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Berliner Abendblätter.
61tes Blatt. Den 10ten Dezember 1810.
Ueber Schwärmerei.
Ein großer Theil unsrer Zeitgenossen ist vor nichts in der geistigen Welt so bange, als vor Schwärmerei, und wenn man den Gegenstand aus dem rechten Gesichtspunkt ins Auge faßt, mit vollem Recht. Schwärmen ist schon in der bürglich sittigen Existenz etwas Unwürdiges, Auflösendes, und also wahrhaft Abscheuliches; Schwärmen mit dem Geiste ist um so viel abscheulicher, als Seele höher steht, wie Leib. Was ist denn das viel beklagte, viel gescholtene Verderbniß unsrer Tage anders, als Schwärmerei? Umhergaukeln mit Sinnen, Worten und Gedanken, nirgend daheim sein, als im unruhigen, ungeregelten Schwarme, sich niederlassen, wo es so ungefähr aussieht oder duftet, wie Blumen oder würzige Kräuter, und wieder aufgeweht werden von dem ersten besten Windstoße, — das ist das innre Weh, welches uns verzehrt, und gegen welches auch die Bessern unter uns so gar viel in sich selbst, — leider oft sieglos! — zu kämpfen haben.
Gewöhnlich aber braucht man Schwärmerei in einem ganz andern, ja meist gerade entgegengesetzten Sinne. Festhalten an der Idee, — sie über das Sichtbare, mit Händen zu fassende, stellen, glauben, weil wir den Bürgen des Glaubens in unserm eignen Herzen finden, — Gott lieben und Christum — das heißt heut’ zu Tage Schwärmerei. Es hat es schon Jemand mit tiefen Schmerzen vernommen, daß von sonst wackren, unbescholte 240nen Menschen, wenn man ihnen das Lesen der Bibel empfahl, gemeint ward, das führe ja gerade zur Schwärmerei. — Wohin auch das Nichtlesen der Bibel führe und geführt habe, wollen wir hier nicht weiter berühren. Aber nur das laßt uns fragen: kann Schwärmerei heißen, was dem Leben eine unbedingte feste, über Freud und Leid hinauswirkende Richtung giebt, den Menschen zum Kampf gegen seinen innern Widersacher weckt und stählt, und folgerecht Früchte trägt, welche zu erreichen die sogenannte Aufklärung doch auch nach ihrer Weise ringt und strebt? — Nennt es doch lieber Jrrthum, Ihr anders meinenden Brüder, wenn es Euch so vorkömmt und Ihr es über Euer Herz bringen könnt, aber begeht nicht die grund⸗ und bodenlose Schwärmerei, es Schwärmerei zu heißen. M. F.
Fragmente.
1.
Es giebt gewisse Jrrthümer, die mehr Aufwand von Geist kosten, als die Wahrheit selbst. Tycho hat, und mit Recht, seinen ganzen Ruhm einem Jrrthum zu verdanken, und wenn Keppler uns nicht das Weltgebäude erklärt hätte, er würde berühmt geworden sein, bloß wegen des Wahns, in dem er stand und wegen der scharfsinnigen Gründe, womit er ihn unterstützte, nämlich, daß sich der Mond nicht um seine Axe drehe.
2.
Man könnte die Menschen in zwei Klassen abtheilen; in solche, die sich auf eine Metapher und 2) in solche, die sich auf eine Formel verstehn. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus.
Anekdote.
Als der König von England das erste Mal (Nov, 1788) von der unglücklichen Krankheit befallen war, woran er jetzt abermals leidet, trug sich zu London im Theater von DruryLane ein rührender Auftritt zu. Edwin, ein beliebter Schauspieler, stellt in einem Nachspiele einen guten ehrlichen Landmann vor, der mit jemandem trinkt. Er bringt dem andern Schauspieler die Gesundheit zu: „Gott schenke dem Könige bessere Gesundheit und ein langes Leben!“ Der Einfall begeistert die Zuschauer. Wie Edwin das wahrnimmt, setzt er hinzu: Ja, es ist mein ganzer Ernst, und wenn das Orchester noch beisammen wäre, so sollte es mir das Lied: God Save the King, dazu spielen. — Das ganze Haus ruft sofort: Musik! Musik! Die Mitglieder des Orchesters hatten das Haus bereits verlassen. Edwin stimmt mit einigen andern Schauspielern das Lied an, und muß es unter tobendem Beifall mehrere Male wiederholen. Fast jedermann im Hause stimmte mit ein.
Eigentliches Leben.
Widerstrebend besteht und zeigt allein sich das Leben: Ohne Todesgefahr tödtet das Leben sich selbst.
W.
Bülletin der öffentlichen Blätter.
Paris den 29ten Nov.
Der heutige Moniteur enthält Notizen über das, was in Portugal vorgegangen ist. Man sieht daraus, daß die Kaiserlich Französische Armee in dem Gefecht bei Busaco, in dessen Folge sie siegreich nach Lissabon vorrückte, den General 242Simon verloren hat. Durch ein Misverständniß fiel Anfangs October das Hospital zu Coimbra, mit 14 bis 1500 Kranken, einem elenden Haufen portugiesischer Milizen in die Hände. Am 12ten October ward der Gen. St. Croix bei Villa franca von einer Kugel, aus den Englischen Canonierschaluppen, in zwei Stücken gerissen. Uebrigens herrschen die Engländer zu Lissabon durch Schrecken. Lord Wellington hat bei Todesstrafe allen Bewohnern der Orte, denen sich die französischen Truppen nähern befohlen, dieselben zu räumen, Alles, was sie können mit sich zu nehmen, und das Uebrige ins Wasser zu werfen oder zu verbrennen.
Aus Italien, d. 22. Nov.
Die in Calabrien ausgebrochene Kontagion ist durch ein, mit Wein beladenes, spanisches Schiff dahin gebracht worden. Sie fängt mit einem heftigen Kopfweh an, begleitet von Gliederschmerzen und Wahnsinn; wobei sich eine Beule hinter den Ohren bildet, bei deren Reife, etwa in 24 Stunden, der Kranke stirbt.
(L. d. B.)
Bei J. E. Hitzig hinter der katholischen Kirche Nr. 3. ist angekommen:
Der Todesbund. Ein Roman. Halle, 1811. 8. 1 Rthlr.
Der Verfasser hat sich nicht genannt, aber es kann dem Publikum die feste Zusicherung gegeben werden, daß er zu den ersten Schriftstellern Deutschlands gehört, wie dies das Buch selbst auch am besten documentiren wird.