der ruſſiſche Officier,
ſehr erhitzt im Geſicht, aus demſelben hervor⸗
trat
, und ihm zurief, ſich zu ergeben.
Der
Commendant antwortete, daß er auf dieſe Auf⸗
forderung
nur gewartet habe, reichte ihm ſeinen 110
221FaksimileDegen dar, und bat ſich die Erlaubniß aus,
ſich ins Schloß begeben, begeben und nach ſeiner Familie
umſehen zu duͤrfen.
Der ruſſiſche Officier, der,
nach der Rolle zu urtheilen, die er ſpielte,
Einer der Anfuͤhrer des Sturms zu ſeyn sein 115
ſchien, gab ihm, unter Begleitung einer Wache,
dieſe Freiheit; ſetzte ſich, mit einiger Eilfer⸗
tigkeit,
an die Spitze eines Detaſchements,
entſchied, wo er noch zweifelhalft zweifelhaft zweifelhaft zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] ſeyn sein moch⸗
te
, den Kampf, und bemannte ſchleunigſt die 120
feſten Punkte Puncte des Forts.
Bald darauf kehrte
er auf den Waffenplatz zuruͤck, gab Befehl, der
Flamme, welche wuͤthend um ſich zu greifen an⸗
fing,
anfieng,
Einhalt zu thun, und leiſtete ſelbſt hierbei
Wunder der Anſtrengung, als man ſeine Be⸗125
fehle
nicht mit dem gehoͤrigen Eifer befolgte.
Bald kletterte er, den Schlauch in der Hand,
mitten unter brennenden Giebeln umher, und
regierte den Waſſerſtrahl; bald ſteckte er, die
Naturen der Asiaten mit Schaudern erfuͤllend, 130
in den Arſenaͤlen, und waͤlzte Pulverfaͤſſer und
gefuͤllte Bomben heraus.
Der Kommandant, Commendant,
der inzwiſchen in das Haus getreten war, ge⸗
222Faksimilerieth
auf die Nachricht von dem Unfall, der die
Marquiſe betroffen hatte, in die aͤußerſte Beſtuͤr⸗135
zung
. Die Marquiſe, die ſich ſchon voͤllig, ohne
Beihuͤlfe des Arztes, wie der ruſſiſche Officier
vorher geſagt hatte, aus ihrer Ohnmacht wieder
erholt hatte, und bei der Freude, alle die Ihri⸗
gen
geſund und wohl zu ſehen, nur noch, um die die 140
uͤbermaͤßige Sorge derſelben zu beſchwichtigen,
das Bett huͤtete, verſicherte ihn, daß ſie keinen
andern Wunſch habe, als aufſtehen zu duͤrfen,
um ihrem Retter ihre Dankbarkeit zu bezeugen.
Sie wußte ſchon, daß er der Graf F..., Obriſt⸗145
lieutenant
vom t...n Jaͤgerkorps, Jägercorps, und Ritter
eines Verdienſt- und mehrerer anderen Orden
war.
Sie bat ihren Vater, ihn inſtaͤndigſt zu
erſuchen, daß er die Citadelle nicht verlaſſe, ohne
ſich einen Augenblick im Schloß gezeigt zu ha⸗150
ben
. Der Commendant, der das Gefuͤhl ſei⸗
ner
Tochter ehrte, kehrte auch ungeſaͤumt in das
Fort zuruͤck, und trug ihm, da er unter unauf⸗
hoͤrlichen
Kriegsanordnungen umherſchweifte,
und keine beſſere Gelegenheit zu finden war, auf 155
den Waͤllen, wo er eben die zerſchoſſenen Rot⸗
223Faksimileten
revidirte, den Wunſch ſeiner geruͤhrten Toch⸗
ter
vor.
Der Graf verſicherte ihn, daß er nur
auf den Augenblick warte, den er ſeinen Geſchaͤf⸗
ten
wuͤrde abmuͤßigen koͤnnen, um ihr ſeine Ehr⸗160
erbietigkeit
zu bezeugen.
Er wollte noch hoͤren,
wie ſich die Frau Marquiſe befinde? als ihn die
Rapporte mehrer mehrerer mehrerer [emendiert] mehrerer [emendiert]
Officiere ſchon wieder in das
Gewuͤhl des Krieges zuruͤckriſſen. Als der Tag
anbrach, erſchien der Befehlshaber der ruſſiſchen 165
Truppen, und beſichtigte das Fort.
Er bezeugte
dem Kommandanten Commendanten ſeine Hochachtung, be⸗
dauerte
, daß das Gluͤck ſeinen Muth nicht beſſer
unterſtuͤtzt habe, und gab ihm, auf ſein Ehren⸗
wort
, die Freiheit, ſich hinzubegeben, wohin er 170
wolle.
Der Kommandant Commendant verſicherte ihn ſeiner
Dankbarkeit, und aͤußerte, wie viel er, an dieſen dieſem diesem
Tage, den Ruſſen uͤberhaupt, und beſonders dem
jungen Grafen F..., Obriſtlieutenant vom
t...n Jaͤgerkorps, Jägercorps, ſchuldig geworden ſey. sei.
Der 175
General fragte, was vorgefallen ſey; sei; und als
man ihn von dem frevelhaften Anſchlag auf die
Tochter desſelben unterrichtete, zeigte er ſich auf
das Aeußerſte entruͤſtet.
Er rief den Grafen
224FaksimileF... bei Namen vor.
Nachdem er ihm zuvoͤr⸗180
derſt
wegen ſeines eignen edelmuͤthigen Verhal⸗
tens
eine kurze Lobrede gehalten hatte: wobei
der Graf uͤber das ganze Geſicht roth ward;
ſchloß er, daß er die Schandkerle, die den Na⸗
men
des Kaiſers brandmarkten, niederſchießen 185
laſſen wolle; und befahl ihm, zu ſagen, wer ſie
ſeien?
Der Graf F... antwortete, in einer ver⸗
wirrten
Rede, daß er nicht im Stande ſey, sei, ihre
Namen anzugeben, indem es ihm, bei dem
ſchwachen Schimmer der Reverberen im Schloß⸗190
hof
, unmoͤglich geweſen waͤre, ihre Geſichter zu
erkennen.
Der General, welcher gehoͤrt hatte,
daß damals ſchon das Schloß in Flammen ſtand,
wunderte ſich daruͤber; er bemerkte, wie man
wohl bekannte wohlbekannte Leute in der Nacht an ihren Stim⸗195
men
erkennen koͤnnte; und gab ihm, da er mit
einem verlegenen Geſicht die Achſeln zuckte, auf,
der Sache auf das allereifrigſte Allereifrigste und ſtrengſte Strengste
nachzuſpuͤren.
In dieſem Augenblick berichtete
jemand, der ſich aus dem hintern Kreiſe hervor⸗200
draͤngte
, daß Einer von den, durch den Grafen
F... verwundeten, Frevlern, da er in dem
Cor⸗225FaksimileCorridor niedergeſunken, von den Leuten des
Commendanten in ein Behaͤltniß geſchleppt wor⸗
den
, und darin noch befindlich ſey. sei.
Der Gene⸗205
ral
ließ dieſen hierauf durch eine Wache herbei⸗
fuͤhren
, ein kurzes Verhoͤr uͤber ihn halten;
und die ganze Rotte, nachdem jener er ſie genannt
hatte, fuͤnf an der Zahl zuſammen, erſchießen.
Dies abgemacht, gab der General, nach Zuruͤck⸗210
laſſung
einer kleiner kleinen kleinen Beſatzung, Befehl zum all⸗
gemeinen
Aufbruch der uͤbrigen Truppen; die
Officiere zerſtreuten ſich eiligſt zu ihren Corps;
der Graf trat, durch die Verwirrung der Aus⸗
einander
-Eilenden, zum Commendanten, Commandanten, und 215
bedauerte, daß er ſich der Frau Marquiſe, Marquise unter
dieſen Umſtaͤnden, Umständen gehorſamſt empfehlen muͤſſe:
und in weniger, als einer Stunde, war das
ganze Fort von Ruſſen wieder leer.

Die Familie dachte nun darauf, wie ſie sie, in 220
der Zukunft Zukunft, eine Gelegenheit finden wuͤrde, dem
Grafen irgend eine Aeußerung ihrer Dankbarkeit
zu geben; doch wie groß war ihr Schrecken, als
ſie erfuhr, daß derſelbe noch am Tage ſeines Auf⸗
bruchs
aus dem Fort, in einem Gefecht mit den 225
Kleiſts Erzaͤhl.P226Faksimilefeindlichen Truppen, ſeinen Tod gefunden habe.
Der Courier, der dieſe Nachricht nach M...
brachte, hatte ihn mit eignen Augen, toͤdtlich
durch die Bruſt geſchoſſen, nach P.... tragen
ſehen, wo er, wie man ſichere Nachricht hatte, 230
in dem Augenbick, Augenblick, Augenblick, Augenblick, [emendiert ohne Kommentarhinweis] da ihn die Traͤger von den
Schultern nehmen wollten, verblichen war.
Der
Commendant, Commandant, der ſich ſelbſt auf das Poſthaus
verfuͤgte, und ſich nach den naͤheren Umſtaͤnden
dieſes Vorfalls erkundigte, erfuhr noch, daß er 235
auf dem Schlachtfeld, in dem Moment, da ihn
der Schuß traf, gerufen habe: hatte: „Julietta! Dieſe
Kugel raͤcht dich!” [Sentenz ohne An- und Abführungszeichen] und nachher ſeine Lippen auf
immer geſchloſſen haͤtte. hatte.
Die Marquiſe war un⸗
troͤſtlich
, daß ſie die Gelegenheit hatte vorbeigehen 240
laſſen, ſich zu ſeinen Fuͤßen zu werfen.
Sie
machte ſich die lebhafteſten Vorwuͤrfe, daß ſie
ihn, bei ſeiner, vielleicht aus Beſcheidenheit, wie
ſie meinte, herruͤhrenden Weigerung, im Schloſſe
zu erſcheinen, nicht ſelbſt aufgeſucht habe; be⸗245
dauerte
die Ungluͤckliche, ihre Namensſchweſter,
an die er noch im Tode gedacht hatte; bemuͤhte
ſich vergebens, ihren Aufenthalt zu erforſchen,
227Faksimileum ſie von dieſem ungluͤcklichen und ruͤhrenden
Vorfall zu unterrichten; und mehrere Monden 250
vergingen, vergiengen, ehe ſie ſelbſt ihn vergeſſen konnte.

Die Familie mußte nun das Commendanten⸗
haus
Commandantenhaus
raͤumen, um dem ruſſiſchen Befehlshaber
darin Platz zu machen.
Man uͤberlegte stritt anfangs,
ob man ſich nicht auf die Guͤter des Commen⸗255
danten
begeben ſollte, wozu die Marquiſe einen
großen Hang hatte; doch da der Obriſt das Land⸗
leben
nicht liebte, ſo bezog die Familie ein Haus
in der Stadt, und richtete ſich dasſelbe zu einer
immerwaͤhrenden Wohnung ein.
Alles kehrte 260
nun in die alte Ordnung der Dinge zuruͤck. zurück:
Die die
Marquiſe knuͤpfte den lange unterbrochenen Un⸗
terricht
ihrer Kinder wieder an, und ſuchte, fuͤr
die Feierſtunden, ihre Staffelei und Buͤcher her⸗
vor
: als ſie ſich, ſonſt die Goͤttin Göttinn der Geſund⸗265
heit
ſelbſt, von wiederholten Unpaͤßlichkeiten be⸗
fallen
fuͤhlte, die ſie sie, ganze Wochen lang, fuͤr die
Geſellſchaft untauglich machten.
Sie litt an
Uebelkeiten, Schwindeln und Ohnmachten, und
wußte nicht, was ſie aus dieſem ſonderbaren Zu⸗270
ſtand
machen ſolle.
Eines Morgens, da die
P 2228FaksimileFamilie beim Thee ſaß, und der Vater ſich, auf
einen Augenblick, aus dem Zimmer entfernt hat⸗
te
, ſagte die Marquiſe, aus einer langen Ge⸗
dankenloſigkeit
erwachend, zu ihrer Mutter: 275
wenn mir eine Frau ſagte, daß ſie ein Gefuͤhl
haͤtte, eben ſo, wie ich jetzt, da ich die Taſſe er⸗
griff
, ſo wuͤrde ich bei mir denken, daß ſie in ge⸗
ſegneten
Leibesumſtaͤnden waͤre.
Frau von G....
ſagte, ſie verſtaͤnde ſie nicht.
Die Marquiſe er⸗280
klaͤrte
ſich noch einmal, daß ſie eben jetzt eine
Sensation gehabt haͤtte, wie damals, als ſie
mit ihrer zweiten Tochter ſchwanger war.
Frau
von G.... ſagte, ſie wuͤrde vielleicht den Phan⸗
taſus
gebaͤhren, und lachte.
Morpheus Der Traum wenig⸗285
ſtens
, verſetzte die Marquiſe, oder einer der
Traͤume aus ſeinem Gefolge,
[fehlt]
wuͤrde ſein Vater
ſeyn; sein; und ſcherzte gleichfalls. Doch der Obriſt
kam, das Geſpraͤch ward abgebrochen, und der
ganze Gegenſtand, da die Marquiſe ſich in eini⸗290
gen
Tagen wieder erholte, vergeſſen.

Bald darauf ward der Familie, eben zu einer
Zeit, da ſich auch der Forſtmeiſter von G....,
des Commendanten Sohn, in dem Hauſe ein⸗
229Faksimilegefunden
hatte, der ſonderbare Schrecken, durch 295
einen Kammerdiener, der ins in‘s Zimmer trat, den
Grafen F... anmelden zu hoͤren.
Der Graf
F...! ſagte der Vater und die Tochter zugleich;
und das Erſtaunen machte alle Alle ſprachlos.
Der
Kammerdiener verſicherte, daß er recht geſehen 300
und gehoͤrt habe, habe; und daß der Graf ſchon im
Vorzimmer ſtehe, und warte.
Der Commen⸗
dant
ſprang ſogleich ſelbſt auf, ihm zu oͤffnen,
worauf er, ſchoͤn, wie ein junger Gott, ein
wenig bleich im Geſicht, eintrat.
Nachdem die 305
Scene unbegreiflicher Verwunderung voruͤber
war, und der Graf, auf die Anſchuldigung der
Eltern, daß er ja todt ſey, sei, verſichert hatte, daß
er lebe; wandte er ſich, mit vieler Ruͤhrung im
Geſicht, zur Tochter, und ſeine erſte Frage war 310
gleich, wie ſie ſich befinde?
Die Marquiſe ver⸗
ſicherte
, ſehr wohl, und wollte nur wiſſen, wie
er ins in’s Leben erſtanden ſey? sei?
Doch er, [nicht gesperrt] auf ſei⸗
nem
seinen
Gegenſtand beharrend, erwiederte: daß ſie
ihm nicht die Wahrheit ſage; auf ihrem Antlitz 315
druͤcke ſich eine ſeltſame Mattigkeit aus; ihn
muͤſſe Alles truͤgen, oder ſie ſey sei unpaͤßlich, und
230Faksimileleide.
Die Marquiſe, durch die Herzlichkeit,
womit er dies vorbrachte, gut geſtimmt, ver⸗
ſetzte
: nun ja; ja, dieſe Mattigkeit, wenn er wolle, 320
koͤnne fuͤr die Spur einer Kraͤnklichkeit gelten,
an welcher ſie vor einigen Wochen gelitten haͤtte;
ſie fuͤrchte inzwiſchen nicht, daß dieſe weiter von
Folgen ſeyn sein wuͤrde.
Worauf er, mit einer auf⸗
flammenden
Freude, erwiederte: er auch nicht! 325
und hinzuſetzte, ob ſie ihn heirathen wolle?
Die
Marquiſe wußte nicht, was ſie von dieſer Auf⸗
fuͤhrung
denken ſolle.
Sie ſah, uͤber und uͤber
roth, ihre Mutter, und dieſe, mit Verlegen⸗
heit
, den Sohn und den Vater an; waͤhrend 330
der Graf vor die Marquiſe trat, und indem er
ihre Hand nahm, als ob er ſie kuͤſſen wollte, wolle,
wiederholte: ob ſie ihn verſtanden haͤtte?
Der
Commendant ſagte: ob er nicht Platz nehmen
wolle; und ſetzte ihm, auf eine verbindliche, ob⸗335
ſchon
etwas ernſthafte, Art einen Stuhl hin.

Die Obriſtinn ſprach: in der That, wir werden
glauben, daß Sie ein Geiſt ſind, bis Sie uns
werden eroͤffnet haben, wie Sie aus dem Grabe,
in welches man Sie zu P... gelegt hatte, er⸗340
231Faksimileſtanden
ſind.
Der Graf ſetzte ſich, indem er
die Hand der Dame fahren ließ, nieder, und
ſagte, daß er, durch die Umſtaͤnde gezwungen,
ſich ſehr kurz faſſen muͤſſe; daß er, toͤdtlich toͤdlich durch
die Bruſt geſchoſſen, nach P... gebracht worden 345
waͤre; daß er mehrere Monate daſelbſt an ſeinem
Leben verzweifelt haͤtte; daß waͤhrend deſſen die
Frau Marquiſe ſein einziger Gedanke geweſen
waͤre; daß er die Luſt und den Schmerz nicht
beſchreiben koͤnnte, die ſich in dieſer Vorſtellung 350
umarmt haͤtten; daß er endlich, nach ſeiner
Wiederherſtellung, wieder zur Armee gegangen
waͤre; daß er daſelbſt die lebhafteſte Unruhe em⸗
pfunden
haͤtte; daß er mehrere Male die Feder
ergriffen, um in einem Briefe, an den Herrn 355
Obriſten und die Frau Marquiſe, ſeinem Her⸗
zen
Luft zu machen; daß er ploͤtzlich mit Depe⸗
ſchen
nach Neapel geſchickt worden waͤre; daß
er nicht wiſſe, ob er nicht von dort weiter nach
Conſtantinopel werde abgeordert werden; daß er 360
vielleicht gar nach St. Petersburg werde gehen
muͤſſen; daß ihm inzwiſchen unmoͤglich waͤre,
laͤnger zu leben, ohne uͤber eine nothwendige
232FaksimileForderung ſeiner Seele ins Reine zu ſeyn; sein; daß
er dem Drang bei ſeiner Durchreiſe durch M..., 365
einige Schritte zu dieſem Zweck zu thun, nicht
habe widerſtehen koͤnnen; kurz, daß er den
Wunſch hege, mit der Hand der Frau Mar⸗
quiſe
begluͤckt zu werden, und daß er auf das
ehrfurchtsvollſte, Ehrfurchtsvollste, inſtaͤndigſte Inständigste und dringendſte Dringendste 370
bitte, ſich ihm hieruͤber guͤtig zu erklaͤren. —
Der Commendant, nach einer langen Pauſe,
erwiederte: daß ihm dieſer Antrag zwar, wenn
er, wie er nicht zweifle, ernſthaft gemeint ſey, sei,
ſehr ſchmeichelhaft waͤre.
Bei dem Tode ihres 375
Gemahls, des Marquis von O..., haͤtte ſich
ſeine Tochter aber entſchloſſen, in keine zweite
Vermaͤhlung einzugehen.
Da ihr jedoch kuͤrzlich
von ihm eine ſo große Verbindlichkeit auferlegt
worden ſey: sei: ſo waͤre es nicht unmoͤglich, daß 380
ihr Entſchluß dadurch, ſeinen Wuͤnſchen gemaͤß,
eine Abaͤnderung erleide; er bitte ſich inzwiſchen
die Erlaubniß fuͤr ſie aus, daruͤber im Stillen
waͤhrend einiger Zeit nachdenken zu duͤrfen.
Der
Graf verſicherte, daß dieſe guͤtige Erklaͤrung 385
zwar alle ſeine Hoffnungen befriedige; daß ſie
233Faksimileihn, unter anderen Umſtaͤnden, auch voͤllig
begluͤcken wuͤrde; daß er die ganze Unſchicklich⸗
keit
fuͤhle, ſich mit derſelben nicht zu beruhigen:
daß dringende Verhaͤltniſſe jedoch, uͤber welche 390
er ſich naͤher auſzulaſſen nicht im Stande ſey, sei,
ihm eine beſtimmtere Erklaͤrung aͤußerſt wuͤn⸗
ſchenswerth
machten; daß die Pferde, die ihn
nach Neapel tragen ſollten, vor ſeinem Wagen
ſtuͤnden; und daß er inſtaͤndigſt bitte, wenn 395
irgend etwas in dieſem Hauſe guͤnſtig fuͤr ihn
ſpreche, — wobei er die Marquiſe anſah —
ihn nicht, ohne eine guͤtige Aeußerung daruͤber,
abreiſen zu laſſen.
Der Obriſt, durch dieſe Auf⸗
fuͤhrung
ein wenig betreten, antwortete, daß 400
die Dankbarkeit, die die Marquiſe fuͤr ihn em⸗
pfaͤnde
, ihn zwar zu großen Vorausſetzungen
berechtige: berechtige; doch nicht zu ſo großen; großen, ſie werde
bei einem Schritte, bei welchem es das Gluͤck
ihres Lebens gelte, nicht ohne ohne die gehoͤrige Klugheit 405
verfahren.
Es waͤre unerlaßlich, daß ſeiner
Tochter, bevor ſie ſich erklaͤre, das Gluͤck ſeiner
naͤheren Bekanntſchaft wuͤrde.
Er lade ihn ein,
nach Vollendung ſeiner Geſchaͤftsreiſe, nach
234FaksimileM... zuruͤckzukehren, und auf einige Zeit der 410
Gaſt ſeines Hauſes zu ſeyn. sein.
Wenn alsdann die
Frau Marquiſe hoffen koͤnne, durch ihn gluͤck⸗
lich
zu werden, ſo werde auch er, eher aber nicht, so werde er, doch eher nicht,
mit Freuden vernehmen, daß ſie ihm eine be⸗
ſtimmte
Antwort gegeben habe.
Der Graf 415
aͤußerte, indem ihm eine Roͤthe ins in’s Geſicht ſtieg,
daß er ſeinen ungeduldigen Wuͤnſchen, waͤhrend
ſeiner ganzen Reiſe, dies Schickſal vorausge⸗
ſagt
habe; daß er ſich inzwiſchen dadurch in die
aͤußerſte Bekuͤmmerniß geſtuͤrzt ſehe; daß ihm, 420
bei der unguͤnſtigen Rolle, die er eben jetzt zu
ſpielen gezwungen ſey, sei, eine naͤhere Bekannt⸗
ſchaft
nicht anders anders, als vortheilhaft vortheilhaft, ſeyn sein koͤnne;
daß er fuͤr ſeinen Ruf, wenn anders dieſe zwei⸗
deutigſte
aller Eigenſchaften in Erwaͤgung gezo⸗425
gen
werden ſolle, einſtehen zu duͤrfen glaube;
daß die einzige nichtswuͤrdige Handlung, die er
in ſeinem Leben begangen haͤtte, der Welt unbe⸗
kannt
, und er ſchon im Begriff ſey, sei, ſie wieder
gut zu machen; daß er, mit einem Wort, ein 430
ehrlicher Mann ſey, sei, und die Verſicherung anzu⸗
nehmen
bitte, daß dieſe Verſicherung wahrhaftig
235Faksimile ſey. sei.
— Der Commendant erwiederte, indem er
ein wenig, obſchon ohne Ironie, laͤchelte, daß
er alle dieſe Aeußerungen unterſchreibe.
Noch 435
haͤtte er keines jungen Mannes Bekanntſchaft
gemacht, der, in ſo kurzer Zeit, ſo viele vor⸗
treffliche
Eigenſchaften des Characters entwickelt
haͤtte.
Er glaube faſt, daß eine kurze Bedenk⸗
zeit
die Unſchluͤſſigkeit, die noch obwalte, heben 440
wuͤrde; bevor er jedoch Ruͤckſprache genommen
haͤtte, mit ſeiner ſowohl, als des Herrn Grafen
Familie, koͤnne keine andere Erklaͤrung, als die
gegebene, erfolgen.
Hierauf aͤußerte der Graf,
daß er ohne Eltern Eltern, und frei ſey. sei.
Sein Onkel 445
ſey sei der General K..., fuͤr deſſen Einwilligung
er ſtehe.
Er ſetzte hinzu, daß er Herr eines
anſehnlichen Vermoͤgens waͤre, und ſich wuͤrde
entſchließen koͤnnen, Italien zu ſeinem Vater⸗
lande
zu machen.
— Der Commendant machte 450
ihm eine verbindliche Verbeugung, erklaͤrte ſei⸗
nen
Willen noch einmal; und bat ihn, bis nach
vollendeter Reiſe, von dieſer Sache abzubrechen.
Der Graf, nach einer kurzen Pauſe, in welcher
er alle Merkmale der groͤßten Unruhe gegeben 455
236Faksimilehatte, ſagte, indem er ſich zur Mutter wandte,
daß er ſein Aeußerſtes gethan haͤtte, um dieſer
Geſchaͤftsreiſe auszuweichen; daß die Schritte,
die er deshalb beim General en Chef, und dem
General K..., ſeinem Onkel, gewagt haͤtte, 460
die entſcheidendſten Entscheidendsten geweſen waͤren, die ſich
haͤtten thun laſſen; daß man aber geglaubt
haͤtte, ihn dadurch aus einer Schwermuth auf⸗
zuruͤtteln
, die ihm von ſeiner Krankheit noch
zuruͤckgeblieben waͤre; und daß er ſich jetzt voͤllig 465
dadurch ins Elend geſtuͤrzt ſehe.
— Die Familie
wußte nicht, was ſie zu dieſer Aeußerung ſagen
ſollte.
Der Graf fuhr fort, indem er ſich die
Stirn rieb, daß wenn irgend Hoffnung waͤre,
dem Ziele ſeiner Wuͤnſche dadurch naͤher zu kom⸗470
men
, er ſeine Reiſe Reise, auf einen Tag, auch wohl
noch etwas daruͤber, ausſetzen wuͤrde, um es zu
verſuchen. —
Hierbei ſah er, nach der Reihe,
den Commendanten, die Marquiſe und die Mut⸗
ter
an.
Der Commendant blickte mißvergnuͤgt 475
vor ſich nieder, und antwortete ihm nicht.
Die
Obriſtinn ſagte: gehn Sie, gehn Sie, Herr
Graf; reiſen Sie nach Neapel; ſchenken Sie
237Faksimileuns, wenn Sie wiederkehren, auf einige Zeit
das Gluͤck Ihrer Gegenwart; ſo wird ſich das 480
Uebrige finden.
— Der Graf ſaß einen Augen⸗
blick
, und ſchien zu ſuchen, was er zu thun
habe. Drauf, indem er ſich erhob, und ſeinen
Stuhl wegſetzte: da er die Hoffnungen, ſprach
er, mit denen er in dies Haus getreten ſey, sei, als 485
uͤbereilt erkennen muͤſſe, und die Familie, wie
er nicht mißbillige, auf eine naͤhere Bekannt⸗
ſchaft
beſtehe: ſo werde er ſeine Depeſchen, zu
einer anderweitigen Expedition, nach Z..., in
das Hauptquartier, zuruͤckſchicken, und das 490
guͤtige Anerbieten, der Gaſt dieſes Hauſes zu
ſeyn, sein, auf einige Wochen annehmen.
Worauf
er noch, den Stuhl in der Hand, an der Wand
ſtehend, einen Augenblick verharrte, und den
Commendanten anſah.
Der Commendant ver⸗495
ſetzte
, daß es ihm aͤußerſt leid thun wuͤrde, wenn
die Leidenſchaft, die er zu ſeiner Tochter gefaßt
zu haben ſcheine, ihm Unannehmlichkeiten von
der ernſthafteſten Art zuzoͤge: daß er indeſſen inzwischen
wiſſen muͤſſe, was er zu thun und zu laſſen 500
habe, die Depeſchen abſchicken, und die fuͤr ihn
238Faksimilebeſtimmten Zimmer beziehen moͤchte.
Man ſah
ihn bei dieſen Worten ſich entfaͤrben, der Mut⸗
ter
ehrerbietig die Hand kuͤſſen, ſich gegen die
Uebrigen verneigen und ſich entfernen.505

Als er das Zimmer verlaſſen hatte, wußte
die Familie nicht, was ſie aus dieſer Erſchei⸗
nung
machen ſolle.
Die Mutter ſagte, es waͤre
wohl nicht moͤglich, daß er Depeſchen, mit de⸗
nen
er nach Neapel ginge, gienge, nach Z... zuruͤck⸗510
ſchicken
wolle, bloß, weil es ihm nicht gelungen
waͤre, auf ſeiner Durchreiſe durch M..., in
einer fuͤnf minutenlangen Minuten langen Unterredung, von
einer ihm ganz unbekannten Dame ein Jawort
zu erhalten.
Der Forſtmeiſter aͤußerte, daß eine 515
ſo leichtſinnige That ja mit nichts Geringerem,
als Feſtungsarreſt, beſtraft werden wuͤrde!
Und
Caſſation obenein, ſetzte der Commendant hinzu.
Es habe aber damit keine Gefahr, fuhr er fort.
Es ſey sei ein bloßer Schreckſchuß beim Sturm; er 520
werde ſich wohl noch, ehe er die Depeſchen ab⸗
geſchickt
, wieder beſinnen.
Die Mutter, als ſie
von dieſer Gefahr unterrichtet ward, aͤußerte
die lebhafteſte Beſorgniß, daß er ſie abſchicken
239Faksimilewerde.
Sein heftiger, auf einen Punkt Punct hin⸗525
treibender
Wille, meinte ſie, ſcheine ihr grade
einer ſolchen That faͤhig.
Sie bat den Forſt⸗
meiſter
auf das dringendſte, Dringendste, ihm ſogleich nach⸗
zugehen
, und ihn von einer ſo ungluͤckdrohenden unglücksvollen
Handlung abzuhalten.
Der Forſtmeiſter erwie⸗530
derte
, daß ein ſolcher Schritt gerade das Gegen⸗
theil
bewirken, und ihn nur in der Hoffnung,
durch ſeine Kriegsliſt zu ſiegen, beſtaͤrken wuͤrde.
Die Marquiſe war derſelben Meinung, obſchon
ſie verſicherte, daß ohne ihn die Abſendung der 535
Depeſchen unfehlbar erfolgen wuͤrde, indem er
lieber werde ungluͤcklich werden, als ſich eine
Bloͤße geben wollen.
Alle kamen darin uͤberein,
daß ſein Betragen ſehr ſonderbar ſey, sei, und daß
er Damenherzen durch Anlauf, wie Feſtungen, 540
zu erobern gewohnt ſcheine.
In dieſem Augen⸗
blick
bemerkte der Commendant den angeſpann⸗
ten
Wagen des Grafen vor ſeiner Thuͤr.
Er
rief die Familie ans an’s Fenſter, und fragte einen
eben eintretenden Bedienten, erſtaunt, ob der 545
Graf noch im Hauſe ſey? sei?
Der Bediente ant⸗
wortete
, daß er unten, in der Domeſtikenſtube,
240Faksimilein Geſellſchaft eines Adjutanten, Briefe ſchreibe
und Pakete verſiegle.
Der Commendant, der
ſeine Beſtuͤrzung unterdruͤckte, eilte mit dem 550
Forſtmeiſter hinunter, und fragte den Grafen,
da er ihn auf dazu nicht ſchicklichen Tiſchen ſeine
Geſchaͤfte betreiben ſah, ob er nicht in ſeine Zim⸗
mer
treten wolle?
Und ob er ſonſt irgend etwas
befehle?
Der Graf erwiederte, indem er mit 555
Eilfertigkeit fortſchrieb, daß er unterthaͤnigſt
danke, und danke; daß ſein Geſchaͤft abgemacht ſey; sei; fragte
noch, indem er den Brief zuſiegelte, nach der
Uhr; und wuͤnſchte dem Adjutanten, nachdem
er ihm das ganze Portefeuille uͤbergeben hatte, 560
eine gluͤckliche Reiſe.
Der Commendant, der
ſeinen Augen nicht traute, ſagte, indem der Ad⸗
jutant
zum Hauſe hinausging: hinausgieng: Herr Graf,
wenn Sie nicht ſehr wichtige Gruͤnde haben —
Entſcheidende! fiel ihm der Graf ins in’s Wort; 565
begleitete den Adjutanten zum Wagen, und oͤff⸗
nete
ihm die Thuͤr.
In dieſem Fall wuͤrde ich
wenigſtens, fuhr der Commendant fort, die De⸗
peſchen
—
Es iſt nicht moͤglich, antwortete der
Graf, indem er den Adjutanten in den Sitz hob. 570
Die241FaksimileDie Depeſchen gelten nichts in Neapel ohne
mich.
Ich habe auch daran gedacht. Fahr zu!
— Und die Briefe Ihres Herrn Onkels? rief
der Adjutant, ſich aus der Thuͤr hervorbeugend.
Treffen mich, erwiederte der Graf, in M.... 575
Fahr zu, ſagte der Adjutant, und rollte mit dem
Wagen dahin.

Hierauf fragte der Graf F..., indem er ſich
zum Commendanten wandte, ob er ihm gefaͤlligſt
ſein Zimmer anweiſen laſſen wolle?
Er wuͤrde 580
gleich ſelbſt die Ehre haben, antwortete der ver⸗
wirrte
Obriſt; rief ſeinen und des Grafen Leu⸗
ten
, das Gepaͤck desſelben aufzunehmen: aufzunehmen; und
fuͤhrte ihn in die fuͤr fremden Beſuch beſtimmten
Gemaͤcher des Hauſes, Hauses; wo er ſich ihm mit einem 585
trocknen Geſicht empfahl.
Der Graf kleidete ſich
um; verließ das Haus, um ſich bei dem Gouver⸗
neur
des Platzes zu melden, melden; und fuͤr den ganzen
weiteren Reſt des Tages im Hauſe unſichtbar,
kehrte er erſt kurz vor der Abendtafel dahin 590
zuruͤck.

Inzwiſchen war die Familie in der lebhafte⸗
ſten
Unruhe.
Der Forſtmeiſter erzaͤhlte, wie
Kleiſts Erzaͤhl. Q242Faksimile beſtimmt, auf einige Vorſtellungen des Com⸗
mendanten
, des Grafen Antworten ausgefallen 595
waͤren; meinte, daß ſein Verhalten einem voͤllig
uͤberlegten Schritt aͤhnlich ſehe; und fragte, in
aller Welt, nach den Urſachen einer ſo auf Cou⸗
rierpferden
gehenden Bewerbung.
Der Com⸗
mendant
ſagte, daß er von der Sache nichts ver⸗600
ſtehe
, und forderte die Famile Familie Familie Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] auf, davon weiter
nicht in ſeiner Gegenwart zu ſprechen.
Die
Mutter ſah alle Augenblicke aus dem Fenſter,
ob er nicht kommen, ſeine leichtſinnige That be⸗
reuen
, und wieder gut machen werde.
Endlich, 605
da es finſter ward, ſetzte ſie ſich zur Marquiſe
nieder, welche, mit vieler Emſigkeit, an einem
Tiſch arbeitete, und das Geſpraͤch zu vermeiden
ſchien.
Sie fragte ſie halblaut, waͤhrend der
Vater auf auf- auf- und niederging, niedergieng, ob ſie begreife, was 610
aus dieſer Sache werden ſolle?
Die Marquiſe
antwortete, mit einem einem, ſchuͤchtern nach dem
Commendanten gewandten gewandten, Blick: wenn der Va⸗
ter
bewirkt haͤtte, daß er nach Neapel gereiſt gereis’t waͤ⸗
re
, ſo waͤre alles Alles gut.
Nach Neapel! rief der 615
Commendant, der dies gehoͤrt hatte.
Sollt’ ich
243Faksimileden Prieſter holen laſſen?
Oder haͤtt’ ich ihn
ſchließen binden
laſſen und arretiren, und mit Bewa⸗
chung
nach Neapel ſchicken ſollen? — Nein,
antwortete die Marquiſe, Marquise; aber lebhafte und ein⸗620
dringliche
Vorſtellungen thun ihre Wirkung; Wirkung,
und ſah, ein wenig unwillig, wieder auf ihre
Arbeit nieder.
— Endlich gegen die Nacht er⸗
ſchien
der Graf.
Man erwartete nur, nach den
erſten Hoͤflichkeitsbezeugungen, daß dieſer Ge⸗625
genſtand
zur Sprache kommen wuͤrde, um ihn
mit vereinter Kraft Macht zu beſtuͤrmen, den Schritt,
den er gewagt hatte, hätte, wenn es noch moͤglich ſey, sei,
wieder zuruͤckzunehmen.
Doch vergebens, waͤh⸗
rend
der ganzen Abendtafel, erharrte man dieſen 630
Augenblick.
Gefliſſentlich Alles, was darauf
fuͤhren konnte, vermeidend, unterhielt er den
Commendanten vom Kriege, Kriege und den Forſtmei⸗
ſter
von der Jagd.
Als er des Gefechts bei P...,
in welchem er verwundet worden war, erwaͤhnte, 635
verwickelte ihn die Mutter bei der Geſchichte ſei⸗
ner
Krankheit, fragte ihn, wie es ihm an dieſem
kleinen Orte ergangen ſey, sei, und ob er die gehoͤri⸗
gen
Bequemlichkeiten gefunden haͤtte.
Hierauf
Q 2244Faksimileerzaͤhlte er mehrere, durch ſeine Leidenſchaft zur 640
Marquiſe intereſſanten, Zuͤge: wie ſie beſtaͤndig,
waͤhrend ſeiner Krankheit, an ſeinem Bette ge⸗
ſeſſen
haͤtte; wie er die Vorſtellung von ihr, in
der Hitze des Wundfiebers, immer mit der Vor⸗
ſtellung
eines Schwans verwechſelt haͤtte, den 645
er, als Knabe, auf ſeines Onkels Guͤtern geſe⸗
hen
; daß ihm beſonders eine Erinnerung ruͤh⸗
rend
geweſen waͤre, da er dieſen Schwan einſt
mit Koth beworfen, worauf dieſer ſtill unterge⸗
taucht
, und rein aus der Fluth wieder wieder aus der Fluth emporge⸗650
kommen
ſey; sei; daß ſie immer auf feurigen Fluthen
umhergeſchwommen waͤre, und er Thinka geru⸗
fen
haͤtte, welches der Name jenes Schwans ge⸗
weſen
, daß er
gewesen wäre,
aber nicht im Stande geweſen
waͤre, ſie an ſich zu locken, locken, indem ſie ihre Freude 655
gehabt haͤtte, hätte bloß blos am Rudern und In-die-
Bruſt
-ſich-werfen; verſicherte ploͤtzlich, blut⸗
roth
im Geſicht, daß er ſie außerordentlich liebe:
ſah wieder auf ſeinen Teller nieder, und ſchwieg.
Man mußte endlich von der Tafel aufſtehen; 660
und da der Graf, nach einem kurzen Geſpraͤch
mit der Mutter, ſich ſogleich gegen die Geſell⸗
245Faksimileſchaft
verneigte, und wieder in ſein Zimmer zu⸗
ruͤckzog
: ſo ſtanden die Mitglieder derſelben wie⸗
der
, und wußten nicht, was ſie denken sagen ſollten. 665
Der Commendant meinte: man muͤſſe der Sa⸗
che
ihren Lauf laſſen.
Er rechne wahrſcheinlich
auf ſeine Verwandten bei dieſem Schritte.
In⸗
fame
Caſſation ſtuͤnde ſonſt darauf.
Frau von
G.... fragte ihre Tochter, was ſie denn von 670
ihm halte?
Und ob ſie ſich wohl zu irgend einer
Aeußerung, die ein Ungluͤck vermiede, wuͤrde
verſtehen koͤnnen?
Die Marquiſe antwortete:
Liebſte Mutter! Das iſt nicht moͤglich. Es
thut mir leid, daß meine Dankbarkeit auf eine 675
ſo harte Probe geſtellt wird.
Doch es war mein
Entſchluß, mich nicht wieder zu vermaͤhlen; ich
mag mein Gluͤck nicht, und nicht ſo unuͤberlegt,
auf ein zweites Spiel ſetzen[¿] ſetzen. setzen. setzen. setzen= setzen. [emendiert ohne Kommentarhinweis]
Der Forſtmeiſter
bemerkte, daß wenn dies ihr feſter Wille waͤre; 680
auch dieſe Erklaͤrung ihm Nutzen ſchaffen koͤn⸗
ne
, und das daß daſs es faſt nothwendig ſcheine, ihm ir⸗
gend
eine beſtimmte zu geben.
Die Obriſtinn
verſetzte, daß da dieſer junge Mann, den ſo viele
außerordentliche Eigenſchaften empfoͤhlen, empfehlen, ſeinen685
246Faksimile Aufenthalt in Italien nehmen zu wollen, erklaͤrt
habe, ſein Antrag, nach ihrer Meinung, einige
Ruͤckſicht, und der Entſchluß der Marquiſe Pruͤ⸗
fung
verdiene.
Der Forſtmeiſter, indem er ſich
bei ihr niederließ, fragte, wie er ihr denn, was 690
ſeine Perſon anbetreffe, gefalle?
Die Marqniſe Marquiſe Marquise Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
antwortete, mit einiger Verlegenheit: er gefaͤllt
und mißfaͤllt mir; und berief ſich auf das Gefuͤhl
der Anderen.
Die Obriſtin Obristinn ſagte: wenn er von
Neapel zuruͤckkehrt, zurückkehrte, und die Erkundigungen, 695
die wir inzwiſchen uͤber ihn einziehen koͤnnten,
dem Geſammteindruck, den du von ihm empfan⸗
gen
haſt, nicht widerſpraͤchen: wie wuͤrdeſt du
dich, falls er alsdann ſeinen Antrag wiederholte,
erklaͤren?
In dieſem Fall, verſetzte die Marquiſe Marquise, 700
wuͤrd’ ich — da in der That ſeine Wuͤnſche ſo
lebhaft ſcheinen, dieſe Wuͤnſche — ſie ſtockte, schwieg,
und ihre Augen glaͤnzten, indem ſie dies ſagte —
um der Verbindlichkeit willen, die ich ihm ſchul⸗
dig
bin, erfuͤllen.
Die Mutter, die eine zweite 705
Vermaͤhlung ihrer Tochter immer gewuͤnſcht
hatte, hatte Muͤhe, ihre Freude uͤber dieſe Er⸗
klaͤrung
zu verbergen, und ſann, was ſich wohl
247Faksimiledaraus machen laſſe.
Der Forſtmeiſter ſagte,
indem er unruhig vom Sitz wieder aufſtand, 710
daß wenn die Marquiſe irgend an die Moͤglichkeit
denke, ihn einſt mit ihrer Hand zu erfreuen,
jetzt gleich nothwendig ein Schritt dazu geſchehen
muͤſſe, um den Folgen ſeiner raſenden That vor⸗
zubeugen
.
Die Mutter war derſelben Meinung, 715
und behauptete, daß zuletzt das Wagſtuͤck nicht
allzugroß waͤre, indem bei ſo vielen vortreff⸗
lichen
Eigenſchaften, die er in jener Nacht, da
das Fort von den Ruſſen erſtuͤrmt ward, ent⸗
wickelte
, kaum zu fuͤrchten ſey, kaum, daß ſein uͤbri⸗720
ger
Lebenswandel ihnen nicht entſprechen ſollte. sollte, zu fürchten sei.
Die Marquiſe ſah, mit dem Ausdruck der
lebhafteſten Unruhe, vor ſich nieder.
Man
koͤnnte ihm ja, fuhr die Mutter fort, indem ſie
ihre Hand ergriff, etwa eine Erklaͤrung, daß 725
du, bis zu ſeiner Ruͤckkehr von Neapel, in
keine andere andre Verbindung eingehen wolleſt, zu⸗
kommen
laſſen.
Die Marquiſe ſagte: dieſe
Erklaͤrung, liebſte Mutter, kann ich ihm ge⸗
ben
; ich fuͤrchte nur, daß ſie ihn nicht beru⸗730
higen
, und uns verwickeln wird.
Das ſey sei
248Faksimilemeine Sorge! erwiederte die Mutter, mit leb⸗
hafter
Freude; und ſah ſich nach dem Com⸗
mendanten
um.
Lorenzo! fragte ſie, was
meinſt du? und machte Anſtalten, ſich vom 735
Sitz zu erheben.
Der Commendant, der Alles
gehoͤrt hatte, ſtand am Fenſter, ſah auf die
Straße hinaus, und ſagte nichts.
Der Forſt⸗
meiſter
verſicherte, daß er, mit dieſer unſchaͤdli⸗
chen
Erklaͤrung, den Grafen aus dem Hauſe 740
zu ſchaffen, schaffen ſich anheiſchig mache.
Nun ſo
macht! macht! macht! rief der Vater, indem
er ſich umkehrte: ich muß mich dieſem Ruſſen
ſchon zum zweitenmal ergeben!
— Hierauf
ſprang die Mutter auf, kuͤßte ihn und die 745
Tochter, und fragte, indem der Vater Vaͤter uͤber
ihre Geſchaͤftigkeit laͤchelte, wie man dem Gra⸗
fen
jetzt dieſe Erklaͤrung augenblicklich hinter⸗
bringen
ſolle?
Man beſchloß, auf den Vor⸗
ſchlag
des Forſtmeiſters, ihn bitten zu laſſen, 750
ſich, falls er noch nicht entkleidet ſey, sei, gefaͤlligſt
auf einen Augenblick zur Familie zu verfuͤgen.
Er werde gleich die Ehre haben zu erſcheinen!
ließ der Graf antworten, und kaum war der
249FaksimileKammerdiener mit dieſer Meldung zuruͤck, als 755
er ſchon ſelbſt, mit Schritten, die die Freude be⸗
fluͤgelte
, ins in‘s Zimmer trat, und zu den Fuͤßen
der Marquiſe, in der allerlebhafteſten Ruͤhrung Rührung,
niederſank.
Der Commendant wollte etwas ſa⸗
gen
: doch er, indem er aufſtand, verſetzte er, versetzte, versetzte, [emendiert nach Phöbus-Fassung mit Kommentarhinweis]
er 760
wiſſe genug! kuͤßte ihm und der Mutter die
Hand, umarmte den Bruder, und bat nur um
die Gefaͤlligkeit, ihm ſogleich zu einem Reiſewa⸗
gen
zu verhelfen. Die Marquiſe, obſchon von
dieſem Auftritt bewegt, ſagte doch: ich fuͤrchte 765
nicht, Herr Graf, das daß daſs daß [emendiert ohne Kommentarhinweis] Ihre raſche Hoffnung
Sie zu weit
— Nichts! Nichts! verſetzte der
Graf; es iſt nichts geſchehen, wenn die Erkun⸗
digungen
, die Sie uͤber mich einziehen moͤgen,
dem Gefuͤhl widerſprechen, das mich zu Ihnen 770
in dies Zimmer zuruͤckberief.
Hierauf um⸗
armte
der Commendant ihn auf das herzlichſte, Herzlichste,
der Forſtmeiſter bot ihm ſogleich ſeinen eigenen eignen
Reiſewagen an, ein Jaͤger flog auf die Poſt,
Courierpferde auf Praͤmien zu beſtellen, und 775
Freude war bei dieſer Abreiſe, wie noch niemals
bei einem Empfang.
Er hoffe, ſagte der Graf,
250Faksimiledie Depeſchen in B... einzuholen, von wo er
jetzt einen naͤheren Weg nach Neapel, als uͤber
M... M..., einſchlagen wuͤrde; in Neapel wuͤrde er 780
ſein Moͤglichſtes thun, die fernere Geſchaͤftsreiſe
nach Conſtantinopel abzulehnen; und da er, auf
den aͤußerſten Fall, entſchloſſen waͤre, ſich krank
anzugeben, ſo verſicherte er, daß wenn nicht un⸗
vermeidliche
Hinderniſſe ihn abhielten, er in Zeit 785
von vier bis ſechs Wochen unfehlbar wieder in
M... ſeyn sein wuͤrde.
Hierauf meldete ſein Jaͤ⸗
ger
, daß der Wagen angeſpannt, und Alles zur
Abreiſe bereit ſey. sei. Der Graf nahm ſeinen Huth,
trat vor die Marquiſe, und ergriff ihre Hand. 790
Nun denn, ſprach er, Julietta, ſo bin ich eini⸗
germaßen
beruhigt; und legte ſeine Hand in die
ihrige; obſchon es mein ſehnlichſter sehnlicher Wunſch war,
mich noch vor meiner Abreiſe mit Ihnen zu ver⸗
maͤhlen.
Vermaͤhlen! riefen alle Mitglieder der 795
Familie aus.
Vermaͤhlen, wiederholte der
Graf, kuͤßte der Marquiſe die Hand, und ver⸗
ſicherte
, da dieſe fragte, ob er von Sinnen ſey: sei:
es wuͤrde ein Tag kommen, wo ſie ihn verſtehen
wuͤrde!
Die Familie wollte auf ihn boͤſe wer⸗800
251Faksimileden;
doch er nahm gleich gleich hierauf auf das Waͤrmſte von
Allen Abſchied, bat ſie, uͤber dieſe Aeußerung
nicht weiter nachzudenken, nachzudenken, und reiſte reis’te ab.

Mehrere Wochen, in welchen die Familie,
mit ſehr verſchiedenen Empfindungen, auf den 805
Ausgang dieſer ſonderbaren Sache geſpannt war,
verſtrichen. verstrichen:
Der der Commendant empfing empfieng vom Ge⸗
neral
K..., dem Onkel des Grafen, eine hoͤf⸗
liche
Zuſchrift; der Graf ſelbſt ſchrieb aus Nea⸗
pel
; die Erkundigungen, die man uͤber ihn ein⸗810
zog
, ſprachen ziemlich zu ſeinem Vortheil; kurz,
man hielt die Verlobung ſchon fuͤr ſo gut, wie
abgemacht: als ſich die Kraͤnklichkeiten der Mar⸗
quiſe
, mit groͤßerer Lebhaftigkeit, als jemals,
wieder einſtellten.
Sie bemerkte eine unbegreif⸗815
liche
Veraͤnderung ihrer Geſtalt.
Sie entdeckte
ſich mit voͤlliger Freimuͤthigkeit ihrer Mutter,
und ſagte, ſie wiſſe nicht, was ſie von ihrem Zu⸗
ſtand
denken ſolle.
Die Mutter, welche ſo ſon⸗
derbare
Zufaͤlle fuͤr die Geſundheit ihrer Tochter 820
aͤußerſt beſorgt machten, verlangte, daß ſie einen
Arzt zu Rathe ziehe.
Die Marquiſe, die durch
ihre Natur zu ſiegen hoffte, ſtraͤubte ſich dage⸗
252Faksimilegen;
ſie brachte mehrere Tage noch, ohne dem
Rath der Mutter zu folgen, unter den empfind⸗825
lichſten
Leiden zu: bis Gefuͤhle, immer wieder⸗
kehrend
wiederkehrende,
und von ſo wunderbarer Art, ſie in
die lebhafteſte Unruhe ſtuͤrzten.
Sie ließ einen
Arzt rufen, der das Vertrauen ihres Vaters be⸗
ſa
ß, noͤthigte ihn, da gerade die Mutter abwe⸗830
ſend
war, auf den Divan nieder, und eroͤffnete
ihm, nach einer kurzen Einleitung, ſcherzend,
was ſie von ſich glaube.
Der Arzt warf einen
forſchenden Blick auf ſie; ſchwieg noch, nachdem
er eine genaue Unterſuchung vollendet hatte, eine 835
Zeitlang: und antwortete dann dann, mit einer ſehr
ernſthaften Miene, daß daſs sich die Frau Marquiſe
ganz richtig urtheile. beurtheile.
Nachdem er ſich sich, auf die
Frage der Dame, wie er dies verſtehe, verstehe? ganz deut⸗
lich
erklaͤrt, und mit einem Laͤcheln, das er nicht 840
unterdruͤcken konnte, geſagt hatte, daß ſie ganz
geſund ſey, sei, und keinen Arzt brauche, brauche: zog die
Marquiſe, und ſah ihn ſehr ſtreng von der Seite
an, die Klingel, und bat ihn, ſich zu entfernen.
Sie aͤußerte halblaut, als ob er der Rede nicht 845
werth waͤre, vor ſich nieder murmelnd: daß ſie
253Faksimilenicht Luſt haͤtte, mit ihm uͤber Gegenſtaͤnde dieſer
Art zu ſcherzen.
Der Doctor erwiederte em⸗
pfindlich:
er muͤſſe wuͤnſchen, daß ſie immer zum
Scherz ſo wenig aufgelegt geweſen waͤre, wie 850
jetzt; nahm Stock und Huth, und machte An⸗
ſtalten
, ſich ſogleich zu empfehlen.
Die Mar⸗
quiſe
verſicherte, daß ſie von dieſen Beleidigungen
ihren Vater unterrichten wuͤrde.
Der Arzt ant⸗
wortete
, daß er ſeine Ausſage vor Gericht be⸗855
ſchwoͤren
koͤnne:
er würde eher Berge, als seine feste Meinung von ihr, versetzten können;
oͤffnete die Thuͤr, verneigte ſich,
und wollte das Zimmer verlaſſen.
Die Mar⸗
quiſe
fragte, da er noch einen Handſchuh, den
er hatte fallen laſſen, von der Erde aufnahm:
und die Moͤglichkeit davon, Herr Doctor?
Der 860
Doctor Arzt erwiederte, daß er ihr die letzten Gruͤnde
der Dinge nicht werde zu erklaͤren brauchen;
verneigte ſich ihr noch einmal, und ging gieng ab.

Die Marquiſe ſtand, wie vom Donner ge⸗
ruͤhrt
.
Sie raffte ſich auf, und wollte zu ihrem 865
Vater eilen; doch der ſonderbare Ernſt des Man⸗
nes
, von dem ſie ſich beleidigt ſah, laͤhmte alle
ihre Glieder.
Sie warf ſich in der groͤßten Be⸗
wegung
auf den Divan nieder.
Sie durchlief,
254Faksimilegegen ſich ſelbſt selbt mißtrauiſch, alle Momente des 870
verfloſſenen Jahres, und hielt ſich fuͤr verruͤckt,
wenn ſie an den letzten dachte.
Endlich erſchien
die Mutter; und auf die beſtuͤrzte Frage, war⸗
um
weshalb
ſie ſo unruhig ſey? sei? erzaͤhlte ihr die Tochter,
was ihr der Arzt ſo eben eroͤffnet hatte.
Frau 875
von G.... nannte ihn einen Unverſchaͤmten und
Nichtswuͤrdigen, und beſtaͤrkte die Tochter in
dem Entſchluß, dieſe Beleidigung dem Vater zu
entdecken.
Die Marquiſe verſicherte, daß es
ſein voͤlliger Ernſt geweſen ſey, sei, und daß er ent⸗880
ſchloſſen
ſcheine, dem Vater ins in’s Geſicht ſeine ra⸗
ſende
Behauptung zu wiederholen.
Frau von
G.... fragte, nicht wenig erſchrocken, ob ſie
denn an die Moͤglichkeit eines ſolchen Zuſtandes
glaube?
Eher, antwortete die Marquiſe, daß 885
die Graͤber befruchtet werden, und ſich dem
Schooße der Leichen eine Geburt entwickeln
wird!
Nun, du liebes liebes, wunderliches Weib, ſagte
die Obriſtin, Obristinn, indem ſie ſie feſt an ſich druͤckte:
was beunruhigt dich denn?
Wenn dein Bewußt⸗890
ſeyn
dich rein ſpricht: wie kann dich ein das Urtheil,
und waͤre es das einer einer ganzen Conſulta von Aerz⸗
255Faksimileten,
nur kuͤmmern? Ob das Seinige aus Irrthum,
ob es aus Bosheit entſprang: gilt es dir nicht
voͤllig gleichviel?
Doch ſchicklich iſt es, daß wir 895
es dem Vater entdecken.
— O Gott! ſagte die
Marquiſe, mit einer covulſiviſchen convulſiviſchen convulsivischen convulsivischen [emendiert ohne Kommentarhinweis]
Bewegung:
wie kann ich mich beruhigen. Hab’ ich nicht
mein eignes, innerliches, mir nur allzuwohlbe⸗
kanntes
Gefuͤhl gegen mich?
Wuͤrd’ ich nicht, 900
wenn ich in ich einer andern Andern meine Empfindung wuͤßte,
von ihr ſelbſt urtheilen, daß es damit ſeine Rich⸗
tigkeit
habe?
Es iſt entſetzlich, verſetzte die Obri⸗
ſtin.
Obristinn.
Bosheit! Irrthum! fuhr die Marquiſe
fort.
Was kann dieſer Mann, der uns bis auf 905
den heutigen Tag ſchaͤtzenswuͤrdig erſchien, fuͤr
Gruͤnde haben, mich auf eine ſo muthwillige und
niedertraͤchtige Art zu kraͤnken?
Mich, die ihn
nie nicht beleidigt hatte?
Die ihn mit Vertrauen, und
dem Vorgefuͤhl zukuͤnftiger Dankbarkeit, em⸗910
pfing?
empfieng?
Bei der er, wie ſeine erſten Worte zeug⸗
ten
, mit dem reinen und unverfaͤlſchten Willen
erſchien, zu helfen, nicht Schmerzen, grimmi⸗
gere
, als ich empfand, erſt zu erregen?
Und
wenn ich in der Nothwendigkeit der Wahl, fuhr 915
256Faksimileſie fort, waͤhrend die Mutter ſie unverwandt an⸗
ſah
, an einen Irrthum glauben wollte: iſt es
wohl moͤglich, daß ein Arzt, auch nur von mit⸗
telmaͤßiger
Geſchicklichkeit, in ſolchem Falle irre?
— Die Obriſtin Obristinn ſagte ein wenig ſpitz: und 920
gleichwohl muß es doch nothwendig Eins oder
das Andere geweſen ſeyn. sein.
Ja! verſetzte die Mar⸗
quiſe
, meine theuerſte Mutter, indem ſie ihr,
mit dem Ausdruck der gekraͤnkten Wuͤrde, hoch⸗
roth
im Geſicht gluͤhend, die Hand kuͤßte: das 925
muß es!
Obſchon die Umſtaͤnde ſo außerordent⸗
lich
ſind, daß es mir erlaubt iſt, daran zu zwei⸗
feln
.
Ich ſchwoͤre, weil es doch einer Verſicherung
bedarf, daß mein Bewußtſeyn, Bewuſstsein, gleich dem wie meiner
Kinder iſt; nicht reiner, Verehrungswuͤrdigſte, 930
kann das Ihrige ſeyn. sein.
Gleichwohl bitte ich Sie,
mir eine Hebamme rufen zu laſſen, damit ich
mich von dem, was iſt, [gesperrt] uͤberzeuge, und gleich⸗
viel
alsdann, was es ſey, sei, beruhige.
Eine Heb⸗
amme
! rief Frau von G.... mit Entwuͤrdi⸗935
gung.
Ein reines Bewußtſeyn, Bewuſstsein, und eine Heb⸗
amme
!
Und die Sprache ging gieng ihr aus. Eine
Hebamme, meine theuerſte Mutter, wiederholte
die 257Faksimiledie Marquiſe, indem ſie ſich auf Knieen vor ihr
niederließ; und das augenblicklich, wenn ich nicht 940
wahnſinnig werden ſoll.
O ſehr gern, verſetzte
die Obriſtin; nur Obristinn. Nur bitte ich, das Wochenlager
nicht in meinem Hauſe zu halten.
Und damit
ſtand ſie auf, und wollte das Zimmer verlaſſen.
Die Marquiſe, ihr mit ausgebreiteten ausgestreckten Armen 945
folgend, fiel ganz auf das Geſicht nieder, und
umfaßte ihre Kniee.
Wenn irgend ein unſtraͤf⸗
liches
Leben, rief ſie, mit der Beredtſamkeit des
Schmerzes, ein Leben, nach Ihrem Muſter ge⸗
fuͤhrt
, mir ein Recht auf Ihre Achtung giebt, 950
wenn irgend ein muͤtterliches Gefuͤhl auch nur,
ſo lange meine Schuld nicht ſonnenklar entſchie⸗
den
iſt, in Ihrem Buſen fuͤr mich ſpricht: ſo
verlaſſen Sie mich in dieſen entſetzlichen Augen⸗
blicken
nicht.
— Was iſt es, das dich beunru⸗955
higt
? fragte die Mutter.
Iſt es weiter nichts,
als der Ausſpruch des Arztes?
Weiter nichts,
als dein innerliches Gefuͤhl?
Nichts weiter,
meine Mutter, verſetzte die Marquiſe, und legte
ihre Hand auf die Bruſt.
Nichts, Julietta? 960
fuhr die Mutter fort.
Beſinne dich. Ein Fehl⸗
Kleiſts Erzaͤhl. R258Faksimiletritt,
ſo unſaͤglich er mich ſchmerzen wuͤrde, er
ließe ſich, und ich muͤßte müſst’ ihn zuletzt verzeihn; doch
wenn du, um einem muͤtterlichen Verweis aus⸗
zuweichen
, ein Maͤhrchen von der Umwaͤlzung 965
der Weltordnung erſinnen, und gotteslaͤſterliche
Schwuͤre haͤufen koͤnnteſt, um es meinem, dir
nur allzugernglaͤubigen, Herzen aufzubuͤrden:
ſo waͤre das ſchaͤndlich: ich wuͤrde dir niemals
wieder gut werden.
— Moͤge das Reich der Er⸗970
loͤſung
einſt ſo offen vor mir liegen, wie meine
Seele vor Ihnen, rief die Marquiſe.
Ich ver⸗
ſchwieg
verschweige
Ihnen nichts, meine Mutter.
— Dieſe
Aeußerung, voll Pathos gethan, erſchuͤtterte die
Mutter.
O Himmel! rief ſie: mein liebens⸗975
wuͤrdiges
Kind!
Wie ruͤhrſt du mich! Und hob
ſie auf, und kuͤßte ſie, und druͤckte ſie an ihre
Bruſt.
Was denn, in aller Welt, fuͤrchteſt du?
Komm, du biſt ſehr krank. Sie wollte ſie in
ein Bett fuͤhren.
Doch die Marquiſe, welcher 980
die Thraͤnen haͤufig floſſen, verſicherte, daß ſie
ſehr geſund waͤre, und daß ihr gar nichts fehle,
außer jenem ſonderbaren und unbegreiflichen Zu⸗
ſtand
.
— Zuſtand! rief die Mutter wieder;
259
Faksimile
welch wieder. Welch ein Zuſtand? Wenn dein Gedaͤchtniß uͤber 985
die Vergangenheit ſo ſicher iſt, welch ein Wahn⸗
ſinn
der Furcht ergriff dich?
Kann ein innerli⸗
ches
Gefuͤhl denn, das doch nur dunkel ſich regt,
nicht truͤgen?
Nein! Nein! ſagte die Marquiſe,
es truͤgt mich nicht!
Und wenn Sie die Heb⸗990
amme
rufen laſſen wollen, ſo werden ſie hoͤren,
daß das Entſetzliche, mich Vernichtende, wahr
iſt.
— Komm, meine liebſte Tochter, ſagte
Frau von G...., G..., die fuͤr ihren Verſtand zu
fuͤrchten anfing. anfieng.
Komm, folge mir, und lege 995
dich zu Bett.
Was meinteſt du, daß dir der
Arzt geſagt hat?
Wie dein Geſicht gluͤht! Wie
du an allen Gliedern ſo zitterſt!
Was war es
ſchon, daß das [emendiert] dir der Arzt geſagt hat?
Und damit
zog ſie die Marquiſe, unglaͤubig nunmehr an den 1000
ganzen Auftritt, den ſie ihr erzaͤhlt hatte, mit
ſich fort. —
Die Marquiſe ſagte: Liebe! Vor⸗
treffliche
! indem ſie mit weinenden Augen laͤ⸗
chelte
.
Ich bin meiner Sinne maͤchtig. Der
Arzt hat mir geſagt, daß ich in geſegneten Lei⸗1005
besumſtaͤnden
Umständen
bin.
Laſſen Sie die Hebamme
rufen: und ſobald ſie ſagt, daß es nicht wahr
R 2260Faksimileiſt, bin ich wieder ruhig.
Gut, gut! erwiederte
die Obriſtin, Obristinn, die ihre Angſt unterdruͤckte.
Sie
ſoll gleich kommen; ſie kommen. Sie ſoll gleich, wenn du 1010
dich von ihr willſt auslachen laſſen, erſcheinen,
und dir ſagen, daß du eine Traͤumerin, Träumerinn, und
nicht recht klug biſt.
Und damit zog ſie die Klin⸗
gel
, und ſchickte augenblicklich einen ihrer Leute,
der die Hebamme rufe.1015

Die Marquiſe lag noch, mit unruhig ſich
hebender Bruſt, in den Armen ihrer Mutter,
als dieſe Frau erſchien, und die Obriſtin Obristinn ihr,
an welcher ſeltſamen Vorſtellung ihre Tochter
krank liege, eroͤffnete.
Die Frau Marquiſe 1020
ſchwoͤre, daß ſie ſich tugendhaft verhalten habe,
und gleichwohl halte ſie, von einer unbegreifli⸗
chen
Empfindung getaͤuſcht, fuͤr noͤthig, daß eine
ſachverſtaͤndige Frau ihren Zuſtand unterſuche.
Die Hebamme, waͤhrend ſie ſich von demſelben 1025
unterrichtete, ſprach von jungem Blut und der
Argliſt der Welt; aͤußerte, als ſie ihr Geſchaͤft
vollendet hatte, dergleichen Faͤlle waͤren ihr ſchon
vorgekomen; vorgekommen; vorgekommen; vorgekommen; [emendiert ohne Kommentarhinweis] die jungen Wittwen, die in ihre
Lage kaͤmen, meinten alle auf wuͤſten Inſeln 1030
261Faksimilegelebt zu haben; beruhigte inzwiſchen die Frau
Marquiſe, und verſicherte ſie, daß ſich der mun⸗
tere
Corſar, der zur Nachtzeit gelandet, ſchon
finden wuͤrde.
Bei dieſen Worten fiel die Mar⸗
quiſe
in Ohnmacht.
Die Obriſtin, Obristinn, die ihr 1035
muͤtterliches Gefuͤhl nicht uͤberwaͤltigen konnte,
brachte ſie zwar, mit Huͤlfe der Hebamme, wie⸗
der
ins Leben zuruͤck.
Doch die Entruͤſtung
ſiegte, da ſie erwacht war.
Julietta! rief die
Mutter mit dem lebhafteſten Schmerz.
Willſt 1040
du dich mir entdecken, willſt entdecken? Willst du den Vater mir
nennen?
Und ſchien noch zur Verſoͤhnung ge⸗
neigt
.
Doch als die Marquiſe ſagte, daß ſie
wahnſinnig werden wuͤrde, ſprach die Mutter,
indem ſie ſich vom Divan erhob: geh! geh! du 1045
biſt nichtswuͤrdig!
Verflucht ſey die die Stunde, da
ich dich gebahr! und verließ das Zimmer.

Die Marquiſe, der das Tageslicht von
neuem Neuem ſchwinden wollte, zog die Geburtshelfe⸗
rin
Geburtshelferinn
vor ſich nieder, und legte ihr Haupt heftig 1050
zitternd an ihre Bruſt.
Sie fragte, mit gebro⸗
chener
Stimme, wie denn die Natur auf ihren
Wegen walte?
Und ob die Moͤglichkeit einer un⸗
262Faksimilewiſſentlichen
Empfaͤngniß ſey? sei?
— Die Heb⸗
amme
laͤchelte, machte ihr das Tuch los, und 1055
ſagte, das wuͤrde ja doch der Frau Marquiſe
Fall nicht ſeyn. sein.
Nein, nein, antwortete die
Marquiſe, ſie habe wiſſentlich empfangen, ſie
wolle nur im allgemeinen Allgemeinen wiſſen, ob dieſe Er⸗
ſcheinung
im Reiche der Natur ſey? sei?
Die Heb⸗1060
amme
verſetzte, daß dies, außer der heiligen
Jungfrau,
soviel ihr bekannt sei,
noch keinem Weibe auf Erden zugeſto⸗
ßen
waͤre. Die Marquiſe zitterte immer heftiger.
Sie glaubte, daß ſie augenblicklich niederkommen
wuͤrde, und bat die Geburtshelferin, Geburtshelferinn, indem ſie 1065
ſich mit krampfhafter Beaͤngſtigung an ſie ſchloß,
ſie nicht zu verlaſſen.
Die Hebamme beruhigte
ſie.
Sie verſicherte, daß das Wochenbett noch
betraͤchtlich entfernt waͤre, gab ihr auch die Mit⸗
tel
an, wie man, in ſolchen Faͤllen, dem Leu⸗1070
mund
der Welt ausweichen koͤnne, und meinte,
es wuͤrde noch Alles gut werden.
Doch da dieſe
Troſtgruͤnde der ungluͤcklichen Dame voͤllig wie
Meſſerſtiche durch die Bruſt fuhren, ſo ſam⸗
melte
ſie ſich, ſagte, ſie befaͤnde ſich beſſer, und 1075
bat ihre Geſellſchafterin Gesellschafterinn,
ſich zu entfernen.

263Faksimile

Kaum war die Hebamme aus dem Zimmer,
als ihr ein Schreiben von der Mutter gebracht
ward, in welchem dieſe ſich ſo ausließ: auslieſs: „Herr von
G.... wuͤnſche, unter den obwaltenden Um⸗1080
ſtaͤnden
, daß ſie ſein Haus verlaſſe.
Er ſende
ihr hierbei die uͤber ihr Vermoͤgen lautenden Pa⸗
piere
,
und hoffe hoffe, daß ihm Gott den Jammer er⸗
ſparen
werde, ſie wieder zu ſehen[¿]” ſehen.” sehen.” sehen:” sehen.” [emendiert ohne Kommentarhinweis] sehen=” —
Der
Brief war inzwiſchen von Thraͤnen benetzt; und 1085
in einem Winkel ſtand ein verwiſchtes Wort:
dictirt. —
Der Marquiſe ſtuͤrzte der Schmerz
aus den Augen.
Sie ging, gieng, heftig uͤber den Irr⸗
thum
ihrer Eltern weinend, und uͤber die Unge⸗
rechtigkeit
, zu welcher dieſe vortrefflichen Men⸗1090
ſchen
verfuͤhrt wurden, nach den Gemaͤchern ih⸗
rer
Mutter.
Es hieß, ſie ſey sei bei ihrem Vater; Vater:
ſie wankte nach den Gemaͤchern ihres Vaters.
Sie ſank, als ſie die Thuͤre verſchloſſen fand,
mit jammernder Stimme, alle Heiligen zu 1095
Zeugen ihrer Unſchuld anrufend, vor derſelben
nieder.
Sie mochte wohl ſchon einige Minuten
hier gelegen haben, als der Forſtmeiſter daraus aus derselben
hervortrat, und zu ihr mit mit flammendem Geſicht
264Faksimile ſagte: sagte, ſie hoͤre höre, daß der Commendant ſie nicht 1100
ſehen wolle.
Die Marquiſe rief: mein liebſter
Bruder: Bruder! unter vielem Schluchzen; draͤngte ſich
ins Zimmer, und rief: mein theuerſter Vater!
und ſtreckte die Arme nach ihm aus.
Der
Commendant wandte ihr, bei ihrem Anblick, 1105
den Ruͤcken zu, und eilte in ſein Schlafge⸗
mach
.
Er rief, als ſie ihn dahin verfolgte,
hinweg! und wollte die Thuͤre zuwerfen; doch
da ſie, unter Jammern und Flehen, daß er
ſie ſchließe, verhinderte, ſo gab er ploͤtzlich nach 1110
und eilte, waͤhrend die Marquiſe zu ihm hinein⸗
trat
, nach der hintern Wand. Wand.
Sie warf ſich ihm,
der ihr den Ruͤcken zugekehrt hatte, eben zu Fuͤ⸗
ßen
, und umfaßte zitternd ſeine Kniee, als ein Pi⸗
ſtol
,
das er ergriffen hatte, in dem Augenblick, da 1115
er es von der Wand herabriß, losging, losgieng, und der
Schuß ſchmetternd in die Decke fuhr.
Herr meines Lebens! rief die Marquiſe, erhob
ſich leichenblaß von ihren Knieen, und eilte
aus ſeinen Gemaͤchern wieder hinweg.
Man 1120
ſoll ſogleich anſpannen, anspannen! ſagte ſie, indem ſie in
die ihrigen trat; ſetzte ſich, matt bis in den
265FaksimileTod, auf einen Seſſel nieder, zog ihre Kinder
eilfertig an, und ließ die Sachen einpacken.
Sie hatte eben ihr Kleinſtes zwiſchen den 1125
Knieen, und ſchlug ihm noch ein Tuch um,
um nunmehr, da alles Alles zur Abreiſe bereit war, in
den Wagen zu ſteigen: als der Forſtmeiſter ein⸗
trat
, und auf Befehl des Commendanten die
Zuruͤcklaſſung und Ueberlieferung der Kinder 1130
von ihr forderte.
Dieſer Kinder? fragte ſie;
und ſtand auf.
Sag deinem unmenſchlichen
Vater, daß er kommen, und mich niederſchie⸗
ßen,
niederschieſsen:
nicht aber mir meine Kinder entreißen
koͤnne!
Und hob, mit dem ganzen Stolz der 1135
Unſchuld geruͤſtet, ihre Kinder auf, trug ſie sie,
ohne daß der Bruder gewagt haͤtte, ſie anzu⸗
halten
, in den Wagen Wagen, und fuhr ab.

Durch dieſe ſchoͤne Anſtrengung mit ſich
ſelbſt bekannt gemacht, hob ſie ſich ploͤtzlich, 1140
wie an ihrer eigenen eignen Hand, aus der ganzen
Tiefe, in welche das Schickſal ſie herabgeſtuͤrzt
hatte, empor.
Der Aufruhr, der ihre Bruſt
zerriß, legte ſich, als ſie im Freien war, ſie
kuͤßte haͤufig die Kinder, dieſe ihre liebe Beute, 1145
266Faksimileund mit großer Selbſtzufriedenheit gedachte ſie,
welch einen Sieg ſie, durch die Kraft ihres
ſchuldfreien Bewußtſeyns, Bewuſstseins, uͤber ihren Bruder
davon getragen hatte.
Ihr Verſtand, ſtark ge⸗
nug
, in ihrer ſonderbaren Lage nicht zu reißen, 1150
gab ſich ganz unter der großen, heiligen und
unerklaͤrlichen Einrichtung der Welt gefangen.

Sie ſah die Unmoͤglichkeit ein, ihre Familie von
ihrer Unſchuld zu uͤberzeugen, begriff, daß ſie
ſich daruͤber troͤſten muͤſſe, [gesperrt] falls ſie nicht untergehen 1155
wolle, und wenige Tage nur waren nach nach ihrer
Ankunft in V.... verfloſſen, als so machte der Schmerz
ganz und gar dem heldenmuͤthigen Vorſatz
Platz machte, [vorgezogen, s. o.] ſich mit Stolz gegen die Anfaͤlle
der Welt zu ruͤſten.
Sie beſchloß, ſich ganz 1160
in ihr Innerſtes zuruͤckzuziehen, ſich, mit aus⸗
ſchließendem
Eifer, der Erziehung ihrer beiden
Kinder zu widmen, und des Geſchenks, das ihr
Gott mit dem dritten Dritten gemacht hatte, mit voller voller,
muͤtterlichen Liebe zu pflegen.
Sie machte An⸗1165
ſtalten
, in wenig Wochen, ſobald ſie ihre Nie⸗
derkunft
uͤberſtanden haben wuͤrde,
gleich nach ihrer Niederkunft,
ihren ſchoͤ⸗
nen
, aber durch die lange Abweſenheit ein wenig
267Faksimile verfallenen verfallenen, Landſitz wieder herzuſtellen; ſaß in
der Gartenlaube, und dachte, waͤhrend ſie kleine 1170
Muͤtzen, Mützen und Struͤmpfe fuͤr kleine Beine ſtrickte,
wie ſie die Zimmer bequem vertheilen wuͤrde; würde,
auch, welches ſie mit Buͤchern fuͤllen, und in
welchem die Staffelei am ſchicklichſten Schicklichsten ſtehen
wuͤrde. würde:
Und ſo und noch war der Zeitpunct, da der Graf 1175
F... von Neapel wiederkehren ſollte, noch [vorgezogen, s. o.] nicht
abgelaufen, als da ſie ſchon voͤllig mit dem Schick⸗
ſal
, in ewig kloͤſterlicher Eingezogenheit zu leben,
vertraut war.
Der Thuͤrſteher Portier erhielt Befehl,
keinen Menſchen im Hauſe vorzulaſſen. Nur 1180
der Gedanke war ihr unertraͤglich, daß dem
jungen Weſen, das ſie in der groͤßten Unſchuld
und Reinheit empfangen hatte, und deſſen Ur⸗
ſprung
, eben weil er geheimnißvoller war, auch
goͤttlicher zu ſeyn ſchien, als der anderer Men⸗1185
ſchen
,
[fehlt]
ein Schandfleck in der buͤrgerlichen Geſell⸗
ſchaft
ankleben ſollte.
Ein ſonderbares Mittel war
ihr eingefallen, den Vater zu entdecken: ein Mittel,
bei dem ſie, als ſie es zuerſt dachte, das Strick⸗
zeug
ſelbſt vor Schrecken aus der Hand fallen 1190
ließ. Durch ganze Naͤchte, in unruhiger Schlaf⸗
268Faksimileloſigkeit
durchwacht, ward es gedreht und ge⸗
wendet
gewendet,
um ſich an ſeine seine, ihr innerſtes Gefuͤhl
verletzende, Natur zu gewoͤhnen.
Immer noch
ſtraͤubte ſie ſich, mit dem Menſchen, der ſie ſo 1195
hintergangen hatte, in irgend ein Verhaͤltniß
zu treten: indem ſie ſehr richtig ſchloß, daß
derſelbe doch, ohne alle Rettung, zum Aus⸗
wurf
ſeiner Gattung gehoͤren muͤſſe, und, auf
welchem Platz der Welt man ihn auch denken 1200
wolle, nur aus dem zertretenſten und unflaͤ⸗
thigſten
Schlamm derſelben, derselben hervorgegangen
ſeyn sein koͤnne.
Doch da das Gefuͤhl ihrer Selbſt⸗
ſtaͤndigkeit
immer lebhafter in ihr ward, wurde, und
ſie bedachte, daß der Stein ſeinen Werth behaͤlt, 1205
er mag auch eingefaßt ſeyn, sein, wie man er wolle, ſo
griff ſie eines Morgens, da ſich das junge Leben
wieder in ihr regte, ein Herz, und ließ jene
ſonderbare Aufforderung in die Intelligenzblaͤt⸗
ter
von M... ruͤcken, die man am Eingang 1210
dieſer Erzaͤhlung geleſen hat.

Der Graf F..., den unvermeidliche Ge⸗
ſchaͤfte
in Neapel aufhielten, hatte inzwiſchen
zum zweitenmal an die Marquiſe geſchrieben,
269Faksimileund ſie aufgefordert, es moͤchten fremde Um⸗1215
ſtaͤnde
eintreten, welche da wollten, ihrer, ihm
gegebenen, ſtillſchweigenden Erklaͤrung getreu zu
bleiben.
Sobald es ihm gegluͤckt war, ſeine
fernere Geſchaͤftsreiſe nach Conſtantinopel abzu⸗
lehnen
, und es ſeine uͤbrigen Verhaͤltniſſe ge⸗1220
ſtatteten
, ging gieng er augenblicklich von Neapel ab,
und kam auch richtig, nur wenige Tage nach
der von ihm beſtimmten Friſt, in M... an.
Der Commendant empfing empfieng ihn mit einem ver⸗
legenen
Geſicht, ſagte, daß ein nothwendiges 1225
Geſchaͤft ihn aus dem Hauſe noͤthige, und for⸗
derte
dem den den den [emendiert ohne Kommentarhinweis] Forſtmeiſter auf, ihn inzwiſchen zu
unterhalten.
Der Forſtmeiſter zog ihn auf ſein
Zimmer, und fragte ihn, nach einer kurzen
Begruͤßung, ob er ſchon wiſſe, was ſich waͤh⸗1230
rend
ſeiner Abweſenheit in dem Hauſe des Com⸗
mendanten
zugetragen habe.
Der Graf ant⸗
wortete
, mit einer fluͤchtigen Blaͤſſe: nein.
Hierauf unterrichtete ihn der Forſtmeiſter von
der Schande, die die Marquiſe uͤber die Fami⸗1235
lie
gebracht hatte, und gab ihm die Geſchichts⸗
erzaͤhlung
deſſen, was unſre Leſer ſo eben er⸗
270Faksimilefahren
haben.
Der Graf ſchlug ſich mit der
Hand vor die Stirn.
Warum legte man mir
ſo viele Hinderniſſe in den Weg! rief er in der 1240
Vergeſſenheit ſeiner.
Wenn die Vermaͤhlung
erfolgt waͤre: ſo waͤre alle Schmach und jedes
Ungluͤck uns erſpart!
Der Forſtmeiſter fragte,
indem er ihn anglotzte, ob er raſend genug waͤre, wäre:
zu wuͤnſchen, mit dieſer Nichtswuͤrdigen ver⸗1245
maͤhlt
zu ſeyn? sein?
Der Graf erwiederte, daß ſie
mehr werth waͤre, als die ganze Welt, die ſie
verachtete; daß ihre Erklaͤrung uͤber ihre Un⸗
ſchuld
vollkommnen Glauben bei ihm faͤnde; und
daß er noch heute nach V... gehen, und ſeinen 1250
Antrag bei ihr wiederholen wuͤrde.
Er ergriff
auch ſogleich ſeinen Huth, empfahl ſich dem
Forſtmeiſter, der ihn fuͤr ſeiner Sinne voͤllig
beraubt hielt, und ging gieng ab.

Er beſtieg ein Pferd und ſprengte nach V... 1255
hinaus.
Als er am Thore abgeſtiegen war,
und in den Vorplatz treten wollte, ſagte ihm der
Thuͤrſteher, Portier, daß die Frau Marquiſe keinen Men⸗
ſchen
ſpraͤche.
Der Graf fragte, ob dieſe, fuͤr
Fremde getroffene, Maaßregel Maßregel auch einen 1260
271FaksimileFreund des Hauſes gaͤlte; worauf jener der Portier antwor⸗
tete
, daß er von keiner Ausnahme wiſſe,
und bald darauf, auf eine zweideutige Art Art,
hinzuſetzte: ob er vielleicht der Graf F... waͤ⸗
re
? Der Graf erwiederte, nach einem forſchen⸗1265
den
Blick, nein; und aͤußerte, zu ſeinem Be⸗
dienten
gewandt, doch ſo, daß jener es hoͤren
konnte, er werde, unter ſolchen Umſtaͤnden, in
einem Gaſthofe abſteigen, und ſich bei der Frau
Marquiſe ſchriftlich anmelden.
Sobald er in⸗1270
zwiſchen
dem Thuͤrſteher Portier aus den Augen war, bog
er um eine Ecke, und umſchlich die Mauer eines
weitlaͤufigen Gartens, der ſich hinter dem Hauſe
ausbreitete.
Er trat trat, durch eine Pforte, die er
offen fand, in den Garten, durchſtrich die Gaͤn⸗1275
ge
desſelben, und wollte eben die hintere Rampe
hinaufſteigen, als er, in einer Laube, die zur
Seite lag, die Marquiſe, in ihrer lieblichen und
geheimißvollen geheimnißvollen geheimniſsvollen geheimnißvollen [emendiert ohne Kommentarhinweis] Geſtalt, an einem kleinen Tiſch⸗
chen
emſig arbeiten ſah.
Er naͤherte ſich ihr ſo, 1280
daß ſie ihn nicht fruͤher erblicken konnte, als bis
er am Eingang Eingange der Laube, drei kleine Schritte
von ihren Fuͤßen, ſtand.
Der Graf F...! ſagte
272Faksimiledie Marquiſe, als ſie die Augen aufſchlug, und
die Roͤthe der Ueberraſchung uͤberflog ihr Geſicht. 1285
Der Graf laͤchelte, blieb noch eine Zeitlang,
ohne ſich im Eingang zu ruͤhren, ſtehen; stehen, ſetzte
ſich dann, mit ſo beſcheidener Zudringlichkeit,
als ſie nicht zu erſchrecken noͤthig war, neben ihr
nieder, und ſchlug, ehe ſie noch, in ihrer ſonder⸗1290
baren
Lage, einen Entſchluß gefaßt hatte, ſeinen
Arm ſanft um ihren lieben Leib.
Von wo,
Herr Graf, iſt es moͤglich, fragte die Marquiſe
— und ſah ſchuͤchtern vor ſich auf die Erde nie⸗
der
.
Der Graf ſagte: von M..., und druͤckte 1295
ſie ganz leiſe an ſich; durch eine hintere Pforte,
die ich offen fand.
Ich glaubte auf Ihre Ver⸗
zeihung
rechnen zu duͤrfen, und trat ein.
Hat
man ihnen Ihnen denn in M... nicht geſagt — ? —
fragte ſie, und ruͤhrte noch kein Glied in ſeinen 1300
Armen.
Alles, geliebte Frau, verſetzte der
Graf; doch von ihrer Ihrer Unſchuld voͤllig uͤberzeugt
— Wie! rief die Marquiſe, indem ſie aufſtand,
und ſich loswickelte; und Sie kommen gleich⸗
wohl?
gleichwohl
— Der Welt zum Trotz, fuhr er fort, in⸗1305
dem
er ſie feſthielt, und ihrer Ihrer Familie zum Trotz,
und273Faksimileund dieſer lieblichen Erſcheinung ſogar zum
Trotz; wobei er einen gluͤhenden Kuß auf ihre
Bruſt druͤckte.
wobei er auf ihre Brust glühend niedersah
— Hinweg! rief die Marquiſe
— So uͤberzeugt, ſagte er, Julietta, als ob ich 1310
allwiſſend waͤre, als ob meine Seele in deiner
Bruſt wohnte
— Die Marquiſe rief: Laſſen ſie Sie
mich!
Ich komme ſchloß er — Komme, schloß er, und ließ ſie nicht — nicht:
meinen Antrag zu wiederholen, und das Loos der
Seeligen, wenn Sie sie mich erhoͤren wollen, von 1315
Ihrer Hand zu empfangen.
Laſſen Sie mich
augenblicklich! rief die Marquiſe; ich befehls befehl’s
Ihnen! riß ſich gewaltſam aus ſeinen Armen,
und entfloh.
Geliebte! Vortreffliche! fluͤſterte
er, indem er wieder aufſtand, aufstand und ihr folgte. — folgte — 1320
Sie hoͤren! rief die Marquiſe, und wandte ſich,
und wich ihm aus.
Ein einziges, heimliches heimliches, Ge⸗
fluͤſtertes
geflüstertes
— ! ſagte der Graf, und griff haſtig
nach ihrem glatten, ihm entſchluͤpfenden Arm. Arm
— Ich will nichts wiſſen, verſetzte die Mar⸗1325
quiſe
, ſtieß ihn heftig vor die Bruſt zuruͤck, eilte
auf die Rampe, und verſchwand.

Er war ſchon halb auf die Rampe gekommen,
um ſich, es koſte, was es wolle, bei ihr Gehoͤr
Kleiſts Erzaͤhl. S274Faksimilezu verſchaffen, als die Thuͤr vor ihm zuflog, 1330
und der Riegel heftig, mit verſtoͤrter Beeiferung,
vor ſeinen Schritten zuraſſelte.
Unſchluͤſſig, ei⸗
nen
Augenblick, was unter ſolchen Umſtaͤnden zu
thun ſey, sei, ſtand er, und uͤberlegte, ob er durch
ein, zur Seite offen ſtehendes stehendes, Fenſter einſteigen, 1335
und ſeinen Zweck, bis er ihn erreicht, verfolgen
ſolle; doch ſo ſchwer es ihm auch in jedem Sinne
war, umzukehren, diesmal ſchien es die Noth⸗
wendigkeit
zu erfordern, und grimmig erbittert
uͤber ſich, daß er ſie aus ſeinen Armen gelaſſen 1340
hatte, ſchlich er die Rampe hinab, hinab und verließ den
Garten, um ſeine Pferde aufzuſuchen.
Er fuͤhlte fühlte,
daß der Verſuch, ſich an ihrem Buſen zu erklaͤ⸗
ren
, fuͤr immer fehlgeſchlagen ſey, sei, und ritt ſchritt⸗
weis
, indem er einen Brief uͤberlegte, den er 1345
jetzt zu ſchreiben verdammt war, nach M... zu⸗
ruͤck
.
Abends, da er ſich, in der uͤbelſten Laune
von der Welt,
bei einer oͤffentlichen Tafel einge⸗
funden
hatte, traf er den Forſtmeiſter an, der
ihn auch ſogleich befragte, ob er ſeinen Antrag 1350
in V... gluͤcklich angebracht habe?
Der Graf
antwortete kurz: nein! und war ſehr geſtimmt,
ihn mit einer bitteren bitterern Wendung abzufertigen;
275Faksimiledoch um der Hoͤflichkeit ein Genuͤge zu thun,
ſetzte er nach einer Weile hinzu: er habe ſich 1355
entſchloſſen, ſich ſchriftlich an ſie zu wenden,
und werde damit in kurzem Kurzem ins in’s Reine ſeyn. sein.
Der Forſtmeiſter ſagte: er ſehe mit Bedauern,
daß ſeine Leidenſchaft fuͤr die Marquiſe ihn
ſeiner Sinne beraube.
Er muͤſſe ihm inzwi⸗1360
ſchen
verſichern, daß ſie bereits auf dem Wege
ſey, sei, eine andere Wahl zu treffen; klingelte
nach den neueſten Zeitungen, und gab ihm das
Blatt, in welchem die Aufforderung derſelben
an den Vater ihres Kindes eingeruͤckt war. 1365
Der Graf durchlief, indem ihm das Blut ins in’s
Geſicht ſchoß, die Schrift.
Ein Wechſel Eine Verwirrung von
Gefuͤhlen durchkreuzte ergriff ihn.
Der Forſtmeiſter
fragte, ob er nicht glaube, daß die Perſon, die
die Frau Marquiſe ſuche, ſich finden werde? 1370
— Unzweifelhaft! verſetzte der Graf, Graf; indeſſen
er mit ganzer seine Seele uͤber dem Papier lag, und
den Sinn desſelben gierig verſchlang. verschlang, und wiederkäute.
Darauf Drauf,
nachdem er einen Augenblick, waͤhrend er
das Blatt zuſammenlegte, an das Fenſter ge⸗1375
treten
war, ſagte er: war: nun iſt es gut! gut! kehrte er sich um; nun
S 2276Faksimileweiß ich, was ich zu thun habe! kehrte ſich
ſodann um; und fragte
fragte
den Forſtmeiſter noch,
auf eine verbindliche Art, ob man ihn bald wie⸗
derſehen
werde; empfahl ſich ihm, und ging, gieng, 1380
voͤllig ausgeſoͤhnt mit ſeinem Schickſal, fort. —

Inzwiſchen waren in dem Hauſe des Comm⸗
endanten
die lebhafteſten Auftritte vorgefal⸗
len
.
Die Obriſtin Obristinn war uͤber die zerſtoͤrende
Heftigkeit ihres Gatten desselben und uͤber die Schwaͤche, 1385
mit welcher ſie ſich, bei der tyranniſchen Ver⸗
ſtoßung
der Tochter, von ihm hatte unterjo⸗
chen
laſſen, aͤußerſt erbittert.
Sie war, als
der Schuß in des Commendanten Schlafge⸗
mach
fiel, und die Tochter aus demſelben her⸗1390
vorſtuͤrzte
, in eine Ohnmacht geſunken, aus
der ſie ſich zwar bald wieder erholte; doch erholte. Doch
der Commendant hatte, in dem Augenblick ih⸗
res
Erwachens, weiter nichts geſagt, als, es
thaͤte ihm leid, daß ſie dieſen Schrecken um⸗1395
ſonſt
gehabt, und das abgeſchoſſene Piſtol auf
einen Tiſch geworfen.
Nachher, da von der
Abforderung der Kinder die Rede war, wagte
ſie ſchuͤchtern, zu erklaͤren, daß man zu einem
277Faksimileſolchen Schritt kein Recht habe; ſie bat mit 1400
einer, durch die gehabte Anwandlung, ſchwa⸗
chen
und ruͤhrenden Stimme, heftige Auftritte
im Hauſe zu vermeiden; doch der Commen⸗
dant
erwiederte weiter nichts, als, indem er
ſich zum Forſtmeiſter wandte, vor Wuth ſchaͤu⸗1405
mend
: geh! und ſchaff ſie mir!
Als der zweite
Brief des Grafen F... ankam, hatte der
Commendant befohlen, daß er nach V... zur
Marquiſe herausgeſchickt werden ſolle, welche
ihn, wie man nachher durch den Boten erfuhr, 1410
bei Seite gelegt, und geſagt hatte, es waͤre
gut.
Die Obriſtin, Obristinn, der in der ganzen Bege⸗
benheit
ſo vieles, und beſonders die Geneigt⸗
heit
der Marquiſe, eine neue, ihr ganz gleich⸗
guͤltige
gleichgültige,
Vermaͤhlung einzugehen, dunkel war, 1415
ſuchte vergebens, dieſen Umſtand zur Sprache
zu bringen.
Der Commendant bat immer,
auf eine Art, die einem Befehle gleich ſah, zu
ſchweigen; verſicherte, indem er einſt, bei einer
ſolchen Gelegenheit, ein Portrait herabnahm, 1420
das noch von ihr an der Wand hing, hieng, daß er
ſein Gedaͤchtniß ihrer ganz zu vertilgen wuͤn⸗
278
Faksimile
ſche;
wünsche, und meinte, er haͤtte keine Tochter mehr.
Drauf erſchien der ſonderbare Aufruf Aufsatz der
Marquiſe in den Zeitungen.
Die Obriſtin, Obristinn, 1425
die auf das lebhafteſte Lebhafteste daruͤber betroffen war,
ging gieng mit dem Zeitungsblatt, daß das das das [emendiert ohne Kommentarhinweis] ſie von dem
Commendanten erhalten hatte, in ſein Zimmer,
wo ſie ihn an einem Tiſch arbeitend fand, und
fragte ihn, was er in aller Welt davon halte? 1430
Der Commendant ſagte, indem er fortſchrieb:
o! ſie iſt unſchuldig.
Wie! rief Frau von
G...., mit dem alleraͤußerſten Erſtaunen: un⸗
ſchuldig
?
Sie hat es im Schlaf gethan, ſagte
der Commendant, ohne aufzuſehen.
Im Schla⸗1435
fe
! verſetzte Frau von G....
Und ein ſo un⸗
geheurer
Vorfall waͤre — ?
Die Naͤrrin! Närrinn! rief
der Commendant, ſchob die Papiere uͤber ein⸗
ander
, und ging gieng weg weg. weg. weg. weg.

Am naͤchſten Zeitungſtage las die Obriſtin, Obristinn, 1440
da beide beim Fruͤhſtuͤck ſaßen, in einem In⸗
telligenzblatt
, das eben ganz feucht von der
Preſſe kam, folgende Antwort: Antwort darauf:

„Wenn die Frau Marquiſe von O.... ſich,
„am 3ten... 11 Uhr Morgens, im Hauſe 1445
279Faksimile„des Herrn von G...., ihres Vaters,
„einfinden will: ſo wird ſich derjenige, den
„ſie ſucht, ihr daſelbſt zu Fuͤßen werfen.” — [Zitierende Textpassage wird in der Phöbusversion als eigener dreizeiliger Absatz mit einem An- und Abführungszeichen dargestellt. [Zeilenfall abweichend.] [Zeilenfall abweichend.]

Der Obriſtin Obristinn verging, vergieng, ehe ſie noch auf die
Haͤlfte dieſes unerhoͤrten Artikels gekommen war, 1450
die Sprache; Sprache, ſie uͤberflog das Ende, und reichte
das Blatt dem Commendanten dar.
Der
Obriſt durchlas das Blatt dreimal, als ob er
ſeinen eignen Augen nicht traute.
Nun ſage
mir, um des Himmels Willen, Lorenzo, rief 1455
die Obriſtin, Obristinn, was haͤltſt du davon?
O die
Schaͤndliche! verſetzte der Commendant, und
ſtand auf; o die verſchmitzte Heuchlerin! Heuchlerinn!
Zehn⸗
mal
die Schamloſigkeit einer Huͤndin, Hündinn, mit
zehnfacher Liſt des Fuchſes gepaart, reichen noch 1460
an die ihrige nicht!
Solch eine Miene! Zwei
ſolche Augen!
Ein Cherub hat ſie nicht treuer! —
und jammerte und konnte ſich nicht beruhigen.
Aber was in aller Welt, fragte die Obriſtin, Obristinn,
wenn es eine Liſt iſt, kann ſie damit bezwek⸗1465
ken?
— Was ſie damit bezweckt? Ihre nichts⸗
wuͤrdige
Betruͤgerei, mit Gewalt will ſie ſie durch⸗
ſetzen
, erwiederte der Obriſt.
Auswendig ge⸗
280Faksimilelernt
iſt ſie ſchon, die Fabel, die ſie uns beide,
ſie und er, am 3ten 11 Uhr Morgens hier auf⸗1470
buͤrden
wollen.
Mein liebes Toͤchterchen, ſoll
ich ſagen, das wußte ich nicht, wer konnte das
denken, vergieb mir, nimm meinen Seegen,
und ſey sei wieder gut.
Aber die Kugel dem, der
am 3ten Morgens uͤber meine Schwelle tritt! 1475
Es muͤßte denn ſchicklicher ſeyn, sein, ihn mir durch
Bedienten [emendiert in ›Bediente‹] aus dem Hauſe zu ſchaffen.
— Frau
von G.... ſagte, nach einer nochmaligen Ueber⸗
leſung
des Zeitungsblattes, daß wenn ſie, von
zwei unbegreiflichen Dingen, Einem, Glauben, Einem Glauben
1480
beimeſſen ſolle, ſie lieber an ein unerhoͤrtes
Spiel des Schickſals, als an dieſe Niedertraͤch⸗
tigkeit
ihrer ſonſt ſo vortrefflichen Tochter glau⸗
ben
wolle. Doch ehe eh ſie noch vollendet hatte,
rief der Commendant ſchon: thu mir den Ge⸗1485
fallen
und ſchweig! und verließ das Zimmer.
Es iſt mir verhaßt, wenn ich nur davon hoͤre.

Wenige Tage nachher erhielt der Commen⸗
dant
, in Beziehung auf dieſen Zeitungsartikel,
einen Brief von der Marquiſe, in welchem ſie 1490
ihn, da ihr die Gnade verſagt waͤre, in ſeinem
281FaksimileHauſe erſcheinen zu duͤrfen, auf eine ehrfurchts⸗
volle
und ruͤhrende Art bat, denjenigen, der
ſich am 3ten Morgens bei ihm zeigen wuͤrde,
gefaͤlligſt zu ihr nach V... hinauszuſchicken. 1495
Die Obriſtin Obristinn war gerade gegenwaͤrtig, als der
Commendant dieſen Brief empfing; empfieng; und da ſie
auf ſeinem Geſicht deutlich bemerkte, daß er
in ſeiner Empfindung irre geworden war: denn
welch ein Motiv jetzt, falls es eine Betruͤgerei 1500
war, ſollte er ihr unterlegen, da ſie auf ſeine
Verzeihung gar keine Anſpruͤche zu machen
ſchien? ſo ruͤckte ſie, dadurch dreiſt gemacht,
mit einem Plan hervor, den ſie ſchon lange,
in ihrer von Zweifeln bewegten Bruſt, mit ſich 1505
herum getragen hatte.
Sie ſagte, waͤhrend der
Obriſt noch, mit einer nichtsſagenden Miene,
in das Papier hineinſah: ſie habe einen Einfall.
Ob er ihr erlauben wolle, auf einen ein oder zwei
Tage, nach V... hinauszufahren?
Sie werde 1510
die Marquiſe, falls ſie wirklich denjenigen, der
ihr durch die Zeitungen, als ein Unbekannter,
geantwortet, ſchon kenne, in eine Lage zu ver⸗
ſetzen
wiſſen, in welcher ſich ihre Seele verra⸗
282Faksimilethen
muͤßte, und wenn ſie die abgefeimteſte 1515
Verraͤtherinn waͤre.
Der Commendant erwie⸗
derte
, indem er, mit einer ploͤtzlich heftigen Be⸗
wegung
, den Brief zerriß: ſie wiſſe, daß er
mit ihr nichts zu ſchaffen haben wolle, und er
verbiete ihr, in irgend eine Gemeinſchaft mit 1520
ihr zu treten.
Er ſiegelte die zerriſſenen Stuͤcke Stücken
ein, ſchrieb eine Adreſſe an die Marquiſe, und
gab ſie dem Boten, als Antwort, zuruͤck.
Die
Obriſtin, Obristinn, durch dieſen hartnaͤckigen Eigenſinn,
der alle Moͤglichkeit der Aufklaͤrung vernichtete, 1525
heimlich erbittert, beſchloß ihren Plan jetzt,
gegen ſeinen Willen, auszufuͤhren.
Sie nahm
einen von den Jaͤgern des Commendanten, und
fuhr am naͤchſtfolgenden Morgen, da ihr Ge⸗
mahl
noch im Bette lag, mit demſelben nach 1530
V... hinaus.
Als ſie am Thore des Landſitzes
angekommen war, ſagte ihr der Thuͤrſteher, Portier, daß
niemand bei der Frau Marquiſe vorgelaſſen
wuͤrde.
Frau von G... antwortete, daß ſie
von dieſer Maßregel unterrichtet waͤre, daß er 1535
aber gleichwohl nur gehen, und die Obriſtin Obristinn
von G... bei ihr anmelden moͤgte.
Worauf die⸗
283
Faksimile
ſer Der Portier verſetzte, daß dies zu nichts helfen wuͤrde,
indem die Frau Marquiſe keinen Menſchen auf
der Welt ſpraͤche. Frau von G... antwortete, 1540
daß ſie von ihr geſprochen werden wuͤrde, in⸗
dem
ſie ihre Mutter waͤre, und daß er
nur nicht laͤnger ſaͤumen, und ſein Geſchaͤft
verrichten moͤchte.
Kaum aber war noch noch war der
Thuͤrſteher Portier zu dieſem, wie er meinte, gleichwohl 1545
vergeblichen vergeblichen, Verſuche Unternehmen ins Haus gegangen,
als man ſchon die Marquiſe daraus hervortre⸗
ten
, nach dem Thore eilen, und ſich auf Knieen
vor dem Wagen der Obriſtin Obristinn niederſtuͤrzen ſah.
Frau von G.... ſtieg, von ihrem Jaͤger un⸗1550
terſtuͤtzt
, aus, und hob die Marquiſe, nicht
ohne einige Bewegung, vom Boden auf.
Die
Marquiſe druͤckte ſich, von Gefuͤhlen uͤberwaͤl⸗
tigt
, tief auf ihre Hand hinab, und fuͤhrte ſie,
indem ihr die Thraͤnen haͤufig floſſen, ehr⸗1555
furchtsvoll
in die Zimmer ihres Hauſes.
Meine
theuerſte Mutter! rief ſie, nachdem ſie ihr den
Divan angewieſen hatte, und noch vor ihr ſte⸗
hen
blieb, blieb und ſich die Augen trocknete: welch
ein gluͤcklicher Zufall iſt es, dem ich Ihre, mir 1560
284Faksimile unſchaͤtzbare unschätzbare, Erſcheinung verdanke?
Frau von
G.... ſagte, indem ſie ihre Tochter vertrau⸗
lich
faßte, ſie muͤſſe ihr nur ſagen, daß ſie
komme, ſie wegen der Haͤrte, mit welcher ſie
aus dem vaͤterlichen Hauſe verſtoßen worden 1565
ſey, sei, um Verzeihung zu bitten.
Verzeihung!
fiel ihr die Marquiſe ins Wort, und wollte
ihre Haͤnde kuͤſſen.
Doch dieſe, indem ſie den
Handkuß vermied, fuhr fort: denn nicht nur,
Doch diese: denn nicht nur, fuhr sie fort, indem sie den Handkuſs vermied,

daß die, in den letzten oͤffentlichen Blaͤttern 1570
eingeruͤckte, Antwort auf die bewußte Bekannt⸗
machung
, mir ſowohl sowohl, als dem Vater, die Ueber⸗
zeugung
von deiner Unſchuld gegeben hat; fo ſo so so [emendiert ohne Kommentarhinweis]
muß ich dir auch ich muß dir nur eroͤffnen, daß er ſich ſelbſt ſchon,
zu unſerm großen und freudigen Erſtaunen, ge⸗1575
ſtern
im Hauſe gezeigt hat.
Wer hat ſich — ?
fragte die Marquiſe, und ſetzte ſich bei ihrer
Mutter nieder; — nieder; welcher er ſelbſt hat ſich ge⸗
zeigt
— ? und Erwartung ſpannte jede ihrer
Mienen.
Er, erwiederte Frau von G..., der 1580
Verfaſſer jener Antwort, er perſoͤnlich ſelbſt,
an welchen dein Aufruf gerichtet war.
— Nun
denn, ſagte die Marquiſe, mit unruhig arbei⸗
285Faksimiletender
Bruſt: wer iſt es?
Und noch einmal:
wer iſt es?
— Das, erwiederte Frau von 1585
G...., moͤchte ich dich errathen laſſen.
Denn
denke, daß ſich geſtern, da wir beim Thee ſitzen,
und eben das ſonderbare Zeitungsblatt leſen,
ein Menſch, von unſrer genaueſten Bekannt⸗
ſchaft
, mit Gebaͤhrden der Verzweiflung ins 1590
Zimmer ſtuͤrzt, und deinem Vater, und bald
darauf auch mir, zu Fuͤßen faͤllt.
Wir, un⸗
wiſſend
, was wir davon denken ſollen, fordern
ihn auf, zu reden. reden;
Darauf ſpricht er: drauf er: ſein
Gewiſſen Gewissen, spricht er, laſſe ihm keine Ruhe; Ruhe, er ſey sei der 1595
Schaͤndliche, der die Frau Marquiſe betrogen,
er muͤſſe wiſſen, wie man ſein Verbrechen beur⸗
theile
, und wenn Rache uͤber ihn verhaͤngt
werden ſolle, ſo komme er, ſich ihr ſelbſt dar⸗
zubieten
.
Aber wer? wer? wer? verſetzte die 1600
Marquiſe.
Wie geſagt, fuhr Frau von G....
fort, ein junger, ſonſt wohlerzogener Menſch,
dem wir eine ſolche Nichtswuͤrdigkeit niemals
zugetraut haͤtten.
Doch erſchrecken wirſt du
nicht, meine Tochter, wenn du erfaͤhrſt, daß 1605
er von niedrigem Stande, und von allen For⸗
286Faksimilederungen,
die man ſonſt an deinen Gemahl
machen duͤrfte, entbloͤßt iſt iſt. ist. ist. ist.
Gleichviel, meine
vortreffliche Mutter, ſagte die Marquiſe, er
kann nicht ganz unwuͤrdig ſeyn, sein, da er ſich 1610
Ihnen fruͤher als mir, zuerst zu Fuͤßen geworfen hat.
Aber, wer? wer? Sagen Sie mir nur: wer?
Nun denn, verſetzte die Mutter, es iſt Leo⸗
pardo
, der Jaͤger, den ſich der Vater juͤngſt
aus Tyrol verſchrieb, und den ich, wenn du 1615
ihn wahrnahmſt, ſchon mitgebracht habe, um
ihn dir als Braͤutigam vorzuſtellen.
Leopardo,
der Jaͤger! rief die Marquiſe, und druͤckte ihre
Hand, mit dem Ausdruck der Verzweiflung,
vor die Stirn.
Was erſchreckt dich? fragte die 1620
Obriſtin. Obristinn.
Haſt du Gruͤnde, daran zu zwei⸗
feln
?
— Wie? Wo? Wann? fragte die Mar⸗
quiſe
verwirrt.
Das, antwortete jene, will er
nur dir anvertrauen.
Schaam und Liebe, meinte
er, machten es ihm unmoͤglich, ſich einer An⸗1625
dern
hieruͤber zu erklaͤren, als dir.
Doch wenn
du willſt, ſo oͤffnen wir das Vorzimmer, wo
er, mit klopfendem Herzen, auf den Ausgang
wartet; und du magſt ſehen, ob du ihm ſein
287FaksimileGeheimniß, indeſſen ich abtrete, entlockſt. — 1630
Gott, mein Vater! rief die Marquiſe; ich war
einſt in der Mittagshitze eingeſchlummert, und
ſah ihn von meinem Divan gehen, als ich er⸗
wachte
!
— Und damit legte ſie ihre kleinen
Haͤnde vor ihr ihr, in Schaam ergluͤhendes erglühendes, Ge⸗1635
ſicht
Geſicht.
Gesicht. Gesicht. Gesicht.
Bei dieſen Worten ſank die Mutter auf
Knieen vor ihr nieder.
O meine Tochter! rief
ſie; o du Vortreffliche! und ſchlug die Arme
um ſie.
Und o ich Nichtswuͤrdige! und ver⸗
barg
das Antlitz in ihren Schooß.
Die Mar⸗1640
quiſe
fragte beſtuͤrzt: was iſt Ihnen, meine
Mutter?
Denn begreife, fuhr dieſe fort, o du
Reinere als Engel ſind, das daß daß daß [emendiert ohne Kommentarhinweis] von Allem, was
ich dir ſagte, nichts wahr iſt; daß meine ver⸗
derbte
Seele an ſolche Unſchuld nicht, als von 1645
der du umſtrahlt biſt, glauben konnte, und
daß ich dieſer ſchaͤndlichen Liſt erſt bedurfte,
um mich davon zu uͤberzeugen.
Meine theuer⸗
ſte
Mutter, rief die Marquiſe, und neigte ſich
voll froher Ruͤhrung zu ihr herab, und wollte 1650
ſie aufheben.
Jene verſetzte darauf: Doch jene: nein, eher
nicht von deinen Fuͤßen weich’ ich, ich, sprach sie, bis du mir
288Faksimileſagſt, ob du mir die Niedrigkeit meines Ver⸗
haltens
, du Herrliche, Ueberirrdiſche, o Du Himmlische verzeihen
kannſt.
Ich Ihnen verzeihen, meine Mutter! 1655
Stehen Sie auf, rief die Marquiſe, ich be⸗
ſchwoͤre
Sie
— Du hoͤrſt, ſagte Frau von
G...., ich will wiſſen, ob du mich noch lie⸗
ben
, und ſo aufrichtig verehren kannſt, als
ſonſt?
Meine angebetete Mutter! rief die 1660
Marquiſe, und legte ſich gleichfalls auf Knieen
vor ihr nieder; Ehrfurcht und Liebe ſind nie
aus meinem Herzen gewichen.
Wer konnte
mir, unter ſo unerhoͤrten Umſtaͤnden, Ver⸗
trauen
ſchenken?
Wie gluͤcklich bin ich, daß ſie Sie 1665
von meiner Unſtraͤflichkeit uͤberzeugt ſind!
Nun
denn, verſetzte Frau von G...., indem ſie,
von ihrer Tochter unterſtuͤtzt, aufſtand: ſo will
ich dich auf Haͤnden tragen, mein liebſtes Kind.
Du ſollſt bei mir dein Wochenlager halten; 1670
und waͤren die Verhaͤltniſſe ſo, daß ich einen
jungen Fuͤrſten von dir erwartete, mit groͤße⸗
rer
Zaͤrtlichkeit nicht und Wuͤrdigkeit koͤnnt könnt’ ich
dein pflegen.
Die Tage meines Lebens nicht
mehr von deiner Seite weich’ ich.
Ich biete biete deinem unmenschlichen Vater Trotz, ich biete deinem Bruder, ich biete 1675
der 289Faksimileder ganzen Welt Trotz; Trotz, ich will keine heine andre
Ehre mehr, als deine Schande: wenn du mir
nur wieder gut wirſt, und der Haͤrte nicht,
mit welcher ich dich verſtieß, mehr gedenkſt.
Die Marquiſe ſuchte ſie mit Liebkoſungen und 1680
Beſchwoͤrungen ohne Ende zu troͤſten; doch der
Abend kam heran, und Mitternacht ſchlug, ehe
es ihr gelang.
Am folgenden Tage, da ſich der
Affect der alten Dame, der ihr waͤhrend der
Nacht eine Fieberhitze zugezogen hatte, ein wenig 1685
gelegt hatte, fuhren Mutter und Tochter und
Enkel, wie im Triumph, wieder nach M...
zuruͤck.
Sie waren aͤußerſt vergnuͤgt auf der
Reiſe, ſcherzten uͤber Leopardo, den Jaͤger, der
vorn auf dem Bock ſaß; und die Mutter ſagte 1690
zur Marquiſe, ſie bemerke, daß ſie roth wuͤrde,
ſo oft ſie ſeinen breiten Ruͤcken anſaͤhe.
Die
Marquiſe antwortete, mit einer Regung, die
halb ein Seufzer, halb ein Laͤcheln war: wer
weiß, wer zuletzt noch am 3ten 11 Uhr Mor⸗1695
gens
bei uns erſcheint!
— Drauf, je mehr man
ſich M... naͤherte, je ernſthafter ſtimmten ſich
wieder die Gemuͤther, in der Vorahndung ent⸗
Kleiſts Erzaͤhl. T290Faksimileſcheidender
Auftritte, die ihnen noch bevorſtan⸗
den
.
Frau von G...., die ſich von ihren Plaͤ⸗1700
nen
nichts merken ließ, fuͤhrte ihre Tochter, da
ſie vor dem Hauſe ausgeſtiegen waren, wieder
in ihre alten Zimmer ein; ſagte, ſie moͤchte es
ſich nur bequem machen, ſie wuͤrde gleich wieder
bei ihr ſeyn, sein, und ſchluͤpfte ab.
Nach einer 1705
Stunde kam ſie mit einem ganz erhitzten Geſicht
wieder.
Nein, ſolch ein Thomas! ſprach ſie
mit heimlich vergnuͤgter Seele; ſolch ein unglaͤu⸗
biger
Thomas!
Hab’ ich nicht eine Seigerſtunde
gebraucht, ihn zu uͤberzeugen.
Aber nun ſitzt er, 1710
und weint.
Wer? fragte die Marquiſe. Er,
antwortete die Mutter.
Wer ſonſt, als wer
die groͤßte Urſache dazu hat.
Der Vater doch
nicht? rief die Marquiſe.
Wie ein Kind, er⸗
wiederte
die Mutter; daß ich, wenn ich mir 1715
nicht ſelbſt haͤtte die Thraͤnen aus den Augen
wiſchen muͤſſen, gelacht haͤtte, ſo wie ich nur aus
der Thuͤre heraus war.
Und das wegen mei⸗
ner
? fragte die Marquiſe, Marquise; und ſtand auf; auf.
und Und ich ſollte hier — ?
Nicht von der Stelle! 1720
ſagte Frau von G....
Warum dictirte er mir
291Faksimileden Brief.
Hier ſucht er dich auf, wenn er
mich, ſo lange lang’ ich lebe, wiederfinden will.
Mei⸗
ne
theurſte theuerste Mutter, flehte die Marquiſe
— Un⸗
erbittlich
! fiel ihr die Obriſtin Obristinn ins in’s Wort.
War⸗1725
um
griff er nach der Piſtole.
— Aber ich be⸗
ſchwoͤre
Sie
— Du ſollſt [nicht gesperrt] nicht, verſetzte Frau
von G...., indem ſie die Tochter wieder auf ih⸗
ren
Seſſel niederdruͤckte.
Und wenn er nicht
heut vor Abend noch kommt, zieh zieh’ ich morgen 1730
mit dir weiter.
Die Marquiſe nannte dies Ver⸗
fahren
hart und ungerecht.
Doch die Mutter
erwiederte: Beruhige dich — denn eben hoͤrte
ſie Jemand jemand von Weitem heranſchluchzen: er
koͤmmt ſchon!
Wo? fragte die Marquiſe, und 1735
horchte.
Iſt wer hier draußen vor der Thuͤr; Thür dies
heftige — ?
Allerdings, verſetzte Frau von
G.... Er will, daß wir ihm die Thuͤre oͤffnen.
Laſſen Sie mich! rief die Marquiſe, und riß ſich
vom Stuhl empor.
Doch: wenn du mir gut 1740
biſt, Julietta, verſetzte die Obriſtin, Obristinn, ſo bleib;
und in dem Augenblick trat auch der Commen⸗
dant
ſchon, das Tuch vor das Geſicht haltend,
ein.
Die Mutter ſtellte ſich breit vor ihre Toch⸗
T 2292Faksimileter,
und kehrte ihm den Ruͤcken zu.
Mein 1745
theuerſter Vater! rief die Marquiſe, und ſtreckte
ihre Arme nach ihm aus.
Nicht von der Stelle,
ſagte Frau von G...., du hoͤrſt!
Der Commen⸗
dant
ſtand in der Stube und weinte.
Er ſoll
dir abbitten, fuhr Frau von G... G.... fort.
War⸗1750
um
iſt er ſo heftig!
Und warum iſt er ſo hartnaͤ⸗
kig!
hartnaͤckig!
hartnäckig! hartnaͤckig! [emendiert ohne Kommentarhinweis]
Ich liebe ihn, aber dich auch; ich ehre ihn,
aber dich auch.
Und muß ich eine Wahl treffen,
ſo biſt du vortrefflicher, als er, und ich bleibe
bei dir.
Der Commendant beugte ſich ganz 1755
krumm, und heulte, daß die Waͤnde erſchallten.
Aber mein Gott! rief die Marquiſe, gab der
Mutter ploͤtzlich nach, und nahm ihr Tuch, ihre
eigenen Thraͤnen fließen zu laſſen.
Frau von
G.... ſagte: — sagte — : er kann nur nicht ſprechen! 1760
und wich ein wenig zur Seite aus.
Hierauf er⸗
hob
ſich die Marquiſe, umarmte den Commen⸗
danten
, und bat ihn, ſich zu beruhigen.
Sie
weinte ſelbſt heftig.
Sie fragte ihn, ob er ſich
nicht ſetzen wolle? ſie wollte ihn auf einen Ses⸗1765
ſel
niederziehen; ſie ſchob ihm einen Seſſel hin,
damit er ſich darauf ſetze: doch er antwortete
293Faksimilenicht; er war nicht von der Stelle zu bringen;
er ſetzte ſich auch nicht, und nicht: er ſtand bloß, das Ge⸗
ſicht
tief zur Erde gebeugt, und weinte.
Die 1770
Marquiſe ſagte, indem ſie ihn aufrecht hielt,
halb zur Mutter gewandt: er werde krank wer⸗
den
; die Mutter ſelbſt ſchien, da er ſich ganz
convulſiviſch gebaͤhrdete, ihre Standhaftigkeit
verlieren zu wollen.
Doch da der Commendant 1775
ſich endlich, auf die wiederholten Anforderungen
der Tochter, niedergeſetzt hatte, und dieſe ihm,
mit unendlichen Liebkoſungen, zu Fuͤßen geſunken
war: ſo nahm ſie wieder das Wort: Wort, ſagte, es ge⸗
ſchehe
ihm ganz recht, Recht, er werde nun wohl zur 1780
Vernunft kommen, entfernte ſich aus dem Zim⸗
mer
, und ließ ſie allein.

Sobald ſie draußen war, wiſchte ſie ſich ſelbſt
die Thraͤnen ab, dachte, ob ihm die heftige Er⸗
ſchuͤtterung,
Erschütterng nicht doch,
in welche ſie ihn verſetzt hatte, nicht 1785
doch
[umgestellt, s. o.]
gefaͤhrlich ſeyn sein koͤnnte, und ob es wohl
rathſam ſey, sei, einen Arzt rufen zu laſſen?
Sie
kochte ihm fuͤr den Abend Alles, was ſie nur
Staͤrkendes und Beruhigendes aufzutreiben wuß⸗
te
, in der Kuͤche zuſammen, bereitete und waͤrmte 1790
294Faksimileihm das Bett, um ihn ſogleich hineinzulegen, ſo⸗
bald
er nur, an der Hand der Tochter, erſchei⸗
nen
wuͤrde, und ſchlich, da er immer noch nicht nicht
kam, und ſchon die Abendtafel gedeckt war, dem
Zimmer der Marquiſe zu, um doch zu hoͤren, 1795
was ſich zutrage?
Sie vernahm, da ſie mit ſanft
an die Thuͤr gelegtem Ohr horchte,
ein leises,
eben verhallendes Geliſpel, das, wie es ihr
ſchien, von der Marquiſe kam; und, wie ſie
durchs durch's Schluͤſſelloch bemerkte, ſaß ſie auch auf des 1800
Commendanten Schooß, was er ſonſt in in ſeinem Le⸗
ben
nicht zugegeben hatte.
Drauf endlich oͤffnete ſie
die Thuͤr, und ſah nun — und das Herz quoll
ihr vor Freuden empor: die Tochter ſtill, mit zu⸗
ruͤckgebeugtem
Nacken, die Augen feſt geſchloſſen, 1805
in des Vaters Armen liegen; indeſſen dieſer, auf
dem Lehnſtuhl ſitzend, lange, heiße und lechzende
Kuͤſſe, das große Auge voll glaͤnzender Thraͤnen,
auf ihren Mund druͤckte: gerade wie ein Ver⸗
liebter
!
Die Tochter ſprach nicht, er ſprach 1810
nicht; mit uͤber ſie gebeugtem Antlitz ſaß er, wie
uͤber das Maͤdchen ſeiner erſten Liebe, und legte
ihr den Mund zurecht, und kuͤßte ſie.
Die Mut⸗
295Faksimileter
fuͤhlte ſich, wie eine Seelige; ungeſehen, wie
ſie hinter ſeinem Stuhle ſtand, ſaͤumte ſie, die 1815
Luſt der himmelfrohen Verſoͤhnung, die ihrem
Hauſe wieder geworden war, zu ſtoͤren.
Sie
nahte ſich dem Vater endlich, und ſah ihn, da
er eben wieder mit Fingern und Lippen in un⸗
ſaͤglicher
Luſt uͤber den Mund ſeiner Tochter 1820
beſchaͤftigt war, ſich um den Stuhl herumbeu⸗
gend
, von der Seite an.
Der Commendant
ſchlug, bei ihrem Anblick, das Geſicht ſchon
wieder ganz kraus nieder, nieder und wollte etwas
ſagen; doch ſie rief: sie: o was fuͤr ein Geſicht iſt 1825
das!
Gesicht! rief sie,
kuͤßte es jetzt auch ihrerſeits in Ordnung,
und machte der Ruͤhrung durch Scherzen ein
Ende.
Sie lud und fuͤhrte beide, die wie Braut⸗
leute
gingen, giengen, zur Abendtafel, an welcher der
Commendant zwar ſehr heiter war, aber noch 1830
von Zeit zu Zeit ſchluchzte, wenig aß und
ſprach, auf den Teller niederſah, und mit der
Hand ſeiner Tochter ſpielte.

Nun galt es, beim Anbruch des naͤchſten Ta⸗
ges
, die Frage: Frage, wer nur, in aller Welt, morgen um 1835
11 Uhr ſich zeigen wuͤrde; denn morgen war der
296Faksimilegefuͤrchtete dritte. Dritte.
Vater und Mutter, und
auch der Bruder, der ſich mit ſeiner Verſoͤh⸗
nung
eingefunden hatte, ſtimmten unbedingt,
falls die Perſon nur von einiger Ertraͤglichkeit 1840
ſeyn sein wuͤrde, fuͤr Vermaͤhlung; Alles, was nur
immer moͤglich war, ſollte geſchehen, um die
Lage der Marquiſe gluͤcklich zu machen.
Sollten
die Verhaͤltniſſe derſelben jedoch ſo beſchaffen
ſeyn, sein, daß ſie ſelbſt dann, wenn man ihnen 1845
durch Beguͤnſtigungen zu Huͤlfe kaͤme, kommen wollte, zu weit
hinter den Verhaͤltniſſen der Marquiſe zuruͤck⸗
blieben
, ſo widerſetzten ſich die Eltern der Hei⸗
rath
; ſie beſchloſſen, die Marquiſe nach wie vor
bei ſich zu behalten, und das Kind zu adoptiren. 1850
Die Marquiſe hingegen ſchien willens, in jedem
Falle, wen wenn wenn wenn [emendiert ohne Kommentarhinweis] die Perſon nur nicht ruchlos waͤre,
ihr gegebenes Wort in Erfuͤllung zu bringen,
und dem Kinde, es koſte koste, was es wolle, einen
Vater zu verſchaffen.
Am Abend fragte die 1855
Mutter, wie es denn mit dem Empfang der
Perſon gehalten werden ſolle?
Der Commen⸗
dant
meinte, daß es am ſchicklichſten Schicklichsten ſeyn sein wuͤrde,
wenn man die Marquiſe um 11 Uhr allein
297Faksimileließe.
Die Marquiſe hingegen beſtand darauf, 1860
daß beide Eltern, und auch der Bruder, gegen⸗
waͤrtig
ſeyn moͤchten, indem ſie keine Art des
Geheimniſſes mit dieſer Perſon zu theilen haben
wolle.
Auch meinte ſie, daß dieſer Wunſch ſo⸗
gar
in der Antwort derſelben, der Person, dadurch, daß 1865
ſie das Haus des Commendanten zur Zuſam⸗
menkunft
vorgeſchlagen, ausgedruͤckt ſcheine; ein
Umſtand, um deſſentwillen ihr gerade dieſe Ant⸗
wort
, wie ſie frei geſtehen muͤſſe, ſehr gefallen
habe.
Die Mutter bemerkte die Unſchicklichkeit 1870
der Rollen, die der Vater und der Bruder dabei
zu ſpielen haben wuͤrden, bat die Tochter, die
Entfernung der Maͤnner zuzulaſſen, wogegen ſie
in ihren Wunſch willigen, und bei dem Empfang
der Perſon gegenwaͤrtig ſeyn sein wolle.
Nach einer 1875
kurzen Beſinnung der Tochter ward dieſer letzte
Vorſchlag endlich angenommen.
Drauf nun
erſchien, nach einer, unter den geſpannteſten
Erwartungen zugebrachten, Nacht der Morgen
des gefuͤrchteten dritten. Dritten.
Als die Glocke eilf 1880
Uhr ſchlug, ſaßen beide Frauen, feſtlich, wie zur
Verlobung angekleidet, im Beſuchzimmer; das
298FaksimileHerz klopfte ihnen, daß man es gehoͤrt haben
wuͤrde, wenn das Geraͤuſch des Tages geſchwie⸗
gen
haͤtte.
Der eilfte Glockenſchlag ſummte 1885
noch, als Leopardo, der Jaͤger, eintrat, den
der Vater aus Tyrol verſchrieben hatte.
Die
Weiber erblaßten bei dieſem Anblick.
Der Graf
F..., ſprach er, iſt vorgefahren, und laͤßt ſich
anmelden.
Der Graf F...! riefen beide zu⸗1890
gleich
, von einer Art der Beſtuͤrzung in die
andre geworfen.
Die Marquiſe rief: Verſchließt
die Thuͤren!
Wir ſind fuͤr ihn nicht zu Hauſe;
ſtand auf, das Zimmer gleich ſelbſt zu verrie⸗
geln
, und wollte eben den Jaͤger, der ihr im 1895
Wege ſtand, hinausdraͤngen, als der Graf
ſchon, in genau demſelben Kriegsrock, mit Or⸗
den
und Waffen, wie er ſie bei der Eroberung
des Forts getragen hatte, zu ihr eintrat.
Die
Marquiſe glaubte vor Verwirrung in die Erde 1900
zu ſinken; ſie griff nach einem Tuch, das ſie
auf dem Stuhl hatte liegen laſſen, und wollte
eben in ein Seitenzimmer entfliehn; doch Frau
von G...., indem ſie die Hand derſelben er⸗
griff
, rief: Julietta — ! und wie erſtickt von 1905
299FaksimileGedanken, ging gieng ihr die Sprache aus.
Sie
heftete die Augen feſt auf den Grafen und wie⸗
derholte
: ich bitte dich, Julietta! indem ſie ſie
nach ſich zog: wen Wen erwarten wir denn — ?
Die Marquiſe rief, indem ſie ſich ploͤtzlich 1910
wandte: nun? doch ihn nicht — ? und ſchlug
mit einem Blick funkelnd, wie ein Wetterſtrahl,
auf ihn ein, indeſſen Blaͤſſe des Todes ihr
Antlitz uͤberflog.
Der Graf hatte ein Knie vor
ihr geſenkt; die rechte Hand lag auf ſeinem 1915
Herzen, das Haupt fanft ſanft sanft sanft [emendiert ohne Kommentarhinweis] auf ſeine Bruſt ge⸗
beugt
, lag er, und blickte hochgluͤhend vor ſich
nieder, und ſchwieg.
Wen ſonſt, rief die Obri⸗
ſtin
mit beklemmter Stimme, wen ſonſt, wir
Sinnberaubten, als ihn — ?
Die Marquiſe 1920
ſtand ſtarr uͤber ihm, und ſagte: ich werde
wahnſinnig werden, meine Mutter!
Du Thoͤ⸗
rin,
Thörinn,
erwiederte die Mutter, zog ſie zu ſich,
und fluͤſterte ihr etwas in das Ohr. Die Mar⸗
quiſe
wandte ſich, und ſtuͤrzte, beide Haͤnde vor 1925
das Geſicht, auf den Sopha nieder.
Die Mut⸗
ter
rief: Ungluͤckliche!
Was fehlt dir? Was iſt
geſchehn, worauf du nicht vorbereitet warſt? —
300FaksimileDer Graf wich nicht von der Seite der Obri⸗
ſtin;
Obristinn;
er faßte, immer noch auf ſeinen Knieen 1930
liegend, den aͤußerſten Saum ihres Kleides,
und kuͤßte ihn.
Liebe! Gnaͤdige! Verehrungs⸗
wuͤrdigſte
! fluͤſterte er: eine Thraͤne rollte ihm
die Wangen herab.
Die Obriſtin Obristinn ſagte: ſtehn
Sie auf, Herr Graf, ſtehn Sie auf!
Troͤſten 1935
Sie jene; ſo ſind wir Alle verſoͤhnt, ſo iſt
Alles vergeben und vergeſſen.
Der Graf erhob
ſich weinend.
Er ließ ſich von Neuem vor der
Marquiſe nieder, er faßte leiſe ihre Hand, als
ob ſie von Gold waͤre, und der Duft der ſei⸗1940
nigen
ſie truͤben koͤnnte.
Doch dieſe — : gehn
Sie! gehn Sie! gehn Sie! rief ſie, indem ſie
aufſtand; auf einen Laſterhaften war ich gefaßt, gefast,
aber auf keinen — — — Teufel! oͤffnete, in⸗
dem
ſie ihm dabei, gleich einem Peſtvergifteten, 1945
auswich, die Thuͤr des Zimmers, und ſagte:
ruft den Obriſten!
Julietta! rief die Obriſtinn
mit Erſtaunen.
Die Marquiſe blickte, mit toͤd⸗
tender
Wildheit, bald auf den Grafen, bald auf
die Mutter Mutter, ein; ihre Bruſt flog, ihr Antlitz 1950
loderte: eine Furie blickt sieht nicht ſchrecklicher.
Der
301FaksimileObriſt und der Forſtmeiſter kamen.
Dieſem
Mann, Vater, ſprach ſie, als jene noch unter
dem Eingang waren, kann ich mich nicht ver⸗
maͤhlen
! griff in ein Gefaͤß mit Weihwaſſer, 1955
das an der hinteren Thuͤr befeſtigt war, be⸗
ſprengte
, in einem großen Wurf, Vater und
Mutter und Bruder damit, und verſchwand.

Der Commendant, von dieſer ſeltſamen Er⸗
ſcheinung
betroffen, fragte, was vorgefallen ſey; sei; 1960
und erblaßte, da er, in dieſem entſcheidenden
Augenblick, den Grafen F... im Zimmer er⸗
blickte
.
Die Mutter nahm den Grafen bei
der Hand und ſagte: frage nicht; dieſer junge
Mann bereut von Herzen Alles, was geſchehen 1965
iſt; gieb deinen Seegen, gieb, gieb: ſo wird
ſich Alles noch gluͤcklich endigen.
Der Graf
ſtand wie vernichtet.
Der Commendant legte
ſeine Hand auf ihn; ſeine Augenwimpern zuck⸗
ten
, ſeine Lippen waren weiß, wie Kreide. 1970
Moͤge der Fluch des Himmels von dieſen Schei⸗
teln
weichen! rief er: wann gedenken Sie zu
heirathen?
— Morgen, antwortete die Mut⸗
ter
fuͤr ihn, denn er konnte kein Wort hervor⸗
302Faksimilebringen,
morgen oder heute, wie du willſt; 1975
dem Herrn Grafen, der ſo viel ſchoͤne Beeife⸗
rung
gezeigt hat, ſein Vergehen wieder gut zu
machen, wird immer die naͤchſte Stunde die
liebſte ſeyn. sein.
— So habe ich das Vergnuͤgen,
Sie morgen um 11 Uhr in der Auguſtinerkirche 1980
zu finden! ſagte der Commendant; verneigte
ſich gegen ihn, rief Frau und Sohn ab, um
ſich in das Zimmer der Marquiſe zu verfuͤgen,
und ließ ihn ſtehen.

Man bemuͤhte ſich vergebens, von der Mar⸗1985
quiſe
den Grund ihres ſonderbaren Betragens
zu erfahren; ſie lag im heftigſten Fieber, wollte
durchaus von Vermaͤhlung nichts wiſſen, und
bat, ſie allein zu laſſen.
Auf die Frage: warum
ſie denn ihren Entſchluß ploͤtzlich geaͤndert habe? 1990
und was ihr den Grafen gehaͤſſiger mache, als
einen andern? Anderen? ſah ſie den Vater mit großen Au⸗
gen
zerſtreut
großen, zerstreuten Augen
an, und antwortete nichts.
Die
Obriſtin Obristinn ſprach: ob ſie vergeſſen habe, daß ſie
Mutter ſey? sei? worauf ſie erwiederte, daß ſie, in 1995
dieſem Falle, mehr an ſich, als ihr Kind, den⸗
ken
muͤſſe, und nochmals, indem ſie alle Engel
303Faksimileund Heiligen zu Zeugen anrief, verſicherte, daß
ſie nicht heirathen wuͤrde.
Der Vater, der ſie
offenbar in einem uͤberreizten Gemuͤthszuſtande 2000
ſah, erklaͤrte, daß ſie ihr Wort halten muͤſſe;
verließ ſie, und ordnete Alles, nach gehoͤriger
ſchriftlicher Ruͤckſprache
gehöriger Rücksprache schriftlich
mit dem Grafen, zur Ver⸗
maͤhlung
an. Er legte demſelben einen Heiraths⸗
kontrakt
Heirathscontract
vor, in welchem dieſer auf alle Rechte 2005
eines Gemahls Verzicht that, dagegen ſich zu
allen Pflichten, die man von ihm fordern wuͤrde,
verſtehen ſollte. Der Graf ſandte das Blatt,
ganz von Thraͤnen durchfeuchtet, mit ſeiner Un⸗
terſchrift
zuruͤck.
Als der Commendant am an⸗2010
dern
Morgen der Marquiſe dieſes Papier uͤber⸗
reichte
, hatten ſich ihre Geiſter ein wenig beru⸗
higt
.
Sie durchlas es, noch im Bette ſitzend,
mehrere Male, legte es ſinnend zuſammen, oͤff⸗
nete
es, und durchlas es wieder; und erklaͤrte 2015
hierauf, daß ſie ſich um 11 Uhr in der Auguſti⸗
nerkirche
einfinden wuͤrde.
Sie ſtand auf, zog
ſich, ohne ein Wort zu ſprechen, an, ſtieg, als
die Glocke ſchlug, mit allen Ihrigen in den Wa⸗
gen,
Wagen
und fuhr dahin ab.2020

304Faksimile

Erſt an dem Portal der Kirche war es dem
Grafen erlaubt, ſich an die Familie anzuſchlie⸗
ßen
.
Die Marquiſe ſah, waͤhrend der Feier⸗
lichkeit
, ſtarr auf das Altarbild; nicht ein fluͤch⸗
tiger
Blick ward dem Manne zu Theil, mit 2025
welchem ſie die Ringe wechſelte.
Der Graf bot
ihr, als die Trauung voruͤber vorbei war, den Arm;
doch ſobald ſie wieder aus der Kirche heraus wa⸗
ren
, verneigte ſich die Graͤfin Gräfinn vor ihm: der
Commendant fragte, ob er die Ehre haben wuͤr⸗2030
de
, ihn zuweilen in den Gemaͤchern ſeiner Toch⸗
ter
zu ſehen, sehn worauf der Graf etwas ſtammelte,
das niemand verſtand, den Huth vor der Ge⸗
ſellſchaft
abnahm, und verſchwand. verchwand.
Er bezog
eine Wohnung in M..., in welcher er mehrere 2035
Monate zubrachte, ohne auch nur den Fuß in
des Commendanten Haus zu ſetzen, bei welchem
die Graͤfin Gräfinn zuruͤckgeblieben war.
Nur ſeinem
zarten, wuͤrdigen und voͤllig muſterhaften Be⸗
tragen
uͤberall, wo er mit der Familie in irgend 2040
eine Beruͤhrung kam, hatte er es zu verdanken,
daß er, nach der nunmehr erfolgten Entbindung
der Graͤfin Gräfinn von einem jungen Sohne, zur Taufe
des⸗305Faksimiledesſelben eingeladen ward.
Die Graͤfin, Gräfinn, die, mit
Teppichen bedeckt, auf dem Wochenbette ſaß, 2045
ſah ihn nur auf einen Augenblick, da er unter
die Thuͤr trat, und ſie von weitem Weitem ehrfurchts⸗
voll
gruͤßte.
Er warf unter den Geſchenken,
womit die Gaͤſte den Neugebohrnen bewillkomm⸗
ten
, zwei Papiere auf die Wiege desſelben, deren 2050
eines, Eines, wie ſich nach ſeiner Entfernung auswies,
eine Schenkung von 20000 Rubel an den Kna⸗
ben
, und das andere Andere ein Teſtament war, in
dem er die Mutter, falls er ſtuͤrbe, zur Erbin Erbinn
ſeines ganzen Vermoͤgens einſetzte.
Von dieſem 2055
Tage an ward er, auf Veranſtaltung der Frau
von G..., oͤfter eingeladen;
ward er öfter eingeladen;
das Haus ſtand ſei⸗
nem
Eintritt offen, es verging vergieng bald kein Abend,
da er ſich nicht darin gezeigt haͤtte. Er fing, fieng, da
ſein Gefuͤhl ihm ſagte, daß ihm von allen Sei⸗2060
ten
, um der gebrechlichen Einrichtung der Welt
willen,
verziehen ſey, sei, ſeine Bewerbung um die
Graͤfin, Gräfinn, ſeine Gemahlinn, von neuem Neuem an, er⸗
hielt
, nach Verlauf eines Jahres, ein zweites
Jawort von ihr, und auch eine zweite Hochzeit 2065
ward gefeiert, froher, als die erſte, nach deren
Kleiſts Erzaͤhl. U306FaksimileAbſchluß die ganze Familie nach V... hinauszog.
Eine ganze Reihe von jungen Ruſſen folgte folgten
jetzt noch dem erſten; und da der Graf, in einer
gluͤcklichen Stunde, ſeine Frau einſt fragte, war⸗2070
um
ſie, an jenem fuͤrchterlichen dritten, Dritten, da ſie
auf jeden Laſterhaften gefaßt ſchien, gewesen war, vor ihm,
gleich einem Teufel, geflohen waͤre, antwor⸗
tete
ſie, indem ſie ihm um den Hals fiel: er
wuͤrde ihr damals nicht wie ein ein Teufel erſchienen 2075
ſeyn, sein, wenn er ihr nicht, bei ſeiner erſten Erſchei⸗
nung
, wie ein Engel vorgekommen waͤre.

https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00013537/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=223

Die Marquise von O....

Quellenangaben für Zitation
https://kleist-digital.de/erzaehlungen/marquise, [ggf. Angabe von Zeile/Vers oder Seite], 18.05.2025

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  • Kollation Editionen
  • Stellenkommentar

Apparat

Erstdruck: [D1] Kleist, Heinrich v. / Müller, Adam H.  (Hrsg.): Phöbus. Ein Journal für die Kunst. Dresden: Carl Gottlob Gärtner, 1808. 2. Stück S. 3ff

Textwiedergabe nach: [D2] Kleist, Heinrich von: Die Marquise von O.... In: Kleist, Heinrich von: Erzählungen. Erster Theil, Berlin, Realschulbuchhandlung, 1810, S. 216–306.

Zugrunde gelegte Exemplare: BSB. Bayerische StaatsBibliothek. Sigle: Rar. 4347-1.
Exemplar aus Privatbesitz.

Überlieferung

Der Druck D2 enthält einzelne Satzfehler. Diese sind im Text in dunkelgrau gesetzt und in der ›Korrigenda‹ chronologisch aufgelistet.

Zum Vergleich mit der Phöbus-Fassung:
Wie generell wird die Kombination ſs (langes-s/s) als ß wiedergegeben. Versale Umlaute (Ä, Ö, Ü) werden in D2 im Gegensatz zur Phöbusfassung aufgelöst zu Ae, Oe, Ue und hier entsprechend transkribiert. Im Vergleich von D1 und D2 werden diese typographisch bedingten Abweichungen nicht extra gelistet. Alle anderen Abweichungen zwischen D1 und D2 werden angezeigt. Die vollständige Transkription der Phöbus-Fassung findet sich in Phöbus, 2. Stück, S. 3ff.

 Emendationen (insges. 24)
  • 119zweifelhalftzweifelhaft
  • 172dieſendieſem
  • 211kleinerkleinen
  • 231Augenbick,Augenblick,
  • 601FamileFamilie
  • 610aufauf-
  • 679ſetzen[¿]ſetzen.
  • 682dasdaß
  • 691MarqniſeMarquiſe
  • 766dasdaß
  • 897covulſiviſchenconvulſiviſchen
  • 1029vorgekomen;vorgekommen;
  • 1084ſehen[¿]”ſehen.”
  • 1227demden
  • 1279geheimißvollengeheimnißvollen
  • 1427daßdas
  • 1439wegweg.
  • 1573foſo
  • 1608iſtiſt.
  • 1636GeſichtGeſicht.
  • 1643dasdaß
  • 1752hartnaͤkig!hartnaͤckig!
  • 1852wenwenn
  • 1916fanftſanft
Pagina Kleist-Ausgaben
  • [BKA] II/2 7–102
  • [MA] II 107–147
  • [DKV] III 143–186
  • [SE:1993] II 104–143
  • [Bartl:2013 (Reclam)] 122–169
 Vergleich Editionen

Die durchgeführte Kollation mit unterschiedlichen historischen und aktuellen Kleist-Editionen zeigt bestimmte Lesarten und Emendationen, die von der vorliegenden emendierten Fassung abweichen. In den Anmerkungen finden sich hierzu häufig nähere Erläuterungen. (Gelegentlich ist die Ursache für Abweichungen ein Transkriptionsfehler in der jeweiligen Edition.)

Disclaimer: Abweichungen, die ihren Grund in typographisch bedingten Normalisierungen und Standardisierungen haben, werden nicht angezeigt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden. Mitgeteilte Abweichungen müssen am Original überprüft werden.

In die Kollation einbezogene Kleist-Ausgaben

[BKA][MA][Bartl:2013 (Reclam)]

[BKA:1989] [9 Abw.]
  • 119zweifelhalft ] zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 601Famile ] Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 679ſetzen[¿] ] setzen=
  • 691Marqniſe ] Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen=”
  • 1439weg ] weg.
  • 1448 ] [Zeilenfall abweichend.]
  • 1608iſt ] ist.
  • 1636Ge/ſicht ] Gesicht.
[Recl;Bartl:2013] [7 Abw.]
  • 163mehrer ] mehrerer [emendiert]
  • 344toͤdtlich ] toͤdlich
  • 679ſetzen[¿] ] setzen.
  • 760verſetzte er, ] versetzte, [emendiert nach Phöbus-Fassung mit Kommentarhinweis]
  • 999daß ] das [emendiert]
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen:”
  • 1477 Bedienten ] [emendiert in ›Bediente‹]
[MA:2010] [23 Abw.]
  • 119zweifelhalft ] zweifelhaft [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 163mehrer ] mehrerer [emendiert]
  • 231Augenbick, ] Augenblick, [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 601Famile ] Familie [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 679ſetzen[¿] ] setzen. [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 691Marqniſe ] Marquise [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar]
  • 746Vater ] Vaͤter
  • 766das ] daß [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 897covulſiviſchen ] convulsivischen [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1029vorgekomen; ] vorgekommen; [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen.” [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1227dem ] den [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1279geheimißvollen ] geheimnißvollen [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1427daß ] das [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1439weg ] weg.
  • 1448 ] [Zeilenfall abweichend.]
  • 1573fo ] so [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1608iſt ] ist.
  • 1636Ge/ſicht ] Gesicht.
  • 1643das ] daß [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1752hartnaͤ/kig! ] hartnaͤckig! [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1852wen ] wenn [emendiert ohne Kommentarhinweis]
  • 1916fanft ] sanft [emendiert ohne Kommentarhinweis]
[Phöbus, Zweites Stück] [480 Abw.]
  • 8ſey, ] sey;
  • 14ſolcher ] dieser
  • 16M.... ] M.
  • 16ungefaͤhr ] ohngefähr
  • 26Jahre ] Jahre,
  • 31Maͤchte ] Mächte,
  • 31ruſſiſchen ] russischen,
  • 35letzteren, ] Letzteren,
  • 39ſeyn ] sein
  • 50mit ] noch mit
  • 56fing ] fieng
  • 56Commendanten-Hauſes ] Commendantenhauses
  • 58Obriſtin, ] Obristinn,
  • 60un/ 60 teren ] untern
  • 64in demſelben. ] derselben.
  • 71die ] eine
  • 74hing, ] hieng,
  • 87ſeyn. ] sein.
  • 91bot dann ] bot
  • 93Arm, ] Arm;
  • 112begeben, ] begeben
  • 115ſeyn ] sein
  • 119zweifelhalft ] zweifelhaft
  • 119ſeyn ] sein
  • 121Punkte ] Puncte
  • 123an/fing, ] anfieng,
  • 132Kommandant, ] Commendant,
  • 140um die ] die
  • 146Jaͤgerkorps, ] Jägercorps,
  • 163mehrer ] mehrerer
  • 167Kommandanten ] Commendanten
  • 171Kommandant ] Commendant
  • 172dieſen ] diesem
  • 175Jaͤgerkorps, ] Jägercorps,
  • 175ſey. ] sei.
  • 176ſey; ] sei;
  • 188ſey, ] sei,
  • 195wohl bekannte ] wohlbekannte
  • 198allereifrigſte ] Allereifrigste
  • 198ſtrengſte ] Strengste
  • 205ſey. ] sei.
  • 208jener ] er
  • 211kleiner ] kleinen
  • 215Commendanten, ] Commandanten,
  • 216Marquiſe, ] Marquise
  • 217Umſtaͤnden, ] Umständen
  • 220ſie ] sie,
  • 221Zukunft ] Zukunft,
  • 231Augenbick, ] Augenblick,
  • 233Commendant, ] Commandant,
  • 237habe: ] hatte:
  • 237 ] [Sentenz ohne An- und Abführungszeichen]
  • 239haͤtte. ] hatte.
  • 251vergingen, ] vergiengen,
  • 252Commendanten/haus ] Commandantenhaus
  • 254uͤberlegte ] stritt
  • 261zuruͤck. ] zurück:
  • 261Die ] die
  • 265Goͤttin ] Göttinn
  • 267ſie ] sie,
  • 285Morpheus ] Der Traum
  • 286oder einer der /Traͤume aus ſeinem Gefolge, ] [fehlt]
  • 288ſeyn; ] sein;
  • 296ins ] in‘s
  • 299alle ] Alle
  • 301habe, ] habe;
  • 308ſey, ] sei,
  • 313ins ] in’s
  • 313ſey? ] sei?
  • 313er, ] [nicht gesperrt]
  • 314ſei/nem ] seinen
  • 317ſey ] sei
  • 320ja; ] ja,
  • 324ſeyn ] sein
  • 332wollte, ] wolle,
  • 364ſeyn; ] sein;
  • 370ehrfurchtsvollſte, ] Ehrfurchtsvollste,
  • 370inſtaͤndigſte ] Inständigste
  • 370dringendſte ] Dringendste
  • 374ſey, ] sei,
  • 380ſey: ] sei:
  • 391ſey, ] sei,
  • 403berechtige: ] berechtige;
  • 403großen; ] großen,
  • 405nicht ohne ] ohne
  • 411ſeyn. ] sein.
  • 413ſo werde auch er, eher aber nicht, ] so werde er, doch eher nicht,
  • 416ins ] in’s
  • 422ſey, ] sei,
  • 423anders ] anders,
  • 423vortheilhaft ] vortheilhaft,
  • 423ſeyn ] sein
  • 429ſey, ] sei,
  • 431ſey, ] sei,
  • 433ſey. ] sei.
  • 445Eltern ] Eltern,
  • 445ſey. ] sei.
  • 446ſey ] sei
  • 461entſcheidendſten ] Entscheidendsten
  • 471Reiſe ] Reise,
  • 485ſey, ] sei,
  • 492ſeyn, ] sein,
  • 499indeſſen ] inzwischen
  • 510ginge, ] gienge,
  • 513minutenlangen ] Minuten langen
  • 520ſey ] sei
  • 525Punkt ] Punct
  • 528dringendſte, ] Dringendste,
  • 529ungluͤckdrohenden ] unglücksvollen
  • 539ſey, ] sei,
  • 544ans ] an’s
  • 546ſey? ] sei?
  • 557danke, und ] danke;
  • 557ſey; ] sei;
  • 563hinausging: ] hinausgieng:
  • 565ins ] in’s
  • 583aufzunehmen: ] aufzunehmen;
  • 585Hauſes, ] Hauses;
  • 588melden, ] melden;
  • 601Famile ] Familie
  • 610auf ] auf-
  • 610niederging, ] niedergieng,
  • 612einem ] einem,
  • 613gewandten ] gewandten,
  • 614gereiſt ] gereis’t
  • 615alles ] Alles
  • 618ſchließen ] binden
  • 620Marquiſe, ] Marquise;
  • 621Wirkung; ] Wirkung,
  • 627Kraft ] Macht
  • 628hatte, ] hätte,
  • 628ſey, ] sei,
  • 633Kriege, ] Kriege
  • 638ſey, ] sei,
  • 650aus der Fluth wieder ] wieder aus der Fluth
  • 651ſey; ] sei;
  • 654ge/weſen, daß er ] gewesen wäre,
  • 655zu locken, ] locken,
  • 656haͤtte, ] hätte
  • 656bloß ] blos
  • 665denken ] sagen
  • 679ſetzen[¿] ] setzen.
  • 682das ] daſs
  • 685empfoͤhlen, ] empfehlen,
  • 691Marqniſe ] Marquise
  • 694Obriſtin ] Obristinn
  • 695zuruͤckkehrt, ] zurückkehrte,
  • 700Marquiſe ] Marquise,
  • 702ſtockte, ] schwieg,
  • 720kaum zu fuͤrchten ſey, ] kaum,
  • 721ſollte. ] sollte, zu fürchten sei.
  • 727andere ] andre
  • 731ſey ] sei
  • 741ſchaffen, ] schaffen
  • 751ſey, ] sei,
  • 757ins ] in‘s
  • 758Ruͤhrung ] Rührung,
  • 760verſetzte er, ] versetzte,
  • 766das ] daſs
  • 772herzlichſte, ] Herzlichste,
  • 773eigenen ] eignen
  • 780M... ] M...,
  • 787ſeyn ] sein
  • 789ſey. ] sei.
  • 793ſehnlichſter ] sehnlicher
  • 798ſey: ] sei:
  • 801gleich ] gleich hierauf
  • 803weiter nachzudenken, ] nachzudenken,
  • 803reiſte ] reis’te
  • 807verſtrichen. ] verstrichen:
  • 807Der ] der
  • 807empfing ] empfieng
  • 826wieder/kehrend ] wiederkehrende,
  • 836dann ] dann,
  • 837daß ] daſs sich
  • 838urtheile. ] beurtheile.
  • 838ſich ] sich,
  • 839verſtehe, ] verstehe?
  • 842ſey, ] sei,
  • 842brauche, ] brauche:
  • 855daß er ſeine Ausſage vor Gericht be/ſchwoͤren koͤnne: ] er würde eher Berge, als seine feste Meinung von ihr, versetzten können;
  • 861Doctor ] Arzt
  • 863ging ] gieng
  • 870ſelbſt ] selbt
  • 873war/um ] weshalb
  • 874ſey? ] sei?
  • 880ſey, ] sei,
  • 881ins ] in’s
  • 881liebes ] liebes,
  • 889Obriſtin, ] Obristinn,
  • 891ein ] das
  • 892das einer ] einer
  • 897covulſiviſchen ] convulsivischen
  • 901ich in ] ich
  • 901andern ] Andern
  • 903Obri/ſtin. ] Obristinn.
  • 909nie ] nicht
  • 910em/ 910 pfing? ] empfieng?
  • 920Obriſtin ] Obristinn
  • 922ſeyn. ] sein.
  • 929Bewußtſeyn, ] Bewuſstsein,
  • 929gleich dem ] wie
  • 931ſeyn. ] sein.
  • 933iſt, ] [gesperrt]
  • 934ſey, ] sei,
  • 936Bewußtſeyn, ] Bewuſstsein,
  • 937ging ] gieng
  • 942Obriſtin; nur ] Obristinn. Nur
  • 945ausgebreiteten ] ausgestreckten
  • 963muͤßte ] müſst’
  • 972ver/ſchwieg ] verschweige
  • 984wieder; /259welch ] wieder. Welch
  • 994G...., ] G...,
  • 995anfing. ] anfieng.
  • 1005Lei/besumſtaͤnden ] Umständen
  • 1009Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1010kommen; ſie ] kommen. Sie
  • 1012Traͤumerin, ] Träumerinn,
  • 1018Obriſtin ] Obristinn
  • 1029vorgekomen; ] vorgekommen;
  • 1035Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1041entdecken, willſt ] entdecken? Willst
  • 1046ſey die ] die
  • 1049neuem ] Neuem
  • 1049Geburtshelfe/rin ] Geburtshelferinn
  • 1054ſey? ] sei?
  • 1057ſeyn. ] sein.
  • 1059allgemeinen ] Allgemeinen
  • 1060ſey? ] sei?
  • 1061außer der heiligen /Jungfrau, ] soviel ihr bekannt sei,
  • 1065Geburtshelferin, ] Geburtshelferinn,
  • 1076Geſellſchafterin ] Gesellschafterinn,
  • 1079ſo ausließ: ] auslieſs:
  • 1083hoffe ] hoffe,
  • 1084ſehen[¿]” ] sehen.”
  • 1088ging, ] gieng,
  • 1092ſey ] sei
  • 1092Vater; ] Vater:
  • 1098daraus ] aus derselben
  • 1099zu ihr mit ] mit
  • 1100ſagte: ] sagte,
  • 1100hoͤre ] höre,
  • 1102Bruder: ] Bruder!
  • 1112hintern Wand. ] Wand.
  • 1116losging, ] losgieng,
  • 1121anſpannen, ] anspannen!
  • 1127alles ] Alles
  • 1133niederſchie/ßen, ] niederschieſsen:
  • 1136ſie ] sie,
  • 1138Wagen ] Wagen,
  • 1141eigenen ] eignen
  • 1148Bewußtſeyns, ] Bewuſstseins,
  • 1155muͤſſe, ] [gesperrt]
  • 1156nur waren nach ] nach
  • 1157als ] so machte
  • 1159machte, ] [vorgezogen, s. o.]
  • 1164dritten ] Dritten
  • 1164voller ] voller,
  • 1166in wenig Wochen, ſobald ſie ihre Nie/derkunft uͤberſtanden haben wuͤrde, ] gleich nach ihrer Niederkunft,
  • 1169verfallenen ] verfallenen,
  • 1171Muͤtzen, ] Mützen
  • 1172wuͤrde; ] würde,
  • 1174ſchicklichſten ] Schicklichsten
  • 1175wuͤrde. ] würde:
  • 1175Und ſo ] und noch
  • 1176noch ] [vorgezogen, s. o.]
  • 1177als ] da
  • 1179Thuͤrſteher ] Portier
  • 1184und deſſen Ur/ſprung, eben weil er geheimnißvoller war, auch /goͤttlicher zu ſeyn ſchien, als der anderer Men/ſchen, ] [fehlt]
  • 1192ge/wendet ] gewendet,
  • 1193ſeine ] seine,
  • 1202derſelben, ] derselben
  • 1203ſeyn ] sein
  • 1204ward, ] wurde,
  • 1206ſeyn, ] sein,
  • 1206man ] er
  • 1221ging ] gieng
  • 1224empfing ] empfieng
  • 1227dem ] den
  • 1244waͤre, ] wäre:
  • 1246ſeyn? ] sein?
  • 1254ging ] gieng
  • 1258Thuͤrſteher, ] Portier,
  • 1260Maaßregel ] Maßregel
  • 1261jener ] der Portier
  • 1263Art ] Art,
  • 1271Thuͤrſteher ] Portier
  • 1274trat ] trat,
  • 1279geheimißvollen ] geheimniſsvollen
  • 1282Eingang ] Eingange
  • 1287ſtehen; ] stehen,
  • 1299ihnen ] Ihnen
  • 1302ihrer ] Ihrer
  • 1304gleich/wohl? ] gleichwohl
  • 1306ihrer ] Ihrer
  • 1308wobei er einen gluͤhenden Kuß auf ihre /Bruſt druͤckte. ] wobei er auf ihre Brust glühend niedersah
  • 1312ſie ] Sie
  • 1313Ich komme ſchloß er — ] Komme, schloß er,
  • 1313nicht — ] nicht:
  • 1315Sie ] sie
  • 1317befehls ] befehl’s
  • 1320aufſtand, ] aufstand
  • 1320folgte. — ] folgte —
  • 1322heimliches ] heimliches,
  • 1322Ge/fluͤſtertes ] geflüstertes
  • 1324Arm. ] Arm
  • 1334ſey, ] sei,
  • 1335ſtehendes ] stehendes,
  • 1341hinab, ] hinab
  • 1342fuͤhlte ] fühlte,
  • 1344ſey, ] sei,
  • 1353bitteren ] bitterern
  • 1357kurzem ] Kurzem
  • 1357ins ] in’s
  • 1357ſeyn. ] sein.
  • 1362ſey, ] sei,
  • 1366ins ] in’s
  • 1367Ein Wechſel ] Eine Verwirrung
  • 1368durchkreuzte ] ergriff
  • 1371Graf, ] Graf;
  • 1372er mit ganzer ] seine
  • 1373gierig verſchlang. ] verschlang, und wiederkäute.
  • 1373Darauf ] Drauf,
  • 1376war, ſagte er: ] war:
  • 1376gut! ] gut! kehrte er sich um;
  • 1377kehrte ſich/ ſodann um; und fragte ] fragte
  • 1380ging, ] gieng,
  • 1384Obriſtin ] Obristinn
  • 1385ihres Gatten ] desselben
  • 1392erholte; doch ] erholte. Doch
  • 1412Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1414gleich/guͤltige ] gleichgültige,
  • 1421hing, ] hieng,
  • 1422wuͤn/278ſche; ] wünsche,
  • 1424Aufruf ] Aufsatz
  • 1425Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1426lebhafteſte ] Lebhafteste
  • 1427ging ] gieng
  • 1427daß ] das
  • 1437Naͤrrin! ] Närrinn!
  • 1439ging ] gieng
  • 1439weg ] weg.
  • 1440Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1443Antwort: ] Antwort darauf:
  • 1448 ] [Zitierende Textpassage wird in der Phöbusversion als eigener dreizeiliger Absatz mit einem An- und Abführungszeichen dargestellt.
  • 1449Obriſtin ] Obristinn
  • 1449verging, ] vergieng,
  • 1451Sprache; ] Sprache,
  • 1456Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1458Heuchlerin! ] Heuchlerinn!
  • 1459Huͤndin, ] Hündinn,
  • 1464Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1474ſey ] sei
  • 1476ſeyn, ] sein,
  • 1480Einem, Glauben, ] Einem Glauben
  • 1484ehe ] eh
  • 1496Obriſtin ] Obristinn
  • 1497empfing; ] empfieng;
  • 1509einen ] ein
  • 1521Stuͤcke ] Stücken
  • 1524Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1532Thuͤrſteher, ] Portier,
  • 1536Obriſtin ] Obristinn
  • 1537Worauf die/283ſer ] Der Portier
  • 1544aber war noch ] noch war
  • 1545Thuͤrſteher ] Portier
  • 1546vergeblichen ] vergeblichen,
  • 1546Verſuche ] Unternehmen
  • 1549Obriſtin ] Obristinn
  • 1559blieb, ] blieb
  • 1561unſchaͤtzbare ] unschätzbare,
  • 1566ſey, ] sei,
  • 1568Doch dieſe, indem ſie den /Handkuß vermied, fuhr fort: denn nicht nur, ] Doch diese: denn nicht nur, fuhr sie fort, indem sie den Handkuſs vermied,
  • 1572ſowohl ] sowohl,
  • 1573fo ] so
  • 1573muß ich dir auch ] ich muß dir nur
  • 1578nieder; — ] nieder;
  • 1594reden. ] reden;
  • 1594Darauf ſpricht er: ] drauf er:
  • 1595Gewiſſen ] Gewissen, spricht er,
  • 1595Ruhe; ] Ruhe,
  • 1595ſey ] sei
  • 1608iſt ] ist.
  • 1610ſeyn, ] sein,
  • 1611fruͤher als mir, ] zuerst
  • 1621Obriſtin. ] Obristinn.
  • 1635ihr ] ihr,
  • 1635ergluͤhendes ] erglühendes,
  • 1636Ge/ſicht ] Gesicht.
  • 1643das ] daß
  • 1651Jene verſetzte darauf: ] Doch jene:
  • 1652ich, ] ich, sprach sie,
  • 1654du Herrliche, Ueberirrdiſche, ] o Du Himmlische
  • 1665ſie ] Sie
  • 1673koͤnnt ] könnt’
  • 1675biete ] biete deinem unmenschlichen Vater Trotz, ich biete deinem Bruder, ich biete
  • 1676Trotz; ] Trotz,
  • 1676keine ] heine
  • 1705ſeyn, ] sein,
  • 1719Marquiſe, ] Marquise;
  • 1719auf; ] auf.
  • 1720und ] Und
  • 1723lange ] lang’
  • 1724theurſte ] theuerste
  • 1725Obriſtin ] Obristinn
  • 1725ins ] in’s
  • 1727ſollſt ] [nicht gesperrt]
  • 1730zieh ] zieh’
  • 1734Jemand ] jemand
  • 1736Thuͤr; ] Thür
  • 1741Obriſtin, ] Obristinn,
  • 1750G... ] G....
  • 1752hartnaͤ/kig! ] hartnäckig!
  • 1760ſagte: — ] sagte — :
  • 1769nicht, und ] nicht: er
  • 1779Wort: ] Wort,
  • 1780recht, ] Recht,
  • 1784Er/ſchuͤtterung, ] Erschütterng nicht doch,
  • 1785nicht /doch ] [umgestellt, s. o.]
  • 1786ſeyn ] sein
  • 1787ſey, ] sei,
  • 1793noch nicht ] nicht
  • 1800durchs ] durch's
  • 1801ſonſt in ] in
  • 1824nieder, ] nieder
  • 1825ſie rief: ] sie:
  • 1826Geſicht iſt /das! ] Gesicht! rief sie,
  • 1829gingen, ] giengen,
  • 1835Frage: ] Frage,
  • 1837dritte. ] Dritte.
  • 1841ſeyn ] sein
  • 1845ſeyn, ] sein,
  • 1846kaͤme, ] kommen wollte,
  • 1852wen ] wenn
  • 1854koſte ] koste,
  • 1858ſchicklichſten ] Schicklichsten
  • 1858ſeyn ] sein
  • 1865derſelben, ] der Person,
  • 1875ſeyn ] sein
  • 1880dritten. ] Dritten.
  • 1906ging ] gieng
  • 1909wen ] Wen
  • 1916fanft ] sanft
  • 1922Thoͤ/rin, ] Thörinn,
  • 1929Obri/ſtin; ] Obristinn;
  • 1934Obriſtin ] Obristinn
  • 1943gefaßt, ] gefast,
  • 1950Mutter ] Mutter,
  • 1951blickt ] sieht
  • 1960ſey; ] sei;
  • 1979ſeyn. ] sein.
  • 1992andern? ] Anderen?
  • 1992großen Au/gen zerſtreut ] großen, zerstreuten Augen
  • 1994Obriſtin ] Obristinn
  • 1995ſey? ] sei?
  • 2002gehoͤriger /ſchriftlicher Ruͤckſprache ] gehöriger Rücksprache schriftlich
  • 2004Heiraths/kontrakt ] Heirathscontract
  • 2019Wa/gen, ] Wagen
  • 2027voruͤber ] vorbei
  • 2029Graͤfin ] Gräfinn
  • 2032ſehen, ] sehn
  • 2034verſchwand. ] verchwand.
  • 2038Graͤfin ] Gräfinn
  • 2043Graͤfin ] Gräfinn
  • 2044Graͤfin, ] Gräfinn,
  • 2047weitem ] Weitem
  • 2051eines, ] Eines,
  • 2053andere ] Andere
  • 2054Erbin ] Erbinn
  • 2056ward er, auf Veranſtaltung der Frau /von G..., oͤfter eingeladen; ] ward er öfter eingeladen;
  • 2058verging ] vergieng
  • 2059fing, ] fieng,
  • 2062ſey, ] sei,
  • 2069Graͤfin, ] Gräfinn,
  • 2063neuem ] Neuem
  • 2068folgte ] folgten
  • 2071dritten, ] Dritten,
  • 2072ſchien, ] gewesen war,
  • 2075wie ein ] ein
  • 2076ſeyn, ] sein,
Stellenkommentar

15Commendanten[Franz.] Commendant, der oberste Befehlshaber in einer Festung, vgl. [Adelung: ›Commendant‹].

15Citadelle Ein ›größeres Fort, gewöhnlich auf beherrschendem Punkt innerhalb oder seitlich einer ältern Festung gelegen‹. Näheres [Meyers: ›Citadelle‹].

28 Eingezogenheit[GWB: ›Eingezogenheit‹] Synonym für ›Abgeschiedenheit Abgeschlossenheit Abgesondertheit Einsamkeit Einsiedelei Zurückgezogenheit‹.

29.... KriegMöglicherweise der 2. Koalitionskrieg 1799. Vgl. Politzer, 1977. Zum geschichtlichen Hintergrund siehe Eintrag in [Wikipedia].

32Obriſtveraltet für Oberst.

42berenntBeginn einer Belagerung. Näheres in [DWB: ›berennen‹].

55Haubitzenſpiel,sog. Steilfeuergeschütz. Vgl. Wikipedia-Eintrag ›Haubitze‹

104Pardon geben[DWB: ›Pardon‹, 2] ›die begnadigung, die schonung des lebens eines besiegten, gefangenen oder verurtheilten‹.

118Eilfertigkeit,Im Sinne von ›Eile, Hast‹. Vgl. [GWB: ›Eilfertigkeit‹, 1]

118Detaſchements,[GWB: ›Detachement‹] ›Detachement auch -sch- milit: vom Hauptheer abkommandierter Trupp Soldaten‹.

122Waffenplatz[Adelung: ›Waffenplatz‹] ›In engerer Bedeutung ist es in Festungen ein geräumiger Platz in dem verdeckten Wege, die Truppen daselbst zu versammeln‹.

130AsiatenIn den zaristischen russischen Armeen gab es immer auch kosakische und asiatische Verbände. Hier in abwertender Bedeutung.

163 mehrer Die Form ›mehrer‹ war um 1800 durchaus noch üblich und wird hier deshalb nicht emendiert. Vgl. [Adelung: ›mehrer‹, II 2.2) ]

190Reverberen[Meyers: ›Réverbère‹] ›(franz.), soviel wie Reflektor, auch die mit Reflektor versehene Lampe (Laterne) selbst‹.

282SensationIm 18. Jahrhundert noch in der Bedeutung von ›sinnlichem Gefühl‹, ›sinnlicher Empfindung‹. Vgl. [DWB: ›Sensation‹].

284PhantaſusBruder des Morpheus. Verwandelt sich trügerisch in Erde, Stein, Welle, Balken oder andere seelenlose Natur. Vgl. Ovid, Metamorphosen, XI. Buch, 642.

285 Morpheus Traumgott, einer der Söhne des Somnus. Erscheint im Traum in unterschiedlicher menschlicher Gestalt. Vgl. Ovid, Metamorphosen, XI. Buch, 635, 647, 671. Siehe auch [Wikipedia].

293Aufseher über einen großen in viele Reviere geteilten Forst. Vgl. [Adelung: ›Forstmeister‹] u. [Meyers: ›Forstmeister‹].

357Depeſchen[GWB: ›Depeschen‹] ›eilige, durch Boten od (meist reitende) Post übermittelte schriftl Nachricht od Sendung amtl od privaten Charakters‹.

379VerbindlichkeitVgl. [Amelung: ›Verbindlichkeit‹, 2] ›In passiver Bedeutung, der Zustand, da man sich in der moralischen Nothwendigkeit zu einer Handlung befindet, sie rühre nun von einem Gesetze, oder von einem freywilligen Versprechen, oder endlich auch von empfangenen Gefälligkeiten und Wohlthaten her.‹

459General en ChefKommandierender General eines Armeekorps. In der Kaiserlich Russischen Armee ab 1796 nicht mehr als Rangbezeichnung gebräuchlich. Vgl. [Wikipedia]

489Expedition,Auslieferung, Verschickung. Vgl. [GWB: ›Expedition‹]

518Caſſation›Kassation‹: militärische Disziplinarstrafe, Entlassung aus dem Dienst (ohne Aussicht auf Wiedereinstellung). Vgl. [Meyers: ›Kassation‹]

536unfehlbarWahr, sicher, zuverlässig, unbedingt. Vgl. [DWB: ›unfehlbar‹, 1a]

547Domeſtikenſtube,Unterkunft des Dienstpersonals. Vgl. ›Zimmer für Domestiken und Hausofficianten‹ in Carl L. v. Bothmer: Betrachtungen und Einfälle über die Bauart der Privatgebäude in Teutschland. Augsburg: Stage, 1779. S. 13

548Adjutanten,Einem höheren Offizier zur Unterstützung beigegebener Leutnant.

557GeſchaͤftIm 18. Jahrhundert noch gebraucht im Sinne von Tätigkeiten (abgeleitet von ›schaffen‹). Vgl. [Adelung: ›Geschäft‹].

557abgemachtErledigt, abgeschlossen, fertig gemacht. Vgl. [DWB: ›abmachen‹].

560PortefeuilleBriefmappe.

579gefaͤlligſtUm 1800 noch ohne negative Konnotierung im Sinne von ›Gefallen erweckend‹, ›gefällig sein‹. Vgl. [DWB: ›gefällig‹, insb. 4]

586trocknen GeſichtHier in der Bedeutung von distanzierter, betont ausdrucksloser Mimik.

618 ſchließen In Ketten schließen lassen. Vgl. [DWB: ›schließen‹ 2b] In der Phöbus-Version ist hier noch in abgeschwächter Form von ›binden lassen‹ die Rede.

618arretiren,Festnehmen, verhaften. Vgl. [GWB: ›arretieren‹].

630erharrteEtwas erwarten. Vgl. [DWB: ›erharren‹].

631GefliſſentlichMit Fleiß, mit Vorwand. Vgl. [Adelung: ›geflissentlich‹].

638gehoͤrigenGebührend, geziemend. Vgl. [DWB: ›gehörig‹, 5 a/b]

645SchwansSchwan als Metapher für Weissheit, Reinheit, Unschuld. Sehr ausführlich [DWB: ›Schwan‹]. Hier auch Verweis auf Schwan als Metapher für ›weisze und schönheit‹ der Jungfrauen. Schon in der Antike steht der Schwan für vielerlei Symbolik: er ist der heilige Vogel des Apoll, Jupiter verwandelte sich in einen Schwan, um Leda zu verführen, Schwäne bildeten das Gespann für Venus oder Amor.

668InfameEhrlos, schändlich. Vgl. [GWB: ›infam‹]

731verwickelnIn etwas hineingezogen werden, sich nicht zurechtfinden, sich verirren. Vgl. [DWB: ›verwickeln, 3b‹]

741anheiſchigEtwas auf sich nehmen, versprechen etwas verbindlich zu tun. Vgl. [DWB: ›anheischig‹] und [Adelung: ›anheischig‹].

748hinterbringenEine Botschaft, Nachricht überbringen. Vgl. [GWB: ›hinterbringen‹].

752verfuͤgen.Sich verfügen: sich wohin begeben. Vgl. [DWB: ›verfügen, 2b‹]

755KammerdienerPersönlicher Bedienter. Vgl. [Adelung: ›Kammerdiener‹].

760 verſetzte er, In der Phöbus-Fassung steht statt ›versetzte er,‹ nur ›versetzte,‹. Diese Textstelle wird in den Kleist-Editionen unterschiedlich behandelt. [DKV III, 159;10], [Kleist/Bartl:2012, 139,23] emendieren (unter Hinweis auf die Phöbus-Fassung im Kommentar) nach der Phöbus-Fassung, [BKA II/2, 42;10] emendiert nicht (mit Hinweis im Kommentar), ebenso [MA, 122;3] (ohne Hinweis auf Phöbus-Fassung im Kommentar). In früheren Editionen (Sembdner, Schmidt, Zolling) wird einheitlich nach der Phöbus-Fassung verfahren (meist ohne textkritischen Hinweis). Beide Lesarten scheinen berechtigt, abhängig davon, wie das Satzgefüge aufgelöst wird: a) ›doch er wisse genug‹, wobei das Pronomen ›er‹ rethorisch wieder aufgenommen wird, oder b) ›doch er versetzte‹. Da im vorliegenden Text hinter dem Doppelpunkt zumeist unmittelbar eine (häufig indirekte) Rede angeschlossen wird, wird die Textstelle im Sinne von a) gelesen und nicht emendiert.

774JaͤgerHier in der Bedeutung eines herrschaftlichen Bedienten in ›jägerischer kleidung‹. Vgl. [DWB: ›Jäger‹, 2]

775PraͤmienPreis, Belohnung. Vgl. [DWB: ›Prämie‹]

794vermaͤhlen.Eine eheliche Verbindung, Vereinigung eingehen. Vgl. [Adelung: ›vermählen‹]. Die aufkommende Empörung der Familie und die Nachfrage der Marquise, ob der Graf ›von Sinnen ſey‹, ist schon deshalb nachvollziehbar, da der Graf bei seinem überraschenden Besuch sich offensichtlich nicht nur verloben, sondern zusätzlich noch die Vermählung vollziehen wollte.

831DivanGepolsterter, orientalischer Sitz. Vgl. [DWB: ›Divan‹, 3]

848empfindlich:Gereizt. Vgl. [DWB: ›empfindlich‹, Adv. 2].

895ſchicklich›Was gehörig ist‹, der Stellung einer Person (hier des Vaters) angemessen. Vgl. [DWB: ›schicklich‹, 2].

897 covulſiviſchen Krampfartig zuckend. Vgl. [GWB: ›Konvulsion‹]

935Entwuͤrdigung.Herabsetzung, Herabwürdigung, hier ›gefühl gekränkter würde‹. Vgl. [DWB: ›Entwürdigung‹]

1030wuͤſten Inſeln›Wüste Inseln‹ und Seeräuber sind ein beliebter Topos in der Literatur des 18. Jahrhundert, vgl. z. B. das Singspiel ›Die wüste Insel‹ von August G. Meißner. [August G. Meißner: Die wüste Insel. Singspiel. Leipzig: Dyck, 1778].

1033Corſar,Seeräuber. Vgl. [Adelung: ›Corsar‹]

1046Verflucht ſey die Stunde, da ich dich gebahr!Die Verfluchung der Geburt findet sich schon im Alten Testament (Jeremia, 20), dort allerdings als Selbstverfluchung ›VErflucht sey der tag / darinn ich geboren bin / Der tag müsse vngesegenet sein / darinn mich meine Mutter geboren hat.‹. [Jer 20,14]

1061 außer der heiligen Jungfrau, Die Geburt Jesu wird Maria angekündigt durch den Engel Gabriel: ›31 Sihe / du wirst schwanger werden im Leibe / vnd einen Son geberen / des Namen soltu Jhesus heissen. ... 34 Da sprach Maria zu dem Engel / Wie sol das zugehen? sintemal [zumal] ich von keinem Manne weis. 35 Der Engel antwortet / vnd sprach zu jr / Der heilige Geist wird vber dich komen / vnd die krafft des Hoͤhesten wird dich vberschatten. Darumb auch das Heilige / das von dir geboren wird / wird Gottes Son genennet werden.‹ [Lukas 1;31,34,35]

1069MittelEs muß offen bleiben, welche ›Mittel‹ die Hebamme empfiehlt. Dies können – wörtlich gelesen – um 1800 bekannte Naturmittel sein, die zu einer ›Abtreibung der Leibesfrucht‹ führen (Höpfners Deutsche Encyclopädie von 1778 verweist auf ›Sadebaumblätter‹), oder sie spricht im übertragenen Sinn von Strategien, eine legitime Geburt vorzutäuschen, wie sie z. B. Kleist in seiner ›Sonderbaren Geschichte, die sich, zu meiner Zeit, in Italien zutrug‹ [BA 1811, Nr. 2, 5ff] beschreibt. Da der Marquise die ›Troſtgruͤnde‹ wie ›Meſſerſtiche durch die Bruſt fuhren‹, scheint es plausibler, von erstgenannten Abtreibungsmitteln auszugehen.

1070LeumundDer ›ruf, in dem jemand wegen seines moralischen verhaltens steht‹. Vgl. [DWB: ›Leumund‹, 1,2]

1076 Geſellſchafterin Die Gesellschaft leistende, hier die Hebamme. Vgl. [DWB: ›Gesellschafterin‹]

1082uͤber ihr Vermoͤgen lautenden Papiere,Vertragsunterlagen, die die Vermögensverhältnisse der Marquise regeln.

1114Piſtol,Zum zeitgenössischen Sprachgebrauch gehörte sowohl die feminine Form ›Pistole‹ wie auch das Neutrum ›Pistol‹. Letzteres ist aus der franz. Form ›pistolet‹ abgeleitet. Vgl. [DWB: ›Pistol‹, 2]. Kleist nutzt in der ›Marquise‹ beide Formen (siehe Zeile 1726).

1118Herr meines Lebens!Formulierung aus dem Buch Jesu Syrach, Cap. 23,4: ›HERR Gott Vater vnd HERR meins Lebens‹. Da Kleist nur den zweiten Teil des Anrufs nutzt, ist dieser auch auf den Vater zu beziehen, zumal dieser gerade auf das Leben der Tochter zielte.

1122matt›matt bis in den Tod‹: Formulierung aus Schillers ›Räubern‹: ›Ich wollt euch bitten mir eine Handvoll Wassers aus diesem Strome zu holen, aber ihr seid alle matt bis in den Tod.‹ Kleist benutzte die Formulierung auch schon in seiner ›Penthesilea‹. Vgl. V 424 im Phöbus-Fragment.

1140ſelbſt bekannt gemacht,Die Formulierung ›mit sich selbst bekannt gemacht‹ findet sich schon in Kants Schrift ›Kurzer Abriss der physischen Geographie‹. Vgl. z. B. ›Sammlung einiger bisher unbekannt bebliebenen kleinen Schriften‹ [Nicolovius, Königsberg, 1807].

1145ihre liebe Beute,Anspielung auf den gerade errungenen ›Sieg‹ gegen Vater und Bruder.

1179 Thuͤrſteher In der Phöbus-Fassung durchgängig ›Portier‹ genannt. Der ›Thürsteher‹ ist ›eine Person, welche an der Thür stehet, selbige zu bewachen, eine Art Thürhüter‹. Vgl. [Adelung: ›Thuͤrsteher‹]

1209IntelligenzblaͤtterIm 18. und frühen 19. Jahrhundert die Bezeichnung für meist wöchentlich erscheinende Annoncenblätter. Primäres Ziel dieser Blätter war, den einlaufenden Angeboten und Nachfragen ein möglichst großes Publikum zu verschaffen. Ausführlicher hierzu: [Meyers: ›Intelligenzblätter‹], auch [Wikipedia].

1276RampeSchräge Fläche vor dem Haustor zur besseren Auffahrt, Begriff stammt ursprünglich aus dem Festungsbau. Vgl. [DWB: ›Rampe‹, 1].

1347in der uͤbelſten Laune von der Welt,Um 1800 offensichtlich eine stehende Redewendung, da in damaligen Texten öfter gleichlautend zu finden. Z. B.: [Schultes: Reise auf den Glockner. Wien: Degen, 1804. S. 21], [Ernst Wagner: Die reisenden Maler. Leipzig: Göschen, 1806. S. 130], [Johann Friedrich Jünger: Lustspiele. Leipzig: Dyck, 1786. S. 110] u. a.

1348oͤffentlichen TafelMeist ein eher höfisches Zeremoniell, hier wohl in der Bedeutung eines in besseren Wirtshaͤusern stattfindenden Table d'hôte, an denen die ›oft sehr gute Gesellschaft‹ zusammen kam. Vgl. entsprechenden Bericht aus der Schweiz [Carl G. Küttner: Briefe eines Sachsen aus der Schweiz an seinen Freund in Leipzig. Leipzig: Dyck, 1785.].

1462CherubHöchster Engel, hier in der Bedeutung eines ›Geschöpf höchster Vollkommenheit‹. Vgl. [GWB: ›Cherub‹, b]

1469Fabel,Hier als unwahre erfundene Geschichte zu verstehen. Vgl. [DWB: ›Fabel‹, 2]

1470aufbuͤrdenAusgehend vom folgenden Satz des Vaters steht ›aufbuͤrden‹ hier in der Bedeutung von ›zu Unrecht anlasten‹, ›beschuldigen‹. Vgl. [GWB: ›aufbürden‹, b] [Adelung: ›aufbürden‹, 2].

1480 Einem, Glauben, In der Phöbus-Fassung fehlte noch ein Komma hinter ›Einem‹. Hier wird durch das eingefügte Komma die Bedeutung von ›Einem‹ verstärkt. Für die Mutter kann nur Eines stimmen, nämlich die behauptete Unchuld der Tochter und nicht die vom Vater behauptete Niederträchtigkeit der Tochter.

1495gefaͤlligſtVgl. Anmerkung zu Z. 579

1503dreiſtIn der positiven Bedeutung von kühn, zuversichtlich, beherzt. Vgl. [DWB: ›dreist‹, 1]

1515abgefeimteſteVon abfeimen, abfäumen (vom Schaum befreien, abschäumen, Abschaum). Abgeklärt, durchtrieben, gerissen. Vgl. [GWB: ›abfeimen‹], [DWB: ›abfeimen‹].

1520GemeinſchaftUmgang aller Art. Vgl. [DWB: ›Gemeinschaft‹, 3d]

1608entbloͤßtVon allen Forderungen ... entblößt: ohne alle (materiellen) Mittel. Vgl. [GWB: ›entblößen‹, 2a].

1614Jaͤger,Siehe Anmerkung Z. 774.

1615verſchrieb,Sich verschreiben: sich schriftlich verpflichten, per schriftlichem Vertrag anstellen. Vgl. [DWB: ›verschreiben‹, 7].

1644verderbteVerdorben im moralischen Sinne. Vgl. [DWB: ›verderben‹, ›Verderbtheit‹].

1656beſchwoͤreHeftig, inständig um etwas bitten, jemanden zu etwas ›zu bewegen suchen‹. Vgl. [Adelung: ›beschwören‹, 2c], [GWB: ›beschwören‹, 1]

1659verehrenJmd. achten. Vgl. [DWB: ›verehren‹, 1]

1666UnſtraͤflichkeitUntadeligkeit. Moralisch nicht zu verurteilendes Verhalten, frei sein von Schuld. Vgl. [DWB: ›unsträflich‹, 3]

1684AffectEin ›hoher Grad einer Gemüthsbewegung und dessen Ausbruch‹. Vgl. [Adelung: ›Affect‹].

1705ſchluͤpfte ab.Entschlüpfen, sich lautlos entfernen. Vgl. [DWB, ›abschlüpfen‹]

1707ſolch ein Thomas!Spielt an auf den Apostel Thomas, der als Einziger der zwölf Apostel zunächst nicht an die Wiederauferstehung Jesu glauben will. Vgl. Lukas 20, 24ff ›24 THomas aber der Zwelffen einer / der da heisset Zwilling / war nicht bey jnen / das Jhesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu jm / Wir haben den HErrn gesehen. Er aber sprach zu jnen / Es sey denn / das ich in seinen Henden sehe die Negelmal / vnd lege meinen Finger in die Negelmal / vnd lege meine Hand in seine Seiten / wil ichs nicht gleuben. 26 VND vber acht tage / waren aber mal seine Jünger drinnen / vnd Thomas mit jnen. Kompt Jhesus / da die thür verschlossen waren / vnd trit mitten ein / vnd spricht / Friede sey mit euch. 27 Darnach spricht er zu Thoma / Reiche deinen Finger her / vnd sihe meine Hende / vnd reiche deine Hand her / vnd lege sie in meine Seiten / vnd sey nicht vngleubig / sondern gleubig. 28 Thomas antwortet / vnd sprach zu jm / Mein HErr vnd mein Gott. 29 Spricht Jhesus zu jm / Dieweil du mich gesehen hast Thoma / so gleubestu / Selig sind / die nicht sehen / vnd doch gleuben.‹

1709Seigerſtunde›Seiger‹: Uhr. Ein ›nachdrücklicher Ausdruck für Stunde‹. Vgl. [Adelung: ›Seigerstunde‹], [DWB: ›Seiger‹, 3]

1726beſchwoͤreVgl. Anmerkung Z. 1656.

1734heranſchluchzen:Kleistscher Neologismus.

1750abbitten,Um Vergebung bitten, sich entschuldigen. Vgl. [Adelung: ›abbitten‹]

1751 hartnaͤkig! ›Fertigkeit besitzend, seine Meinungen und Entschließungen auch bey Entdeckung ihrer Unrichtigkeit oder Schädlichkeit beyzubehalten‹. Halsstarrig, eigensinnig. Vgl. [Adelung: ›hartnaͤckig‹]

1754vortrefflicher,›vollkommen in bestimmter lebensstellung, beruf, kunst u. s. w.‹. Vgl. [DWB: ›vortrefflich‹, 1b]

1774convulſiviſchVgl. Anmerkung Z. 897.

1776Anforderungen›Anforderungen an einen haben, das Recht haben, etwas von jemanden fordern zu können.‹ Vgl. [Adelung: ›Anforderung‹]

1796Sie vernahm, da ſie mit ſanft an die Thuͤr gelegtem Ohr horchte,Kleists Vorlage für das Geschehen zwischen Vater und Tochter ist eine entsprechende Szene aus Rousseaus ›Julie ou la Nouvelle Héloïse‹ (Première partie, Lettre LXIII de Julie à Claire, eine erste zeitgenössische deutsche Übertragung ist 1761 in Leipzig erschienen).
Die Szene lautet im französischen Original: Après le souper, l’air se trouva si froid que ma mère fit faire du feu dans sa chambre. Elle s’assit à l’un des coins de la cheminée, et mon père à l’autre ; j’allais prendre une chaise pour me placer entre eux, quand, m’arrêtant par ma robe, et me tirant à lui sans rien dire, il m’assit sur ses genoux. Tout cela se fit si promptement, et par une sorte de mouvement si involontaire, qu’il en eut une espèce de repentir le moment d’après. Cependant, j’étais sur ses genoux, il ne pouvait plus s’en dédire ; et, ce qu’il y avait de pis pour la contenance, il fallait me tenir embrassée dans cette gênante attitude. Tout cela se faisait en silence : mais je sentais de temps en temps ses bras se presser contre mes flancs avec un soupir assez mal étouffé. Je ne sais quelle mauvaise honte empêchait ces bras paternels de se livrer à ces douces étreintes. Une certaine gravité qu’on n’osait quitter, une certaine confusion qu’on n’osait vaincre, mettaient entre un père et sa fille ce charmant embarras que la pudeur et l’amour donnent aux amants; tandis qu’une tendre mère, transportée d’aise, dévorait en secret un si doux spectacle. Je voyais, je sentais tout cela, mon ange, et ne pus tenir plus longtemps à l’attendrissement qui me gagnait. Je feignis de glisser ; je jetai, pour me retenir, un bras au cou de mon père ; je penchai mon visage sur son visage vénérable, et dans un instant il fut couvert de mes baisers et inondé de mes larmes ; je sentis à celles qui lui coulaient des yeux qu’il était lui-même soulagé d’une grande peine : ma mère vint partager nos transports. Douce et paisible innocence, tu manquas seule à mon cœur pour faire de cette scène de la nature le plus délicieux moment de ma vie !
Zeitgenössisch ist diese Szene wie folgt übersetzt: ›Nach dem Essen war es so kalt, daß meine Mutter das Zimmer heizen ließ. Sie setzte sich an die eine Ecke des Kamins, und mein Vater an die andre. Ich holte einen Stul, um mich in die Mitte zu setzen, als er mich beym Rocke hielt, mich, ohne etwas zu sagen, zu sich zog, und auf seinen Schooß nahm. Alles dieses geschah so geschwind, und mit einer so unfreywilligen Bewegung, daß es ihn einen Augenblick danach gereute. Unterdessen war ich einmal auf seinem Schooße, er konnte mich nicht wieder loslassen, und was für die Stellung am schlimmsten war, er mußte mich in dieser engen Positur umarmt halten. Alles dieses geschah stillschweigend; allein von Zeit zu Zeit fühlte ich, daß er mit einem übel erstickten Seufzer seine Arme an meine Seiten drückte. Ich weis nicht, welche niedrige Schamhaftigkeit diese väterlichen Arme verhinderte, sich diesem süssen Drucke zu überlassen; ein gewisser Ernst, den man nicht ablegen durfte; eine gewisse Verwirrung, die man sich nicht zu überwinden getraute, erweckten zwischen Vater und Tochter diese reizende Verlegenheit, die bey Liebenden aus Scham und Neigung entsteht; indeß daß eine zärtliche Mutter, vor Freuden entzückt, auf ein so angenehmes Schauspiel voll geheimer Freude ihre Augen heftete. Das alles, mein Engel, sah und fühlte ich, und konnte der zärtlichen Regung, die mich einnahm, nicht länger widerstehen. Ich stellte mich, als wollte ich fallen; um mich zu erhalten, warf ich den einen Arm um meines Vaters Hals, neigte zu seinem ehrwürdigen Gesichte das meinige, und in einem Augenblicke ward es mit meinen Küssen erfüllt, und mit meinen Thränen überschwemmt. Aus denen, die ihm von den Augen rollten, sah ich, daß er selbst von einer großen Last erleichtert war; und meine Mutter nahm an unserm Entzücken Theil. Süsse und ruhige Unschuld, du allein fehltest meinem Herzen, um diesen Auftritt der Natur zum vergnügtesten Augenblicke meines Lebens zu machen.‹ [S. 335f]

1802zugegeben›gewähren, gestatten, dulden‹. Vgl. [DWB: ›zugeben‹, 4]

1837gefuͤrchtete dritte. Die Assoziierung des ›Dritten‹ mit ›gefuͤrchtet‹ bzw. ›fuͤrchterlich‹ erscheint dreimal im Text (vgl. noch Z. 1880 u. Z. 2071). Neben der Furcht der Familie vor der ›Offenbarung‹ als engerer Bedeutung spielt Kleist möglicherweise auch mit der biblisch tradierten Bedeutung des ›gefürchteten Dritten‹ bei der Ankunft der Israeliten am Berg Sinai: ›denn am dritten Tage wird der HERR vor allem Volk herabfahren auf den Berg Sinai‹. Dieses ›Herabfahren‹ wird in der Folge durchaus furchterregend inszeniert: ›15 Vnd er [Moses] sprach zu jnen / Seid bereit auff den dritten tag / vnd keiner nahe sich zum Weibe. 16 ALS nu der dritte tag kam / vnd morgen war / Da hub sich ein donnern vnd blitzen / vnd ein dicke wolcken auff dem Berge / vnd ein dohn einer seer starcken Posaunen / Das gantz Volck aber das im Lager war / erschrack. 17 Vnd Mose füret das Volck aus dem Lager / Gott entgegen / Vnd sie traten vnten an den Berg. 18 Der gantz berg aber Sinai rauchet / darumb das der HERR erab auff den Berge fure mit fewr / Vnd sein Rauch gieng auff / wie ein rauch vom ofen / das der gantze Berg seer bebete / 19 Vnd der Posaunen dohn ward jmer stercker.‹ [2. Mose 19, 11ff]. Insbesondere die die Erzählung konterkarierende Formulierung ›vnd keiner nahe sich zum Weibe‹ unterstützt die Vermutung, daß Kleist mit dieser Bibelstelle spielt.

1912Wetterſtrahl,Blitz. Vgl. [DWB: ›Wetterstrahl‹, 1]

1919wen ſonſt, wir Sinnberaubten, als ihn — ?Die Mutter beginnt offensichtlich schon unmittelbar nach Eintreten des Grafen den Hergang der Schwängerung ihrer Tochter zu rekonstruieren: von ›wie erſtickt von Gedanken‹ [Z. 1905f] über ›ich bitte dich, Julietta! ... wen erwarten wir denn‹ [Z. 1908f] und ›Wen ſonſt ... wir Sinnberaubten, als ihn‹ [Z. 1919f] bis zu ›fluͤſterte ihr etwas in das Ohr‹ [Z. 1924]. Erst auf diese letzte nicht berichtete Mitteilung der Mutter über den vermuteten Hergang der Vergewaltigung bricht die Marquise zur Verwunderung jener zusammen.

1922 Thoͤrin, Eine Person, die ›dem gesunden verstande zuwider, unbesonnen handelt, im gegensatze zum weisen, klugen, verständigen‹. Vgl. [DWB: ›Thor‹, 2]

1937Alles vergeben und vergeſſen.Sprichwort: ›Es ist vergeben und vergessen‹. Vgl. [Wander: ›vergeben‹, 21]

1943LaſterhaftenSittlich Verdorbener. Vgl. [GWB: ›lasterhaft‹]

1951Furie›wütendes weib. von furere, wüten, rasen, toben‹. Vgl. [DWB: ›Furie‹, 1]

1955Weihwaſſer,Im katholischen Ritual werden dem Weihwasser exorzistische Wirkungen zugesprochen: ›der teufel flieht davor‹. Gläubige durften Weihwasser für den privaten Brauch ›mit nach haus nehmen‹. Der Marquise erscheint der Graf offensichtlich als Inkarnation des Teufels. Hierzu auch der Schluss der Erzählung. Vgl. [DWB: ›Weihwasser‹, 1c 2]

1980AuguſtinerkircheDer Heilige Augustinus ist als lateinischer Kirchenlehrer der Spätantike Namenspatron für eine Vielzahl an Kirchen und Klöstern. In seinen ›Confessiones‹ berichtet Augustinus von in seiner Jugend ›begangne[n] Schandthaten‹ und der ›fleischlichen Verderbniß‹ [S. 31] seiner Seele. Erst von hier aus findet er im Alter von 33 Jahren seinen Weg zu Gott. Durch die Vermählung in einer ›Auguſtinerkirche‹ platziert Kleist den Grafen in diesen Kontext der Läuterung. Vgl. [Aurelius Augustinus: Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen uͤbersetzt von Adolf Gröninger. Muünster : Theissing, 1798]. Siehe auch Wikipedia: ›Augustinus von Hippo‹.

1983verfuͤgen,Siehe Anmerkung Z. 752

1988durchaus›gänzlich, ganz und gar, völlig, schlechterdings, ohne widerrede, in allen stücken, in jeder hinsicht‹. Vgl. [DWB: ›durchaus‹, 1]

1991gehaͤſſiger›Haß habend, bey sich empfindend, für das veraltete hässig. Einem gehässig seyn, ihn hassen.‹ Vgl. [Adelung: ›gehässig‹, 1]

2002 gehoͤriger ſchriftlicher Ruͤckſprache Vgl. Anmerkung Z. 638

2045TeppichenZierdecke. Vgl. [DWB: ›Teppich‹]

2056 ward er, auf Veranſtaltung der Frau von G..., oͤfter eingeladen; ›Veranstaltung‹: ›sorgfältiges herrichten als handlung‹. Vgl. [DWB: ›Veranstaltung‹, 1]. Die Formulierung ›auf Veranstaltung der Frau von G...‹ fehlte noch in der Phöbus-Fassung. Mit dieser Ergänzung wird der Eindruck zurückgedrängt, dass die Marquise sich erst aufgrund der materiellen Ausstattung durch den Grafen für diesen (wieder) zu interessieren beginnt.

2061um der gebrechlichen Einrichtung der Welt willen,›um—willen‹: Nach DWB als Präposition in der Bedeutung von ›zu liebe‹ oder abgeschwächt ›aus gefälligkeit‹. Vgl. [DWB: ›willen‹, III A 1]. Das Verzeihen durch die Familie ist also nach dem Gefühl des Grafen darin begründet, die ›gebrechliche Einrichtung der Welt‹ nicht noch zusätzlich zu gefährden. Zur Deutung des Begriffs ›gebrechlich‹ im Sinne von ›mangelhaft überhaupt, unzureichend, unvollkommen‹ findet sich im DWB Kleists Formulierung ›um der gebrechlichen einrichtung der welt willen‹ als Beleg. Vgl. [DWB: ›gebrechlich‹, 2d].
Der Topos ›Einrichtung der Welt‹ ist um 1800 eine feste Formel in Theologie und Philosophie. Unter vielen anderen beschäftigt sich auch Josias Friedrich Christian Löffler, Superintendent in Gotha, in seinen 1801 erschienenen ›Neue[n] Predigten‹ mit dieser ›Einrichtung der Welt‹. Kleist erwähnt besagten Löffler schon in seinem ersten überlieferten Brief an Auguste von Massow anläßlich seines Besuchs bei ihm in Gotha. Ganz im Geist der Aufklärung schreibt Löffler von der ›auf Zweck und Mittel berechnete[n] Einrichtung der Welt‹: ›Daß aber die Welt, daß die einzelnen Geschöpfe so eingerichtet sind, daß wir annehmen müssen,daß ein Verstand diese Einrichtung gedacht und gewollt habe — es waͤre eine lächerliche Thorheit, dieses erst erweisen zu wollen. — Zwar bin ich nicht im Stande, die Art und Weise zu erklären, wie jenes Wesen die Körper der Welt hervorgebracht, und wie es ihnen diese Form, diese Kräfte, diese Bewegung, diese Gesetze gegeben hat — die Schöpfung wage ich nicht zu beschreiben — — Aber das weiß ich, daß eine verständige, auf Zweck und Mittel berechnete Einrichtung der Welt da ist, und daß ich mich vor dem Verstande beugen muß, der diese Einrichtung dachte und wollte.‹ [Josias Friedrich Christian Löffler: Neue Predigten. Erste Sammlung. Jena: F. Frommann, 1801. S. 7]. Diese verständige, auf Zweck und Mittel berechnete Einrichtung der Welt ist für den Erzähler Kleist längst ›gebrechlich‹ geworden.

2062Bewerbung›bemühung um eine frau, liebeswerben, brautwerbung‹. Vgl. [DWB: ›Werbung‹, 2bα], [DWB: ›werben‹, II B 1]

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