[005] An Ulrike v. Kleist, Mai/Juni(?) 1799
Die textkritische Fassung Handschrift zeigt die diplomatische, nicht emendierte Wiedergabe der Handschrift. Der originale Zeilenfall ist beibehalten. Die Fassung wird auf Smartphones wegen der Zeilenlänge nicht angezeigt.
In der Fassung Konstituierter Text ohne originalen Zeilenfall wird der Zeilenfall mit einem Schrägstrich / angezeigt, die Zeile wird aber nicht umbrochen. Alle Emendationen sind ausgeführt und im Anhang einzeln verzeichnet. Ansonsten fusst die Fassung auf dem konstituierten Text der textkritischen Fassung der Handschrift.
In der Fassung Konstituierter Text ohne langes ſ ist das lange ſ durch s ersetzt. Ansonsten fusst die Fassung auf dem konstituierten Text der textkritischen Fassung der Handschrift.
Wenn
ich
von
Jemandem]jemandem
Bildung
erhalte, mein
liebes
Ul⸗
rikchen,
ſo
wünſche
ich
aus Dank
ihm
dankbar
auch
wieder
einige
Bil⸗
dung
zurückzugeben; wenn
ich
aus
ſeinem
Umgange
Nutzen
ziehe, [SE:1993 II 487]
ſo
beſtrebe ich mich
wünſche
ich, daß
er
auch
in
dem
meinigen
einigen
Nutzen
finde; nicht
gern
möchgte]möchte
ich, daß
er
die
Zeit
bei
mir
verlöre,
5
die
ich
bei
ihm
gewinne.
Wie
lehrreich
u.]und
bildend
Dein
Umgang
mir
iſt, wie
vielen
wahren
Vortheil
]Vorteil
Deine
Freundſchaft
mir
gewährt, das
ſcheue
ich
mich
nicht, Dir
offenherzig
mitzutheilen;]mitzuteilen;
denn
vielmehr
es
iſt
recht
u.]und
billig, daß
ein
Wohlthäter]Wohltäter
den
ganzen
Umfang
ſeiner
Wohlthat]Wohltat
10
kennen
lernt, damit
er
ſich
ſelbſt
durch
das
Bewußtſein
ſeiner
Handlung
u.]und
des
Nut[Heimböckel:1999 (Reclam) 37] zens,
den
ſie
geſtiftet
hat, belohne.
Du, mein
liebes
Ulrikchen,
erſetzeſt
mir
die
ſchwer
zu
er⸗
ſetzende
u.]und
wahrlich
Dich
ehrende
Stelle
meiner
hochachtungs⸗
würdigen
Freunde
zu
Potsdam.
Ich
ſcheue
mich
[MA II 558]
auch
nicht
Dir
15
zu
geſtehen, daß
die
Ausſicht
auf
Deine
Freundſchaft, ſo
ſehr
ich
ſonſt
andere
Univerſitäten
zu
beziehen
wünſchte, mich
dennoch, wenigſtens
zum
Theil]Teil,
beſtimmte, meinen
Aufenthalt
in
Frankfurt
zu
wählen.
Denn
Grundſätze
u.]und
Entſchlüſſe
wie
die
meinigen, bedürfen
der
Unterſtützung, um
über
ſo
viele
20
Hinderniſſe
u.]und
Schwierigkeiten
unwandelbar
hinausgeführt
zu
werden.
[DKV IV 37]
Du, mein
liebes
Ulrikchen,
ſicherſt
mir
den
guten
Erfolg
derſelben.
Du
biſt
die
Einzige]einzige
die
mich
hier
ganz
ver⸗
ſteht.
Durch
unſere
vertraulichen
Unterredungen, durch
unſere
Zweifel
u.]und
Prüfungen, durch
unſere
freundlichen
u.]und
freundſchaft⸗25
lichen
Zwiſte, deren
Gegenſtand
nur
allein
die
Wahrheit
iſt, der
wir
beide
aufrichtig
entgegenſtreben
u.]und
in
welcher
wir
uns
auch
gewöhnlich
beide
vereinigen, durch
alle
dieſe
Vortheile]Vorteile
Deines
Umgangs
ſcheidet
ſich
das
WahFalſche
in
meinen
Grundſätzen
u.]und
Entſchlüſſen
immer
mehr
von
dem
Wahren, das
ſie
enthalten, und
reinigen
ſich
30
folglich
immer
mehr,
u.
und
]und
knüpfen
ſich
immer
inniger
an
meine
Seele, u.]und
wurzeln
immer
tiefer, u.]und
werden
immer
mehr
u.]und
mehr
[2]
[BKA IV/1 57]
mein
Eigenthum]Eigentum.
Deine
Mitwiſſenſchaft
meiner
ganzen
Empfindungsweiſe, Deine
Kenntniß]Kenntnis
meiner
Natur
ſchützt
ſie
sie ich [sic!]
um
ſo
mehr
vor
ihrer
Ausartung; denn
nicht
ich
fürchte
nicht
allein
35
mir
ſelbſtſelbſt,
zu misfallen,
ich
fürchte
nun
auch
Dir
zu
misfallen]mißfallen.
Dein
Beiſpiel
ſchützt
mich
vor
alle
Einflüſſe
der
Thorheit]Torheit
u.]und
des
Laſters, Deine
Achtung
ſichert
mir
die
meineige
eigene
zuzu.
.
—
Doch
genug.
Du
ſiehſt, wie
unaufhaltſam
mir
Dein
Lob
entfließt, mit
wie
vielem
Vergnügen
ich
mich
als
Deinen
Schuldner
bekenne.
Ich
ſchätze
40
Dich]dich
als
das
edelſte
der
Mädchen, u.]und
liebe
dich,
Dich,
als
die, welche
mir
jetzt
am
[SE:1993 II 488]
theuerſten]teuersten
iſt.
Wärſt
Du
ein
Mann
oder
nicht
meine
Schwe⸗
ſter,
ich
würde
ſtolz
ſein,
mein ganze
das
Schickſaal]Schicksal
meines
ganzen
Lebens
an
das
Deinige
zu
knüpfen. Doch genug
hiervon.
Doch
genug
hiervon.
So
viele
von
Dir
empfangene
u.]und
innig
45
empfundene
Wohlthaten]Wohltaten
will
ich
dadurch
zu
belohnen
ver[?]
ſuchen,
daß
ich
unaufgefordert
u.]und
mit
der
Kühnheit
Freimüthigkeit]Freimütigkeit
der
Freundſchaft
bis
in
das Innerſte Dei
das
Geheimſte
u.]und
Innerſte
Deines
Herzens
dringedringe;
;
u.]und
finde
ich
es
nicht, wie
ich
es
wünſche, Dir
finde
ich
Dich
unentſchieden, wo
Du
längſt
entſchieden
ſein
ſollteſt, 50
finde
ich
Dich
ſchlummern, wo
Du
längſt
wach
ſein
ſollteſt,
dann
will
ich
mit
der
Kühnheit
der
Freundſchaft
Dich
wecken.
Traue
mir
zu, daß
es
meine
innige
Überzeugung
[?]
iſt,
auf
welcher
ſich
das
jetzt
folgende]Folgende
gründet.
Bei
ſo
vielen
Fähig⸗
keiten,
die
Deinen
Verſtand, bei
ſo
vielen
herrlichen
[DKV IV 38]
Tugenden, 55
die
Dein
Herz
ſchmücken, ſcheint
es
lieblos
u.]und
unedel
eine
dun⸗
kle
Seite
an
Dir
dennoch
auszuſpüren.
Aber
grade
dieſe
dunkle
Seite,
wünſche ich
iſt
keine
unbedeutende, gleichgültige.
Ich
denke, ſie
würde
Deinem
Weſen
die
Krone
aufſetzen, wenn
ſie
im
Lichte
ſtünde,
und
darum
wünſche
ich, ſie
zu
erhellen.
Und
wenn
auch
das
nicht
60
wäre, —
wenn
Jemand]jemand
ſo
nahe
am
Ziele
ſteht, ſo
verdient
er
ſchon
allein
um
der
ſeltnen
Erſcheinung
willen, daß
man
ihn
ganz
hinaufführe.
Tauſend Menſchen höre ich reden u. ſehe ich
handeln; aber es
fällt mir nicht ein, [daß]
das Warum? zu erſinnen, ſie ſelbſt
Tauſend
Menſchen
ſehe
höre
ich
handeln
reden
u.]und
ſehe
ich
handeln,
und
u
es
fällt
mir
nicht
ein, nach
dem
Warum? zu
fragen.
Sie
65
ſelbſt
wiſſen
es
nicht, dunkle
Neigungen
leiten
ſie, der
Au⸗
genblick
beſtimmt
ihre
Handlungen.
Sie
bleiben
für
immer
un⸗
mündig
u.]und
ihr
Schickſal
ein
Spiel
des
Zufalls.
Sie
fühlen
ſich
wie
von
unſichtbaren
Kräften
geleitet
u.]und
gezogen, ſie
folgen
ihnen
im
Gefühl
ihrer
Schwäche
wohin
es
ſie
auch
führt, zum
70
Glücke, das
ſie
dann
nur
halb
genießen, zum
Unglücke, das
ſie
dann
doppelt
fühlen.
Eine
ſolche
ſclaviſche]sklavische
Hingebung
in
die
Launen
des
Tyran⸗
nen
Schickſaal]Schicksal,
iſt
nun
freilich
eines
freien, denkenden
Menſchen
höchſt
unwürdig.
Ein
freier]freier,
denkender
Menſch
75
bleibt
da
nicht
ſtehen, wo
der
Zufall
ihn
hinſtößt; oder
wenn
er
bleibt, ſo
bleibt
er
aus
Gründen, aus
Wahl
des
Beſſern.
Er
fühlt, daß
man
ſich
über
das
Schickſaal]Schicksal
erheben
[Heimböckel:1999 (Reclam) 39]
könne, ja,
daß
es
im
richtigen
Sinne
ſelbſt
möglich
ſei, das
Schickſaal]Schicksal
zu
leitetn.
Er
beſtimmt
nach
ſeiner
Ver[SE:1993 II 489] nunft,
welches
Glück
80
für
ihn
das
höchſte
ſei, er
entwirft
ſich
ſeinen
Lebensplan,
er
und
ſtrebt
ſeinem
Ziele
nach
ſicher
aufgeſtellten
Grundſätzen
mit
allen
ſeinen
Kräften
entgegen.
Denn
ſchon
die
Bibel
ſagt,
willſt
Du]du
das
Himmelreich
erwerben, ſo
legſte
ſelbſt
Hand
an.
So
lange
ein
Menſch
noch
nicht
im
Stande
iſt, ſich
ſelbſt
einen
85
Lebensplan
zu
bilden, ſo
lange
iſt
u.]und
bleibt
er
unmündig,
er
ſtehe
nun
als
Kind
unter
der
Vormundſchaft
ſeiner
EÄltern]Eltern
oder
als
Mann
unter
der
Vormundſchaft
des
Schickſals;
Schickſals.
]Schicksals.
u. beide
Die
für ihn
erſte
Handlung
der
Selbſtſtändigkeit]Selbständigkeit
eines
Menſchen
iſt
der
Entwurf
eines
ſolchen
Lebensplan’s]Lebensplans.
Wie
[DKV IV 39]
nöthig]nötig
es
iſt, ihn
ſo
90
früh
wie
möglich
zu
bilden,
daß
davon
hat
mich
der
Verluſt,
von
[MA II 560]
ſieben
koſtbaren
Jahren, die
ich
dem
Soldatenſtande
widmete,
von
ſieben
unwiderbringlich]unwiederbringlich
verlornen
Jahren, die
ich
für
meinen
Lebensplan
hätte
anwenden
gekonnt, wenn
ich
ihn
früher
zu
bilden
verſtanden
hätte, überzeugt.
95
Ein
ſchönes
Kennzeichen
eines
ſolchen
ſolches
Menſchen, der
nach
ſichern
Principien]Prinzipien
handelt, iſt
Conſequenz]Konsequenz,
Zuſammenhang,
u.]und
Einheit
in
ſeinem
Betragen.
Das
hohe
Ziel, dem
er
ent⸗
gegenſtrebt,
iſt
das
Mobil
aller
ſeiner
Gedanken, Empfindungen
u.]und
Handlungen.
Alles, was
er
denkt, fühlt
u.]und
will, hat
Bezug
100
auf
dieſes
Ziel, alle
Kräfte
ſeiner
Seele
u.]und
ſeines
Körpers
ſtreben
nach
dieſem
gemeinſchaftlichen
Ziele.
Nie
werden
ſeine
Worte
ſeinen
Handlungen, oder
umgekehrt, widerſprechen, für
jede
Äu
ſeiner
Äußerungen
wird
er
Gründe
der
Vernunft
auf⸗
zuweiſen
haben.
Wenn
man
nur
ſein
Ziel
kennt, ſo
wird
es
105
nicht
ſchwer
ſein
die
Gründe
ſeines
Betragens
zu
erforſchen.
Ich
wende
mich
nun
zu
Dir, mein
liebes
Ulrikchen.
Deiner
denkenden
Seele
ſtünde
jener
hohe
Charakter
der
Selbſt⸗
ſtändigkeit]Selbständigkeit
wohl
an.
Und
doch
vermiſſe
ich
ihn
an
Dir.
Du
biſt
für
jeden
Augenblick
des
Lebens
oft
nur
zu
beſtimmt, aber
Dein
110
ganzes
Leben
haſt
Du
noch
nicht
ins
[Heimböckel:1999 (Reclam) 40]
Auge
gefaßt.
Aus
dieſem
Umſtande
erkläre
ich
mir
die
häufigen
Inconſequenzen]Inkonsequenzen
Deines
Betragens, die
Widerſprüche
Deiner
Äußerungen
u.]und
Handlungen.
Denn
ich
ſinne
gern
bei
Dir
über
die
Gründe
derſelben
nach,
aber
ungern
finde
ich, daß
ſie
nicht
immer
übereinſtimmen.
115
Du
äußerſt
oft
hohe
vorurtheilsfreie]vorurteilsfreie
Grundſätze
der
Tu⸗
gend,
u.]und
doch
klebſt
Du
noch
oft
an
den
gemeinſten
Vorurtheilen]Vorurteilen.
[SE:1993 II 490]
Nie
ſehe
ich
Dich
gegen
wahren
ächten]echten
Wohlſtand
anſtoßen, und
doch
bildeſt
Du
oft
Wünſche
u.]und
Pläne, die
mit
ihm
durchaus
unverein⸗
bar
ſind.
Ich
hoffe
Du
wirſt
mich
überheben, dieſe
Meinungen
Urtheile]Urteile
mit
120
Beiſpielen
zu
belegen.
Du
biſt
entweder
viel
zu
frei
und
vor⸗
urtheillos]vorurteilos,
oder
bei
weitem
nicht
genug.
Die
Folge
davon
iſt,
daß
ich
nicht
beſtimmen
kann, ob
das, was
du
Du
Du
Du
]Du
willſt
u.]und
thuſt]tust,
recht
ſei, [DKV IV 40]
oder
nicht, u.]und
ich
muß
fürchten, daß
Du
ſelbſt
darüber
unentſchie⸗
den
biſt.
125
Denn
warum
hätteſt
Du
mir, als
ich
Dir
geſtern
die
raſche
Frage
that]tat,
ob
Du
Dir
einen
beſtimmten
Lebensplan
gebildet
[5]
[BKA IV/1 62]
hätteſt, mit
Verwirrung
u.]und
Schüchternheit, wenigſtens
nicht
[MA II 561]
mit
jener
Dir
eigenthümlichen]eigentümlichen
Reinheit
u.]und
Gradheit
geant⸗
wortet,
Du
verſtündeſt
meine
Frage
nicht?
Meine
ſimple
130
Frage
deren
Sinn
doch
ſo
offen
u.]und
klar
iſt?
Muß
ich
nicht
fürch⸗
ten,
daß
Du
nur
in
der
Nothwendigkeit]Notwendigkeit
mir
eine
Antwort
geben
zu
müſſen, die
Deiner
nicht
würdig
iſt, lieber
dieſen
—
Ausweg
gewählt
haſt?
Ein
Lebensplan
iſt
—
—
Mir
fällt
die
Definition
Difinition
vom
Birn⸗135
kuchen
einſt,
ein,
ein,
ein,
]ein,
die
Du
einſt
im
Scherze
Pannwitzen
gabſt, u.]und
wahrlich, ich
möchte
Dir
im
Ernſte
eine
ähnliche
geben.
Denn
bezeichnet
hier
nicht
ebenfalls
ein
einfacher
Ausdruck
einen
einfachen
ſind
Sinn?
Ein
Reiſender, der
das
Ziel
ſeiner
Reiſe,
u.]und
den
Weg
zu
ſeinem
Ziele
kennt, hat
einen
Reiſeplan.
Was
140
der
Reiſeplan
dem
Reiſenden
iſt, das
iſt
der
Lebensplan
dem
Men⸗
ſchen.
Ohne
Reiſeplan
ſich
auf
die
Reiſe
begeben, heißt
erwar⸗
ten,
daß
der
Zufall
uns
auf
an
das
Ziel
führe, das
wir
ſelbſt
nicht
kennen.
Ohne
Lebensplan
[Heimböckel:1999 (Reclam) 41]
leben, heißt
vom
Zufall
erwarten,
ob
er
uns
ſelbſt
ſo
glücklich
machen
werde, wie
wir
es
ſelbſt
145
nicht
begreifen.
Ja, es
iſt
mir
ſo
unbegreiflich, wie
ein
Menſch
ohne
Lebensplan
leben
könne, u.]und
ich
fühle, an
der
Sicherheit, mit
welcher
ich
die
Gegenwart
benutze, an
der
Ruhe, mit
welcher
ich
in
die
Zu⸗
kunft
blicke, ſo
innig, welch’]welch
ein
unſchätzbares
Glück
mir
150
mein
Lebensplan
gewährt, u.]und
der
Zuſtand, ohne
Lebensplan,
ohne
feſte
Beſtimmung, immer
ſchwankend
zwiſchen
unſichern
Wünſchen, immer
im
Widerſpruch
mit
meinen
Pflichten, ein
Spiel
des
Zufalls, eine
Puppe
am
Drathe]Drate
des
Schickſaals]Schicksals
—
dieſer
unwürdige
Zuſtand
ſcheint
mir
ſo
verächtlich, und
wür⸗155
de
mich
ſo
unglücklich
machen, daß
mir
der
Tod
bei
weitem
wünſchenswerther]wünschenswerter
wäre.
Du
ſagſt, nur
Männer
beſäßen
dieſe
uneingeſchränkte
Freiheit
des
Willens, Dein
Geſchlecht
ſei
unauflöslich
an
[DKV IV 41]
die
[6]
[BKA IV/1 65]
Verhältniſſe
der
Meinung
u.]und
des
Rufs
Rufes
geknüpft. —
Aber
iſt
160
es
aus
Deinem
Munde, daß
ich
dies
höre?
Biſt
Du
nicht
ein
freies
Mädchen, ſo
wie
ich
ein
freier
Mann?
Welcher
andern
Herr⸗
ſchaft
biſt
Du
unterworfen, als
allein
der
Herrſchaft
der
Vernunft?
Aber
dieſer
ſollſt
Du
Dich
auch
vollkommen
unterwerfen.
Etwas
165
muß
dem
Menſchen
heilig
ſein.
Uns
beide, denen
es
die
Ce⸗
remonien]Zeremonien
der
Religion
u.]und
die
Geſetze
Vorſchriften
des
conventio[MA II 562] nellen]konventionellen
Wohlſtandes
nicht
ſind, muüßſſen
um
ſo
mehr
die
Vors
Geſetze
der
Vernunft
heilig
ſein.
Der
Staat
fordert
von
uns
weiter
nichts, als
daß
wir
die
zehn
Gebote
nicht
übertreten.
Wer
gebie⸗170
tet
uns
aber
die
Tugenden
der
Menſchenliebe, der
Duldung,
der
Beſcheidenheit, der
Sittſamkeit
zu
üben, wenn
es
nicht
die
Vernunft
thut?]tut?
Der
Staat
ſichert
uns
unſer
Eigenthum]Eigentum,
unſre
Ehre, u.]und
unſer
Leben; wer
ſichert
uns
aber
unſer
inneres
Glück
zu, wenn
es
die
Vernunft
nicht
thut?]tut?
175
So
innig
ich
es
nun
auch
wünſche, Dich
überhaupt
für
die
An⸗
nahme
irgend
eines
Lebensplans
zu
beſtimmen, weil
ich
[Heimböckel:1999 (Reclam) 42]
Dir
gern
das
Glück
gönne, das
Sicherheit, Ruhe
die
Kenntniß]Kenntnis
unſrer
Beſtimmung, dieer
ſichere
Genuß
der
Gegenwart
u.]und
die
Ruhe
für
die
Zukunft
gewähren, ſo
möchte
ich
doch
nicht
gern
vermeiden
einen
Einfluß
auf
die
180
Annahme
eines
beſtimmten
Lebensplanes
haben.
Das
möge
allein
das
Werk
Deiner
Vernunft
ſeinſein.
.
Prüfe
Deine
Natur, beurtheile]beurteile
welches
moraliſche
Glück
ihr
am
angemeſſenſten
ſei, mit
einem
Worte, bilde
Dir
einen
Lebensplan, u.]und
ſtrebe
dann
ſeiner
Aus⸗
führung
entgegen.
Dann
wird
nie
wieder
geſchehen, was
ich
vor⸗185
her
an
Dir
tadelte, dann
werden
ſich
Deine
Wünſche
u.]und
Deine
Pflichten, Deine
Worte
u.]und
Deine
Handlungen
nie
widerſprechen.
Aber
noch
weit
mehr
als
ich
fürchte, Du
möchteſt
noch
bisher
keinen
Lebensplan
gebildet
haben, muß
ich
fürchten, daß
Du
grade
den
einzigen
Lebensplan
verworfen
haſt, der
Deiner
190
würdig
wäre.
Laß
mich
aufrichtig, ohne
Rückhalt, ohne
alle
falſche
[7]
[BKA IV/1 66]
Scham
reden.
Es
ſcheint
mir, —
es
iſt
möglich
daß
ich
mich
irre,
u.]und
ich
will
mich
freuen, wenn
Du
[DKV IV 42]
mich
vom
Gegentheile]Gegenteile
überzeugen
kannſt, —
aber
es
ſcheint
mir, als
ob
Du
bei
Dir
entſchieden
wäreſt, Dich
nie
zu
verheirathen]verheiraten.
Wie? Du
wollteſt
nie
195
Gattinn
[SE:1993 II 492]
u.]und
Mutter
werden?
Du
wärſt
entſchieden,
deine
Deine
Deine
höchſte
Beſtimmung
nicht
zu
erfüllen, Deine
heiligſte
Pflicht
nicht
zu
vollziehen?
Und
entſchieden
wärſt
Du
darüber?
Ich
bin
wahrlich
begierig
die
Gründe
zu
hören, die
Du
für
dieſen
höchſt
ſtraf⸗
baren
u.]und
verbrecheriſchen
Entſchluß
aufzuweiſen
haſt.
haben
kannſt.
200
Eine
einzige
ſimple
Wahrheit
Frage
zerſtört
ihn.
Denn
wenn
Du
ein
Recht
hätteſt, Dich
nicht
zu
verheirathen, warum
ich
nicht
auch?
Und
wenn
wir
beide
dazu
ein
Recht
haben, warum
ein
Dritter
nicht
auch?
Und
wenn
dieſes
iſt, warum
nicht
auch
ein
[MA II 563]
Vierter, ein
Fünfter, warum
nicht
wir
Alle?]alle?
Aber
das
205
Leben, welches
wir
von
unſern
EÄltern]Eltern
empfundingen, iſt
ein
heiliges
Unterpfand, das
wir
unſern
Kindern
wieder
mitthei⸗
len]mitteilen
ſollen.
Das
iſt
ein
ewiges
Geſetz
der
Natur, auf
wel⸗
ches
ſich
ihre
Erhaltung
gründet.
Dieſe
Wahrheit
iſt
ſo
klar, u.]und
das
Intereſſe, das
ſie
bei
ſich
führt, 210
dem
Herzen
des
Menſchen
ſo
innig
eingepflanzt, daß
es
mir][fehlt]
ſchwer
wird
zu
glauben, ſie
ſei
Dir
unbekannt.
Aber
was
ſoll
ich
glauben, wenn
Dir
der, nicht
ſcherzhafte, nur
alzu]allzu
ernſtliche
Wunſch
entſchlüpft, Du
möchteſt
die
Welt
bereiſen?
Iſt
es
auf
Reiſen, daß
man
Geliebte
ſuchet
u.]und
findet?
Iſt
215
es
dort
wo
man
die
Pflichten
der
Gattinn]Gattin
u.]und
der
Mutter
am
zweckmäßigſten
erfüllt?
Willſt d
Oder
willſt
Du
endlich
Vielleicht
willſt Du mir eine ähnliche Frage thun. Aber täuſche
Dich nicht
wenn
Dir
auch
das
Reiſen
überdrüßig]überdrüssig
iſt, zurück⸗
kehren,
nach
wenn
nun
derie
Blüthe]Blüte
Deiner
Jahre
dahingewelkt
iſt,
u.]und
erwarten, ob
ein
Mann
philoſophiſch
genug
denke, 220
[8]
[BKA IV/1 69]
Dich
dennoch
zu
heirathen?]heiraten
Soll
er
Weiblichkeit
von
einem
Weibe
erwarten, deren
Geſchäft
es
während
ihrer
Reiſe
war, ſie
zu
unterdrücken?
Aber
Du
glaubſt
Dich
tröſten
zu
können, wenn
Du
auch
einen
ſolchen
Mann
nicht
fändeſt.
Täuſche
Dich
nicht,
Ul⸗225
rickchen,
ich
fühle
es, Du
würdeſt
Dich
nicht
tröſten, nein, wahr⸗
lich,
Dein
bei
Deinem
Herzen
würdeſt
Du
Dich
nicht
tröſten.
Geſetzt, es
wäre
Dein
Wille, Dich
nach
der
Rückkehr
[DKV IV 43]
von
Deiner
Reiſe
irgendwo
in
einer
ſchönen
Gegend
mit
Deinem
Vermögen
anzukaufen.
Ach, dem
Landmann
iſt
230
ein
Gatte
unentbehrlich.
Der
Städter
mag
ihrer
ſeiner
entbehren,
ich
will
es
glauben, das
Geräuſch
der
Stadt
kann
ſeine
geheimen
Wünſche
unterdrücken, er
lernt
das
Glück
nicht
vermiſſen, das
er
entbehrt.
Aber
der
Landmann
iſt
ohne
Gattinn]Gattin
immer
unglücklich.
Da
fehlt
ihm
Troſt
u.]und
Hülfe
in
Widerwärtigkeiten, 235
da
iſt
er
in
Krankheiten
ohne
Wartung
u.]und
Pflege, da
[SE:1993 II 493]
ſieht
er
ſich
allein
ſtehen
in
der
weiten
lebendigen
Natur, er
fühlt
ſich
unvermißt
u.]und
unbeweint, wenn
er
an
den
Tod
denkt.
Und
ſelbſt
wenn
ſeine
Bemühungen
gedeihen
u.]und
mit
Früchten
wuchern, —
wo
will
er
hin
mit
allen
Erzeugniſſen
der
Natur?
Da
fehlen
240
ihm
Kinder, die
ſie
ihm
verzehren
helfen, da
drückt
er
weh⸗
müthig]wehmütig
fremde
Kinder
an
ſeine
Bruſt
u.]und
reicht
ihnen
von
ſeinem
Überfluſſe. —
Täuſche
Dich
daher
nicht,
Ulrikchen.
Dann
erſt
würdeſt
Du
innig
fühlen, wel[MA II 564] ches
Du
Glück
Du
entbehren
[Heimböckel:1999 (Reclam) 44]
mußt, u.]und
um
ſo
innig
tiefer
würdeſt
dies
dich
ſchmerzen, je
mehr
245
Du
es
ſelbſt
muthwillig]mutwillig
verworfen
haſt.
Und
was
fwürde
Dich
für
ſo
vielen
Verluſt
ſchadlos
halten
können?
Doch
wohl
nicht
der
höchſt
unreife
Gedanke
frei
u.]und
unab⸗
hängig
zu
ſein?
Kannſt
Du
Dich
dem
allgemeinen
Schickſal
Deines
Geſchlechtes
entziehen, das
nun
einmal
ſeiner
Natur
nach
die
250
zweite
Stelle
in
der
Reihe
der
Weſen
bekleidet?
Nicht
einen
Zaun,
nicht
einen
elenden
Graben
kannſt
Du
ohne
Hülfe
eines
Freu
Mannes
[9]
[BKA IV/1 70]
überſchreiten, u.]und
willſt
allein
über
die
Höhen
u.]und
über
die
Abgründe
des
Lebens
wandeln?
Oder
willſt
Du
von
Fremden
fordern, was
Dir
ein
Freund
gern
u.]und
freiwillig
leiſten
würde?
255
Aus
allen
dieſen
Gründen
gieb den unſeelig
deren
Wahrheit
Du
gewiß
einſehen
u.]und
fühlen
wirſt, gieb]gib
den
jenen
unſeeligen]unseligen
Entſchluß
auf, wenn
Du
ihn
gefaßt
haben
ſollteſt.
Du
entſagſt
mit
ihm
Deiner
höchſten
Beſtimmung, Deiner
heiligſten
Pflicht, u. auch
De
der
erhabenſten
Würde, zu
welcher
ein
Weib
emporſteigen
260
kann, u. auch
dem
einzigen
Glücke, das
Deiner
wartet.
Und
wenn
Mädchen
wie
Du
ſich
der
erhabnen
heiligen
Pflicht
Mütter
u.]und
Erzieherinnen
des
Menſchengeſchlechts
Menschengeschlechtes
[Menschengeschlechts?]
zu
wer[DKV IV 44] den,
entziehen,
was
ſoll
aus
der
Nachkommenſchaft
werden?
Soll
die
Sorge
für
künftige
MenſchengGeſchlechter
nur
der
Üppigkeit
feiler
265
oder
eitler
Dirnen
überlaſſen
ſein?
Oder
iſt
ſie
nicht
vielmehr
eine
heilige
Verpflichtung
tugendhafter
Mädchen?.
]Mädchen?
—
Ich
ſchweige, u.]und
überlaſſe
es
Dir, dieſen
Gedanken
auszubilden. —