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1811. No. 16.
Berliner Abendblaͤtter.
Berlin, den 19ten Januar 1811.
Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter.
Dresden, den 7. Januar.
Geſtern ward der Landtag mit den gewoͤhnlichen Feierlichkeiten eroͤffnet. Einer der Conferenzminiſter, Herr v. Globig, ertheilte, nachdem der Koͤnig allein mit bedecktem Haupte ſeinen Platz eingenommen hatte, eine Darſtellung der Lage des Reichs, in Hinſicht der Finanzen, der Induſtrie und der Verwaltung und zeigte den Staͤnden die Nothwendigkeit einiger neuen Auflagen an. Herr Eibenſtock, Secretair des geheimen Raths, verlas die Liſte der Vorſchlaͤge, welche Se. Majeſtaͤt den Staͤnden machen. Nach ihm hielt Herr Baron v. Fries, Großmarſchall des Landtags, eine ſchoͤne Rede, in welcher er die Wuͤrde des Corps, dem er praͤſidirt, mit der Ehrerbietung fuͤr ſeinen Souverain vereinigte. Dieſe Rede, ein Muſter der Eloquenz, fand den groͤßten Beifall, und wird im Druck erſcheinen. Beim Schluß dieſer impoſanten Ceremonie ſpeiſete der Koͤnig mit der ganzen Koͤnigl. Familie im groͤßten Pomp.
Abends war Ball bei Hofe, was ſeit fuͤnf Jahren nicht ſtatt gehabt hatte. (L. d. B.)
Aus Oeſterreich, den 6. Januar.
Die Politiker wollen wiſſen, daß im gegenwaͤrtigen Augenblick zwiſchen Oeſterreich und Rußland Unterhandlungen angeknuͤpft ſind, welche die Angelegenheiten der Tuͤrkei im Allgemeinen und das Schickſal Serbiens ins Beſondere betreffen. Indeß iſt uͤber das Ganze noch ein Schleier gehuͤllt. Ein Privatſchreiben aus der Tuͤrkei meldet, daß die Pforte zur Beendigung des Kriegs mit Rußland die Vermittlung Frankreichs angeſprochen habe.
62Juͤngſthin erbeutete ein Dieb in einem Theater zu Wien eine Brieftaſche mit 10 Bankozetteln à 500 Gulden. Er eilte damit in das naͤchſte Wirthshaus, ließ ſich ein gutes Abendeſſen bereiten und wollte einen jener Bankozettel verwechſeln. Der Wirth bezweifelte die Aechtheit, und ſchickte nach einem Polizeikommiſſaͤr; dieſer erkannte die Bankozettel fuͤr falſch, der Dieb geſtand, wo er ſie her hatte und mußte dem Polizeikommiſſair in das Theater folgen und ihm den Beſtohlnen zeigen, der, ſo wie der Dieb, arretirt wurde.
Staͤndiſche Commiſſion.
Eine der weiſeſten Maaßregeln, welche die Regierung hat ergreifen koͤnnen, iſt die Ernennung einer Commiſſion aus den Staͤnden aller Provinzen zu gutachtlicher Berathung uͤber die nothwendig gewordenen neuen Einrichtungen.
Eine Anzahl von Maͤnnern, denen der Koͤnig, außer dem Gefuͤhle ihres Standes, auch rechtlichen Willen, klare Einſicht und oͤrtliche Kenntniß zutrauet, ſind berufen worden, um die Beduͤrfniſſe, Wuͤnſche, Rechte und beſonderen Verhaͤltniſſe einer jeden Provinz der geſetzgebenden Behoͤrde nicht bloß ein fuͤr allemal mitzutheilen, ſondern in beſtaͤndig gegenwaͤrtiger Beruͤckſichtigung zu erhalten.
Nur auf ſolche Weiſe iſt es moͤglich, daß eine neue, vollſtaͤndige, von einem und demſelben einfachen Geiſte durchdrungene, weiſe Verfaſſung ausgemittelt werden koͤnne, ohne daß bei ihrer Einfuͤhrung unuͤberſteigliche oͤrtliche Hinderniſſe zu befuͤrchten ſind. Zugleich aber werden dadurch die thoͤrichten Erwartungen Derjenigen vollſtaͤndig zu Schanden, welche ſich nichts Geringeres verſprochen haben, als eine allgemeine ſtaͤndiſche Verſammlung mit geſetzgebender Gewalt, *) einen großen Reichstag gleichſam, wol *) Ein Unding! denn eine aͤchte ſtaͤndiſche Verfaſſung, eine ſolche, als hoffentlich das Reſultat der neuen Einrichtungen ſeyn wird, uͤbertraͤgt die Geſetzgebung dem Souveraͤn, als dem all gegenwaͤrtigen Mittelpunkte des ganzen Staates, den Staͤnden dagegen, als den gebornen und erwaͤhlten Repraͤſentanten der Staatskraͤfte, das Geſchaͤft, die Wuͤnſche und Beduͤrfniſſe der Nation, ihr Intereſſe und ihr Verlangen dem Geſetzgeber immer gegenwaͤrtig zu erhalten. 63 gar ein Parlament mit Ober⸗ und Unterhauſe und mit allem Zubehoͤr von Oppoſition, Stimmenmehrheit und moͤglichen Miniſterial⸗Veraͤnderungen.
Gaͤbe es nicht ſo mancherlei perſoͤnliche, oft eigennuͤtzige Ruͤckſichten, welche die Urtheile der Einzelnen beſtimmen; ſo wuͤrde es uͤberhaupt unbegreiflich ſeyn, daß gerade ſolche, die am meiſten von alten Rechten und Privilegien und von hergebrachter Verfaſſung geredet haben, eine ſo unerhoͤrte Maaßregel haben erwarten koͤnnen; eine Maaßregel, welche nicht allein die alte Staats Einrichtung, ihrem ganzen Weſen nach, auf das Vollſtaͤndigſte umgeſtaltet, ſondern obendrein im gegenwaͤrtigen Augenblicke die ſchwankendſten und gefaͤhrlichſten Verhaͤltniſſe, und auf jeden Fall unnoͤthige und weitlaͤuftige liest »weitläufige«. Verhandlungen, zu Wege gebracht haben wuͤrde.
In unſerer Zeit bedarf die Natur nicht mehr jener hartnaͤckigen Partheilichkeiten und Kaͤmpfe der verſchiedenen Staͤnde unter einander und gegen den Oberherrn, wodurch ſie in vergangenen Zeitaltern, im Laufe langer Jahrhunderte, ſo mancherlei kraͤftige Verfaſſungen und Staaten hat entſtehen und gedeihen laſſen. Die letzten zwanzigjaͤhrigen Erſchuͤtterungen des Europaͤiſchen feſten Landes haben gerade die wohlthaͤtige Folge gehabt, daß nicht bloß ein erhoͤhter Antheil an den oͤffentlichen Dingen ſich allenthalben eingeſtellt hat, ſondern daß auch beſonnenere und allgemeinere Ideen uͤber das Weſen und die Einrichtung des Staates durchgaͤngig verbreitet worden ſind. Der Staat waͤchſt anjetzt nicht mehr, wie in vorigen Zeiten, aus dem Widerſtreite einſeitiger Herrn⸗ und Staͤnde⸗Intereſſen, gleich einem Naturwerke bewußtlos empor; ſondern er will mit Vorbedacht und Abſicht geſtaltet ſeyn, als ein Kunſtwerk und nach dem Reſultate eines ruhigen und beſonnenen Selbſtgeſpraͤches.
Dieſes Reſultat aber von dem Geſpraͤche des Staates mit und uͤber ſich ſelbſt iſt — die oͤffentliche Meinung, welche daher ein weiſer Staatsmann keinesweges leiten oder beherrſchen zu wollen unternimmt, ſondern mit welcher er ſich moͤglichſt zu vereinbaren und zu verſtaͤndigen bemuͤht ſeyn wird.
Organe aber dieſer oͤffentlichen Meinung, dem geſetzgebenden Souveraͤn gegenuͤber, zu ſeyn, ſind die 64jenigen berufen, welche der Koͤnig zu Mitgliedern der neuen Commiſſion ernannt hat. Ein hoͤchſt ehrenvoller Beruf! zu deſſen wuͤrdigen Erfuͤllung das bewieſene Koͤnigliche Zutrauen der maͤchtigſte Antrieb, und ein gutes, vertrauliches Vernehmen mit den Provinzen das huͤlfreichſte Mittel ſeyn wird. L. B.
Merkwuͤrdiger Prozeß.
In einer deutſchen Stadt, wo man Pf wie F auszuſprechen pflegt, ſchrieb einſt ein Buͤrger unter andern in ſein Teſtament: „dem Stadtfarren vermache ich das Heu von meiner Wieſe.“ Nach Eroͤffnung des Teſtaments meldete ſich ſowohl der Stadtpfarrer, als der Stadthirte zu dieſem Heu⸗Legate, und es kam zwiſchen beiden hieruͤber zu einem Prozeſſe. Der Stadtpfarrer meinte in ſeiner Klage, es waͤre laͤcherlich, die Sache nur im Geringſten zweifel haft zu finden; einem unvernuͤnftigen Thiere koͤnne ja nichts vermacht werden, und daß man im Orte ſtatt dem Stadtpfarren, wiewohl fehlerhaft genug, dem Stadtfarren zu ſagen pflege, beduͤrfe, als notoriſch, keines Beweiſes. Der Stadthirte hingegen behauptete: nicht der Heerdeochs, ſondern er ſelbſt, muͤſſe als Legatar betrachtet werden, ſo wie, nach roͤmiſchem Rechte, bei der Erbeseinſetzung eines fremden Sklaven, nicht der Sklave, ſondern deſſen Herr fuͤr den Erben angeſehen worden waͤre; zudem koͤnnten, nach roͤmiſchem Rechte, auch unfaͤhigen Perſonen doch wenigſtens Alimente vermacht werden, und Heu ſei in ſo fern ein weit paſſenderes Legat fuͤr einen Heerdeochſen, als fuͤr einen Pfarrer. Uebrigens waͤre das Wort, Stadtfarren, im Teſtamente vollkommen deutlich geſchrieben, und koͤnne darunter nur ein Heerdeochs verſtanden werden, der bekanntlich im Orte auch Stadt⸗Farre genannt werde. In erſter Inſtanz wurde der Rechtsſtreit zum Vortheile des Hirten entſchieden; der zweite Richter ſprach fuͤr den Stadtpfarrer; der dritte Richter aber erklaͤrte das Legat fuͤr nicht geſchrieben, folglich fuͤr unguͤltig, wobei jeder Theil die Koſten gleichheitlich zu tragen haͤtte.