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Ueber Schwaͤrmerei.
Ein großer Theil unſrer Zeitgenoſſen iſt vor
nichts
in der geiſtigen Welt ſo bange, als vor
Schwaͤrme⸗
rei, und wenn man den Gegenſtand aus
dem rech⸗
ten Geſichtspunkt ins Auge faßt, mit
vollem Recht. 5
Schwaͤrmen iſt
ſchon in der buͤrglich ſittigen Exiſtenz
etwas
Unwuͤrdiges, Aufloͤſendes, und alſo wahrhaft
Abſcheuliches; Schwaͤrmen mit dem Geiſte iſt um
ſo viel
abſcheulicher, als Seele hoͤher ſteht, wie
Leib. Was iſt denn das viel beklagte, viel geſchol⸗10
tene Verderbniß unſrer Tage anders, als
Schwaͤr⸗
merei? Umhergaukeln mit Sinnen,
Worten und
Gedanken, nirgend daheim ſein, als im
unruhigen,
ungeregelten Schwarme, ſich niederlaſſen, wo
es ſo
ungefaͤhr ausſieht oder duftet, wie Blumen oder 15
wuͤrzige Kraͤuter, und wieder aufgeweht werden von
dem erſten beſten Windſtoße, — das iſt das innre
Weh, welches uns verzehrt, und gegen welches auch
die Beſſern unter uns ſo gar viel in ſich ſelbſt, —
leider oft ſieglos! — zu kaͤmpfen haben.20
Gewoͤhnlich aber braucht man
Schwaͤrmerei
in einem ganz andern, ja meiſt gerade
entgegenge⸗
ſetzten Sinne. Feſthalten an der
Idee, — ſie uͤber
das Sichtbare, mit Haͤnden zu faſſende,
ſtellen,
glauben, weil wir den Buͤrgen des Glaubens in
25
unſerm eignen Herzen finden, — Gott lieben und
Chriſtum — das heißt heut’ zu Tage Schwaͤrme⸗
rei. Es hat es
ſchon Jemand mit tiefen Schmer⸗
zen vernommen, daß
von ſonſt wackren, unbeſcholte⸗
[ 61 ]
240nen Menſchen, wenn man ihnen
das Leſen der Bi⸗30
bel empfahl, gemeint ward, das
fuͤhre ja gerade zur
Schwaͤrmerei. — Wohin auch das Nichtleſen der
Bibel fuͤhre und gefuͤhrt habe, wollen wir hier
nicht
weiter beruͤhren. Aber nur das laßt uns
fragen: kann Schwaͤrmerei heißen, was dem Le⸗35
ben eine unbedingte feſte, uͤber Freud und Leid
hin⸗
auswirkende Richtung giebt, den Menſchen
zum
Kampf gegen ſeinen innern Widerſacher weckt und
ſtaͤhlt, und folgerecht Fruͤchte traͤgt, welche zu er⸗
reichen die ſogenannte Aufklaͤrung doch auch
nach 40
ihrer Weiſe ringt und ſtrebt? — Nennt es doch
lieber Jrrthum, Ihr
anders meinenden Bruͤder,
wenn es Euch ſo vorkoͤmmt und
Ihr es uͤber Euer
Herz bringen koͤnnt, aber begeht nicht
die grund⸗
und bodenloſe Schwaͤrmerei, es Schwaͤrmerei zu
45
heißen. M. F.
Fragmente.
1.
Es giebt gewiſſe Jrrthuͤmer, die mehr Auf⸗
wand
von Geiſt koſten, als die Wahrheit ſelbſt. Tycho
50
hat, und mit Recht, ſeinen ganzen Ruhm einem Jrr⸗
thum zu verdanken, und wenn Keppler uns nicht das
Weltgebaͤude erklaͤrt haͤtte, er wuͤrde beruͤhmt gewor⸗
den ſein, bloß wegen des Wahns, in dem er ſtand
und wegen der
ſcharfſinnigen Gruͤnde, womit er ihn 55
unterſtuͤtzte,
naͤmlich, daß ſich der Mond nicht um ſeine
Axe
drehe.
2.
Man koͤnnte die Menſchen in zwei
Klaſſen
abthei⸗
len; in ſolche, die ſich auf eine
Metapher und 2) in 60
ſolche, die ſich auf eine Formel
verſtehn.
Deren, die
ſich auf beides
verſtehn, ſind zu wenige, ſie machen
keine Klaſſe
aus.
Anekdote.
Als der Koͤnig von England
das erſte Mal (Nov, 65
1788) von der ungluͤcklichen
Krankheit befallen war,
woran er jetzt abermals leidet,
trug ſich zu London
im Theater von DruryLane ein
ruͤhrender Auftritt
zu. Edwin, ein beliebter
Schauſpieler, ſtellt in einem
Nachſpiele einen guten
ehrlichen Landmann vor, der 70
mit
jemanden
jemandem
trinkt. Er bringt dem andern Schau⸗
ſpieler die Geſundheit zu: „Gott ſchenke dem
Koͤnige
„beſſere
beſſere
Geſundheit und ein langes Leben!“ Der Ein⸗
fall begeiſtert die Zuſchauer. Wie Edwin das
wahr⸗
nimmt, ſetzt er hinzu: Ja, es iſt mein
ganzer Ernſt, 75
und wenn das Orcheſter noch beisammen
waͤre, ſo
ſollte es mir das Lied: God Save the
King, dazu ſpie⸗
len. — Das ganze Haus ruft
ſofort: Muſik! Muſik!
Die Mitglieder des Orcheſters
hatten das Haus bereits
verlaſſen. Edwin ſtimmt mit einigen andern Schau⸗80
ſpielern das Lied an, und muß es unter tobendem
Bei⸗
fall mehrere Male wiederholen. Faſt jedermann im
Hauſe ſtimmte
mit ein.
Eigentliches Leben.
Widerſtrebend beſteht und zeigt allein ſich das
Leben: 85
Ohne Todesgefahr
toͤdtet das Leben ſich ſelbſt.
W.
Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter.
Paris den 29ten Nov.
Der heutige Moniteur enthaͤlt Notizen
uͤber 90
das, was in Portugal vorgegangen iſt. Man
ſieht daraus, daß die
Kaiſerlich Franzoͤſiſche Ar⸗
mee in dem Gefecht bei Buſaco, in deſſen Folge
ſie
ſiegreich nach Liſſabon vorruͤckte, den General
242Simon verloren hat.
Durch ein Misverſtaͤnd⸗95
niß fiel Anfangs October das Hoſpital zu Coimbra,
mit 14 bis 1500 Kranken, einem
elenden Haufen por⸗
tugieſiſcher Milizen in die
Haͤnde. Am 12ten October
ward der Gen. St. Croix bei
Villa franca von einer
Kugel, aus den Engliſchen Canonierſchaluppen, in 100
zwei
Stuͤcken geriſſen. Uebrigens herrſchen die
Eng⸗
laͤnder zu Liſſabon durch Schrecken. Lord Wellington
hat bei Todesſtrafe allen Bewohnern der Orte, denen
ſich die franzoͤſiſchen Truppen naͤhern befohlen, die⸗
ſelben zu raͤumen, Alles, was ſie koͤnnen mit
ſich zu 105
nehmen, und das Uebrige ins Waſſer zu werfen
oder
zu verbrennen.
Aus
Italien, d. 22. Nov.
Die in Calabrien ausgebrochene
Kontagion iſt
durch ein, mit Wein beladenes, ſpaniſches
Schiff da⸗110
hin gebracht worden.
Sie faͤngt mit einem heftigen
Kopfweh an, begleitet von Gliederſchmerzen und Wahn⸗
ſinn; wobei ſich eine Beule hinter den Ohren bildet,
bei deren Reife, etwa in 24 Stunden, der Kranke
ſtirbt.
(L. d.
B.)115
Bei
J. E. Hitzig hinter der katholiſchen Kirche Nr. 3.
iſt angekommen:
Der Todesbund. Ein
Roman. Halle, 1811. 8.
1 Rthlr.
Der
Verfaſſer hat ſich nicht
genannt, aber es kann dem 120
Publikum die feſte Zuſicherung
gegeben werden, daß er
zu den erſten Schriftſtellern
Deutſchlands gehoͤrt, wie
dies das Buch ſelbſt auch am
beſten documentiren wird.