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  • Das Bettelweib von Locarno.

Das Bettelweib von Locarno.

Textwiedergabe  nach Erzählungen:1811.

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86Faksimile

Das Bettelweib von Locarno.

Am Fuße der Alpen, bei Locarno im oberen
Italien, befand ſich ein altes, einem Mar⸗
cheſe
gehoͤriges Schloß, das man jetzt, wenn
man vom St. Gotthardt kommt, in Schutt 5
und Truͤmmern liegen ſieht: ein Schloß mit
hohen und weitlaͤufigen Zimmern, in deren
einem einſt, auf Stroh, das man ihr unter⸗
ſchuͤttete
, eine alte kranke Frau, die ſich bet⸗
telnd
vor der Thuͤr eingefunden hatte, von 10
der Hausfrau aus Mitleiden gebettet worden
war.
Der Marcheſe, der, bei der Ruͤckkehr
von der Jagd, zufaͤllig in das Zimmer trat,
wo er ſeine Buͤchſe abzuſetzen pflegte, befahl
der Frau unwillig, aus dem Winkel, in wel⸗15
chem
ſie lag, aufzuſtehen, und ſich hinter den
Ofen zu verfuͤgen.
Die Frau, da ſie ſich er⸗
hob
, glitſchte mit der Kruͤcke auf dem glatten
87FaksimileBoden aus, und beſchaͤdigte ſich, auf eine
gefaͤhrliche Weiſe, das Kreuz; dergeſtalt, daß 20
ſie zwar noch mit unsaͤglicher Muͤhe aufſtand
und quer, wie es vorgeſchrieben war, uͤber
das Zimmer ging, hinter den Ofen aber, un⸗
ter
Stoͤhnen und Aechzen, niederſank und
verſchied.
25

Mehrere Jahre nachher, da der Marcheſe,
durch Krieg und Miswachs, in bedenkliche
Vermoͤgensumſtaͤnde gerathen war, fand ſich
ein florentiniſcher Ritter bei ihm ein, der das
Schloß, ſeiner ſchoͤnen Lage wegen, von ihm 30
kaufen wollte.
Der Marcheſe, dem viel an
den dem Handel gelegen war, gab ſeiner Frau
auf, den Fremden in dem obenerwaͤhnten,
leerſtehenden Zimmer, das ſehr ſchoͤn und
praͤchtig eingerichtet war, unterzubringen.
35
Aber wie betreten war das Ehepaar, als der
Ritter mitten in der Nacht, verſtoͤrt und
bleich, zu ihnen herunter kam, hoch und theuer
verſichernd, daß es in dem Zimmer ſpuke,
indem etwas, das dem Blick unſichtbar ge⸗40
weſen
, mit einem Geraͤuſch, als ob es auf
88FaksimileStroh gelegen, im Zimmerwinkel aufgeſtan⸗
den
, mit vernehmlichen Schritten, langſam
und gebrechlich, quer uͤber das Zimmer ge⸗
gangen
, und hinter dem Ofen, unter Stoͤh⸗45
nen
und Aechzen, niedergeſunken ſei.

Der Marcheſe erſchrocken, er wußte ſelbſt
nicht recht warum, lachte den Ritter mit er⸗
kuͤnſtelter
Heiterkeit aus, und ſagte, er wolle
ſogleich aufſtehen, und die Nacht zu ſeiner 50
Beruhigung, mit ihm in dem Zimmer zu⸗
bringen
.
Doch der Ritter bat um die Ge⸗
faͤlligkeit
, ihm zu erlauben, daß er auf einem
Lehnſtuhl, in ſeinem Schlaf-Zimmer uͤber⸗
nachte
, und als der Morgen kam, ließ er 55
anſpannen, empfahl ſich und reiſte ab.

Dieſer Vorfall, der außerordentliches Auf⸗
ſehen
machte, ſchreckte auf eine dem Mar⸗
cheſe
hoͤchſt unangenehme Weiſe, mehrere Kaͤu⸗
fer
ab; dergeſtalt, daß, da ſich unter ſeinem 60
eigenen Hausgeſinde, befremdend und unbe⸗
greiflich
, das Geruͤcht erhob, daß es in dem
Zimmer, zur Mitternachtsſtunde, umgehe, er,
um es mit einem entſcheidenden Verfahren nie⸗
89Faksimilederzuſchlagen,
beſchloß, die Sache in der naͤch⸗65
ſten
Nacht ſelbſt zu unterſuchen.
Demnach
ließ er, beim Einbruch der Daͤmmerung, ſein
Bett in dem beſagten Zimmer aufſchlagen,
und erharrte, ohne zu ſchlafen, die Mitter⸗
nacht
.
Aber wie erſchuͤttert war er, als er 70
in der That, mit dem Schlage der Geiſter⸗
ſtunde
, das unbegreifliche Geraͤuſch wahr⸗
nahm
; es war, als ob ein Menſch ſich von
Stroh, das unter ihm kniſterte, erhob, quer
uͤber das Zimmer ging, und hinter dem Ofen, 75
unter Geſeufz und Geroͤchel niederſank.
Die
Marquiſe, am andern Morgen, da er her⸗
unter
kam, fragte ihn, wie die Unterſuchung
abgelaufen; und da er ſich, mit ſcheuen und
ungewiſſen Blicken, umſah, und, nachdem 80
er die Thuͤr verriegelt, verſicherte, daß es
mit dem Spuck ſeine Richtigkeit habe: ſo er⸗
ſchrack
ſie, wie ſie in ihrem Leben nicht ge⸗
than
, und bat ihn, bevor er die Sache ver⸗
lauten
ließe, ſie noch einmal, in ihrer Geſell⸗85
ſchaft
, einer kaltbluͤtigen Pruͤfung zu unter⸗
werfen
.
Sie hoͤrten aber, ſammt einem treuen
90FaksimileBedienten, den ſie mitgenommen hatten, in
der That, in der naͤchſten Nacht, dasſelbe
unbegreifliche, geſpenſterartige Geraͤuſch; und 90
nur der dringende Wunſch, das Schloß, es
koſte was es wolle, los zu werden, vermogte
ſie, das Entſetzen, das ſie ergriff, in Gegen⸗
wart
ihres Dieners zu unterdruͤcken, und dem
Vorfall irgend eine gleichguͤltige und zufaͤllige 95
Urſache, die ſich entdecken laſſen muͤſſe, un⸗
terzuſchieben
.
Am Abend des dritten Tages,
da beide, um der Sache auf den Grund zu
kommen, mit Herzklopfen wieder die Treppe
zu dem Fremdenzimmer beſtiegen, fand ſich 100
zufaͤllig der Haushund, den man von der
Kette losgelaſſen hatte, vor der Thuͤr desſel⸗
ben
ein; dergeſtalt, daß beide, ohne ſich be⸗
ſtimmt
zu erklaͤren, vielleicht in der unwill⸗
kuͤhrlichen
Abſicht, außer ſich ſelbſt noch etwas 105
Drittes, Lebendiges, bei ſich zu haben, den
Hund mit ſich in das Zimmer nahmen.
Das
Ehepaar, zwei Lichter auf dem Tiſch, die
Marquiſe unausgezogen, der Marcheſe Degen
und Piſtolen, die er aus dem Schrank ge⸗110
91Faksimilenommen,
neben ſich, ſetzen ſich, gegen eilf
Uhr, jeder auf ſein Bett; und waͤhrend ſie
ſich mit Geſpraͤchen, ſo gut ſie vermoͤgen, zu
unterhalten ſuchen, legt ſich der Hund, Kopf
und Beine zuſammen gekauert, in der Mitte 115
des Zimmers nieder und ſchlaͤft ein.
Drauf,
in dem Augenblick der Mitternacht, laͤßt ſich
das entſetzliche Geraͤuſch wieder hoͤren; je⸗
mand
, den kein Menſch mit Augen ſehen
kann, hebt ſich, auf Kruͤcken, im Zimmer⸗120
winkel
empor; man hoͤrt das Stroh, das un⸗
ter
ihm rauſcht; und mit dem erſten Schritt:
tapp! tapp! erwacht der Hund, hebt ſich ploͤtz⸗
lich
, die Ohren ſpitzend, vom Boden empor,
und knurrend und bellend, grad’ als ob ein 125
Menſch auf ihm ihn Korrigiert nach Fassung der ›Berliner Abendblaͤtter‹. ihm [nicht emendiert] ihm [nicht emendiert] eingeſchritten kaͤme, ruͤck⸗
waͤrts
gegen den Ofen weicht er aus.
Bei
dieſem Anblick ſtuͤrzt die Marquiſe mit ſtraͤu⸗
benden
Haaren, aus dem Zimmer; und waͤh⸗
rend
der Marquis, der den Degen ergriffen: 130
wer da? ruft, und da ihm niemand antwor⸗
wortet,
antwor⸗
tet,
Silbenwiederholung bedingt durch Zeilenumbruch.
gleich einem Raſenden, nach allen
Richtungen die Luft durchhaut laͤßt ſie an⸗
92Faksimileſpannen,
entſchloſſen, augenblicklich, nach der
Stadt abzufahren.
Aber ehe ſie noch einige 135
Sachen zuſammengepackt und nach Zuſam⸗
menraffung
einiger Sachen aus dem Thore her⸗
ausgeraſſelt
, ſieht ſie ſchon das Schloß rings⸗
um
in Flammen aufgehen.
Der Marcheſe, von
Entſetzen uͤberreizt, hatte eine Kerze genom⸗140
men
, und dasſelbe, uͤberall mit Holz getaͤ⸗
felt
wie es war, an allen vier Ecken, muͤde
ſeines Lebens, angeſteckt.
Vergebens ſchickte
ſie Leute hinein, den Ungluͤcklichen zu retten;
er war auf die elendiglichſte Weiſe bereits um⸗145
gekommen
, und noch jetzt liegen, von den
Landleuten zuſammengetragen, ſeine weißen
Gebeine in dem Winkel das des Zimmers, von
welchem er das Bettelweib von Locarno hatte
aufſtehen heißen.
150

https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00013539/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=89

Das Bettelweib von Locarno.

Quellenangaben für Zitation
https://kleist-digital.de/erzaehlungen/bettelweib, [ggf. Angabe von Zeile/Vers oder Seite], 19.05.2025

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Apparat

Erstdruck: [D1] Kleist Heinrich von : Das Bettelweib von Locarno. In: Berliner Abendblätter. 10. Blatt. Berlin: J. E. Hitzig, 1810. — kleist-digital

Textwiedergabe nach: [D2] Kleist, Heinrich von: Das Bettelweib von Locarno. In: Kleist, Heinrich von: Erzählungen. Zweiter Theil, Berlin: Realschulbuchhandlung, 1811, S. 86–92.

Zugrunde gelegte Exemplare: BSB. Bayerische StaatsBibliothek. Sigle: Rar. 4347-2.
Exemplar aus Privatbesitz.

Editorische Anmerkungen

  • 126ihmKorrigiert nach Fassung der ›Berliner Abendblaͤtter‹.
  • 131antworwortet,Silbenwiederholung bedingt durch Zeilenumbruch.
 Emendationen (insges. 4)
  • 32dendem
  • 126ihmihnKorrigiert nach Fassung der ›Berliner Abendblaͤtter‹.
  • 131antworwortet,antwortet,Silbenwiederholung bedingt durch Zeilenumbruch.
  • 148dasdes
Pagina Kleist-Ausgaben
  • [BKA] II/5 9–15
  • [MA] II 201–203
  • [DKV] III 261–264
  • [SE:1993] II 196–198
  • [Bartl:2013 (Reclam)] 231–234
 Vergleich Editionen

Die durchgeführte Kollation mit unterschiedlichen historischen und aktuellen Kleist-Editionen zeigt bestimmte Lesarten und Emendationen, die von der vorliegenden emendierten Fassung abweichen. In den Anmerkungen finden sich hierzu häufig nähere Erläuterungen. (Gelegentlich ist die Ursache für Abweichungen ein Transkriptionsfehler in der jeweiligen Edition.)

Disclaimer: Abweichungen, die ihren Grund in typographisch bedingten Normalisierungen und Standardisierungen haben, werden nicht angezeigt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden. Mitgeteilte Abweichungen müssen am Original überprüft werden.

In die Kollation einbezogene Kleist-Ausgaben

[BKA][MA][Bartl:2013 (Reclam)]

[BKA:1989] [1 Abw.]
  • 126ihm ] ihm [nicht emendiert]
[MA:2010] [1 Abw.]
  • 126ihm ] ihm [nicht emendiert]
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