Alle Textversionen sind inhaltlich identisch und folgen dem angegebenen Textzeugen.
Die
Fassung Erstdruck/Textzeuge zeigt die zeichengenaue Wiedergabe des Textzeugen. Nur offensichtliche Fehler sind emendiert. Alle Emendationen sind im Apparat verzeichnet. Der originale Zeilenfall ist beibehalten. Die Fassung wird auf Smartphones wegen der Zeilenlänge nicht angezeigt.
In der Textversion ohne originalen Zeilenfall wird der Zeilenfall mit einem Schrägstrich / angezeigt, die Zeile wird aber nicht umbrochen. Ansonsten folgt sie der angegebenen Textquelle.
In der Textversion ohne ſ, aͤ, oͤ, uͤ sind zusätzlich das lange ſ und historische Umlautformen der heutigen Orthographie angepasst.
Das Grab der Vaͤter.
Einem
jungen Bauersmann in Norwegen ſoll einmal
folgende Geſchichte
begegnet ſein. Er liebte ein ſchoͤnes
Maͤdchen, die einzige Tochter eines reichen Nachbarn,
und ward von ihr geliebt, aber die Armuth des Wer⸗5
bers machte alle Hofnung auf naͤhere Verbindung zu
nichte. Denn der Brautvater wollte ſeine
Tochter
nur einem ſolchen geben, der ſchuldenfreien Hof
und
Heerde aufzuweiſen habe, und weil der arme junge
Menſch weit davon entfernt war, half es ihm zu 10
nichts, daß er von einem der uralten Heldenvaͤter des
Landes abſtammte, ob zwar Niemand einen Zweifel an
dieſer ruͤhmlichen Geſchlechtstafel hegte. Seiner Ahnen
Erſter und Groͤßter
ſollte auch in einem Huͤgel be⸗
graben ſein, den
alle Landleute unfern der Kuͤſte zu 15
zeigen wußten. Auf
dieſen Huͤgel pflegte ſich denn
der betruͤbte Juͤngling
oftmals in ſeinem Leide zu ſez⸗
zen, und dem begrabnen Altvordern vorzuklagen, wie
ſchlecht es ihm gehe, ohne daß der Bewohner des
Huͤgels auf dieſen kleinen Jammer Ruͤckſicht zu neh⸗20
men ſchien. Meiſt hatten auch die zwei Liebenden
ihre verſtohlnen Zuſammenkuͤnfte dort, und ſo geſchah
es, daß einſtmals der Vater des Maͤdchens den einzig
gangbaren ſteilen Pfad zum Huͤgel von ohngefaͤhr
herauf gegangen kam, indeß die beiden oben ſaßen. 25
Eine toͤdtliche Angſt befiel die
Jungfrau, ihr Lieb⸗
haber faßte ſie in ſeine
ſtarken Arme,
uud
und
verſuchte,
von der andern Seite das Geſtein
herabzuklimmen.
Da ſtanden
ſie aber ploͤtzlich, auf glattem Raſen am
ſchroffen
Hange, feſt, ſie hoͤrten ſchon die Tritte des 30
Vaters
uͤber ſich, der ſie auf dieſe Weiſe unfehlbar er⸗
blicken mußte, ſchon fuͤhlten ſich beide von Angſt und
[ 57 ]
224Schwindel verſucht, die jaͤhe
Tiefe und den Stand⸗
kreis hinab zu ſtuͤrzen, — da
gewahrten ſie nahe bei
ſich einer kleinen Oefnung, und
ſchluͤpften hinein, und 35
ſchluͤpften immer tiefer in die
Dunkelheit, immer noch
voll Angſt vor dem Bemerktwerden,
bis endlich das
Maͤdchen erſchrocken aufſchrie: „mein
Gott, wir ſind
ja in einem Grabe!“
— Da ſahe auch der junge
Normann
erſt um ſich, und bemerkte, daß ſie in einer 40
laͤnglichen
Kammer von gemauerten Steinen ſtanden,
wo ſich inmitten
etwas erhub, wie ein großer Sarg.
Jemehr aber die Finſterniß vor den ſich gewoͤhnenden
Augen abnahm, je deutlicher konnte man auch ſehn,
daß die Maſſe in der Mitte kein Sarg war, ſondern 45
ein uralter Nachen, wie man ſie mit Seehelden an
den nordiſchen Kuͤſten vor Zeiten einzugraben pflegte.
Auf dem Nachen ſaß, dicht
am Steuer, in aufrechter
Stellung, eine hohe Geſtalt, die
ſie erſt fuͤr ein ge⸗
ſchnitztes Bild anſahen.
Als aber der junge Menſch, 50
dreiſt geworden, hinaufſtieg, nahm er
wahr, daß es
eine Ruͤſtung von rieſenmaͤßiger Groͤße ſei.
Der
Helm war geſchloſſen, in den rechten Panzerhandſchuh
war ein gewaltiges bloßes
Schwerdt mit dem goldnen
Griffe hineingeklemmt. Die Braut rief wohl ihrem 55
Liebhaber aͤngſtlich zu, herab zu kommen, aber in einer
ſeltſam wachſenden Zuverſicht riß er das Schwerdt
aus
der beerzten Hand. Da raſſelten die muͤrben
Knochen, auf denen die Waffen ſich noch erhielten,
zu⸗
ſammen, der Harniſch ſchlug auf den Boden des Na⸗60
chens lang hin, der entſetzte Juͤngling den Bord hin⸗
unter zu den Fuͤßen ſeiner Braut. Beide fluͤchteten,
uneingedenk
jeder
andere
anderen
Gefahr, aus der Hoͤle,
den Huͤgel mit Anſtrengung
aller Kraͤfte wieder hin⸗
auf, und oben wurden ſie
erſt gewahr, daß ein unge⸗65
heurer Regenguß
wuͤthete, welcher den Vater von da
vertrieben hatte, und
zugleich mit ſolcher Gewalt,
Steine und Sand nach der
ſchaurigen Oeffnung hin⸗
abzuwaͤlzen begann, daß
ſolche vor ihren Augen ver⸗
ſchuͤttet ward, und
man auch nachher nie wieder hat 70
225da hinein finden koͤnnen. Der junge Menſch aber hatte
das
Schwerdt ſeines Ahnen mit heraus gebracht. Er
ließ mit der Zeit den goldnen Griff einſchmelzen, und
ward ſo reich davon, daß ihm der Brautvater ſeine
Geliebte ohne Bedenken antrauen ließ. Mit der un⸗75
geheuren Klinge aber wußten ſie nichts beſſers
anzufan⸗
gen, als daß ſie Wirthſchafts⸗ und
andere Geraͤthſchaf⸗
ten, ſo viel ſich thun ließ,
daraus ſchmieden ließen.
M. F.
Andeutungen.80
Der Menſchenverſtand hat ſich
beſonders in den
letzten zehn bis funfzehn Jahren, als
Opponent der
Philoſophie und Poeſie, ſo haͤufig mit
ſeinem Geſund⸗
heitsgefuͤhle gebruͤſtet, daß man ſchon
deshalb in
Verſuchu ng
Verſuchung
gerathen ſollte, ihm einige Schwaͤche zu⸗85
zutrauen. Beſcheidene Schriftſteller haben
von jeher
in den meiſten Faͤllen, den Ausdruck: „Gemeiner
Men⸗
ſchenverſtand“ vorgezogen.
Man hat ein Buch vom Profeſſor
Poͤlitz in Wit⸗
tenberg,
in
welchen
welchem
gelehrt wird, wie man die deut⸗90
ſchen
Dichter, ſtatariſch oder curſoriſch auf Schulen
leſen
ſoll. Unter den Anmerkungen, mit denen der
Herausgeber die einzelnen Gedichte begleitet, ſcheint
mir folgende die anziehendſte. Sie ſteht bei den Ver⸗
ſen aus Schillers
Spatziergang:95
„Jene Linien dort, die des
Landmanns Eigenthum ſchuͤtzen,
In die Furche der Flur hat
ſie Demeter gewirkt,“
und
erklaͤrt, Demetrios ſei ein beruͤhmter Philoſoph
und
Mathematiker aus Alexandrien
geweſen, der ſich
um die Theorie der geraden und krummen
Linien 100
ſehr verdient gemacht habe.
Der Juͤngling an das Maͤdchen.
Charade.
Zwei kurze Laute ſage
mir;105
Doch einzeln nicht, — ſo ſpricht
ein Thier!
Zuſammen ſprich ſie huͤbſch
geſchwind:
Du liebſt mich doch, mein ſuͤßes
Kind.
(Die Aufloͤſung im folgenden Blatt.)
Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter.110
Der Herausgeber der
Schweizeriſchen Nachrichten,
iſt wegen Einruͤckung eines
Artikels von Belenz, den
Canton Teſſin
betreffend (der ihm unterſagt war) in
Gefangenſchaft
geſetzt worden. (Schw. Nachr.)
Das gelbe Fieber wuͤthet ſehr
ſtark auf Cuba. 115
Mehrere Schiffe, von Havannah
kommend, haben den
groͤßten Theil ihrer Equipage verloren. (ibid.)
Kopenhagen den 27.
Nov.
Die Koͤnigl.
Quarantaine⸗Direction hat, wegen
der auf mehreren
Punkten des Erdkreiſes herrſchen⸗120
den,
anſteckenden Krankheiten, die ſtrengſten Maas⸗
regeln ergriffen. Aus der deshalb erlaſſenen
Verord⸗
nung geht hervor, daß die in
Otranto und Brindiſi
ausgebrochene Kontagion eine beulenartige (eine Peſt)
ſei: die in den ſpaniſchen Seeſtaͤdten Mallaga und 125
Karthagena herrſchende hingegen ſcheint
das gelbe
Fieber zu ſein. (Hamb. Zeit.)
Petersburg den 14.
Nov.
Geſtern iſt hier durch einen
Courier von der Mol⸗
dauiſchen Armee die
Nachricht eingegangen, daß die ta⸗130
pfern
ruſſiſchen Truppen die Feſtung Nicopolis erobert
haben. (ibid.)