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Buͤlletin der
oͤffentlichen Blaͤtter.
Dresden, den 7. Januar.
Geſtern ward der Landtag mit den gewoͤhnlichen
Feierlichkeiten eroͤffnet. Einer der
Conferenzminiſter,
Herr v. Globig, ertheilte, nachdem der
Koͤnig allein 5
mit bedecktem Haupte ſeinen Platz
eingenommen hat⸗
te, eine Darſtellung der Lage des
Reichs, in Hinſicht
der Finanzen, der Induſtrie und der
Verwaltung und
zeigte den Staͤnden die Nothwendigkeit
einiger neuen
Auflagen an. Herr Eibenſtock, Secretair des gehei⸗10
men Raths,
verlas die Liſte der Vorſchlaͤge, welche
Se. Majeſtaͤt
den
Staͤden
Staͤnden
machen. Nach ihm hielt
Herr Baron v. Fries,
Großmarſchall des Landtags,
eine ſchoͤne Rede, in
welcher er die Wuͤrde des Corps,
dem er praͤſidirt, mit
der Ehrerbietung fuͤr ſeinen 15
Souverain vereinigte.
Dieſe Rede, ein Muſter der
Eloquenz, fand den groͤßten Beifall, und wird im
Druck
erſcheinen. Beim Schluß dieſer impoſanten
Ceremonie ſpeiſete der Koͤnig mit der ganzen Koͤnigl.
Familie im groͤßten Pomp.20
Abends war Ball bei Hofe, was
ſeit fuͤnf Jah⸗
ren nicht ſtatt gehabt hatte.
(L. d. B.)
Aus
Oeſterreich, den 6. Januar.
Die Politiker wollen wiſſen, daß
im gegenwaͤrti⸗
gen Augenblick zwiſchen
Oeſterreich und Rußland Un⸗25
terhandlungen
angeknuͤpft ſind, welche die Angelegen⸗
heiten der
Tuͤrkei im Allgemeinen und das Schickſal
Serbiens ins
Beſondere betreffen. Indeß iſt uͤber
das Ganze noch ein
Schleier gehuͤllt. Ein Privat⸗
ſchreiben aus der Tuͤrkei meldet, daß die Pforte zur 30
Beendigung des Kriegs mit Rußland die Vermittlung
Frankreichs angeſprochen habe.
Juͤngſthin erbeutete ein Dieb in
einem Theater
zu Wien eine Brieftaſche mit 10
Bankozetteln à 500
Gulden. Er eilte damit in das naͤchſte Wirthshaus, 35
ließ ſich
ein gutes Abendeſſen bereiten und wollte ei⸗
nen
jener Bankozettel verwechſeln. Der Wirth be⸗
zweifelte die Aechtheit, und ſchickte nach einem
Poli⸗
zeikommiſſaͤr; dieſer erkannte die
Bankozettel fuͤr
falſch, der Dieb geſtand, wo er ſie her
hatte und 40
mußte dem Polizeikommiſſair in das Theater
folgen
und ihm den Beſtohlnen zeigen, der, ſo wie der
Dieb,
arretirt wurde.
Staͤndiſche
Commiſſion.
Eine der weiſeſten Maaßregeln,
welche die Re⸗45
gierung hat ergreifen koͤnnen, iſt
die Ernennung ei⸗
ner Commiſſion aus den Staͤnden
aller Provinzen zu
gutachtlicher Berathung uͤber die
nothwendig gewor⸗
denen neuen Einrichtungen.
Eine Anzahl von Maͤnnern, denen
der Koͤnig, 50
außer dem Gefuͤhle ihres Standes, auch
rechtlichen
Willen, klare
Hinſicht
Einſicht
und oͤrtliche Kenntniß zutrauet,
ſind berufen worden, um die Beduͤrfniſſe, Wuͤnſche,
Rechte und beſonderen Verhaͤltniſſe einer jeden Pro⸗
vinz der geſetzgebenden Behoͤrde nicht bloß ein fuͤr 55
allemal mitzutheilen, ſondern in beſtaͤndig gegenwaͤr⸗
tiger Beruͤckſichtigung zu erhalten.
Nur auf ſolche Weiſe iſt es
moͤglich, daß eine
neue, vollſtaͤndige, von einem und
demſelben einfachen
Geiſte durchdrungene, weiſe
Verfaſſung ausgemittelt 60
werden koͤnne, ohne daß bei
ihrer Einfuͤhrung unuͤber⸗
ſteigliche oͤrtliche
Hinderniſſe zu befuͤrchten ſind. Zu⸗
gleich aber werden dadurch die thoͤrichten
Erwartun⸗
gen Derjenigen vollſtaͤndig zu
Schanden, welche ſich
nichts Geringeres verſprochen
haben, als eine allge⸗65
meine ſtaͤndiſche
Verſammlung mit geſetzgebender
Gewalt, *) einen großen Reichstag gleichſam,
wol
als hoffentlich das
Reſultat der neuen Einrichtungen
ſeyu
ſeyn
wird, uͤbertraͤgt die Geſetzgebung dem Souveraͤn,
als dem all⸗70
gegenwaͤrtigeu
gegenwaͤrtigen
Mittelpunkte des ganzen Staates, den Staͤnden
dagegen, als den gebornen und erwaͤhlten Repraͤſentanten der
Staatskraͤfte, das Geſchaͤft, die Wuͤnſche und
Beduͤrfniſſe der
Nation, ihr Intereſſe und ihr
Verlangen dem Geſetzgeber im⸗
mer gegenwaͤrtig
zu erhalten.75
63 gar ein Parlament mit Ober⸗ und
Unterhauſe und
mit allem Zubehoͤr von Oppoſition,
Stimmenmehrheit
und moͤglichen
Miniſterial⸗Veraͤnderungen.
Gaͤbe es nicht ſo mancherlei
perſoͤnliche, oft ei⸗
gennuͤtzige Ruͤckſichten,
welche die Urtheile der Einzel⸗80
nen beſtimmen; ſo
wuͤrde es uͤberhaupt unbegreiflich
ſeyn, daß gerade
ſolche, die am meiſten von alten
Rechten und Privilegien
und von hergebrachter Ver⸗
faſſung geredet haben,
eine ſo unerhoͤrte Maaßregel
haben erwarten koͤnnen;
eine Maaßregel, welche nicht 85
allein die alte Staats
Einrichtung, ihrem ganzen We⸗
ſen nach, auf das
Vollſtaͤndigſte umgeſtaltet, ſondern
obendrein im
gegenwaͤrtigen Augenblicke die ſchwan⸗
kendſten
und gefaͤhrlichſten Verhaͤltniſſe, und auf je⸗
den
Fall unnoͤthige und
weitlaͤuftige
liest »weitläufige«.
Verhandlungen, 90
zu Wege gebracht haben wuͤrde.
In unſerer Zeit bedarf die Natur
nicht mehr je⸗
ner hartnaͤckigen Partheilichkeiten
und Kaͤmpfe der
verſchiedenen Staͤnde unter einander und
gegen den
Oberherrn, wodurch ſie in vergangenen
Zeitaltern, im 95
Laufe langer Jahrhunderte, ſo mancherlei
kraͤftige
Verfaſſungen und Staaten hat entſtehen und
gedeihen
laſſen. Die
letzten zwanzigjaͤhrigen Erſchuͤtterungen
des
Europaͤiſchen feſten Landes haben gerade die
wohlthaͤtige Folge gehabt, daß nicht bloß ein erhoͤh⸗100
ter Antheil an den oͤffentlichen Dingen ſich allenthal⸗
ben eingeſtellt hat, ſondern daß auch
beſonnenere und
allgemeinere Ideen uͤber das Weſen und
die Einrich⸗
tung des Staates durchgaͤngig
verbreitet worden ſind.
Der Staat waͤchſt anjetzt nicht mehr, wie in vorigen
105
Zeiten, aus dem Widerſtreite einſeitiger Herrn⸗ und
Staͤnde⸗Intereſſen, gleich einem
Wunderwerke
Naturwerke
bewußt⸗
los empor;
ſondern er will mit Vorbedacht und Abſicht
geſtaltet
ſeyn, als ein Kunſtwerk und nach dem Reſul⸗
tate
eines ruhigen und beſonnenen Selbſtgeſpraͤches.110
Dieſes Reſultat aber von dem
Geſpraͤche
des Staates mit und uͤber ſich ſelbſt iſt —
die oͤf⸗
fentliche Meinung, welche daher ein weiſer
Staatsmann keinesweges leiten oder beherrſchen zu
wollen unternimmt, ſondern mit welcher er ſich moͤg⸗115
lichſt zu vereinbaren und zu verſtaͤndigen bemuͤht ſeyn
wird.
Organe aber dieſer oͤffentlichen
Meinung, dem
geſetzgebenden
Suveraͤn
Souveraͤn
gegenuͤber, zu ſeyn, ſind die⸗
64jenigen berufen, welche der
Koͤnig zu Mitgliedern der 120
neuen Commiſſion ernannt hat.
Ein hoͤchſt ehrenvol⸗
ler Beruf! zu deſſen wuͤrdigen Erfuͤllung das bewie⸗
ſene Koͤnigliche Zutrauen der maͤchtigſte
Antrieb, und
ein gutes, vertrauliches Vernehmen mit den
Provin⸗
zen das huͤlfreichſte Mittel ſeyn
wird.125
L. B.
Merkwuͤrdiger
Prozeß.
In einer deutſchen Stadt, wo man
Pf wie F
auszuſprechen pflegt, ſchrieb einſt ein
Buͤrger unter
andern in ſein Teſtament: „dem
Stadtfarren ver⸗130
mache ich das Heu von meiner
Wieſe.“ Nach Er⸗
oͤffnung des Teſtaments meldete ſich ſowohl der Stadt⸗
pfarrer, als der Stadthirte zu dieſem Heu⸗Legate,
und es kam zwiſchen beiden hieruͤber zu einem Pro⸗
zeſſe. Der
Stadtpfarrer meinte in ſeiner Klage, es 135
waͤre
laͤcherlich, die Sache nur im Geringſten zweifel⸗
haft zu finden; einem unvernuͤnftigen Thiere koͤnne ja
nichts vermacht werden, und daß man im Orte ſtatt
dem Stadtpfarren, wiewohl fehlerhaft
genug,
dem Stadtfarren zu ſagen pflege,
beduͤrfe, als 140
notoriſch, keines Beweiſes. Der Stadthirte hingegen
behauptete: nicht der Heerdeochs, ſondern er ſelbſt,
muͤſſe als Legatar betrachtet werden, ſo wie, nach roͤ⸗
miſchem Rechte, bei der Erbeseinſetzung eines frem⸗
den Sklaven, nicht der Sklave, ſondern deſſen
Herr 145
fuͤr den Erben angeſehen worden waͤre; zudem
koͤnn⸗
ten, nach roͤmiſchem Rechte, auch
unfaͤhigen Perſo⸗
nen doch
wenigſteus
wenigſtens
Alimente vermacht werden, und
Heu ſei in ſo fern
ein weit paſſenderes Legat fuͤr ei⸗
nen
Heerdeochſen, als fuͤr einen Pfarrer. Uebrigens 150
waͤre das Wort, Stadtfarren, im Teſtamente voll⸗
kommen deutlich geſchrieben, und koͤnne
darunter nur
ein Heerdeochs verſtanden werden, der
bekanntlich im
Orte auch Stadt⸗Farre genannt werde.
In erſter
Inſtanz wurde
der Rechtsſtreit zum Vortheile des 155
Hirten entſchieden;
der zweite Richter ſprach fuͤr den
Stadtpfarrer; der
dritte Richter aber erklaͤrte das
Legat fuͤr nicht
geſchrieben, folglich fuͤr unguͤltig, wo⸗
bei
jeder Theil die Koſten gleichheitlich zu tragen haͤtte.