[015] An Wilhelmine v. Zenge, 21. August 1800
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[1]
[BKA IV/1 188]
[DKV IV 81]
[SE:1993 II 527]
[Heimböckel:1999 (Reclam) 82]
[MA II 597]
Nmr. 2.][gestr.]
[gestr.]
[gestr.]
Coblentz,
]Coblentz
bei
Pasewalk,
d.]den
21t
]21.
August,
]August
1800.
]1800
Weil
doch
die
Post
vor
morgen
Abend]abend
nicht
abgeht, so
will
ich
noch
ein
Blättchen
Papier
für
Dich
beschreiben, u.]und
wünsche
herzlich
daß
die
Lectüre]Lektüre
desselben
Dir
nur
halb
so
viel
Vergnügen
machen
möge, 5
als
mir
das
Geschäft
des
Schreibens.
Du
wirst
zwar
nun
ein
paar⸗
mal
vergebens
auf
die
Post
schicken, u.]und
das
Herzchen
wird
mit
jeder
Stunde
stärker
u.]und
stärker
zu
klopfen
anfangen; aber
Du
mußt
ver⸗
nünftig
werden,
Wilhelmine.
Du
kennst
mich,
u,
wie
ich
hoffe, doch
gewiß
im
Guten.
Daran
halte
Dich.
Du
kennst
überdies
immer
den
Ort
meines
10
Auffenthaltes]Aufenthaltes,
u.]und
von
dem
Zwecke
meiner
Reise
weißt
Du
doch
wenigstens
so
viel, daß
er
vortrefflich
ist.
Unser
Glück
liegt
dabei
zum
Grunde, u.]und
es
kann,
welches
eine
Hauptsache
ist,
nichts
dabei
verloren,
doch
alles
dabei
gewonnen
werden.
Also
beruhige
Dich
für
immer, was
auch
immer
vorfallen
mag.
Wie
leicht
können
Briefe
auf
der
Post
liegen
bleiben, oder
sonst
verloren
15
gehen; wer
wollte
da
gleich
sich
ängstigen?
Geschrieben
habe
ich
ge[DKV IV 82] wiß, wenn
Du
auch
durch
Zufall
nicht
eben
sogleich
den
Brief
erhalten
solltest.
Damit
wir
aber
immer
beurtheilen]beurtheilen
können, ob
unsere
Briefe
ihr
Ziel
erreicht
haben, so
wollen
wir
beide
uns
in
jedem
Schreiben
wechselseitig
wiederholen,
wie
viele
Briefe
wir
schon
selbst
geschrieben
u.]und
empfangen
haben.
Und
so
20
mache
ich
denn
hiermit
unter
folgender
Rubrik
den
Anfang:
Abgeschickt
Von Berlin den 1t ]1. Brief. |
Empfangen
— — — — |
Ich
hoffe, daß
ich
auch
bald
die
andere
Rubrik
werde
vollfüllen
können.
— Und
noch
Eins]eins.
Ich
führe
ein
Tagebuch, in
welchem
ich
meinen
25
Plan
täglich
ausbilde
u.]und
verbessre.
Da
müßte
ich
mich
denn
zuweilen
wiederholen, wenn
ich
die
Geschichte
des
Tages
darin
aufzeichnen
sollte,
die
ich
Dir
schon
mitge[MA II 598] theilt]mitgeteilt
habe.
Ich
werde
also
dieses
ein
für
allemal
darin
auslassen, u.]und
[SE:1993 II 528]
die
Lücken
einst
aus
meinen
Briefen
an
Dich
er⸗
gänzen.
Denn
das
Ganze
hoffe
ich
wird
Dir
einst
sehr
interessant
sein.
30
Du
mußt
aber
nun
auch
diese
Briefe
recht
sorgsam
aufheben; wirst
Du?
Oder
war
schon
dieses
Gesuch
überflüssig?
Liebes
Mädchen,
ich
küsse
Dich.
Und
nun
zur
Geschichte
des
Tages. —
Ach, mein
beßtes]bestes
Minchen,
wie
unbeschreiblich
beglückend
ist
es, einen
weisen, zärtlichen
Freund
zu
finden,
da
wo
wir
seiner
grade
recht
innig
bedürfen.
Ich
fühlte
mich
stark
genug
35
den
hohen
Zweck
zu
entwerfen, aber
zu
schwach
um
ihn
allein
auszuführen.
Ich
bedurfte
nicht
sowohl
der
Unterstützung, als
nur
eines
weisen
Rathes]Rates,
um
die
zweckmäßigsten
Mittel
nicht
zu
verfehlen.
Bei
meinem
Freunde
Brokes
habe
ich
Alles]alles
gefunden, was
ich
bedurfte, u.]und
dieser
Mensch
müßte
auch
Dir
jetzt
vor
allen
Andern]andern,
nach
mir
vor
allen
Andern]andern
theuer]teuer
40
sein.
Ihm
habe
ich
mich
ganz
anvertraut, u.]und
er
ehrte
meinen
Zweck, sobald
er
ihn
kannte, so
wie
ihn
denn
jeder
edle
Mensch, der
ihn
fassen
kann,
ehren
muß.
Ach, mein
theures]teures
edles
Mädchen,
wenn
auch
Du
meinen
Zweck
ehren
könntest, auch
selbst
ohne
ihn
zu
kennen!
Das
würde
mir
ein
[2]
[BKA IV/1 191]
Zeichen
Deiner
Achtung
sein, ein
Zeichen, das
mich
unaussprechlich
45
stolz
machen
würde.
Niemals, niemals
[DKV IV 83]
wirst
Du
mir
einen
so
unzweideutigen
Beweis
Deiner
Achtung
geben
können, als
jetzt.
Ach,
wenn
Du
dies
versäumtest — Wirst
Du?
Oder
war
auch
diese
Erinne⸗
rung
überflüssig?
Liebes
Mädchen,
ich
küsse
Dich
wieder — —
Auch
Brokes
sieht
ein, daß
die
Wahrscheinlichkeit
eines
glücklichen
Er⸗50
folges
groß
ist.
Wenigstens, sagte
er, ist
keine
Gefahr
vorhanden, in
keiner
Hinsicht, u.]und
wenn
ich
nur
[Heimböckel:1999 (Reclam) 84]
auf
Deine
Ruhe
rechnen
könnte, so
wäre
ein
Haupthinderniß]Haupthindernis
gehoben.
Ich
hatte
über
den
Gedanken
dieses
Planes
schon
lange
lange
gebrütet.
Sich
dem
blinden
Zufall
überlassen, u.]und
warten,
ob
er
uns
endlich
in
den
Hafen
des
Glückes
führen
wird, das
war
nichts
für
55
mich.
Ich
war
Dir
u.]und
mir
schuldig, zu
handeln.
„Nicht
aus
des
Herzens
bloßem
Wunsche
keimt
&]etc.“
— „der
Mensch
soll
mit
der
Mühe
Pflug⸗
schaar]Pflugschar“
& &]etc. etc.
— das
sind
herrliche, wahre
Gedanken.
Ich
habe
sie
so
oft
durchgelesen, u.]und
sie
scheinen
mir
so
ganz
aus
Deiner
Seele
genommen,
daß
Deine
Schrift
das
übrige
thut]tut
um
mir
vollends
einzubilden, das
60
Ge[MA II 599] dicht
wäre
von
keinem
Andern]andern,
[SE:1993 II 529]
als
von
Dir.
So
oft
ich
es
wieder
lese
fühle
ich
mich
gestärkt
selbst
zu
dem
Größten, u.]und
so
gehe
ich
denn
fast
mit
Zuversicht
meinem
Ziele
entgegen.
Doch
werde
ich
vorher
noch
gewiß
Struensee
sprechen, um
mir
auf
jeden
Fall
den
Rückzug
zu
sichern.
—
Brokes,
der
schon
diesen
Herbst
zu
einer
Reise
bestimmt
hatte, 65
wird
mich
begleiten.
Also
kannst
Du
noch
um
so
ruhiger
sein.
Du
mußt
nichts
als
die
größte
Hoffnung
auf
die
Zukunft
in
Deiner
Seele
nähren.
Hast
Du
auch
Deine
Freundinn]Freundin
schon
wiedergefunden?
wieder gefunden?
wieder gefunden? [Graph uneindeutig]
]wieder gefunden?
die
Die
]Die
Clau⸗
sius,
oder
die
Koschenbahr?
Herzlich, herzlich, wünsche
ich
es
Dir.
Wahre, 70
ächte]echte
Freundschaft
kann
fast
die
Genüsse
der
Liebe
ersetzen —
Nein, das
war
doch
noch
zu
viel
gesagt; aber
viel, sehr
viel
kann
ein
Freund
thun]tun,
wenn
der
Geliebte
fehlt.
Wenigstens
giebt]gibt
es
keine
anderen
Genüsse, zu
welchen
sich
die
Liebe
so
gern
herab
ließe, wenn
sie
ihr
ganzes
Glück
genossen
hat
u.]und
auf
eine
Zeitlang
feiern
muß, als
die
Genüsse
der
Freundschaft.
75
Vor
allen
andern
Genüssen
ekelt
ihr, wie
dem
Schlemmer
vor
dem
Land⸗
wein
wenn
er
sich
in
Champagner
berauscht
hat.
Da[DKV IV 84] her
ist
es
mit
einer
meiner
herzlichsten
Wünsche, daß
Du
Eine]eine
von
diesen
beiden
Freundinnen
recht
lange
bei
Dir
behalten
mögest, wenigstens
so
lange, bis
ich
zurück⸗
komme.
Erzähle
ihr
immerhin
von
mir, wenn
sie
Dir
von
dem
ihrigen
er⸗80
zählt
hat; denn
das
könnt
ihr
Weiber
doch
wohl
[Heimböckel:1999 (Reclam) 85]
nicht
gut
lassen, nicht
wahr?
Aber
sei
klug.
Was
ich
Dir
vertraue,
Dir
allein,
das
bleibt
auch
in
Deinem
Busen
vor
allen
Andern]andern
verschlossen.
Laß
Dich
nicht
etwa
in
einer
zärtlichen
Stunde
verleiten
mehr
zu
erzählen, als
Du
darfst.
Minchen,
Du
weißt
es
nicht, wie
viel
an
Deine
Verschwiegenheit
hangt.
Dein
85
Glück
ist
auch
dabei
im
Spiel; also
sorge
für
Dich
u.]und
mich
zugleich, u.]und
befolge
genau, ohne
Einschränkung, ohne
Auslegung, wörtlich
worum
ich
Dich
[3]
[BKA IV/1 192]
herzlich
u.]und
ernsthaft
bitte.
Kannst
Du
Dir
den
Genuß
einige
von
meinen
Briefen
Deiner
lieben
Freundinn]Freundin
mitzutheilen]mitzuteilen,
nicht
verweigern, so
zeige
ihr
frühere
Briefe, aber
diese
nicht; wenigstens
daraus
nichts, 90
aus
welchem
sich
nur
auf
irgend
eine
Art
mein
wirklicher
Aufent⸗
halt
erkennen
ließe.
Denn
dieser
muß
vor
allen
Menschen
ver⸗
schwiegen
bleiben, außer
vor
Dir
u.]und
Ulriken.
Doch
ich
wollte
Dir
ja
die
Geschichte
des
Tages
erzählen
u.]und
[MA II 600]
komme
immer
wieder
zu
meinem
Plane
zurück, weil
mir
der
[SE:1993 II 530]
unaufhörlich
im
Sinne
95
liegt.
Du
bist
aufs
Innigste
mit
meinem
Plane
verknüpft, also
kannst
Du
schließen, wie
oft
ich
an
Dich
denke.
Denkst
Du
wohl
auch
so
oft
an
mich? —
—
[kein Absatz]
][kein Absatz]
Doch
zur
Sache.
Weil, wie
gesagt, die
Post, die
mich
u.]und
Brokes
nach
Berlin
führen
soll,
erst
Morgen]morgen
Abend]abend
abgeht
(denn
dieselbe
Post
trennt
sich
in
100
Prenzlow
u.]und
bringt
Dir
diesen
Brief
nach
Frankfurt)
]Frankfurt),
so
beschloß
ich
mit
Brokes
so
lange
auf
seinem
bisherigen
Wohnort
zu
verweilen.
Dies
ist
Coblentz,
ein
Landgut
des
Grafen
von
Eickstedt,
der
die
Güte
hatte, mich
einladen
zu
lassen.
Seine
Gemahlinn]Gemahlin
hatte
ich
auf
Rügen
kennen
gelernt.
Wir
bestellten
die
Post
in
Pasewalk
nach
Berlin
u.]und
fuhren
105
den
20t
]20.
Nachmittags]nachmittags
um
2
Uhr
von
dort
ab.
Ich
fand
in
der
Nähe
von
Coblentz
weite
Wiesen, mit
Graben
durchschnitten,
umgeben
mit
großen
reinlich
ge[DKV IV 85] haltenen
Wäldern, viel
junges
Holz,
immer
verzäunt
u.]und
geschlossen, ausgebesserte
Wege, tüchtige
Brücken,
viele
zerstreute
Vorwerke, massiv
gebaut, fette
zahlreiche
Heerden]Herden
110
[Heimböckel:1999 (Reclam) 86]
von
Kühen
u.]und
Schaafen]Schafen
&]etc.
&]etc.
Die
Vorwerke
hießen: Augustenhain,
Peterswalde, Carolinum, Carolinenburg, Dorotheenhof
&]etc.
&.
]etc.
Wo
nur
eine
Thür]Tür
war, da
glänzte
auch
ein
Johanniterkreuz,
auf
jedem
Dache, auf
jedem
Pfale]Pfahle
war
es
vielfach
aufgepflanzt.
Als
ich
vor
das
Schloß
fuhr, fand
ich, von
Außen,
außen,
]außen,
zugleich
ein
uraltes
u.]und
nagelneues
Gebäude, 115
zehnmal
angefangen, nie
vollendet, heute
nach
dieser
Idee, über
das
Jahr
nach
einer
andern, hier
ein
Vorsprung, dort
ein
Einschnit]Einschnitt,
immer
nach
dem
Bedürfniß]Bedürfnis
des
Augenblicks
angebaut
u.]und
vergrößert.
Im
Hause
kam
mir
die
alte
würdige
Gräfinn]Gräfin
freundlich
entgegen.
Der
Graf
war
nicht
zu
Hause.
Er
war
mit
einigen
andern
Damen
nach
Au⸗120
gustenhain
gefahren.
Indessen
ich
lernte
ihn
doch
noch
in
seinem
Hause
kennen, noch
ehe
ich
ihn
sah.
Dunkle
Zimmer, schön
meublirt]möbliert,
viel
Silber, noch
mehr
Johanniterkreuze, Gemälde
von
großen
Herren, Feldmarschälle, Grafen, Minister, Herzoge, er
in
der
Mitte, in
Lebensgröße, mit
dem
Scharlachmantel, auf
jeder
125
Brust
einen
Stern, den
Ordensband
über
den
ganzen
Leib, an
jeder
Ecke
des
Rahmens
ein
Johanniterkreuz.
Wir
giengen]gingen,
Brokes
u.]und
ich,
nach
Augustenhain.
Ein
ordentlicher
Garten, halb
französisch, halb
englisch, schöne
[MA II 601]
Lusthäuser, Orangerien, Altäre, Grabmäler
von
Freunden, die
vornehme
Herren
waren, einen
ein
]ein
Tempel
dem
großen
130
[SE:1993 II 531]
Friedrich
gewidmet; große
angelegte
Waldungen, weite
uhrbar⸗
gemachte]urbargemachte,
ehemals
wüste, jetzt
fruchtbare
Felder, viele
Meiereien,
[4]
[BKA IV/1 194]
Pferde, Menschen, Kühe, schöne
nützliche
Ställe
auf
welchen
aber
das
Johanniter⸗
kreuz
nie
fehlte — — — —
Wenn
man
die
Schnecke
an
ihrer
Muschel
erkennen
kann, rief
ich, so
weiß
ich
auch
wer
hier
wohnt.
135
Ich
hatte
es
getroffen.
Ich
fand
Ökonomie
u.]und
Liberalität, Ehrgeiz
u.]und
Bedürfniß]Bedürfnis,
Weisheit
u.]und
Thorheit]Torheit
in
einem
Menschen
vereinigt, u.]und
dieser
war
kein
andrer
als
der
Gr. v.
Eickstedt.
———
Liebes
Mädchen,
ich
werde
abgerufen, u.]und
kann
Dir
nun
nicht
mehr
140
schreiben.
Lebe
wohl.
In
Berlin
finde
ich
einen
Brief
von
Dir, u.]und
wenn
er
mir
recht
gefällt, recht
vernünftig
u.]und
ruhig
ist, so
erfährst
Du
viel,
]viel
Neues
von
mir.
Adieu.
H.
K.