[005] An Ulrike v. Kleist, Mai/Juni(?) 1799
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Wenn ich von Jemandem]jemandem Bildung erhalte, mein liebes Ul/rikchen, ſo wünſche ich ihm dankbar auch wieder einige Bil/dung zurückzugeben; wenn ich aus ſeinem Umgange Nutzen / ziehe, [SE:1993 II 487] ſo wünſche ich, daß er auch in dem meinigen einigen Nutzen / finde; nicht gern mögte]möchte ich, daß er die Zeit bei mir verlöre, / die ich bei ihm gewinne. /
Wie lehrreich u.]und bildend Dein Umgang mir iſt, wie vielen / wahren Vortheil ]Vorteil Deine Freundſchaft mir gewährt, das ſcheue / ich mich nicht, Dir offenherzig mitzutheilen;]mitzuteilen; vielmehr es iſt recht u.]und / billig, daß ein Wohlthäter]Wohltäter den ganzen Umfang ſeiner Wohlthat]Wohltat / 10 kennen lernt, damit er ſich ſelbſt durch das Bewußtſein / ſeiner Handlung u.]und des Nut[Heimböckel:1999 (Reclam) 37] zens, den ſie geſtiftet hat, belohne. / Du, mein liebes Ulrikchen, erſetzeſt mir die ſchwer zu er/ſetzende u.]und wahrlich Dich ehrende Stelle meiner hochachtungs/würdigen Freunde zu Potsdam. Ich ſcheue mich [MA II 558] auch nicht Dir / zu geſtehen, daß die Ausſicht auf Deine Freundſchaft, ſo ſehr / ich ſonſt andere Univerſitäten zu beziehen wünſchte, mich / dennoch, wenigſtens zum Theil]Teil, beſtimmte, meinen Aufenthalt / in Frankfurt zu wählen. Denn Grundſätze u.]und Entſchlüſſe wie / die meinigen, bedürfen der Unterſtützung, um über ſo viele / 20 Hinderniſſe u.]und Schwierigkeiten unwandelbar hinausgeführt / zu werden. [DKV IV 37] Du, mein liebes Ulrikchen, ſicherſt mir den guten / Erfolg derſelben. Du biſt die Einzige]einzige die mich hier ganz ver/ſteht. Durch unſere vertraulichen Unterredungen, durch unſere / Zweifel u.]und Prüfungen, durch unſere freundlichen u.]und freundſchaft/lichen Zwiſte, deren Gegenſtand nur allein die Wahrheit iſt, der / wir beide aufrichtig entgegenſtreben u.]und in welcher wir uns auch / gewöhnlich beide vereinigen, durch alle dieſe Vortheile]Vorteile Deines Umgangs / ſcheidet ſich das Falſche in meinen Grundſätzen u.]und Entſchlüſſen / immer mehr von dem Wahren, das ſie enthalten, und reinigen ſich / 30 folglich immer mehr, u. und ]und knüpfen ſich immer inniger an meine / Seele, u.]und wurzeln immer tiefer, u.]und werden immer mehr u.]und mehr / [2] [BKA IV/1 57] mein Eigenthum]Eigentum. Deine Mitwiſſenſchaft meiner ganzen / Empfindungsweiſe, Deine Kenntniß]Kenntnis meiner Natur ſchützt ſie sie ich [sic!] / um ſo mehr vor ihrer Ausartung; denn ich fürchte nicht allein / mir ſelbſtſelbſt, , ich fürchte nun auch Dir zu misfallen]mißfallen. / Dein Beiſpiel ſchützt mich vor alle Einflüſſe der Thorheit]Torheit u.]und / des Laſters, Deine Achtung ſichert mir die meinige zuzu. . — Doch genug. / Du ſiehſt, wie unaufhaltſam mir Dein Lob entfließt, mit wie / vielem Vergnügen ich mich als Deinen Schuldner bekenne. Ich ſchätze / 40 Dich]dich als das edelſte der Mädchen, u.]und liebe dich, Dich, als die, welche mir jetzt / am [SE:1993 II 488] theuerſten]teuersten iſt. Wärſt Du ein Mann oder nicht meine Schwe/ſter, ich würde ſtolz ſein, das Schickſaal]Schicksal meines ganzen Lebens / an das Deinige zu knüpfen. /
[Heimböckel:1999 (Reclam) 38]Doch genug hiervon. So viele von Dir empfangene u.]und innig / empfundene Wohlthaten]Wohltaten will ich dadurch zu belohnen ſuchen, / daß ich unaufgefordert u.]und mit der Freimüthigkeit]Freimütigkeit der Freundſchaft / bis in das Geheimſte u.]und Innerſte Deines / Herzens dringedringe; ; u.]und finde ich es nicht, wie ich es wünſche, finde ich / Dich unentſchieden, wo Du längſt entſchieden ſein ſollteſt, / 50 finde ich Dich ſchlummern, wo Du längſt wach ſein ſollteſt, / dann will ich mit der Kühnheit der Freundſchaft Dich wecken. /
[MA II 559]Traue mir zu, daß es meine innige Überzeugung iſt, auf / welcher ſich das jetzt folgende]Folgende gründet. Bei ſo vielen Fähig/keiten, die Deinen Verſtand, bei ſo vielen herrlichen [DKV IV 38] Tugenden, / die Dein Herz ſchmücken, ſcheint es lieblos u.]und unedel eine dun/kle Seite an Dir dennoch auszuſpüren. Aber grade dieſe dunkle / Seite, iſt keine unbedeutende, gleichgültige. Ich denke, ſie würde / Deinem Weſen die Krone aufſetzen, wenn ſie im Lichte ſtünde, / und darum wünſche ich, ſie zu erhellen. Und wenn auch das nicht / 60 wäre, — wenn Jemand]jemand ſo nahe am Ziele ſteht, ſo verdient / er ſchon allein um der ſeltnen Erſcheinung willen, daß man / ihn ganz hinaufführe. /
[3] [BKA IV/1 58]
Tauſend Menſchen höre ich reden u.]und ſehe ich handeln, und u / es fällt mir nicht ein, nach dem Warum? zu fragen. Sie / ſelbſt wiſſen es nicht, dunkle Neigungen leiten ſie, der Au/genblick beſtimmt ihre Handlungen. Sie bleiben für immer un/mündig u.]und ihr Schickſal ein Spiel des Zufalls. Sie fühlen ſich / wie von unſichtbaren Kräften geleitet u.]und gezogen, ſie folgen / ihnen im Gefühl ihrer Schwäche wohin es ſie auch führt, zum / 70 Glücke, das ſie dann nur halb genießen, zum Unglücke, das / ſie dann doppelt fühlen. /
Eine ſolche ſclaviſche]sklavische Hingebung in die Launen des Tyran/nen Schickſaal]Schicksal, iſt nun freilich eines freien, denkenden / Menſchen höchſt unwürdig. Ein freier]freier, denkender Menſch / bleibt da nicht ſtehen, wo der Zufall ihn hinſtößt; oder wenn / er bleibt, ſo bleibt er aus Gründen, aus Wahl des Beſſern. / Er fühlt, daß man ſich über das Schickſaal]Schicksal erheben [Heimböckel:1999 (Reclam) 39] könne, ja, / daß es im richtigen Sinne ſelbſt möglich ſei, das Schickſaal]Schicksal / zu leiten. Er beſtimmt nach ſeiner Ver[SE:1993 II 489] nunft, welches Glück / 80 für ihn das höchſte ſei, er entwirft ſich ſeinen Lebensplan, / und ſtrebt ſeinem Ziele nach ſicher aufgeſtellten Grundſätzen / mit allen ſeinen Kräften entgegen. Denn ſchon die Bibel ſagt, / willſt Du]du das Himmelreich erwerben, ſo lege ſelbſt Hand an. /
So lange ein Menſch noch nicht im Stande iſt, ſich ſelbſt einen / Lebensplan zu bilden, ſo lange iſt u.]und bleibt er unmündig, / er ſtehe nun als Kind unter der Vormundſchaft ſeiner Ältern]Eltern / oder als Mann unter der Vormundſchaft des Schickſals; Schickſals. ]Schicksals. Die / erſte Handlung der Selbſtſtändigkeit]Selbständigkeit eines Menſchen iſt der / Entwurf eines ſolchen Lebensplan’s]Lebensplans. Wie [DKV IV 39] nöthig]nötig es iſt, ihn ſo / 90 früh wie möglich zu bilden, davon hat mich der Verluſt von / [MA II 560] ſieben koſtbaren Jahren, die ich dem Soldatenſtande widmete, / von ſieben unwiderbringlich]unwiederbringlich verlornen Jahren, die ich für meinen / Lebensplan hätte anwenden gekonnt, wenn ich ihn früher / zu bilden verſtanden hätte, überzeugt. /
[4] [BKA IV/1 61]Ein ſchönes Kennzeichen eines ſolchen ſolches Menſchen, der nach / ſichern Principien]Prinzipien handelt, iſt Conſequenz]Konsequenz, Zuſammenhang, / u.]und Einheit in ſeinem Betragen. Das hohe Ziel, dem er ent/gegenſtrebt, iſt das Mobil aller ſeiner Gedanken, Empfindungen / u.]und Handlungen. Alles, was er denkt, fühlt u.]und will, hat Bezug / 100 auf dieſes Ziel, alle Kräfte ſeiner Seele u.]und ſeines Körpers / ſtreben nach dieſem gemeinſchaftlichen Ziele. Nie werden ſeine / Worte ſeinen Handlungen, oder umgekehrt, widerſprechen, für / jede ſeiner Äußerungen wird er Gründe der Vernunft auf/zuweiſen haben. Wenn man nur ſein Ziel kennt, ſo wird es / nicht ſchwer ſein die Gründe ſeines Betragens zu erforſchen. /
Ich wende mich nun zu Dir, mein liebes Ulrikchen. Deiner / denkenden Seele ſtünde jener hohe Charakter der Selbſt/ſtändigkeit]Selbständigkeit wohl an. Und doch vermiſſe ich ihn an Dir. Du biſt für / jeden Augenblick des Lebens oft nur zu beſtimmt, aber Dein / 110 ganzes Leben haſt Du noch nicht ins [Heimböckel:1999 (Reclam) 40] Auge gefaßt. Aus dieſem / Umſtande erkläre ich mir die häufigen Inconſequenzen]Inkonsequenzen Deines / Betragens, die Widerſprüche Deiner Äußerungen u.]und Handlungen. / Denn ich ſinne gern bei Dir über die Gründe derſelben nach, / aber ungern finde ich, daß ſie nicht immer übereinſtimmen. /
Du äußerſt oft hohe vorurtheilsfreie]vorurteilsfreie Grundſätze der Tu/gend, u.]und doch klebſt Du noch oft an den gemeinſten Vorurtheilen]Vorurteilen. / [SE:1993 II 490] Nie ſehe ich Dich gegen wahren ächten]echten Wohlſtand anſtoßen, und / doch bildeſt Du oft Wünſche u.]und Pläne, die mit ihm durchaus unverein/bar ſind. Ich hoffe Du wirſt mich überheben, dieſe Urtheile]Urteile mit / 120 Beiſpielen zu belegen. Du biſt entweder viel zu frei und vor/urtheillos]vorurteilos, oder bei weitem nicht genug. Die Folge davon iſt, / daß ich nicht beſtimmen kann, ob das, was du Du Du Du ]Du willſt u.]und thuſt]tust, recht ſei, [DKV IV 40] oder / nicht, u.]und ich muß fürchten, daß Du ſelbſt darüber unentſchie/den biſt. /
Denn warum hätteſt Du mir, als ich Dir geſtern die raſche / Frage that]tat, ob Du Dir einen beſtimmten Lebensplan gebildet / [5] [BKA IV/1 62] hätteſt, mit Verwirrung u.]und Schüchternheit, wenigſtens nicht / [MA II 561] mit jener Dir eigenthümlichen]eigentümlichen Reinheit u.]und Gradheit geant/wortet, Du verſtündeſt meine Frage nicht? Meine ſimple / 130 Frage deren Sinn doch ſo offen u.]und klar iſt? Muß ich nicht fürch/ten, daß Du nur in der Nothwendigkeit]Notwendigkeit mir eine Antwort / geben zu müſſen, die Deiner nicht würdig iſt, lieber dieſen / — Ausweg gewählt haſt? /
Ein Lebensplan iſt — — Mir fällt die Definition Difinition vom Birn/kuchen einſt, ein, ein, ein, ]ein, die Du einſt im Scherze Pannwitzen gabſt, u.]und / wahrlich, ich möchte Dir im Ernſte eine ähnliche geben. Denn / bezeichnet hier nicht ebenfalls ein einfacher Ausdruck einen / einfachen Sinn? Ein Reiſender, der das Ziel ſeiner Reiſe, / u.]und den Weg zu ſeinem Ziele kennt, hat einen Reiſeplan. Was / 140 der Reiſeplan dem Reiſenden iſt, das iſt der Lebensplan dem Men/ſchen. Ohne Reiſeplan ſich auf die Reiſe begeben, heißt erwar/ten, daß der Zufall uns an das Ziel führe, das wir ſelbſt nicht / kennen. Ohne Lebensplan [Heimböckel:1999 (Reclam) 41] leben, heißt vom Zufall erwarten, / ob er uns ſo glücklich machen werde, wie wir es ſelbſt / nicht begreifen. /
Ja, es iſt mir ſo unbegreiflich, wie ein Menſch ohne Lebensplan / leben könne, u.]und ich fühle, an der Sicherheit, mit welcher ich die / Gegenwart benutze, an der Ruhe, mit welcher ich in die Zu/kunft blicke, ſo innig, welch’]welch ein unſchätzbares Glück mir / 150 mein Lebensplan gewährt, u.]und der Zuſtand, ohne Lebensplan, / ohne feſte Beſtimmung, immer ſchwankend zwiſchen unſichern / Wünſchen, immer im Widerſpruch mit meinen Pflichten, ein / Spiel des Zufalls, eine Puppe am Drathe]Drate des Schickſaals]Schicksals — / dieſer unwürdige Zuſtand ſcheint mir ſo verächtlich, und wür/de mich ſo unglücklich machen, daß mir der Tod bei weitem / wünſchenswerther]wünschenswerter wäre. /
[SE:1993 II 491]Du ſagſt, nur Männer beſäßen dieſe uneingeſchränkte / Freiheit des Willens, Dein Geſchlecht ſei unauflöslich an [DKV IV 41] die / [6] [BKA IV/1 65] Verhältniſſe der Meinung u.]und des Rufs Rufes geknüpft. — Aber iſt / 160 es aus Deinem Munde, daß ich dies höre? Biſt Du nicht ein freies / Mädchen, ſo wie ich ein freier Mann? Welcher andern Herr/ſchaft biſt Du unterworfen, als allein der Herrſchaft / der Vernunft? /
Aber dieſer ſollſt Du Dich auch vollkommen unterwerfen. Etwas / muß dem Menſchen heilig ſein. Uns beide, denen es die Ce/remonien]Zeremonien der Religion u.]und die Vorſchriften des conventio[MA II 562] nellen]konventionellen / Wohlſtandes nicht ſind, müſſen um ſo mehr die Geſetze / der Vernunft heilig ſein. Der Staat fordert von uns weiter / nichts, als daß wir die zehn Gebote nicht übertreten. Wer gebie/ 170 tet uns aber die Tugenden der Menſchenliebe, der Duldung, / der Beſcheidenheit, der Sittſamkeit zu üben, wenn es nicht die / Vernunft thut?]tut? Der Staat ſichert uns unſer Eigenthum]Eigentum, unſre / Ehre, u.]und unſer Leben; wer ſichert uns aber unſer inneres Glück / zu, wenn es die Vernunft nicht thut?]tut? /
So innig ich es nun auch wünſche, Dich überhaupt für die An/nahme irgend eines Lebensplans zu beſtimmen, weil ich [Heimböckel:1999 (Reclam) 42] Dir gern / das Glück gönne, das die Kenntniß]Kenntnis unſrer Beſtimmung, der / ſichere Genuß der Gegenwart u.]und die Ruhe für die Zukunft / gewähren, ſo möchte ich doch nicht gern einen Einfluß auf die / 180 Annahme eines beſtimmten Lebensplanes haben. Das möge / allein das Werk Deiner Vernunft ſeinſein. . Prüfe Deine Natur, beurtheile]beurteile / welches moraliſche Glück ihr am angemeſſenſten ſei, mit einem / Worte, bilde Dir einen Lebensplan, u.]und ſtrebe dann ſeiner Aus/führung entgegen. Dann wird nie wieder geſchehen, was ich vor/her an Dir tadelte, dann werden ſich Deine Wünſche u.]und Deine / Pflichten, Deine Worte u.]und Deine Handlungen nie widerſprechen. /
Aber noch weit mehr als ich fürchte, Du möchteſt noch bisher / keinen Lebensplan gebildet haben, muß ich fürchten, daß / Du grade den einzigen Lebensplan verworfen haſt, der Deiner / 190 würdig wäre. Laß mich aufrichtig, ohne Rückhalt, ohne alle falſche / [7] [BKA IV/1 66] Scham reden. Es ſcheint mir, — es iſt möglich daß ich mich irre, / u.]und ich will mich freuen, wenn Du [DKV IV 42] mich vom Gegentheile]Gegenteile überzeugen / kannſt, — aber es ſcheint mir, als ob Du bei Dir entſchieden / wäreſt, Dich nie zu verheirathen]verheiraten. Wie? Du wollteſt nie / Gattinn [SE:1993 II 492] u.]und Mutter werden? Du wärſt entſchieden, deine Deine Deine höchſte / Beſtimmung nicht zu erfüllen, Deine heiligſte Pflicht nicht zu / vollziehen? Und entſchieden wärſt Du darüber? Ich bin wahrlich / begierig die Gründe zu hören, die Du für dieſen höchſt ſtraf/baren u.]und verbrecheriſchen Entſchluß aufzuweiſen haben kannſt. / 200
Eine einzige ſimple Frage zerſtört ihn. Denn wenn / Du ein Recht hätteſt, Dich nicht zu verheirathen, warum ich / nicht auch? Und wenn wir beide dazu ein Recht haben, warum / ein Dritter nicht auch? Und wenn dieſes iſt, warum nicht auch / ein [MA II 563] Vierter, ein Fünfter, warum nicht wir Alle?]alle? Aber das / Leben, welches wir von unſern Ältern]Eltern empfingen, iſt ein / heiliges Unterpfand, das wir unſern Kindern wieder mitthei/len]mitteilen ſollen. Das iſt ein ewiges Geſetz der Natur, auf wel/ches ſich ihre Erhaltung gründet. /
[Heimböckel:1999 (Reclam) 43]Dieſe Wahrheit iſt ſo klar, u.]und das Intereſſe, das ſie bei ſich führt, / 210 dem Herzen des Menſchen ſo innig eingepflanzt, daß es mir][fehlt] / ſchwer wird zu glauben, ſie ſei Dir unbekannt. Aber was / ſoll ich glauben, wenn Dir der, nicht ſcherzhafte, nur alzu]allzu / ernſtliche Wunſch entſchlüpft, Du möchteſt die Welt bereiſen? / Iſt es auf Reiſen, daß man Geliebte ſuchet u.]und findet? Iſt / es dort wo man die Pflichten der Gattinn]Gattin u.]und der Mutter am / zweckmäßigſten erfüllt? Oder willſt Du endlich / wenn Dir auch das Reiſen überdrüßig]überdrüssig iſt, zurück/kehren, wenn nun die Blüthe]Blüte Deiner Jahre dahingewelkt iſt, / u.]und erwarten, ob ein Mann philoſophiſch genug denke, / 220 [8] [BKA IV/1 69] Dich dennoch zu heirathen?]heiraten Soll er Weiblichkeit von einem / Weibe erwarten, deren Geſchäft es während ihrer Reiſe / war, ſie zu unterdrücken? /
Aber Du glaubſt Dich tröſten zu können, wenn Du auch / einen ſolchen Mann nicht fändeſt. Täuſche Dich nicht, Ul/rickchen, ich fühle es, Du würdeſt Dich nicht tröſten, nein, wahr/lich, bei Deinem Herzen würdeſt Du Dich nicht tröſten. / Geſetzt, es wäre Dein Wille, Dich nach der Rückkehr [DKV IV 43] von / Deiner Reiſe irgendwo in einer ſchönen Gegend mit / Deinem Vermögen anzukaufen. Ach, dem Landmann iſt / 230 ein Gatte unentbehrlich. Der Städter mag ſeiner entbehren, / ich will es glauben, das Geräuſch der Stadt kann ſeine geheimen / Wünſche unterdrücken, er lernt das Glück nicht vermiſſen, das / er entbehrt. Aber der Landmann iſt ohne Gattinn]Gattin immer / unglücklich. Da fehlt ihm Troſt u.]und Hülfe in Widerwärtigkeiten, / da iſt er in Krankheiten ohne Wartung u.]und Pflege, da [SE:1993 II 493] ſieht er ſich allein / ſtehen in der weiten lebendigen Natur, er fühlt ſich unvermißt / u.]und unbeweint, wenn er an den Tod denkt. Und ſelbſt wenn / ſeine Bemühungen gedeihen u.]und mit Früchten wuchern, — wo / will er hin mit allen Erzeugniſſen der Natur? Da fehlen / 240 ihm Kinder, die ſie ihm verzehren helfen, da drückt er weh/müthig]wehmütig fremde Kinder an ſeine Bruſt u.]und reicht ihnen von / ſeinem Überfluſſe. — Täuſche Dich daher nicht, Ulrikchen. Dann / erſt würdeſt Du innig fühlen, wel[MA II 564] ches Glück Du entbehren / [Heimböckel:1999 (Reclam) 44] mußt, u.]und um ſo tiefer würde dies dich ſchmerzen, je mehr / Du es ſelbſt muthwillig]mutwillig verworfen haſt. /
Und was würde Dich für ſo vielen Verluſt ſchadlos halten / können? Doch wohl nicht der höchſt unreife Gedanke frei u.]und unab/hängig zu ſein? Kannſt Du Dich dem allgemeinen Schickſal Deines / Geſchlechtes entziehen, das nun einmal ſeiner Natur nach die / 250 zweite Stelle in der Reihe der Weſen bekleidet? Nicht einen Zaun, / nicht einen elenden Graben kannſt Du ohne Hülfe eines Mannes / [9] [BKA IV/1 70] überſchreiten, u.]und willſt allein über die Höhen u.]und über die Abgründe / des Lebens wandeln? Oder willſt Du von Fremden fordern, was / Dir ein Freund gern u.]und freiwillig leiſten würde? /
Aus allen dieſen Gründen deren Wahrheit / Du gewiß einſehen u.]und fühlen wirſt, gieb]gib jenen unſeeligen]unseligen Entſchluß / auf, wenn Du ihn gefaßt haben ſollteſt. Du entſagſt mit ihm / Deiner höchſten Beſtimmung, Deiner heiligſten Pflicht, / der erhabenſten Würde, zu welcher ein Weib emporſteigen / 260 kann, dem einzigen Glücke, das Deiner wartet. /
Und wenn Mädchen wie Du ſich der heiligen Pflicht Mütter / u.]und Erzieherinnen des Menſchengeſchlechts Menschengeschlechtes [Menschengeschlechts?] zu wer[DKV IV 44] den, entziehen, / was ſoll aus der Nachkommenſchaft werden? Soll die Sorge für / künftige Geſchlechter nur der Üppigkeit feiler / oder eitler Dirnen überlaſſen ſein? Oder iſt ſie nicht / vielmehr eine heilige Verpflichtung tugendhafter / Mädchen?. ]Mädchen? — Ich ſchweige, u.]und überlaſſe es Dir, dieſen Gedanken / auszubilden. — /