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Das Käthchen von Heilbronn

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1
Das
Kaͤthchen von Heilbronn
oder
die Feuerprobe
ein großes hiſtoriſches Ritterſchauſpiel
von
Heinrich von Kleiſt.
Aufgefuͤhrt auf dem Theater an der Wien
den 17. 18. und 19. Maͤrz 1810.
Berlin, in der Realſchulbuchhandlung,
1810.
2

[Leerseite]

3

Perſonen: Personen.

Der Kaiſer. Gebhardt, Erzbiſchoff von Worms. Friedrich Wetter, Graf vom Strahl. Graͤfin Helena, ſeine Mutter. Eleonore, ihre Nichte. Ritter Flammberg, des Grafen Vaſall. Gottſchalk, ſein Knecht. Brigitte, Haushaͤlterin im graͤflichen Schloß. Kunigunde von Thurneck. Roſalie, ihre Kammerzofe. Theobald Friedeborn, Waffenſchmidt aus Heil⸗
bronn.
Kaͤthchen, ſeine Tochter. Gottfried Friedeborn, ihr Braͤutigam. Maximilian, Burggraf von Freiburg. Georg von Waldſtaͤtten, ſein Freund. Der Rheingraf vom Stein, Verlobter Kuni⸗
gundens.
Friedrich von Herrnſtadt, Eginhardt von der Wart, ſeine Freunde. 4 Graf Otto von der Fluͤhe, Wenzel von Nachtheim, Hans von Baͤrenklau, Raͤthe des Kaisers und
Richter des heimli⸗
chen Gerichts. Gerichts
Jacob Pech, ein Gaſtwirth. Drei Herren von Thurneck. Kunigundens alte Tanten. Ein Koͤhlerjunge. Ein Nachtwaͤchter. Mehrere Ritter. Ein Herold, zwei Koͤhler, Bedienten, Boten,
Haͤſcher, Knechte und Volk.
Die Handlung spielt in Schwaben.
Friedrich Wetter, Graf vom Strahl Graf Otto von der Fluͤhe Theobald Friedeborn Waffenſchmidt aus Heilbronn Wenzel von Nachtheim Rath des Kaiſers und Richter des heimlichen Gerichts Hans von Baͤrenklau Rath des Kaiſers und Richter des heimlichen Gerichts
5

Erſter Act.

Scene: Eine unterirdiſche Hoͤhle, mit den Inſignien des Vehm⸗
gerichts,
von einer Lampe erleuchtet.

Erſter Auftritt.

Graf Otto von der Fluͤhe (als Vorſitzer), Wenzel von 5
Nachtheim, Hans von Baͤrenklau (als Beyſaſſen), meh⸗
rere
Grafen, Ritter und Herren (ſaͤmmtlich vermummt),
Haͤſcher mit Fackeln u. s. w. —
Theobald Friedeborn,
Buͤrger aus Heilbronn (als Klaͤger), Graf Wetter vom
Strahle (als Beklagter, ſtehen vor den Schrauken). Schranken). [liest ›Schranken‹] [liest ›Schranken‹]
10
Graf Otto (ſteht auf).

Wir, Richter des hohen, heimlichen Gerichts, die
wir, die irdiſchen Schergen Gottes, Vorlaͤufer der
gefluͤgelten Heere, die er in ſeinen Wolken muſtert,
den Frevel aufſuchen, da, wo er, in der Hoͤhle der 15
Bruſt, gleich einem Molche verkrochen, vom Arm
weltlicher Gerechtigkeit nicht aufgefunden werden kann:
6 wir rufen dich, Theobald Friedeborn, ehrſamer und
vielbekannter Waffenſchmidt aus Heilbronn auf, deine
Klage anzubringen gegen Friedrich, Graf Wetter vom 20
Strahle; denn dort, auf den erſten Ruf der heiligen
Vehme, von des Vehmherolds Hand dreimal mit
dem Griff des Gerichtsſchwerdts, an die Thore ſei⸗
ner
Burg, deinem Geſuch gemaͤß, iſt er erſchienen,
und fragt, was du willſt? 25

(er ſetzt ſich).
Theobald Friedeborn.

Ihr hohen, heiligen und geheimnißvollen Herren!
Haͤtte er, auf den ich klage, ſich bei mir ausruͤſten
laſſen — ſetzet in Silber, von Kopf bis zu Fuß, oder 30
in ſchwarzen Stahl, Schienen, Schnallen und Ringe
von Gold; und haͤtte nachher, wenn ich geſprochen:
Herr, bezahlt mich! geantwortet: Theobald! Was
willſt du? Ich bin dir nichts ſchuldig; oder waͤre er
vor die Schranken meiner Obrigkeit getreten, und 35
haͤtte meine Ehre, mit der Zunge der Schlangen —
oder waͤre er aus dem Dunkel mitternaͤchtlicher Waͤl⸗
der
herausgebrochen und haͤtte mein Leben mit Schwerdt
und Dolch, angegriffen: ſo wahr mir Gott helfe! ich
glaube, ich haͤtte nicht vor euch geklagt.
Ich erlitt, 40
in drei und funfzig Jahren, da ich lebe, ſo viel Un⸗
recht,
daß meiner Seele Gefuͤhl nun gegen ſeinen
Stachel wie gepanzert iſt; und waͤhrend ich Waffen
7 ſchmiede, fuͤr Andere, die die Muͤcken ſtechen, ſag ich
ſelbſt zum Skorpion: fort mit dir! und laß ihn fah⸗45
ren.
Friedrich, Graf Wetter vom Strahl, hat mir
mein Kind verfuͤhrt, meine Katharine.
Nehmt ihn,
ihr irdiſchen Schergen Gottes, und uͤberliefert ihn
allen geharniſchten Schaaren, die an den Pforten
der Hoͤlle ſtehen und ihre glutrothen Spieße ſchwen⸗50
ken:
ich klage ihn ſchaͤndlicher Zauberei, aller Kuͤnſte
der ſchwarzen Nacht und der Verbruͤderung mit dem
Satan an!

Graf Otto.

Meiſter Theobald von Heilbronn! Erwaͤge wohl, 55
was du ſagſt. Du bringſt vor, der Graf vom Strahl,
uns vielfaͤltig und von guter Hand bekannt, habe dir
dein Kind verfuͤhrt.
Du klagſt ihn, hoff ich, der
Zauberei nicht an, weil er deines Kindes Herz von
dir abwendig gemacht?
Weil er ein Maͤdchen, voll ra⸗60
ſcher
Einbildungen, mit einer Frage, wer ſie ſey?
oder wohl gar mit dem bloßen Schein ſeiner rothen
Wangen, unter dem Helmſturz hervorgluͤhend, oder
mit irgend einer andern Kunſt des hellen Mittags
ausgeuͤbt auf jedem Jahrmarkt, fuͤr ſich gewonnen 65
hat?

Theobald.

Es iſt wahr, ihr Herren, ich ſah ihn nicht zur
Nachtzeit, an Mooren und ſchilfreichen Geſtaden,
8 oder wo ſonſt des Menſchen Fuß ſelten erſcheint, um⸗70
herwandeln
und mit den Irrlichtern Verkehr treiben.

Ich fand ihn nicht auf den Spitzen der Gebirge, den
Zauberſtab in der Hand, das unſichtbare Reich der
Luft abmeſſen, oder in unterirdiſchen Hoͤhlen, die
kein Strahl erhellt, Beſchwoͤrungsformeln aus dem 75
Staub heraufmurmeln.
Ich ſah den Satan und die
Schaaren, deren Verbruͤderten ich ihn nannte, mit
Hoͤrnern, Schwaͤnzen und Klauen, wie ſie zu Heil⸗
bronn,
uͤber dem Altar abgebildet ſind, an ſeiner
Seite nicht.
Wenn ihr mich gleichwohl reden laſſen 80
wollt, ſo denke ich es durch eine ſchlichte Erzaͤhlung
deſſen, was ſich zugetragen, dahin zu bringen, daß
ihr aufbrecht, und ruft: unſrer ſind dreizehn und der
vierzehnte iſt der Teufel! zu den Thuͤren rennt und
den Wald, der dieſe Hoͤhle umgiebt, auf dreihundert 85
Schritte im Umkreis, mit euren Taftmaͤnteln und
Federhuͤthen beſaͤet.

Graf Otto.

Nun, du alter, wilder Klaͤger! ſo rede!

Theobald. 90

Zuvoͤrderſt muͤßt ihr wiſſen, ihr Herren, daß mein
Kaͤthchen Oſtern, die nun verfloſſen, funfzehn funfzehn Spieß hinter ›funfzehn‹. Jahre
alt war; geſund an Leib und Seele, wie die erſten
Menſchen, die gebohren worden ſein moͤgen; ein
Kind recht nach der Luſt Gottes, das heraufging aus 95
9 der Wuͤſten, am ſtillen Feierabend meines Lebens,
wie ein gerader Rauch von Myrrhen und Wachhol⸗
dern!
Ein Weſen von zarterer, frommerer und liebe⸗
rer
Art muͤßt ihr euch nicht denken, und kaͤmt ihr,
auf Fluͤgeln der Einbildung, zu den lieben, kleinen 100
Engeln, die, mit hellen Augen, aus den Wolken,
unter Gottes Haͤnden und Fuͤßen hervorgucken.
Ging
ſie in ihrem buͤrgerlichen Schmuck uͤber die Straße,
den Strohhut auf, von gelbem Lack erglaͤnzend, das
ſchwarzſammtene Leibchen, das ihre Bruſt umſchloß, 105
mit feinen Silberkettlein behaͤngt: ſo lief es fluͤſternd
von allen Fenſtern herab: das iſt das Kaͤthchen von
Heilbronn; das Kaͤthchen von Heilbronn, ihr Her⸗
ren,
als ob der Himmel von Schwaben ſie erzeugt,
und von ſeinem Kuß geſchwaͤngert, die Stadt, die 110
unter ihm liegt, ſie gebohren haͤtte.
Vettern und Baſen,
mit welchen die Verwandtſchaft, ſeit drey Menſchenge⸗
ſchlechtern
vergeſſen worden war, nannten ſie, auf Kind⸗
taufen
und Hochzeiten, ihr liebes Muͤhmchen, ihr liebes
Baͤſchen; der ganze Markt, auf dem wir wohnten, er⸗115
ſchien
an ihrem Namenstage, und bedraͤngte ſich und
wetteiferte, ſie zu beſchenken; wer ſie nur einmal, ge⸗
ſehen
und einen Gruß im Voruͤbergehen von ihr em⸗
pfangen
hatte, ſchloß ſie acht folgende Tage lang, als
ob ſie ihn gebeſſert haͤtte, in ſein Gebet ein.
Eigen⸗120
thuͤmerin
eines Landguts, das ihr der Großvater, mit
10 Ausſchluß meiner, als einem Goldkinde, dem er ſich
liebreich bezeigen wollte, vermacht hatte, war ſie ſchon
unabhaͤngig von mir, eine der wohlhabendſten Buͤrge⸗
rinnen
der Stadt. Fuͤnf Soͤhne wackerer Buͤrger, 125
bis in den Tod von ihrem Werthe geruͤhrt, hatten
nun ſchon um ſie angehalten; die Ritter, die durch
die Stadt zogen, weinten, daß ſie kein Fraͤulein war;
ach, und waͤre ſie Eines geweſen, das Morgenland
waͤre aufgebrochen, und haͤtte Perlen und Edelge⸗130
ſteine,
von Mohren getragen, zu ihren Fuͤßen gelegt.
Aber ſowohl ihre, als meine Seele, bewahrte der Him⸗
mel
vor Stolz; und weil Gottfried Friedeborn, der
junge Landmann, deſſen Guͤter das ihrige umgraͤnzen,
ſie zum Weibe begehrte, und ſie auf meine Frage: 135
Katharine, willt du ihn? antwortete: Vater! Dein
Wille ſei meiner; ſo ſagte ich: der Herr ſegne euch!
und weinte und jauchzte, und beſchloß, Oſtern, die
kommen, ſie nun zur Kirche zu bringen.
— So war
ſie, ihr Herren, bevor ſie mir dieſer entfuͤhrte.
140

Graf Otto.

Nun? Und wodurch entfuͤhrte er ſie dir? Durch
welche Mittel hat er ſie dir und dem Pfade, auf wel⸗
chen
du ſie gefuͤhrt hatteſt, wieder entriſſen?

Theobald. 145

Durch welche Mittel? — Ihr Herren, wenn ich
das ſagen koͤnnte, ſo begriffen es dieſe fuͤnf Sinne,
11 und ſo ſtaͤnd ich nicht vor euch und klagte auf alle,
mir unbegreiflichen, Graͤuel der Hoͤlle.
Was ſoll ich
vorbringen, wenn ihr mich fragt, durch welche Mit⸗150
tel?
Hat er ſie am Brunnen getroffen, wenn ſie Waſ⸗
ſer
ſchoͤpfte, und geſagt: Lieb Maͤdel, wer biſt du?
hat er ſich an den Pfeiler geſtellt, wenn ſie aus der
Mette kam, und gefragt: Lieb Maͤdel, wo wohnſt
du? hat er ſich, bei naͤchtlicher Weile, an ihr Fenſter 155
geſchlichen, und, indem er ihr einen Halsſchmuck
umgehaͤngt, geſagt: Lieb Maͤdel, wo ruhſt du?
Ihr
hochheiligen Herren, damit war ſie nicht zu gewin⸗
nen!
Den Judaskuß errieth unſer Heiland nicht ra⸗
ſcher,
als ſie ſolche Kuͤnſte.
Nicht mit Augen, ſeit 160
ſie gebohren ward, hat ſie ihn geſehen; ihren Ruͤcken,
und das Maal darauf, das ſie von ihrer ſeeligen
Mutter erbte, kannte ſie beſſer, als ihn.
(er weint.)

Graf Otto (nach einer Pauſe.)

Und gleichwohl, wenn er ſie verfuͤhrt hat, du 165
wunderlicher Alter, ſo muß es wann und irgendwo
geſchehen ſein?

Theobald.

Heiligen Abend vor Pfingſten, da er auf fuͤnf
Minuten in meine Werkſtatt kam, um ſich, wie er 170
ſagte, eine Eiſenſchiene, die ihm zwiſchen Schulter
und Bruſt losgegangen war, wieder zuſammenheften
zu laſſen.

12 Wenzel.

Was! 175

Hans.

Am hellen Mittag?

Wenzel.

Da er auf fuͤnf Minuten in deine Werkſtatt kam,
um ſich eine Bruſtſchiene anheften zu laſſen?
180

(Pauſe.)
Graf Otto.

Faſſe dich, Alter, und erzaͤhle den Hergang.

Theobald (indem er ſich die Augen trocknet.)

Es mogte ohngefaͤhr eilf Uhr Morgens ſein, als 185
er, mit einem Troß Reiſiger, vor mein Haus ſprengte,
raſſelnd, der Erzgepanzerte, vom Pferd ſtieg, und in
meine Werkſtatt trat: das Haupt tief herab neigt’ er,
um mit den Reiherbuͤſchen, die ihm von vom Helm nie⸗
derwankten,
durch die Thuͤr zu kommen.
Meiſter, 190
ſchau her, ſpricht er: dem Pfalzgrafen, der eure Waͤlle
niederreißen will, zieh ich entgegen; die Luſt, ihn zu
treffen, ſprengt mir die Schienen; nimm Eiſen nnd und
Drath, ohne daß ich mich zu entkleiden brauche, und
heft’ ſie mir wieder zuſammen.
Herr! ſag ich: wenn 195
euch die Bruſt ſo die Ruͤſtung zerſchmeißt, ſo laͤßt
der Pfalzgraf unſere Waͤlle ganz; noͤthig’ ihn auf
einen Seſſel, in des Zimmers Mitte nieder, und:
Wein! ruf ich in die Thuͤre, und vom friſchgeraͤu⸗
13 cherten
Schinken, zum Imbiß! und ſetz’, einen Sche⸗200
mel,
mit Werkzeugen verſehn, vor ihn, um ihm die
Schiene wieder herzuſtellen.
Und waͤhrend draußen
noch der Streithengſt wiehert, und, mit den Pferden
der Knechte, den Grund zerſtampft, daß der Staub,
als waͤr’ ein Cherub vom Himmel niedergefahren, 205
emporquoll: oͤffnet langſam, ein großes, flaches Sil⸗
bergeſchirr
auf dem Kopf tragend, auf welchem Fla⸗
ſchen,
Glaͤſer und der Imbiß geſtellt waren, das
Maͤdchen die Thuͤre und tritt ein.
Nun ſeht, wenn
mir Gott der Herr aus Wolken erſchiene, ſo wuͤrd 210
ich mich ohngefaͤhr ſo faſſen, wie ſie.
Geſchirr und
Becher und Imbiß, da ſie den Ritter erblickt, laͤßt
ſie fallen; und leichenbleich, mit Haͤnden, wie zur
Anbetung verſchraͤnkt, den Boden mit Bruſt und
Scheiteln kuͤſſend, ſtuͤrzt ſie vor ihm nieder, als ob 215
ſie ein Blitz nieder geſchmettert haͤtte!
Und da ich
ſage: Herr meines Lebens! Was fehlt dem Kind?
und ſie aufhebe: ſchlingt ſie, wie ein Taſchenmeſſer
zuſammenfallend, den Arm um mich, das Antlitz
flammend auf ihn gerichtet, als ob ſie eine Erſchei⸗220
nung
haͤtte.
Der Graf vom Strahl, indem er ihre
Hand nimmt, fragt: weß iſt das Kind?
Geſellen
und Maͤgde ſtroͤmen herbey und jammern: hilf Him⸗
mel!
Was iſt dem Juͤngferlein widerfahren; doch da
ſie ſich, mit einigen ſchuͤchternen Blicken auf ſein 225
14 Antlitz, erholt, ſo denk ich, der Anfall iſt wohl auch
voruͤber und gehe, mit Pfriemen und Nadeln, an
mein Geſchaͤft.
Drauf ſag ich: Wohlauf, Herr Ritter!
Nun moͤgt ihr den Pfalzgrafen treffen; die Schiene
iſt eingerenkt, das Herz wird ſie euch nicht mehr zer⸗230
ſprengen.
Der Graf ſteht auf; er ſchaut das Maͤd⸗
chen,
das ihm bis an die Bruſthoͤhle ragt, vom Wir⸗
bel
zur Sohle, gedankenvoll an, und beugt ſich, und
kuͤßt ihr die Stirn und ſpricht: der Herr ſeegne
dich, und behuͤte dich, und ſchenke dir ſeinen Frieden, 235
Amen!
Und da wir an das Fenſter treten: ſchmeißt
ſich das Maͤdchen, in dem Augenblick, da er den
Streithengſt beſteigt, dreißig Fuß hoch, mit aufge⸗
hobenen
Haͤnden, auf das Pflaſter der Straße nie⸗
der:
gleich einer Verlohrenen, die ihrer fuͤnf Sinne 240
beraubt iſt!
Und bricht ſich beide Lenden, ihr heiligen
Herren, beide zarten Lendchen, dicht uͤber des Knie⸗
runds
elfenbeinernem Bau; und ich, alter, bejam⸗
mernswuͤrdiger
Narr, der mein verſinkendes Leben auf
ſie ſtuͤtzen wollte, muß ſie, auf meinen Schultern, wie 245
zu Grabe tragen; indeſſen er dort, den Gott ver⸗
damme!
zu Pferd, unter dem Volk, das herbeiſtroͤmt,
heruͤberruft von hinten, was vorgefallen ſei! —
Hier
liegt ſie nun, auf dem Todbett, in der Glut des
hitzigen Fiebers, ſechs endloſe Wochen, ohne ſich zu 250
regen.
Keinen Laut bringt ſie hervor; auch nicht
15 der Wahnſinn, dieſer Dietrich aller Herzen, eroͤffnet
das ihrige; kein Menſch vermag das Geheimniß, das
in ihr waltet, ihr zu entlocken.
Und pruͤft, da ſie
ſich ein wenig erholt hat, den Schritt, und ſchnuͤrt 255
ihr Buͤndel, und tritt, beim Strahl der Morgen⸗
ſonne,
in die Thuͤr: wohin? fragt ſie die Magd;
zum Grafen Wetter vom Strahl antwortet ſie, und
verſchwindet.

Wenzel. 260

Es iſt nicht moͤglich!

Hans.

Verſchwindet?

Wenzel.

Und laͤßt Alles hinter ſich zuruͤck? 265

Hans.

Eigenthum, Heimath und den Braͤutigam, dem
ſie verlobt war?

Wenzel.

Und begehrt auch deines Seegens nicht einmal?

Theobald. 270

Verſchwindet, ihr Herren — Verlaͤßt mich und
Alles, woran Pflicht, Gewohnheit und Natur ſie knuͤpf⸗
ten
— Kuͤßt mir die Augen, die ſchlummernden, und
verſchwindet; ich wollte, ſie haͤtte ſie mir zugedruͤckt.

Wenzel. 275

Beim Himmel! Ein ſeltſamer Vorfall. —

16 Theobald.

Seit jenem Tage folgt ſie ihm nun, gleich einer
Metze, in blinder Ergebung, von Ort zu Ort; ge⸗
fuͤhrt
am Strahl ſeines Angeſichts, fuͤnfdraͤthig, wie 280
einen Tau, um ihre Seele gelegt; auf nackten, jedem
Kieſel ausgeſetzten, Fuͤßen, das kurze Roͤckchen, das
ihre Huͤfte deckt, im Winde flatternd, nichts als den
Strohhut auf, ſie gegen der Sonne Stich, oder den
Grimm empoͤrter Witterung zu ſchuͤtzen.
Wohin ſein 285
Fuß, im Lauf ſeiner Abentheuer, ſich wendet: durch
den Dampf der Kluͤfte, durch die Wuͤſte, die der
Mittag verſengt, durch die Nacht verwachſener Waͤl⸗
der:
wie ein Hund, der von ſeines Herren Schweiß
gekoſtet, ſchreitet ſie hinter ihm her; und die gewohnt 290
war, auf weichen Kiſſen zu ruhen, und das Knoͤt⸗
lein
ſpuͤrte, in des Bettuchs Faden, das ihre Hand
unachtſam darin eingeſponnen hatte: die liegt jetzt,
einer Magd gleich, in ſeinen Staͤllen, und ſinkt,
wenn die Nacht koͤmmt, ermuͤdet auf die Streu nie⸗295
der,
die ſeinen ſtolzen Roſſen untergeworfen wird.

Graf Otto.

Graf Wetter vom Strahl! Iſt dies gegruͤndet?

Der Graf vom Strahl.

Wahr iſts, ihr Herren; ſie geht auf der Spur, 300
die hinter mir zuruͤckbleibt.
Wenn ich mich umſehe,
erblick’ ich zwei Dinge: meinen Schatten und ſie.

Graf

17 Graf Otto.

Und wie erklaͤrt ihr euch dieſen ſonderbaren Um⸗
ſtand?
305

Der Graf vom Strahl.

Ihr unbekannten Herren der Vehme! Wenn der
Teufel ſein Spiel mit ihr treibt, ſo braucht er mich
dabei, wie der Affe die Pfoten der Katze; ein Schelm
will ich ſein, holt er den Nußkern fuͤr mich.
Wollt 310
ihr meinem Wort ſchlechthin, wies die heilige Schrift
vorſchreibt, glauben: ja, ja, nein, nein; gut!
Wo
nicht, ſo will ich nach Worms, und den Kaiſer bit⸗
ten,
daß er den Theobald ordinire.
Hier werf’ ich
ihm vorlaͤufig meinen Handſchuh hin!
315

Graf Otto.

Ihr ſollt hier Rede ſtehn, auf unſre Frage!
Womit rechtfertigt ihr, daß ſie unter eurem Dache
ſchlaͤft?
Sie, die in das Haus hingehoͤrt, wo ſie ge⸗
bohren
und erzogen ward?
320

Der Graf vom Strahl.

Ich war, es moͤgen ohngefaͤhr zwoͤlf Wochen ſein,
auf einer Reiſe, die mich nach Straßburg fuͤhrte,
ermuͤdet, in der Mittagshitze, an einer Felswand,
eingeſchlafen — nicht im Traum gedacht ich des Maͤd⸗325
chens
mehr, das in Heilbronn aus dem Fenſter ge⸗
ſtuͤrzt
war — da liegt ſie mir, wie ich erwache, gleich
einer Roſe, entſchlummert zu Fuͤßen; als ob ſie vom
[ 2 ] 18 Himmel herabgeſchneit waͤre!
Und da ich zu den
Knechten, die im Graſe herumliegen, ſage: Ei, was 330
der Teufel!
Das iſt ja das Kaͤthchen von Heilbronn!
ſchlaͤgt ſie die Augen auf, und bindet ſich das Huͤt⸗
lein
zuſammen, das ihr ſchlafend vom Haupt herab⸗
gerutſcht
war.
Katharine! ruf ich: Maͤdel! Wo
koͤmmſt auch her?
Auf funfzehn Meilen von Heil⸗335
bronn,
fernab am Geſtade des Rheins?
„Hab’ ein
Geſchaͤft, geſtrenger Herr,“ antwortet ſie, „das mich
gen Straßburg fuͤhrt; ſchauert mich im Wald ſo ein⸗
ſam
zu wandern, und ſchlug mich zu euch.“
Drauf laß
ich ihr zur Erfriſchung reichen, was mir Gottſchalk, 340
der Knecht, mit ſich fuͤhrt, und erkundige mich: wie
der Sturz abgelaufen? auch, was der Vater macht?

Und was ſie in Straßburg zu erſchaffen denke? Doch
da ſie nicht freiherzig mit der Sprache herausruͤckt:
was auch gehts dich an, denk’ ich; ding’ ihr einen 345
Boten, der ſie durch deu den Wald fuͤhre, ſchwing mich
auf den Rappen, und reite ab.
Abends, in der Her⸗
berg,
an der Straßburger Straß, will ich mich eben
zur Ruh niederlegen: da kommt Gottſchalk, der Knecht,
und ſpricht: das Maͤdchen ſei unten und begehre in 350
meinen Staͤllen zu uͤbernachten.
Bei den Pferden?
frag’ ich.
Ich ſage: wenn’s ihr weich genug iſt, mich
wird’s nicht druͤcken.
Und fuͤge noch, indem ich mich
im Bett wende, hinzu: magſt ihr wohl eine Streu
19 unterlegen, Gottſchalk, und ſorgen, daß ihr Nichts 355
widerfahre.
Drauf, wandert ſie, kommenden Tages
fruͤher aufgebrochen, als ich, wieder auf der Heer⸗
ſtraße,
und lagert ſich wieder in meinen Staͤllen, und
lagert ſich Nacht fuͤr Nacht, ſo wie mir der Streif⸗
zug
fortſchreitet, darin, als ob ſie zu meinem Troß 360
gehoͤrte.
Nun litt ich das, ihr Herren, um jenes
grauen, unwirrſchen Alten willen, der mich jetzt darum
ſtraft; denn der Gottſchalk, in ſeiner Wunderlichkeit,
hatte das Maͤdchen lieb gewonnen, und pflegte ihrer,
in der That, als ſeiner Tochter; fuͤhrt dich die Reiſe 365
einſt, dacht’ ich, durch Heilbronn, ſo wird der Alte
dirs danken.
Doch da ſie ſich auch in Straßburg,
in der erzbiſchoͤflichen Burg, wieder bei mir einfindet,
und ich gleichwohl ſpuͤre, daß ſie nichts im Orte er⸗
ſchafft:
denn mir hatte ſie ſich ganz und gar geweiht, 370
und wuſch und flickte, als ob es ſonſt am Rhein
nicht zu haben waͤre: ſo trete ich eines Tages, da ich
ſie auf der Stallſchwelle finde, zu ihr und frage:
was fuͤr ein Geſchaͤft ſie in Straßburg betreibe?
Ei,
ſpricht ſie geſtrenger Herr, und eine Roͤthe, daß ich 375
denke, ihre Schuͤrze wird angehen, flammt uͤber ihr
Antlitz empor: „was fragt ihr doch? ihr wißts ja!“

— Holla! denk ich, ſteht es ſo mit dir? und ſende
einen Boten flugs nach Heilbronn, dem Vater zu,
mit folgender Meldung: das Kaͤthchen ſei bei mir; 380
20 ich huͤtete ſeiner; in kurzem koͤnne er es, vom Schloſſe
zu Strahl, wohin ich es zuruͤckbringen wuͤrde, ab⸗
holen.

Graf Otto.

Nun? Und hierauf? 385

Wenzel.

Der Alte holte die Jungfrau nicht ab?

Der Graf vom Strahl.

Drauf, da er am zwanzigſten Tage, um ſie ab⸗
zuholen,
bei mir erſcheint, und ich ihn in meiner Vaͤ⸗390
ter
Saal fuͤhre: erſchau ich mit Befremden, daß er,
beim Eintritt in die Thuͤr, die Hand in den Weih⸗
keſſel
ſteckt, und mich mit dem Waſſer, das darin
befindlich iſt, beſprengt.
Ich arglos, wie ich von
Natur bin, noͤth’ge ihn auf einen Stuhl nieder; er⸗395
zaͤhle
ihm, mit Offenherzigkeit, Alles, was vorgefal⸗
len;
eroͤffne ihm auch, in meiner Theilnahme, die
Mittel, wie er die Sache, ſeinen Wuͤnſchen gemaͤß,
wieder in’s Geleis ruͤcken koͤnne; und troͤſte ihn und
fuͤhr ihn, um ihn ihm das Maͤdchen zu uͤbergeben, in den 400
Stall hinunter, wo ſie ſteht, und mir eine Waffe von
Roſt ſaͤubert.
So wie er in die Thuͤr tritt, und die
Arme mit thraͤnenvollen Augen oͤffnet, ſie zu em⸗
pfangen,
ſtuͤrzt mir das Maͤdchen leichenbleich zu Fuͤ⸗
ßen,
alle Heiligen anrufend, daß ich ſie vor ihm ſchuͤtze.
405
Gleich einer Salzſaͤule ſteht er, bei dieſem Anblick,
21 da; und ehe ich mich noch gefaßt habe, ſpricht er
ſchon, das entſetzensvolle Antlitz auf mich gerichtet:
das iſt der leibhaftige Satan! und ſchmeißt mir den
Hut, den er in der Hand haͤlt, in’s Geſicht, als 410
wollt’ er ein Graͤuelbild verſchwinden machen, und
laͤuft, als ſetzte die ganze Hoͤlle ihm nach, nach Heil⸗
bronn
zuruͤck.

Graf Otto.

Du wunderlicher Alter! Was haſt du fuͤr Ein⸗415
bildungen?

Wenzel.

Was war in dem Verfahren des Ritters, das Ta⸗
del
verdient?
Kann er dafuͤr, wenn ſich das Herz
deines thoͤrichten Maͤdchens ihm zuwendet?
420

Hans.

Was iſt in dieſem ganzen Vorfall, das ihn an⸗
klagt?

Theobald.

Was ihn anklagt? O du — Menſch, entſetzlicher, 425
als Worte faſſen, und der Gedanke ermißt: ſtehſt du
nicht rein da, als haͤtten die Cherubim ſich entkleidet,
und ihren Glanz dir, funkelnd wie Mailicht, um die
Seele gelegt! —
Mußt’ ich vor dem Menſchen nicht
erbeben, der die Natur, in dem reinſten Herzen, das 430
je geſchaffen ward, dergeſtalt umgekehrt hat, daß ſie
vor dem Vater, zu ihr gekommen, ſeiner Liebe Bruſt
22 ihren Lippen zu reichen, kreideweißen Antlitzes ent⸗
weicht,
wie vor dem Wolfe, der ſie zerreißen will?

Nun denn, ſo walte, Hekate, Fuͤrſtinn des Zaubers, 435
moorduftige Koͤniginn der Nacht!
Sproßt, ihr daͤmo⸗
niſchen
Kraͤfte, die die menſchliche Satzung ſonſt aus⸗
zujaͤten
bemuͤht war, bluͤht auf, unter dem Athem
der Hexen, und ſchoßt zu Waͤldern empor, daß die
Wipfel ſich zerſchlagen, und die Pflanze des Himmels, 440
die am Boden keimt, verweſe; rinnt, ihr Saͤfte der
Hoͤlle, troͤpfelnd aus Staͤmmen und Stielen gezo⸗
gen,
fallt, wie ein Katarakt, ins Land, daß der
erſtickende Peſtqualm zu den Wolken empordampft;
fließt und ergießt euch durch alle Roͤhren des Lebens, 445
und ſchwemmt, in allgemeiner Suͤndfluth, Unſchuld
und Tugend hinweg!

Graf Otto.

Hat er ihr Gift eingefloͤßt?

Wenzel. 450

Meinſt du, daß er ihr verzauberte Traͤnke gereicht?

Hans.

Opiate, die des Menſchen Herz, der ſie genießt,
mit geheimnißvoller Gewalt umſtricken?

Theobald. 455

Gift? Opiate? Ihr hohen Herren, was fragt
ihr mich? Ich habe die Flaſchen nicht gepfropft, von
welchen er ihr, an der Wand des Felſens, zur Erfri⸗
23 ſchung
reichte; ich ſtand nicht dabei, als ſie in der
Herberge, Nacht fuͤr Nacht, in ſeinen Staͤllen ſchlief.
460
Wie ſoll ich wiſſen, ob er ihr Gift eingefloͤßt? habt
neun Monate Geduld; alsdann ſollt ihr ſehen, wies
ihrem jungen Leibe bekommen, bekommen iſt.

Der Graf vom Strahl.

Der alte Eſel, der! Dem entgegn’ ich nichts, als 465
meinen Namen!
Ruft ſie herein; und wenn ſie ein
Wort ſagt, auch nur von fern duftend, wie dieſe
Gedanken, ſo nennt mich den Grafen von der ſtin⸗
kenden
Pfuͤtze, oder wie es ſonſt eurem gerechten Un⸗
willen
beliebt.
470

Zweiter Auftritt.

Kaͤthchen (mit verbundenen Augen, gefuͤhrt von) zwei Haͤ⸗
ſchern
— Die Haͤſcher (nehmen ihr das Tuch ab, und
gehen wieder fort).
— Die Vorigen.
Kaͤthchen (ſieht ſich in der Verſammlung um, und beugt, 475
da ſie den Grafen erblickt eine erblickt, ein Knie vor ihm).

Mein hoher Herr!
Der Graf vom Strahl.
Was willſt du?
Kaͤthchen. 480
Vor meinen Richter hat man mich gerufen.
24 Der Graf vom Strahl.
Dein Richter bin nicht ich. Steh auf, dort ſitzt er;
Hier ſteh ich, ein Verklagter, ſo wie du.
Kaͤthchen. 485
Mein hoher Herr! Du ſpotteſt.
Der Graf vom Strahl.
Nein! Du hoͤrſt!
Was neigſt du mir dein Angeſicht in Staub?
Ein Zaubrer bin ich, und geſtand es ſchon, 490
Und laß, aus jedem Band, das ich dir wirkte,
Jetzt deine junge Seele los.
(er erhebt ſie).
Graf Otto.
Hier Jungfrau, wenn’s beliebt; hier iſt die Schranke! 495
Hans.
Hier ſitzen deine Richter!
Kaͤthchen (ſieht ſich um).
Ihr verſucht mich.
Wenzel. 500
Hier tritt heran! Hier ſollſt du Rede ſtehn.
Kaͤthchen (ſtellt ſich neben den Grafen vom Strahl,
und ſieht die Richter an).

Graf Otto.
Nun? 505
Wenzel.
Wirds?
25 Hans.
Wirſt du gefaͤllig dich bemuͤhn?
Graf Otto. 510
Wirſt dem Gebot dich deiner Richter fuͤgen?
Kaͤthchen (fuͤr ſich).
Sie rufen mich.
Wenzel.
Nun, ja! 515
Hans.
Was ſagte ſie?
Graf Otto (befremdet).
Ihr Herrn, was fehlt dem ſonderbaren Weſen?
(ſie ſehen ſich an) 520
Kaͤthchen (fuͤr ſich).
Vermummt von Kopf zu Fuͤßen ſitzen ſie,
Wie das Gericht, am juͤngſten Tage, da!
Der Graf vom Strahl (ſie aufweckend).
Du wunderliche Maid! Was traͤumſt, was treibſt 525
du?
Du ſtehſt hier vor dem heimlichen Gericht!
Auf jene boͤſe Kunſt bin ich verklagt,
Mit der ich mir, du weißt, dein Herz gewann,
Geh hin, und melde jetzo, was geſchehn! 530
Kaͤthchen (ſieht ihn an und legt ihre Haͤnde auf die Bruſt).
— Du quaͤlſt mich grauſam, das daß ich weinen
moͤgte!
26 Belehre deine Magd, mein edler Herr,
Wie ſoll ich mich in dieſem Falle faſſen? 535
Graf Otto (ungeduldig).
Belehren — was!
Hans.
Bei Gott! Iſt es erhoͤrt?
Der Graf vom Strahl (mit noch milder Strenge). 540
Du ſollſt ſogleich vor jene Schranke treten,
Und Rede ſtehn, auf was man fragen wird!
Kaͤthchen.
Nein, ſprich! Du biſt verklagt?
Der Graf vom Strahl. 545
Du hoͤrſt.
Kaͤthchen.
Und jene Maͤnner dort ſind deine Richter?
Der Graf vom Strahl.
So iſt’s. 550
Kaͤthchen (zur Schranke tretend).
Ihr wuͤrd’gen Herrn, wer ihr auch ſein moͤgt
dort,
Steht gleich vom Richtſtuhl auf und raͤumt ihn dieſem!
Denn, beim lebend’gen Gott, ich ſag’ es euch, 555
Rein, wie ſein Harniſch iſt ſein Herz, und eures
Verglichen ihm, und meins, wie eure Maͤntel.
Wenn hier geſuͤndigt ward, iſt er der Richter,
Und ihr ſollt zitternd vor der Schranke ſtehn!
27 Graf Otto. 560
Du, Naͤrrinn, juͤngſt der Nabelſchnur entlau⸗
fen,

Woher kommt die prophet’ſche Kunde dir?
Welch ein Apoſtel hat dir das vertraut?
Theobald. 565
Seht die Unſeelige!
Kaͤthchen (da ſie den Vater erblickt, auf ihn zugehend).
Mein theurer Vater!
(ſie will ſeine Hand ergreifen).
Theobald (ſtreng). 570
Dort iſt der Ort jetzt, wo du hingehoͤrſt!
Kaͤthchen.
Weis’ mich nicht von dir.
(ſie faßt ſeine Hand und kuͤßt ſie).
Theobald. 575
— Kennſt du das Haar noch wieder,
Das deine Flucht mir juͤngſthin grau gefaͤrbt?
Kaͤthchen.
Kein Tag verging, daß ich nicht einmal dachte,
Wie ſeine Locken fallen. Sei geduldig, 580
Und gieb dich nicht unmaͤß’gem Grame Preis:
Wenn Freude Locken wieder dunkeln kann,
So ſollſt du wieder wie ein Juͤngling bluͤhn.
Graf Otto.
Ihr Haͤſcher dort! ergreift ſie! bringt ſie her! 585
28 Theobald.
Geh’ hin, wo man dich ruft.
Kaͤthchen (zu den Richtern, da ſich ihr die Haͤſcher naͤhern).
Was wollt ihr mir?
Wenzel. 590
Saht ihr ein Kind, ſo ſtoͤrrig je, als dies?
Graf Otto (da ſie vor der Schranke ſteht).
Du ſollſt hier Antwort geben, kurz und buͤndig,
Auf unſre Fragen! Denn wir, von unſere[m] unſerem Das ›m‹ ist kopfstehend montiert.
Gewiſſen eingeſetzt, ſind deine Richter, 595
Und an der Strafe, wenn du frevelteſt,
Wird’s deine uͤbermuͤth’ge Seele fuͤhlen.
Kaͤthchen.
Sprecht ihr verehrten Herrn; was wollt ihr wiſſen?
Graf Otto. 600
Warum, als Friedrich Graf vom Strahl erſchien,
In deines Vaters Haus, biſt du zu Fuͤßen,
Wie man vor Gott thut, nieder ihm geſtuͤrzt?
Warum warfſt du, als er von dannen ritt,
Dich aus dem Fenſter ſinnlos auf die Straße, 605
Und folgteſt ihm, da kaum dein Bein vernarbt,
Von Ort zu Ort, durch Nacht und Graus und
Nebel,
Wohin ſein Roß den Fußtritt wendete?
Kaͤthchen (hochroth zum Grafen). 610
Das ſoll ich hier vor dieſen Maͤnnern ſagen?
29 Der Graf vom Strahl.
Die Naͤrrin, die verwuͤnſchte, ſinnverwirrte,
Was fragt ſie mich? Iſts nicht an jener Maͤnner
Gebot, die Sache darzuthun, genug? 615
Kaͤthchen (in Staub niederfallend).
Nimm mir, o Herr, das Leben, wenn ich fehlte!
Was in des Buſens ſtillem Reich geſchehn,
Und Gott nicht ſtraft, das braucht kein Menſch zu
wiſſen; 620
Den nenn’ ich grauſam, der mich darum fragt!
Wenn du es wiſſen willſt, wohlan, ſo rede,
Denn dir liegt meine Seele offen da!
Hans Hans.
Ward, ſeit die Welt ſteht, ſo etwas erlebt? 625
Wenzel.
Im Staub liegt ſie vor ihm —
Hans.
Geſtuͤrzt auf Knieen —
Wenzel. 630
Wie wir vor dem Erloͤſer hingeſtreckt!
Der Graf vom Strahl (zu den Richtern).
Ihr wuͤrd’gen Herrn, ihr rechnet hoff ich, mir
Nicht dieſes Maͤdchens Thorheit an! Daß ſie
Ein Wahn bethoͤrt, iſt klar, wenn euer Sinn 635
Auch gleich, wie meiner, noch nicht einſieht, welcher?
Erlaubt ihr mir, ſo frag ich ſie darum:
30 Ihr moͤgt, aus meinen Wendungen entnehmen,
Ob meine Seele ſchuldig iſt, ob nicht?
Graf Otto (ihn forſchend anſehend). 640
Es ſei! Verſuchts einmal, Herr Graf, und fragt
ſie.
Der Graf vom Strahl (wendet ſich zu Kaͤthchen,
die noch immer auf Knieen liegt).

Willt den geheimſten der Gedanken mir, 645
Kathrina, der dir irgend, faſs mich wohl,
Im Winkel wo des Herzens ſchlummert, geben?
Kaͤthchen.
Das ganze Herz, o Herr, dir, willt du es,
So biſt du ſicher deß, was darin wohnt. 650
Der Graf vom Strahl.
Was iſts, mit einem Wort, mir rund geſagt,
Das dich aus deines Vaters Hauſe trieb?
Was feſſelt dich an meine Schritte an?
Kaͤthchen. 655
Mein hoher Herr! Da fragſt du mich zuviel.
Und laͤg’ ich ſo, wie ich vor dir jetzt liege,
Vor meinem eigenen Bewuſtſein da:
Auf einem goldnen Richtſtuhl laß es thronen,
Und alle Schrecken des Gewiſſens ihm, 660
Im In Flammenruͤſtungen, zur Seite ſtehn;
So ſpraͤche jeglicher Gedanke noch,
Auf das, was du gefragt: ich weiß es nicht.
31 Der Graf vom Strahl.
Du luͤgſt mir, Jungfrau? Willſt mein Wiſſen taͤuſchen? 665
Mir, der doch das Gefuͤhl dir ganz umſtrickt;
Mir, deſſen Blick du da liegſt, wie die Roſe,
Die ihren jungen Kelch dem Licht erſchloß? —
Was hab ich dir einmal, du weißt, gethan?
Was iſt an Leib und Seel’ dir widerfahren? 670
Kaͤthchen.
Wo?
Der Graf vom Strahl.
Da oder dort.
Kaͤthchen. 675
Wann?
Der Graf vom Strahl.
Juͤngſt oder fruͤherhin.
Kaͤthchen.
Hilf mir, mein hoher Herr. 680
Der Graf vom Strahl.
Ja, ich dir helfen,
Du wunderliches Ding. —
(er haͤlt inne).
Beſinnſt du dich auf nichts? 685
Kaͤthchen (ſieht vor ſich nieder).
Der Graf vom Strahl.
Was fuͤr ein Ort, wo du mich je geſehen,
Iſt dir im Geiſt, vor Andern, gegenwaͤrtig.
32 Kaͤthchen. 690
Der Rhein iſt mir vor allen gegenwaͤrtig.
Der Graf vom Strahl.
Ganz recht. Da eben wars. Das wollt ich
wiſſen.
Der Felſen am Geſtad’ des Rheins, wo wir 695
Zuſammen ruhten, in der Mittagshitze.
— Und du gedenkſt nicht, was dir da geſchehn?
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr, Herr.
Der Graf vom Strahl. 700
Nicht? Nicht?
— Was reicht’ ich deiner Lippe zur Erfriſchung?
Kaͤthchen.
Du ſandteſt, weil ich deines Weins verſchmaͤhte,
Den Gottſchalk, deinen treuen Knecht, und ließeſt 705
Ihn einen Trunk mir, aus der Grotte ſchoͤpfen.
Der Graf vom Strahl.
Ich aber nahm dich bei der Hand, und reichte
Sonſt deiner Lippe — nicht? Was ſtockſt du da?
Kaͤthchen. 710
Wann?
Der Graf vom Strahl.
Eben damals.
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr. 715
Der 33 Der Graf vom Strahl.
Jedoch nachher.
Kaͤthchen.
In Straßburg?
Der Graf vom Strahl. 720
Oder fruͤher.
Kaͤthchen.
Du haſt mich niemals bei der Hand genommen.
Der Graf vom Strahl.
Kathrina! 725
Kaͤthchen (erroͤthend).
Ach vergieb mir; in Heilbronn!
Der Graf vom Strahl.
Wann?
Kaͤthchen. 730
Als der Vater dir am Harniſch wirkte.
Der Graf vom Strahl.
Und ſonſt nicht?
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr. 735
Der Graf vom Strahl.
Kathrina!
Kaͤthchen.
Mich bei der Hand?
Der Graf vom Strahl. 740
Ja, oder ſonſt, was weiß ich.
[ 3 ] 34 Kaͤthchen (beſinnt ſich).
In Straßburg einſt, erinnr’ ich mich, beim Kinn.
Der Graf vom Strahl.
Wann? 745
Kaͤthchen.
Als ich auf der Schwelle ſaß und weinte,
Und dir auf was du ſprachſt, nicht Rede ſtand.
Der Graf vom Strahl.
Warum nicht ſtandſt du Red’? 750
Kaͤthchen.
Ich ſchaͤmte mich.
Der Graf vom Strahl.
Du ſchaͤmteſt dich? Ganz recht. Auf meinen
Antrag. 755
Du wardſt gluthroth bis an den Hals hinab.
Welch einen Antrag macht’ ich dir?
Kaͤthchen.
Der Vater,
Der wuͤrd’, ſprachſt du, daheim im Schwabenland’, 760
Um mich ſich haͤrmen, und befragteſt mich,
Ob ich mit Pferden, die du ſenden wollteſt,
Nicht nach Heilbronn zu ihm zuruͤck begehrte?
Der Graf vom Strahl (kalt).
Davon iſt nicht die Rede! — Nun, wo auch, 765
Wo hab’ ich ſonſt im Leben dich getroffen?
— Ich hab’ im Stall zuweilen dich beſucht.
35 Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr.
Der Graf vom Strahl. 770
Nicht? Katharina!
Kaͤthchen.
Du haſt mich niemals in dem Stall beſucht,
Und noch viel wen’ger ruͤhrteſt du mich an.
Der Graf vom Strahl. 775
Was! Niemals?
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr.
Der Graf vom Strahl.
Kathrina! 780
Kaͤthchen (mit Affect).
Niemals, mein hochverehrter Herr, niemals.
Der Graf vom Strahl.
Nun ſeht, bei meiner Treu, die Luͤgnerinn!
Kaͤthchen. 785
Ich will nicht ſeelig ſeyn, ich will verderben,
Wenn du mich je —!
Der Graf vom Strahl (mit dem Schein der
Heftigkeit).

Da ſchwoͤrt ſie und verflucht 790
Sich, die leichtfert’ge Dirne, noch und meint,
Gott werd’ es ihrem jungen Blut vergeben!
— Was iſt geſchehn, fuͤnf Tag’, emendiert in ›Tag’‹ emendiert in ›Tag’‹ von hier, am Abend,
36 In meinem Stall, als es ſchon dunkelte,
Und ich den Gottſchalk hieß, ſich zu entfernen? 795
Kaͤthchen.
O! Jeſus! Ich bedacht’ es nicht! —
Im Stall zu Strahl, da haſt du mich beſucht.
Der Graf vom Strahl.
Nun denn! Da iſt’s heraus! Da hat ſie nun 800
Der Seelen Seeligkeit ſich weggeſchworen!
Im Stall zu Strahl, da hab’ ich ſie beſucht!
Kaͤthchen (weint).
(Pauſe).
Graf Otto. 805
Ihr quaͤlt das Kind zu ſehr.
Theobald (naͤhert ſich ihr geruͤhrt).
Komm, meine Tochter.
(Er will ſie an ſeine Bruſt heben).
Kaͤthchen. 810
Laß, laß!
Wenzel.
Das nenn’ ich menſchlich nicht verfahren.
Graf Otto.
Zuletzt iſt nichts im Stall zu Strahl geſchehen. 815
Der Graf vom Strahl (ſieht ſie an).
Bei Gott, ihr Herrn, wenn ihr des Glaubens
ſeid:
Ich bin’s! Befehlt, ſo gehn wir aus einander.
37 Graf Otto. 820
Ihr ſollt das Kind befragen, iſt die Meinung,
Nicht mit barbariſchem Triumph verhoͤhnen.
Sei’s, daß Natur euch ſolche Macht verliehen:
Geuͤbt wie ihr’s thut, iſt ſie haſſenswuͤrd’ger,
Als ſelbſt die Hoͤllenkunſt, der man euch zeiht. 825
Der Graf vom Strahl (erhebt das Kaͤthchen vom Boden).
Ihr Herrn, was ich gethan, das that ich nur,
Sie mit Triumph hier vor euch zu erheben!
Statt meiner —
(auf den Boden hinzeigend). 830
ſteht mein Handſchuh vor Gericht!
Glaubt ihr von Schuld ſie rein, wie ſie es iſt,
Wohl, ſo erlaubt denn, daß ſie ſich entferne.
Wenzel.
Es ſcheint ihr habt viel Gruͤnde, das zu wuͤn⸗835
ſchen?

Der Graf vom Strahl.
Ich? Gruͤnd’? Entſcheidende! Ihr wollt ſie, hoff’
ich,
Nicht mit barbarſchem Uebermuth verhoͤhnen? 840
Wenzel (mit Bedeutung).
Wir wuͤnſchen doch, erlaubt ihrs, noch zu hoͤren,
Was in dem Stall damals zu Strahl geſchehn.
Der Graf vom Strahl.
Das wollt ihr Herrn noch —? 845
38 Wenzel.
Allerdings!
Der Graf vom Strahl (glutroth, indem er ſich
zum Kaͤthchen wendet).

Knie’ nieder! 850
Kaͤthchen (laͤßt ſich auf Knieen vor ihm nieder).
Graf Otto.
Ihr ſeid ſehr dreiſt, Herr Friedrich Graf vom
Strahl!
Der Graf vom Strahl (zum Kaͤthchen). 855
So! Recht! Mir giebſt du Antwort und ſonſt
keinem.
Hans.
Erlaubt! Wir werden ſie —
Der Graf vom Strahl (eben ſo). 860
Du ruͤhrſt dich nicht!
Hier ſoll dich keiner richten, als nur der,
Dem deine Seele frei ſich unterwirft.
Wenzel.
Herr Graf, man wird hier Mittel — 865
Der Graf vom Strahl (mit unterdruͤckter Heftigkeit).
Ich ſage, nein!
Der Teufel ſoll mich holen, zwingt ihr ſie! —
Was wollt ihr wiſſen, ihr verehrten Herrn?
Hans (auffahrend). 870
Beim Himmel!
39 Wenzel.
Solch ein Trotz ſoll —!
Hans.
He! Die Haͤſcher! 875
Graf Otto (halblaut).
Laßt, Freunde, laßt! Vergeßt nicht, wer er iſt.
Erſter Richter.
Er hat nicht eben, druͤckt Verſchuldung ihn,
Mit Liſt ſie uͤberhoͤrt. 880
Zweiter Richter.
Das ſag’ ich auch!
Man kann ihm das Geſchaͤft wohl uͤberlaſſen.
Graf Otto (zum Grafen vom Strahl).
Befragt ſie, was geſchehn, fuͤnf Tag’ von hier, 885
Im Stall zu Strahl, als es ſchon dunkelte,
Und ihr den Gottſchalk hießt, ſich zu entfernen?
Der Graf vom Strahl (zum Kaͤthchen).
Was iſt geſchehn, fuͤnf Tage von hier, am Abend,
Im Stall zu Strahl, als es ſchon dunkelte, 890
Und ich den Gottſchalk hieß, ſich zu entfernen?
Kaͤthchen.
Mein hoher Herr! Vergieb mir, wenn ich fehlte;
Jetzt leg’ ich Alles, Punkt fuͤr Punkt, dir dar.
Der Graf vom Strahl. 895
Gut. — — Da beruͤhrt’ ich dich und zwar —
nicht? Freilich!
Das ſchon geſtand’ſt du?
40 Kaͤthchen.
Ja, mein verehrter Herr. 900
Der Graf vom Strahl.
Nun?
Kaͤthchen.
Mein verehrter Herr?
Der Graf vom Strahl. 905
Was will ich wiſſen?
Kaͤthchen.
Was du willſt wiſſen?
Der Graf vom Strahl.
Heraus damit! Was ſtockſt du? 910
Ich nahm, und herzte dich, und kuͤßte dich,
Und ſchlug den Arm dir —?
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr.
Der Graf vom Strahl. 915
Was ſonſt?
Kaͤthchen.
Du ſtießeſt mich mit Fuͤßen von dir.
Der Graf vom Strahl.
Mit Fuͤßen? Nein! Das thu’ ich keinem Hund. 920
Warum? Weshalb? Was hatt’ſt du mir gethan?
Kaͤthchen.
Weil ich dem Vater, der voll Huld und Guͤte,
Gekommen war, mit Pferden, mich zu holen,
41 Den Ruͤcken, voller Schrecken, wendete, 925
Und mit der Bitte, mich vor ihm zu ſchuͤtzen
Im Staub vor dir bewuſtlos nieder ſank.
Der Graf vom Strahl.
Da haͤtt’ ich dich mit Fuͤßen weggeſtoßen?
Kaͤthchen. 930
Ja, mein verehrter Herr.
Der Graf vom Strahl.
Ei, Poſſen, was!
Das war nur Schelmerei, des Vaters wegen.
Du bliebſt doch nach wie vor im Schloß zu Strahl. 935
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr.
Der Graf vom Strahl.
Nicht? Wo auch ſonſt?
Kaͤthchen. 940
Als du die Peitſche, flammenden Geſichts,
Herab vom Riegel nahmſt, ging ich hinaus,
Vor das bemoos’te Thor, und lagerte
Mich draußen, am zerfallnen Mauernring
Wo in ſuͤßduftenden Hollunderbuͤſchen 945
Ein Zeiſig zwitſchernd ſich das Neſt gebaut.
Der Graf vom Strahl.
Hier aber jagt’ ich dich mit Hunden weg?
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr. 950
42 Der Graf vom Strahl.
Und als du wichſt,
Verfolgt vom Hundgeklaff, von meiner Grenze,
Rief ich den Nachbar auf, dich zu verfolgen?
Kaͤthchen. 955
Nein, mein verehrter Herr! Was ſprichſt du da?
Der Graf vom Strahl.
Nicht? Nicht? — Das werden dieſe Herren ta⸗
deln.

Kaͤthchen. 960
Du kuͤmmerſt dich um dieſe Herren nicht.
Du ſandteſt Gottſchalk mir am dritten Tage,
Daß er mir ſag’: dein liebes Kaͤthchen waͤr’ ich;
Vernuͤnftig aber moͤgt’ ich ſein, und gehn.
Der Graf vom Strahl. 965
Und was entgegneteſt du dem?
Kaͤthchen.
Ich ſagte,
Den Zeiſig litteſt du, den zwitſchernden,
In den ſuͤßduftenden Hollunderbuͤſchen: 970
Moͤgt’ſt denn das Kaͤthchen von Heilbronn auch
leiden.
Der Graf vom Strahl (erhebt das Kaͤthchen).
Nun dann, ſo nehmt ſie hin, ihr Herrn der Vehme,
Und macht mit ihr und mir jetzt, was ihr wollt. 975
(Pauſe).
43 Graf Otto (unwillig).
Der aberwitz’ge Traͤumer, unbekannt
Mit dem gemeinen Zauber der Natur! —
Wenn euer Urtheil reif, wie meins, ihr Herrn, 980
Geh’ ich zum Schluß, und laß die Stimmen ſammeln.
Wenzel.
Zum Schluß!
Hans.
Die Stimmen! 985
Alle.
Sammelt ſie!
Ein Richter.
Der Narr, der!
Der Fall iſt klar. Es iſt hier nichts zu richten. 990
Graf Otto.
Vehm-Herold nimm den Helm und ſammle ſie.
Vehm-Herold (ſammelt die Kugeln und bringt den
Helm, worin ſie liegen, dem Grafen).

Graf Otto (ſteht auf) 995
Herr Friedrich Wetter Graf vom Strahl, du biſt
Einſtimmig von der Vehme losgeſprochen,
Und dir dort, Theobald, dir geb’ ich auf,
Nicht fuͤrder mit der Klage zu erſcheinen,
Bis du kannſt beſſere Beweiſe bringen. 1000
(zu den Richtern)
Steht auf, ihr Herrn! die Sitzung iſt geſchloſſen.
44 Die Richter (erheben ſich).
Theobald.
Ihr hochverehrten Herrn, ihr ſprecht ihn ſchuldlos? 1005
Gott ſagt ihr, hat die Welt aus nichts gemacht;
Und er, der ſie durch nichts und wieder nichts
Vernichtet, in das erſte Chaos ſtuͤrzt,
Der ſollte nicht der leid’ge Satan ſein?
Graf Otto. 1010
Schweig, alter, grauer Thor! Wir ſind nicht da,
Dir die verruͤckten Sinnen einzurenken.
Vehm-Haͤſcher, an dein Amt! Blend’ ihm die Au⸗
gen,

Und fuͤhr’ ihn wieder auf das Feld hinaus. 1015
Theobald.
Was! Auf das Feld? Mich hilflos greiſen Alten?
Und dies mein einzig liebes Kind, — ?
Graf Otto.
Herr Graf, 1020
Das uͤberlaͤßt die Vehme euch! Ihr zeigtet
Von der Gewalt, die ihr hier uͤbt, ſo manche
Beſondre Probe uns; laßt uns noch eine,
Die groͤßeſte, bevor wir ſcheiden ſcheiden, ſehn,
Und gebt ſie ihrem alten Vater wieder. 1025
Der Graf vom Strahl.
Ihr Herrn, was ich thun kann, ſoll geſchehn. —
Jungfrau!
45 Kaͤthchen.
Mein hoher Herr! 1030
Der Graf vom Strahl.
Du liebſt mich?
Kaͤthchen.
Herzlich!
Der Graf vom Strahl. 1035
So thu mir was zu Lieb’.
Kaͤthchen.
Was willſt du? Sprich.
Der Graf vom Strahl.
Verfolg’ mich nicht. Geh nach Heilbronn zuruͤck. 1040
— Willſt du das thun?
Kaͤthchen.
Ich hab es dir verſprochen.
(ſie faͤllt in Ohnmacht).
Theobald (empfaͤngt ſie). 1045
Mein Kind! Mein Einziges! Hilf, Gott im
Himmel!
Der Graf vom Strahl (wendet ſich).
Dein Tuch her, Haͤſcher!
(er verbindet ſich die Augen). 1050
Theobald.
O verflucht ſei,
Mordſchaunder Baſiliſkengeiſt! Mußt’ ich
Auch dieſe Probe deiner Kunſt noch ſehn?
46 Graf Otto (vom Richtſtuhl herabſteigend). 1055
Was iſt geſchehn, ihr Herrn?
Wenzel.
Sie ſank zu Boden.
(Sie betrachten ſie).
Graf vom Strahl (zu den Haͤſchern). 1060
Fuͤhrt mich hinweg!
Theobald.
Der Hoͤlle zu, du Satan!
Laß ihre ſchlangenhaar’gen Pfoͤrtner dich
An ihrem Eingang, Zauberer, ergreifen, 1065
Und dich zehntauſend Klafter tiefer noch,
Als ihr ihre wildſten wild’ſten [nicht emendiert] [nicht emendiert] Flammen lodern, ſchleudern!
Graf Ottto. Otto.
Schweig Alter, ſchweig!
Theobald. (weint). 1070
Mein Kind! Mein Kaͤthchen!
Kaͤthchen.
Ach!
Wenzel Wenzel. (freudig).
Sie ſchlaͤgt die Augen auf! 1075
Hans.
Sie wird ſich faſſen.
Graf Otto.
Bringt in des Pfoͤrtners Wohnung ſie! Hinweg!
(Alle ab). 1080
47

Zweiter Act.

Scene. Wald vor der Hoͤhle des heimlichen Gerichts.

Erſter Auftritt.

Der Graf vom Strahl (tritt auf, mit verbundenen Augen,
gefuͤhrt von zwei Haͤſchern, die ihm die Augen aufbinden, und 1085
alsdann in die Hoͤhle zuruͤckkehren —
Er wirft ſich auf den
Boden nieder und weint).

Nun will ich hier, wie ein Schaͤfer liegen und kla⸗
gen.
Die Sonne ſcheint noch roͤthlich durch die Staͤm⸗
me,
auf welchen die Wipfel des Waldes ruhn; und 1090
wenn ich, nach einer kurzen Viertelſtunde, ſo bald ſie
hinter den Huͤgel geſunken iſt, aufſitze, und mich im
Blachfelde, wo der Weg eben iſt, ein wenig daran
halte, ſo komme ich noch nach Schloß Wetterſtrahl,
ehe die Lichter darin erloſchen ſind.
Ich will mir ein⸗1095
bilden,
meine Pferde dort unten, wo die Quelle rie⸗
ſelt,
waͤren Schaafe und Ziegen, die an dem Felſen
kletterten, und an Graͤſern und bittern Geſtraͤuchen
riſſen; ein leichtes weißes linnenes Zeug bedeckte mich,
mit rothen Baͤndern zuſammengebunden, und um 1100
48 mich her flatterte eine Schaar muntrer Winde, um die
Senfzer, Seufzer, die meiner, von Gram ſehr gepreßten, Bruſt
entquillen, gradaus zu der guten Goͤtter Ohr empor
zu tragen.
Wirklich und wahrhaftig! Ich will meine
Mutterſprache durchblaͤttern, und das ganze, reiche 1105
Kapitel, das dieſe Ueberſchrift fuͤhrt: Empfindung,
dergeſtalt pluͤndern, daß kein Reimſchmidt mehr, auf
eine neue Art, ſoll ſagen koͤnnen: ich bin betruͤbt.

Alles, was die Wehmuth Ruͤhrendes hat, will ich auf⸗
bieten,
Luſt und in den Tod gehende Betruͤbniß ſollen 1110
ſich abwechſeln, und meine Stimme, wie einen ſchoͤnen
Taͤnzer, durch alle Beugungen hindurch fuͤhren, die
die Seele bezaubern; und wenn die Baͤume nicht in
der That bewegt werden, und ihren milden Thau, als
ob es geregnet haͤtte, herabtraͤufeln laſſen, ſo ſind ſie 1115
von Holz, und Alles, was uns die Dichter von ihnen
ſagen, ein bloßes liebliches Maͤhrchen.
O du — — —
wie nenn ich dich?
Kaͤthchen! Warum kann ich dich
nicht mein nennen?
Kaͤthchen, Maͤdchen, Kaͤthchen!
Warum kann ich dich nicht mein nennen? Warum 1120
kann ich dich nicht aufheben, und in das duftende
Himmelbett tragen, das mir die Mutter, daheim im
Prunkgemach, aufgerichtet hat?
Kaͤthchen, Kaͤthchen,
Kaͤthchen!
Du, deren junge Seele, als ſie heut nackt
vor mir ſtand, von wolluͤſtiger Schoͤnheit gaͤnzlich 1125
triefte, wie die mit Oelen geſalbte Braut eines Per⸗
ſer- 49 ſerkoͤnigs,
wenn ſie, auf alle Teppiche niederregnend,
in ſein Gemach gefuͤhrt wird!
Kaͤthchen, Maͤdchen,
Kaͤthchen!
Warum kann ich es nicht? Du Schoͤnere,
als ich ſingen kann, ich will eine eigene Kunſt erfinden, 1130
und dich weinen.
Alle Phiolen der Empfindung, himm⸗
liſche
und irdiſche, will ich eroͤffnen, und eine ſolche
Miſchung von Thraͤnen, einen Erguß ſo eigenthuͤm⸗
licher
Art, ſo heilig zugleich und uͤppig, zuſammen⸗
ſchuͤtten,
daß jeder Menſch gleich, an deſſen Hals 1135
ich ſie weine, ſagen ſoll: ſie fließen dem Kaͤthchen
von Heilbronn! — — —
Ihr grauen, baͤrtigen Alten. Alten,
was wollt ihr?
Warum verlaßt ihr eure goldnen
Rahmen, ihr Bilder meiner geharniſchten, Vaͤter geharniſchten Vaͤter, die
meinen Ruͤſtſaal bevoͤlkern, und tretet, in unruhiger 1140
Verſammlung, hier um mich herum, eure ehrwuͤrdi⸗
gen
Locken ſchuͤttelnd?
Nein, nein, nein! Zum Weibe,
wenn ich ſie gleich liebe, begehr’ ich ſie nicht; eurem
ſtolzen Reigen will ich mich anſchließen: das war be⸗
ſchloſſne
Sache, noch ehe ihr kamt.
Dich aber, Win⸗1145
fried,
der ihn fuͤhrt, du Erſter meines Namens, Goͤtt⸗
licher
mit der Scheitel des Zevs, dich frag’ ich, ob
die Mutter meines Geſchlechts war, wie dieſe: von
jeder frommen Jugend ſtrahlender, makelloſer an Leib
und Seele, mit jedem Liebreiz geſchmuͤckter, als ſie?
1150
O Winfried! Grauer Alter! Ich kuͤſſe dir die Hand,
und danke dir, daß ich bin; doch haͤtteſt du ſie an
[ 4 ] 50 die ſtaͤhlerne Bruſt gedruͤckt, du haͤtteſt ein Geſchlecht
von Koͤnigen erzeugt, und Wetter vom Strahl hieße
jedes Gebot auf Erden!
Ich weiß, daß ich mich faſ⸗1155
ſen
und dieſe Wunde vernarben werde: denn welche
Wunde vernarbte nicht der Menſch?
Doch wenn ich
jemals ein Weib finde, Kaͤthchen, dir gleich: ſo will
ich die Laͤnder durchreiſen, und die Sprachen der
Welt lernen, und Gott preiſen in jeder Zunge, die 1160
geredet wird. — Gottſchalk!

Zweiter Auftritt.

Gottſchalk. Der Graf vom Strahl.
Gottſchalk (draußen).

Heda! Herr Graf vom Strahl! 1165

Graf vom Strahl.

Was giebts?

Gottſchalk.

Was zum Henker! — — Ein Bote iſt angekom⸗
men
von eurer Mutter.
1170

Der Graf vom Strahl.

Ein Bote?

Gottſchalk.

Geſtreckten Laufs, keuchend, mit verhaͤngtem Zuͤ⸗
gel;
mein Seel, wenn euer Schloß ein eiſerner Bo⸗1175
51 gen
und er ein Pfeil geweſen waͤre, er haͤtte nicht
raſcher herangeſchoſſen werden koͤnnen.

Der Graf vom Strahl.

Was hat er mir zu ſagen?

Gottſchalk. 1180

He! Ritter Franz!

Dritter Auftritt.

Ritter Flammberg (tritt auf). Die Vorigen.
Der Graf vom Strahl.

Flammberg! — Was fuͤhrt dich ſo eilig zu mir her? 1185

Flammberg.

Gnaͤdigſter Herr! eurer Mutter, der Graͤfin, Ge⸗
bot;
ſie befahl mir den beſten Renner zu nehmen,
und euch entgegen zu reiten!

Der Graf vom Strahl. 1190

Nun? Und was bringſt du mir?

Flammberg.

Krieg, bei meinem Eid, Krieg! Ein Aufgebot zu
neuer Fehde, warm, wie ſie es eben von des Herolds
Lippen empfangen hat.
1195

Graf vom Strahl (betreten).

Weſſen? — Doch nicht des Burggrafen, mit dem
ich eben den Frieden abſchloß?

(er ſetzt ſich den Helm auf).
52 Flammberg. 1200

Des Rheingrafen, des Junkers vom Stein, der
unten am weinumbluͤhten Neckar ſeinen Sitz hat.

Der Graf vom Strahl.

Des Rheingrafen! — Was hab ich mit dem Rhein⸗
grafen
zu ſchaffen, Flammberg?
1205

Flammberg.

Mein Seel! Was hattet ihr mit dem Burggrafen
zu ſchaffen?
Und was wollte ſo mancher Andere von
euch, ehe ihr mit dem Burggrafen zu ſchaffen kriegtet?

Wenn ihr den kleinen griechiſchen Feuerfunken nicht 1210
austretet, der dieſe Kriege veranlaßt, ſo ſollt ihr noch
das ganze Schwabengebirge wider euch auflodern ſehen,
und die Alpen und den Hundsruͤck obenein.

Der Graf vom Strahl.

Es iſt nicht moͤglich! Fraͤulein Kunigunde — 1215

Flammberg.

Der Rheingraf fordert, im Namen Fraͤulein Kuni⸗
gundens
von Thurneck, den Wiederkauf eurer Herr⸗
ſchaft
Stauffen; jener drei Staͤdtlein und ſiebzehn
Doͤrfer und Vorwerker, eurem Vorfahren Otto, von 1220
Peter, dem ihrigen, unter der beſagten Clauſel, kaͤuf⸗
lich
abgetreten; grade ſo, wie dies der Burggraf von
Freiburg, und, in fruͤheren Zeiten ſchon ihre Vettern,
in ihrem Namen gethan haben.

Der Graf vom Strahl (ſteht auf). 1225

Die raſende Megaͤre! Iſt das nicht der dritte
53 Reichsritter, den ſie mir, einem Hund’ gleich, auf
den Hals hetzt, um mir dieſe Landſchaft abzujagen!

Ich glaube, das ganze Reich frißt ihr aus der Hand.
Kleopatra fand Einen, und als der ſich den Kopf zer⸗1230
ſchellt
hatte, ſchauten die Anderen; doch ihr dient
Alles, was eine Ribbe weniger hat, als ſie, und fuͤr
jeden Einzelnen, den ich ihr zerzauſ’t zuruͤckſende, ſte⸗
hen
zehn Andere wider mich auf — Was fuͤhrt’ er
fuͤr Gruͤnde an?
1235

Flammberg.

Wer? Der Herold?

Graf vom Strahl.

Was fuͤhrt’ er fuͤr Gruͤnde an?

Flammberg. 1240

Ei, geſtrenger Herr, da haͤtt’ er ja roth werden
muͤſſen.

Der Graf vom Strahl.

Er ſprach von Peter von Thurneck — nicht?
Und von der Landſchaft unguͤltigem Verkauf? 1245

Flammberg.

Allerdings. Und von den ſchwaͤbiſchen Geſetzen;
miſchte Pflicht und Gewiſſen bei jedem dritten Wort,
in die Rede, und rief Gott zum Zeugen an, daß
nichts als die reinſten Abſichten ſeinen Herrn, den 1250
Rheingrafen, vermoͤgten, des Fraͤuleins Sache zu
ergreifen.

54 Der Graf vom Strahl.

Aber die rothen Wangen der Dame behielt er
fuͤr ſich?
1255

Flammberg.

Davon hat er kein Wort geſagt.

Der Graf vom Strahl.

Daß ſie die Pocken kriegte! Ich wollte, ich koͤnnte
den Nachtthau in Eimern auffaſſen, und uͤber ihren 1260
weißen Hals ausgießen!
Ihr kleines verwuͤnſchtes
Geſicht iſt der letzte Grund aller dieſer Kriege wider
mich; und ſo lange ich den Maͤrzſchnee nicht vergif⸗
ten
kann, mit welchem ſie ſich waͤſcht, hab’ ich auch
vor den Rittern des Landes keine Ruhe.
Aber Ge⸗1265
duld
nur! —
Wo haͤlt ſie ſich jetzt auf?

Flammberg.

Auf der Burg zum Stein, wo ihr ſchon ſeit drei
Tagen Prunkgelage gefeiert werden, daß die Feſte
des Himmels erkracht, und Sonne, Mond und Sterne 1270
nicht mehr angeſehen werden.
Der Burggraf, den
ſie verabſchiedet hat, ſoll Rache kochen, und wenn
ihr einen Boten an ihn abſendet, ſo zweifl’ ich nicht,
er zieht mit euch gegen den Rheingrafen zu Felde.

Graf vom Strahl. 1275

Wohlan! Fuͤhrt mir die Pferde vor, ich will rei⸗
ten.
—
Ich habe dieſer jungen Aufwieglerin verſpro⸗
chen,
wenn ſie die Waffen ihres kleinen ſchelmiſchen
55 Angeſichts nicht ruhen ließe wider mich, ſo wuͤrd’
ich ihr einen Poſſen zu ſpielen wiſſen, daß ſie es ewig 1280
in einer Scheide tragen ſollte; und ſo wahr ich dieſe
Rechte aufhebe, ich halte Wort! —
Folgt mir, meine
Freunde!

(Alle ab).

Scene. Koͤhlerhuͤtte im Gebirg. Nacht, Donner und Blitz. 1285

Vierter Auftritt.

Burggraf von Freiburg und Georg von Wald⸗
ſtaͤdten
[emendiert in ›Waldstätten‹] [emendiert in ›Waldstätten‹] (treten auf).

Freiburg (in die Scene rufend).

Hebt ſie vom Pferd’ herunter! — (Blitz und Donner⸗1290
ſchlag).
— Ei, ſo ſchlag’ ein wo du willſt; nur nicht
auf die Scheitel, belegt mit Kreide, meiner lieben
Braut, der Kunigunde von Thurneck!

Eine Stimme (außerhalb)

He! Wo ſeid ihr? 1295

Freiburg.

Hier!

Georg.

Habt ihr jemals eine ſolche Nacht erlebt?

Freiburg. 1300

Das gießt vom Himmel herab, Wipfel und Berg⸗
56 ſpitzen
erſaͤufend, als ob eine zweite Suͤndfluth heran⸗
braͤche.
— Hebt ſie vom Pferd’ herunter!

Eine Stimme (außerhalb).

Sie ruͤhrt ſich nicht. 1305

Eine Andere.

Sie liegt, wie todt, zu des Pferdes Fuͤßen da.

Freiburg.

Ei, Poſſen! Da Das thut ſie bloß, um ihre falſchen
Zaͤhne nicht zu verlieren.
Sagt ihr, ich waͤre der 1310
Burggraf von Freiburg und die aͤchten, die ſie im
Mund’ haͤtte, haͤtte ich gezaͤhlt. —
So! bringt ſie her.

Ritter Schauermann (erſcheint) das Fraͤulein von
Thurneck (auf der Schulter tragend).

Georg. 1315

Dort iſt eine Koͤhlerhuͤtte.

Fuͤnfter Auftritt.

Ritter Schauermann mit dem Fraͤulein, Ritter Wetzlaf
und die Reiſigen des Burggrafen.
Zwei Koͤhler.
Die Vorigen. 1320
Freiburg (an die Koͤhlerhuͤtte klopfend).

Heda!

Der erſte Koͤhler (drinnen).

Wer klopfet?

57 Freiburg. 1325

Frag’ nicht, du Schlingel, und mach’ auf.

Der zweite Koͤhler (eben ſo).

Holla! Nicht eher bis ich den Schluͤſſel umgekehrt
habe.
Wird doch der Kaiſer nicht vor der Thuͤr ſein?

Freiburg. 1330

Hallunke! Wenn nicht der, doch Einer, der hier
regiert, und den Scepter gleich vom Aſt brechen wird,
um’s dir zu zeigen.

Der erſte Koͤhler (auftretend, eine Laterne in der Hand).

Wer ſeid ihr? Was wollt ihr? 1335

Freiburg.

Ein Rittersmann bin ich; und dieſe Dame, die
hier todtkrank herangetragen wird, das iſt —

Schauermann (von hinten).

Das Licht weg! 1340

Wetzlaf.

Schmeißt ihm die Laterne aus der Hand!

Freiburg (indem er ihm die Laterne wegnimmt).

Spitzbube! Du willſt hier leuchten?

Der erſte Koͤhler. 1345

Ihr Herren, ich will hoffen, der Groͤßeſte unter
euch bin ich!
Warum nehmt ihr mir die Laterne
weg?

Der zweite Koͤhler.

Wer ſeid ihr? Und was wollt ihr? 1350

58 Freiburg.

Rittersleute, du Flegel, hab ich dir ſchon geſagt!

Georg.

Wir ſind reiſende Ritter, ihr guten Leute, die das
Unwetter uͤberraſcht hat.
1355

Freiburg. (unterbricht ihn).

Kriegsmaͤnner, die von Jeruſalem kommen, und
in ihre Heimath ziehen; und jene Dame dort, die
herangetragen wird, von Kopf zu Fuß in einem Man⸗
tel
eingewickelt, das iſt —
1360

(Ein Gewitterſchlag).
Der erſte Koͤhler.

Ei, ſo plaͤrr’ du, daß die Wolken reißen! — Von
Jeruſalem, ſagt ihr?

Der zweite Koͤhler. 1365

Man kann vor dem breitmaͤuligen Donner kein
Wort verſtehen.

Freiburg.

Von Jeruſalem, ja.

Der zweite Koͤhler. 1370

Und das Weibſen, das herangetragen wird — ?

Georg (auf den Burggrafen zeigend).

Das iſt des Herren kranke Schweſter, ihr ehrlichen
Leute, und begehrt —

Freiburg (unterbricht ihn). 1375

Das iſt jenes Schweſter, du Schuft, und meine
59 Gemahlin; todtkrank, wie du ſiehſt, von Schloſ⸗
ſen
und Hagel halb erſchlagen, ſo daß ſie kein Wort
vorbringen kann: die begehrt eines Platzes in deiner
Huͤtte, bis das Ungewitter voruͤber und der Tag an⸗1380
gebrochen
iſt.

Der erſte Koͤhler.

Die begehrt einen Platz in meiner Huͤtte?

Georg.

Ja, ihr guten Koͤhler; bis das Gewitter voruͤber 1385
iſt, und wir unſre Reiſe fortſetzen koͤnnen.

Der zweite Koͤhler.

Mein Seel, da habt ihr Worte geſagt, die waren
den Lungenodem nicht werth, womit ihr ſie ausge⸗
ſtoßen.
1390

Der erſte Koͤhler.

Iſaak!

Freiburg.

Du willſt das thun?

Der zweite Koͤhler. 1395

Des Kaiſers Hunden, ihr Herrn, wenn ſie vor
meiner Thuͤr darum heulten. —
Iſaak! Schlingel!
hoͤrſt nicht?

Junge (in der Huͤtte).

He! ſag’ ich. Was giebts? 1400

Der zweite Koͤhler.

Das Stroh ſchuͤttle auf, Schlingel, und die De⸗
60 cken
druͤberhin; ein krank Weibſen wird kommen und
Platz nehmen, in der Huͤtten!
Hoͤrst du?

Freiburg. 1405

Wer ſpricht drin?

Der erſte Koͤhler.

Ei, ein Flachskopf von zehn Jahren, der uns an
die Hand geht.

Freiburg. 1410

Gut. — Tritt heran, Schauermann! hier iſt ein
Knebel losgegangen.

Schauermann.

Wo?

Freiburg. 1415

Gleichviel! — In den Winkel mit ihr hin, dort!
— — Wenn der Tag anbricht, werd ich dich rufen.

(Schauermann traͤgt das Fraͤulein in die Huͤtte).

Sechſter Auftritt.

Die Vorigen (ohne Schauermann und das Fraͤulein.) 1420
Freiburg.

Nun, Georg, alle Saiten des Jubels ſchlag ich
an: wir haben ſie; wir haben dieſe Kunigunde von
Thurneck!
So wahr ich nach meinem Vater getauft
61 bin, nicht um den ganzen Himmel, um den meine 1425
Jugend gebetet hat, geb’ ich die Luſt weg, die mir be⸗
ſcheert
iſt, wenn der morgende Tag anbricht! —.

Warum kamſt du nicht fruͤher von Waldſtaͤdten emendiert in ›Waldstätten‹ emendiert in ›Waldstätten‹ herab?

Georg.

Weil du mich nicht fruͤher rufen ließeſt. 1430

Freiburg.

O, Georg! Du haͤtteſt ſie ſehen ſollen, wie ſie
daher geritten kam, einer Fabel gleich, von den Rit⸗
tern
des Landes umringt, gleich einer Sonne, unter
ihren Planeten!
Wars nicht, als ob ſie zu den Kie⸗1435
ſeln
ſagte, die unter ihr Funken ſpruͤhten: ihr muͤßt
mir ſchmelzen, wenn ihr mich ſeht?
Thaleſtris, die
Koͤnigin der Amazonen, als ſie herabzog vom Kauka⸗
ſus,
Alexander den Großen zu bitten, daß er ſie kuͤſſe:
ſie war nicht reizender und goͤttlicher, als ſie.
1440

Georg.

Wo fingſt du ſie?

Freiburg.

Fuͤnf Stunden, Georg, fuͤnf Stunden von der
Steinburg, wo ihr der Rheingraf, durch drei Tage, 1445
ſchallende Jubelfeſte gefeiert hatte.
Die Ritter, die
ſie begleiteten, hatten ſie kaum verlaſſen, da werf’ ich
ihren Vetter Iſidor, der bey ihr geblieben war, in
den Sand, und auf den Rappen mit ihr, und auf
und davon.
1450

62 Georg.

Aber, Max! Max! Was haſt du —?

Freiburg.

Ich will dir ſagen, Freund —

Georg. 1455

Was bereiteſt du dir, mit allen dieſen ungeheuren
Anſtalten, vor?

Freiburg.

Lieber! Guter! Wunderlicher! Honig von Hybla,
fuͤr dieſe vom Durſt der Rache zu Holz vertrocknete 1460
Bruſt.
Warum ſoll dies weſenloſe Bild laͤnger, einer
olympiſchen Goͤttin gleich, auf dem Fußgeſtell pran⸗
gen,
die Hallen der chriſtlichen Kirchen von uns und
unſers Gleichen entvoͤlkernd?
Lieber angefaßt, und
auf den Schutt hinaus, das Oberſte zu Unterſt, damit 1465
mit Augen erſchaut wird, daß kein Gott in ihm wohnt.

Georg.

Aber in aller Welt, ſag’ mir, was iſt’s, das dich
mit ſo raſendem Haß gegen ſie erfuͤllt?

Freiburg. 1470

O Georg! Der Menſch wirft Alles, was er ſein
nennt, in eine Pfuͤtze, aber kein Gefuͤhl.
Georg, ich
liebte ſie, und ſie war deſſen nicht werth.
Ich liebte
ſie und ward verſchmaͤht, Georg; und ſie war mei⸗
ner
Liebe nicht werth.
Ich will dir was ſagen — 1475
Aber es macht mich blaß, wenn ich daran denke. Ge⸗
63 org!
Georg! Wenn die Teufel um eine Erfindung
verlegen ſind; ſo muͤſſen ſie einen Hahn fragen der
ſich vergebens um eine Henne gedreht hat, und hin⸗
terher
ſieht, daß ſie, vom Ausſatz zerfreſſen, zu ſeinem 1480
Spaße nicht taugt.

Georg.

Du wirſt keine unritterliche Rache an ihr aus⸗
uͤben?

Freiburg. 1485

Nein; Gott behuͤt’ mich! Keinem Knecht muth’
ich zu, ſie an ihr zu vollziehn. —
Ich bringe ſie nach
der Steinburg zum Rheingrafen zuruͤck, wo ich nichts
thun will, als ihr das Halstuch abnehmen: das ſoll
meine ganze Rache ſein!
1490

Georg.

Was! Das Halstuch abnehmen?

Freiburg.

Ja Georg; und das Volk zuſammen rufen.

Georg. 1495

Nun, und wenn das geſchehn iſt, da willſt du —?

Freiburg.

Ei, da will ich uͤber ſie philoſophiren. Da will
ich euch einen metaphyſiſchen Satz uͤber ſie geben,
wie Platon, und meinen Satz nachher erlaͤutern, wie 1500
der luſtige Diogenes gethan.
Der Menſch iſt — —
Aber ſtill: (er horcht).

64 Georg.

Nun! Der Menſch iſt? —

Freiburg. 1505

Der Menſch iſt, nach Platon, ein zweibeinigtes,
ungefiedertes Thier; du weißt, wie Diogenes dies
bewieſen; einen Hahn, glaub’ ich, rupft er, und warf
ihn unter das Volk. —
Und dieſe Kunigunde, Freund,
dieſe Kunigunde von Thurneck, die iſt nach mir — 1510
— —
Aber ſtill! So wahr ich ein Mann bin: dort
ſteigt jemand vom Pferd!

Siebenter Auftritt.

Der Graf vom Strahl und Ritter Flammberg
(treten auf. Nachher) Gottſchalk. —
Die Vorigen. 1515
Der Graf vom Strahl (an die Huͤtte klopfend).

Heda! Ihr wackern Koͤhlersleute!

Flammberg.

Das iſt eine Nacht, die Woͤlfe in den Kluͤften
um ein Unterkommen anzuſprechen.
1520

Graf vom Strahl.

Iſts erlaubt, einzutreten?

Freiburg (ihm in den Weg).

Erlaubt, ihr Herrn! Wer ihr auch ſein moͤgt dort —

Georg. 1525

Ihr koͤnnt hier nicht einkehren.

Graf 65 Graf vom Strahl.

Nicht? Warum nicht?

Freiburg.

Weil kein Raum drin iſt, weder fuͤr euch noch fuͤr 1530
uns.
Meine Frau liegt darin todtkrank, den einzi⸗
gen
Winkel der leer iſt mit ihrer Bedienung erfuͤl⸗
lend:
ihr werdet ſie nicht daraus vertreiben wollen.

Graf vom Strahl.

Nein, bei meinem Eid! Vielmehr wuͤnſche ich, 1535
daß ſie ſich bald darin erholen moͤge. —
Gottſchalk!

Flammberg.

So muͤſſen wir beim Gaſtwirth zum blauen Him⸗
mel
uͤbernachten.

Graf vom Strahl. 1540

Gottſchalk ſag’ ich!

Gottſchalk (draußen).

Hier!

Graf vom Strahl.

Schaff die Decken her! Wir wollen uns hier ein 1545
Lager bereiten, unter den Zweigen.

Gottſchalk und der Koͤhlerjunge (treten auf).
Gottſchalk (indem er ihnen die Decken bringt).

Das weiß der Teufel, was das hier fuͤr eine Wirth⸗
ſchaft
iſt.
Der Junge ſagt, drinnen waͤre ein gehar⸗1550
niſchter
Mann, der ein Fraͤulein bewachte: das laͤge
[ 5 ] 66 geknebelt und mit verſtopftem Munde da, wie ein
Kalb, das man zur Schlachtbank bringen will.

Graf vom Strahl.

Was ſagſt du? Ein Fraͤulein? Geknebelt und mit 1555
verſtopftem Munde? —
Wer hat dir das geſagt?

Flammberg.

Jung’! Woher weißt du das?

Koͤhlerjunge (erſchrocken).

St! — Um aller Heiligen willen! Ihr Herren, 1560
was macht ihr?

Graf vom Strahl.

Komm her.

Koͤhlerjunge.

Ich ſage: St! 1565

Flammberg.

Jung’! Wer hat dir das geſagt? So ſprich.

Koͤhlerjunge (heimlich nachdem er ſich umgeſehen).

Hab’s geſchaut, ihr Herren. Lag auf dem Stroh,
als ſie ſie hineintrugen, und ſprachen, ſie ſei krank. 1570
Kehrt’ ihr die Lampe zu und erſchaut; daß ſie geſund
war, und Wangen hatt’ als wie unſre Lore.
Und wim⸗
mert’
und druckt mir die Haͤnd’ und blinzelte, und
sprach ſo vernehmlich, wie ein kluger Hund: mach
mich los, lieb Buͤbel, mach’ mich los! daß ich’s mit 1575
Augen hoͤrt’ und mit den Fingern verſtand.

Graf vom Strahl.

Jung’, du flachskoͤpfiger; ſo thu’s!

67 Flammberg.

Was ſaͤumſt du? Was machſt du? 1580

Graf vom Strahl.

Bind’ ſie los und ſchick ſie her!

Koͤhlerjunge (ſchuͤchtern).

St! ſag’ ich. — Ich wollt, daß ihr zu Fiſchen
wuͤrdet! —
Da erheben ſich ihrer drei ſchon und kom⸗1585
men
her, und ſehen, was es giebt?

(er blaͤſ’t ſeine Laterne aus).
Graf vom Strahl.

Nichts, du wackrer Junge, nichts.

Flammberg. 1590

Sie haben nichts davon gehoͤrt.

Graf vom Strahl.

Sie wechſeln bloß um des Regens willen ihre
Plaͤtze.

Koͤhlerjunge (ſieht ſich um). 1595

Wollt ihr mich ſchuͤtzen?

Graf vom Strahl Strahl.

Ja, ſo wahr ich ein Ritter bin; das will ich.

Flammberg.

Darauf kannſt du dich verlaſſen. 1600

Koͤhlerjunge.

Wohlan! Ich will’s dem Vater ſagen. — Schaut
was ich thue, und ob ich in die Huͤtte gehe, oder nicht?

(er ſpricht mit den Alten, die hinten am Feuer ſtehen, und
verliert ſich nachher in die Huͤtte Huͤtte).
1605
68 Flammberg.

Sind das ſolche Kauze? Beelzebubs-Ritter, deren
Ordensmantel die Nacht iſt?
Eheleute, auf der Land⸗
ſtraße
mit Stricken und Banden an einander ge⸗
traut?
1610

Graf vom Strahl.

Krank, ſagten ſie!

Flammberg.

Todtkrank, und dankten fuͤr alle Huͤlfe!

Gottſchalk. 1615

Nun wart’! Wir wollen ſie ſcheiden.

(Pauſe.) (Pauſe). [liest ›Panse.)‹]
Schauermann (in der Huͤtte).

He! holla! Die Beſtie!

Graf vom Strahl. 1620

Auf, Flammberg; erhebe dich!

(ſie ſtehen auf).
Freiburg.

Was giebt’s?

(Die Parthei des Burggrafen erhebt ſich). 1625
Schauermann.

Ich bin angebunden! Ich bin angebunden!

(Das Fraͤulein erſcheint.)
Freiburg.

Ihr Goͤtter! Was erblick’ ich? 1630

69

Achter Auftritt.

Fraͤulein Kunigunde von Thurneck (im Reiſekleide, mit
entfeſſelten Haaren).
— Die Vorigen.
Kunigunde (wirft ſich vor dem Grafen vom
Strahl nieder)
1635
Mein Retter! Wer ihr immer ſeid! Nehmt einer
Vielfach geſchmaͤhten und geſchaͤndeten
Jungfrau euch an! Wenn euer ritterlicher Eid
Den Schutz der Unſchuld euch empfiehlt; hier liegt ſie
In Staub geſtreckt, die jetzt ihn von euch fordert! 1640
Freiburg.
Reißt ſie hinweg, ihr Maͤnner!
Georg (ihn zuruͤckhaltend)
Max! hoͤr mich an.
Freiburg. 1645
Reißt ſie hinweg, ſag’ ich; laßt ſie nicht reden!
Graf vom Strahl.
Halt dort ihr Herrn! Was wollt ihr!
Freiburg.
Was wir wollen? 1650
Mein Weib will ich, zum Henker! — Auf! ergreift ſie!
Kunigunde.
Dein Weib? Du Luͤgnerherz!
70 Graf vom Strahl (ſtreng).
Beruͤhr’ ſie nicht! 1655
Wenn du von dieſer Dame was verlangſt,
So ſagſt du’s mir! Denn mir gehoͤrt ſie jetzt,
Weil ſie ſich meinem Schutze anvertraut.
(er erhebt ſie).
Freiburg. 1660
Wer biſt du, Uebermuͤthiger, daß du
Dich zwiſchen zwey Vermaͤhlte draͤngſt? Wer giebt
Das Recht dir, mir die Gattin zu verweigern?
Kunigunde.
Die Gattin? Boͤſewicht! Das bin ich nicht! 1665
Graf vom Strahl.
Und wer biſt du, Nichtswuͤrdiger, daß du
Sie deine Gattin ſagſt, verfluchter Bube,
Daß du ſie dein nennſt, geiler Maͤdchenraͤuber,
Die Jungfrau, dir vom Teufel in der Hoͤlle, 1670
Mit Knebeln und mit Banden angetraut?
Freiburg.
Wie? Was? Wer?
Georg.
Max, ich bitte dich. 1675
Graf vom Strahl.
Wer biſt du?
Freiburg.
Ihr Herrn, ihr irrt euch ſehr —
71 Graf vom Strahl. 1680
Wer biſt du, frag’ ich?
Freiburg.
Ihr Herren, wenn ihr glaubt, daß ich —
Graf vom Strahl.
Schafft Licht her! 1685
Freiburg.
Dies Weib hier, das ich mitgebracht, das iſt —
Graf vom Strahl.
Ich ſage Licht herbeigeſchafft!
Gottſchalk und die Koͤhler (kommen mit 1690
Fakeln und Feuerhacken).

Freiburg.
Ich bin —
Georg (heimlich).
Ein Raſender biſt du! Fort! Gleich hinweg! 1695
Willſt du auf ewig nicht dein Wappen ſchaͤnden.
Graf vom Strahl.
So, meine wackern Koͤhler; leuchtet mir!
Freiburg. (ſchließt ſein Viſir).
Graf vom Strahl. 1700
Wer biſt du jetzt, frag’ ich? Oeffn’ das Viſir.
Freiburg.
Ihr Herrn, ich bin —
Graf vom Strahl.
Oeffn’ das Viſir. 1705
72 Freiburg.
Ihr hoͤrt.
Graf vom Strahl.
Meinſt du, leichtfert’ger Bube, ungeſtraft
Die Antwort mir zu weigern, wie ich dir? 1710
(er reißt ihm den Helm vom Haupt, der Burggraf
taumelt).

Schauermann.
Schmeißt den Verwegenen doch gleich zu Boden!
Wetzlaf. 1715
Auf! Zieht!
Freiburg.
Du Raſender, welch eine That!
(er erhebt ſich, zieht und haut nach dem Grafen, der
weicht aus).
1720
Graf vom Strahl.
Du wehrſt dich mir, du Afterbraͤutigam?
(er haut ihn nieder).
So fahr’ zur Hoͤlle hin, woher du kamſt,
Und feire deine Flitterwochen drin! 1725
Wetzlaf.
Entſetzen! Schaut! Er ſtuͤrzt, er wankt, er faͤllt!
Flammberg (dringt vor).
Auf jetzt, ihr Freunde!
Schauermann. 1730
Fort! Entflieht!
73 Flammberg.
Schlagt drein!
Jagt das Geſindel voͤllig in die Flucht!
(Die Burggraͤflichen entweichen; niemand bleibt als 1735
Georg, der uͤber den Burggrafen beſchaͤftigt iſt).

Graf vom Strahl (zum Burggrafen).
Freiburg! Was ſeh ich? Ihr allmaͤcht’gen Goͤtter!
Du biſt’s?
Kunigunde (unterdruͤckt). 1740
Der undankbare Hoͤllenfuchs!
Graf vom Strahl.
Was galt dir dieſe Jungfrau, du Unſel’ger?
Was wollteſt du mit ihr?
Georg. 1745
— Er kann nicht reden.
Blut fuͤllt, vom Scheitel quellend, ihm den Mund.
Kunigunde.
Laßt ihn erſticken drin!
Graf vom Strahl. 1750
Ein Traum erſcheint mir’s!
Ein Menſch wie der, ſo wacker ſonſt, und gut.
— Kommt ihm zu Huͤlf’, ihr Leute!
Flammberg.
Auf! Greift an! 1755
Und tragt ihn dort in jener Huͤtte Raum.
Kunigunde.
Ins Grab! Die Schaufeln her! Er ſei geweſen!
74 Graf vom Strahl.
Beruhigt euch! — Wie er darnieder liegt, 1760
Wird er auch unbeerdigt euch nicht ſchaden.
Kunigunde.
Ich bitt’ um Waſſer!
Graf vom Strahl.
Fuͤhlt ihr euch nicht wohl? 1765
Kunigunde.
Nichts, nichts — Es iſt — Wer hilft? — Iſt
hier kein Sitz?
— Weh mir! (ſie wankt).
Graf vom Strahl. 1770
Ihr Himmliſchen! He! Gottſchalk! hilf!
Gottſchalk.
Die Fakeln her!
Kunigunde.
Laßt, Laßt! 1775
Graf vom Strahl (hat ſie auf einen Sitz gefuͤhrt).
Es geht voruͤber?
Kunigunde.
Das Licht kehrt meinen truͤben Augen wieder. —
Graf vom Strahl. 1780
Was war’s, das ſo urploͤtzlich euch ergriff?
Kunigunde.
Ach, mein großmuͤth’ger Retter und Befreier,
Wie nenn’ ich das? Welch ein entſetzensvoller,
75 Unmenſchlicher Frevel war mir zugedacht? 1785
Denk’ ich, was ohne euch, vielleicht ſchon jetzt,
Mir widerfuhr, hebt ſich mein Haar empor,
Und meiner Glieder jegliches erſtarrt.
Graf vom Strahl.
Wer ſeid ihr? Sprecht! Was iſt euch widerfah⸗1790
ren?

Kunigunde.
O Seligkeit, euch dies jetzt zu entdecken!
Die That, die euer Arm vollbracht, iſt keiner
Unwuͤrdigen geſchehen; Kunigunde, 1795
Freifrau von Thurneck, bin ich, daß ihr’s wißt;
Das ſuͤße Leben, das ihr mir erhieltet,
Wird, außer mir, in Thurneck, dankbar noch
Ein ganz Geſchlecht euch von Verwandten lohnen.
Graf vom Strahl. 1800
Ihr ſeid? — Es iſt nicht moͤglich? Kunigunde
Von Thurneck? —
Kunigunde.
Ja, ſo ſagt’ ich! Was erſtaunt ihr?
Graf vom Strahl (ſteht auf). 1805
Nun denn, bei meinem Eid, es thut mir Leid,
So kamt ihr aus dem Regen in die Traufe:
Denn ich bin Friedrich Wetter Graf vom Strahl!
Kunigunde.
Was! Euer Name? — Der Name meines Retters? — 1810
76 Graf vom Strahl.
Iſt Friedrich Strahl, ihr hoͤrt’s. Es thut mir Leid,
Daß ich euch keinen beſſern nennen kann.
Kunigunde (ſteht auf).
Ihr Himmliſchen! Wie pruͤft ihr dieſes Herz? 1815
Gottſchalk (heimlich).
Die Thurneck? hoͤrt’ ich recht?
Flammberg (erſtaunt).
Bei Gott! Sie iſt’s!
(Pauſe). 1820
Kunigunde.
Es ſei. Es ſoll mir das Gefuͤhl, das hier
In dieſem Buſen ſich entflammt, nicht ſtoͤren.
Ich will nichts denken, fuͤhlen will ich nichts,
Als Unſchuld, Ehre, Leben, Rettung — Schutz 1825
Vor dieſem Wolf, der hier am Boden liegt. —
Komm her, du lieber, goldner Knabe, du,
Der mich befreit, nimm dieſen Ring von mir,
Es iſt jetzt Alles, was ich geben kann:
Einſt lohn’ ich wuͤrdiger, du junger Held, 1830
Die That dir, die mein Band geloͤſ’t, die muthige,
Die mich vor Schmach bewahrt, die mich errettet,
Die That, die mich zur Seeligen gemacht!
(ſie wendet ſich zum Grafen).
Euch, mein Gebieter — Euer nenn’ ich Alles, 1835
77 Was mein iſt! Sprecht! Was habt ihr uͤber mich
beſchloſſen?
In eurer Macht bin ich; was muß geſchehn?
Muß ich nach eurem Ritterſitz euch folgen?
Graf vom Strahl (nicht ohne Verlegenheit). 1840
Mein Fraͤulein — es iſt nicht eben allzuweit.
Wenn ihr ein Pferd beſteigt, ſo koͤnnt ihr bei
Der Graͤfin, meiner Mutter, uͤbernachten.
Kunigunde.
Fuͤhrt mir das Pferd vor! 1845
Graf vom Strahl (nach einer Pauſe).
Ihr vergebt mir,
Wenn die Verhaͤltniſſe, in welchen wir —
Kunigunde.
Nichts, Nichts! Ich bitt euch ſehr! Beſchaͤmt 1850
mich nicht!
In eure Kerker klaglos wuͤrd’ ich wandern.
Graf vom Strahl.
In meinen Kerker! Was! Ihr uͤberzeugt euch —
Kunigunde (unterbricht ihn). 1855
Druͤckt mich mit eurer Großmuth nicht zu Bo⸗
den!
—
Ich bitt’ um eure Hand!
Der Graf vom Strahl.
He! Fackeln! Leuchtet! 1860
(ab).
78

Scene. Schloß Wetterſtrahl. Ein Gemach in der Burg.

Neunter Auftritt.

Kunigunde (in einem halb vollendeten, romantiſchen Anzuge,
tritt auf, und ſetzt ſich vor einer Toilette nieder. Hinter ihr ihr)
1865
Roſalie und die alte Brigitte.

Roſalie (zu Brigitten).

Hier, Muͤtterchen, ſetz dich! Der Graf vom Strahl
hat ſich bei meinem Fraͤulein anmelden laſſen; ſie laͤßt
ſich nur noch die Haare von mir zurecht legen, und 1870
mag gern dein Geſchwaͤtz hoͤren.

Brigitte (die ſich geſetzt).

Alſo ihr ſeid Fraͤulein Kunigunde von Thurneck?

Kunigunde.

Ja Muͤtterchen; das bin ich. 1875

Brigitte.

Und nennt euch eine Tochter des Kaiſers?

Kunigunde.

Des Kaiſers? Nein; wer ſagt dir das? Der jetzt
lebende Kaiſer iſt mir fremd; die Urenkelin eines der 1880
vorigen Kaiſer bin ich, die in verfloſſenen Jahrhun⸗
derten,
auf dem deutſchen Thron ſaßen.

Brigitte.
O Herr! Es iſt nicht moͤglich? Die Urenkeltochter —
Kunigunde. 1885
Nun ja!
79 Roſalie.

Hab ich es dir nicht geſagt?

Brigitte.

Nun, bei meiner Treu, ſo kann ich mich ins 1890
Grab legen: der Traum des Grafen vom Strahl
iſt aus!

Kunigunde.

Welch ein Traum?

Roſalie. 1895

Hoͤrt nur, hoͤrt! Es iſt die wunderlichſte Ge⸗
ſchichte
von der Welt! — —
Aber ſei buͤndig, Muͤt⸗
terchen,
und ſpare den Eingang; denn die Zeit, wie
ich dir ſchon geſagt, iſt kurz.

Brigitte. 1900

Der Graf war gegen das Ende des vorletzten Jah⸗
res,
nach einer ſeltſamen Schwermuth, von welcher
kein Menſch die Urſache ergruͤnden konnte, erkrankt;
matt lag er da, mit glutrothem Antlitz und phanta⸗
ſirte;
die Aerzte, die ihre Mittel erſchoͤpft hatten, 1905
ſprachen, er ſei nicht zu retten.
Alles, was in ſeinem
Herzen verſchloſſen war, lag nun, im Wahnſin des
Fiebers, auf ſeiner Zunge: er ſcheide gern, ſprach er ſprach er,
von hinnen; das Maͤdchen, das faͤhig waͤre, ihn zu
lieben, ſei nicht vorhanden; Leben aber ohne Liebe ſei 1910
Tod; die Welt nannt’ er ein Grab, und das Grab eine
Wiege, und meinte, er wuͤrde nun erſt gebohren wer⸗
80 den.
— Drei hintereinander folgende Naͤchte, waͤh⸗
rend
welcher ſeine Mutter nicht von ſeinem Bette
wich, erzaͤhlte er ihr, ihm ſei ein Engel erſchienen 1915
und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver⸗
traue!
Auf der Graͤfin Frage: ob ſein Herz ſich, durch
dieſen Zuruf des Himmliſchen, nicht geſtaͤrkt fuͤhle?
antwortete er: Geſtaͤrkt? Nein! — und mit einem
Seufzer ſetzte er hinzu: „doch! doch, Mutter! Wenn 1920
ich ſie werde geſehen haben!“ —
Die Graͤfin fragt:
und wirſt du ſie ſehen?
„Gewiß!“ antwortet er.
Wann? fragt ſie.
Wo? — In der Sylveſternacht,
wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr
fuͤhren.
Wer? fragt ſie, Lieber; zu wem? Der Engel, 1925
ſpricht er, zu meinem Maͤdchen — wendet ſich und
ſchlaͤft ein.

Kunigunde.

Geſchwaͤtz!

Roſalie. 1930

Hoͤrt ſie nur weiter. — Nun?

Brigitte.

Drauf in der Sylveſternacht, in dem Augenblick,
da eben das Jahr wechſelt, hebt er ſich halb vom La⸗
ger
empor, ſtarrt, als ob er eine Erſcheinung haͤtte, ins 1935
Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt:
„Mutter! Mutter! Mutter!“ ſpricht er.
Was giebt’s?
fragt ſie.
„Dort! Dort!“ Wo? „Geſchwind!“
ſpricht 81 ſpricht er —
Was? — „Den Helm! Den Harniſch!
Das Schwerdt!“ — Wo willſt du hin? fragt die Mut⸗1940
ter.
„Zu ihr,“ ſpricht er; „zu ihr! So! ſo! ſo!“
und ſinkt zuruͤck; „Ade, Mutter Ade!“ ſtreckt alle
Glieder von ſich, und liegt wie todt.

Kunigunde.

Todt? 1945

Roſalie.

Todt, ja!

Kunigunde.

Sie meint, einem Todten gleich.

Roſalie. 1950

Sie ſagt, todt! Stoͤrt ſie nicht. — Nun?

Brigitte.

Wir horchten an ſeiner Bruſt: es war ſo ſtill
darin, wie in einer leeren Kammer.
Eine Feder ward
ihm vorgehalten, ſeinen Athem zu pruͤfen: ſie ruͤhrte 1955
ſich nicht.
Der Arzt meinte in der That, ſein Geiſt
habe ihn verlaſſen; rief ihm aͤngſtlich ſeinen Namen
ins Ohr; reizt’ ihn, um ihn zu erwecken, mit Geruͤ⸗
chen;
reizt’ ihn mit Stiften und Nadeln, riß ihm
ein Haar aus, daß ſich das Blut zeigte; vergebens: 1960
er bewegte kein Glied und lag, wie todt.

Kunigunde.

Nun? Darauf?

[ 6 ] 82 Brigitte.

Darauf, nachdem er einen Zeitraum ſo gelegen, 1965
faͤhrt er auf, kehrt ſich, mit dem Ausdruck der Be⸗
truͤbniß,
der Wand zu, und ſpricht : „Ach! Nun brin⸗
gen
ſie die Lichter!
Nun iſt ſie mir wieder verſchwun⸗
den!“
— gleichſam, als ob er durch den Glanz der⸗
ſelben
verſcheucht wuͤrde. —
Und da die Graͤfin ſich 1970
uͤber ihn neigt und ihn an ihre Bruſt hebt und ſpricht:
Mein Friedrich!
Wo warſt du? „Bei ihr,“ verſetzt
er, mit freudiger Stimme; „bei ihr, die mich liebt!
bei der Braut, die mir der Himmel beſtimmt hat!

Geh, Mutter geh, und laß nun in allen Kirchen fuͤr 1975
mich beten: denn nun wuͤnſch’ ich zu leben.“

Kunigunde.

Und beſſert ſich wirklich?

Roſalie.

Das eben iſt das Wunder. 1980

Brigitte.

Beſſert ſich, mein Fraͤulein, beſſert ſich, in der
That; erholt ſich, von Stund’ an, gewinnt, wie
durch himmliſchen Balſam geheilt, ſeine Kraͤfte wie⸗
der,
und ehe der Mond ſich erneut, iſt er ſo geſund 1985
wie zuvor.

Kunigunde.

Und erzaͤhlte? — Was erzaͤhlte er nun?

83 Brigitte.

Ach, und erzaͤhlte, und fand kein Ende zu erzaͤh⸗1990
len:
wie der Engel ihn, bei der Hand, durch die
Nacht geleitet; wie er ſanft des Maͤdchens Schlaf⸗
kaͤmmerlein
eroͤffnet, und alle Waͤnde mit ſeinem Glanz
erleuchtend, zu ihr eingetreten ſei; wie es dagelegen,
das holde Kind, mit nichts, als dem Hemdchen an⸗1995
gethan,
und die Augen bei ſeinem Anblick groß auf⸗
gemacht,
und gerufen habe, mit einer Stimme, die
das Erſtaunen beklemmt: „ Mariane!“ welches jemand
geweſen ſein muͤſſe, der in der Nebenkammer geſchla⸗
fen;
wie ſie darauf, vom Purpur der Freude uͤber 2000
und uͤber ſchimmernd, aus dem Bette geſtiegen, und ſich
auf Knieen vor ihm niedergelaſſen, das Haupt geſenkt,
und: mein hoher Herr! geliſpelt; wie der Engel ihm
darauf, daß es eine Kaiſertochter ſei, geſagt, und
ihm ein Maal gezeigt, das dem Kindlein roͤthlich auf 2005
dem Nacken verzeichnet war, — wie er, von unendli⸗
chem
Entzuͤcken durchbebt, ſie eben beim Kinn gefaßt,
um ihr ins Antlitz zu ſchauen: und wie die unſelige
Magd nun, die Mariane, mit Licht gekommen, und
die ganze Erſcheinung bei ihrem Eintritt wieder ver⸗2010
ſchwunden
ſei.

Kunigunde.

Und nun meinſt du, dieſe Kaiſertochter ſei ich?

Brigitte.

Wer ſonſt? 2015

84 Roſalie.

Das ſag’ ich auch.

Brigitte.

Die ganze Strahlburg, bei eurem Einzug, als ſie
erfuhr, wer ihr ſeid, ſchlug die Haͤnde uͤber den Kopf 2020
zuſammen und rief: ſie iſt’s!

Roſalie.

Es fehlte nichts, als daß die Glocken ihre Zun⸗
gen
geloͤſ’t, und gerufen haͤtten: ja, ja, ja!

Kunigunde (ſteht auf). 2025

Ich danke dir, Muͤtterchen, fuͤr deine Erzaͤhlung.
Inzwiſchen nimm dieſe Ohrringe zum Andenken, und
entferne dich.

(Brigitte ab).

Zehnter Auftritt. 2030

Kunigunde und Roſalie.
Kunigunde (nachdem ſie ſich im Spiegel betrachtet, geht
gedankenlos ans Fenſter und oͤffnet es. —
Pauſe).
Haſt du mir alles dort zurecht gelegt,
Was ich dem Grafen zugedacht, Roſalie? 2035
Urkunden, Briefe, Zeugniſſe?
Roſalie (am Tiſch zuruͤck geblieben).
Hier ſind ſie.
In dieſem Einſchlag liegen ſie beiſammen beiſammen.
85 Kunigunde. 2040
Gieb mir doch —
(ſie nimmt eine Leimruthe, die draußen befeſtigt iſt, herein).
Roſalie.
Was, mein Fraͤulein?
Kunigunde. (lebhaft). 2045
Schau, o Maͤdchen!
Iſt dies die Spur von einem Fittig nicht?
Roſalie (indem ſie zu ihr geht).
Was habt ihr da?
Kunigunde. 2050
Leimruthen, die, ich weiß
Nicht wer? an dieſem Fenſter aufgeſtellt!
— Sieh, hat hier nicht ein Fittig ſchon geſtreift?
Roſalie.
Gewiß! Da iſt die Spur. Was war’s? Ein 2055
Zeiſig?
Kunigunde.
Ein Finkenhaͤhnchen war’s, das ich vergebens
Den ganzen Morgen ſchon herangelockt.
Roſalie. 2060
Seht nur dies Federchen. Das ließ er ſtecken!
Kunigunde (gedankenvoll).
Gieb mir doch —
Roſalie.
Was, mein Fraͤulein? Die Papiere? 2065
86 Kunigunde (lacht und ſchlaͤgt ſie).
Schelmin! — Die Hirſe will ich, die dort ſteht.
Roſalie (lacht und, und geht und holt die Hirſe).

Eilfter Auftritt.

Ein Bedienter (tritt auf). Die Vorigen. 2070
Der Bediente.

Graf Wetter vom Strahl, und die Graͤfin ſeine
Mutter!

Kunigunde (wirft Alles aus der Hand).

Raſch! Mit den Sachen weg. 2075

Roſalie.

Gleich, gleich!

(ſie macht die Toilette zu und geht ab).
Kunigunde.

Sie werden mir willkommen ſein. 2080

Zwoͤlfter Auftritt.

Graͤfin Helena, der Graf vom Strahl (treten auf).
Fraͤulein Kunigunde.
Kunigunde (ihnen entgegen).
Verehrungswuͤrd’ge! Meines Retters Mutter, 2085
Wem dank’ ich, welchem Umſtand, das Vergnuͤgen,
87 Daß ihr mir euer Antlitz ſchenkt, daß ihr
Vergoͤnnt, die theuren Haͤnde euch zu kuͤſſen?
Graͤfin.
Mein Fraͤulein, ihr demuͤthigt mich. Ich kam, 2090
Um eure Stirn zu kuͤſſen, und zu fragen,
Wie ihr in meinem Hauſe euch befindet?
Kunigunde.
Sehr wohl. Ich fand hier Alles, was ich brauchte.
Ich hatte nichts von eurer Huld verdient, 2095
Und ihr beſorgtet mich, gleich einer Tochter.
Wenn irgend etwas mir die Ruhe ſtoͤrte
So war es dies beſchaͤmende Gefuͤhl;
Doch ich bedurfte nur den Augenblick,
Um dieſen Streit in meiner Bruſt zu loͤſen. 2100
(Sie wendet ſich zum Grafen).
Wie ſteht’s mit eurer linken Hand, Graf Friedrich?
Der Graf vom Strahl.
Mit meiner Hand? mein Fraͤulein! Dieſe Frage,
Iſt mir empfindlicher als ihre Wunde! 2105
Der Sattel wars, ſonſt nichts, an dem ich mich
Unachtſam ſtieß, euch hier vom Pferde hebend.
Graͤfin.
Ward ſie verwundet? — Davon weiß ich nichts.
Kunigunde. 2110
Es fand ſich, als wir dieſes Schloß erreichten,
Daß ihr, in hellen Tropfen, Blut entfloß.
88 Graf vom Strahl.
Die Hand ſelbſt, ſeht ihr, hat es ſchon vergeſſen.
Wenn’s Freiburg war, dem ich im Kampf um euch, 2115
Dies Blut gezahlt, ſo kann ich wirklich ſagen:
Schlecht war der Preis, um den er euch verkauft.
Kunigunde.
Ihr denkt von ſeinem Werthe ſo — nicht ich.
(indem ſie ſich zur Mutter wendet). 2120
— Doch wie? Wollt ihr euch, Gnaͤdigſte, nicht ſetzen?
(ſie holt einen Stuhl, der Graf bringt die andern. Sie
laſſen ſich ſaͤmmtlich nieder).

Graͤfin.
Wie denkt ihr, uͤber eure Zukunft, Fraͤulein? 2125
Habt ihr die Lag’, in die das Schickſal euch
Verſetzt, bereits erwogen? Wißt ihr ſchon,
Wie euer Herz darin ſich faſſen wird?
Kunigunde (bewegt).
Verehrungswuͤrdige und gnaͤd’ge Graͤfin, 2130
Die Tage, die mir zugemeſſen, denk ich
In Preis und Dank, in immer gluͤhender
Erinnerung deſſ, was juͤngſt fuͤr mich geſchehn,
In unausloͤſchlicher Verehrung eurer,
Und eures Hauſes, bis auf den letzten Odem, 2135
Der meine Bruſt bewegt, wenn’s mir vergoͤnnt iſt,
In Thurneck bei den Meinen hinzubringen.
(ſie weint).
89 Graͤfin.
Wann denkt ihr zu den Euren aufzubrechen? 2140
Kunigunde.
Ich wuͤnſche — weil die Tanten mich erwarten,
— Wenn’s ſein kann, morgen, — oder mindeſtens —
In dieſen Tagen, abgefuͤhrt zu werden.
Graͤfin. 2145
Bedenkt ihr auch, was dem entgegen ſteht?
Kunigunde.
Nichts mehr, erlauchte Frau, wenn ihr mir nur
Vergoͤnnt, mich offen vor euch zu erklaͤren.
(ſie kuͤßt ihr die Hand; ſteht auf und holt die Papiere). 2150
Nehmt dies von meiner Hand, Herr Graf vom
Strahl.
Der Graf vom Strahl (ſteht auf).
Mein Fraͤulein! Kann ich wiſſen, was es iſt?
Kunigunde. 2155
Die Documente ſind’s, den Streit betreffend,
Um eure Herrſchafft Herrschaft Herrschaft Stauffen, die Papiere
Auf die ich meinen Anſpruch gruͤndete.
Graf vom Strahl.
Mein Fraͤulein, ihr beſchaͤmt mich, in der That! 2160
Wenn dieſes Heft, wie ihr zu glauben ſcheint,
Ein Recht begruͤndet: weichen will ich euch,
Und wenn es meine letzte Huͤtte gaͤlte!
90 Kunigunde.
Nehmt, nehmt, Herr Graf vom Strahl! Die 2165
Briefe ſind
Zweideutig, ſeh’ ich ein, der Wiederkauf,
Zu dem ſie mich berechtigen, verjaͤhrt;
Doch waͤr’ mein Recht ſo klar auch, wie die Sonne,
Nicht gegen euch mehr kann ich’s geltend machen. 2170
Graf vom Strahl.
Niemals, mein Fraͤulein, niemals, in der That!
Mit Freuden nehm ich, wollt ihr mir ihn ſchenken,
Von euch den Frieden an; doch, wenn auch nur
Der Zweifel eines Rechts auf Staufen [emendiert in ›Stauffen‹] [emendiert in ›Stauffen‹] euer, 2175
Das Document nicht, das ihn euch belegt!
Bringt eure Sache vor, bei Kaiſer und bei Reich,
Und das Geſetz entſcheide, wer ſich irrte.
Kunigunde (zur Graͤfin).
Befreit denn ihr, verehrungswuͤrd’ge Graͤfin, 2180
Von dieſen leid’gen Documenten mich,
Die mir in Haͤnden brennen, widerwaͤrtig
Zu dem Gefuͤhl, das mir erregt iſt, ſtimmen,
Und mir auf Gottes weiter Welt zu nichts mehr,
Lebt’ ich auch neunzig Jahre, helfen koͤnnen. 2185
Graͤfin (ſteht gleichfalls auf).
Mein theures Fraͤulein! Eure Dankbarkeit
Fuͤhrt euch zu weit. Ihr koͤnnt, was eurer ganzen
Familie angehoͤrt, in einer fluͤchtigen
91 Bewegung nicht, die euch ergriff, veraͤußern. 2190
Nehmt meines Sohnes Vorſchlag an und laßt
In Wetzlar die Papiere unterſuchen;
Verſichert euch, ihr werdet werth uns bleiben,
Man mag auch dort entſcheiden, wie man wolle.
Kunigunde (mit Affect). 2195
Nun denn, der Anſpruch war mein Eigenthum!
Ich brauche keinen Vetter zu befragen,
Und meinem Sohn vererb’ ich einſt mein Herz!
Die Herrn in Wetzlar mag ich nicht bemuͤhn:
Hier dieſe raſche Bruſt entſcheidet ſo! 2200
(ſie zerreißt die Papiere und laͤßt ſie fallen).
Graͤfin.
Mein liebes, junges, unbeſonnes Kind,
Was habt ihr da gethan? — — Kommt her,
Weil’s doch geſchehen iſt, daß ich euch kuͤſſe. 2205
(ſie umarmt ſie).
Kunigunde.
Ich will daß dem Gefuͤhl, das mir entflammt,
Im Buſen iſt, nichts fuͤrder widerſpreche!
Ich will, die Scheidewand ſoll niederſinken, 2210
Die zwiſchen mir und meinem Retter ſteht!
Ich will mein ganzes Leben ungeſtoͤrt,
Durchathmen, ihn zu preiſen, ihn zu lieben.
Graͤfin (geruͤhrt).
Gut, gut, mein Toͤchterchen. Es iſt ſchon gut, 2215
Ihr ſeid zu ſehr erſchuͤttert.
92 Der Graf vom Strahl.
— Ich will wuͤnſchen,
Daß dieſe That euch nie gereuen moͤge.
(Pauſe). 2220
Kunigunde (trocknet ſich die Augen).
Wann darf ich nun nach Thurneck wiederkehren, wiederkehren?
Graͤfin.
Gleich! Wann ihr wollt! Mein Sohn ſelbſt wird
euch fuͤhren! 2225
Kunigunde.
So ſei’s — auf morgen denn!
Graͤfin.
Gut! Ihr begehrt es.
Obſchon ich gern euch laͤnger bei mir ſaͤhe. — 2230
Doch heut bei Tiſch noch macht ihr uns die Frende? Freude?
Kunigunde (verneigt ſich).
Wenn ich mein Herz kann ſammeln, wart’ ich auf.
(ab).

Dreizehnter Auftritt. 2235

Graͤfin Helena. Der Graf von vom Strahl.
Der Graf vom Strahl.
So wahr, als ich ein Mann bin, die begehr ich
Zur Frau!
93 Graͤfin. 2240
Nun, nun, nun, nun!
Graf vom Strahl.
Was! Nicht?
Du willſt, daß ich mir Eine waͤhlen ſoll;
Doch die nicht? Dieſe nicht? Die nicht? 2245
Graͤfin.
Was willſt du?
Ich ſagte nicht, daß ſie mir ganz mißfaͤllt.
Graf vom Strahl.
Ich will auch nicht, daß heut noch Hochzeit ſei: 2250
— Sie iſt vom Stamm der alten ſaͤchſ’ſchen Kaiſer.
Graͤfin.
Und der Sylveſternachttraum ſpricht fuͤr ſie?
Nicht? Meinſt du nicht?
Graf vom Strahl. 2255
Was ſoll ich’s bergen: ja!
Graͤfin.
Laſſ’ uns die Sach’ ein wenig uͤberlegen.
(ab. (ab).
94

Dritter Act. 2260

Scene. Gebirg und Wald. Eine Einſiedelei.

Erſter Auftritt.

Theobald und Gottfried Friedeborn (fuͤhren) das
Kaͤthchen (von einem Felſen herab).

Theobald. 2265

Nimm dich in Acht, mein liebes Kaͤthchen; der
Gebirgspfad, ſiehſt du, hat eine Spalte. Setze deinen
Fuß hier auf dieſen Stein, der ein wenig mit Moos
bewachſen iſt; wenn ich wuͤßte, wo eine Roſe waͤre,
ſo wollte ich es dir ſagen. —
So! 2270

Gottfried.

Doch haſt wohl Gott, Kaͤthchen, nichts von der
Reiſe anvertraut, die du heut zu thun willens warſt? —

Ich glaubte, an dem Kreuzweg, wo das Marien⸗
bild
ſteht, wuͤrden zwei Engel kommen, Juͤnglinge, 2275
von hoher Geſtalt, mit ſchneeweißen Fittigen an den
Schultern, und ſagen: Ade, Theobald!
Ade, Gott⸗
fried!
Kehrt zuruͤck, von wo ihr gekommen ſeid; wir
werden das Kaͤthchen jetzt auf ſeinem Wege zu Gott
weiter fuͤhren. —
Doch es war nichts; wir mußten 2280
dich ganz bis ans Kloſter herbringen.

95 Theobald.

Die Eichen ſind ſo ſtill, die auf den Bergen ver⸗
ſtreut
ſind: man hoͤrt den Specht, der daran pickt.
Ich glaube, ſie wiſſen, daß Kaͤthchen angekommen iſt, 2285
und lauſchen auf das, was ſie denkt.
Wenn ich mich
doch in die Welt aufloͤſen koͤnnte, um es zu erfahren.

Harfenklang muß nicht lieblicher ſeyn, als ihr Gefuͤhl;
es wuͤrde Iſrael hinweggelockt von David und ſeinen
Zungen neue Pſalter gelehrt haben. —
Mein liebes 2290
Kaͤthchen?

Kaͤthchen.

Mein lieber Vater!

Theobald.

Sprich ein Wort. 2295

Kaͤthchen.

Sind wir am Ziele?

Theobald.

Wir ſind’s. Dort in jenem freundlichen Gebaͤude,
das mit ſeinen Thuͤrmen zwiſchen die Felſen geklemmt 2300
iſt, ſind die ſtillen Zellen der frommen Auguſtiner⸗
moͤnche;
und hier, der geheiligte Ort, wo ſie beten.

Kaͤthchen.

Ich fuͤhle mich matt.

Theobald. 2305

Wir wollen uns ſetzen. Komm, gieb mir deine
Hand, das daß ich dich ſtuͤtze.
Hier vor dieſem Gitter iſt
96 eine Ruhebank, mit kurzem und dichtem Gras bewach⸗
ſen:
ſchau her, das angenehmſte Plaͤtzchen, das ich
jemals ſah.
2310

(ſie ſetzen ſich).
Gottfried.

Wie befindeſt du dich?

Kaͤthchen.

Sehr wohl. 2315

Theobald.

Du ſcheinſt doch blaß, und deine Stirne iſt voll
Schweiß?

(Pauſe).
Gottfried. 2320

Sonſt warſt du ſo ruͤſtig, konnteſt meilenweit wan⸗
dern,
durch Wald und Feld, und brauchteſt nichts, als
einen Stein, und das Buͤndel, das du auf der Schul⸗
ter
trugſt, zum Pfuͤhl, um dich wieder herzuſtellen;
und heut biſt du ſo erſchoͤpft, daß es ſcheint, als ob 2325
alle Betten, in welchen die Kaiſerin ruht, dich nicht
wieder auf die Beine bringen wuͤrden.

Theobald.

Willſt du mit etwas erquickt ſein.

Gottfried. 2330

Soll ich gehen und dir einen Trunk Waſſer ſchoͤpfen?

Theobald.

Oder ſuchen wo dir eine Frucht bluͤht?

Gott⸗ 97 Gottfried.

Sprich, mein liebes Kaͤthchen! 2335

Kaͤthchen.

Ich danke dir, lieber Vater.

Theobald.

Du dankſt uns.

Gottfried. 2340

Du verſchmaͤhſt Alles.

Theobald.

Du begehrſt nichts, als daß ich ein Ende mache:
hingehe und dem Prior Hatto, — meinem alten Freund,
ſage: der alte Theobald ſei da, der ſein einzig liebes 2345
Kind begraben wolle.

Kaͤthchen.

Mein lieber Vater!

Theobald.

Nun gut. Es ſoll geſchehn. Doch bevor wir die 2350
entſcheidenden Schritte thun, die nicht mehr zuruͤck
zu nehmen ſind, will ich dir noch etwas ſagen.
Ich
will dir ſagen, was Gottfried und mir eingefallen
iſt, auf dem Wege hierher, und was, wie uns ſcheint,
ins Werk zu richten nothwendig iſt, bevor wir den 2355
Prior in dieſer Sache ſprechen. —
Willſt du es
wiſſen?

Kaͤthchen.

Rede!

[ 7 ] 98 Theobald. 2360

Nun wohlan, ſo merk’ auf, und pruͤfe dein Herz
wohl! —
Du willſt in das Kloſter der Urſulinerinnen
gehen, das tief im einſamen kieferreichen Gebirge ſei⸗
nen
Sitz hat.
Die Welt, der liebliche Schauplatz
des Lebens, reizt dich nicht mehr; Gottes Antlitz, in 2365
Abgezogenheit und Froͤmmigkeit angeſchaut, ſoll dir
Vater, Hochzeit, Kind, und der Kuß kleiner bluͤhen⸗
der
Enkel ſeyn.

Kaͤthchen.

Ja, mein lieber Vater. 2370

Theobald (nach einer kurzen Pauſe).

Wie waͤr’s, wenn du auf ein Paar Wochen, da
die Witterung noch ſchoͤn iſt, zu dem Gemaͤuer
zuruͤckkehrteſt, und dir die Sache ein wenig uͤber⸗
legteſt?
2375

Kaͤthchen.

Wie?

Theobald.

Wenn du wieder hingingſt, mein’ ich, nach der
Strahlburg, unter den Hollunderſtrauch, wo ſich der 2380
Zeiſig das Neſt gebaut hat, am Hang des Felſens, du
weißt, von wo das Schloß, im Sonnenſtrahl funkelnd,
uͤber die Gauen des Landes herniederſchaut?

Kaͤthchen.

Nein, mein lieber Vater! 2385

99 Theobald.

Warum nicht?

Kaͤthchen.

Der Graf, mein Herr, hat es mir verboten.

Theobald. 2390

Er hat es dir verboten. Gut. Und was er dir ver⸗
boten
hat, das darfſt du nicht thun.
Doch wie, wenn
ich hinginge und ihn baͤte, daß er es erlaubte?

Kaͤthchen.

Wie? Was ſagſt du? 2395

Theobald.

Wenn ich ihn erſuchte, dir das Plaͤtzgen, wo dir
ſo wohl iſt, zu goͤnnen, und mir die Freiheit wuͤrde,
dich daſelbſt mit dem, was du zur Nothdurft brauchſt,
freundlich auszuſtatten?
2400

Kaͤthchen.

Nein, mein lieber Vater.

Theobald.

Warum nicht?

Kaͤthchen (beklemmt). 2405

Das wuͤrdeſt du nicht thun; und wenn du es thaͤ⸗
teſt,
ſo wuͤrde es der Graf nicht erlauben; und wenn
der Graf es erlaubte, ſo wuͤrd’ ich doch von ſeiner
Erlaubniß keinen Gebrauch machen.

Theobald. 2410

Kaͤthchen! Mein liebes Kaͤthchen! Ich will es
100 thun.
Ich will mich ſo vor ihm niederlegen, wie ich
es jetzt vor dir thue, und ſprechen: mein hoher Herr!
erlaubt, daß das Kaͤthchen unter dem Himmel, der
uͤber eure Burg geſpannt iſt, wohne; reitet ihr aus, 2415
ſo vergoͤnnt, daß ſie euch von fern, auf einen Pfeil⸗
ſchuß,
folge, und raͤumt ihr, wenn die Nacht koͤmmt,
ein Plaͤtzchen auf dem Stroh ein, das euren ſtolzen
Roſſen untergeſchuͤttet wird.
Es iſt beſſer, als daß
ſie vor Gram vergehe.
2420

Kaͤthchen (indem ſie ſich gleichfalls vor ihm niederlegt).

Gott im hoͤchſten Himmel; du vernichteſt mich!
Du legſt mir deine Worte kreuzweis, wie Meſſer, in
die Bruſt!
Ich will jetzt nicht mehr ins Kloſter gehen,
nach Heilbronn will ich mit dir zuruͤckkehren, ich will 2425
den Grafen vergeſſen, und, wen du willſt heirathen;
muͤßt’ auch ein Grab mir, von acht Ellen Tiefe, das
Brautbett ſein.

Theobald. (der aufgeſtanden iſt und ſie aufhebt).

Biſt du mir boͤs, Kaͤthchen? 2430

Kaͤthchen.

Nein, nein! Was faͤllt dir ein?

Theobald.

Ich will dich ins Kloſter bringen!

Kaͤthchen. 2435

Nimmer und nimmermehr! Weder auf die Strahl⸗
burg,
noch ins Kloſter! —
Schaff mir nur jetzt, bei
101 dem Prior, ein Nachtlager, daß ich mein Haupt nie⸗
derlege,
und mich erhole; mit Tagesanbruch, wenn
es ſein kann, gehen wir zuruͤck.
2440

(ſie weint).
Gottfried.

Was haſt du gemacht, Alter?

Theobald.

Ach! Ich habe ſie gekraͤnkt! 2445

Gottfried (klingelt).

Prior Hatto iſt zu Hauſe?

Pfoͤrtner (oͤffnet).

Golobt Gelobt ſei Jeſus Chriſtus!

Theobald. 2450

In Ewigkeit, Amen!

Gottfried.

Vielleicht beſinnt ſie ſich!

Theobald.

Komm meine Tochter! 2455

(Alle ab).
102

Scene. Eine Herberge.

Zweiter Auftritt.

Der Rheingraf vom Stein nud und Friedrich von Herrn⸗
ſtadt
(treten auf, ihnen folgt): Jacob Pech, der Gaſt⸗2460
wirth.
Gefolge von Knechten.
Rheingraf (zu dem Gefolge).

Laßt die Pferde abſatteln! Stellt Wachen aus,
auf dreihundert Schritt um die Herberge, und laßt
jeden ein, niemand aus!
Fuͤttert und bleibt, in den 2465
Staͤllen, und zeigt euch, ſo wenig es ſeyn kann; wenn
Eginhardt mit Kundſchaft aus der Thurneck zuruͤck⸗
kommt,
geb’ ich euch meine weitern Befehle.

(Das Gefolge ab.)

Wer wohnt hier? 2470

Jacob Pech.

Halten zu Gnaden, ich und meine Frau, geſtren⸗
ger
Herr.

Rheingraf.

Und hier? 2475

Jacob Pech.

Vieh.

Rheingraf.

Wie?

Jacob Pech. 2480

Vieh. — Eine Sau mit ihrem Wurf, halten zu
103 Gnaden; es iſt ein Schweinſtall, von Latten draußen
angebaut.

Rheingraf.

Gut. — Wer wohnt hier? 2485

Jacob Pech.

Wo?

Rheingraf.

Hinter dieſer dritten Thuͤr?

Jacob Pech. 2490

Niemand, halten zu Gnaden.

Rheingraf.

Niemand?

Jacob Pech.

Niemand geſtrenger Herr, gewiß und wahrhaftig. 2495
Oder vielmehr jedermann. Es geht wieder auf’s offne
Feld hinaus.

Rheingraf.

Gut. — Wie heißeſt du?

Jacob Pech. 2500

Jacob Pech.

Rheingraf.

Tritt ab, Jacob Pech. —

(Der Gaſtwirth ab).
Rheingraf. 2505

Ich will mich hier, wie die Spinne, zuſammen
knaͤueln, daß ich ausſehe, wie ein Haͤuflein argloſer
104 Staub; und wenn ſie im Netz ſitzt, dieſe Kunigunde,
uͤber ſie herfahren — den Stachel der Rache tief ein⸗
druͤcken
in ihre treuloſe Bruſt: toͤdten, toͤdten, toͤdten, 2510
und ihr Gerippe, als das Monument einer Erzbuhlerin,
in dem Gebaͤlke der Steinburg aufbewahren! auf bewahren

Friedrich.

Ruhig, ruhig Albrecht! Eginhardt, den du nach
Thurneck geſandt haſt, iſt noch, mit der Beſtaͤtigung 2515
deſſen, was du argwohnſt, nicht zuruͤck.

Rheingraf.

Da haſt du Recht, Freund; Eginhardt iſt noch nicht
zuruͤck.
Zwar in dem Zettel, den mir die Buͤbin
ſchrieb, ſteht: ihre Empfehlung voran; es ſei nicht noͤ⸗2520
thig,
daß ich mich fuͤrder um ſie bemuͤhe; Stauffen
ſei ihr von dem Grafen vom Strahl, auf dem Wege
freundlicher Vermittlung, abgetreten.
Bei meiner un⸗
ſterblichen
Seele, hat dies irgend einen Zuſammenhang,
der rechtſchaffen iſt: ſo will ich es hinunterſchlucken, 2525
und die Kriegsruͤſtung, die ich fuͤr ſie gemacht, wie⸗
der
auseinander gehen laſſen.
Doch wenn Eginhardt
kommt und mir ſagt, was mir das Geruͤchte ſchon
geſteckt, daß ſie ihm mit ihrer Hand verlobt iſt:
ſo will ich meine Artigkeit, wie ein Taſchenmeſſer, zu⸗2530
ſammenlegen,
und ihr die Kriegskoſten wieder abja⸗
gen:
muͤßt’ ich ſie umkehren, und ihr den Betrag
hellerweiſe aus den Taſchen herausſchuͤtteln.

105

Dritter Auftritt.

Eginhardt von der Wart (tritt auf). Die Vorigen. 2535
Rheingraf.

Nun, Freund, alle Gruͤße treuer Bruͤderſchaft uͤber
dich!
— Wie ſteht’s auf dem Schloſſe zu Thurneck?

Eginhardt.

Freunde, es iſt alles, wie der Ruf uns erzaͤhlt! 2540
Sie gehen mit vollen Segeln auf dem Ocean der
Liebe, und ehe der Mond ſich erneut, ſind ſie in den
Hafen der Ehe eingelaufen.

Rheingraf.

Der Blitz ſoll ihre Maſten zerſplittern, ehe ſie 2545
ihn erreichen!

Friedrich.

Sie ſind miteinander verlobt?

Eginhardt.

Mit duͤrren Worten, glaub’ ich, nein; doch wenn 2550
Blicke reden, Mienen ſchreiben und Haͤndedruͤcke ſie⸗
geln
koͤnnen, ſo ſind die Ehepacten fertig.

Rheingraf.

Wie iſt es mit der Schenkung von Stauffen zu⸗
gegangen?
Das erzaͤhle! 2555

Friedrich.

Wann machte er ihr das Geſchenk?

106 Eginhardt.

Ei! Vorgeſtern, am Morgen ihres Geburtstags,
da die Vettern ihr ein glaͤnzendes Feſt in der Thur⸗2560
neck
bereitet hatten.
Die Sonne ſchien kaum roͤthlich
auf ihr Lager: da findet ſie das Document ſchon auf
der Decke liegen; das Document, verſteht mich, in ein
Briefchen des verliebten Grafen eingewickelt, mit der
Verſicherung, daß es ihr Brautgeſchenk ſei, wenn ſie 2565
ſich entſchließen koͤnne, ihm ihre Hand zu geben.

Rheingraf.

Sie nahm es? Natuͤrlich! Sie ſtellte ſich vor den
Spiegel, knixte, und nahm es?

Eginhardt. 2570

Das Document? Allerdings.

Friedrich.

Aber die Hand, die dagegen gefordert ward?

Eginhardt.

O die verweigerte ſie nicht. 2575

Friedrich.

Was! Nicht?

Eginhardt.

Nein. Gott behuͤte! Wann haͤtte ſie je einem
Freier ihre Hand verweigert.
2580

Rheingraf.

Aber ſie haͤlt, wenn die Glocke geht, nicht Wort?

107 Eginhardt.

Danach habt ihr mich nicht gefragt.

Rheingraf. 2585

Wie beantwortete ſie den Brief?

Eginhardt.

Sie ſey ſo geruͤhrt, daß ihre Augen, wie, [emendiert in ›wie‹] [emendiert in ›wie‹] zwei
Quellen, niedertraͤufelten, und ihre Schrift ertraͤnk⸗
ten;
— die Sprache, an die ſich die ſie ſich wenden muͤſſe, ihr 2590
Gefuͤhl auszudruͤcken, ſei ein Bettler. —
Er habe, auch
ohne dieſes Opfer, ein ewiges Recht an ihre Dank⸗
barkeit,
und es ſei, wie mit einem Diamanten, in
ihre Bruſt geſchrieben; — kurz, einen Brief voll dop⸗
pelſinniger
Fratzen, der, wie der Schillertaft, zwei 2595
Farben ſpielt, und weder ja ſagt, noch nein.

Rheingraf.

Nun, Freunde; ihre Zauberei geht, mit dieſem
Kunſtſtuͤck zu Grabe!
Mich betrog ſie, und keinen
mehr; die Reihe derer, die ſie am Narrenſeil gefuͤhrt 2600
hat, ſchließt mit mir ab. —
Wo ſind die beiden rei⸗
tenden
Boten?

Friedrich (in die Thuͤr rufend).

He!

108

Vierter Auftritt. 2605

Zwei Boten (treten auf). Die Vorigen.
Rheingraf (nimmt zwei Briefe aus den dem Collet).

Dieſe beiden Briefe nehmt ihr — dieſen du, dieſen
du; und tragt ſie — dieſen hier du an den Dominica⸗
nerprior
Hatto, verſtehſt du?
Ich wuͤrd’ Glock ſieben 2610
gegen Abend kommen, und Abſolution in ſeinem Klo⸗
ſter
empfangen?
Dieſen hier du an Peter Quanz,
Haushofmeiſter in der Burg zu Thurneck; Schlag
zwoͤlf um Mitternacht ſtuͤnd’ ich mit meinem Kriegs⸗
haufen
vor dem Schloß, und braͤche ein.
Du gehſt 2615
nicht eher in die Burg, du, bis es finſter iſt, und
laͤſſeſt dich vor keinem Menſchen ſehen; verſtehſt du
mich?
— Du brauchſt das Tageslicht nicht zu ſcheuen.
— Habt ihr mich verſtanden?

Die Boten. 2620

Gut.

Rheingraf (nimmt ihnen die Briefe wieder aus der
Hand).

Die Briefe ſind doch nicht verwechſelt?

Friedrich. 2625

Nein, Nein.

Rheingraf.

Nicht? — — Himmel und Erde!

109 Eginhardt.

Was giebt’s? 2630

Rheingraf.

Wer verſiegelte ſie?

Friedrich.

Die Briefe?

Rheingraf. 2635

Ja!

Friedrich.

Tod und Verderben! Du verſiegelteſt ſie ſelbſt!

Rheingraf (giebt den Boten die Briefe wieder).

Ganz recht! hier, nehmt! Auf der Muͤhle, beim 2640
Sturzbach, werd’ ich euch erwarten.
— Kommt meine
Freunde!

(Alle ab).

Scene: Thurneck. Ein Zimmer in der Burg.

Fuͤnfter Auftritt. 2645

Der Graf vom Strahl (ſitzt gedankenvoll an einem Tiſch,
auf welchem zwei Lichter ſtehen. Er haͤlt eine Laute in der Hand,
und thut einige Griffe darauf. Im Hintergrunde, bei ſeinen
Kleidern und Waffen beſchaͤftigt,)
Gottſchalk.

Stimme (von außen). 2650
Macht auf! Macht auf! Macht auf!
110 Gottſchalk.
Holla! — Wer ruft?
Stimme.
Ich, Gottſchalk, bin’s; ich bin’s, du lieber Gott⸗2655
ſchalk!

Gottſchalk.
Wer?
Stimme.
Ich! 2660
Gottſchalk.
Du?
Stimme.
Ja!
Gottſchalk. 2665
Wer?
Stimme.
Ich!
Der Graf vom Strahl (legt die Laute weg).
Die Stimme kenn’ ich! 2670
Gottſchalk.
Mein Seel! Ich hab’ ſie auch ſchon wo gehoͤrt.
Stimme.
Herr Graf vom Strahl! Macht auf! Herr Graf
vom Strahl! 2675
Graf vom Strahl.
Bei Gott! Das iſt —
111 Gottſchalk.
Das iſt, ſo wahr ich lebe —
Stimme. 2680
Das Kaͤthchen iſt’s! Wer ſonſt! Das Kaͤthchen
iſt’s,
Das kleine Kaͤthchen von Heilbronn!
Graf vom Strahl (ſteht auf).
Wie? Was? zum Teufel! 2685
Gottſchalk (legt alles aus der Hand).
Du, Maͤdel? Was! O Herzensmaͤdel! Du?
(Er oͤffnet die Thuͤr).
Graf vom Strahl.
Ward, ſeit die Welt ſteht, ſo etwas —? 2690
Kaͤthchen (indem ſie eintritt).
Ich bin’s.
Gottſchalk.
Schaut her, bei Gott! Schaut her, ſie iſt es ſelbſt!

Sechſter Auftritt. 2695

Das Kaͤthchen (mit einem Brief). Die Vorigen.
Der Graf vom Strahl.
Schmeiß ſie hinaus. Ich will nichts von ihr
wiſſen.
112
Gottſchalk. 2700
Was! Hoͤrt’ ich recht —?
Kaͤthchen.
Wo iſt der Graf vom Strahl?
Graf vom Strahl.
Schmeiß ſie hinaus! Ich will nichts von ihr 2705
wiſſen!
Gottſchalk (nimmt ſie bei der Hand).
Wie, gnaͤdiger Herr, vergoͤnnt —!
Kaͤthchen (reicht ihm den Brief).
Hier! nehmt, Herr Graf! 2710
Graf vom Strahl (ſich ploͤtzlich zu ihr wendend).
Was willſt du hier? Was haſt du hier zu ſuchen?
Kaͤthchen (erſchrocken).
Nichts! — Gott behuͤte! Dieſen Brief hier bitt
ich — 2715
Graf vom Strahl.
Ich will ihn nicht! — Was iſt dies fuͤr ein Brief?
Wo kommt er her? Und was enthaͤlt er mir?
Kaͤthchen.
Der Brief hier iſt — 2720
Graf vom Strahl.
Ich will davon nichts wiſſen!
Fort! Gieb ihn unten in dem Vorſaal ab.
Kaͤthchen.
Mein hoher Herr! Laßt’ bitt ich, euch bedeuten — 2725
Graf 113 Graf Graf Spieß vor Graf mitdruckend. vom Strahl (wild).
Die Dirne, die landſtreichend unverſchaͤmte!
Ich will nichts von ihr wiſſen! Hinweg, ſag’ ich!
Zuruͤck nach Heilbronn, wo du hingehoͤrſt!
Kaͤthchen. 2730
Herr meines Lebens! Gleich verlaſſ’ ich euch!
Den Brief nur hier, der euch ſehr wichtig iſt,
Erniedrigt euch, von meiner Hand zu nehmen.
Graf vom Strahl.
Ich aber will ihn nicht! Ich mag ihn nicht! 2735
Fort! Augenblicks! Hinweg!
Kaͤthchen.
Mein hoher Herr!
Graf von vom Strahl (wendet ſich).
Die Peitſche her! An welchem Nagel haͤngt ſie? 2740
Ich will doch ſehn, ob ich, vor loſen Maͤdchen,
In meinem Haus nicht Ruh mir kann verſchaffen.
(er nimmt die Peitſche von der Wand).
Gottſchalk.
O Gnaͤd’ger Herr! Was macht ihr? Was beginnt 2745
ihr?
Warum auch wollt ihr, den nicht ſie verfaßt,
Den Brief, nicht freundlich aus der Hand ihr neh⸗
men?

Graf vom Strahl. 2750
Schweig, alter Eſel, du, ſag’ ich.
[ 8 ] 114 Kaͤthchen (zu Gottſchalk).
Laß, Laß!
Graf vom Strahl.
In Thurneck bin ich hier, weiß, was ich thue; 2755
Ich will den Brief aus ihrer Hand nicht nehmen!
— Willſt du jetzt gehn?
Kaͤthchen (raſch).
Ja, mein verehrter Herr!
Graf vom Strahl. 2760
Wohlan!
Gottſchalk (halblaut zu Kaͤthchen da ſie zittert).
Sei ruhig. Fuͤrchte nichts.
Graf vom Strahl.
So fern’ dich! — 2765
Am Eingang ſteht ein Knecht, dem gieb den Brief,
Und kehr des Weges heim, von wo du kamſt.
Kaͤthchen.
Gut, gut. Du wirſt mich dir gehorſam finden.
Peitſch mich nur nicht, bis ich mit Gottſchalk ſprach. — 2770
(ſie kehrt ſich zu Gottſchalk um).
Nimm du den Brief.
Gottſchalk.
Gieb her, mein liebes Kind.
Was iſt dies fuͤr ein Brief? Und was enthaͤlt er? 2775
Kaͤthchen.
Der Brief hier iſt vom Graf vom Stein, verſtehſt du?
115 Ein Anſchlag, der noch heut vollfuͤhrt ſoll werden,
Auf Thurneck, dieſe Burg, darin enthalten,
Und auf das ſchoͤne Fraͤulein Kunigunde, 2780
Des Grafen, meines hohen Herren, Braut.
Gottſchalk.
Ein Anſchlag auf die Burg? Es iſt nicht moͤglich!
Und vom Graf Stein? — Wie kamſt du zu dem
Brief? 2785
Kaͤthchen.
Der Brief ward Prior Hatto uͤbergeben,
Als ich mit Vater juſt, durch Gottes Fuͤgung,
In deſſen ſtiller Klauſe mich befand.
Der Prior, der verſtand den Inhalt nicht, 2790
Und wollt’ ihn ſchon dem Boten wiedergeben;
Ich aber riß den Brief ihm aus der Hand,
Und eilte gleich nach Thurneck her, euch Alles
Zu melden, in die Harniſche zu jagen;
Denn heut, Schlag zwoͤlf um Mitternacht, ſoll ſchon 2795
Der moͤrderiſche Frevel ſich vollſtrecken.
Gottſchalk.
Wie kam der Prior Hatto zu dem Brief?
Kaͤthchen.
Lieber, das weiß ich nicht; es iſt gleichviel. 2800
Er iſt, du ſiehſt an irgend wen geſchrieben,
Der hier im Schloß zu Thurneck wohnhaft iſt;
Was er dem Prior ſoll, begreift man nicht.
116 Doch daß es mit dem Anſchlag richtig iſt,
Das hab’ ich ſelbſt geſehn; denn kurz und gut, 2805
Der Graf zieht auf die Thurneck ſchon heran:
Ich bin ihm, auf dem Pfad’ hieher, begegnet.
Gottſchalk.
Du ſiehſt Geſpenſter, Toͤchterchen!
Kaͤthchen. 2810
Geſpenſter! —
Ich ſage, nein! So wahr ich Kaͤthchen bin!
Der Graf liegt draußen vor der Burg, und wer
Ein Pferd beſteigen will, und um ſich ſchauen,
Der kann den ganzen weiten Wald ringsum 2815
Erfuͤllt von ſeinen Reiſigen erblicken!
Gottſchalk.
— Nehmt doch den Brief, Herr Graf, und ſeht
ſelbſt zu.
Ich weiß nicht, was ich davon denken ſoll. 2820
Der Graf vom Strahl (legt die Peitſche weg,
nimmt den Brief und entfaltet ihn).

„Um zwoͤlf Uhr, wenn das Gloͤckchen ſchlaͤgt,
bin ich
Vor Thurneck. Laß die Thore offen ſein. 2825
Sobald die Flamme zuckt, zieh’ ich hinein.
Auf niemand muͤnz’ ich es, als Kunigunden,
Und ihren Braͤutigam, den Graf vom Strahl:
Thu mir zu wiſſen, Alter, wo ſie wohnen.“
117 Gottſchalk. 2830
Ein Hoͤllenfrevel! — Und die Unterſchrift?
Graf vom Strahl.
Das ſind drei Kreuze.
(Pauſe).
Wie ſtark fandſt du den Kriegstroß, Katharina? 2835
Kaͤthchen.
Auf ſechzig Mann, mein hoher Herr, bis ſiebzig.
Graf vom Strahl.
Sahſt du ihn ſelbſt den Graf vom Stein?
Kaͤthchen. 2840
Ihn nicht.
Graf vom Strahl.
Wer fuͤhrte ſeine Mannſchaft an?
Kaͤthchen.
Zwey Ritter, 2845
Mein hochverehrter Herr, die ich nicht kannte.
Graf vom Strahl.
Und jetzt, ſagſt du, ſie laͤgen vor der Burg?
Kaͤthchen.
Ja, mein verehrter Herr. 2850
Graf vom Strahl.
Wie weit von hier?
Kaͤthchen.
Auf ein dreitauſend Schritt, verſtreut im Walde.
118 Graf vom Strahl. 2855
Rechts, auf der Straße?
Kaͤthchen.
Links, im Foͤhrengrunde,
Wo uͤberm Sturzbach ſich die Bruͤcke baut.
(Pauſe). 2860
Gottſchalk.
Ein Anſchlag, graͤuelhaft, und unerhoͤrt!
Graf vom Strahl (ſteckt den Brief ein).
Ruf mir ſogleich die Herrn von Thurneck her!
— Wie hoch iſt’s an der Zeit? 2865
Gottſchalk.
Glock halb auf zwoͤlf.
Graf vom Strahl.
So iſt kein Augenblick mehr zu verlieren.
(er ſetzt ſich den Helm auf). 2870
Gottſchalk.
Gleich, gleich; ich gehe ſchon! — Komm, liebes
Kaͤthchen,
Daß ich dir das erſchoͤpfte Herz erquicke! —
Wie großen Dank, bei Gott, ſind wir dir ſchuldig? 2875
So in der Nacht, durch Wald und Feld und Thal —
Graf vom Strahl.
Haſt du mir ſonſt noch, Jungfrau, was zu ſagen?
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr. 2880
119 Graf vom Strahl.
— Was ſuchſt du da?
Kaͤthchen (ſich in den Buſen faſſend).
Den Einſchlag, der vielleicht dir wichtig iſt.
Ich glaub’, ich hab’ —? Ich glaub’, er iſt —? 2885
(ſie ſieht ſich um).
Graf vom Strahl.
Der Einſchlag?
Kaͤthchen.
Nein, hier. 2890
(ſie nimmt das Couvert und giebt es dem Grafen).
Graf vom Strahl.
Gieb her!
(er betrachtet das Papier).
Dein Antlitz ſpeit ja Flammen! — 2895
Du nimmſt dir gleich ein Tuch um, Katharina,
Und trinkſt nicht ehr, bis du dich abgekuͤhlt.
— Du aber haſt keins?
Kaͤthchen.
Nein — 2900
Graf vom Strahl (macht ſich die Schaͤrpe los —
wendet ſich ploͤtzlich, und wirft ſie auf den Tiſch).

So nimm die Schaͤrpe. Schuͤrze. Vlg. Errata am Ende des Textes.
(nimmt die Handſchuh und zieht ſie ſich an).
Wenn du zum Vater wieder heim willſt kehren, 2905
Werd’ ich, wie ſich’s von ſelbſt verſteht —
(er haͤlt inne).
120 Kathchen. Kaͤthchen.
Was wirſt du?
Graf vom Strahl (erblickt die Peitſche). 2910
Was macht die Peitſche hier?
Gottſchalk.
Ihr ſelbſt ja nahmt ſie —!
Graf vom Strahl (ergrimmt).
Hab’ ich hier Hunde, die zu ſchmeißen ſind? 2915
(er wirft die Peitſche, daß die Scherben niederklirren, durchs
Fenſter; hierauf zu Kaͤthchen):

Pferd’ dir, mein liebes Kind, und Wagen geben,
Die ſicher nach Heilbronn dich heimgeleiten.
— Wann denkſt du heim? 2920
Kaͤthchen (zitternd).
Gleich, mein verehrter Herr Herr.
Graf vom Strahl (ſtreichelt ihre Wangen).
Gleich nicht! Du kannſt im Wirthshaus uͤber⸗
nachten.
2925
(er weint).
— Was glotzt er da? Geh, nimm die Scherben auf!
(Gottſchalk hebt die Scherben auf. Er nimmt die Schaͤrpe
vom Tiſch, und giebt ſie Kaͤthchen).

Da! Wenn du dich gekuͤhlt, gieb mir ſie wieder. 2930
Kaͤthchen (ſie will ſeine Hand kuͤſſen).
Mein hoher Herr!
121 Graf vom Strahl (wendet ſich von ihr ab).
Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl!
(Getuͤmmel und Glockenklang draußen). 2935
Gottſchalk.
Gott, der Allmaͤchtige!
Kaͤthchen.
Was iſt? Was giebts?
Gottſchalk. 2940
Iſt das nicht Sturm?
Kaͤthchen.
Sturm?
Graf vom Strahl.
Auf! Ihr Herrn von Thurneck! 2945
Der Rheingraf, beim Lebend’gen, iſt ſchon da!
(Alle ab).

Scene: Platz vor dem Schloß. Es iſt Nacht. Das Schloß
brennt. Sturmgelaͤute.

Siebenter Auftritt. 2950

Ein Nachtwaͤchter (tritt auf und ſtoͤßt ins Horn).

Feuer! Feuer! Feuer! Erwacht ihr Maͤnner von
Thurneck, ihr Weiber und Kinder des Fleckens er⸗
wacht!
Werft den Schlaf nieder, der, wie ein Rieſe,
uͤber euch liegt; beſinnt euch, erſteht und erwacht!
2955
122 Feuer! Der Frevel zog auf Socken durchs Thor!
Der Mord ſteht, mit Pfeil und Bogen, mitten unter
euch, und die Verheerung, um ihm zu leuchten, ſchlaͤgt
ihre Fackel an alle Ecken der Burg!
Feuer! Feuer!
O daß ich eine Lunge von Erz und ein Wort haͤtte, 2960
das ſich mehr ſchreien ließe, als dies: Feuer! Feuer!
Feuer!

Achter Auftritt.

Der Graf vom Strahl. Die drei Herren von Thurneck.
Gefolge. Der Nachtwaͤchter.
2965
Graf vom Strahl.

Himmel und Erde! Wer ſteckte das Schloß in
Brand?
— Gottſchalk!

Gottſchalk (außerhalb der Scene).

He! 2970

Graf vom Strahl.

Mein Schild, meine Lanze!

Ritter von Thurneck.

Was iſt geſchehn?

Graf vom Strahl. 2975

Fragt nicht, nehmt was hier ſteht, fliegt auf die Waͤl⸗
le,
kaͤmpft und ſchlagt um euch, wie angeſchoſſene Eber!

Ritter von Thurneck.

Der Rheingraf iſt vor den Thoren?

123 Graf vom Strahl. 2980

Vor den Thoren, ihr Herrn, und ehe ihr den
Riegel vorſchiebt, vor schiebt, drinn: Verraͤtherei, im Innern
des Schloſſes, hat ſie ihm geoͤffnet!

Ritter von Thurneck.

Der Mordanſchlag, der unerhoͤrte! — Auf! 2985

(ab mit Gefolge).
Graf vom Strahl.

Gottſchalk!

Gottſchalk (außerhalb).

He! 2990

Graf vom Strahl.

Mein Schwerdt! Mein Schild! meine Lanze.

Neunter Auftritt.

Das Kaͤthchen (tritt auf). Die Vorigen.
Kaͤthchen (mit Schwerdt, Schild und Lanze). 2995

Hier!

Graf vom Strahl (indem er das Schwerdt nimmt
und es ſich umguͤrtet).

Was willſt du?

Kaͤthchen. 3000

Ich bringe dir die Waffen.

Graf vom Strahl.

Dich rief ich nicht!

124 Kaͤthchen.

Gottſchalk rettet. 3005

Graf vom Strahl.

Warum ſchickt er den Buben nicht? — Du dringſt
Dich ſchon wieder auf?

(der Nachtwaͤchter ſtoͤßt wieder ins Horn).

Zehnter Auftritt. 3010

Ritter Flammberg mit Reiſigen. Die Vorigen.
Flammberg.

Ei, ſo blaſe du, daß dir die Wangen berſten! Fi⸗
ſche
und Maulwuͤrfe wiſſen, daß Feuer iſt, was braucht
es deines gotteslaͤſterlichen Geſangs, um es uns zu 3015
verkuͤndigen?

Graf vom Strahl.

Wer da?

Flammberg.

Strahlburgiſche! 3020

Graf vom Strahl.

Flammberg?

Flammberg.

Er ſelbſt!

Graf vom Strahl. 3025

Tritt heran! — Verweil’ hier, bis wir erfahren,
wo der Kampf tobt!

125

Eilfter Auftritt.

Die Tanten von Thurneck (treten auf). Die Vorigen.
Erſte Tante. 3030

Gott helf’ uns!