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Berliner Abendblätter.
44tes Blatt. Den 20ten November 1810.
Ueber die gegenwaͤrtige Lage von Großbrittanien.
Es gehoͤrt ein hoher Grad von Verblendung dazu, um die gegenwaͤrtig verzweiflungsvolle Lage Englands ablaͤugnen zu wollen. Schon vor einigen Tagen hatte die Aufhebung der Blokade des Sundes gezeigt, daß bis zur kuͤnftigen Zuruͤcknahme der Kaiſerl. Franzoͤſiſchen Dekrete, von dem Brittiſchen Handel in der Oſtſee nun nicht weiter die Rede ſein koͤnne. Die reichſten Kauffahrtheyflotten kehren aus der Oſtſee, zugleich mit den Waarenvorraͤthen von Helgoland, unverrichteter Sache zuruͤck. Alle diejenigen welche ſich bis jetzt noch mit den vermeintlichen Entſchaͤdigungen durch den Spaniſch-Portugieſiſchen Colonialhandel geſchmeichelt haben, werden ſich wohl uͤberzeugen, daß Amerika ein elendes Surrogat fuͤr Europa ſei. Daß die erſten Jahre freien Verkehrs mit jenen Colonien nach langer Sperrung derſelben, fuͤr England guͤnſtig ausfallen mußten, war natuͤrlich: liest ›natuͤrlich;‹ es waren Aequivalente vorhanden, Metalle, Vorraͤthe; alſo ein Handel moͤglich. Indeß da keine Induſtrie dieſe Vorraͤthe lebendig erhalten oder erſetzen kann; da dieſe Colonien nur vermittelſt Aufwendung ihres Capitals einen momentanen Handel treiben koͤnnen, ſo mochten ſie bald in der Lage des Knaben ſein, der ſeinen Groſchen auf dem Jahrmarkt nunmehr ausgegeben hatte und ſich mit dem Anſchaun begnuͤgen mußte. — liest ›mußte —‹
Was kann denn uͤberhaupt den Continent von Europa im Welthandel entbehrlich machen, was kann England entſchaͤdigen fuͤr ſeinen Verluſt? wenn zu allem Handel nothwendig zwei Perſonen gehoͤren, zwei Handelsmaͤchte die in verſchiedenartiger Induſtrie einigermaßen gleichen Schritt halten muͤſſen?
Dazu nun die Krankheit des Koͤnigs und alle politiſchen Graͤuel in ihrem Gefolge? — Wird Lord Wellesley dem Sturme trotzen, wie Pitt im Jahr 1790? — Seine Talente glaͤnzen im Cabinett, am Hofe, in den diplomatiſchen Cirkeln; aber wird dort die Frage von der Regentſchaft entſchieden werden? Wer wird dieſe ſchreckliche Angelegenheit im Parliamente fuͤhren? — Zwar iſt diesmal kein Fox auf der Straße von Tu 172rin nach London, und ſeit der Proſtitution Burdetts iſt von der Oppoſition des Poͤbels weniger zu befuͤrchten: aber leben denn Lord Grey und Lord Erskine nicht mehr? Iſt es zweifelhaft auf welcher Seite Lord Grenville ſtehen wird? und liest ›und‹ wenn auch der gottſelige Lord Sidmouth mit ſeinem Bruder Hely und allen den Seinigen ſich fuͤrs erſte noch nicht entſcheidet, ſo iſt doch die Coalition aller andern Oppoſitions⸗Partheien bei der Frage von der Regentſchaft diesmal unvermeidlich. Wo ſind die Lichter von England? wo iſt die parliamentariſche Kraft, welche dem bevorſtehenden Sturme begegnen koͤnnte? Lord Liverpool, der lernbegierige, dogmatiſche, und Herr Perceval werden das Steuer lenken, und der Marquis Wellesley wird das Schiff commandiren ſollen, vielleicht in demſelben Augenblick, wo die Truͤmmer der Armee ſeines Bruders in England ankommen werden.
Rechnen wir zu allem dieſen noch den bedeutenden Umſtand, daß alle unterrichteten Perſonen in England uͤber die Lage von Europa und die innere Verhaͤltniße des Continents voͤllig im Dunkeln ſind, daß die Brittiſche Diplomatie, welche niemals die glaͤnzende Seite von England geweſen, nunmehr gaͤnzlich ausgeſtorben iſt, und daß der Brittiſche Charakter durch die Ereigniſſe der letzten Jahre zu einer Erſtarrung und Einſeitigkeit verdammt worden, zu der er von jeher ſich ſchon allzu ſehr hinneigte, und liest ›und‹ man wird einſehen, daß die Criſen von 1790 und 1797, wie ſchauderhaft ſie auch geweſen, doch mit der heurigen liest ›heutigen‹ nicht zu vergleichen ſind.
Fragmente.
1. Das Hauptproblem des Financiers unſrer Zeit iſt: die Generalhypotheken wieder zu Ehren zu bringen. Dieſes kann nur dadurch geſchehen, daß der Staat conſolidirt und ſelbſtſtaͤndig gemacht werde. Dieſer Zweck iſt nur durch ein feſtes Regierungsſyſtem zu erreichen, welches deſſen innere Exiſtenz — die aͤußere iſt in einer ſo unruhigen Zeit, wie die jetzige, nicht in des Staatsmannes Gewalt — fuͤr die Dauer ſichert, Gluͤck und Wohlſtand am allgemeinſten verbreitet. Dieſe Aufgabe iſt wiederum nur durch eine weiſe und gerechte Vertheilung der oͤffentlichen Laſten auf alle Staͤnde zu loͤſen. Diejenigen Staͤnde, welche hiebei zu gluͤcklicher Zeit beguͤnſtigt waren, werden auf dieſe Beguͤnſtigung zur Zeit der Noth und des Ungluͤcks von ſelbſt verzichten. Dann erſt wird ſich der in jeden emendiert in ›jedem‹ Menſchen lie173gende Keim des Gemeinſinns und der Vaterlandsliebe tuͤchtig entfalten, und, in ſo fern aͤußere Sicherheit nicht fehlt, der natuͤrlich groͤßere Credit der Generalhypotheken wieder eintreten.
2. Wenn doch dieſe verfinſternden Apoſtel der Knechtſchaft und des Feudalismus aus der Schule Burkes, dieſe Philoſophen von keinem Ertrage, merken moͤchten, wie vergeblich ſie gegen den beſſeren Zeitgeiſt ankaͤmpfen, wie eitel ihr Bemuͤhen iſt, die Zeiten vor der Reformation zuruͤckzufuͤhren. Wenn ſie doch einſehen moͤgten, daß nur rohe, reale, zaͤhlbare und handgreifliche Beduͤrfniſſe ein Gegenſtand der Staatswirthſchaft ſein koͤnnen und ſollen, und gerade aus dieſer rohen Grundlage das hoͤhere Leben einer Nation hervorgehen muß, ſo wie aus dem Gewirre von Rollen und Seilen hinter den Couliſſen, der poetiſche Effect auf der Buͤhne hervorgeht; daß nur da die allgemeinſte Nationalitaͤt entſtehen kann, wo der groͤßtmoͤglichſte Theil der Nation durch Wohlſtand und Eigenthum an die Erhaltung des Ganzen geknuͤpft iſt.α ω.
Verhoͤr der Graͤfinn Piper.
Gehalten vor einem Kriegsgericht in der Feſtung Waxholm den 3ten Auguſt 1810.
Frage 1. Da das Verhoͤr und die Unterſuchuungen, welche Statt haben werden, im Verfolg auf das eigne Begehren der Fr. Graͤfinn von Piper, Statt finden, ſo iſt vorauszuſetzen, daß dieſelbe von dem Verdacht, der auf ſie gefallen iſt, Kenntniß habe. Demnach bin ich beauftragt, die Fr. Graͤfinn zu fragen, was ſie darauf zu entgegnen hat, und ob ſie eroͤffnen kann, aus welcher Quelle ein Verdacht dieſer Art, ſeinen Urſprung nehmen mag?
Antwort. Ich habe nichts zu ſagen,außer dies, daß die Geruͤchte, in Bezug auf mich, gaͤnzlich ohne Grund ſind.
Fr. 2. Kennt die Fr. Graͤfinn die Urſachen, die zu dem Verdacht gegen Sr Ex. den Hrn. Reichsmarſchall Veranlaſſung gegeben haben?
Antw. Dieſer Verdacht iſt auf gleiche Weiſe, voͤllig nichtig und grundlos.
Fr. 3. Weiß die Fr. Gr. irgend etwas das uͤber die traurige Veranlaſſung, die dieſen gerichtlichen Unterſuchungen zum Grunde liegt, Licht verbreiten mag?
Antw. Nicht das mindeſte.
Fr. 4. Wann hat die Fr. Gr. die Ehre gehabt, Sr. Koͤnigl. Hoheit den Kronprinzen zum Erſtenmale zu ſehn?
Antw. An der Abendtafel Ihrer Maj. der Koͤniginn, ohngefaͤhr 14 Tage nach der Ankunft Sr. Hoheit in Stockholm.
Fr. 5. War Sr. Ex. der Hr. Reichsmarſchall gegenwaͤrtig bei dieſer Gelegenheit?
Antw. Ja.
Fr. 6. Hat Sr. Hoheit der Kronprinz jemals in dem Hauſe Ferſen, oder abgeſondert bei Sr. Ex. dem Hrn. Reichsm. einen Beſuch abgeſtattet?
Antw. Niemals.
Fr. 7. Wann und wo hat die Fr. Gr. ſeit jenem Abendeſſen die Ehre gehabt, Sr. Koͤnigl. Hoheit wieder zu ſehen?
Antw. Ebenfalls wieder nur bei einigen Abendeſſen an Ihrer Maj. der Koͤniginn, Tafel.
174Fr. 8. Hatte Sr. Hoheit vielleicht bei ſolchen Gelegenheiten, die Gewohnheit ſich an die Tafel, und die Fr. Gr. die Ehre, ſich an die Seite deſſelben zu ſetzen?
Antw. Sr. Hoheit ſetzten ſich niemals bei Gelegenheiten dieſer Art zur Tafel nieder; ſie zogen ſich ohne Ausnahme jedesmal ſobald gedeckt war, in Ihre Behauſung zuruͤck.
Fr. 9. Ohne Zweifel haben ſich Hoͤchſtdieſelben bei Einer dieſer Gelegenheiten, mit der Fr. Gr. unterhalten, und das Geſpraͤch wird ſich vielleicht in die Laͤnge gezogen haben?
Antw. Einmal, als ich die Ehre hatte, Sr. Hoheit vorgeſtellt zu werden, ohngefaͤhr 14 Tage nach ihrer Ankunft in Stockholm. Die Unterhaltung dauerte ohngefaͤhr zwei Minuten.
Fr. 10. Was war der Gegenſtand der Unterhaltung? War er von der Art, daß er Streit und Empfindlichkeit, auf einer oder der andern Seite, veranlaßte?
Antw. Keinesweges. Sr. Hoheit hatten bloß die Gnade mir zu ſagen, daß ſie mich im Theater, hinter dem Gitter einer Loge geſehen, und daß ſie von meinem krankhaften Zuſtand, der mich verhinderte, den Hof⸗Feſten beizuwohnen, unterrichtet waͤren.
Fr. 11. liest keinen Punkt Hat die Fr. Gr. niemals irgend eine Abneigung gegen Sr. Hoheit empfunden, und war dieſelbe in ſeiner Perſon, in ſeinen Eigenſchaften, oder ſonſt in irgend etwas, das ihn perſoͤnlich angeht, gegruͤndet?
Antw. Niemals.
Fr. 12. Hat die Fr. Gr. niemals ein Gefuͤhl dieſer Art bei Sr. Ex. dem Hrn. Reichsmarſchall, bemerkt?
Antw. Niemals.
Fr. 13. Hat jemals ein Vorfall ſtatt gefunden, von welchem, nach der Einſicht der Fr. Gr. vielleicht das Publikum einen Grund hat hernehmen koͤnnen, zu glauben, das zwiſchen Sr. Hoheit und der Fr. Gr. oder Sr. Ex. dem Hrn. Reichsm. ein Mißverſtaͤndniß vorhanden geweſen?
Antw. Keinesweges.
Fr. 14. Hat die Fr. Gr. oder der Hr. Reichsm. je, durch eine Aeußerung dem Publiko Veranlaſſung gegeben, zu glauben, daß dieſelben die Hochachtung und das Wohlwollen, das Sr. Hoheit ſich im ganzen ganzen- Lande erworben hatten, nicht theilten.
Antw. Niemals! Keine Aeußerungen ſind uͤber unſere Lippen gekommen, als ſolche, die mit der allgemeinen Meinung uͤber ſeine hoͤchſte Perſon uͤbereinſtimmten.
Fr. 15. Gab es vielleicht Zuſammenkuͤnfte, die das Publikum glauben machen konnten, daß eine Verſchwoͤrung gegen das Leben Sr. Hoheit im Werke ſei?
Antw. Davon weiß ich nichts.
Fr. 16. Hat die Fr. Gr. Kenntniß genommen von dem, im Publiko verbreiteten Geruͤcht, daß ein Anſchlag, Sr. Koͤnigl. liest ohne Punkt Hoheit Gift, in Kaffe, Paſteten, in der Suppe, oder im Thee, beizubringen, entworfen worden ſei?
Antw. Davon bin ich, durch das Geſpraͤch der Stadt unterrichtet worden.
Fr. 17. Bei der entſetzlichen Behandlung, die Sr. Ex. dem Hrn. Reichsm. widerfahren iſt, kann es der Fr. Gr. nicht verſchwiegen geblieben ſein, welche Meinung uͤber den ploͤtzlichen Tod Sr. Koͤnigl. Hoheit, im Publiko im Umlauf iſt. Die Fr. Gr. weiß beſſer, als ich es ausdruͤcken kann, daß vor den Augen Gottes auch die geheimſten Dinge entfaltet ſind. Ich bin beauftragt, dieſelbe zu beſchwoͤren, bei Gott und ihrem Gewiſſen anzugeben, ob ſie von irgend einem, ſei es auch noch ſo geringen, Umſtand Kenntniß hat, der Licht uͤber den unbegreiflichen Tod Sr. Koͤnigl. Hoheit werfen kann.
Antw. Ich kann nichts angeben, was daruͤber Licht verbreiten kann, denn ich bin, wie ſchon geſagt, ohne alle Kenntniß uͤber deſſen Urſach.