Der Zweikampf.
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Der Zweikampf./
Herzog Wilhelm von Breysach, der, seit /seiner heimlichen Verbindung mit einer Grä/fin, Namens Katharina von Heersbruck, aus /dem Hause Alt-Hüningen, die unter seinem /Range zu sein schien, mit seinem Halbbru/der, dem Grafen Jacob dem Rothbart, in /Feindschaft lebte, kam gegen das Ende des /vierzehnten Jahrhunderts, da die Nacht des /heiligen Remigius zu dämmern begann, von / 10 einer in Worms mit dem deutschen Kaiser /abgehaltenen Zusammenkunft zurück, worin er /sich von diesem Herrn, in Ermangelung ehe/licher Kinder, die ihm gestorben waren, die /Legitimation eines, mit seiner Gemahlin vor / 164 der Ehe erzeugten, natürlichen Sohnes, des /Grafen Philipp von Hüningen, ausgewirkt /hatte. Freudiger, als während des ganzen /Laufs seiner Regierung in die Zukunft blik/kend, hatte er schon den Park, der hinter / 20 seinem Schlosse lag, erreicht: als plötzlich /ein Pfeilschuß aus dem Dunkel der Gebüsche /hervorbrach, und ihm, dicht unter dem Brust/knochen, den Leib durchbohrte. Herr Fried/rich von Trota, sein Kämmerer, brachte ihn, /über diesen Vorfall äußerst betroffen, mit Hülfe /einiger andern Ritter, in das Schloß, wo /er nur noch, in den Armen seiner bestürzten /Gemahlin, die Kraft hatte, einer Versamm/lung von Reichsvasallen, die schleunigst, auf / 30 Veranstaltung der letztern, zusammenberufen /worden war, die kaiserliche Legitimations/acte vorzulesen; und nachdem, nicht ohne /lebhaften Widerstand, indem, in Folge des /Gesetzes, die Krone an seinen Halbbruder, /den Grafen Jacob den Rothbart, fiel, die /Vasallen seinen letzten bestimmten Willen er/füllt, und unter dem Vorbehalt, die Geneh/165migung des Kaisers einzuholen, den Grafen /Philipp als Thronerben, die Mutter aber, / 40 wegen Minderjährigkeit desselben, als Vor/münderin und Regentin anerkannt hatten: /legte er sich nieder und starb. /
Die Herzogin bestieg nun,
ohne Weiteres, /unter einer bloßen Anzeige, die
sie, durch ei/nige Abgeordnete, an ihren Schwager, den /Grafen Jacob den Rothbart, thun ließ, den /Thron; und was mehrere Ritter des Hofes, /welche die abgeschlossene Gemüthsart des
letz/teren zu durchschauen meinten, vorausgesagt
/ 50 hatten, das traf, wenigstens dem äußeren
/Anschein nach, ein: Jacob der Rothbart
ver/schmerzte,
in kluger Erwägung der obwaltenden
Umstände,
das Unrecht, das ihm sein Bru/der zugefügt hatte;
zum mindesten enthielt /er sich aller und jeder
Schritte, den letzten /Willen des Herzogs
umzustoßen, und wünschte /seinem jungen Neffen
zu dem Thron, den /er erlangt hatte, von Herzen
Glück. Er be/schrieb den
Abgeordneten, die er sehr heiter / 60 und
freundlich
[emendiert ohne Hinweis]
an seine Tafel zog, wie er seit /166 dem Tode seiner Gemahlin, die ihm ein
kö/nigliches Vermögen hinterlassen,
frei und un/abhängig auf seiner Burg lebe;
wie er die /Weiber der angränzenden Edelleute,
seinen /eignen Wein, und, in Gesellschaft
munterer /Freunde, die Jagd liebe, und wie ein
Kreuz/zug nach Palästina, auf welchem er die
Sün/den einer raschen Jugend, auch leider, wie
er /zugab, im Alter noch wachsend, abzubüßen / 70 dachte, die ganze Unternehmung sei, auf die /er noch, am Schluß seines Lebens, hinaus/sehe. Vergebens machten ihm seine beiden /Söhne,
welche in der bestimmten Hoffnung /der
Thronfolge erzogen worden waren, we/gen der
Unempfindlichkeit und Gleichgültigkeit /mit
welcher er, auf ganz unerwartete Weise, /in
diese unheilbare Kränkung
ihrer
Ansprüche /willigte, die bittersten
Vorwürfe: er wies sie, /die noch unbärtig waren,
mit kurzen und / 80 spöttischen Machtsprüchen zur
Ruhe, nöthigte /sie, ihm am Tage des feierlichen
Leichenbe/gängnisses, in die Stadt
zu folgen, und da/selbst, an seiner Seite, den
alten Herzog, /167ihren Oheim,
wie es sich gebühre, zur Gruft /zu bestatten;
und nachdem er im Thronsaal /des herzoglichen
Pallastes, dem jungen Prin/zen, seinem Neffen, in
Gegenwart der Re/gentin Mutter, gleich allen
andern Großen /des Hofes, die Huldigung
geleistet hatte, / 90 kehrte er unter Ablehnung
aller Aemter und /Würden, welche die letztere
ihm antrug, be/gleitet von den Seegnungen des,
ihn um seine /Großmuth und Mäßigung doppelt
verehrenden /Volks, wieder auf seine Burg
zurück./
Die Herzoginn schritt nun, nach dieser /unverhoft glücklichen Beseitigung der ersten /Interessen, zur Erfüllung ihrer zweiten Re/gentenpflicht, nämlich, wegen der Mörder /ihres Gemahls, deren man im Park eine / 100 ganze Schaar wahrgenommen haben wollte, /Untersuchungen anzustellen, und prüfte zu /diesem Zweck selbst, mit Herrn Godwin von /Herrthal, ihrem Kanzler, den Pfeil, der sei/nem Leben ein Ende gemacht hatte. Inzwi/schen fand man an demselben nichts, das /den Eigenthümer hätte verrathen können, /168 außer etwa, daß er, auf befremdende Weise, /zierlich und prächtig gearbeitet war. Starke, /krause und glänzende Federn steckten in einem / 110 Stiel, der, schlank und kräftig, von dun/kelm Nußbaumholz, gedrechselt war; die Be/kleidung des vorderen Endes war von glän/zendem Messing, und nur die äußerste Spitze /selbst, scharf wie die Gräte eines Fisches, /war von Stahl. Der Pfeil schien für die /Rüstkammer eines vornehmen und reichen /Mannes verfertigt zu sein, der entweder in /Fehden verwickelt, oder ein großer Liebhaber /von der Jagd war; und da man aus einer, / 120 dem Knopf eingegrabenen, Jahrszahl ersah, /daß dies erst vor kurzem geschehen sein konn/te: so schickte die Herzoginn, auf Anrathen /des Kanzlers, den Pfeil, mit dem Kronsiegel /versehen, in alle Werkstätten von Deutschland /umher, um den Meister, der ihn gedrechselt /hatte, aufzufinden, und, falls dies gelang, /von demselben den Namen dessen zu erfah/ren, auf dessen Bestellung er gedrechselt wor/den war./ 130
169Fünf Monden darauf lief an Hr. God/win, den Kanzler, dem die Herzogin die ganze /Untersuchung der Sache übergeben hatte, die /Erklärung von einem Pfeilmacher aus Straß/burg ein, daß er ein Schock solcher Pfeile, /sammt dem da zu gehörigen Köcher, vor drei /Jahren für den Grafen Jacob den Rothbart /verfertigt habe. Der Kanzler, über diese Er/klärung äußerst betroffen, hielt dieselbe meh/rere Wochen lang in seinem Geheimschrank / 140 zurück; zum Theil kannte er, wie er meinte, trotz /der freien und ausschweifenden Lebensweise des /Grafen, den Edelmuth desselben zu gut, als /daß er ihn einer so abscheulichen That, als die /Ermordung eines Bruders war, hätte für fä/hig halten sollen; zum Theil auch, trotz vie/ler andern guten Eigenschaften, die Gerechtig/keit der Regentin zu wenig, als daß er, in /einer Sache, die das Leben ihres schlimmsten /Feindes galt, nicht mit der größten Vorsicht / 150 hätte verfahren sollen. Inzwischen stellte er, /unter der Hand, in der Richtung dieser son/derbaren Anzeige, Untersuchungen an, und da /170er durch die Beamten der Stadtvoigtei zu/fällig ausmittelte, daß der Graf, der seine /Burg sonst nie oder nur höchst selten zu ver/lassen pflegte, in der Nacht der Ermordung /des Herzogs daraus abwesend gewesen war: /so hielt er es für seine Pflicht, das Geheim/niß fallen zu lassen, und die Herzogin, in / 160 einer der nächsten Sitzungen des Staatsraths, /von dem befremdenden und seltsamen Ver/dacht, der durch diese beiden Klagpunkte auf /ihren Schwager, den Grafen Jacob den Rothbart /fiel, umständlich zu unterrichten./
Die Herzogin, die sich glücklich pries, mit /dem Grafen ihrem [liest ›ihrem‹] [liest ›ihrem‹] Schwager, auf einem so /freundschaftlichen Fuß zu stehen, und nichts /mehr fürchtete, als seine Empfindlichkeit durch /unüberlegte Schritte zu reizen, gab inzwischen, / 170 zum Befremden des Kanzlers, bei dieser zwei/deutigen Eröffnung nicht das mindeste Zeichen /der Freude von sich; vielmehr, als sie die /Papiere zweimal mit Aufmerksamkeit überle/sen hatte, äußerte sie lebhaft ihr Misfallen, /daß man eine Sache, die so ungewiß und /171bedenklich sei, öffentlich im Staatsrath zur /Sprache bringe. Sie war der Meinung, /daß ein Irrthum oder eine Verläumdung da/bei statt finden müsse, und befahl, von der An/ 180 zeige schlechthin bei den Gerichten keinen Ge/brauch zu machen. Ja, bei der außerordent/lichen, fast schwärmerischen Volksverehrung, /deren der Graf, nach einer natürlichen Wen/dung der Dinge, seit seiner Ausschließung /vom Throne genoß, schien ihr auch schon /dieser bloße Vortrag im Staatsrath äußerst /gefährlich; und da sie voraus sah, daß ein /Stadtgeschwätz darüber zu seinen Ohren kom/men würde, so schickte sie, von einem wahr/ 190 haft edelmüthigen Schreiben begleitet, die /beiden Klagpunkte, die sie das Spiel eines /sonderbaren Misverständnisses nannte, sammt /dem, worauf sie sich stützen sollten, zu ihm /hinaus, mit der bestimmten Bitte, sie, die /im voraus von seiner Unschuld überzeugt /sei, mit aller Widerlegung derselben zu ver/schonen./
Der Graf der eben mit einer Gesell/172schaft von Freunden bei der Tafel saß, stand, / 200 als der Ritter mit der Bothschaft der Herzo/gin, zu ihm eintrat, verbindlich von seinem /Sessel auf; aber kaum, während die Freunde /den feierlichen Mann, der sich nicht nieder/lassen wollte, betrachteten, hatte er in der /Wölbung des Fensters den Brief überlesen: /als er die Farbe wechselte, und die Papiere /mit den Worten den Freunden übergab: Brü/der, seht! welch eine schändliche Anklage, auf /den Mord meines Bruders, wider mich zu/ 210 sammengeschmiedet worden ist! Er nahm dem /Ritter, mit einem funkelnden Blick, den Pfeil /aus der Hand, und setzte, die Vernichtung sei/ner Seele verbergend, inzwischen die Freunde /sich unruhig um ihn versammelten, hinzu: /daß in der That das Geschoß sein gehöre /und auch der Umstand, daß er in der Nacht /des heiligen Remigius aus seinem Schloß ab/wesend gewesen, gegründet sei! Die Freunde /fluchten über diese hämische und niederträch/ 220 tige Arglistigkeit; sie schoben den Verdacht des /Mordes auf die verruchten Ankläger selbst zu/173rück, und schon waren sie im Begriff, gegen /den Abgeordneten, der die Herzoginn, seine /Frau, in Schutz nahm, beleidigend zu wer/den: als der Graf, der die Papiere noch ein/mal überlesen hatte, indem er plötzlich un/ter sie trat, ausrief: ruhig, meine Freunde! /— und damit nahm er sein Schwerdt, das im /Winkel stand, und übergab es dem Ritter / 230 mit den Worten: daß er sein Gefangener /sei! Auf die betroffene Frage des Ritters: ob /er recht gehört, und ob er in der That die /beiden Klagpunkte, die der Kanzler aufgesetzt, /anerkenne? antwortete der Graf: ja! ja! ja! /— Inzwischen hoffe er der Nothwendigkeit /überhoben zu sein, den Beweis wegen seiner /Unschuld anders, als vor den Schranken ei/nes förmlich von der Herzoginn niedergesetz/ten Gerichts zu führen. Vergebens bewiesen / 240 die Ritter, mit dieser Aeußerung höchst un/zufrieden, daß er in diesem Fall wenigstens /keinem andern, als dem Kaiser, von dem /Zusammenhang der Sache Rechenschaft zu /geben brauche; der Graf, der sich in einer /174sonderbar plötzlichen Wendung der Gesinnung, /auf die Gerechtigkeit der Regentin berief, be/stand darauf, sich vor dem Landestribunal zu /stellen, und schon, indem er sich aus ihren /Armen losriß, rief er, aus dem Fenster hin/ 250 aus, nach seinen Pferden, willens, wie er /sagte, dem Abgeordneten unmittelbar in die /Ritterhaft zu folgen: als die Waffengefähr/ten ihm gewaltsam, mit einem Vorschlag, den /er endlich annehmen mußte, in den Weg tra/ten. Sie setzten in ihrer Gesammtzahl ein /Schreiben an die Herzogin auf, forderten /als ein Recht, das jedem Ritter in solchem /Fall zustehe, freies Geleit für ihn, und boten /ihr zur Sicherheit, daß er sich dem von ihr / 260 errichteten Tribunal stellen, auch allem, was /dasselbe über ihn verhängen mögte, unterwer/fen würde, eine Bürgschaft von 20000 Mark /Silbers an. /
Die Herzogin, auf diese unerwartete und /ihr unbegreifliche Erklärung, hielt es, bei den /abscheulichen Gerüchten, die bereits über die /Veranlassung der Klage, im Volk herrschten, /175für das Rathsamste, mit gänzlichem Zurück/treten ihrer eignen Person, dem Kaiser die / 270 ganze Streitsache vorzulegen. Sie schickte /ihm, auf den Rath des Kanzlers, sämmtliche /über den Vorfall lautende Actenstücke zu, /und bat, in seiner Eigenschaft als Reichs/oberhaupt ihr die Untersuchung in einer Sache /abzunehmen, in der sie selber als Parthei be/fangen sei. Der Kaiser, der sich wegen Ver/handlungen mit der Eidgenossenschaft grade /damals in Basel aufhielt, willigte in diesen /Wunsch; er setzte daselbst ein Gericht von / 280 drei Grafen, zwölf Rittern und zwei Gerichts/assessoren nieder; und nachdem er dem Gra/fen Jacob dem Rothbart, dem Antrag seiner /Freunde gemäß, gegen die dargebotene Bürg/schaft von 20000 Mark Silbers freies Ge/leit zugestanden hatte, forderte er ihn auf, /sich dem erwähnten Gericht zu stellen, und /demselben über die beiden Puncte: wie der /Pfeil, der, nach seinem eignen Geständniß /sein gehöre, in die Hände des Mörders ge/ 290 kommen? auch: an welchem dritten Ort er /176sich in der Nacht des heiligen Remigius auf/gehalten habe, Red’ und Antwort zu geben. /
Es war am Montag nach Trinitatis, als /der Graf Jacob der Rothbart, mit einem /glänzenden Gefolge von Rittern, der an ihn /ergangenen Aufforderung gemäß, in Basel /vor den Schranken des Gerichts erschien, und /sich daselbst, mit Uebergehung der ersten, ihm, /wie er vorgab, gänzlich unauflöslichen Frage, / 300 in Bezug auf die zweite, welche für den /Streitpunct entscheidend war, folgendermaa/ßen faßte: „Edle Herren!“ und damit stützte /er seine Hände auf das Geländer, und schaute /aus seinen kleinen blitzenden Augen, von röth/lichen Augenwimpern überschattet, die Ver/sammlung an. „Ihr beschuldigt mich, der /von seiner Gleichgültigkeit gegen Krone und /Scepter Proben genug gegeben hat, der ab/scheulichsten Handlung, die begangen werden / 310 kann, der Ermordung meines, mir in der /That wenig geneigten, aber darum nicht min/der theuren Bruders; und als Einen der /Gründe, worauf ihr eure Anklage stützt, führt /177ihr an, daß ich in der Nacht des heiligen /Remigius, da jener Frevel verübt ward, ge/gen eine durch viele Jahre beobachtete Ge/wohnheit, aus meinem Schlosse abwesend war. /Nun ist mir gar wohl bekannt, was ein Rit/ter, der Ehre solcher Damen, deren Gunst ihm / 320 heimlich zu Theil wird, schuldig ist; und wahr/lich! hätte der Himmel nicht, aus heiterer /Luft, dies sonderbare Verhängniß über mein /Haupt zusammengeführt: so würde das Ge/heimniß, das in meiner Brust schläft, mit mir /gestorben, zu Staub verwest, und erst auf /den Posaunenruf des Engels, der die Gräber /sprengt, vor Gott mit mir erstanden sein. /Die Frage aber, die kaiserliche Majestät durch /euren Mund an mein Gewissen richtet, macht, / 330 wie ihr wohl selbst einseht, alle Rücksichten /und alle Bedenklichkeiten zu Schanden; und /weil ihr denn wissen wollt, warum es weder /wahrscheinlich, noch auch selbst möglich sei, /daß ich an dem Mord meines Bruders, es /sei nun persönlich oder mittelbar, Theil ge/178nommen, so vernehmt, daß ich in der Nacht /des heiligen Remigius, also zur Zeit, da er /verübt worden, heimlich bei der schönen, in /Liebe mir ergebenen Tochter des Landdrosts / 340 Winfried von Breda, Frau Wittib Littegarde /von Auerstein war.“ /
Nun muß man wissen, daß Frau Wittib /Littegarde von Auerstein, so wie die schönste, /so auch, bis auf den Augenblick dieser schmäh/lichen Anklage, die unbescholtenste und makel/loseste Frau des Landes war. Sie lebte, seit /dem Tode des Schloßhauptmanns von Auer/stein, ihres Gemahls, den sie wenige Mon/den nach ihrer Vermählung an einem an/ 350 steckenden Fieber verloren hatte, still und ein/gezogen auf der Burg ihres Vaters; und /nur auf den Wunsch dieses alten Herrn, der /sie gern wieder vermählt zu sehen wünschte, /ergab sie sich darin, dann und wann bei den /Jagdfesten und Banketten zu erscheinen, wel/che von der Ritterschaft der umliegenden Ge/gend, und hauptsächlich von Hr. Jacob dem /Rothbart, angestellt wurden. Viele Grafen /179und Herren, aus den edelsten und begütert/ 360 sten Geschlechtern des Landes, fanden sich /mit ihren Werbungen, bei solchen Gelegen/heiten um sie ein, und unter diesen war ihr /Hr. Friedrich von Trota, der Kämmerer, der /ihr einst auf der Jagd gegen den Anlauf ei/nes verwundeten Ebers tüchtiger Weise das /Leben gerettet hatte, der Theuerste und Lieb/ste; inzwischen hatte sie sich aus Besorgniß, /ihren beiden, auf die Hinterlassenschaft ihres /Vermögens rechnenden Brüdern dadurch zu / 370 misfallen, aller Ermahnungen ihres Vaters /ungeachtet, noch nicht entschließen können, /ihm ihre Hand zu geben. Ja, als Rudolph, /der Aeltere von beiden sich mit einem reichen /Fräulein aus der Nachbarschaft vermählte, /und ihm, nach einer dreijährigen kinderlosen /Ehe, zur großen Freude der Familie, ein /Stammhalter gebohren ward: so nahm sie, /durch manche deutliche und undeutliche Erklä/rung bewogen, von Herrn Friedrich, ihrem / 380 Freunde, in einem unter vielen Thränen ab/gefaßten Schreiben, förmlich Abschied, und / 180willigte, um die Einigkeit des Hauses zu er/halten, in den Vorschlag ihres Bruders, den /Platz als Aebtissin in einem Frauenstift ein/zunehmen, das unfern ihrer väterlichen Burg /an den Ufern des Rheins lag. /
Grade um die Zeit, da bei dem Erzbischof /von Straßburg dieser Plan betrieben ward, /und die Sache im Begriff war zur Aus/ 390 führung zu kommen, war es, als der Land/drost, Hr. Winfried von Breda, durch das /von dem Kaiser eingesetzte Gericht, die An/zeige von der Schande seiner Tochter Litte/garde, und die Aufforderung erhielt, dieselbe /zur Verantwortung gegen die von dem Gra/fen Jacob wider sie angebrachte Beschuldi/gung nach Basel zu befördern. Man bezeich/nete ihm, im Verlauf des Schreibens, genau /die Stunde und den Ort, in welchem der / 400 Graf, seinem Vorgeben gemäß, bei Frau Lit/tegarde seinen Besuch heimlich abgestattet ha/ben wollte, und schickte ihm sogar einen, von /ihrem verstorbenen Gemahl herrührenden Ring /mit, den er beim Abschied, zum Andenken an /181die verflossene Nacht, aus ihrer Hand em/pfangen zu haben versicherte. Nun litt Hr. /Winfried eben, am Tage der Ankunft dieses /Schreibens an einer schweren und schmerz/vollen Unpäßlichkeit des Alters; er wankte, / 410 in einem äußerst gereizten Zustande, an der /Hand seiner Tochter im Zimmer umher, das /Ziel schon ins Auge fassend, das Allem was /Leben athmet gesteckt ist; dergestalt, daß ihn, /bei Ueberlesung dieser fürchterlichen Anzeige, /der Schlag augenblicklich rührte, und er, in/dem er das Blatt fallen ließ, mit gelähmten/ Gliedern auf den Fußboden niederschlug. Die /Brüder, die gegenwärtig waren, hoben ihn /bestürzt vom Boden auf, und riefen einen / 420 Arzt herbei, der zu seiner Pflege, in den /Nebengebäuden wohnte; aber alle Mühe, ihn /wieder ins Leben zurück zu bringen, war um/sonst: er gab, während Frau Littegarde be/sinnungslos in dem Schooß ihrer Frauen lag, /seinen Geist auf, und diese, da sie erwachte, /hatte auch nicht den letzten bittersüßen Trost, /ihm ein Wort zur Vertheidigung ihrer Ehre /182in die Ewigkeit mitgegeben zu haben. Das /Schrecken der beiden Brüder über diesen heil/ 430 losen Vorfall, und ihre Wuth über die der /Schwester angeschuldigte und leider nur zu /wahrscheinliche Schandthat, die ihn veran/laßt hatte, war unbeschreiblich. Denn sie /wußten nur zu wohl, daß Graf Jacob der /Rothbart ihr in der That, während des gan/zen vergangenen Sommers, angelegentlich den /Hof gemacht hatte; mehrere Tourniere und /Bankette waren bloß ihr zu Ehren von /ihm angestellt, und sie, auf eine schon damals / 440 sehr anstößige Weise, vor allen andern Frau/en, die er zur Gesellschaft zog, von ihm aus/gezeichnet worden. Ja, sie erinnerten sich, /daß Littegarde, grade um die Zeit des besag/ten Remigiustages, eben diesen von ihrem /Gemahl herstammenden Ring, der sich jetzt, /auf sonderbare Weise in den Händen des /Grafen Jacob wieder fand, auf einem [emendiert ohne Hinweis] Spa/ziergang verloren zu haben vorgegeben hatte; /dergestalt, daß sie nicht einen Augenblick an / 450 der Wahrhaftigkeit der Aussage, die der Graf /183vor Gericht gegen sie abgeleistet hatte, zwei/felten. Vergebens — inzwischen unter den Kla/gen des Hofgesindes die väterliche Leiche weg/getragen ward — umklammerte sie, nur um /einen Augenblick Gehör bittend, die Kniee /ihrer Brüder; Rudolph, vor Entrüstung flam/mend, fragte sie, indem er sich zu ihr wandte: /ob sie einen Zeugen für die Nichtigkeit der /Beschuldigung für sich aufstellen könne? und / 460 da sie unter Zittern und Beben erwiederte: /daß sie sich leider auf nichts, als die Unsträf/lichkeit ihres Lebenswandels berufen könne, /indem ihre Zofe grade wegen eines Besuchs, /den sie in der bewußten Nacht bei ihren El/tern abgestattet, aus ihrem Schlafzimmer /abwesend gewesen sei: so stieß Rudolph sie /mit Füßen von sich, riß ein Schwerdt /das an der Wand hing, aus der Schei/de, und befahl ihr, in misgeschaffner Lei/ 470 denschaft tobend, indem er Hunde und /Knechte herbeirief, augenblicklich das Haus /und die Burg zu verlassen. Littegarde stand /bleich wie Kreide, vom Boden auf; sie bat, /184indem sie seinen Mishandlungen schweigend /auswich, ihr wenigstens zur Anordnung der /erforderten Abreise die nöthige Zeit zu lassen; /doch Rudolph antwortete weiter nichts, als, /vor Wuth schäumend: hinaus, aus dem /Schloß! dergestalt, daß da er auf seine eigne / 480 Frau, die ihm mit der Bitte um Schonung /und Menschlichkeit, in den Weg trat, nicht /hörte, und sie, durch einen Stoß mit dem /Griff des Schwerdts, der ihr das Blut flie/ßen machte, rasend auf die Seite warf, die /unglückliche Littegarde, mehr todt als leben/dig, das Zimmer verließ: sie wankte, von /den Blicken der gemeinen Menge umstellt, /über den Hofraum der Schloßpforte zu, wo /Rudolph ihr ein Bündel mit Wäsche, wozu / 490 er einiges Geld legte, hinausreichen ließ, und /selbst hinter ihr, unter Flüchen und Verwün/schungen, die Thorflügel verschloß. /
Dieser plötzliche Sturz, von der Höhe /eines heiteren und fast ungetrübten Glücks, /in die Tiefe eines unabsehbaren und gänzlich /hülflosen Elends, war mehr als das arme /185Weib ertragen konnte. Unwissend, wohin /sie sich wenden solle, wankte sie, gestützt am /Geländer, den Felsenpfad hinab, um sich we/ 500 nigstens für die einbrechende Nacht ein Un/terkommen zu verschaffen; doch ehe sie noch /den Eingang des Dörfchens, das verstreut /im Thale lag, erreicht hatte, sank sie schon /ihrer Kräfte beraubt, auf den Fußboden nie/der. Sie mogte, allen Erdenleiden entrückt, /wohl eine Stunde so gelegen haben, und /völlige Finsterniß deckte schon die Gegend, /als sie, umringt von mehreren mitleidigen Ein/wohnern des Orts, erwachte. Denn ein Kna/ 510 be, der am Felsenabhang spielte, hatte sie da/selbst bemerkt, und in dem Hause seiner El/tern von einer so sonderbaren und auffallen/den Erscheinung Bericht abgestattet; worauf /diese, die von Littegarden mancherlei Wohl/thaten empfangen hatten, äußerst bestürzt sie /in einer so trostlosen Lage zu wissen, sogleich /aufbrachen, um ihr mit Hülfe, so gut es in /ihren Kräften stand, beizuspringen. Sie er/holte sich durch die Bemühungen dieser Leute / 520 186gar bald, und gewann auch, bei dem Anblick /der Burg, die hinter ihr verschlossen war, /ihre Besinnung wieder; sie weigerte sich aber /das Anerbieten zweier Weiber, sie wieder auf /das Schloß hinauf zu führen, anzunehmen, /und bat nur um die Gefälligkeit, ihr sogleich /einen Führer herbei zu schaffen, um ihre /Wanderung fortzusetzen. Vergebens stellten /ihr die Leute vor, daß sie in ihrem Zustande /keine Reise antreten könne; Littegarde bestand / 530 unter dem Vorwand, daß ihr Leben in Ge/fahr sei, darauf, augenblicklich die Gränzen /des Burggebiets zu verlassen; ja, sie machte, /da sich der Haufen um sie, ohne ihr zu hel/fen, immer vergrößerte, Anstalten, sich mit /Gewalt los zu reißen, und sich allein, trotz /der Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht, /auf den Weg zu begeben; dergestalt daß die /Leute nothgedrungen, aus Furcht, von der /Herrschaft, falls ihr ein Unglück zustieße, da/ 540 für in Anspruch genommen zu werden, in /ihren Wunsch willigten, und ihr ein Fuhr/werk herbeischafften, das mit ihr, auf die /187wiederholt an sie gerichtete Frage, wohin sie /sich denn eigentlich wenden wolle, nach Basel /abfuhr. /
Aber schon vor dem Dorfe änderte sie, /nach einer aufmerksamern Erwägung der Um/stände, ihren Entschluß, und befahl ihrem /Führer umzukehren, und sie nach der, nur / 550 wenige Meilen entfernten Trotenburg zu fah/ren. Denn sie fühlte wohl, daß sie ohne /Beistand, gegen einen solchen Gegner, als /der Graf Jacob der Rothbart war, vor dem /Gericht zu Basel nichts ausrichten würde; /und niemand schien ihr des Vertrauens, zur /Vertheidigung ihrer Ehre aufgerufen zu wer/den, würdiger, als ihr wackerer, ihr in Liebe, /wie sie wohl wußte, immer noch ergebener /Freund, der treffliche Kämmerer Hr. Fried/ 560 rich von Trota. Es mogte ohngefähr Mit/ternacht sein, und die Lichter im Schlosse /schimmerten noch, als sie äußerst ermüdet /von der Reise, mit ihrem Fuhrwerk daselbst /ankam. Sie schickte einen Diener des Hau/ses, der ihr entgegen kam, hinauf, um der /188Familie ihre Ankunft anmelden zu lassen; doch /ehe dieser noch seinen Auftrag vollführt hatte, /traten auch schon Fräulein Bertha und Ku/nigunde, Hrn. Friedrichs Schwestern, vor / 570 die Thür hinaus, die zufällig, in Geschäften /des Haushalts, im untern Vorsaal waren. /Die Freundinnen hoben Littegarden, die ihnen /gar wohl bekannt war, unter freudigen Be/grüßungen vom Wagen, und führten sie, ob/schon nicht ohne einige Beklemmung, zu ihrem /Bruder hinauf, der in Acten, womit ihn ein /Prozeß überschüttete, versenkt, an einem Ti/sche saß. Aber wer beschreibt das Erstaunen /Hrn. Friedrichs, als er auf das Geräusch, / 580 das sich hinter ihm erhob, sein Antlitz wandte, /und Frau Littegarden, bleich und entstellt, ein /wahres Bild der Verzweiflung, vor ihm auf /Knieen nieder sinken sah. „Meine theuerste /Littegarde!“ rief er, indem er aufstand, und /sie vom Fußboden erhob: „was ist euch wi/derfahren?“ Littegarde, nachdem sie sich auf /einen Sessel niedergelassen hatte, erzählte ihm, /was vorgefallen; welch’ eine verruchte An/189zeige der Graf Jacob der Rothbart, um sich / 590 von dem Verdacht, wegen Ermordung des /Herzogs, zu reinigen, vor dem Gericht zu /Basel in Bezug auf sie, vorgebracht habe; /wie die Nachricht davon ihrem alten, eben /an einer Unpäßlichkeit leidenden Vater augen/blicklich den Nervenschlag zugezogen, an wel/chem er auch, wenige Minuten darauf, in /den Armen seiner Söhne verschieden sei; und /wie diese in Entrüstung darüber rasend, ohne /auf das, was sie zu ihrer Vertheidigung vor/ 600 bringen könne, zu hören, sie mit den ent/setzlichsten Mishandlungen überhäuft, und zu/letzt, gleich einer Verbrecherinn, aus dem Hause /gejagt hatten. Sie bat Hrn. Friedrich, sie /unter einer schicklichen Begleitung nach Ba/sel zu befördern, und ihr daselbst einen Rechts/gehülfen anzuweisen, der ihr, bei ihrer Er/scheinung vor dem von dem Kaiser einge/setzten Gericht, mit klugem und besonnenem [emendiert nicht] [emendiert nicht] /Rath, gegen jene schändliche Beschuldigung, / 610 zur Seite stehen könne. Sie versicherte, daß /ihr aus dem Munde eines Parthers oder /190Persers, den sie nie mit Augen gesehen, eine /solche Behauptung nicht hätte unerwarteter /kommen können, als aus dem Munde des /Grafen Jacobs des Rothbarts, indem ihr /derselbe seines schlechten Rufs sowohl, als /seiner äußeren Bildung wegen, immer in der /tiefsten Seele verhaßt gewesen sei, und sie /die Artigkeiten, die er sich, bei den Festgelagen / 620 des vergangenen Sommers, zuweilen die Frei/heit genommen ihr zu sagen, stets mit der /größten Kälte und Verachtung abgewiesen /habe. „Genug, meine theuerste Littegarde!“ /rief Hr. Friedrich, indem er mit edlem Ei/fer ihre Hand nahm, und an seine Lippen /drückte: „verliert kein Wort zur Vertheidi/gung und Rechtfertigung eurer Unschuld! In /meiner Brust spricht eine [emendiert ohne Hinweis] Stimme für euch, /weit lebhafter und überzeugender, als alle / 630 Versicherungen, ja selbst als alle Rechtsgründe /und Beweise, die ihr vielleicht aus der Ver/bindung der Umstände und Begebenheiten, vor /dem Gericht zu Basel für euch aufzubringen /vermögt. Nehmt mich, weil eure ungerechten /191und ungroßmüthigen Brüder euch verlassen, /als euren Freund und Bruder an, und gönnt /mir den Ruhm, euer Anwald in dieser Sache /zu sein; ich will den Glanz eurer Ehre vor /dem Gericht zu Basel und vor dem Urtheil / 640 der ganzen Welt wiederherstellen!“ Damit /führte er Littegarden, deren Thränen vor /Dankbarkeit und Rührung, bei so edelmü/thigen Aeußerungen heftig flossen, zu Frau /Helenen, seiner Mutter hinauf, die sich be/reits in ihr Schlafzimmer zurückgezogen hatte; /er stellte sie dieser würdigen alten Dame, /die ihr mit besonderer Liebe zugethan war, /als eine Gastfreundinn vor, die sich, wegen /eines Zwistes, der in ihrer Familie ausgebro/ 650 chen, entschlossen habe, ihren Aufenthalt wäh/rend einiger Zeit auf seiner Burg zu nehmen; /man räumte ihr noch in derselben Nacht ei/nen ganzen Flügel des weitläufigen Schlosses /ein, erfüllte, aus dem Vorrath der Schwe/stern, die Schränke, die sich darin befanden, /reichlich mit Kleidern und Wäsche für sie, /wies ihr auch, ganz ihrem Range gemäß, /192eine anständige ja prächtige Dienerschaft an: /und schon am dritten Tage befand sich Hr. / 660 Friedrich von Trota, ohne sich über die Art /und Weise, wie er seinen Beweis vor Ge/richt zu führen gedachte, auszulassen, mit ei/nem zahlreichen Gefolge von Reisigen und /Knappen auf der Straße nach Basel. /
Inzwischen war, von den Herren von /Breda, Littegardens Brüdern, ein Schrei/ben, den auf der Burg statt gehabten Vor/fall anbetreffend, bei dem Gericht zu Basel /eingelaufen, worin sie das arme Weib, sei / 670 es nun, daß sie dieselbe wirklich für schuldig /hielten, oder daß sie sonst Gründe haben /mogten, sie zu verderben, ganz und gar, als /eine überwiesene Verbrecherinn, der Verfol/gung der Gesetze Preis gaben. Wenigstens /nannten sie die Verstoßung derselben aus der /Burg, unedelmüthiger und unwahrhaftiger /Weise, eine freiwillige Entweichung; sie be/schrieben, wie sie sogleich, ohne irgend etwas /zur Vertheidigung ihrer Unschuld aufbringen / 680 zu können, auf einige entrüstete Aeußerungen, /193die ihnen entfahren wären, das Schloß ver/lassen habe; und waren, bei der Vergeblich/keit aller Nachforschungen, die sie betheuer/ten, ihrethalb angestellt zu haben, der Mei/nung, daß sie jetzt wahrscheinlich, an der /Seite eines dritten Abentheurers, in der /Welt umirre, um das Maaß ihrer Schande /zu erfüllen. Dabei trugen sie, zur Ehren/rettung der durch sie beleidigten Familie, da/ 690 rauf an, ihren Namen aus der Geschlechts/tafel des Bredaschen Hauses auszustreichen, /und begehrten, unter weitläufigen Rechtsde/ductionen, sie, zur Strafe wegen so unerhör/ter Vergehungen, aller Ansprüche auf die /Verlassenschaft des edlen Vaters, den ihre /Schande ins Grab gestürzt, für verlustig zu /erklären. Nun waren die Richter zu Basel /zwar weit entfernt, diesem Antrag, der ohne/hin gar nicht vor ihr Forum gehörte, zu / 700 willfahren; da inzwischen der Graf Jacob, /beim Empfang dieser Nachricht, von seiner /Theilnahme an dem Schicksal Littegardens /die unzweideutigsten und entscheidendsten Be/ 194weise gab, und heimlich, wie man erfuhr, /Reuter ausschickte, um sie aufzusuchen und /ihr einen Aufenthalt auf seiner Burg anzu/bieten: so setzte das Gericht in die Wahrhaf/tigkeit seiner Aussage keinen Zweifel mehr, und /beschloß die Klage die wegen Ermordung des / 710 Herzogs über ihn schwebte, sofort aufzuheben. /Ja, diese Theilnahme, die er der Unglückli/chen in diesem Augenblick der Noth schenkte, /wirkte selbst höchst vortheilhaft auf die Mei/nung des in seinem Wohlwollen für ihn sehr /wankenden Volks; man entschuldigte jetzt, /was man früherhin schwer gemißbilligt hatte, /die Preisgebung einer ihm in Liebe ergebenen /Frau, vor der Verachtung aller Welt, und /fand, daß ihm unter so außerordentlichen / 720 und ungeheuren Umständen, da es ihm nichts /Geringeres, als Leben und Ehre galt, nichts /übrig geblieben sei, als rücksichtslose Aufdek/kung des Abentheuers, das sich in der Nacht /des heiligen Remigius zugetragen hatte. Dem/nach ward, auf ausdrücklichen Befehl des /Kaisers, der Graf Jacob der Rothbart von /195neuem vor Gericht geladen, um feierlich, /bei offnen Thüren, von dem Verdacht, zur /Ermordung des Herzogs mitgewirkt zu ha/ 730 ben, freigesprochen zu werden. Eben hatte /der Herold, unter den Hallen des weitläufi/gen Gerichtssaals, das Schreiben der Herren /von Breda abgelesen, und das Gericht machte /sich bereit, dem Schluß des Kaisers gemäß, /in Bezug auf den ihm zur Seite stehenden /Angeklagten, zu einer förmlichen Ehrener/klärung zu schreiten: als Hr. Friedrich von /Trota vor die Schranken trat, und sich, auf /das allgemeine Recht jedes unpartheiischen / 740 Zuschauers gestützt, den Brief auf einen Au/genblick zur Durchsicht ausbat. Man wil/ligte, während die Augen alles Volks auf /ihn gerichtet waren, in seinen Wunsch; aber /kaum hatte Hr. Friedrich aus den Händen /des Herolds das Schreiben erhalten, als er /es, nach einem flüchtig hinein geworfenen /Blick, von oben bis unten zerriß, und die /Stücken, sammt seinem Handschuh, die er /zusammen wickelte, mit der Erklärung dem / 750 196 Grafen Jacob dem Rothbart ins Gesicht /warf: daß er ein schändlicher und nieder/trächtiger Verläumder, und er entschlossen /sei, die Schuldlosigkeit Frau Littegardens an /dem Frevel, den er ihr vorgeworfen, auf /Tod und Leben, vor aller Welt, im Gottes/urtheil zu beweisen! — Graf Jacob der Roth/bart, nachdem er, blaß im Gesicht, den Hand/schuh aufgenommen, sagte: „so gewiß als /Gott gerecht, im Urtheil der Waffen, ent/ 760 scheidet, so gewiß werde ich dir die Wahr/haftigkeit dessen, was ich, Frau Littegarden /betreffend, nothgedrungen verlautbart, im ehr/lichen ritterlichen Zweikampf beweisen! Er/stattet, edle Herren,“ sprach er, indem er /sich zu den Richtern wandte, „kaiserlicher /Majestät Bericht von dem Einspruch, welchen /Hr. Friedrich gethan, und ersucht sie, uns /Stunde und Ort zu bestimmen, wo wir uns, /mit dem Schwerdt in der Hand, zur Entschei/ 770 dung dieser Streitsache begegnen können!“ /Dem gemäß schickten die Richter, unter Auf/hebung der Session, eine Deputation, mit /197dem Bericht über diesen [emendiert ohne Hinweis] Vorfall an den Kai/ser ab; und da dieser durch das Auftreten /Hrn. Friedrichs, als Vertheidiger Littegar/dens, nicht wenig in seinem Glauben an die /Unschuld des Grafen irre geworden war: /so rief er, wie es die Ehrengesetze erforderten, /Frau Littegarden, zur Beiwohnung des Zwei/ 780 kampfs, nach Basel, und setzte zur Aufklä/rung des sonderbaren Geheimnisses, das über /dieser Sache schwebte, den Tag der heiligen /Margarethe als die Zeit, und den Schloß/platz zu Basel als den Ort an, wo beide, /Hr. Friedrich von Trota und der Graf Ja/cob der Rothbart, in Gegenwart Frau Litte/gardens einander treffen sollten. /
Eben ging, diesem Schluß gemäß, die Mit/tagssonne des Margarethentages über die / 790 Thürme der Stadt Basel, und eine unermeßli/che Menschenmenge, für welche man Bänke und /Gerüste zusammen gezimmert hatte, war auf /dem Schloßplatz versammelt, als auf den drei/fachen Ruf des vor dem Altan der Kampf/richter stehenden Herolds, beide, von Kopf /198zu Fuß in schimmerndes Erz gerüstet, Hr. /Friedrich und der Graf Jacob, zur Ausfech/tung ihrer Sache, in die Schranken traten. /Fast die ganze Ritterschaft von Schwaben / 800 und der Schweiz war auf der Rampe des /im Hintergrund befindlichen Schlosses gegen/wärtig; und auf dem Balkon desselben saß, /von seinem Hofgesinde umgeben, der Kaiser /selbst, nebst seiner Gemahlin, und den Prin/zen und Prinzessinnen, seinen Söhnen und /Töchtern. Kurz vor Beginn des Kampfes, /während die Richter Licht und Schatten zwi/schen den Kämpfern theilten, traten Frau He/lena und ihre beiden Töchter Bertha und Ku/ 810 nigunde, welche Littegarden nach Basel beglei/tet hatten, noch einmal an die Pforten des /Platzes, und baten die Wächter, die daselbst /standen, um die Erlaubniß, eintreten, und /mit Frau Littegarden, welche, einem uralten /Gebrauch gemäß, auf einem Gerüst inner/halb der Schranken saß, ein Wort sprechen /zu dürfen. Denn obschon der Lebenswandel /dieser Dame die vollkommenste Achtung und /199ein ganz uneingeschränktes Vertrauen in die / 820 Wahrhaftigkeit ihrer Versicherungen zu erfor/dern schien, so stürzte doch der Ring, den /der Graf Jacob aufzuweisen hatte, und noch /mehr der Umstand, daß Littegarde ihre Kam/merzofe, die Einzige, die ihr hätte zum Zeug/niß dienen können, in der Nacht des heiligen /Remigius beurlaubt hatte, ihre Gemüther in /die lebhafteste Besorgniß; sie beschlossen die /Sicherheit des Bewußtseins, das der Ange/klagten inwohnte, im Drang dieses entschei/ 830 denden Augenblicks, noch einmal zu prüfen, /und ihr die Vergeblichkeit, ja Gottesläster/lichkeit des Unternehmens, falls wirklich eine /Schuld ihre Seele drückte, aus einander zu /setzen, sich durch den heiligen Ausspruch der /Waffen, der die Wahrheit unfehlbar ans Licht /bringen würde, davon reinigen zu wollen. /Und in der That hatte Littegarde alle Ursa/che, den Schritt, den Hr. Friedrich jetzt für /sie that, wohl zu überlegen; der Scheiterhau/ 840 fen wartete ihrer sowohl, als ihres Freundes, /des Ritters von Trota, falls Gott sich im /200eisernen Urtheil nicht für ihn, sondern für /den Grafen Jacob den Rothbart, und für /die Wahrheit der Aussage entschied, die der/selbe vor Gericht gegen sie abgeleistet hatte. /Frau Littegarde, als sie Hr. Friedrichs Mut/ter und Schwestern zur Seite eintreten sah, /stand, mit dem ihr eigenen Ausdruck von /Würde, der durch den Schmerz, welcher über / 850 ihr Wesen verbreitet war, noch rührender /ward, von ihrem Sessel auf, und fragte sie, /indem sie ihnen entgegen ging: was sie in /einem so verhängnißvollen Augenblick zu ihr /führe? „Mein liebes Töchterchen,“ sprach /Frau Helena, indem sie dieselbe auf die Seite /führte: „wollt ihr einer Mutter, die keinen /Trost im öden Alter, als den Besitz ihres /Sohnes hat, den Kummer ersparen, ihn /an seinem Grabe beweinen zu müssen; euch, / 860 ehe noch der Zweikampf beginnt, reichlich be/schenkt und ausgestattet, auf einen Wagen /setzen, und eins von unsern Gütern, das jen/seits des Rheins liegt, und euch anständig /und freundlich empfangen wird, von uns zum /201Geschenk annehmen?“ Littegarde, nachdem /sie ihr, mit einer Blässe, die ihr über das /Antlitz flog, einen Augenblick starr ins Ge/sicht gesehen hatte, bog, sobald sie die Be/deutung dieser Worte in ihrem ganzen Um/ 870 fang verstanden hatte, ein Knie vor ihr./ Verehrungswürdigste und vortreffliche Frau! /sprach sie; kommt die Besorgniß, daß Gott /sich, in dieser entscheidenden Stunde, gegen /die Unschuld meiner Brust erklären werde, /aus dem Herzen eures edlen Sohnes? — /„Weshalb?“ fragte Frau Helena. — Weil ich /ihn in diesem Falle beschwöre das Schwerdt, /das keine vertrauensvolle Hand führt, lieber /nicht zu zücken, und die Schranken, unter / 880 welchem schicklichen Vorwand es sei, seinem /Gegner zu räumen: mich aber, ohne dem /Gefühl des Mitleids, von dem ich nichts /annehmen kann, ein unzeitiges Gehör zu /geben, meinem Schicksal, das ich in Gottes /Hand stelle, zu überlassen! — „Nein!“ sagte /Frau Helena verwirrt; „mein Sohn weiß /von nichts! Es würde ihm, der vor Gericht /202sein Wort gegeben hat, eure Sache zu ver/fechten, wenig anstehen, euch jetzt, da die / 890 Stunde der Entscheidung schlägt, einen sol/chen Antrag zu machen. Im festen Glauben /an eure Unschuld steht er, wie ihr seht, be/reits zum Kampf gerüstet, dem Grafen eu/rem Gegner gegenüber; es war ein Vor/schlag, den wir uns, meine Töchter und ich, /in der Bedrängniß des Augenblicks, zur Be/rücksichtigung aller Vortheile und Vermei/dung alles Unglücks ausgedacht haben.“ — /Nun, sagte Frau Littegarde, indem sie die / 900 Hand der alten Dame, unter einem heißen /Kuß, mit ihren Thränen befeuchtete: so laßt /ihn sein Wort lösen! Keine Schuld befleckt /mein Gewissen; und ginge er ohne Helm /und Harnisch in den Kampf, Gott und alle /seine Engel beschirmen ihn! Und damit stand /sie vom Boden auf, und führte Frau Helena /und ihre Töchter auf einige, innerhalb des /Gerüstes befindliche Sitze, die hinter dem, /mit rothen [emendiert in ›rothem‹] [In der zeitgenössischen Literatur war auch die Akkusativform noch möglich.] [emendiert ohne Hinweis in ›rothem‹] Tuch beschlagenen Sessel, auf dem / 910 sie sich selbst niederließ, aufgestellt waren. /
203Hierauf blies der Herold, auf den Wink /des Kaisers, zum Kampf, und beide Ritter, /Schild und Schwerdt in der Hand, gingen /auf einander los. Hr. Friedrich verwundete /gleich auf den ersten Hieb den Grafen; er /verletzte ihn mit der Spitze seines, nicht eben /langen Schwerdtes da, wo zwischen Arm /und Hand die Gelenke der Rüstung in ein/ander griffen; aber der Graf, der, durch die / 920 Empfindung geschreckt, zurücksprang, und /die Wunde untersuchte, fand, daß, obschon /das Blut heftig floß, doch nur die Haut /obenhin geritzt war: dergestalt, daß er auf /das Murren der auf der Rampe befindlichen /Ritter, über die Unschicklichkeit dieser Auf/führung, wieder vordrang, und den Kampf, /mit erneuerten Kräften, einem völlig Gesun/den gleich, wieder fortsetzte. Jetzt wogte /zwischen beiden Kämpfern der Streit, wie / 930 zwei Sturmwinde einander begegnen, wie /zwei Gewitterwolken, ihre Blitze einander /zusendend, sich treffen, und, ohne sich zu ver/mischen, unter dem Gekrach häufiger Don/204ner, gethürmt um einander herumschweben. /Hr. Friedrich stand, Schild und Schwerdt /vorstreckend, auf dem Boden, als ob er darin /Wurzel fassen wollte, da; bis an die Sporen /grub er sich, bis an die Knöchel und Waden, /in dem, [emendiert ohne Hinweis] von seinem Pflaster befreiten, ab/ 940 sichtlich aufgelockerten, Erdreich ein, die tük/kischen Stöße des Grafen, der, klein und /behend, gleichsam von allen Seiten zugleich /angriff, von seiner Brust und seinem Haupt /abwehrend. Schon hatte der Kampf, die /Augenblicke der Ruhe, zu welcher Entath/mung beide Partheien zwang, mitgerechnet, /fast eine Stunde gedauert: als sich von neuem /ein Murren unter den auf dem Gerüst befind/lichen Zuschauern erhob. Es schien, es galt / 950 diesmal nicht den Grafen Jacob, der es an /Eifer, den Kampf zu Ende zu bringen, nicht /fehlen ließ, sondern Hrn. Friedrichs Ein/pfählung auf einem und demselben Fleck, und /seine seltsame, dem Anschein nach fast ein/geschüchterte, wenigstens starrsinnige Enthal/tung alles eignen Angriffs. Hr. Friedrich, ob/205schon sein Verfahren auf guten Gründen be/ruhen mogte, fühlte dennoch zu leise, als /daß er es nicht sogleich gegen die Forderung / 960 derer, die in diesem Augenblick über seine /Ehre entschieden, hätte aufopfern sollen; er /trat mit einem muthigen Schritt aus dem, /sich von Anfang herein gewählten Stand/punkt, und der [emendiert ohne Hinweis] Art natürlicher Verschanzung, /die sich um seinen Fußtritt gebildet hatte, her/vor, über das Haupt seines Gegners, dessen /Kräfte schon zu sinken anfingen, mehrere derbe /und ungeschwächte Streiche, die derselbe je/doch unter geschickten Seitenbewegungen mit / 970 seinem Schild aufzufangen wußte, danieder /schmetternd. Aber schon in den ersten Mo/menten dieses dergestalt veränderten Kampfs, /hatte Hr. Friedrich ein Unglück, das die An/wesenheit höherer, über den Kampf waltender /Mächte nicht eben anzudeuten schien; er stürz/te, den Fußtritt in seinen Sporen verwickelnd, /stolpernd abwärts, und während er, unter der /Last des Helms und des Harnisches, die /seine oberen Theile beschwerten, mit in dem / 980 206Staub vorgestützter Hand, in die Kniee sank, /stieß ihm Graf Jacob der Rothbart, nicht /eben auf die edelmüthigste und ritterlichste /Weise, das Schwerdt in die dadurch bloßge/gebene Seite. Hr. Friedrich sprang, mit ei/nem Laut des augenblicklichen Schmerzes, von /der Erde empor. Er drückte sich zwar den /Helm in die Augen, und machte, das Ant/litz rasch seinem Gegner wieder zuwendend, /Anstalten, den Kampf fortzusetzen: aber wäh/ 990 rend er sich, mit vor Schmerz krummgebeug/tem Leibe auf seinen Degen stützte, und Dun/kelheit seine Augen umfloß: stieß ihm der /Graf seinen Flammberg noch zweimal, dicht /unter dem Herzen, in die Brust; worauf er, /von seiner Rüstung umrasselt, zu Boden /schmetterte, und Schwerdt und Schild neben /sich niederfallen ließ. Der Graf setzte ihm, /nachdem er die Waffen über die Seite ge/schleudert, unter einem dreifachen Tusch der / 1000 Trompeten, den Fuß auf die Brust; und /inzwischen alle Zuschauer, der Kaiser selbst /an der Spitze, unter dumpfen Ausrufungen /207des Schreckens und Mitleidens, von ihren /Sitzen aufstanden: stürzte sich Frau Helena, /im Gefolge ihrer beiden Töchter, über ihren /theuern, sich in Staub und Blut wälzenden /Sohn. „O mein Friedrich!“ rief sie, an /seinem Haupt jammernd niederknieend; wäh/rend Frau Littegarde ohnmächtig und besin/ 1010 nungslos, durch zwei Häscher, von dem Bo/den des Gerüstes, auf welchen sie herab ge/sunken war, aufgehoben und in ein Gefäng/niß getragen ward. „Und o die Verruchte,“ /setzte sie hinzu, „die Verworfene, die, das /Bewußtsein der Schuld im Busen, hierher /zu treten, und den Arm des treusten und /edelmüthigsten Freundes zu bewaffnen wagt, /um ihr ein Gottesurtheil, in einem ungerech/ten Zweikampf zu erstreiten!“ Und damit / 1020 hob sie den geliebten Sohn, inzwischen die /Töchter ihn von seinem Harnisch befreiten, /wehklagend vom Boden auf, und suchte ihm /das Blut, das aus seiner edlen Brust vor/drang, zu stillen. Aber Häscher traten auf /Befehl des Kaisers herbei, die auch ihn, als /208einen dem Gesetz Verfallenen, in Verwahr/sam nahmen; man legte ihn, unter Beihülfe /einiger Aerzte, auf eine Bahre, und trug ihn, /unter der Begleitung einer großen Volks-/ 1030 Menge gleichfalls in ein Gefängniß, wohin /Frau Helena jedoch und ihre Töchter, die /Erlaubniß bekamen, ihm, bis an seinen Tod, /an den niemand zweifelte, folgen zu dürfen. /
Es zeigte sich aber gar bald, daß Hr. Frie/drichs Wunden, so lebensgefährliche und zarte /Theile sie auch berührten, durch eine beson/dere Fügung des Himmels nicht tödtlich wa/ren; vielmehr konnten die Aerzte, die man /ihm zugeordnet hatte, schon wenige Tage da/ 1040 rauf die bestimmte Versicherung an die Fa/milie geben, daß er am Leben erhalten wer/den würde, ja, daß er, bei der Stärke sei/ner Natur, binnen wenigen Wochen, ohne /irgend eine Verstümmlung an seinem Körper /zu erleiden, wieder hergestellt sein würde. /Sobald ihm seine Besinnung, deren ihn der /Schmerz während langer Zeit beraubte, wie/derkehrte, war seine an die Mutter gerichtete /209Frage unaufhörlich: was Frau Littegarde / 1050 mache? Er konnte sich der Thränen nicht /enthalten, wenn er sich dieselbe in der Oede /des Gefängnisses, der entsetzlichsten Verzweif/lung zum Raube hingegeben dachte, und for/derte die Schwestern, indem er ihnen liebko/send das Kinn streichelte, auf, sie zu besu/chen und sie zu trösten. Frau Helena, über /diese Aeußerung betroffen, bat ihn, diese /Schändliche und Niederträchtige zu vergessen; /sie meinte, daß das Verbrechen, dessen der / 1060 Graf Jacob vor Gericht Erwähnung gethan, /und das nun durch den Ausgang des Zwei/kampfs ans Tageslicht gekommen, verziehen /werden könne, nicht aber die Schaamlosig/keit und Frechheit, mit dem Bewußtsein die/ser Schuld, ohne Rücksicht auf den edelsten /Freund, den sie dadurch ins Verderben stürze, /das geheiligte Urtheil Gottes, gleich einer Un/schuldigen, für sich aufzurufen. „Ach, meine /Mutter,“ sprach der Kämmerer, „wo ist der / 1070 Sterbliche, und wäre die Weisheit aller Zei/ten sein, der es wagen darf, den geheimniß/ 210vollen Spruch, den Gott in diesem Zwei/kampf gethan hat, auszulegen? „Wie?“ rief /Frau Helena: „blieb der Sinn dieses göttli/chen Spruchs dir dunkel? Hast du nicht, auf /eine nur leider zu bestimmte und unzweideu/tige Weise, dem Schwerdt deines Gegners im /Kampf unterlegen?“ — Sei es! versetzte Hr. /Friedrich: auf einen Augenblick unterlag ich / 1080 ihm. Aber ward ich durch den Grafen über/wunden? Leb’ ich nicht? Blühe ich nicht, wie /unter dem Hauch des Himmels, wunderbar /wieder empor, vielleicht in wenig Tagen schon /mit der Kraft doppelt und dreifach ausgerü/stet, den Kampf, in dem ich durch einen nich/tigen Zufall gestört ward, von neuem wieder /aufzunehmen? — „Thörichter Mensch!“ rief /die Mutter. „Und weißt du nicht, daß ein /Gesetz besteht, nach welchem ein Kampf, der / 1090 einmal nach dem Ausspruch der Kampfrich/ter abgeschlossen ist, nicht wieder zur Aus/fechtung derselben Sache vor den Schranken /des göttlichen Gerichts aufgenommen werden /darf?“ — Gleichviel! versetzte der Kämmerer /211unwillig. Was kümmern mich diese willkürli/chen Gesetze der Menschen? Kann ein Kampf, /der nicht bis an den Tod eines der beiden /Kämpfer fortgeführt worden ist, nach jeder / vernünftigen [emendiert ohne Hinweis] Schätzung der Verhältnisse für / 1100 abgeschlossen gehalten werden? und dürfte ich /nicht, falls mir ihn wieder aufzunehmen ge/stattet wäre, hoffen, den Unfall, der mich /betroffen, wieder herzustellen, und mir mit /dem Schwerdt einen ganz andern Spruch /Gottes zu erkämpfen, als den, der jetzt be/schränkter und kurzsichtiger Weise dafür an/genommen wird? „Gleichwohl,“ entgeg/nete die Mutter bedenklich, „sind diese Ge/setze, um welche du dich nicht zu beküm/ 1110 mern vorgiebst, die waltenden und herrschen/den; sie üben, verständig oder nicht, die /Kraft göttlicher Satzungen aus, und über/liefern dich und sie, wie ein verabscheuungs/würdiges Frevelpaar, der ganzen Strenge /der peinlichen Gerichtsbarkeit.“ — Ach, rief /Hr. Friedrich; das eben ist es, was mich /Jammervollen in Verzweiflung stürzt! Der / 212Stab ist, einer Ueberwiesenen gleich, über sie /gebrochen; und ich, der ihre Tugend und Un/ 1120 schuld vor der Welt erweisen wollte, bin /es, der dies Elend über sie gebracht: ein heil/loser Fehltritt in die Riemen meiner Spo/ren, durch den Gott mich vielleicht, ganz /unabhängig von ihrer Sache, der Sünden /meiner eignen Brust wegen, strafen wollte, /giebt ihre blühenden Glieder der Flamme und /ihr Andenken ewiger Schande Preis! — — /Bei diesen Worten stieg ihm die Thräne hei/ßen männlichen Schmerzes ins Auge; er / 1130 kehrte sich, indem er sein Tuch ergriff, der /Wand zu, und Frau Helena und ihre Töch/ter knieten in stiller Rührung an seinem /Bett nieder, und mischten, indem sie seine /Hand küßten, ihre Thränen mit den seini/gen. Inzwischen war der Thurmwächter, mit /Speisen für ihn und die Seinigen, in sein /Zimmer getreten, und da Hr. Friedrich ihn /fragte, wie sich Frau Littegarde befinde: ver/nahm er in abgerissenen und nachlässigen Wor/ 1140 ten desselben, daß sie auf einem Bündel Stroh /213liege, und noch seit dem Tage, da sie einge/setzt worden, kein Wort von sich gegeben /habe. Hr. Friedrich ward durch diese Nach/richt in die äußerste Besorgniß gestürzt; er /trug ihm auf, der Dame, zu ihrer Beruhi/gung zu sagen, daß er, durch eine sonderbare /Schickung des Himmels, in seiner völligen /Besserung begriffen sei, und bat sich von ihr /die Erlaubniß aus, sie nach Wiederherstellung / 1150 seiner Gesundheit, mit Genehmigung des /Schloßvoigts, einmal in ihrem Gefängniß be/suchen zu dürfen. Doch die Antwort, die der /Thurmwächter von ihr, nach mehrmaligem /Rütteln derselben am Arm, da sie wie eine /Wahnsinnige, ohne zu hören und zu sehen, /auf dem Stroh lag, empfangen zu haben, vor/gab, war: nein, sie wolle, so lange sie auf Er/den sei, keinen Menschen mehr sehen; — ja, /man erfuhr, daß sie noch an demselben Tage / 1160 dem Schloßvoigt, in einer eigenhändigen Zu/schrift, befohlen hatte, niemanden, wer es /auch sei, den Kämmerer von Trota aber am /allerwenigsten, zu ihr zu lassen; dergestalt, /214daß Hr. Friedrich, von der heftigsten Be/kümmerniß über ihren Zustand getrieben, an /einem Tage, an welchem er seine Kraft be/sonders lebhaft wiederkehren fühlte, mit Er/laubniß des Schloßvoigts aufbrach, und sich, /ihrer Verzeihung gewiß, ohne bei ihr ange/ 1170 meldet worden zu sein, in Begleitung seiner /Mutter und beiden Schwestern, nach ihrem /Zimmer verfügte. /
Aber wer beschreibt das
Entsetzen der un/glücklichen Littegarde, als sie
sich, bei dem /an der Thür entstehenden
Geräusch, mit halb /offner Brust und
aufgelöstem Haar, von /dem Stroh, das ihr
untergeschüttet war, /erhob und statt des
Thurmwächters, den sie /erwartete, den
Kämmerer, ihren edlen und / 1180 vortrefflichen
Freund, mit manchen Spuren /der ausgestandenen
Leiden, eine
wehmüthige
[liest ›wehmütige‹]
[liest ›wehmütige‹]
/und rührende Erscheinung, an Berthas und /Kunigundens Arm bei sich eintreten sah.
/„Hinweg!“ rief
sie, indem sie sich mit dem /Ausdruck der
Verzweiflung rückwärts auf /die Decken ihres
Lagers zurückwarf, und die /215Hände vor ihr Antlitz drückte: „wenn dir /ein Funken von Mitleid im Busen glimmt, /hinweg!“ — Wie,
meine theuerste Littegarde? / 1190 versetzte Herr
Friedrich. Er stellte sich ihr, /gestützt auf seine Mutter, zur Seite und /neigte sich in unaussprechlicher Rührung /über sie, um ihre Hand zu ergreifen. „Hin/weg!“ rief sie, mehrere Schritt
weit auf /Knien vor ihm auf dem Stroh
zurückbebend: /„wenn ich nicht wahnsinnig
werden soll, so /berühre mich nicht! Du bist mir ein Gräuel; /loderndes Feuer ist mir minder schrecklich, /als du!“ — Ich dir ein Gräuel?
versetzte / 1200 Herr Friedrich betroffen. Womit,
meine /edelmüthige Littegarde, hat dein
Friedrich /diesen Empfang verdient? — Bei diesen Worten /setzte
ihm Kunigunde, auf den Wink /der Mutter, einen
Stuhl hin, und lud /ihn, schwach wie er war,
ein, sich darauf zu /setzen. „O Jesus!“ rief jene, indem sie /sich, in der entsetzlichsten Angst, das
Antlitz /ganz auf den Boden gestreckt, vor ihm
nie/derwarf: „räume das Zimmer, mein
Geliebter, / 1210 216und verlaß
mich! Ich umfasse in heißer In/brunst deine Kniee, ich wasche deine Füße mit
/meinen Thränen, ich flehe dich, wie ein
Wurm /vor dir im Staube gekrümmt, um die
einzige /Erbarmung an: räume, mein Herr und
Ge/bieter, räume mir das Zimmer, räume es /augenblicklich und verlaß mich!“ —
Hr
[emendiert in ›Hr.‹]
[emendiert ohne Hinweis in ›Hr.‹]
Frie/drich stand durch und durch erschüttert vor
/ihr da. Ist
dir mein Anblick so unerfreulich /Littegarde?
fragte er, indem er ernst auf sie / 1220 niederschaute. „Entsetzlich,
unerträglich, ver/nichtend!“ antwortete
Littegarde, ihr Gesicht /mit verzweiflungsvoll
vorgestützten Händen, /ganz zwischen die
Sohlen seiner Füße ber/gend. „Die Hölle, mit allen Schauern und /Schrecknissen, ist süßer mir und anzuschauen /lieblicher, als der Frühling deines mir in /Huld und Liebe zugekehrten Angesichts!“ — /Gott im Himmel! rief der
Kämmerer; was /soll ich von dieser
Zerknirschung deiner Seele / 1230 denken? Sprach das
Gottesurtheil, Unglück/liche, die Wahrheit, und
bist du des Ver/brechens, dessen dich der Graf
vor Gericht ge/217ziehen hat, bist du
dessen schuldig? —
„Schul/dig, überwiesen, verworfen, in
Zeitlichkeit /und Ewigkeit verdammt und
verurtheilt!“ /rief Littegarde, indem sie sich
den Busen, wie /eine Rasende zerschlug: „Gott
ist
wahrhaf
tig
[liest ›wahrhaftig‹]
[liest ›wahrhaftig‹]
und untrüglich;
geh, meine Sinne /reißen, und meine Kraft
bricht. Laß mich / 1240 mit meinem Jammer und meiner Verzweif/lung
allein!“ — Bei diesen Worten fiel Herr
/Friedrich in Ohnmacht; und während
Litte/garde sich mit einem Schleier
das Haupt ver/hüllte, und sich, wie in
gänzlicher Verab/schiedung von der Welt, auf
ihr Lager zu/rücklegte, stürzten Bertha und
Kunigunde /jammernd über ihren entseelten
Bruder, um /ihn wieder ins Leben zurück zu
rufen.
„O /sei verflucht!“ rief
Frau Helena, da der / 1250 Kämmerer wieder die Augen
aufschlug: „ver/flucht zu ewiger Reue diesseits
des Grabes, /und jenseits desselben zu ewiger
Verdammniß: /nicht wegen der Schuld, die du
jetzt einge/stehst, sondern wegen der
Unbarmherzigkeit /und Unmenschlichkeit, sie
eher nicht, als bis /218du
meinen schuldlosen Sohn mit dir ins /Verderben
herabgerissen, einzugestehn! Ich /Thörinn!“ fuhr sie fort, indem sie sich
ver/achtungsvoll von ihr abwandte,
„hätte ich doch / 1260 einem Wort, das mir, noch
kurz vor Eröff/nung des Gottesgerichts, der
Prior des hie/sigen Augustinerklosters
anvertraut, bei dem /der Graf, in frommer
Vorbereitung zu der /entscheidenden Stunde,
die ihm bevorstand, /
zur
[emendiert ohne Hinweis]
Beichte gewesen, Glauben geschenkt! /Ihm hat er, auf die heilige Hostie, die
/Wahrhaftigkeit der Angabe, die er vor
Ge/richt in Bezug auf die Elende, niedergelegt,
/beschworen; die Gartenpforte hat er ihm
be/ 1270 zeichnet, an welcher sie ihn, der
Verabre/dung gemäß, beim Einbruch
der Nacht er/wartet und empfangen, das Zimmer
ihm, /ein Seitengemach des unbewohnten
Schloß/thurms, beschrieben, worin
sie ihn, von /den Wächtern unbemerkt,
eingeführt, das Lager, /von Polstern bequem
und prächtig unter ei/nem Thronhimmel aufgestapelt,
worauf sie /sich, in schamloser Schwelgerei,
heimlich mit /219ihm
gebettet! Ein Eidschwur in einer
solchen / 1280 Stunde gethan, enthält keine Lüge:
und /hätte ich, Verblendete,
meinem
[emendiert ohne Hinweis]
Sohn, auch /nur noch in dem Augenblick
des ausbrechen/den Zweikampfs, eine
Anzeige davon gemacht: /so würde ich ihm die
Augen geöffnet haben, /und er vor dem Abgrund
an welchem er /stand, zurückgebebt
sein.
— „Aber komm!“ /rief Frau Helena, indem sie Hrn. Friedrich
/sanft umschloß, und ihm einen Kuß auf die
/Stirne drückte: „Entrüstung, die sie der
Worte / 1290 würdigt, ehrt sie; unsern Rücken mag
sie er/schaun, und vernichtet durch die Vorwürfe,
/womit wir sie verschonen, verzweifeln!“ —
/Der Elende!
versetzte Littegarde, indem sie /sich gereizt
durch diese Worte emporrichtete. /Sie stützte ihr Haupt schmerzvoll auf ihre /Kniee, und indem sie heiße Thränen auf ihr
/Tuch niederweinte, sprach sie: Ich
erinnere /mich, daß meine Brüder und ich, drei
Tage /vor jener Nacht des heiligen Remigius,
auf / 1300 seinem Schlosse waren; er hatte, wie er
oft /zu thun pflegte, ein Fest mir zu Ehren
ver/220anstaltet, und
mein Vater, der den Reiz /meiner aufblühenden
Jugend gern gefeiert /sah, mich bewogen, die
Einladung, in Be/gleitung meiner Brüder,
anzunehmen. Spät, /nach Beendigung des Tanzes, da ich mein /Schlafzimmer besteige, finde ich einen Zettel /auf meinem Tisch liegen, der, von
unbekann/ter Hand geschrieben und
ohne Namensun/ 1310 terschrift, eine förmliche
Liebeserklärung ent/hielt. Es traf sich, daß meine beiden Brü/der grade wegen Verabredung unserer Ab/reise, die auf den kommenden Tag festgesetzt
/war, in dem Zimmer gegenwärtig waren; /und da ich keine Art des Geheimnisses vor /ihnen zu haben gewohnt war, so zeigte ich /ihnen, von sprachlosem Erstaunen ergriffen,
/den sonderbaren Fund, den ich so eben
ge/macht hatte. Diese, welche sogleich des Gra/ 1320 fen Hand erkannten,
schäumten vor Wuth, /und der ältere war
willens, sich augenblicks /mit dem Papier in
sein Gemach zu verfügen; /doch der jüngere
stellte ihm vor, wie bedenk/lich dieser
Schritt sei, da der Graf die Klug/221heit gehabt, den Zettel nicht zu
unterschrei/ben; worauf beide in der
tiefsten Entwürdi/gung über eine so
beleidigende Aufführung, /sich noch in
derselben Nacht mit mir in den /Wagen setzten,
und mit dem Entschluß, seine / 1330 Burg nie wieder
mit ihrer Gegenwart zu /beehren, auf das
Schloß ihres Vaters zu/rück kehrten. — Dies ist die einzige Gemein/schaft, setzte sie hinzu, die ich jemals
mit /diesem Nichtswürdigen und
Niederträchtigen /gehabt! — „Wie?“ sagte der Kämmerer, /indem er ihr sein thränenvolles Gesicht zu/kehrte:
„diese Worte waren Musik meinem /Ohr! — Wiederhole sie mir!“ sprach er nach /einer Pause, indem er sich auf Knieen vor / 1340 ihr niederließ, und seine Hände faltete:
„Hast /du mich, um jenes Elenden willen, nicht
ver/rathen, und bist du rein von der
Schuld, /deren er dich vor Gericht
geziehen?“
Lieber! /flüsterte
Littegarde, indem sie seine Hand an /ihre
Lippen drückte — „Bist dus?“ rief der
/Kämmerer: „bist dus?“ —
Wie die Brust /eines
neugebohrnen Kindes, wie das Gewis/222sen eines aus der Beichte kommenden Men/schen, wie die Leiche einer, in der
Sakristei, / 1350 unter der Einkleidung,
verschiedenen Nonne! /— „O Gott, der Allmächtige!“ rief Hr. /Friedrich, ihre Kniee umfassend: „habe /Dank! Deine Worte
geben mir das Leben /wieder; der Tod schreckt
mich nicht mehr, /und die Ewigkeit, so eben
noch wie ein /Meer unabsehbaren Elends vor mir
ausge/breitet, geht wieder, wie ein
Reich voll tau/send glänziger Sonnen, vor mir
auf!“ — /Du
Unglücklicher, sagte Littegarde, indem / 1360 sie
sich zurück zog: wie kannst du dem, was /dir
mein Mund sagt, Glauben schenken? — /„Warum nicht?“ fragte Hr. Friedrich glü/hend. — Wahnsinniger! Rasender! rief Lit/tegarde; hat das
geheiligte Urtheil Gottes /nicht gegen mich
entschieden? Hast du dem /Grafen nicht in jenem verhängnißvollen
Zwei/kampf unterlegen, und er nicht
die Wahrhaftig/keit dessen, was er vor
Gericht gegen mich an/gebracht, ausgekämpft? — „O meine theu/ 1370 erste Littegarde,“
rief der Kämmerer: „be/223wahre deine
Sinne vor Verzweiflung! thürme /das Gefühl,
das in deiner Brust lebt, wie /einen Felsen
empor: halte dich daran und /wanke nicht, und
wenn Erd’ und Him/mel unter dir und über dir zu
Grunde gin/gen! Laß uns, von
zwei Gedanken, die die /Sinne verwirren, den
verständlicheren und /begreiflicheren denken,
und ehe du dich schul/dig glaubst, lieber glauben,
daß ich in dem / 1380 Zweikampf, den ich für dich
gefochten, siegte! /— Gott, Herr meines Lebens,“ setzte er /in
diesem Augenblick hinzu, indem er seine /Hände
vor sein Antlitz legte, „bewahre meine /Seele
selbst vor Verwirrung! Ich meine, /so wahr ich seelig werden will, vom Schwerdt
/meines Gegners nicht überwunden worden zu
/sein, da ich schon unter den Staub seines
/Fußtritts hingeworfen, wieder ins Dasein
/erstanden bin. Wo liegt die Verpflichtung der / 1390 höchsten
göttlichen Weisheit, die Wahrheit /im
Augenblick der glaubensvollen Anrufung /selbst, anzuzeigen und auszusprechen? O Lit/tegarde,“ beschloß er, indem er ihre Hand
/224zwischen die
seinigen drückte: „im Leben laß /uns auf den
Tod, und im Tode auf die Ewig/keit hinaus sehen,
und des festen, unerschüt/terlichen
Glaubens sein: deine Unschuld wird, /und wird
durch den Zweikampf, den ich für /dich
gefochten, zum heitern, hellen Licht der / 1400 Sonne gebracht werden!“ — Bei diesen
/Worten trat der Schloßvoigt ein; und da
/er Frau Helena, welche weinend an einen
/Tisch saß, erinnerte, daß so viele
Gemüthsbe/wegungen ihrem Sohne
schädlich werden könn/ten: so kehrte Herr Friedrich,
auf das Zu/reden der Seinigen, nicht ohne das
Bewußt/sein, einigen Trost gegeben
und empfangen zu /haben, wieder in sein
Gefängniß zurück. /
Inzwischen war, vor dem zu Basel von / 1410 dem Kaiser eingesetzten Tribunal, gegen Herrn /Friedrich von Trota sowohl, als seine Freun/din, Frau Littegarde von Auerstein, die Klage /wegen sündhaft angerufenen göttlichen Schieds/urtheils eingeleitet, und beide, dem bestehen/den Gesetz gemäß, verurtheilt worden, auf /dem Platz des Zweikampfs selbst, den schmäh/ 225lichen Tod der Flammen zu erleiden. Man /schickte eine Deputation von Räthen ab, um /es den Gefangenen anzukündigen, und das / 1420 Urtheil würde auch, gleich nach Wiederher/stellung des Kämmerers an ihnen vollstreckt /worden sein, wenn es des Kaisers geheime /Absicht nicht gewesen wäre, den Grafen Ja/cob den Rothbart, gegen den er eine Art /von Mißtrauen nicht unterdrücken konnte, /dabei gegenwärtig zu sehen. Aber dieser lag, /auf eine in der That sonderbare und merk/würdige Weise, an der kleinen, dem Anschein /nach unbedeutenden Wunde, die er, zu An/ 1430 fang des Zweikampfs von Herrn Friedrich /erhalten hatte, noch immer krank; ein äu/ßerst verderbter Zustand seiner Säfte verhin/derte, von Tage zu Tage, und von Woche /zu Woche, die Heilung derselben, und die /ganze Kunst der Aerzte, [emendiert ohne Hinweis] die man nach und /nach aus Schwaben und der Schweiz her/beirief, vermogte nicht, sie zu schließen. /Ja, ein ätzender der ganzen damaligen Heil/kunst unbekannter Eiter, fraß auf eine krebs/ 1440 226artige Weise, bis auf den Knochen herab /im ganzen System seiner Hand um sich, der/gestalt, daß man zum Entsetzen aller seiner /Freunde genöthigt gewesen war, ihm die ganze /schadhafte Hand, und späterhin, da auch hier/durch dem Eiterfraß kein Ziel gesetzt ward, /den Arm selbst abzunehmen. Aber auch dies, /als eine Radicalcur gepriesene Heilmittel ver/größerte nur, wie man heut zu Tage leicht /eingesehen haben würde, statt ihm abzuhel/ 1450 fen, das Uebel; und die Aerzte, da sich sein /ganzer Körper nach und nach in Eiterung /und Fäulniß auflöste, erklärten, daß keine /Rettung für ihn sei, und er noch, vor Ab/schluß der laufenden Woche, sterben müsse. /Vergebens forderte ihn der Prior des Augusti/nerklosters, der in dieser unerwarteten Wen/dung der Dinge die furchtbare Hand Gottes /zu erblicken glaubte, auf, im Bezug auf den /zwischen ihm und der Herzogin Regentin be/ 1460 stehenden Streit, die Wahrheit einzugestehen; /der Graf nahm, durch und durch erschüttert, /noch einmal das heilige Sakrament auf die /227 Wahrhaftigkeit seiner Aussage, und gab, un/ter allen Zeichen der entsetzlichsten Angst, falls /er Frau Littegarden verläumderischer Weise /angeklagt hätte, seine Seele der ewigen Ver/dammniß Preis. Nun hatte man, trotz der /Sittenlosigkeit seines Lebenswandels, doppelte /Gründe, an die innerliche Redlichkeit dieser / 1470 Versicherung zu glauben: einmal, weil der /Kranke in der That von einer gewissen Fröm/migkeit war, die einen falschen Eidschwur, /in solchem Augenblick gethan, nicht zu ge/statten schien, und dann, weil sich aus ei/nem Verhör, das über den Thurmwächter /des Schlosses derer von Breda angestellt wor/den war, welchen er, behufs eines heimli/chen Eintritts in die Burg, bestochen zu ha/ben vorgegeben hatte, bestimmt ergab, daß / 1480 dieser Umstand gegründet, und der Graf wirk/lich in der Nacht des heiligen Remigius, im /Innern des Bredaschen Schlosses gewesen /war. Demnach blieb dem Prior fast nichts /übrig, als an eine Täuschung des Grafen /selbst, durch eine dritte ihm unbekannte Per/228son zu glauben; und noch hatte der Unglück/liche, der, bei der Nachricht von der wun/derbaren Wiederherstellung des Kämmerers, /selbst auf diesen schrecklichen Gedanken gerieth, / 1490 das Ende seines Lebens nicht erreicht, als /sich dieser Glaube schon zu seiner Verzweif/lung vollkommen bestätigte. Man muß näm/lich wissen, daß der Graf schon lange, ehe /seine Begierde sich auf Frau Littegarden stellte, /mit Rosalien, ihrer Kammerzofe, auf einen /nichtswürdigen Fuß lebte; fast bei jedem Be/such, den ihre Herrschaft auf seinem Schlosse /abstattete, pflegte er dies Mädchen, welches /ein leichtfertiges und sittenloses Geschöpf war, / 1500 zur Nachtzeit auf sein Zimmer zu ziehen. Da /nun Littegarde, bei dem letzten Aufenthalt, /den sie mit ihren Brüdern auf seiner Burg /nahm, jenen zärtlichen Brief, worin er ihr /seine Leidenschaft erklärte, von ihm empfing: /so erweckte dies die Empfindlichkeit und Ei/fersucht dieses seit mehreren Monden schon /von ihm vernachlässigten Mädchens; sie ließ, /bei der bald darauf erfolgten Abreise Litte/229gardens, welche sie begleiten mußte, im Na/ 1510 men derselben einen Zettel an den Grafen /zurück, worin sie ihm meldete, daß die Ent/rüstung ihrer Brüder über den Schritt, den /er gethan, ihr zwar keine unmittelbare Zu/sammenkunft gestattete: ihn aber einlud, sie /zu diesem Zweck, in der Nacht des heiligen /Remigius, in den Gemächern ihrer väterli/chen Burg zu besuchen. Jener, voll Freude /über das Glück seiner Unternehmung, fer/tigte sogleich einen zweiten Brief an Litte/ 1520 garden ab, worin er ihr seine bestimmte An/kunft in der besagten Nacht meldete, und /sie nur bat, ihm, zur Vermeidung aller Ir/rung, einen treuen Führer, der ihn nach /ihren Zimmern geleiten könne, entgegen zu /schicken; und da die Zofe, in jeder Art der /Ränke geübt, auf eine solche Anzeige rechnete, /so glückte es ihr, dies Schreiben aufzufan/gen, und ihm in einer zweiten falschen Ant/wort zu sagen, daß sie ihn selbst an der Gar/ 1530 tenpforte erwarten würde. Darauf, am Abend /vor der verabredeten Nacht, bat sie sich unter /230dem Vorwand, daß ihre Schwester krank /sei, und daß sie dieselbe besuchen wolle, von /Littegarden einen Urlaub aufs Land aus; sie /verließ auch, da sie denselben erhielt, wirklich, /spät am Nachmittag, mit einem Bündel Wä/sche den sie unter dem Arm trug, das Schloß, /und begab sich, vor aller Augen nach der /Gegend, wo jene Frau wohnte, auf den / 1540 Weg. Statt aber diese Reise zu vollenden, /fand sie sich bei Einbruch der Nacht, unter /dem Vorgeben, daß ein Gewitter heranziehe, /wieder auf der Burg ein, und mittelte sich, /um ihre Herrschaft, wie sie sagte, nicht zu /stören, indem es ihre Absicht sei in der Frühe /des kommenden Morgens ihre Wanderung an/zutreten, ein Nachtlager in einem der leer/stehenden Zimmer des verödeten und wenig /besuchten Schloßthurms aus. Der Graf, der / 1550 sich bei dem Thurmwächter durch Geld den /Eingang in die Burg zu verschaffen wußte, /und in der Stunde der Mitternacht, der /Verabredung gemäß, von einer verschleierten /Person an der Gartenpforte empfangen ward, /231ahndete, wie man leicht begreift, nichts von /dem ihm gespielten Betrug; das Mädchen /drückte ihm flüchtig einen Kuß auf den Mund, /und führte ihn, über mehrere Treppen und /Gänge des verödeten Seitenflügels, in eines / 1560 der prächtigsten Gemächer des Schlosses selbst, /dessen Fenster vorher sorgsam von ihr ver/schlossen worden waren. Hier, nachdem sie /seine Hand haltend, auf geheimnißvolle Weise /an den Thüren umhergehorcht, und ihm, mit /flüsternder Stimme, unter dem Vorgeben, /daß das Schlafzimmer des Bruders ganz in /der Nähe sei, Schweigen geboten hatte, ließ /sie sich mit ihm auf dem zur Seite stehenden /Ruhebette nieder; der Graf, durch ihre Ge/ 1570 stalt und Bildung getäuscht, schwamm im /Taumel des Vergnügens, in [emendiert ohne Hinweis] seinem Alter /noch eine solche Eroberung gemacht zu haben; /und als sie ihn beim ersten Dämmerlicht /des Morgens entließ, und ihm zum Andenken /an die verflossene Nacht einen Ring, den Litte/garde von ihrem Gemahl empfangen und den /sie ihr am Abend zuvor zu diesem Zweck ent/232wendet hatte, an den Finger steckte, versprach /er ihr, sobald er zu Hause angelangt sein / 1580 würde, zum Gegengeschenk einen anderen, der /ihm am Hochzeitstage von seiner verstorbe/nen Gemahlin verehrt worden war. Drei /Tage darauf hielt er auch Wort, und schickte /diesen Ring, den Rosalie wieder geschickt ge/nug war aufzufangen, heimlich auf die Burg; /ließ aber, wahrscheinlich aus Furcht, daß dies /Abentheuer ihn zu weit führen könne, wei/ter nichts von sich hören, und wich, unter /mancherlei Vorwänden, einer zweiten Zusam/ 1590 menkunft aus. Späterhin war das Mädchen /eines Diebstahls wegen, wovon der Verdacht /mit ziemlicher Gewißheit auf ihr ruhte, ver/abschiedet und in das Haus ihrer Eltern, /welche am Rhein wohnten, zurückgeschickt /worden, und da, nach Verlauf von neun /Monaten, die Folgen ihres ausschweifenden /Lebens sichtbar wurden, und die Mutter sie /mit großer Strenge verhörte, gab sie den /Grafen Jacob den Rothbart, unter Entdek/ 1600 kung der ganzen geheimen Geschichte, die sie /233mit ihm gespielt hatte, als den Vater ihres /Kindes an. Glücklicherweise hatte sie den /Ring, der ihr von dem Grafen übersendet /worden war, aus Furcht, für eine Diebinn /gehalten zu werden, nur sehr schüchtern zum /Verkauf ausbieten können, auch in der That, /seines großen Werths wegen, niemand gefun/den, der ihn zu erstehen Lust gezeigt hätte: /dergestalt, daß die Wahrhaftigkeit ihrer Aus/ 1610 sage nicht in Zweifel gezogen werden konnte, /und die Eltern, auf dies augenscheinliche /Zeugniß gestützt, klagbar, wegen Unterhal/tung des Kindes, bei den Gerichten gegen /den Grafen Jacob einkamen. Die Gerichte, /welche von dem sonderbaren Rechtsstreit, der /in Basel anhängig gemacht worden war, /schon gehört hatten, beeilten sich, diese Ent/deckung, die für den Ausgang desselben von /der größten Wichtigkeit war, zur Kenntniß / 1620 des Tribunals zu bringen; und da eben ein /Rathsherr in öffentlichen Geschäften nach /dieser Stadt abging, so gaben sie ihm, zur /Auflösung des fürchterlichen Räthsels, das /234ganz Schwaben und die Schweiz beschäftigte, /einen Brief mit der gerichtlichen Aussage des /Mädchens, dem sie den Ring beifügten, für /den Grafen Jacob den Rothbart mit. /
Es war eben an dem zur Hinrichtung /Hrn. Friedrichs und Littegardens bestimmten / 1630 Tage, welche der Kaiser, unbekannt mit den /Zweifeln, die sich in der Brust des Grafen /selbst erhoben hatten, nicht mehr aufschieben /zu dürfen glaubte, als der Rathsherr zu dem /Kranken, der sich in jammervoller Verzweif/lung auf seinem Lager wälzte, mit diesem /Schreiben ins Zimmer trat. „Es ist ge/nug!“ rief dieser, da er den Brief überle/sen, und den Ring empfangen hatte: „ich /bin das Licht der Sonne zu schauen, müde! / 1640 Verschafft mir,“ wandte er sich zum Prior, /„eine Bahre, und führt mich Elenden, des/sen Kraft zu Staub versinkt, auf den Richt/platz hinaus: ich will nicht, ohne eine That /der Gerechtigkeit verübt zu haben, sterben!“ /Der Prior, durch diesen Vorfall tief erschüt/tert, ließ ihn sogleich, wie er begehrte, durch /235vier Knechte auf ein Traggestell heben; und /zugleich mit einer unermeßlichen Menschen/menge, welche das Glockengeläut um den / 1650 Scheiterhaufen, auf welchen Hr. Friedrich /und Littegarde bereits festgebunden waren, /versammelte, kam er, mit dem Unglücklichen, /der ein Kruzifix in der Hand hielt, daselbst /an, „Halt!“ rief der Prior, indem er die /Bahre, dem Altan des Kaisers gegenüber, /niedersetzen ließ: „bevor ihr das Feuer an /jenen Scheiterhaufen legt, vernehmt ein Wort, /das euch der Mund dieses Sünders zu er/öffnen hat!“ — Wie? rief der Kaiser, in/ 1660 dem er sich leichenblaß von seinem Sitz er/hob, hat das geheiligte Urtheil Gottes nicht /für die Gerechtigkeit seiner Sache entschie/den, und ist es, nach dem was vorgefallen, /auch nur zu denken erlaubt, daß Littegarde /an dem Frevel, dessen er sie geziehen, un/schuldig sei? — Bei diesen Worten stieg er /betroffen vom Altan herab; und mehr denn /tausend Ritter, denen alles Volk, über Bänke /und Schranken herab, folgte, drängten sich / 1670 236um das Lager des Kranken zusammen. „Un/schuldig,“ versetzte dieser, indem er sich ge/stützt auf den Prior, halb darauf emporrich/tete: „wie es der Spruch des höchsten Got/tes, an jenem verhängnißvollen Tage, vor /den Augen aller versammelten Bürger von /Basel entschieden hat! Denn er, von drei /Wunden, jede tödtlich, getroffen, blüht, wie /ihr seht, in Kraft und Lebensfülle; indessen /ein Hieb von seiner Hand, der kaum die / 1680 äußerste Hülle meines Lebens zu berühren /schien, in langsam fürchterlicher Fortwir/kung den Kern desselben selbst getroffen, und /meine Kraft, wie der Sturmwind eine Eiche, /gefällt hat. Aber hier, falls ein Ungläubi/ger noch Zweifel nähren sollte, sind die Be/weise: Rosalie, ihre Kammerzofe, war es, /die mich in jener Nacht des heiligen Remi/gius empfing, während [emendiert ohne Hinweis] ich Elender in der /Verblendung meiner Sinne, sie selbst, die / 1690 meine Anträge stets mit Verachtung zurück/gewiesen hat, in meinen Armen zu halten /meinte!“ Der Kaiser stand erstarrt wie zu /237Stein, bei diesen Worten da. Er schickte, /indem er sich nach dem Scheiterhaufen um/kehrte, einen Ritter ab, mit dem Befehl, /selbst die Leiter zu besteigen, und den Käm/merer sowohl als die Dame, welche letztere /bereits in den Armen ihrer Mutter in Ohn/macht lag, loszubinden und zu ihm heran/ 1700 zuführen. „Nun, jedes Haar auf eurem /Haupt bewacht ein Engel!“ rief er, da Litte/garde, mit halb offner Brust und entfessel/ten Haaren, an der Hand Hrn. Friedrichs, /ihres Freundes, dessen Kniee selbst, unter /dem Gefühl dieser wunderbaren Rettung, /wankten, durch den Kreis des in Ehrfurcht /und Erstaunen ausweichenden Volks, zu ihm /herantrat. Er küßte beiden, die vor ihm /niederknieten, die Stirn; und nachdem er / 1710 sich den Hermelin, den seine Gemahlinn trug, /erbeten, und ihn Littegarden um die Schul/tern gehängt hatte, nahm er, vor den Augen /aller versammelten Ritter, ihren Arm, in /der Absicht, sie selbst in die Gemächer sei/nes kaiserlichen Schlosses zu führen. Er /238wandte sich, während der Kämmerer gleich/falls statt des Sünderkleids, das ihn deckte, /mit Federhut und ritterlichem Mantel ge/schmückt ward, gegen den auf der Bahre jam/ 1720 mervoll sich wälzenden Grafen zurück, und /von einem Gefühl des Mitleidens bewegt, /da derselbe sich doch in den Zweikampf, der /ihn zu Grunde gerichtet, nicht eben auf fre/velhafte und gotteslästerliche Weise einge/lassen hatte, fragte er den ihm zur Seite /stehenden Arzt: ob keine Rettung für den /Unglücklichen sei? — „Vergebens!“ antwor/tete Jacob der Rothbart, indem er sich, un/ter schrecklichen Zuckungen, auf den Schooß / 1730 seines Arztes stützte: „und ich habe den Tod, /den ich erleide, verdient. Denn wißt, weil /mich doch der Arm der weltlichen Gerechtig/keit nicht mehr ereilen wird, ich bin der Mör/der meines Bruders, des edeln Herzogs Wil/helm von Breysach: der Bösewicht, der ihn /mit dem Pfeil aus meiner Rüstkammer nie/der warf, war sechs Wochen vorher, zu die/ser That, die mir die Krone verschaffen sollte, /239von mir gedungen!“ — Bei dieser Erklä/ 1740 rung sank er auf die Bahre zurück und hauchte /seine schwarze Seele aus. „Ha, die Ahn/dung meines Gemahls, des Herzogs, selbst!“ /rief die an der Seite des Kaisers stehende /Regentin, die sich gleichfalls vom Altan des /Schlosses herab, im Gefolge der Kaiserin, /auf den Schloßplatz begeben hatte: „mir noch /im Augenblick des Todes, mit gebrochenen /Worten, die ich gleichwohl damals nur un/vollkommen verstand, kund gethan!“ — Der / 1750 Kaiser versetzte in Entrüstung: so soll der /Arm der Gerechtigkeit noch deine Leiche er/eilen! nehmt ihn, rief er, indem er sich um/kehrte, den Häschern zu, und übergebt ihn /gleich, gerichtet wie er ist, den Henkern: er /möge, zur Brandmarkung seines Andenkens, /auf jenem Scheiterhaufen verderben, auf wel/chem wir eben, um seinetwillen, im Begriff /waren, zwei Unschuldige zu opfern! Und da/mit, während die Leiche des Elenden in röth/ 1760 lichen Flammen aufprasselnd, vom Hauche /des Nordwindes in alle Lüfte verstreut und /verweht ward, führte er Frau Littegarden, im /240Gefolge aller seiner Ritter, auf das Schloß. /Er setzte sie, durch einen kaiserlichen Schluß, /wieder in ihr väterliches Erbe ein, von wel/chem die Brüder in ihrer unedelmüthigen /Habsucht schon Besitz genommen hatten; /und schon nach drei Wochen ward, auf dem /Schlosse zu Breysach, die Hochzeit der bei/ 1770 den trefflichen Brautleute gefeiert, bei welcher /die Herzogin Regentin, über die ganze Wen/dung, die die Sache genommen hatte, sehr /erfreut, Littegarden einen großen Theil der /Besitzungen des Grafen, die dem Gesetz ver/fielen, zum Brautgeschenk machte. Der Kai/ser aber hing Herrn Friedrich, nach der Trau/ung, eine Gnadenkette um den Hals; und /sobald er, nach Vollendung seiner Geschäfte /mit der Schweiz, wieder in Worms angekom/ 1780 men war, ließ er in die Statuten des gehei/ligten göttlichen Zweikampfs, überall wo vor/ausgesetzt wird, daß die Schuld dadurch un/mittelbar ans Tageslicht komme, die Worte /einrücken: „wenn es Gottes Wille ist.“/