Das Käthchen von Heilbronn
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Kaͤthchen von Heilbronn
die Feuerprobe
ein großes hiſtoriſches Ritterſchauſpiel
von
Heinrich von Kleiſt.
den 17. 18. und 19. Maͤrz 1810.
1810.
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3
Perſonen:
Personen.
bronn. Kaͤthchen, ſeine Tochter. Gottfried Friedeborn, ihr Braͤutigam. Maximilian, Burggraf von Freiburg. Georg von Waldſtaͤtten, ſein Freund. Der Rheingraf vom Stein, Verlobter Kuni⸗
gundens. Friedrich von Herrnſtadt, Eginhardt von der Wart, ſeine Freunde. 4 Graf Otto von der Fluͤhe, Wenzel von Nachtheim, Hans von Baͤrenklau, Raͤthe des Kaisers und
Richter des heimli⸗
chen Gerichts. Gerichts Jacob Pech, ein Gaſtwirth. Drei Herren von Thurneck. Kunigundens alte Tanten. Ein Koͤhlerjunge. Ein Nachtwaͤchter. Mehrere Ritter. Ein Herold, zwei Koͤhler, Bedienten, Boten,
Haͤſcher, Knechte und Volk.
Erſter Act.
Scene: Eine unterirdiſche Hoͤhle, mit den
Inſignien des Vehm⸗
gerichts, von einer Lampe erleuchtet.
Erſter Auftritt.
Graf Otto von der
Fluͤhe (als Vorſitzer), Wenzel von
5
Nachtheim, Hans von Baͤrenklau (als Beyſaſſen), meh⸗
rere Grafen, Ritter und Herren (ſaͤmmtlich vermummt),
Haͤſcher mit Fackeln u. s. w. — Theobald Friedeborn,
Buͤrger aus Heilbronn (als Klaͤger), Graf Wetter vom
Strahle (als Beklagter, ſtehen vor den Schrauken). Schranken). [liest ›Schranken‹] [liest ›Schranken‹] 10
Graf Otto (ſteht auf).
Wir, Richter des hohen, heimlichen Gerichts,
die
wir, die irdiſchen Schergen Gottes, Vorlaͤufer
der
gefluͤgelten Heere, die er in ſeinen Wolken
muſtert,
den Frevel aufſuchen, da, wo er, in der
Hoͤhle der
15
Bruſt, gleich einem Molche verkrochen, vom
Arm
weltlicher Gerechtigkeit nicht aufgefunden werden
kann:
6
wir rufen dich,
Theobald Friedeborn, ehrſamer und
vielbekannter
Waffenſchmidt aus Heilbronn auf, deine
Klage
anzubringen gegen Friedrich, Graf Wetter vom
20
Strahle;
denn dort, auf den erſten Ruf der heiligen
Vehme, von
des Vehmherolds Hand dreimal mit
dem Griff des
Gerichtsſchwerdts, an die Thore ſei⸗
ner Burg, deinem Geſuch gemaͤß,
iſt er erſchienen,
und fragt, was du willſt?
25
Theobald Friedeborn.
Ihr hohen, heiligen und
geheimnißvollen Herren!
Haͤtte er,
auf den ich klage, ſich bei mir ausruͤſten
laſſen —
ſetzet in Silber, von Kopf bis zu Fuß, oder
30
in
ſchwarzen Stahl, Schienen, Schnallen und Ringe
von
Gold; und haͤtte nachher, wenn ich geſprochen:
Herr,
bezahlt mich! geantwortet: Theobald! Was
willſt du?
Ich bin dir nichts ſchuldig; oder waͤre er
vor die
Schranken meiner Obrigkeit getreten, und
35
haͤtte meine
Ehre, mit der Zunge der Schlangen —
oder waͤre er aus
dem Dunkel mitternaͤchtlicher Waͤl⸗
der herausgebrochen und haͤtte mein Leben
mit Schwerdt
und Dolch, angegriffen: ſo wahr mir Gott
helfe! ich
glaube, ich haͤtte nicht vor euch geklagt.
Ich erlitt,
40
in drei und
funfzig Jahren, da ich lebe, ſo viel Un⸗
recht, daß meiner Seele
Gefuͤhl nun gegen ſeinen
Stachel wie gepanzert iſt;
und waͤhrend ich Waffen
7
ſchmiede, fuͤr Andere, die die Muͤcken ſtechen, ſag ich
ſelbſt zum Skorpion: fort mit dir! und laß ihn
fah⸗45
ren.
Friedrich, Graf Wetter vom Strahl, hat mir
mein Kind verfuͤhrt, meine Katharine.
Nehmt ihn,
ihr irdiſchen Schergen
Gottes, und uͤberliefert ihn
allen geharniſchten
Schaaren, die an den Pforten
der Hoͤlle ſtehen und
ihre glutrothen Spieße ſchwen⸗50
ken: ich klage ihn ſchaͤndlicher
Zauberei, aller Kuͤnſte
der ſchwarzen Nacht und der
Verbruͤderung mit dem
Satan an!
Meiſter Theobald von
Heilbronn!
Erwaͤge wohl,
55
was du ſagſt. Du bringſt vor, der Graf vom Strahl,
uns vielfaͤltig und von guter Hand bekannt, habe dir
dein Kind verfuͤhrt.
Du klagſt ihn, hoff
ich, der
Zauberei nicht an, weil er deines Kindes Herz von
dir
abwendig gemacht?
Weil er ein Maͤdchen, voll
ra⸗60
ſcher Einbildungen, mit einer Frage, wer ſie ſey?
oder wohl gar mit dem bloßen Schein ſeiner rothen
Wangen, unter dem Helmſturz hervorgluͤhend, oder
mit irgend einer andern Kunſt des hellen Mittags
ausgeuͤbt auf jedem Jahrmarkt, fuͤr ſich gewonnen
65
hat?
Es iſt wahr, ihr Herren, ich
ſah ihn nicht zur
Nachtzeit, an Mooren und
ſchilfreichen Geſtaden,
8
oder wo ſonſt des Menſchen Fuß ſelten erſcheint, um⸗70
herwandeln und mit
den Irrlichtern Verkehr treiben.
Ich fand ihn nicht auf den Spitzen der Gebirge, den
Zauberſtab in der Hand, das unſichtbare Reich der
Luft abmeſſen, oder in unterirdiſchen Hoͤhlen, die
kein Strahl erhellt, Beſchwoͤrungsformeln aus dem
75
Staub heraufmurmeln.
Ich
ſah den Satan und die
Schaaren, deren Verbruͤderten
ich ihn nannte, mit
Hoͤrnern, Schwaͤnzen und Klauen,
wie ſie zu Heil⸗
bronn, uͤber dem Altar abgebildet ſind, an ſeiner
Seite nicht.
Wenn ihr mich
gleichwohl reden laſſen
80
wollt, ſo denke ich es durch
eine ſchlichte Erzaͤhlung
deſſen, was ſich
zugetragen, dahin zu bringen, daß
ihr aufbrecht, und
ruft: unſrer ſind dreizehn und der
vierzehnte iſt der
Teufel! zu den Thuͤren rennt und
den Wald, der dieſe
Hoͤhle umgiebt, auf dreihundert
85
Schritte im Umkreis,
mit euren Taftmaͤnteln und
Federhuͤthen beſaͤet.
Nun, du alter, wilder Klaͤger!
ſo rede!
Zuvoͤrderſt muͤßt ihr wiſſen,
ihr Herren, daß mein
Kaͤthchen Oſtern, die nun
verfloſſen,
funfzehn
funfzehn
Spieß hinter ›funfzehn‹.
Jahre
alt war; geſund an Leib und Seele, wie
die erſten
Menſchen, die gebohren worden ſein moͤgen;
ein
Kind recht nach der Luſt Gottes, das heraufging
aus
95
9
der Wuͤſten, am
ſtillen Feierabend meines Lebens,
wie ein gerader
Rauch von Myrrhen und Wachhol⸗
dern!
Ein Weſen von zarterer, frommerer und liebe⸗
rer Art
muͤßt ihr euch nicht denken, und kaͤmt ihr,
auf
Fluͤgeln der Einbildung, zu den lieben, kleinen
100
Engeln, die, mit hellen Augen, aus den Wolken,
unter Gottes Haͤnden und Fuͤßen hervorgucken.
Ging
ſie in ihrem buͤrgerlichen
Schmuck uͤber die Straße,
den Strohhut auf, von
gelbem Lack erglaͤnzend, das
ſchwarzſammtene
Leibchen, das ihre Bruſt umſchloß,
105
mit feinen
Silberkettlein behaͤngt: ſo lief es fluͤſternd
von
allen Fenſtern herab: das iſt das Kaͤthchen von
Heilbronn; das Kaͤthchen von Heilbronn, ihr Her⸗
ren, als ob der Himmel
von Schwaben ſie erzeugt,
und von ſeinem Kuß
geſchwaͤngert, die Stadt, die
110
unter ihm liegt, ſie
gebohren haͤtte.
Vettern und Baſen,
mit welchen die Verwandtſchaft, ſeit drey
Menſchenge⸗
ſchlechtern vergeſſen worden war,
nannten ſie, auf Kind⸗
taufen und Hochzeiten, ihr liebes
Muͤhmchen, ihr liebes
Baͤſchen; der ganze Markt, auf
dem wir wohnten, er⸗115
ſchien an ihrem Namenstage, und bedraͤngte
ſich und
wetteiferte, ſie zu beſchenken; wer ſie nur
einmal, ge⸗
ſehen und einen Gruß im Voruͤbergehen von ihr em⸗
pfangen hatte, ſchloß ſie acht folgende Tage lang, als
ob ſie ihn gebeſſert haͤtte, in ſein Gebet ein.
Eigen⸗120
thuͤmerin eines
Landguts, das ihr der Großvater, mit
10
Ausſchluß meiner, als einem Goldkinde, dem er ſich
liebreich bezeigen wollte, vermacht hatte, war ſie
ſchon
unabhaͤngig von mir, eine der wohlhabendſten
Buͤrge⸗
rinnen der Stadt. Fuͤnf Soͤhne wackerer Buͤrger,
125
bis in den Tod von ihrem Werthe geruͤhrt, hatten
nun ſchon um ſie angehalten; die Ritter, die durch
die Stadt zogen, weinten, daß ſie kein Fraͤulein
war;
ach, und waͤre ſie Eines geweſen, das
Morgenland
waͤre aufgebrochen, und haͤtte Perlen und
Edelge⸗130
ſteine, von Mohren getragen, zu ihren Fuͤßen
gelegt.
Aber ſowohl ihre, als meine Seele, bewahrte
der Him⸗
mel vor Stolz; und weil Gottfried Friedeborn, der
junge Landmann, deſſen Guͤter das ihrige umgraͤnzen,
ſie zum Weibe begehrte, und ſie auf meine Frage:
135
Katharine, willt du ihn? antwortete: Vater! Dein
Wille ſei meiner; ſo ſagte ich: der Herr ſegne
euch!
und weinte und jauchzte, und beſchloß, Oſtern,
die
kommen, ſie nun zur Kirche zu bringen.
— So war
ſie, ihr Herren, bevor
ſie mir dieſer entfuͤhrte.
140
Nun? Und wodurch entfuͤhrte er
ſie dir?
Durch
welche
Mittel hat er ſie dir und dem Pfade, auf wel⸗
chen du ſie gefuͤhrt
hatteſt, wieder entriſſen?
Durch welche Mittel? —
Ihr Herren, wenn ich
das ſagen
koͤnnte, ſo begriffen es dieſe fuͤnf Sinne,
11
und ſo ſtaͤnd ich nicht vor euch und klagte
auf alle,
mir unbegreiflichen, Graͤuel der Hoͤlle.
Was ſoll ich
vorbringen,
wenn ihr mich fragt, durch welche Mit⸗150
tel? Hat er ſie am Brunnen
getroffen, wenn ſie Waſ⸗
ſer ſchoͤpfte, und geſagt: Lieb Maͤdel,
wer biſt du?
hat er ſich an den Pfeiler geſtellt,
wenn ſie aus der
Mette kam, und gefragt: Lieb
Maͤdel, wo wohnſt
du? hat er ſich, bei naͤchtlicher
Weile, an ihr Fenſter
155
geſchlichen, und, indem er ihr
einen Halsſchmuck
umgehaͤngt, geſagt: Lieb Maͤdel,
wo ruhſt du?
Ihr
hochheiligen Herren, damit war ſie nicht zu gewin⸗
nen!
Den Judaskuß errieth unſer Heiland nicht ra⸗
ſcher,
als ſie ſolche Kuͤnſte.
Nicht mit Augen, ſeit
160
ſie gebohren ward, hat ſie ihn geſehen; ihren
Ruͤcken,
und das Maal darauf, das ſie von ihrer
ſeeligen
Mutter erbte, kannte ſie beſſer, als ihn.
(er weint.)
Und gleichwohl, wenn er ſie
verfuͤhrt hat, du
165
wunderlicher Alter, ſo muß es wann
und irgendwo
geſchehen ſein?
Heiligen Abend vor Pfingſten,
da er auf fuͤnf
Minuten in meine Werkſtatt kam, um
ſich, wie er
170
ſagte, eine Eiſenſchiene, die ihm
zwiſchen Schulter
und Bruſt losgegangen war, wieder
zuſammenheften
zu laſſen.
Was!
175
Am hellen Mittag?
Da er auf fuͤnf Minuten in
deine Werkſtatt kam,
um ſich eine Bruſtſchiene
anheften zu laſſen?
180
Graf Otto.
Faſſe dich, Alter, und
erzaͤhle den Hergang.
Es mogte ohngefaͤhr eilf Uhr
Morgens ſein, als
185
er, mit einem Troß Reiſiger, vor
mein Haus ſprengte,
raſſelnd, der Erzgepanzerte, vom
Pferd ſtieg, und in
meine Werkſtatt trat: das Haupt
tief herab neigt’ er,
um mit den Reiherbuͤſchen, die
ihm
von
vom
Helm nie⸗
derwankten, durch die Thuͤr zu kommen.
Meiſter,
190
ſchau her,
ſpricht er: dem Pfalzgrafen, der eure Waͤlle
niederreißen will, zieh ich entgegen; die Luſt, ihn zu
treffen, ſprengt mir die Schienen; nimm Eiſen
nnd
und
Drath, ohne daß ich mich zu entkleiden brauche, und
heft’ ſie mir wieder zuſammen.
Herr! ſag ich: wenn
195
euch die
Bruſt ſo die Ruͤſtung zerſchmeißt, ſo laͤßt
der
Pfalzgraf unſere Waͤlle ganz; noͤthig’ ihn auf
einen
Seſſel, in des Zimmers Mitte nieder, und:
Wein! ruf
ich in die Thuͤre, und vom friſchgeraͤu⸗
13
cherten Schinken, zum Imbiß! und ſetz’, einen
Sche⸗200
mel, mit Werkzeugen verſehn, vor ihn, um ihm die
Schiene wieder herzuſtellen.
Und waͤhrend draußen
noch der
Streithengſt wiehert, und, mit den Pferden
der
Knechte, den Grund zerſtampft, daß der Staub,
als
waͤr’ ein Cherub vom Himmel niedergefahren,
205
emporquoll: oͤffnet langſam, ein großes, flaches Sil⸗
bergeſchirr auf dem Kopf tragend, auf welchem
Fla⸗
ſchen, Glaͤſer und der Imbiß geſtellt waren, das
Maͤdchen die Thuͤre und tritt ein.
Nun ſeht, wenn
mir Gott der Herr
aus Wolken erſchiene, ſo wuͤrd
210
ich mich ohngefaͤhr
ſo faſſen, wie ſie.
Geſchirr und
Becher und Imbiß, da ſie den Ritter erblickt, laͤßt
ſie fallen; und leichenbleich, mit Haͤnden, wie
zur
Anbetung verſchraͤnkt, den Boden mit Bruſt und
Scheiteln kuͤſſend, ſtuͤrzt ſie vor ihm nieder,
als ob
215
ſie ein Blitz nieder geſchmettert haͤtte!
Und da ich
ſage: Herr
meines Lebens! Was fehlt dem Kind?
und ſie aufhebe:
ſchlingt ſie, wie ein Taſchenmeſſer
zuſammenfallend,
den Arm um mich, das Antlitz
flammend auf ihn
gerichtet, als ob ſie eine Erſchei⸗220
nung haͤtte.
Der Graf vom Strahl, indem er ihre
Hand nimmt, fragt: weß iſt das Kind?
Geſellen
und Maͤgde ſtroͤmen
herbey und jammern: hilf Him⸗
mel! Was iſt dem Juͤngferlein widerfahren;
doch da
ſie ſich, mit einigen ſchuͤchternen Blicken
auf ſein
225
14
Antlitz,
erholt, ſo denk ich, der Anfall iſt wohl auch
voruͤber und gehe, mit Pfriemen und Nadeln, an
mein Geſchaͤft.
Drauf ſag ich: Wohlauf,
Herr Ritter!
Nun moͤgt
ihr den Pfalzgrafen treffen; die Schiene
iſt
eingerenkt, das Herz wird ſie euch nicht mehr zer⸗230
ſprengen.
Der Graf ſteht auf; er ſchaut das Maͤd⸗
chen,
das ihm bis an die Bruſthoͤhle ragt, vom Wir⸗
bel zur Sohle,
gedankenvoll an, und beugt ſich, und
kuͤßt ihr die
Stirn und ſpricht: der Herr ſeegne
dich, und behuͤte
dich, und ſchenke dir ſeinen Frieden,
235
Amen!
Und da wir an das Fenſter treten: ſchmeißt
ſich das Maͤdchen, in dem Augenblick, da er den
Streithengſt beſteigt, dreißig Fuß hoch, mit
aufge⸗
hobenen Haͤnden, auf das Pflaſter der Straße
nie⸗
der: gleich einer Verlohrenen, die ihrer fuͤnf Sinne
240
beraubt iſt!
Und bricht
ſich beide Lenden, ihr heiligen
Herren, beide zarten
Lendchen, dicht uͤber des Knie⸗
runds elfenbeinernem Bau; und ich, alter,
bejam⸗
mernswuͤrdiger Narr, der mein verſinkendes Leben auf
ſie ſtuͤtzen wollte, muß ſie, auf meinen
Schultern, wie
245
zu Grabe tragen; indeſſen er dort,
den Gott ver⸗
damme! zu Pferd, unter dem Volk, das herbeiſtroͤmt,
heruͤberruft von hinten, was vorgefallen ſei! —
Hier
liegt ſie nun, auf
dem Todbett, in der Glut des
hitzigen Fiebers, ſechs
endloſe Wochen, ohne ſich zu
250
regen.
Keinen Laut bringt ſie hervor; auch nicht
15
der Wahnſinn, dieſer
Dietrich aller Herzen, eroͤffnet
das ihrige; kein
Menſch vermag das Geheimniß, das
in ihr waltet, ihr
zu entlocken.
Und pruͤft, da ſie
ſich ein wenig erholt hat, den Schritt, und ſchnuͤrt
255
ihr Buͤndel, und tritt, beim Strahl der
Morgen⸗
ſonne, in die Thuͤr: wohin? fragt ſie die Magd;
zum Grafen Wetter vom Strahl antwortet ſie, und
verſchwindet.
Es iſt nicht moͤglich!
Verſchwindet?
Und laͤßt Alles hinter ſich
zuruͤck?
265
Eigenthum, Heimath und den
Braͤutigam, dem
ſie verlobt war?
Und begehrt auch deines
Seegens nicht einmal?
Verſchwindet, ihr Herren —
Verlaͤßt mich und
Alles, woran Pflicht, Gewohnheit
und Natur ſie knuͤpf⸗
ten
— Kuͤßt mir die
Augen, die ſchlummernden, und
verſchwindet; ich
wollte, ſie haͤtte ſie mir zugedruͤckt.
Beim Himmel! Ein ſeltſamer
Vorfall. —
Seit jenem Tage folgt ſie ihm
nun, gleich einer
Metze, in blinder Ergebung, von
Ort zu Ort; ge⸗
fuͤhrt am Strahl ſeines Angeſichts, fuͤnfdraͤthig, wie
280
einen Tau, um ihre Seele gelegt; auf nackten,
jedem
Kieſel ausgeſetzten, Fuͤßen, das kurze
Roͤckchen, das
ihre Huͤfte deckt, im Winde
flatternd, nichts als den
Strohhut auf, ſie gegen
der Sonne Stich, oder den
Grimm empoͤrter Witterung
zu ſchuͤtzen.
Wohin ſein
285
Fuß, im Lauf ſeiner Abentheuer, ſich wendet: durch
den Dampf der Kluͤfte, durch die Wuͤſte, die der
Mittag verſengt, durch die Nacht verwachſener Waͤl⸗
der:
wie ein Hund, der von ſeines Herren Schweiß
gekoſtet, ſchreitet ſie hinter ihm her; und die gewohnt
290
war, auf weichen Kiſſen zu ruhen, und das Knoͤt⸗
lein
ſpuͤrte, in des Bettuchs Faden, das ihre Hand
unachtſam darin eingeſponnen hatte: die liegt jetzt,
einer Magd gleich, in ſeinen Staͤllen, und ſinkt,
wenn die Nacht koͤmmt, ermuͤdet auf die Streu
nie⸗295
der, die ſeinen ſtolzen Roſſen untergeworfen
wird.
Graf Wetter vom Strahl! Iſt
dies gegruͤndet?
Wahr iſts, ihr Herren; ſie
geht auf der Spur,
300
die hinter mir zuruͤckbleibt.
Wenn ich mich umſehe,
erblick’ ich zwei Dinge: meinen Schatten und ſie.
Graf
Und wie erklaͤrt ihr euch
dieſen ſonderbaren Um⸗
ſtand?
305
Ihr unbekannten Herren der
Vehme!
Wenn der
Teufel
ſein Spiel mit ihr treibt, ſo braucht er mich
dabei,
wie der Affe die Pfoten der Katze; ein Schelm
will
ich ſein, holt er den Nußkern fuͤr mich.
Wollt
310
ihr meinem Wort ſchlechthin, wies die heilige
Schrift
vorſchreibt, glauben: ja, ja, nein, nein;
gut!
Wo
nicht, ſo will
ich nach Worms, und den Kaiſer bit⸗
ten, daß er den Theobald
ordinire.
Hier werf’ ich
ihm vorlaͤufig meinen Handſchuh hin!
315
Ihr ſollt hier Rede ſtehn, auf
unſre Frage!
Womit
rechtfertigt ihr, daß ſie unter eurem Dache
ſchlaͤft?
Sie, die in das Haus hingehoͤrt,
wo ſie ge⸗
bohren und erzogen ward?
320
Ich war, es moͤgen ohngefaͤhr
zwoͤlf Wochen ſein,
auf einer Reiſe, die mich nach
Straßburg fuͤhrte,
ermuͤdet, in der Mittagshitze, an
einer Felswand,
eingeſchlafen — nicht im Traum
gedacht ich des Maͤd⸗325
chens mehr, das in Heilbronn aus dem
Fenſter ge⸗
ſtuͤrzt war — da liegt ſie mir, wie ich erwache, gleich
einer Roſe, entſchlummert zu Fuͤßen; als ob ſie
vom
[ 2 ]
18
Himmel herabgeſchneit waͤre!
Und da ich zu den
Knechten, die
im Graſe herumliegen, ſage: Ei, was
330
der Teufel!
Das iſt ja das Kaͤthchen von Heilbronn!
ſchlaͤgt ſie die Augen auf, und bindet ſich das
Huͤt⸗
lein zuſammen, das ihr ſchlafend vom Haupt
herab⸗
gerutſcht war.
Katharine!
ruf ich: Maͤdel! Wo
koͤmmſt auch her?
Auf funfzehn Meilen von Heil⸗335
bronn, fernab am
Geſtade des Rheins?
„Hab’ ein
Geſchaͤft, geſtrenger Herr,“ antwortet ſie, „das mich
gen Straßburg fuͤhrt; ſchauert mich im Wald ſo
ein⸗
ſam zu wandern, und ſchlug mich zu euch.“
Drauf laß
ich ihr zur
Erfriſchung reichen, was mir Gottſchalk,
340
der Knecht,
mit ſich fuͤhrt, und erkundige mich: wie
der Sturz
abgelaufen? auch, was der Vater macht?
Und was ſie in Straßburg zu erſchaffen denke?
Doch
da ſie nicht freiherzig mit
der Sprache herausruͤckt:
was auch gehts dich an,
denk’ ich; ding’ ihr einen
345
Boten, der ſie durch
deu
den
Wald fuͤhre, ſchwing mich
auf den Rappen, und
reite ab.
Abends, in der Her⸗
berg,
an der Straßburger Straß, will ich mich eben
zur Ruh
niederlegen: da kommt Gottſchalk, der Knecht,
und
ſpricht: das Maͤdchen ſei unten und begehre in
350
meinen Staͤllen zu uͤbernachten.
Bei den
Pferden?
frag’ ich.
Ich
ſage: wenn’s ihr weich genug iſt, mich
wird’s nicht
druͤcken.
Und fuͤge noch, indem ich mich
im Bett wende, hinzu: magſt ihr wohl eine Streu
19
unterlegen, Gottſchalk,
und ſorgen, daß ihr Nichts
355
widerfahre.
Drauf, wandert ſie, kommenden Tages
fruͤher aufgebrochen, als ich, wieder auf der
Heer⸗
ſtraße, und lagert ſich wieder in meinen Staͤllen,
und
lagert ſich Nacht fuͤr Nacht, ſo wie mir der
Streif⸗
zug fortſchreitet, darin, als ob ſie zu meinem Troß
360
gehoͤrte.
Nun litt ich
das, ihr Herren, um jenes
grauen, unwirrſchen Alten
willen, der mich jetzt darum
ſtraft; denn der
Gottſchalk, in ſeiner Wunderlichkeit,
hatte das
Maͤdchen lieb gewonnen, und pflegte ihrer,
in der
That, als ſeiner Tochter; fuͤhrt dich die Reiſe
365
einſt, dacht’ ich, durch Heilbronn, ſo wird der Alte
dirs danken.
Doch da ſie
ſich auch in Straßburg,
in der erzbiſchoͤflichen
Burg, wieder bei mir einfindet,
und ich gleichwohl
ſpuͤre, daß ſie nichts im Orte er⸗
ſchafft: denn mir hatte ſie
ſich ganz und gar geweiht,
370
und wuſch und flickte,
als ob es ſonſt am Rhein
nicht zu haben waͤre: ſo
trete ich eines Tages, da ich
ſie auf der
Stallſchwelle finde, zu ihr und frage:
was fuͤr ein
Geſchaͤft ſie in Straßburg betreibe?
Ei,
ſpricht ſie geſtrenger Herr, und eine Roͤthe, daß ich
375
denke, ihre Schuͤrze wird angehen, flammt uͤber
ihr
Antlitz empor: „was fragt ihr doch? ihr wißts
ja!“
— Holla! denk ich,
ſteht es ſo mit dir? und ſende
einen Boten flugs
nach Heilbronn, dem Vater zu,
mit folgender Meldung:
das Kaͤthchen ſei bei mir;
380
20
ich huͤtete ſeiner; in kurzem koͤnne er es, vom Schloſſe
zu Strahl, wohin ich es zuruͤckbringen wuͤrde,
ab⸗
holen.
Nun?
Und hierauf?
385
Der Alte holte die Jungfrau
nicht ab?
Drauf, da er am zwanzigſten
Tage, um ſie ab⸗
zuholen, bei mir erſcheint, und ich ihn in meiner
Vaͤ⸗390
ter Saal fuͤhre: erſchau ich mit Befremden, daß er,
beim Eintritt in die Thuͤr, die Hand in den Weih⸗
keſſel ſteckt, und mich mit dem Waſſer, das darin
befindlich iſt, beſprengt.
Ich arglos, wie ich von
Natur bin, noͤth’ge ihn auf
einen Stuhl nieder; er⸗395
zaͤhle ihm, mit Offenherzigkeit, Alles, was
vorgefal⸗
len; eroͤffne ihm auch, in meiner Theilnahme, die
Mittel, wie er die Sache, ſeinen Wuͤnſchen gemaͤß,
wieder in’s Geleis ruͤcken koͤnne; und troͤſte ihn
und
fuͤhr ihn, um
ihn
ihm
das Maͤdchen zu uͤbergeben, in den
400
Stall
hinunter, wo ſie ſteht, und mir eine Waffe von
Roſt
ſaͤubert.
So wie er in die Thuͤr tritt, und
die
Arme mit thraͤnenvollen Augen oͤffnet, ſie zu
em⸗
pfangen, ſtuͤrzt mir das Maͤdchen leichenbleich zu
Fuͤ⸗
ßen, alle Heiligen anrufend, daß ich ſie vor ihm
ſchuͤtze.
405
Gleich einer
Salzſaͤule ſteht er, bei dieſem Anblick,
21
da; und ehe ich mich noch gefaßt habe,
ſpricht er
ſchon, das entſetzensvolle Antlitz auf
mich gerichtet:
das iſt der leibhaftige Satan! und
ſchmeißt mir den
Hut, den er in der Hand haͤlt, in’s
Geſicht, als
410
wollt’ er ein Graͤuelbild verſchwinden
machen, und
laͤuft, als ſetzte die ganze Hoͤlle ihm
nach, nach Heil⸗
bronn zuruͤck.
Du wunderlicher Alter! Was
haſt du fuͤr Ein⸗415
bildungen?
Was war in dem Verfahren des
Ritters, das Ta⸗
del verdient?
Kann er
dafuͤr, wenn ſich das Herz
deines thoͤrichten
Maͤdchens ihm zuwendet?
420
Was iſt in dieſem ganzen
Vorfall, das ihn an⸗
klagt?
Was ihn anklagt?
O du — Menſch, entſetzlicher,
425
als Worte faſſen, und der Gedanke ermißt: ſtehſt du
nicht rein da, als haͤtten die Cherubim ſich entkleidet,
und ihren Glanz dir, funkelnd wie Mailicht, um die
Seele gelegt! —
Mußt’ ich
vor dem Menſchen nicht
erbeben, der die Natur, in
dem reinſten Herzen, das
430
je geſchaffen ward,
dergeſtalt umgekehrt hat, daß ſie
vor dem Vater, zu
ihr gekommen, ſeiner Liebe Bruſt
22
ihren Lippen zu reichen, kreideweißen Antlitzes
ent⸗
weicht, wie vor dem Wolfe, der ſie zerreißen will?
Nun denn, ſo walte,
Hekate, Fuͤrſtinn des Zaubers,
435
moorduftige Koͤniginn
der Nacht!
Sproßt, ihr daͤmo⸗
niſchen Kraͤfte, die die menſchliche Satzung ſonſt
aus⸗
zujaͤten bemuͤht war, bluͤht auf, unter dem Athem
der Hexen, und ſchoßt zu Waͤldern empor, daß die
Wipfel ſich zerſchlagen, und die Pflanze des Himmels,
440
die am Boden keimt, verweſe; rinnt, ihr Saͤfte der
Hoͤlle, troͤpfelnd aus Staͤmmen und Stielen
gezo⸗
gen, fallt, wie ein Katarakt, ins Land, daß der
erſtickende Peſtqualm zu den Wolken empordampft;
fließt und ergießt euch durch alle Roͤhren des Lebens,
445
und ſchwemmt, in allgemeiner Suͤndfluth, Unſchuld
und Tugend hinweg!
Hat er ihr Gift
eingefloͤßt?
Meinſt du, daß er ihr
verzauberte Traͤnke gereicht?
Opiate, die des Menſchen Herz,
der ſie genießt,
mit geheimnißvoller Gewalt
umſtricken?
Gift?
Opiate?
Ihr hohen Herren,
was fragt
ihr mich? Ich habe die Flaſchen nicht gepfropft, von
welchen er ihr, an der Wand des Felſens, zur
Erfri⸗
23
ſchung reichte; ich ſtand
nicht dabei, als ſie in der
Herberge, Nacht fuͤr
Nacht, in ſeinen Staͤllen ſchlief.
460
Wie ſoll ich wiſſen, ob er ihr Gift eingefloͤßt?
habt
neun Monate Geduld; alsdann ſollt ihr ſehen,
wies
ihrem jungen Leibe
bekommen,
bekommen
iſt.
Der alte Eſel, der! Dem
entgegn’ ich nichts, als
465
meinen Namen!
Ruft ſie herein; und wenn ſie ein
Wort ſagt, auch nur von fern duftend, wie dieſe
Gedanken, ſo nennt mich den Grafen von der ſtin⸗
kenden Pfuͤtze, oder
wie es ſonſt eurem gerechten Un⸗
willen beliebt.
470
Zweiter Auftritt.
Kaͤthchen (mit verbundenen Augen, gefuͤhrt von)
zwei Haͤ⸗
ſchern — Die Haͤſcher (nehmen ihr das Tuch ab, und
gehen wieder fort). — Die Vorigen.
Kaͤthchen (ſieht ſich in der Verſammlung um, und beugt, 475
da ſie den Grafen erblickt eine erblickt, ein Knie vor ihm).
Mein hoher Herr!
Der Graf vom Strahl.
Was willſt du?
Kaͤthchen. 480
Vor meinen Richter hat man mich gerufen.
24 Der Graf vom Strahl.
Dein Richter bin nicht ich. Steh auf, dort ſitzt er;
Hier ſteh ich, ein Verklagter, ſo wie du.
Kaͤthchen. 485
Mein hoher Herr! Du ſpotteſt.
Der Graf vom Strahl.
Nein! Du hoͤrſt!
Was neigſt du mir dein Angeſicht in Staub?
Ein Zaubrer bin ich, und geſtand es ſchon, 490
Und laß, aus jedem Band, das ich dir wirkte,
Jetzt deine junge Seele los.
(er erhebt ſie).
Graf Otto.
Hier Jungfrau, wenn’s beliebt; hier iſt die Schranke! 495
Hans.
Hier ſitzen deine Richter!
Kaͤthchen (ſieht ſich um).
Ihr verſucht mich.
Wenzel. 500
Hier tritt heran! Hier ſollſt du Rede ſtehn.
Kaͤthchen (ſtellt ſich neben den Grafen vom Strahl,
und ſieht die Richter an).
Graf Otto.
Nun? 505
Wenzel.
Wirds?
25 Hans.
Wirſt du gefaͤllig dich bemuͤhn?
Graf Otto. 510
Wirſt dem Gebot dich deiner Richter fuͤgen?
Kaͤthchen (fuͤr ſich).
Sie rufen mich.
Wenzel.
Nun, ja! 515
Hans.
Was ſagte ſie?
Graf Otto (befremdet).
Ihr Herrn, was fehlt dem ſonderbaren Weſen?
(ſie ſehen ſich an) 520
Kaͤthchen (fuͤr ſich).
Vermummt von Kopf zu Fuͤßen ſitzen ſie,
Wie das Gericht, am juͤngſten Tage, da!
Der Graf vom Strahl (ſie aufweckend).
Du wunderliche Maid! Was traͤumſt, was treibſt 525
du?
Du ſtehſt hier vor dem heimlichen Gericht!
Auf jene boͤſe Kunſt bin ich verklagt,
Mit der ich mir, du weißt, dein Herz gewann,
Geh hin, und melde jetzo, was geſchehn! 530
Kaͤthchen (ſieht ihn an und legt ihre Haͤnde auf die Bruſt).
— Du quaͤlſt mich grauſam, das daß ich weinen
moͤgte!
26 Belehre deine Magd, mein edler Herr,
Wie ſoll ich mich in dieſem Falle faſſen? 535
Graf Otto (ungeduldig).
Belehren — was!
Hans.
Bei Gott! Iſt es erhoͤrt?
Der Graf vom Strahl (mit noch milder Strenge). 540
Du ſollſt ſogleich vor jene Schranke treten,
Und Rede ſtehn, auf was man fragen wird!
Kaͤthchen.
Nein, ſprich! Du biſt verklagt?
Der Graf vom Strahl. 545
Du hoͤrſt.
Kaͤthchen.
Und jene Maͤnner dort ſind deine Richter?
Der Graf vom Strahl.
So iſt’s. 550
Kaͤthchen (zur Schranke tretend).
Ihr wuͤrd’gen Herrn, wer ihr auch ſein moͤgt
dort,
Steht gleich vom Richtſtuhl auf und raͤumt ihn dieſem!
Denn, beim lebend’gen Gott, ich ſag’ es euch, 555
Rein, wie ſein Harniſch iſt ſein Herz, und eures
Verglichen ihm, und meins, wie eure Maͤntel.
Wenn hier geſuͤndigt ward, iſt er der Richter,
Und ihr ſollt zitternd vor der Schranke ſtehn!
27 Graf Otto. 560
Du, Naͤrrinn, juͤngſt der Nabelſchnur entlau⸗
fen,
Woher kommt die prophet’ſche Kunde dir?
Welch ein Apoſtel hat dir das vertraut?
Theobald. 565
Seht die Unſeelige!
Kaͤthchen (da ſie den Vater erblickt, auf ihn zugehend).
Mein theurer Vater!
(ſie will ſeine Hand ergreifen).
Theobald (ſtreng). 570
Dort iſt der Ort jetzt, wo du hingehoͤrſt!
Kaͤthchen.
Weis’ mich nicht von dir.
(ſie faßt ſeine Hand und kuͤßt ſie).
Theobald. 575
— Kennſt du das Haar noch wieder,
Das deine Flucht mir juͤngſthin grau gefaͤrbt?
Kaͤthchen.
Kein Tag verging, daß ich nicht einmal dachte,
Wie ſeine Locken fallen. Sei geduldig, 580
Und gieb dich nicht unmaͤß’gem Grame Preis:
Wenn Freude Locken wieder dunkeln kann,
So ſollſt du wieder wie ein Juͤngling bluͤhn.
Graf Otto.
Ihr Haͤſcher dort! ergreift ſie! bringt ſie her! 585
28 Theobald.
Geh’ hin, wo man dich ruft.
Kaͤthchen (zu den Richtern, da ſich ihr die Haͤſcher naͤhern).
Was wollt ihr mir?
Wenzel. 590
Saht ihr ein Kind, ſo ſtoͤrrig je, als dies?
Graf Otto (da ſie vor der Schranke ſteht).
Du ſollſt hier Antwort geben, kurz und buͤndig,
Auf unſre Fragen! Denn wir, von unſere[m] unſerem Das ›m‹ ist kopfstehend montiert.
Gewiſſen eingeſetzt, ſind deine Richter, 595
Und an der Strafe, wenn du frevelteſt,
Wird’s deine uͤbermuͤth’ge Seele fuͤhlen.
Kaͤthchen.
Sprecht ihr verehrten Herrn; was wollt ihr wiſſen?
Graf Otto. 600
Warum, als Friedrich Graf vom Strahl erſchien,
In deines Vaters Haus, biſt du zu Fuͤßen,
Wie man vor Gott thut, nieder ihm geſtuͤrzt?
Warum warfſt du, als er von dannen ritt,
Dich aus dem Fenſter ſinnlos auf die Straße, 605
Und folgteſt ihm, da kaum dein Bein vernarbt,
Von Ort zu Ort, durch Nacht und Graus und
Nebel,
Wohin ſein Roß den Fußtritt wendete?
Kaͤthchen (hochroth zum Grafen). 610
Das ſoll ich hier vor dieſen Maͤnnern ſagen?
29 Der Graf vom Strahl.
Die Naͤrrin, die verwuͤnſchte, ſinnverwirrte,
Was fragt ſie mich? Iſts nicht an jener Maͤnner
Gebot, die Sache darzuthun, genug? 615
Kaͤthchen (in Staub niederfallend).
Nimm mir, o Herr, das Leben, wenn ich fehlte!
Was in des Buſens ſtillem Reich geſchehn,
Und Gott nicht ſtraft, das braucht kein Menſch zu
wiſſen; 620
Den nenn’ ich grauſam, der mich darum fragt!
Wenn du es wiſſen willſt, wohlan, ſo rede,
Denn dir liegt meine Seele offen da!
Hans Hans.
Ward, ſeit die Welt ſteht, ſo etwas erlebt? 625
Wenzel.
Im Staub liegt ſie vor ihm —
Hans.
Geſtuͤrzt auf Knieen —
Wenzel. 630
Wie wir vor dem Erloͤſer hingeſtreckt!
Der Graf vom Strahl (zu den Richtern).
Ihr wuͤrd’gen Herrn, ihr rechnet hoff ich, mir
Nicht dieſes Maͤdchens Thorheit an! Daß ſie
Ein Wahn bethoͤrt, iſt klar, wenn euer Sinn 635
Auch gleich, wie meiner, noch nicht einſieht, welcher?
Erlaubt ihr mir, ſo frag ich ſie darum:
30 Ihr moͤgt, aus meinen Wendungen entnehmen,
Ob meine Seele ſchuldig iſt, ob nicht?
Graf Otto (ihn forſchend anſehend). 640
Es ſei! Verſuchts einmal, Herr Graf, und fragt
ſie.
Der Graf vom Strahl (wendet ſich zu Kaͤthchen,
die noch immer auf Knieen liegt).
Willt den geheimſten der Gedanken mir, 645
Kathrina, der dir irgend, faſs mich wohl,
Im Winkel wo des Herzens ſchlummert, geben?
Kaͤthchen.
Das ganze Herz, o Herr, dir, willt du es,
So biſt du ſicher deß, was darin wohnt. 650
Der Graf vom Strahl.
Was iſts, mit einem Wort, mir rund geſagt,
Das dich aus deines Vaters Hauſe trieb?
Was feſſelt dich an meine Schritte an?
Kaͤthchen. 655
Mein hoher Herr! Da fragſt du mich zuviel.
Und laͤg’ ich ſo, wie ich vor dir jetzt liege,
Vor meinem eigenen Bewuſtſein da:
Auf einem goldnen Richtſtuhl laß es thronen,
Und alle Schrecken des Gewiſſens ihm, 660
Im In Flammenruͤſtungen, zur Seite ſtehn;
So ſpraͤche jeglicher Gedanke noch,
Auf das, was du gefragt: ich weiß es nicht.
31 Der Graf vom Strahl.
Du luͤgſt mir, Jungfrau? Willſt mein Wiſſen taͤuſchen? 665
Mir, der doch das Gefuͤhl dir ganz umſtrickt;
Mir, deſſen Blick du da liegſt, wie die Roſe,
Die ihren jungen Kelch dem Licht erſchloß? —
Was hab ich dir einmal, du weißt, gethan?
Was iſt an Leib und Seel’ dir widerfahren? 670
Kaͤthchen.
Wo?
Der Graf vom Strahl.
Da oder dort.
Kaͤthchen. 675
Wann?
Der Graf vom Strahl.
Juͤngſt oder fruͤherhin.
Kaͤthchen.
Hilf mir, mein hoher Herr. 680
Der Graf vom Strahl.
Ja, ich dir helfen,
Du wunderliches Ding. —
(er haͤlt inne).
Beſinnſt du dich auf nichts? 685
Kaͤthchen (ſieht vor ſich nieder).
Der Graf vom Strahl.
Was fuͤr ein Ort, wo du mich je geſehen,
Iſt dir im Geiſt, vor Andern, gegenwaͤrtig.
32 Kaͤthchen. 690
Der Rhein iſt mir vor allen gegenwaͤrtig.
Der Graf vom Strahl.
Ganz recht. Da eben wars. Das wollt ich
wiſſen.
Der Felſen am Geſtad’ des Rheins, wo wir 695
Zuſammen ruhten, in der Mittagshitze.
— Und du gedenkſt nicht, was dir da geſchehn?
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr, Herr.
Der Graf vom Strahl. 700
Nicht? Nicht?
— Was reicht’ ich deiner Lippe zur Erfriſchung?
Kaͤthchen.
Du ſandteſt, weil ich deines Weins verſchmaͤhte,
Den Gottſchalk, deinen treuen Knecht, und ließeſt 705
Ihn einen Trunk mir, aus der Grotte ſchoͤpfen.
Der Graf vom Strahl.
Ich aber nahm dich bei der Hand, und reichte
Sonſt deiner Lippe — nicht? Was ſtockſt du da?
Kaͤthchen. 710
Wann?
Der Graf vom Strahl.
Eben damals.
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr. 715
Der 33 Der Graf vom Strahl.
Jedoch nachher.
Kaͤthchen.
In Straßburg?
Der Graf vom Strahl. 720
Oder fruͤher.
Kaͤthchen.
Du haſt mich niemals bei der Hand genommen.
Der Graf vom Strahl.
Kathrina! 725
Kaͤthchen (erroͤthend).
Ach vergieb mir; in Heilbronn!
Der Graf vom Strahl.
Wann?
Kaͤthchen. 730
Als der Vater dir am Harniſch wirkte.
Der Graf vom Strahl.
Und ſonſt nicht?
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr. 735
Der Graf vom Strahl.
Kathrina!
Kaͤthchen.
Mich bei der Hand?
Der Graf vom Strahl. 740
Ja, oder ſonſt, was weiß ich.
[ 3 ] 34 Kaͤthchen (beſinnt ſich).
In Straßburg einſt, erinnr’ ich mich, beim Kinn.
Der Graf vom Strahl.
Wann? 745
Kaͤthchen.
Als ich auf der Schwelle ſaß und weinte,
Und dir auf was du ſprachſt, nicht Rede ſtand.
Der Graf vom Strahl.
Warum nicht ſtandſt du Red’? 750
Kaͤthchen.
Ich ſchaͤmte mich.
Der Graf vom Strahl.
Du ſchaͤmteſt dich? Ganz recht. Auf meinen
Antrag. 755
Du wardſt gluthroth bis an den Hals hinab.
Welch einen Antrag macht’ ich dir?
Kaͤthchen.
Der Vater,
Der wuͤrd’, ſprachſt du, daheim im Schwabenland’, 760
Um mich ſich haͤrmen, und befragteſt mich,
Ob ich mit Pferden, die du ſenden wollteſt,
Nicht nach Heilbronn zu ihm zuruͤck begehrte?
Der Graf vom Strahl (kalt).
Davon iſt nicht die Rede! — Nun, wo auch, 765
Wo hab’ ich ſonſt im Leben dich getroffen?
— Ich hab’ im Stall zuweilen dich beſucht.
35 Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr.
Der Graf vom Strahl. 770
Nicht? Katharina!
Kaͤthchen.
Du haſt mich niemals in dem Stall beſucht,
Und noch viel wen’ger ruͤhrteſt du mich an.
Der Graf vom Strahl. 775
Was! Niemals?
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr.
Der Graf vom Strahl.
Kathrina! 780
Kaͤthchen (mit Affect).
Niemals, mein hochverehrter Herr, niemals.
Der Graf vom Strahl.
Nun ſeht, bei meiner Treu, die Luͤgnerinn!
Kaͤthchen. 785
Ich will nicht ſeelig ſeyn, ich will verderben,
Wenn du mich je —!
Der Graf vom Strahl (mit dem Schein der
Heftigkeit).
Da ſchwoͤrt ſie und verflucht 790
Sich, die leichtfert’ge Dirne, noch und meint,
Gott werd’ es ihrem jungen Blut vergeben!
— Was iſt geſchehn, fuͤnf Tag’, emendiert in ›Tag’‹ emendiert in ›Tag’‹ von hier, am Abend,
36 In meinem Stall, als es ſchon dunkelte,
Und ich den Gottſchalk hieß, ſich zu entfernen? 795
Kaͤthchen.
O! Jeſus! Ich bedacht’ es nicht! —
Im Stall zu Strahl, da haſt du mich beſucht.
Der Graf vom Strahl.
Nun denn! Da iſt’s heraus! Da hat ſie nun 800
Der Seelen Seeligkeit ſich weggeſchworen!
Im Stall zu Strahl, da hab’ ich ſie beſucht!
Kaͤthchen (weint).
(Pauſe).
Graf Otto. 805
Ihr quaͤlt das Kind zu ſehr.
Theobald (naͤhert ſich ihr geruͤhrt).
Komm, meine Tochter.
(Er will ſie an ſeine Bruſt heben).
Kaͤthchen. 810
Laß, laß!
Wenzel.
Das nenn’ ich menſchlich nicht verfahren.
Graf Otto.
Zuletzt iſt nichts im Stall zu Strahl geſchehen. 815
Der Graf vom Strahl (ſieht ſie an).
Bei Gott, ihr Herrn, wenn ihr des Glaubens
ſeid:
Ich bin’s! Befehlt, ſo gehn wir aus einander.
37 Graf Otto. 820
Ihr ſollt das Kind befragen, iſt die Meinung,
Nicht mit barbariſchem Triumph verhoͤhnen.
Sei’s, daß Natur euch ſolche Macht verliehen:
Geuͤbt wie ihr’s thut, iſt ſie haſſenswuͤrd’ger,
Als ſelbſt die Hoͤllenkunſt, der man euch zeiht. 825
Der Graf vom Strahl (erhebt das Kaͤthchen vom Boden).
Ihr Herrn, was ich gethan, das that ich nur,
Sie mit Triumph hier vor euch zu erheben!
Statt meiner —
(auf den Boden hinzeigend). 830
ſteht mein Handſchuh vor Gericht!
Glaubt ihr von Schuld ſie rein, wie ſie es iſt,
Wohl, ſo erlaubt denn, daß ſie ſich entferne.
Wenzel.
Es ſcheint ihr habt viel Gruͤnde, das zu wuͤn⸗835
ſchen?
Der Graf vom Strahl.
Ich? Gruͤnd’? Entſcheidende! Ihr wollt ſie, hoff’
ich,
Nicht mit barbarſchem Uebermuth verhoͤhnen? 840
Wenzel (mit Bedeutung).
Wir wuͤnſchen doch, erlaubt ihrs, noch zu hoͤren,
Was in dem Stall damals zu Strahl geſchehn.
Der Graf vom Strahl.
Das wollt ihr Herrn noch —? 845
38 Wenzel.
Allerdings!
Der Graf vom Strahl (glutroth, indem er ſich
zum Kaͤthchen wendet).
Knie’ nieder! 850
Kaͤthchen (laͤßt ſich auf Knieen vor ihm nieder).
Graf Otto.
Ihr ſeid ſehr dreiſt, Herr Friedrich Graf vom
Strahl!
Der Graf vom Strahl (zum Kaͤthchen). 855
So! Recht! Mir giebſt du Antwort und ſonſt
keinem.
Hans.
Erlaubt! Wir werden ſie —
Der Graf vom Strahl (eben ſo). 860
Du ruͤhrſt dich nicht!
Hier ſoll dich keiner richten, als nur der,
Dem deine Seele frei ſich unterwirft.
Wenzel.
Herr Graf, man wird hier Mittel — 865
Der Graf vom Strahl (mit unterdruͤckter Heftigkeit).
Ich ſage, nein!
Der Teufel ſoll mich holen, zwingt ihr ſie! —
Was wollt ihr wiſſen, ihr verehrten Herrn?
Hans (auffahrend). 870
Beim Himmel!
39 Wenzel.
Solch ein Trotz ſoll —!
Hans.
He! Die Haͤſcher! 875
Graf Otto (halblaut).
Laßt, Freunde, laßt! Vergeßt nicht, wer er iſt.
Erſter Richter.
Er hat nicht eben, druͤckt Verſchuldung ihn,
Mit Liſt ſie uͤberhoͤrt. 880
Zweiter Richter.
Das ſag’ ich auch!
Man kann ihm das Geſchaͤft wohl uͤberlaſſen.
Graf Otto (zum Grafen vom Strahl).
Befragt ſie, was geſchehn, fuͤnf Tag’ von hier, 885
Im Stall zu Strahl, als es ſchon dunkelte,
Und ihr den Gottſchalk hießt, ſich zu entfernen?
Der Graf vom Strahl (zum Kaͤthchen).
Was iſt geſchehn, fuͤnf Tage von hier, am Abend,
Im Stall zu Strahl, als es ſchon dunkelte, 890
Und ich den Gottſchalk hieß, ſich zu entfernen?
Kaͤthchen.
Mein hoher Herr! Vergieb mir, wenn ich fehlte;
Jetzt leg’ ich Alles, Punkt fuͤr Punkt, dir dar.
Der Graf vom Strahl. 895
Gut. — — Da beruͤhrt’ ich dich und zwar —
nicht? Freilich!
Das ſchon geſtand’ſt du?
40 Kaͤthchen.
Ja, mein verehrter Herr. 900
Der Graf vom Strahl.
Nun?
Kaͤthchen.
Mein verehrter Herr?
Der Graf vom Strahl. 905
Was will ich wiſſen?
Kaͤthchen.
Was du willſt wiſſen?
Der Graf vom Strahl.
Heraus damit! Was ſtockſt du? 910
Ich nahm, und herzte dich, und kuͤßte dich,
Und ſchlug den Arm dir —?
Kaͤthchen.
Nein, mein hoher Herr.
Der Graf vom Strahl. 915
Was ſonſt?
Kaͤthchen.
Du ſtießeſt mich mit Fuͤßen von dir.
Der Graf vom Strahl.
Mit Fuͤßen? Nein! Das thu’ ich keinem Hund. 920
Warum? Weshalb? Was hatt’ſt du mir gethan?
Kaͤthchen.
Weil ich dem Vater, der voll Huld und Guͤte,
Gekommen war, mit Pferden, mich zu holen,
41 Den Ruͤcken, voller Schrecken, wendete, 925
Und mit der Bitte, mich vor ihm zu ſchuͤtzen
Im Staub vor dir bewuſtlos nieder ſank.
Der Graf vom Strahl.
Da haͤtt’ ich dich mit Fuͤßen weggeſtoßen?
Kaͤthchen. 930
Ja, mein verehrter Herr.
Der Graf vom Strahl.
Ei, Poſſen, was!
Das war nur Schelmerei, des Vaters wegen.
Du bliebſt doch nach wie vor im Schloß zu Strahl. 935
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr.
Der Graf vom Strahl.
Nicht? Wo auch ſonſt?
Kaͤthchen. 940
Als du die Peitſche, flammenden Geſichts,
Herab vom Riegel nahmſt, ging ich hinaus,
Vor das bemoos’te Thor, und lagerte
Mich draußen, am zerfallnen Mauernring
Wo in ſuͤßduftenden Hollunderbuͤſchen 945
Ein Zeiſig zwitſchernd ſich das Neſt gebaut.
Der Graf vom Strahl.
Hier aber jagt’ ich dich mit Hunden weg?
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr. 950
42 Der Graf vom Strahl.
Und als du wichſt,
Verfolgt vom Hundgeklaff, von meiner Grenze,
Rief ich den Nachbar auf, dich zu verfolgen?
Kaͤthchen. 955
Nein, mein verehrter Herr! Was ſprichſt du da?
Der Graf vom Strahl.
Nicht? Nicht? — Das werden dieſe Herren ta⸗
deln.
Kaͤthchen. 960
Du kuͤmmerſt dich um dieſe Herren nicht.
Du ſandteſt Gottſchalk mir am dritten Tage,
Daß er mir ſag’: dein liebes Kaͤthchen waͤr’ ich;
Vernuͤnftig aber moͤgt’ ich ſein, und gehn.
Der Graf vom Strahl. 965
Und was entgegneteſt du dem?
Kaͤthchen.
Ich ſagte,
Den Zeiſig litteſt du, den zwitſchernden,
In den ſuͤßduftenden Hollunderbuͤſchen: 970
Moͤgt’ſt denn das Kaͤthchen von Heilbronn auch
leiden.
Der Graf vom Strahl (erhebt das Kaͤthchen).
Nun dann, ſo nehmt ſie hin, ihr Herrn der Vehme,
Und macht mit ihr und mir jetzt, was ihr wollt. 975
(Pauſe).
43 Graf Otto (unwillig).
Der aberwitz’ge Traͤumer, unbekannt
Mit dem gemeinen Zauber der Natur! —
Wenn euer Urtheil reif, wie meins, ihr Herrn, 980
Geh’ ich zum Schluß, und laß die Stimmen ſammeln.
Wenzel.
Zum Schluß!
Hans.
Die Stimmen! 985
Alle.
Sammelt ſie!
Ein Richter.
Der Narr, der!
Der Fall iſt klar. Es iſt hier nichts zu richten. 990
Graf Otto.
Vehm-Herold nimm den Helm und ſammle ſie.
Vehm-Herold (ſammelt die Kugeln und bringt den
Helm, worin ſie liegen, dem Grafen).
Graf Otto (ſteht auf) 995
Herr Friedrich Wetter Graf vom Strahl, du biſt
Einſtimmig von der Vehme losgeſprochen,
Und dir dort, Theobald, dir geb’ ich auf,
Nicht fuͤrder mit der Klage zu erſcheinen,
Bis du kannſt beſſere Beweiſe bringen. 1000
(zu den Richtern)
Steht auf, ihr Herrn! die Sitzung iſt geſchloſſen.
44 Die Richter (erheben ſich).
Theobald.
Ihr hochverehrten Herrn, ihr ſprecht ihn ſchuldlos? 1005
Gott ſagt ihr, hat die Welt aus nichts gemacht;
Und er, der ſie durch nichts und wieder nichts
Vernichtet, in das erſte Chaos ſtuͤrzt,
Der ſollte nicht der leid’ge Satan ſein?
Graf Otto. 1010
Schweig, alter, grauer Thor! Wir ſind nicht da,
Dir die verruͤckten Sinnen einzurenken.
Vehm-Haͤſcher, an dein Amt! Blend’ ihm die Au⸗
gen,
Und fuͤhr’ ihn wieder auf das Feld hinaus. 1015
Theobald.
Was! Auf das Feld? Mich hilflos greiſen Alten?
Und dies mein einzig liebes Kind, — ?
Graf Otto.
Herr Graf, 1020
Das uͤberlaͤßt die Vehme euch! Ihr zeigtet
Von der Gewalt, die ihr hier uͤbt, ſo manche
Beſondre Probe uns; laßt uns noch eine,
Die groͤßeſte, bevor wir ſcheiden ſcheiden, ſehn,
Und gebt ſie ihrem alten Vater wieder. 1025
Der Graf vom Strahl.
Ihr Herrn, was ich thun kann, ſoll geſchehn. —
Jungfrau!
45 Kaͤthchen.
Mein hoher Herr! 1030
Der Graf vom Strahl.
Du liebſt mich?
Kaͤthchen.
Herzlich!
Der Graf vom Strahl. 1035
So thu mir was zu Lieb’.
Kaͤthchen.
Was willſt du? Sprich.
Der Graf vom Strahl.
Verfolg’ mich nicht. Geh nach Heilbronn zuruͤck. 1040
— Willſt du das thun?
Kaͤthchen.
Ich hab es dir verſprochen.
(ſie faͤllt in Ohnmacht).
Theobald (empfaͤngt ſie). 1045
Mein Kind! Mein Einziges! Hilf, Gott im
Himmel!
Der Graf vom Strahl (wendet ſich).
Dein Tuch her, Haͤſcher!
(er verbindet ſich die Augen). 1050
Theobald.
O verflucht ſei,
Mordſchaunder Baſiliſkengeiſt! Mußt’ ich
Auch dieſe Probe deiner Kunſt noch ſehn?
46 Graf Otto (vom Richtſtuhl herabſteigend). 1055
Was iſt geſchehn, ihr Herrn?
Wenzel.
Sie ſank zu Boden.
(Sie betrachten ſie).
Graf vom Strahl (zu den Haͤſchern). 1060
Fuͤhrt mich hinweg!
Theobald.
Der Hoͤlle zu, du Satan!
Laß ihre ſchlangenhaar’gen Pfoͤrtner dich
An ihrem Eingang, Zauberer, ergreifen, 1065
Und dich zehntauſend Klafter tiefer noch,
Als ihr ihre wildſten wild’ſten [nicht emendiert] [nicht emendiert] Flammen lodern, ſchleudern!
Graf Ottto. Otto.
Schweig Alter, ſchweig!
Theobald. (weint). 1070
Mein Kind! Mein Kaͤthchen!
Kaͤthchen.
Ach!
Wenzel Wenzel. (freudig).
Sie ſchlaͤgt die Augen auf! 1075
Hans.
Sie wird ſich faſſen.
Graf Otto.
Bringt in des Pfoͤrtners Wohnung ſie! Hinweg!
(Alle ab). 1080
Zweiter Act.
Scene. Wald vor der Hoͤhle des heimlichen
Gerichts.
Erſter Auftritt.
Der Graf vom Strahl
(tritt auf, mit
verbundenen Augen,
gefuͤhrt von zwei Haͤſchern, die ihm die Augen aufbinden, und 1085
alsdann in die Hoͤhle zuruͤckkehren — Er wirft ſich auf den
Boden nieder und weint).
Nun will ich hier, wie ein Schaͤfer liegen
und kla⸗
gen.
Die Sonne ſcheint noch
roͤthlich durch die Staͤm⸗
me, auf welchen die Wipfel des Waldes
ruhn; und
1090
wenn ich, nach einer kurzen
Viertelſtunde, ſo bald ſie
hinter den Huͤgel
geſunken iſt, aufſitze, und mich im
Blachfelde, wo
der Weg eben iſt, ein wenig daran
halte, ſo komme
ich noch nach Schloß Wetterſtrahl,
ehe die Lichter
darin erloſchen ſind.
Ich will mir ein⸗1095
bilden, meine Pferde dort unten, wo die Quelle rie⸗
ſelt,
waͤren Schaafe und Ziegen, die an dem Felſen
kletterten, und an Graͤſern und bittern Geſtraͤuchen
riſſen; ein leichtes weißes linnenes Zeug bedeckte
mich,
mit rothen Baͤndern zuſammengebunden, und um
1100
48
mich her flatterte
eine Schaar muntrer Winde, um die
Senfzer,
Seufzer,
die meiner, von Gram ſehr gepreßten, Bruſt
entquillen, gradaus zu der guten Goͤtter Ohr empor
zu tragen.
Wirklich und wahrhaftig!
Ich will meine
Mutterſprache
durchblaͤttern, und das ganze, reiche
1105
Kapitel, das
dieſe Ueberſchrift fuͤhrt: Empfindung,
dergeſtalt
pluͤndern, daß kein Reimſchmidt mehr, auf
eine neue
Art, ſoll ſagen koͤnnen: ich bin betruͤbt.
Alles, was die Wehmuth Ruͤhrendes hat, will ich
auf⸗
bieten, Luſt und in den Tod gehende Betruͤbniß ſollen
1110
ſich abwechſeln, und meine Stimme, wie einen
ſchoͤnen
Taͤnzer, durch alle Beugungen hindurch
fuͤhren, die
die Seele bezaubern; und wenn die
Baͤume nicht in
der That bewegt werden, und ihren
milden Thau, als
ob es geregnet haͤtte,
herabtraͤufeln laſſen, ſo ſind ſie
1115
von Holz, und
Alles, was uns die Dichter von ihnen
ſagen, ein
bloßes liebliches Maͤhrchen.
O du — — —
wie nenn ich dich?
Kaͤthchen!
Warum kann ich dich
nicht mein nennen?
Kaͤthchen, Maͤdchen, Kaͤthchen!
Warum kann ich dich nicht mein nennen?
Warum
1120
kann ich dich nicht
aufheben, und in das duftende
Himmelbett tragen,
das mir die Mutter, daheim im
Prunkgemach,
aufgerichtet hat?
Kaͤthchen, Kaͤthchen,
Kaͤthchen!
Du, deren junge
Seele, als ſie heut nackt
vor mir ſtand, von
wolluͤſtiger Schoͤnheit gaͤnzlich
1125
triefte, wie die
mit Oelen geſalbte Braut eines Per⸗
ſer-
49
ſerkoͤnigs, wenn
ſie, auf alle Teppiche niederregnend,
in ſein
Gemach gefuͤhrt wird!
Kaͤthchen, Maͤdchen,
Kaͤthchen!
Warum kann
ich es nicht?
Du Schoͤnere,
als ich ſingen kann, ich will eine eigene Kunſt
erfinden,
1130
und dich weinen.
Alle Phiolen der Empfindung, himm⸗
liſche und irdiſche, will ich eroͤffnen, und eine
ſolche
Miſchung von Thraͤnen, einen Erguß ſo
eigenthuͤm⸗
licher Art, ſo heilig zugleich und uͤppig,
zuſammen⸗
ſchuͤtten, daß jeder Menſch gleich, an deſſen
Hals
1135
ich ſie weine, ſagen ſoll: ſie fließen dem
Kaͤthchen
von Heilbronn! — — —
Ihr grauen, baͤrtigen
Alten.
Alten,
was wollt ihr?
Warum
verlaßt ihr eure goldnen
Rahmen, ihr Bilder meiner
geharniſchten, Vaͤter
geharniſchten Vaͤter,
die
meinen Ruͤſtſaal bevoͤlkern, und tretet,
in unruhiger
1140
Verſammlung, hier um mich herum, eure
ehrwuͤrdi⸗
gen Locken ſchuͤttelnd?
Nein, nein, nein!
Zum
Weibe,
wenn ich ſie gleich liebe, begehr’ ich ſie
nicht; eurem
ſtolzen Reigen will ich mich
anſchließen: das war be⸗
ſchloſſne Sache, noch ehe ihr kamt.
Dich aber, Win⸗1145
fried, der ihn fuͤhrt, du
Erſter meines Namens, Goͤtt⸗
licher mit der Scheitel des Zevs, dich
frag’ ich, ob
die Mutter meines Geſchlechts war,
wie dieſe: von
jeder frommen Jugend ſtrahlender,
makelloſer an Leib
und Seele, mit jedem Liebreiz
geſchmuͤckter, als ſie?
1150
O Winfried!
Grauer Alter!
Ich kuͤſſe dir die Hand,
und
danke dir, daß ich bin; doch haͤtteſt du ſie an
[ 4 ]
50
die ſtaͤhlerne Bruſt gedruͤckt, du haͤtteſt
ein Geſchlecht
von Koͤnigen erzeugt, und Wetter vom
Strahl hieße
jedes Gebot auf Erden!
Ich weiß, daß ich mich faſ⸗1155
ſen und dieſe Wunde
vernarben werde: denn welche
Wunde vernarbte nicht
der Menſch?
Doch wenn ich
jemals ein Weib finde, Kaͤthchen, dir gleich: ſo will
ich die Laͤnder durchreiſen, und die Sprachen der
Welt lernen, und Gott preiſen in jeder Zunge, die
1160
geredet wird. — Gottſchalk!
Zweiter Auftritt.
Gottſchalk. Der Graf vom
Strahl.
Gottſchalk (draußen).
Heda!
Herr Graf vom Strahl!
1165
Was giebts?
Was zum Henker! — —
Ein Bote iſt angekom⸗
men von eurer Mutter.
1170
Ein Bote?
Geſtreckten Laufs, keuchend,
mit verhaͤngtem Zuͤ⸗
gel; mein Seel, wenn euer Schloß ein
eiſerner Bo⸗1175
51
gen und er ein Pfeil geweſen
waͤre, er haͤtte nicht
raſcher herangeſchoſſen
werden koͤnnen.
Was hat er mir zu
ſagen?
He!
Ritter Franz!
Dritter Auftritt.
Ritter Flammberg (tritt auf).
Die Vorigen.
Der Graf vom Strahl.
Flammberg! —
Was fuͤhrt dich ſo eilig zu mir her?
1185
Gnaͤdigſter Herr! eurer
Mutter, der Graͤfin, Ge⸗
bot; ſie befahl mir den beſten Renner zu
nehmen,
und euch entgegen zu reiten!
Nun?
Und was bringſt du mir?
Krieg, bei meinem Eid, Krieg!
Ein Aufgebot zu
neuer
Fehde, warm, wie ſie es eben von des Herolds
Lippen
empfangen hat.
1195
Weſſen? —
Doch nicht des Burggrafen, mit dem
ich eben den Frieden abſchloß?
52 Flammberg. 1200
Des Rheingrafen, des Junkers
vom Stein, der
unten am weinumbluͤhten Neckar
ſeinen Sitz hat.
Des Rheingrafen! — Was hab ich
mit dem Rhein⸗
grafen zu ſchaffen, Flammberg?
1205
Mein Seel!
Was hattet ihr mit dem Burggrafen
zu ſchaffen?
Und was
wollte ſo mancher Andere von
euch, ehe ihr mit dem
Burggrafen zu ſchaffen kriegtet?
Wenn ihr den kleinen griechiſchen Feuerfunken nicht
1210
austretet, der dieſe Kriege veranlaßt, ſo ſollt
ihr noch
das ganze Schwabengebirge wider euch
auflodern ſehen,
und die Alpen und den Hundsruͤck
obenein.
Es iſt nicht moͤglich!
Fraͤulein Kunigunde —
1215
Der Rheingraf fordert, im
Namen Fraͤulein Kuni⸗
gundens von Thurneck, den Wiederkauf
eurer Herr⸗
ſchaft Stauffen; jener drei Staͤdtlein und ſiebzehn
Doͤrfer und Vorwerker, eurem Vorfahren Otto, von
1220
Peter, dem ihrigen, unter der beſagten Clauſel,
kaͤuf⸗
lich abgetreten; grade ſo, wie dies der Burggraf von
Freiburg, und, in fruͤheren Zeiten ſchon ihre
Vettern,
in ihrem Namen gethan haben.
Die raſende Megaͤre!
Iſt das nicht der dritte
53
Reichsritter, den ſie mir, einem Hund’
gleich, auf
den Hals hetzt, um mir dieſe Landſchaft
abzujagen!
Ich glaube,
das ganze Reich frißt ihr aus der Hand.
Kleopatra fand Einen, und als der ſich den Kopf
zer⸗1230
ſchellt hatte, ſchauten die Anderen; doch ihr dient
Alles, was eine Ribbe weniger hat, als ſie, und
fuͤr
jeden Einzelnen, den ich ihr zerzauſ’t
zuruͤckſende, ſte⸗
hen zehn Andere wider mich auf — Was fuͤhrt’ er
fuͤr Gruͤnde an?
1235
Wer?
Der Herold?
Was fuͤhrt’ er fuͤr Gruͤnde
an?
Ei, geſtrenger Herr, da haͤtt’
er ja roth werden
muͤſſen.
Er ſprach von Peter von
Thurneck — nicht?
Und
von der Landſchaft unguͤltigem Verkauf?
1245
Allerdings.
Und von den ſchwaͤbiſchen Geſetzen;
miſchte Pflicht und Gewiſſen bei jedem dritten Wort,
in die Rede, und rief Gott zum Zeugen an, daß
nichts als die reinſten Abſichten ſeinen Herrn, den
1250
Rheingrafen, vermoͤgten, des Fraͤuleins Sache zu
ergreifen.
Aber die rothen Wangen der
Dame behielt er
fuͤr ſich?
1255
Davon hat er kein Wort
geſagt.
Daß ſie die Pocken kriegte!
Ich wollte, ich koͤnnte
den Nachtthau in Eimern auffaſſen, und uͤber ihren
1260
weißen Hals ausgießen!
Ihr kleines
verwuͤnſchtes
Geſicht iſt der letzte Grund aller
dieſer Kriege wider
mich; und ſo lange ich den
Maͤrzſchnee nicht vergif⸗
ten kann, mit welchem ſie ſich waͤſcht,
hab’ ich auch
vor den Rittern des Landes keine
Ruhe.
Aber Ge⸗1265
duld nur! —
Wo haͤlt ſie ſich jetzt auf?
Auf der Burg zum Stein, wo ihr
ſchon ſeit drei
Tagen Prunkgelage gefeiert werden,
daß die Feſte
des Himmels erkracht, und Sonne, Mond
und Sterne
1270
nicht mehr angeſehen werden.
Der Burggraf, den
ſie
verabſchiedet hat, ſoll Rache kochen, und wenn
ihr
einen Boten an ihn abſendet, ſo zweifl’ ich nicht,
er zieht mit euch gegen den Rheingrafen zu Felde.
Wohlan!
Fuͤhrt mir die Pferde vor, ich will rei⸗
ten. —
Ich habe dieſer jungen Aufwieglerin
verſpro⸗
chen, wenn ſie die Waffen ihres kleinen
ſchelmiſchen
55
Angeſichts nicht ruhen ließe wider mich, ſo wuͤrd’
ich ihr einen Poſſen zu ſpielen wiſſen, daß ſie es ewig
1280
in einer Scheide tragen ſollte; und ſo wahr ich dieſe
Rechte aufhebe, ich halte Wort! —
Folgt mir, meine
Freunde!
Scene. Koͤhlerhuͤtte im Gebirg.
Nacht, Donner und Blitz.
1285
Vierter Auftritt.
Burggraf von
Freiburg und Georg von
Wald⸗
ſtaͤdten [emendiert in ›Waldstätten‹] [emendiert in ›Waldstätten‹] (treten auf).
Freiburg (in die Scene rufend).
Hebt ſie vom Pferd’ herunter!
—
(Blitz und
Donner⸗1290
ſchlag).
— Ei,
ſo ſchlag’ ein wo du willſt; nur nicht
auf die
Scheitel, belegt mit Kreide, meiner lieben
Braut,
der Kunigunde von Thurneck!
He!
Wo ſeid ihr?
1295
Hier!
Habt ihr jemals eine ſolche
Nacht erlebt?
Das gießt vom Himmel herab,
Wipfel und Berg⸗
56
ſpitzen erſaͤufend,
als ob eine zweite Suͤndfluth heran⸗
braͤche.
— Hebt ſie vom Pferd’ herunter!
Sie ruͤhrt ſich nicht.
1305
Sie liegt, wie todt, zu des
Pferdes Fuͤßen da.
Ei, Poſſen!
Da
Das
thut ſie bloß, um ihre falſchen
Zaͤhne nicht
zu verlieren.
Sagt ihr, ich waͤre der
1310
Burggraf von Freiburg und die aͤchten, die ſie im
Mund’ haͤtte, haͤtte ich gezaͤhlt. —
So! bringt ſie her.
Thurneck (auf der Schulter tragend).
Georg. 1315
Dort iſt eine
Koͤhlerhuͤtte.
Fuͤnfter Auftritt.
Ritter Schauermann
mit dem Fraͤulein, Ritter Wetzlaf
und die Reiſigen des Burggrafen. Zwei Koͤhler.
Die Vorigen. 1320
Freiburg (an die Koͤhlerhuͤtte klopfend).
Heda!
Wer klopfet?
Frag’ nicht, du Schlingel, und
mach’ auf.
Holla!
Nicht eher bis ich den Schluͤſſel umgekehrt
habe.
Wird doch der Kaiſer
nicht vor der Thuͤr ſein?
Hallunke!
Wenn nicht der, doch Einer, der hier
regiert, und den Scepter gleich vom Aſt brechen wird,
um’s dir zu zeigen.
Wer ſeid ihr?
Was wollt ihr?
1335
Ein Rittersmann bin ich; und
dieſe Dame, die
hier todtkrank herangetragen wird,
das iſt —
Das Licht weg!
1340
Schmeißt ihm die Laterne aus
der Hand!
Spitzbube!
Du willſt hier leuchten?
Ihr Herren, ich will hoffen,
der Groͤßeſte unter
euch bin ich!
Warum nehmt ihr mir die Laterne
weg?
Wer ſeid ihr?
Und was wollt ihr?
1350
Rittersleute, du Flegel, hab
ich dir ſchon geſagt!
Wir ſind reiſende Ritter, ihr
guten Leute, die das
Unwetter uͤberraſcht hat.
1355
Kriegsmaͤnner, die von
Jeruſalem kommen, und
in ihre Heimath ziehen; und
jene Dame dort, die
herangetragen wird, von Kopf zu
Fuß in einem Man⸗
tel eingewickelt, das iſt —
1360
Der erſte Koͤhler.
Ei, ſo plaͤrr’ du, daß die
Wolken reißen! —
Von
Jeruſalem, ſagt ihr?
Man kann vor dem
breitmaͤuligen Donner kein
Wort verſtehen.
Von Jeruſalem, ja.
Und das Weibſen, das
herangetragen wird — ?
Das iſt des Herren kranke
Schweſter, ihr ehrlichen
Leute, und begehrt —
Das iſt jenes Schweſter, du
Schuft, und meine
59
Gemahlin; todtkrank, wie du ſiehſt, von Schloſ⸗
ſen und Hagel halb
erſchlagen, ſo daß ſie kein Wort
vorbringen kann:
die begehrt eines Platzes in deiner
Huͤtte, bis das
Ungewitter voruͤber und der Tag an⸗1380
gebrochen iſt.
Die begehrt einen Platz in
meiner Huͤtte?
Ja, ihr guten Koͤhler; bis das
Gewitter voruͤber
1385
iſt, und wir unſre Reiſe
fortſetzen koͤnnen.
Mein Seel, da habt ihr Worte
geſagt, die waren
den Lungenodem nicht werth, womit
ihr ſie ausge⸗
ſtoßen.
1390
Iſaak!
Du willſt das thun?
Des Kaiſers Hunden, ihr Herrn,
wenn ſie vor
meiner Thuͤr darum heulten. —
Iſaak! Schlingel!
hoͤrſt nicht?
He! ſag’ ich.
Was giebts?
1400
Das Stroh ſchuͤttle auf,
Schlingel, und die De⸗
60
cken druͤberhin;
ein krank Weibſen wird kommen und
Platz nehmen, in
der Huͤtten!
Hoͤrst du?
Wer ſpricht drin?
Ei, ein Flachskopf von zehn
Jahren, der uns an
die Hand geht.
Gut. —
Tritt heran, Schauermann! hier iſt ein
Knebel losgegangen.
Wo?
Gleichviel! —
In den Winkel mit ihr hin, dort!
— — Wenn der Tag anbricht, werd
ich dich rufen.
Sechſter Auftritt.
Die Vorigen (ohne Schauermann und das Fraͤulein.)
1420
Freiburg.
Nun, Georg, alle Saiten des
Jubels ſchlag ich
an: wir haben ſie; wir haben dieſe Kunigunde von
Thurneck!
So wahr ich
nach meinem Vater getauft
61
bin, nicht um den ganzen Himmel, um den meine
1425
Jugend gebetet hat, geb’ ich die Luſt weg, die mir
be⸗
ſcheert iſt, wenn der morgende Tag anbricht! —.
Warum kamſt du nicht fruͤher von
Waldſtaͤdten
emendiert in ›Waldstätten‹
emendiert in ›Waldstätten‹
herab?
Weil du mich nicht fruͤher
rufen ließeſt.
1430
O, Georg!
Du haͤtteſt ſie ſehen ſollen, wie ſie
daher geritten kam, einer Fabel gleich, von den
Rit⸗
tern des Landes umringt, gleich einer Sonne, unter
ihren Planeten!
Wars
nicht, als ob ſie zu den Kie⸗1435
ſeln ſagte, die unter ihr Funken
ſpruͤhten: ihr muͤßt
mir ſchmelzen, wenn ihr mich
ſeht?
Thaleſtris, die
Koͤnigin der Amazonen, als ſie herabzog vom Kauka⸗
ſus,
Alexander den Großen zu bitten, daß er ſie kuͤſſe:
ſie war nicht reizender und goͤttlicher, als ſie.
1440
Wo fingſt du ſie?
Fuͤnf Stunden, Georg, fuͤnf
Stunden von der
Steinburg, wo ihr der Rheingraf,
durch drei Tage,
1445
ſchallende Jubelfeſte gefeiert
hatte.
Die Ritter, die
ſie begleiteten, hatten ſie kaum verlaſſen, da werf’ ich
ihren Vetter Iſidor, der bey ihr geblieben war, in
den Sand, und auf den Rappen mit ihr, und auf
und davon.
1450
Aber, Max! Max! Was haſt du
—?
Ich will dir ſagen, Freund
—
Was bereiteſt du dir, mit
allen dieſen ungeheuren
Anſtalten, vor?
Lieber!
Guter!
Wunderlicher!
Honig von Hybla,
fuͤr
dieſe vom Durſt der Rache zu Holz vertrocknete
1460
Bruſt.
Warum ſoll dies weſenloſe Bild
laͤnger, einer
olympiſchen Goͤttin gleich, auf dem
Fußgeſtell pran⸗
gen, die Hallen der chriſtlichen Kirchen von uns und
unſers Gleichen entvoͤlkernd?
Lieber angefaßt, und
auf den
Schutt hinaus, das Oberſte zu Unterſt, damit
1465
mit
Augen erſchaut wird, daß kein Gott in ihm wohnt.
Aber in aller Welt, ſag’ mir,
was iſt’s, das dich
mit ſo raſendem Haß gegen ſie
erfuͤllt?
O Georg!
Der Menſch wirft Alles, was er ſein
nennt, in eine Pfuͤtze, aber kein Gefuͤhl.
Georg, ich
liebte ſie, und ſie
war deſſen nicht werth.
Ich liebte
ſie und ward verſchmaͤht, Georg; und ſie war
mei⸗
ner Liebe nicht werth.
Ich
will dir was ſagen —
1475
Aber es macht mich blaß, wenn ich daran denke.
Ge⸗
63
org!
Georg!
Wenn die Teufel
um eine Erfindung
verlegen ſind; ſo muͤſſen ſie
einen Hahn fragen der
ſich vergebens um eine Henne
gedreht hat, und hin⸗
terher ſieht, daß ſie, vom Ausſatz
zerfreſſen, zu ſeinem
1480
Spaße nicht taugt.
Du wirſt keine unritterliche
Rache an ihr aus⸗
uͤben?
Nein; Gott behuͤt’ mich!
Keinem Knecht muth’
ich
zu, ſie an ihr zu vollziehn. —
Ich bringe ſie
nach
der Steinburg zum Rheingrafen zuruͤck, wo ich
nichts
thun will, als ihr das Halstuch abnehmen:
das ſoll
meine ganze Rache ſein!
1490
Was!
Das Halstuch abnehmen?
Ja Georg; und das Volk
zuſammen rufen.
Nun, und wenn das geſchehn
iſt, da willſt du —?
Ei, da will ich uͤber ſie
philoſophiren.
Da will
ich euch einen metaphyſiſchen Satz uͤber ſie geben,
wie Platon, und meinen Satz nachher erlaͤutern, wie
1500
der luſtige Diogenes gethan.
Der Menſch iſt — —
Aber ſtill:
(er horcht).
Nun!
Der Menſch iſt? —
Der Menſch iſt, nach Platon,
ein zweibeinigtes,
ungefiedertes Thier; du weißt,
wie Diogenes dies
bewieſen; einen Hahn, glaub’ ich,
rupft er, und warf
ihn unter das Volk. —
Und dieſe Kunigunde, Freund,
dieſe Kunigunde von Thurneck, die iſt nach mir —
1510
— —
Aber ſtill!
So wahr ich ein Mann bin: dort
ſteigt jemand vom
Pferd!
Siebenter Auftritt.
Der Graf vom Strahl
und Ritter Flammberg
(treten auf. Nachher) Gottſchalk. — Die Vorigen. 1515
Der Graf vom Strahl (an die Huͤtte klopfend).
Heda!
Ihr wackern Koͤhlersleute!
Das iſt eine Nacht, die Woͤlfe
in den Kluͤften
um ein Unterkommen
anzuſprechen.
1520
Iſts erlaubt,
einzutreten?
Erlaubt, ihr Herrn! Wer ihr
auch ſein moͤgt dort —
Ihr koͤnnt hier nicht
einkehren.
Nicht?
Warum nicht?
Weil kein Raum drin iſt, weder
fuͤr euch noch fuͤr
1530
uns.
Meine Frau liegt darin todtkrank, den einzi⸗
gen Winkel der leer
iſt mit ihrer Bedienung erfuͤl⸗
lend: ihr werdet ſie nicht daraus
vertreiben wollen.
Nein, bei meinem Eid!
Vielmehr wuͤnſche ich,
1535
daß ſie
ſich bald darin erholen moͤge. —
Gottſchalk!
So muͤſſen wir beim Gaſtwirth
zum blauen Him⸗
mel uͤbernachten.
Gottſchalk ſag’ ich!
Hier!
Schaff die Decken her!
Wir wollen uns hier ein
1545
Lager
bereiten, unter den Zweigen.
Gottſchalk (indem er ihnen die Decken bringt).
Das weiß der Teufel, was das
hier fuͤr eine Wirth⸗
ſchaft iſt.
Der Junge ſagt, drinnen waͤre ein gehar⸗1550
niſchter Mann, der ein
Fraͤulein bewachte: das laͤge
[
5 ]
66
geknebelt und mit verſtopftem
Munde da, wie ein
Kalb, das man zur Schlachtbank
bringen will.
Was ſagſt du?
Ein Fraͤulein?
Geknebelt
und mit
1555
verſtopftem Munde? —
Wer hat dir das geſagt?
Jung’!
Woher weißt du das?
St! —
Um aller Heiligen willen!
Ihr Herren,
1560
was macht ihr?
Komm her.
Ich ſage: St!
1565
Jung’!
Wer hat dir das geſagt?
So ſprich.
Hab’s geſchaut, ihr Herren.
Lag auf dem Stroh,
als
ſie ſie hineintrugen, und ſprachen, ſie ſei krank.
1570
Kehrt’ ihr die Lampe zu und erſchaut; daß ſie geſund
war, und Wangen hatt’ als wie unſre Lore.
Und wim⸗
mert’ und druckt mir die Haͤnd’ und
blinzelte, und
sprach ſo vernehmlich, wie ein
kluger Hund: mach
mich los, lieb Buͤbel, mach’ mich
los! daß ich’s mit
1575
Augen hoͤrt’ und mit den Fingern
verſtand.
Jung’, du flachskoͤpfiger; ſo
thu’s!
Was ſaͤumſt du? Was machſt
du?
1580
Bind’ ſie los und ſchick ſie
her!
St! ſag’ ich. —
Ich wollt, daß ihr zu Fiſchen
wuͤrdet! —
Da erheben ſich ihrer drei ſchon
und kom⸗1585
men her, und ſehen, was es giebt?
Graf vom Strahl.
Nichts, du wackrer Junge,
nichts.
Sie haben nichts davon
gehoͤrt.
Sie wechſeln bloß um des
Regens willen ihre
Plaͤtze.
Wollt ihr mich
ſchuͤtzen?
Ja, ſo wahr ich ein Ritter
bin; das will ich.
Darauf kannſt du dich
verlaſſen.
1600
Wohlan!
Ich will’s dem Vater ſagen. —
Schaut
was ich thue, und ob ich
in die Huͤtte gehe, oder nicht?
verliert ſich nachher in die Huͤtte Huͤtte). 1605
68 Flammberg.
Sind das ſolche Kauze?
Beelzebubs-Ritter, deren
Ordensmantel die Nacht iſt?
Eheleute, auf
der Land⸗
ſtraße mit Stricken und Banden an einander ge⸗
traut?
1610
Krank, ſagten ſie!
Todtkrank, und dankten fuͤr
alle Huͤlfe!
Nun wart’! Wir wollen ſie
ſcheiden.
Schauermann (in der Huͤtte).
He! holla!
Die Beſtie!
Auf, Flammberg; erhebe
dich!
Freiburg.
Was giebt’s?
Schauermann.
Ich bin angebunden!
Ich bin angebunden!
Freiburg.
Ihr Goͤtter!
Was erblick’ ich?
1630
Achter Auftritt.
Fraͤulein Kunigunde
von Thurneck (im Reiſekleide, mit
entfeſſelten Haaren). — Die Vorigen.
Kunigunde (wirft ſich vor dem Grafen vom
Strahl nieder) 1635
Mein Retter! Wer ihr immer ſeid! Nehmt einer
Vielfach geſchmaͤhten und geſchaͤndeten
Jungfrau euch an! Wenn euer ritterlicher Eid
Den Schutz der Unſchuld euch empfiehlt; hier liegt ſie
In Staub geſtreckt, die jetzt ihn von euch fordert! 1640
Freiburg.
Reißt ſie hinweg, ihr Maͤnner!
Georg (ihn zuruͤckhaltend)
Max! hoͤr mich an.
Freiburg. 1645
Reißt ſie hinweg, ſag’ ich; laßt ſie nicht reden!
Graf vom Strahl.
Halt dort ihr Herrn! Was wollt ihr!
Freiburg.
Was wir wollen? 1650
Mein Weib will ich, zum Henker! — Auf! ergreift ſie!
Kunigunde.
Dein Weib? Du Luͤgnerherz!
70 Graf vom Strahl (ſtreng).
Beruͤhr’ ſie nicht! 1655
Wenn du von dieſer Dame was verlangſt,
So ſagſt du’s mir! Denn mir gehoͤrt ſie jetzt,
Weil ſie ſich meinem Schutze anvertraut.
(er erhebt ſie).
Freiburg. 1660
Wer biſt du, Uebermuͤthiger, daß du
Dich zwiſchen zwey Vermaͤhlte draͤngſt? Wer giebt
Das Recht dir, mir die Gattin zu verweigern?
Kunigunde.
Die Gattin? Boͤſewicht! Das bin ich nicht! 1665
Graf vom Strahl.
Und wer biſt du, Nichtswuͤrdiger, daß du
Sie deine Gattin ſagſt, verfluchter Bube,
Daß du ſie dein nennſt, geiler Maͤdchenraͤuber,
Die Jungfrau, dir vom Teufel in der Hoͤlle, 1670
Mit Knebeln und mit Banden angetraut?
Freiburg.
Wie? Was? Wer?
Georg.
Max, ich bitte dich. 1675
Graf vom Strahl.
Wer biſt du?
Freiburg.
Ihr Herrn, ihr irrt euch ſehr —
71 Graf vom Strahl. 1680
Wer biſt du, frag’ ich?
Freiburg.
Ihr Herren, wenn ihr glaubt, daß ich —
Graf vom Strahl.
Schafft Licht her! 1685
Freiburg.
Dies Weib hier, das ich mitgebracht, das iſt —
Graf vom Strahl.
Ich ſage Licht herbeigeſchafft!
Gottſchalk und die Koͤhler (kommen mit 1690
Fakeln und Feuerhacken).
Freiburg.
Ich bin —
Georg (heimlich).
Ein Raſender biſt du! Fort! Gleich hinweg! 1695
Willſt du auf ewig nicht dein Wappen ſchaͤnden.
Graf vom Strahl.
So, meine wackern Koͤhler; leuchtet mir!
Freiburg. (ſchließt ſein Viſir).
Graf vom Strahl. 1700
Wer biſt du jetzt, frag’ ich? Oeffn’ das Viſir.
Freiburg.
Ihr Herrn, ich bin —
Graf vom Strahl.
Oeffn’ das Viſir. 1705
72 Freiburg.
Ihr hoͤrt.
Graf vom Strahl.
Meinſt du, leichtfert’ger Bube, ungeſtraft
Die Antwort mir zu weigern, wie ich dir? 1710
(er reißt ihm den Helm vom Haupt, der Burggraf
taumelt).
Schauermann.
Schmeißt den Verwegenen doch gleich zu Boden!
Wetzlaf. 1715
Auf! Zieht!
Freiburg.
Du Raſender, welch eine That!
(er erhebt ſich, zieht und haut nach dem Grafen, der
weicht aus). 1720
Graf vom Strahl.
Du wehrſt dich mir, du Afterbraͤutigam?
(er haut ihn nieder).
So fahr’ zur Hoͤlle hin, woher du kamſt,
Und feire deine Flitterwochen drin! 1725
Wetzlaf.
Entſetzen! Schaut! Er ſtuͤrzt, er wankt, er faͤllt!
Flammberg (dringt vor).
Auf jetzt, ihr Freunde!
Schauermann. 1730
Fort! Entflieht!
73 Flammberg.
Schlagt drein!
Jagt das Geſindel voͤllig in die Flucht!
(Die Burggraͤflichen entweichen; niemand bleibt als 1735
Georg, der uͤber den Burggrafen beſchaͤftigt iſt).
Graf vom Strahl (zum Burggrafen).
Freiburg! Was ſeh ich? Ihr allmaͤcht’gen Goͤtter!
Du biſt’s?
Kunigunde (unterdruͤckt). 1740
Der undankbare Hoͤllenfuchs!
Graf vom Strahl.
Was galt dir dieſe Jungfrau, du Unſel’ger?
Was wollteſt du mit ihr?
Georg. 1745
— Er kann nicht reden.
Blut fuͤllt, vom Scheitel quellend, ihm den Mund.
Kunigunde.
Laßt ihn erſticken drin!
Graf vom Strahl. 1750
Ein Traum erſcheint mir’s!
Ein Menſch wie der, ſo wacker ſonſt, und gut.
— Kommt ihm zu Huͤlf’, ihr Leute!
Flammberg.
Auf! Greift an! 1755
Und tragt ihn dort in jener Huͤtte Raum.
Kunigunde.
Ins Grab! Die Schaufeln her! Er ſei geweſen!
74 Graf vom Strahl.
Beruhigt euch! — Wie er darnieder liegt, 1760
Wird er auch unbeerdigt euch nicht ſchaden.
Kunigunde.
Ich bitt’ um Waſſer!
Graf vom Strahl.
Fuͤhlt ihr euch nicht wohl? 1765
Kunigunde.
Nichts, nichts — Es iſt — Wer hilft? — Iſt
hier kein Sitz?
— Weh mir! (ſie wankt).
Graf vom Strahl. 1770
Ihr Himmliſchen! He! Gottſchalk! hilf!
Gottſchalk.
Die Fakeln her!
Kunigunde.
Laßt, Laßt! 1775
Graf vom Strahl (hat ſie auf einen Sitz gefuͤhrt).
Es geht voruͤber?
Kunigunde.
Das Licht kehrt meinen truͤben Augen wieder. —
Graf vom Strahl. 1780
Was war’s, das ſo urploͤtzlich euch ergriff?
Kunigunde.
Ach, mein großmuͤth’ger Retter und Befreier,
Wie nenn’ ich das? Welch ein entſetzensvoller,
75 Unmenſchlicher Frevel war mir zugedacht? 1785
Denk’ ich, was ohne euch, vielleicht ſchon jetzt,
Mir widerfuhr, hebt ſich mein Haar empor,
Und meiner Glieder jegliches erſtarrt.
Graf vom Strahl.
Wer ſeid ihr? Sprecht! Was iſt euch widerfah⸗1790
ren?
Kunigunde.
O Seligkeit, euch dies jetzt zu entdecken!
Die That, die euer Arm vollbracht, iſt keiner
Unwuͤrdigen geſchehen; Kunigunde, 1795
Freifrau von Thurneck, bin ich, daß ihr’s wißt;
Das ſuͤße Leben, das ihr mir erhieltet,
Wird, außer mir, in Thurneck, dankbar noch
Ein ganz Geſchlecht euch von Verwandten lohnen.
Graf vom Strahl. 1800
Ihr ſeid? — Es iſt nicht moͤglich? Kunigunde
Von Thurneck? —
Kunigunde.
Ja, ſo ſagt’ ich! Was erſtaunt ihr?
Graf vom Strahl (ſteht auf). 1805
Nun denn, bei meinem Eid, es thut mir Leid,
So kamt ihr aus dem Regen in die Traufe:
Denn ich bin Friedrich Wetter Graf vom Strahl!
Kunigunde.
Was! Euer Name? — Der Name meines Retters? — 1810
76 Graf vom Strahl.
Iſt Friedrich Strahl, ihr hoͤrt’s. Es thut mir Leid,
Daß ich euch keinen beſſern nennen kann.
Kunigunde (ſteht auf).
Ihr Himmliſchen! Wie pruͤft ihr dieſes Herz? 1815
Gottſchalk (heimlich).
Die Thurneck? hoͤrt’ ich recht?
Flammberg (erſtaunt).
Bei Gott! Sie iſt’s!
(Pauſe). 1820
Kunigunde.
Es ſei. Es ſoll mir das Gefuͤhl, das hier
In dieſem Buſen ſich entflammt, nicht ſtoͤren.
Ich will nichts denken, fuͤhlen will ich nichts,
Als Unſchuld, Ehre, Leben, Rettung — Schutz 1825
Vor dieſem Wolf, der hier am Boden liegt. —
Komm her, du lieber, goldner Knabe, du,
Der mich befreit, nimm dieſen Ring von mir,
Es iſt jetzt Alles, was ich geben kann:
Einſt lohn’ ich wuͤrdiger, du junger Held, 1830
Die That dir, die mein Band geloͤſ’t, die muthige,
Die mich vor Schmach bewahrt, die mich errettet,
Die That, die mich zur Seeligen gemacht!
(ſie wendet ſich zum Grafen).
Euch, mein Gebieter — Euer nenn’ ich Alles, 1835
77 Was mein iſt! Sprecht! Was habt ihr uͤber mich
beſchloſſen?
In eurer Macht bin ich; was muß geſchehn?
Muß ich nach eurem Ritterſitz euch folgen?
Graf vom Strahl (nicht ohne Verlegenheit). 1840
Mein Fraͤulein — es iſt nicht eben allzuweit.
Wenn ihr ein Pferd beſteigt, ſo koͤnnt ihr bei
Der Graͤfin, meiner Mutter, uͤbernachten.
Kunigunde.
Fuͤhrt mir das Pferd vor! 1845
Graf vom Strahl (nach einer Pauſe).
Ihr vergebt mir,
Wenn die Verhaͤltniſſe, in welchen wir —
Kunigunde.
Nichts, Nichts! Ich bitt euch ſehr! Beſchaͤmt 1850
mich nicht!
In eure Kerker klaglos wuͤrd’ ich wandern.
Graf vom Strahl.
In meinen Kerker! Was! Ihr uͤberzeugt euch —
Kunigunde (unterbricht ihn). 1855
Druͤckt mich mit eurer Großmuth nicht zu Bo⸗
den! —
Ich bitt’ um eure Hand!
Der Graf vom Strahl.
He! Fackeln! Leuchtet! 1860
(ab).
Scene. Schloß
Wetterſtrahl. Ein Gemach in der Burg.
Neunter Auftritt.
Kunigunde (in einem halb vollendeten, romantiſchen
Anzuge,
tritt auf, und ſetzt ſich vor einer Toilette nieder. Hinter ihr ihr) 1865
Roſalie und die alte Brigitte.
Roſalie (zu Brigitten).
Hier, Muͤtterchen, ſetz dich!
Der Graf vom Strahl
hat
ſich bei meinem Fraͤulein anmelden laſſen; ſie laͤßt
ſich nur noch die Haare von mir zurecht legen, und
1870
mag gern dein Geſchwaͤtz hoͤren.
Alſo ihr ſeid Fraͤulein
Kunigunde von Thurneck?
Ja Muͤtterchen; das bin
ich.
1875
Und nennt euch eine Tochter
des Kaiſers?
Des Kaiſers?
Nein; wer ſagt dir das?
Der jetzt
lebende Kaiſer iſt mir fremd; die
Urenkelin eines der
1880
vorigen Kaiſer bin ich, die in
verfloſſenen Jahrhun⸗
derten, auf dem deutſchen Thron ſaßen.
O Herr! Es iſt nicht moͤglich? Die Urenkeltochter —
Kunigunde. 1885
Nun ja!
79 Roſalie.
Hab ich es dir nicht
geſagt?
Nun, bei meiner Treu, ſo kann
ich mich ins
1890
Grab legen: der Traum des Grafen vom
Strahl
iſt aus!
Welch ein Traum?
Hoͤrt nur, hoͤrt!
Es iſt die wunderlichſte Ge⸗
ſchichte von der
Welt! — —
Aber ſei buͤndig, Muͤt⸗
terchen, und ſpare den Eingang; denn die Zeit, wie
ich dir ſchon geſagt, iſt kurz.
Der Graf war gegen das Ende
des vorletzten Jah⸗
res, nach einer ſeltſamen Schwermuth, von welcher
kein Menſch die Urſache ergruͤnden konnte, erkrankt;
matt lag er da, mit glutrothem Antlitz und
phanta⸗
ſirte; die Aerzte, die ihre Mittel erſchoͤpft
hatten,
1905
ſprachen, er ſei nicht zu retten.
Alles, was in ſeinem
Herzen
verſchloſſen war, lag nun, im Wahnſin des
Fiebers,
auf ſeiner Zunge: er ſcheide gern,
ſprach er
ſprach er,
von hinnen; das Maͤdchen, das faͤhig waͤre, ihn zu
lieben, ſei nicht vorhanden; Leben aber ohne
Liebe ſei
1910
Tod; die Welt nannt’ er ein Grab, und das
Grab eine
Wiege, und meinte, er wuͤrde nun erſt
gebohren wer⸗
80
den.
— Drei hintereinander folgende Naͤchte, waͤh⸗
rend
welcher ſeine Mutter nicht von ſeinem Bette
wich,
erzaͤhlte er ihr, ihm ſei ein Engel erſchienen
1915
und
habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver⸗
traue!
Auf der Graͤfin Frage: ob ſein Herz ſich, durch
dieſen Zuruf des Himmliſchen, nicht geſtaͤrkt fuͤhle?
antwortete er: Geſtaͤrkt? Nein! — und mit einem
Seufzer ſetzte er hinzu: „doch! doch, Mutter!
Wenn
1920
ich ſie werde geſehen haben!“ —
Die Graͤfin fragt:
und wirſt du
ſie ſehen?
„Gewiß!“ antwortet er.
Wann? fragt ſie.
Wo? —
In der Sylveſternacht,
wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr
fuͤhren.
Wer? fragt ſie,
Lieber; zu wem?
Der Engel,
1925
ſpricht er, zu meinem Maͤdchen — wendet ſich und
ſchlaͤft ein.
Geſchwaͤtz!
Hoͤrt ſie nur weiter. —
Nun?
Drauf in der Sylveſternacht,
in dem Augenblick,
da eben das Jahr wechſelt, hebt
er ſich halb vom La⸗
ger empor, ſtarrt, als ob er eine Erſcheinung haͤtte,
ins
1935
Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand
zeigt:
„Mutter! Mutter! Mutter!“ ſpricht er.
Was giebt’s?
fragt ſie.
„Dort!
Dort!“
Wo?
„Geſchwind!“
ſpricht
81
ſpricht er —
Was?
—
„Den Helm!
Den
Harniſch!
Das Schwerdt!“
—
Wo willſt du hin? fragt die Mut⸗1940
ter.
„Zu ihr,“ ſpricht er; „zu
ihr! So! ſo! ſo!“
und ſinkt zuruͤck; „Ade, Mutter
Ade!“ ſtreckt alle
Glieder von ſich, und liegt wie
todt.
Todt?
1945
Todt, ja!
Sie meint, einem Todten
gleich.
Sie ſagt, todt!
Stoͤrt ſie nicht. —
Nun?
Wir horchten an ſeiner Bruſt:
es war ſo ſtill
darin, wie in einer leeren Kammer.
Eine Feder ward
ihm
vorgehalten, ſeinen Athem zu pruͤfen: ſie ruͤhrte
1955
ſich nicht.
Der Arzt meinte in der That,
ſein Geiſt
habe ihn verlaſſen; rief ihm aͤngſtlich
ſeinen Namen
ins Ohr; reizt’ ihn, um ihn zu
erwecken, mit Geruͤ⸗
chen; reizt’ ihn mit Stiften und Nadeln,
riß ihm
ein Haar aus, daß ſich das Blut zeigte;
vergebens:
1960
er bewegte kein Glied und lag, wie todt.
Nun?
Darauf?
Darauf, nachdem er einen
Zeitraum ſo gelegen,
1965
faͤhrt er auf, kehrt ſich, mit
dem Ausdruck der Be⸗
truͤbniß, der Wand zu, und ſpricht : „Ach!
Nun brin⸗
gen ſie die Lichter!
Nun
iſt ſie mir wieder verſchwun⸗
den!“ — gleichſam, als ob er durch
den Glanz der⸗
ſelben verſcheucht wuͤrde. —
Und da die Graͤfin ſich
1970
uͤber
ihn neigt und ihn an ihre Bruſt hebt und ſpricht:
Mein Friedrich!
Wo warſt du?
„Bei ihr,“ verſetzt
er, mit
freudiger Stimme; „bei ihr, die mich liebt!
bei der
Braut, die mir der Himmel beſtimmt hat!
Geh, Mutter geh, und laß nun in allen Kirchen fuͤr
1975
mich beten: denn nun wuͤnſch’ ich zu leben.“
Und beſſert ſich
wirklich?
Das eben iſt das
Wunder.
1980
Beſſert ſich, mein Fraͤulein,
beſſert ſich, in der
That; erholt ſich, von Stund’
an, gewinnt, wie
durch himmliſchen Balſam geheilt,
ſeine Kraͤfte wie⸗
der, und ehe der Mond ſich erneut, iſt er ſo geſund
1985
wie zuvor.
Und erzaͤhlte? —
Was erzaͤhlte er nun?
Ach, und erzaͤhlte, und fand
kein Ende zu erzaͤh⸗1990
len: wie der Engel ihn, bei der Hand,
durch die
Nacht geleitet; wie er ſanft des
Maͤdchens Schlaf⸗
kaͤmmerlein eroͤffnet, und alle Waͤnde
mit ſeinem Glanz
erleuchtend, zu ihr eingetreten
ſei; wie es dagelegen,
das holde Kind, mit nichts,
als dem Hemdchen an⸗1995
gethan, und die Augen bei ſeinem Anblick
groß auf⸗
gemacht, und gerufen habe, mit einer Stimme, die
das Erſtaunen beklemmt: „ Mariane!“ welches jemand
geweſen ſein muͤſſe, der in der Nebenkammer
geſchla⸗
fen; wie ſie darauf, vom Purpur der Freude uͤber
2000
und uͤber ſchimmernd, aus dem Bette geſtiegen,
und ſich
auf Knieen vor ihm niedergelaſſen, das
Haupt geſenkt,
und: mein hoher Herr! geliſpelt; wie
der Engel ihm
darauf, daß es eine Kaiſertochter
ſei, geſagt, und
ihm ein Maal gezeigt, das dem
Kindlein roͤthlich auf
2005
dem Nacken verzeichnet war,
— wie er, von unendli⸗
chem Entzuͤcken durchbebt, ſie eben
beim Kinn gefaßt,
um ihr ins Antlitz zu ſchauen:
und wie die unſelige
Magd nun, die Mariane, mit
Licht gekommen, und
die ganze Erſcheinung bei ihrem
Eintritt wieder ver⸗2010
ſchwunden ſei.
Und nun meinſt du, dieſe
Kaiſertochter ſei ich?
Wer ſonſt?
2015
Das ſag’ ich auch.
Die ganze Strahlburg, bei
eurem Einzug, als ſie
erfuhr, wer ihr ſeid, ſchlug
die Haͤnde uͤber den Kopf
2020
zuſammen und rief: ſie
iſt’s!
Es fehlte nichts, als daß die
Glocken ihre Zun⸗
gen geloͤſ’t, und gerufen haͤtten: ja, ja, ja!
Ich danke dir, Muͤtterchen,
fuͤr deine Erzaͤhlung.
Inzwiſchen nimm dieſe Ohrringe zum Andenken, und
entferne dich.
Zehnter Auftritt.
2030
Kunigunde und Roſalie.
Kunigunde (nachdem ſie ſich im Spiegel betrachtet, geht
gedankenlos ans Fenſter und oͤffnet es. — Pauſe).
Haſt du mir alles dort zurecht gelegt,
Was ich dem Grafen zugedacht, Roſalie? 2035
Urkunden, Briefe, Zeugniſſe?
Roſalie (am Tiſch zuruͤck geblieben).
Hier ſind ſie.
In dieſem Einſchlag liegen ſie beiſammen beiſammen.
85 Kunigunde. 2040
Gieb mir doch —
(ſie nimmt eine Leimruthe, die draußen befeſtigt iſt, herein).
Roſalie.
Was, mein Fraͤulein?
Kunigunde. (lebhaft). 2045
Schau, o Maͤdchen!
Iſt dies die Spur von einem Fittig nicht?
Roſalie (indem ſie zu ihr geht).
Was habt ihr da?
Kunigunde. 2050
Leimruthen, die, ich weiß
Nicht wer? an dieſem Fenſter aufgeſtellt!
— Sieh, hat hier nicht ein Fittig ſchon geſtreift?
Roſalie.
Gewiß! Da iſt die Spur. Was war’s? Ein 2055
Zeiſig?
Kunigunde.
Ein Finkenhaͤhnchen war’s, das ich vergebens
Den ganzen Morgen ſchon herangelockt.
Roſalie. 2060
Seht nur dies Federchen. Das ließ er ſtecken!
Kunigunde (gedankenvoll).
Gieb mir doch —
Roſalie.
Was, mein Fraͤulein? Die Papiere? 2065
86 Kunigunde (lacht und ſchlaͤgt ſie).
Schelmin! — Die Hirſe will ich, die dort ſteht.
Roſalie (lacht und, und geht und holt die Hirſe).
Eilfter Auftritt.
Ein Bedienter (tritt auf).
Die Vorigen.
2070
Der Bediente.
Graf Wetter vom Strahl, und die Graͤfin ſeine
Mutter!
Raſch! Mit den Sachen weg.
2075
Gleich, gleich!
Kunigunde.
Sie werden mir willkommen ſein.
2080
Zwoͤlfter Auftritt.
Graͤfin Helena, der
Graf vom Strahl (treten auf).
Fraͤulein Kunigunde.
Kunigunde (ihnen entgegen).
Verehrungswuͤrd’ge! Meines Retters Mutter, 2085
Wem dank’ ich, welchem Umſtand, das Vergnuͤgen,
87 Daß ihr mir euer Antlitz ſchenkt, daß ihr
Vergoͤnnt, die theuren Haͤnde euch zu kuͤſſen?
Graͤfin.
Mein Fraͤulein, ihr demuͤthigt mich. Ich kam, 2090
Um eure Stirn zu kuͤſſen, und zu fragen,
Wie ihr in meinem Hauſe euch befindet?
Kunigunde.
Sehr wohl. Ich fand hier Alles, was ich brauchte.
Ich hatte nichts von eurer Huld verdient, 2095
Und ihr beſorgtet mich, gleich einer Tochter.
Wenn irgend etwas mir die Ruhe ſtoͤrte
So war es dies beſchaͤmende Gefuͤhl;
Doch ich bedurfte nur den Augenblick,
Um dieſen Streit in meiner Bruſt zu loͤſen. 2100
(Sie wendet ſich zum Grafen).
Wie ſteht’s mit eurer linken Hand, Graf Friedrich?
Der Graf vom Strahl.
Mit meiner Hand? mein Fraͤulein! Dieſe Frage,
Iſt mir empfindlicher als ihre Wunde! 2105
Der Sattel wars, ſonſt nichts, an dem ich mich
Unachtſam ſtieß, euch hier vom Pferde hebend.
Graͤfin.
Ward ſie verwundet? — Davon weiß ich nichts.
Kunigunde. 2110
Es fand ſich, als wir dieſes Schloß erreichten,
Daß ihr, in hellen Tropfen, Blut entfloß.
88 Graf vom Strahl.
Die Hand ſelbſt, ſeht ihr, hat es ſchon vergeſſen.
Wenn’s Freiburg war, dem ich im Kampf um euch, 2115
Dies Blut gezahlt, ſo kann ich wirklich ſagen:
Schlecht war der Preis, um den er euch verkauft.
Kunigunde.
Ihr denkt von ſeinem Werthe ſo — nicht ich.
(indem ſie ſich zur Mutter wendet). 2120
— Doch wie? Wollt ihr euch, Gnaͤdigſte, nicht ſetzen?
(ſie holt einen Stuhl, der Graf bringt die andern. Sie
laſſen ſich ſaͤmmtlich nieder).
Graͤfin.
Wie denkt ihr, uͤber eure Zukunft, Fraͤulein? 2125
Habt ihr die Lag’, in die das Schickſal euch
Verſetzt, bereits erwogen? Wißt ihr ſchon,
Wie euer Herz darin ſich faſſen wird?
Kunigunde (bewegt).
Verehrungswuͤrdige und gnaͤd’ge Graͤfin, 2130
Die Tage, die mir zugemeſſen, denk ich
In Preis und Dank, in immer gluͤhender
Erinnerung deſſ, was juͤngſt fuͤr mich geſchehn,
In unausloͤſchlicher Verehrung eurer,
Und eures Hauſes, bis auf den letzten Odem, 2135
Der meine Bruſt bewegt, wenn’s mir vergoͤnnt iſt,
In Thurneck bei den Meinen hinzubringen.
(ſie weint).
89 Graͤfin.
Wann denkt ihr zu den Euren aufzubrechen? 2140
Kunigunde.
Ich wuͤnſche — weil die Tanten mich erwarten,
— Wenn’s ſein kann, morgen, — oder mindeſtens —
In dieſen Tagen, abgefuͤhrt zu werden.
Graͤfin. 2145
Bedenkt ihr auch, was dem entgegen ſteht?
Kunigunde.
Nichts mehr, erlauchte Frau, wenn ihr mir nur
Vergoͤnnt, mich offen vor euch zu erklaͤren.
(ſie kuͤßt ihr die Hand; ſteht auf und holt die Papiere). 2150
Nehmt dies von meiner Hand, Herr Graf vom
Strahl.
Der Graf vom Strahl (ſteht auf).
Mein Fraͤulein! Kann ich wiſſen, was es iſt?
Kunigunde. 2155
Die Documente ſind’s, den Streit betreffend,
Um eure Herrſchafft Herrschaft Herrschaft Stauffen, die Papiere
Auf die ich meinen Anſpruch gruͤndete.
Graf vom Strahl.
Mein Fraͤulein, ihr beſchaͤmt mich, in der That! 2160
Wenn dieſes Heft, wie ihr zu glauben ſcheint,
Ein Recht begruͤndet: weichen will ich euch,
Und wenn es meine letzte Huͤtte gaͤlte!
90 Kunigunde.
Nehmt, nehmt, Herr Graf vom Strahl! Die 2165
Briefe ſind
Zweideutig, ſeh’ ich ein, der Wiederkauf,
Zu dem ſie mich berechtigen, verjaͤhrt;
Doch waͤr’ mein Recht ſo klar auch, wie die Sonne,
Nicht gegen euch mehr kann ich’s geltend machen. 2170
Graf vom Strahl.
Niemals, mein Fraͤulein, niemals, in der That!
Mit Freuden nehm ich, wollt ihr mir ihn ſchenken,
Von euch den Frieden an; doch, wenn auch nur
Der Zweifel eines Rechts auf Staufen [emendiert in ›Stauffen‹] [emendiert in ›Stauffen‹] euer, 2175
Das Document nicht, das ihn euch belegt!
Bringt eure Sache vor, bei Kaiſer und bei Reich,
Und das Geſetz entſcheide, wer ſich irrte.
Kunigunde (zur Graͤfin).
Befreit denn ihr, verehrungswuͤrd’ge Graͤfin, 2180
Von dieſen leid’gen Documenten mich,
Die mir in Haͤnden brennen, widerwaͤrtig
Zu dem Gefuͤhl, das mir erregt iſt, ſtimmen,
Und mir auf Gottes weiter Welt zu nichts mehr,
Lebt’ ich auch neunzig Jahre, helfen koͤnnen. 2185
Graͤfin (ſteht gleichfalls auf).
Mein theures Fraͤulein! Eure Dankbarkeit
Fuͤhrt euch zu weit. Ihr koͤnnt, was eurer ganzen
Familie angehoͤrt, in einer fluͤchtigen
91 Bewegung nicht, die euch ergriff, veraͤußern. 2190
Nehmt meines Sohnes Vorſchlag an und laßt
In Wetzlar die Papiere unterſuchen;
Verſichert euch, ihr werdet werth uns bleiben,
Man mag auch dort entſcheiden, wie man wolle.
Kunigunde (mit Affect). 2195
Nun denn, der Anſpruch war mein Eigenthum!
Ich brauche keinen Vetter zu befragen,
Und meinem Sohn vererb’ ich einſt mein Herz!
Die Herrn in Wetzlar mag ich nicht bemuͤhn:
Hier dieſe raſche Bruſt entſcheidet ſo! 2200
(ſie zerreißt die Papiere und laͤßt ſie fallen).
Graͤfin.
Mein liebes, junges, unbeſonnes Kind,
Was habt ihr da gethan? — — Kommt her,
Weil’s doch geſchehen iſt, daß ich euch kuͤſſe. 2205
(ſie umarmt ſie).
Kunigunde.
Ich will daß dem Gefuͤhl, das mir entflammt,
Im Buſen iſt, nichts fuͤrder widerſpreche!
Ich will, die Scheidewand ſoll niederſinken, 2210
Die zwiſchen mir und meinem Retter ſteht!
Ich will mein ganzes Leben ungeſtoͤrt,
Durchathmen, ihn zu preiſen, ihn zu lieben.
Graͤfin (geruͤhrt).
Gut, gut, mein Toͤchterchen. Es iſt ſchon gut, 2215
Ihr ſeid zu ſehr erſchuͤttert.
92 Der Graf vom Strahl.
— Ich will wuͤnſchen,
Daß dieſe That euch nie gereuen moͤge.
(Pauſe). 2220
Kunigunde (trocknet ſich die Augen).
Wann darf ich nun nach Thurneck wiederkehren, wiederkehren?
Graͤfin.
Gleich! Wann ihr wollt! Mein Sohn ſelbſt wird
euch fuͤhren! 2225
Kunigunde.
So ſei’s — auf morgen denn!
Graͤfin.
Gut! Ihr begehrt es.
Obſchon ich gern euch laͤnger bei mir ſaͤhe. — 2230
Doch heut bei Tiſch noch macht ihr uns die Frende? Freude?
Kunigunde (verneigt ſich).
Wenn ich mein Herz kann ſammeln, wart’ ich auf.
(ab).
Dreizehnter Auftritt.
2235
Graͤfin Helena.
Der Graf
von
vom
Strahl.
Der Graf vom Strahl.
So wahr, als ich ein Mann bin, die begehr ich
Zur Frau!
93 Graͤfin. 2240
Nun, nun, nun, nun!
Graf vom Strahl.
Was! Nicht?
Du willſt, daß ich mir Eine waͤhlen ſoll;
Doch die nicht? Dieſe nicht? Die nicht? 2245
Graͤfin.
Was willſt du?
Ich ſagte nicht, daß ſie mir ganz mißfaͤllt.
Graf vom Strahl.
Ich will auch nicht, daß heut noch Hochzeit ſei: 2250
— Sie iſt vom Stamm der alten ſaͤchſ’ſchen Kaiſer.
Graͤfin.
Und der Sylveſternachttraum ſpricht fuͤr ſie?
Nicht? Meinſt du nicht?
Graf vom Strahl. 2255
Was ſoll ich’s bergen: ja!
Graͤfin.
Laſſ’ uns die Sach’ ein wenig uͤberlegen.
(ab. (ab).
Dritter Act.
2260
Scene. Gebirg und Wald. Eine
Einſiedelei.
Erſter Auftritt.
Theobald und Gottfried Friedeborn (fuͤhren) das
Kaͤthchen (von einem Felſen herab).
Theobald. 2265
Nimm dich in Acht, mein liebes Kaͤthchen; der
Gebirgspfad, ſiehſt du, hat eine Spalte. Setze
deinen
Fuß hier auf dieſen Stein, der ein wenig mit
Moos
bewachſen iſt; wenn ich wuͤßte, wo eine Roſe
waͤre,
ſo wollte ich es dir ſagen. —
So!
2270
Doch haſt wohl Gott,
Kaͤthchen, nichts von der
Reiſe anvertraut, die du
heut zu thun willens warſt? —
Ich glaubte, an dem Kreuzweg, wo das Marien⸗
bild ſteht, wuͤrden
zwei Engel kommen, Juͤnglinge,
2275
von hoher Geſtalt,
mit ſchneeweißen Fittigen an den
Schultern, und
ſagen: Ade, Theobald!
Ade, Gott⸗
fried!
Kehrt zuruͤck, von wo ihr gekommen ſeid; wir
werden das Kaͤthchen jetzt auf ſeinem Wege zu
Gott
weiter fuͤhren. —
Doch es war nichts; wir mußten
2280
dich ganz bis ans
Kloſter herbringen.
Die Eichen ſind ſo ſtill, die
auf den Bergen ver⸗
ſtreut ſind: man hoͤrt den Specht, der
daran pickt.
Ich glaube,
ſie wiſſen, daß Kaͤthchen angekommen iſt,
2285
und
lauſchen auf das, was ſie denkt.
Wenn ich
mich
doch in die Welt aufloͤſen koͤnnte, um es zu
erfahren.
Harfenklang
muß nicht lieblicher ſeyn, als ihr Gefuͤhl;
es
wuͤrde Iſrael hinweggelockt von David und ſeinen
Zungen neue Pſalter gelehrt haben. —
Mein liebes
2290
Kaͤthchen?
Mein lieber Vater!
Sprich ein Wort.
2295
Sind wir am Ziele?
Wir ſind’s.
Dort in jenem freundlichen Gebaͤude,
das mit ſeinen Thuͤrmen zwiſchen die Felſen geklemmt
2300
iſt, ſind die ſtillen Zellen der frommen
Auguſtiner⸗
moͤnche; und hier, der geheiligte Ort, wo ſie
beten.
Ich fuͤhle mich matt.
Wir wollen uns ſetzen.
Komm, gieb mir deine
Hand,
das
daß
ich dich ſtuͤtze.
Hier vor dieſem
Gitter iſt
96
eine
Ruhebank, mit kurzem und dichtem Gras bewach⸗
ſen: ſchau her, das
angenehmſte Plaͤtzchen, das ich
jemals ſah.
2310
Gottfried.
Wie befindeſt du dich?
Sehr wohl.
2315
Du ſcheinſt doch blaß, und
deine Stirne iſt voll
Schweiß?
Gottfried. 2320
Sonſt warſt du ſo ruͤſtig,
konnteſt meilenweit wan⸗
dern, durch Wald und Feld, und brauchteſt
nichts, als
einen Stein, und das Buͤndel, das du
auf der Schul⸗
ter trugſt, zum Pfuͤhl, um dich wieder herzuſtellen;
und heut biſt du ſo erſchoͤpft, daß es ſcheint,
als ob
2325
alle Betten, in welchen die Kaiſerin ruht,
dich nicht
wieder auf die Beine bringen wuͤrden.
Willſt du mit etwas erquickt
ſein.
Soll ich gehen und dir einen
Trunk Waſſer ſchoͤpfen?
Oder ſuchen wo dir eine Frucht
bluͤht?
Sprich, mein liebes
Kaͤthchen!
2335
Ich danke dir, lieber
Vater.
Du dankſt uns.
Du verſchmaͤhſt Alles.
Du begehrſt nichts, als daß
ich ein Ende mache:
hingehe und dem Prior Hatto, —
meinem alten Freund,
ſage: der alte Theobald ſei
da, der ſein einzig liebes
2345
Kind begraben wolle.
Mein lieber Vater!
Nun gut.
Es ſoll geſchehn.
Doch
bevor wir die
2350
entſcheidenden Schritte thun, die
nicht mehr zuruͤck
zu nehmen ſind, will ich dir
noch etwas ſagen.
Ich
will dir ſagen, was Gottfried und mir eingefallen
iſt, auf dem Wege hierher, und was, wie uns ſcheint,
ins Werk zu richten nothwendig iſt, bevor wir den
2355
Prior in dieſer Sache ſprechen. —
Willſt du es
wiſſen?
Rede!
Nun wohlan, ſo merk’ auf, und
pruͤfe dein Herz
wohl! —
Du willſt in das Kloſter der Urſulinerinnen
gehen,
das tief im einſamen kieferreichen Gebirge ſei⸗
nen Sitz hat.
Die Welt, der liebliche Schauplatz
des Lebens, reizt dich nicht mehr; Gottes Antlitz, in
2365
Abgezogenheit und Froͤmmigkeit angeſchaut, ſoll
dir
Vater, Hochzeit, Kind, und der Kuß kleiner
bluͤhen⸗
der Enkel ſeyn.
Ja, mein lieber Vater.
2370
Wie waͤr’s, wenn du auf ein
Paar Wochen, da
die Witterung noch ſchoͤn iſt, zu
dem Gemaͤuer
zuruͤckkehrteſt, und dir die Sache ein
wenig uͤber⸗
legteſt?
2375
Wie?
Wenn du wieder hingingſt,
mein’ ich, nach der
Strahlburg, unter den
Hollunderſtrauch, wo ſich der
2380
Zeiſig das Neſt
gebaut hat, am Hang des Felſens, du
weißt, von wo
das Schloß, im Sonnenſtrahl funkelnd,
uͤber die
Gauen des Landes herniederſchaut?
Nein, mein lieber
Vater!
2385
Warum nicht?
Der Graf, mein Herr, hat es
mir verboten.
Er hat es dir verboten.
Gut.
Und was er dir
ver⸗
boten hat, das darfſt du nicht thun.
Doch wie, wenn
ich hinginge und
ihn baͤte, daß er es erlaubte?
Wie?
Was ſagſt du?
2395
Wenn ich ihn erſuchte, dir das
Plaͤtzgen, wo dir
ſo wohl iſt, zu goͤnnen, und mir
die Freiheit wuͤrde,
dich daſelbſt mit dem, was du
zur Nothdurft brauchſt,
freundlich auszuſtatten?
2400
Nein, mein lieber
Vater.
Warum nicht?
Das wuͤrdeſt du nicht thun;
und wenn du es thaͤ⸗
teſt, ſo wuͤrde es der Graf nicht
erlauben; und wenn
der Graf es erlaubte, ſo wuͤrd’
ich doch von ſeiner
Erlaubniß keinen Gebrauch
machen.
Kaͤthchen!
Mein liebes Kaͤthchen!
Ich will es
100
thun.
Ich will mich ſo vor ihm niederlegen, wie ich
es jetzt vor dir thue, und ſprechen: mein hoher
Herr!
erlaubt, daß das Kaͤthchen unter dem Himmel,
der
uͤber eure Burg geſpannt iſt, wohne; reitet ihr
aus,
2415
ſo vergoͤnnt, daß ſie euch von fern, auf einen
Pfeil⸗
ſchuß, folge, und raͤumt ihr, wenn die Nacht koͤmmt,
ein Plaͤtzchen auf dem Stroh ein, das euren
ſtolzen
Roſſen untergeſchuͤttet wird.
Es iſt beſſer, als daß
ſie vor
Gram vergehe.
2420
Gott im hoͤchſten Himmel; du
vernichteſt mich!
Du
legſt mir deine Worte kreuzweis, wie Meſſer, in
die
Bruſt!
Ich will jetzt nicht mehr ins Kloſter
gehen,
nach Heilbronn will ich mit dir
zuruͤckkehren, ich will
2425
den Grafen vergeſſen, und,
wen du willſt heirathen;
muͤßt’ auch ein Grab mir,
von acht Ellen Tiefe, das
Brautbett ſein.
Biſt du mir boͤs,
Kaͤthchen?
2430
Nein, nein! Was faͤllt dir
ein?
Ich will dich ins Kloſter
bringen!
Nimmer und nimmermehr!
Weder auf die Strahl⸗
burg, noch ins Kloſter! —
Schaff mir nur jetzt, bei
101
dem Prior, ein Nachtlager, daß ich
mein Haupt nie⸗
derlege, und mich erhole; mit Tagesanbruch, wenn
es ſein kann, gehen wir zuruͤck.
2440
Gottfried.
Was haſt du gemacht,
Alter?
Ach!
Ich habe ſie gekraͤnkt!
2445
Prior Hatto iſt zu
Hauſe?
Golobt
Gelobt
ſei Jeſus Chriſtus!
In Ewigkeit, Amen!
Vielleicht beſinnt ſie
ſich!
Komm meine Tochter!
2455
Scene. Eine Herberge.
Zweiter Auftritt.
Der Rheingraf vom
Stein
nud
und
Friedrich von Herrn⸗
ſtadt (treten auf, ihnen folgt): Jacob Pech, der Gaſt⸗2460
wirth. Gefolge von Knechten.
Rheingraf (zu dem Gefolge).
Laßt die Pferde abſatteln!
Stellt Wachen aus,
auf
dreihundert Schritt um die Herberge, und laßt
jeden
ein, niemand aus!
Fuͤttert und bleibt, in den
2465
Staͤllen, und zeigt euch, ſo wenig es ſeyn kann;
wenn
Eginhardt mit Kundſchaft aus der Thurneck
zuruͤck⸗
kommt, geb’ ich euch meine weitern Befehle.
Wer wohnt hier?
2470
Halten zu Gnaden, ich und
meine Frau, geſtren⸗
ger Herr.
Und hier?
2475
Vieh.
Wie?
Vieh. —
Eine Sau mit ihrem Wurf, halten zu
103
Gnaden; es iſt ein
Schweinſtall, von Latten draußen
angebaut.
Gut. —
Wer wohnt hier?
2485
Wo?
Hinter dieſer dritten Thuͤr?
Niemand, halten zu Gnaden.
Niemand?
Niemand geſtrenger Herr, gewiß
und wahrhaftig.
2495
Oder
vielmehr jedermann.
Es geht wieder auf’s
offne
Feld hinaus.
Gut. —
Wie heißeſt du?
Jacob Pech.
Tritt ab, Jacob Pech. —
Rheingraf. 2505
Ich will mich hier, wie die
Spinne, zuſammen
knaͤueln, daß ich ausſehe, wie ein
Haͤuflein argloſer
104
Staub; und wenn ſie im Netz ſitzt, dieſe Kunigunde,
uͤber ſie herfahren — den Stachel der Rache tief ein⸗
druͤcken in ihre treuloſe Bruſt: toͤdten, toͤdten,
toͤdten,
2510
und ihr Gerippe, als das Monument einer
Erzbuhlerin,
in dem Gebaͤlke der Steinburg
aufbewahren!
auf bewahren
Ruhig, ruhig Albrecht!
Eginhardt, den du nach
Thurneck
geſandt haſt, iſt noch, mit der Beſtaͤtigung
2515
deſſen, was du argwohnſt, nicht zuruͤck.
Da haſt du Recht, Freund;
Eginhardt iſt noch nicht
zuruͤck.
Zwar in dem Zettel, den mir die Buͤbin
ſchrieb, ſteht: ihre Empfehlung voran; es ſei nicht
noͤ⸗2520
thig, daß ich mich fuͤrder um ſie bemuͤhe; Stauffen
ſei ihr von dem Grafen vom Strahl, auf dem Wege
freundlicher Vermittlung, abgetreten.
Bei meiner un⸗
ſterblichen Seele, hat
dies irgend einen Zuſammenhang,
der rechtſchaffen
iſt: ſo will ich es hinunterſchlucken,
2525
und die
Kriegsruͤſtung, die ich fuͤr ſie gemacht, wie⸗
der auseinander gehen
laſſen.
Doch wenn Eginhardt
kommt und mir ſagt, was mir das Geruͤchte ſchon
geſteckt, daß ſie ihm mit ihrer Hand verlobt iſt:
ſo will ich meine Artigkeit, wie ein Taſchenmeſſer,
zu⸗2530
ſammenlegen, und ihr die Kriegskoſten wieder abja⸗
gen:
muͤßt’ ich ſie umkehren, und ihr den Betrag
hellerweiſe aus den Taſchen herausſchuͤtteln.
Dritter Auftritt.
Eginhardt von der
Wart (tritt auf).
Die Vorigen.
2535
Rheingraf.
Nun, Freund, alle Gruͤße
treuer Bruͤderſchaft uͤber
dich!
— Wie ſteht’s auf dem Schloſſe zu Thurneck?
Freunde, es iſt alles, wie der
Ruf uns erzaͤhlt!
2540
Sie
gehen mit vollen Segeln auf dem Ocean der
Liebe,
und ehe der Mond ſich erneut, ſind ſie in den
Hafen
der Ehe eingelaufen.
Der Blitz ſoll ihre Maſten
zerſplittern, ehe ſie
2545
ihn erreichen!
Sie ſind miteinander verlobt?
Mit duͤrren Worten, glaub’
ich, nein; doch wenn
2550
Blicke reden, Mienen ſchreiben
und Haͤndedruͤcke ſie⸗
geln koͤnnen, ſo ſind die Ehepacten
fertig.
Wie iſt es mit der Schenkung
von Stauffen zu⸗
gegangen?
Das erzaͤhle!
2555
Wann machte er ihr das
Geſchenk?
Ei!
Vorgeſtern, am Morgen ihres Geburtstags,
da die
Vettern ihr ein glaͤnzendes Feſt in der Thur⸗2560
neck bereitet hatten.
Die Sonne ſchien kaum roͤthlich
auf ihr Lager: da findet ſie das Document ſchon auf
der Decke liegen; das Document, verſteht mich, in
ein
Briefchen des verliebten Grafen eingewickelt,
mit der
Verſicherung, daß es ihr Brautgeſchenk ſei,
wenn ſie
2565
ſich entſchließen koͤnne, ihm ihre Hand zu
geben.
Sie nahm es?
Natuͤrlich!
Sie ſtellte
ſich vor den
Spiegel, knixte, und nahm es?
Das Document?
Allerdings.
Aber die Hand, die dagegen
gefordert ward?
O die verweigerte ſie nicht.
2575
Was!
Nicht?
Nein.
Gott behuͤte!
Wann haͤtte
ſie je einem
Freier ihre Hand verweigert.
2580
Aber ſie haͤlt, wenn die
Glocke geht, nicht Wort?
Danach habt ihr mich nicht
gefragt.
Wie beantwortete ſie den
Brief?
Sie ſey ſo geruͤhrt, daß ihre
Augen,
wie,
[emendiert in ›wie‹]
[emendiert in ›wie‹]
zwei
Quellen, niedertraͤufelten, und ihre
Schrift ertraͤnk⸗
ten; — die Sprache, an
die ſich
die ſie ſich
wenden muͤſſe, ihr
2590
Gefuͤhl auszudruͤcken,
ſei ein Bettler. —
Er habe, auch
ohne dieſes
Opfer, ein ewiges Recht an ihre Dank⸗
barkeit, und es ſei, wie
mit einem Diamanten, in
ihre Bruſt geſchrieben; —
kurz, einen Brief voll dop⸗
pelſinniger Fratzen,
der, wie der Schillertaft, zwei
2595
Farben ſpielt, und
weder ja ſagt, noch nein.
Nun, Freunde; ihre Zauberei
geht, mit dieſem
Kunſtſtuͤck zu Grabe!
Mich betrog ſie, und keinen
mehr; die Reihe derer, die ſie am Narrenſeil gefuͤhrt
2600
hat, ſchließt mit mir ab. —
Wo ſind die beiden rei⸗
tenden Boten?
He!
Vierter Auftritt.
2605
Zwei Boten (treten auf).
Die Vorigen.
Rheingraf (nimmt zwei Briefe aus den dem Collet).
Dieſe beiden Briefe nehmt ihr
— dieſen du, dieſen
du; und tragt ſie — dieſen hier
du an den Dominica⸗
nerprior Hatto, verſtehſt du?
Ich wuͤrd’ Glock ſieben
2610
gegen
Abend kommen, und Abſolution in ſeinem Klo⸗
ſter empfangen?
Dieſen hier du an Peter Quanz,
Haushofmeiſter in der Burg zu Thurneck; Schlag
zwoͤlf um Mitternacht ſtuͤnd’ ich mit meinem Kriegs⸗
haufen vor dem Schloß, und braͤche ein.
Du gehſt
2615
nicht eher in die
Burg, du, bis es finſter iſt, und
laͤſſeſt dich vor
keinem Menſchen ſehen; verſtehſt du
mich?
— Du brauchſt das Tageslicht nicht zu ſcheuen.
— Habt ihr mich
verſtanden?
Gut.
Hand).
Die Briefe ſind doch nicht
verwechſelt?
Nein, Nein.
Nicht?
— — Himmel und Erde!
Was giebt’s?
2630
Wer verſiegelte ſie?
Die Briefe?
Ja!
Tod und Verderben!
Du verſiegelteſt ſie ſelbſt!
Ganz recht! hier, nehmt!
Auf der Muͤhle, beim
2640
Sturzbach, werd’ ich euch erwarten.
— Kommt
meine
Freunde!
Scene:
Thurneck. Ein Zimmer in der Burg.
Fuͤnfter Auftritt.
2645
Der Graf vom Strahl
(ſitzt gedankenvoll an einem Tiſch,
auf welchem zwei Lichter ſtehen. Er haͤlt eine Laute in der Hand,
und thut einige Griffe darauf. Im Hintergrunde, bei ſeinen
Kleidern und Waffen beſchaͤftigt,) Gottſchalk.
Stimme (von außen). 2650
Macht auf! Macht auf! Macht auf!
110 Gottſchalk.
Holla! — Wer ruft?
Stimme.
Ich, Gottſchalk, bin’s; ich bin’s, du lieber Gott⸗2655
ſchalk!
Gottſchalk.
Wer?
Stimme.
Ich! 2660
Gottſchalk.
Du?
Stimme.
Ja!
Gottſchalk. 2665
Wer?
Stimme.
Ich!
Der Graf vom Strahl (legt die Laute weg).
Die Stimme kenn’ ich! 2670
Gottſchalk.
Mein Seel! Ich hab’ ſie auch ſchon wo gehoͤrt.
Stimme.
Herr Graf vom Strahl! Macht auf! Herr Graf
vom Strahl! 2675
Graf vom Strahl.
Bei Gott! Das iſt —
111 Gottſchalk.
Das iſt, ſo wahr ich lebe —
Stimme. 2680
Das Kaͤthchen iſt’s! Wer ſonſt! Das Kaͤthchen
iſt’s,
Das kleine Kaͤthchen von Heilbronn!
Graf vom Strahl (ſteht auf).
Wie? Was? zum Teufel! 2685
Gottſchalk (legt alles aus der Hand).
Du, Maͤdel? Was! O Herzensmaͤdel! Du?
(Er oͤffnet die Thuͤr).
Graf vom Strahl.
Ward, ſeit die Welt ſteht, ſo etwas —? 2690
Kaͤthchen (indem ſie eintritt).
Ich bin’s.
Gottſchalk.
Schaut her, bei Gott! Schaut her, ſie iſt es ſelbſt!
Sechſter Auftritt.
2695
Das Kaͤthchen (mit einem Brief).
Die Vorigen.
Der Graf vom Strahl.
Schmeiß ſie hinaus. Ich will nichts von ihr
wiſſen.
112 Gottſchalk. 2700
Was! Hoͤrt’ ich recht —?
Kaͤthchen.
Wo iſt der Graf vom Strahl?
Graf vom Strahl.
Schmeiß ſie hinaus! Ich will nichts von ihr 2705
wiſſen!
Gottſchalk (nimmt ſie bei der Hand).
Wie, gnaͤdiger Herr, vergoͤnnt —!
Kaͤthchen (reicht ihm den Brief).
Hier! nehmt, Herr Graf! 2710
Graf vom Strahl (ſich ploͤtzlich zu ihr wendend).
Was willſt du hier? Was haſt du hier zu ſuchen?
Kaͤthchen (erſchrocken).
Nichts! — Gott behuͤte! Dieſen Brief hier bitt
ich — 2715
Graf vom Strahl.
Ich will ihn nicht! — Was iſt dies fuͤr ein Brief?
Wo kommt er her? Und was enthaͤlt er mir?
Kaͤthchen.
Der Brief hier iſt — 2720
Graf vom Strahl.
Ich will davon nichts wiſſen!
Fort! Gieb ihn unten in dem Vorſaal ab.
Kaͤthchen.
Mein hoher Herr! Laßt’ bitt ich, euch bedeuten — 2725
Graf 113 Graf Graf Spieß vor Graf mitdruckend. vom Strahl (wild).
Die Dirne, die landſtreichend unverſchaͤmte!
Ich will nichts von ihr wiſſen! Hinweg, ſag’ ich!
Zuruͤck nach Heilbronn, wo du hingehoͤrſt!
Kaͤthchen. 2730
Herr meines Lebens! Gleich verlaſſ’ ich euch!
Den Brief nur hier, der euch ſehr wichtig iſt,
Erniedrigt euch, von meiner Hand zu nehmen.
Graf vom Strahl.
Ich aber will ihn nicht! Ich mag ihn nicht! 2735
Fort! Augenblicks! Hinweg!
Kaͤthchen.
Mein hoher Herr!
Graf von vom Strahl (wendet ſich).
Die Peitſche her! An welchem Nagel haͤngt ſie? 2740
Ich will doch ſehn, ob ich, vor loſen Maͤdchen,
In meinem Haus nicht Ruh mir kann verſchaffen.
(er nimmt die Peitſche von der Wand).
Gottſchalk.
O Gnaͤd’ger Herr! Was macht ihr? Was beginnt 2745
ihr?
Warum auch wollt ihr, den nicht ſie verfaßt,
Den Brief, nicht freundlich aus der Hand ihr neh⸗
men?
Graf vom Strahl. 2750
Schweig, alter Eſel, du, ſag’ ich.
[ 8 ] 114 Kaͤthchen (zu Gottſchalk).
Laß, Laß!
Graf vom Strahl.
In Thurneck bin ich hier, weiß, was ich thue; 2755
Ich will den Brief aus ihrer Hand nicht nehmen!
— Willſt du jetzt gehn?
Kaͤthchen (raſch).
Ja, mein verehrter Herr!
Graf vom Strahl. 2760
Wohlan!
Gottſchalk (halblaut zu Kaͤthchen da ſie zittert).
Sei ruhig. Fuͤrchte nichts.
Graf vom Strahl.
So fern’ dich! — 2765
Am Eingang ſteht ein Knecht, dem gieb den Brief,
Und kehr des Weges heim, von wo du kamſt.
Kaͤthchen.
Gut, gut. Du wirſt mich dir gehorſam finden.
Peitſch mich nur nicht, bis ich mit Gottſchalk ſprach. — 2770
(ſie kehrt ſich zu Gottſchalk um).
Nimm du den Brief.
Gottſchalk.
Gieb her, mein liebes Kind.
Was iſt dies fuͤr ein Brief? Und was enthaͤlt er? 2775
Kaͤthchen.
Der Brief hier iſt vom Graf vom Stein, verſtehſt du?
115 Ein Anſchlag, der noch heut vollfuͤhrt ſoll werden,
Auf Thurneck, dieſe Burg, darin enthalten,
Und auf das ſchoͤne Fraͤulein Kunigunde, 2780
Des Grafen, meines hohen Herren, Braut.
Gottſchalk.
Ein Anſchlag auf die Burg? Es iſt nicht moͤglich!
Und vom Graf Stein? — Wie kamſt du zu dem
Brief? 2785
Kaͤthchen.
Der Brief ward Prior Hatto uͤbergeben,
Als ich mit Vater juſt, durch Gottes Fuͤgung,
In deſſen ſtiller Klauſe mich befand.
Der Prior, der verſtand den Inhalt nicht, 2790
Und wollt’ ihn ſchon dem Boten wiedergeben;
Ich aber riß den Brief ihm aus der Hand,
Und eilte gleich nach Thurneck her, euch Alles
Zu melden, in die Harniſche zu jagen;
Denn heut, Schlag zwoͤlf um Mitternacht, ſoll ſchon 2795
Der moͤrderiſche Frevel ſich vollſtrecken.
Gottſchalk.
Wie kam der Prior Hatto zu dem Brief?
Kaͤthchen.
Lieber, das weiß ich nicht; es iſt gleichviel. 2800
Er iſt, du ſiehſt an irgend wen geſchrieben,
Der hier im Schloß zu Thurneck wohnhaft iſt;
Was er dem Prior ſoll, begreift man nicht.
116 Doch daß es mit dem Anſchlag richtig iſt,
Das hab’ ich ſelbſt geſehn; denn kurz und gut, 2805
Der Graf zieht auf die Thurneck ſchon heran:
Ich bin ihm, auf dem Pfad’ hieher, begegnet.
Gottſchalk.
Du ſiehſt Geſpenſter, Toͤchterchen!
Kaͤthchen. 2810
Geſpenſter! —
Ich ſage, nein! So wahr ich Kaͤthchen bin!
Der Graf liegt draußen vor der Burg, und wer
Ein Pferd beſteigen will, und um ſich ſchauen,
Der kann den ganzen weiten Wald ringsum 2815
Erfuͤllt von ſeinen Reiſigen erblicken!
Gottſchalk.
— Nehmt doch den Brief, Herr Graf, und ſeht
ſelbſt zu.
Ich weiß nicht, was ich davon denken ſoll. 2820
Der Graf vom Strahl (legt die Peitſche weg,
nimmt den Brief und entfaltet ihn).
„Um zwoͤlf Uhr, wenn das Gloͤckchen ſchlaͤgt,
bin ich
Vor Thurneck. Laß die Thore offen ſein. 2825
Sobald die Flamme zuckt, zieh’ ich hinein.
Auf niemand muͤnz’ ich es, als Kunigunden,
Und ihren Braͤutigam, den Graf vom Strahl:
Thu mir zu wiſſen, Alter, wo ſie wohnen.“
117 Gottſchalk. 2830
Ein Hoͤllenfrevel! — Und die Unterſchrift?
Graf vom Strahl.
Das ſind drei Kreuze.
(Pauſe).
Wie ſtark fandſt du den Kriegstroß, Katharina? 2835
Kaͤthchen.
Auf ſechzig Mann, mein hoher Herr, bis ſiebzig.
Graf vom Strahl.
Sahſt du ihn ſelbſt den Graf vom Stein?
Kaͤthchen. 2840
Ihn nicht.
Graf vom Strahl.
Wer fuͤhrte ſeine Mannſchaft an?
Kaͤthchen.
Zwey Ritter, 2845
Mein hochverehrter Herr, die ich nicht kannte.
Graf vom Strahl.
Und jetzt, ſagſt du, ſie laͤgen vor der Burg?
Kaͤthchen.
Ja, mein verehrter Herr. 2850
Graf vom Strahl.
Wie weit von hier?
Kaͤthchen.
Auf ein dreitauſend Schritt, verſtreut im Walde.
118 Graf vom Strahl. 2855
Rechts, auf der Straße?
Kaͤthchen.
Links, im Foͤhrengrunde,
Wo uͤberm Sturzbach ſich die Bruͤcke baut.
(Pauſe). 2860
Gottſchalk.
Ein Anſchlag, graͤuelhaft, und unerhoͤrt!
Graf vom Strahl (ſteckt den Brief ein).
Ruf mir ſogleich die Herrn von Thurneck her!
— Wie hoch iſt’s an der Zeit? 2865
Gottſchalk.
Glock halb auf zwoͤlf.
Graf vom Strahl.
So iſt kein Augenblick mehr zu verlieren.
(er ſetzt ſich den Helm auf). 2870
Gottſchalk.
Gleich, gleich; ich gehe ſchon! — Komm, liebes
Kaͤthchen,
Daß ich dir das erſchoͤpfte Herz erquicke! —
Wie großen Dank, bei Gott, ſind wir dir ſchuldig? 2875
So in der Nacht, durch Wald und Feld und Thal —
Graf vom Strahl.
Haſt du mir ſonſt noch, Jungfrau, was zu ſagen?
Kaͤthchen.
Nein, mein verehrter Herr. 2880
119 Graf vom Strahl.
— Was ſuchſt du da?
Kaͤthchen (ſich in den Buſen faſſend).
Den Einſchlag, der vielleicht dir wichtig iſt.
Ich glaub’, ich hab’ —? Ich glaub’, er iſt —? 2885
(ſie ſieht ſich um).
Graf vom Strahl.
Der Einſchlag?
Kaͤthchen.
Nein, hier. 2890
(ſie nimmt das Couvert und giebt es dem Grafen).
Graf vom Strahl.
Gieb her!
(er betrachtet das Papier).
Dein Antlitz ſpeit ja Flammen! — 2895
Du nimmſt dir gleich ein Tuch um, Katharina,
Und trinkſt nicht ehr, bis du dich abgekuͤhlt.
— Du aber haſt keins?
Kaͤthchen.
Nein — 2900
Graf vom Strahl (macht ſich die Schaͤrpe los —
wendet ſich ploͤtzlich, und wirft ſie auf den Tiſch).
So nimm die Schaͤrpe. Schuͤrze. Vlg. Errata am Ende des Textes.
(nimmt die Handſchuh und zieht ſie ſich an).
Wenn du zum Vater wieder heim willſt kehren, 2905
Werd’ ich, wie ſich’s von ſelbſt verſteht —
(er haͤlt inne).
120 Kathchen. Kaͤthchen.
Was wirſt du?
Graf vom Strahl (erblickt die Peitſche). 2910
Was macht die Peitſche hier?
Gottſchalk.
Ihr ſelbſt ja nahmt ſie —!
Graf vom Strahl (ergrimmt).
Hab’ ich hier Hunde, die zu ſchmeißen ſind? 2915
(er wirft die Peitſche, daß die Scherben niederklirren, durchs
Fenſter; hierauf zu Kaͤthchen):
Pferd’ dir, mein liebes Kind, und Wagen geben,
Die ſicher nach Heilbronn dich heimgeleiten.
— Wann denkſt du heim? 2920
Kaͤthchen (zitternd).
Gleich, mein verehrter Herr Herr.
Graf vom Strahl (ſtreichelt ihre Wangen).
Gleich nicht! Du kannſt im Wirthshaus uͤber⸗
nachten. 2925
(er weint).
— Was glotzt er da? Geh, nimm die Scherben auf!
(Gottſchalk hebt die Scherben auf. Er nimmt die Schaͤrpe
vom Tiſch, und giebt ſie Kaͤthchen).
Da! Wenn du dich gekuͤhlt, gieb mir ſie wieder. 2930
Kaͤthchen (ſie will ſeine Hand kuͤſſen).
Mein hoher Herr!
121 Graf vom Strahl (wendet ſich von ihr ab).
Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl!
(Getuͤmmel und Glockenklang draußen). 2935
Gottſchalk.
Gott, der Allmaͤchtige!
Kaͤthchen.
Was iſt? Was giebts?
Gottſchalk. 2940
Iſt das nicht Sturm?
Kaͤthchen.
Sturm?
Graf vom Strahl.
Auf! Ihr Herrn von Thurneck! 2945
Der Rheingraf, beim Lebend’gen, iſt ſchon da!
(Alle ab).
Scene: Platz
vor dem Schloß. Es iſt Nacht. Das Schloß
brennt.
Sturmgelaͤute.
Siebenter Auftritt.
2950
Ein
Nachtwaͤchter
(tritt auf und
ſtoͤßt ins Horn).
Feuer! Feuer! Feuer!
Erwacht ihr Maͤnner von
Thurneck, ihr Weiber und Kinder des Fleckens er⸗
wacht!
Werft den Schlaf nieder, der, wie ein Rieſe,
uͤber euch liegt; beſinnt euch, erſteht und
erwacht!
2955
122
Feuer!
Der Frevel zog auf
Socken durchs Thor!
Der
Mord ſteht, mit Pfeil und Bogen, mitten unter
euch,
und die Verheerung, um ihm zu leuchten, ſchlaͤgt
ihre Fackel an alle Ecken der Burg!
Feuer!
Feuer!
O daß ich eine
Lunge von Erz und ein Wort haͤtte,
2960
das ſich mehr
ſchreien ließe, als dies: Feuer! Feuer!
Feuer!
Achter Auftritt.
Der Graf vom Strahl.
Die drei Herren von Thurneck.
Gefolge. Der Nachtwaͤchter. 2965
Graf vom Strahl.
Himmel und Erde! Wer ſteckte
das Schloß in
Brand?
—
Gottſchalk!
He!
2970
Mein Schild, meine Lanze!
Was iſt geſchehn?
Fragt nicht, nehmt was hier
ſteht, fliegt auf die Waͤl⸗
le, kaͤmpft und ſchlagt um euch, wie
angeſchoſſene Eber!
Der Rheingraf iſt vor den
Thoren?
Vor den Thoren, ihr Herrn, und
ehe ihr den
Riegel
vorſchiebt,
vor schiebt,
drinn: Verraͤtherei, im Innern
des
Schloſſes, hat ſie ihm geoͤffnet!
Der Mordanſchlag, der
unerhoͤrte!
— Auf!
2985
Graf vom Strahl.
Gottſchalk!
He!
2990
Mein Schwerdt! Mein Schild!
meine Lanze.
Neunter Auftritt.
Das Kaͤthchen (tritt auf). Die Vorigen.
Kaͤthchen (mit Schwerdt, Schild und Lanze). 2995
Hier!
und es ſich umguͤrtet).
Was willſt du?
Ich bringe dir die Waffen.
Dich rief ich nicht!
Gottſchalk rettet.
3005
Warum ſchickt er den Buben
nicht?
— Du dringſt
Dich
ſchon wieder auf?
Zehnter Auftritt.
3010
Ritter Flammberg mit Reiſigen.
Die Vorigen.
Flammberg.
Ei, ſo blaſe du, daß dir die
Wangen berſten! Fi⸗
ſche und Maulwuͤrfe wiſſen, daß Feuer iſt, was braucht
es deines gotteslaͤſterlichen Geſangs, um es uns
zu
3015
verkuͤndigen?
Wer da?
Strahlburgiſche!
3020
Flammberg?
Er ſelbſt!
Tritt heran!
— Verweil’ hier, bis wir erfahren,
wo der Kampf tobt!
Eilfter Auftritt.
Die Tanten von
Thurneck (treten auf).
Die Vorigen.
Erſte Tante. 3030
Gott helf’ uns!