[071] An Ulrike v. Kleist, 13. März 1803
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[1] [BKA IV/2 244] [DKV IV 312] [SE:1993 II 729] [Heimböckel:1999 (Reclam) 321] [MA II 810] Leipzig, d. 13t 13t (und 14t) 13t und 14. März, 1803. /
Ich habe deinen]Deinen Brief vom 18t Febr. empfangen, u. und und eile ihn zu beantworten. — / Vielen Dank für alle deine guten Nachrichten. Wie mag doch das kleine Ding aus/ſehen, das Guſtel gebohren hat? Ich denke, wie die Mäuſe, die man aus / Apfelkernen ſchneidet. — /
Merkels unbekannter Correspondent bin ich nicht. — /
Du biſt doch immer noch die alte reiſeluſtige Ulrike! Die Mara hat anderthalb / Meilen von mir geſungen (in Weimar) u. und wahrhaftig, ſie hätte in dem Kruge / zu Osmanſtädt ſingen können; es iſt noch die Frage, ob ich mich gerührt hätte. Aber / der Himmel behüte mich, dir]Dir dieſe Reiſeluſtigkeit zu beſpötteln. Denn das wäre,/ 10 als ob Einer, der mit ſinkenden Kräften gegen [MA II 811] einen Fluß kämpfte, die Leute,/ die auf ſein Schreien ans Ufer ſtürzten, der Neugierde zeihen wollte. — /
Das Verzeichniß]Verzeichnis der Sachen, die ich bei Carl Zenge zurückließ, kann ich / nicht geben. — /
Und dich]Dich begleitet auf allen Schritten Freude auf meinen [DKV IV 313] nächſten / Brief? O du Vortreffliche! Und o du Unglückliche! Wann werde ich den / Brief ſchreiben, der dir]Dir ſo viele Freude macht, als ich dir]Dir ſchuldig bin? — /
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Ich weiß nicht, was ich dir]Dir über mich unausſprechlichen Men[SE:1993 II 730] ſchen ſagen / ſoll. — Ich wollte ich könnte mir das Herz aus dem Leibe reißen, in dieſen / 20 Brief packen, und dir]Dir zuſchicken. — Dummer Gedanke! /
Kurz, ich habe Osmanſtädt]Oßmannstedt wieder verlaſſen. Zürne nicht! Ich mußte / fort, u. und ]und kann dir]Dir nicht ſagen, warum? Ich habe das Haus mit Thränen]Tränen ver/laſſen, wo ich mehr Liebe gefunden habe, als die ganze Welt zuſammen / aufbringen kann; außer du! — ! Aber ich mußte fort! O Himmel, / was iſt das für eine Welt! /
[Heimböckel:1999 (Reclam) 322]Ich brachte die erſten folgenden Tage in einem Wirthshauſe zu Weimar / zu, u. und ]und wußte gar nicht, wohin ich mich wenden ſollte. Es waren recht / traurige Tage! Und ich hatte eine recht große Sehnſucht nach dir, / o du]Du meine Freundinn! / 30
Endlich entſchloß ich mich nach Leipzig zu gehen. Ich weiß wahrhaftig / kaum anzugeben, warum? — warum? Kurz, ich bin hier. /
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[2] [BKA IV/2 247]Ich nehme hier Unterricht in der Declamation]Deklamation bei einem gewiſſen / Kerndörffer. Ich lerne meine eigne Tragödie bei ihm declamiren. / Sie müßte, gut declamirt, eine beſſere Wirkung thun, als ſchlecht / vorgeſtellt. Sie würde mit vollkommner Declamation]Deklamation vorgetragen, / eine ganz ungewöhnliche Wirkung thun. Als ich ſie dem alten Wieland / mit großem Feuer vorlas, war es mir gelungen, ihn ſo zu ent/flammen, daß mir, über ſeine innerlichen Bewegungen, vor Freude / 40 die Sprache vergieng, u. und ]und ich zu ſeinen Füßen niederſtürzte, ſeine Hände / mit heißen Küſſen überſtrömend. /
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Vorgeſtern faßte ich ein Herz, u. und ]und gieng]ging zu Hindenburg. Da war große / Freude. „Nun, wie ſteht’s]stehts in Paris um die Mathema[MA II 812] tik?“ — Eine / alberne Antwort von meiner Seite, u. und ]und ein trauriger Blick zur Erde / von der ſeinigen. — „So ſind Sie [DKV IV 314] bloß ſo herum-gereiſet? — herum-gereiſet?“ — ]herum gereiset?« — Ja, herum / gereiſet. — Er ſchüttelte wehmüthig]wehmütig den Kopf. Endlich erhorchte er von mir, / daß ich doch an etwas arbeite. „Woran arbeiten Sie denn? Nun! Kann ich es / denn nicht wiſſen? Sie brachten dieſen Winter bei Wieland zu; gewiß! gewiß! gewiß!“ ]gewiß!« / 50 — Und nun fiel ich ihm um den Hals, u. und ]und herzte u. und ]und küßte ihn ſo lange, bis er / lachend mit mir überein kam: der Menſch müſſe das Talent an/bauen, das er in ſich vorherrſchend fühle. /
[Heimböckel:1999 (Reclam) 323]Ob ich nicht auch mit Wünſchen ſo fertig werden könnte? Und Huth? / Und Hüllmann? & & & & & ]etc. etc. etc. etc. etc. /
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[SE:1993 II 731]Hindenburg erzählte mir, du]Du Du habeſt von der Gräfinn Gräfin ]Gräfin Genlis einen / Ruf als Erzieherinn]Erzieherin in ihr Inſtitut zu Paris erhalten. Was verſtehſt / du davon? Ich, nichts. /
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Wieland hat Osmanſtädt]Oßmannstedt verkauft, u. und ]und zieht auf 1t ]1. Mai / nach Weimar. Der 3t ]3. Mai wird zu ſeiner Ehre mit einem großen / Feſte gefeiert werden. Ich bin eingeladen; u. und und ]und Alles, was ſüß / iſt, lockt mich. Was ſoll ich thun? /
[3] [BKA IV/2 248]Wenn ihr]Ihr mich in Ruhe ein Paar]paar Monate bei euch]Euch arbeiten laſſen / wolltet, ohne mich mit Angſt, was aus mir werden werde, ra/ſend zu machen, ſo würde ich — ja, ich würde! /
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Leſet doch einmal im 34]34. oder 36t ]36. Blat]Blatt des Freimüthigen]»Freimüthigen« den Aufſatz: / Erſcheinung eines neuen Dichters. Und ich ſchwöre euch, daß ich noch / 70 viel mehr von mir weiß, als der alberne Kauz, der Kotzebue. / Aber ich muß Zeit haben, Zeit muß ich haben — O ihr]Ihr Erÿn/nien Erynnien ]Erinnyen mit eurer]Eurer Liebe! /
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Frage aber mit Behutſamkeit nach dieſem Blatte, damit der lit/terariſche]litararische Spürhund, der Merkel, nicht rieche, wer der neue Dichter ſei? / Es darf es überhaupt niemand als etwa meine allernächſten Ver/wandten erfahren; u. und ]und auch unter dieſen nur die verſchwiegenen. — / Auch thut]tut mir den Gefallen u. und ]und leſet das Buch nicht. Ich bitte euch]Euch / darum. Kurz, thut]tut es nicht. Hört ihr? / 80
[Heimböckel:1999 (Reclam) 324]Und nun küſſe in meinem Namen jeden Finger meiner [DKV IV 315] ewig / [MA II 813] verehrungswürdigen Tante! Und, wie ſie, den Orgelpfeifen gleich, / ſtehen, küſſe ſie Alle]alle von der Oberſte oberste bis zur Letzten, letzten, der kleinen / Maus aus dem Apfelkern geſchnitzt! Ein einziges Wort von euch, und ehe ihrs]Ihrs euch]Euch verſeht, / wälze ich mich vor Freud in der Mittelſtube. Adieu! Adieu! Adieu! / O du]Du meine Allertheuerſte! /
Leipzig, d.]den 14t ]14. März 1803 ]1803 Heinrich. /