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    Bülletin der öffentlichen Blätter. [03.01.1811]Sonderbare Geschichte, die sich, zu meiner Zeit, in Italien zutrug.Miscellen. [03.01.1811]
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  • 1811. No. 2. Berlin, den 3ten Januar 1811.
1811. No. 2. Berlin, den 3ten Januar 1811.

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1811. No. 2.

Berliner Abendblaͤtter.

Berlin, den 3ten Januar 1811.

Bülletin der öffentlichen Blätter.

Halberstadt, den 22 Dec.

Jeden Tag fast wird man auf die gefährlichen Wir⸗
kungen des Kohlendampfs, aber vergebens, aufmerk⸗
sam gemacht.
Unsere Stadt liefert ein neues Bei⸗5
spiel von der Sorglosigkeit des Volks in dieser Hin⸗
sicht.
Die Frau eines Arbeiters wurde vor einigen
Tagen todt gefunden.
Die Unglückliche lag in ihrem
Zimmer auf dem Rücken, und hielt ihr Kind noch
in den Armen.
Es ist wahrscheinlich, daß, als die er⸗10
sten Symptomen des Erstickens sich äußerten, sie noch
einen Versuch zur Rettung gemacht habe, wozu ihr
aber die Kräfte bereits versagten.
(Westph. Mon.)

Sonderbare Geschichte, die sich, zu meiner 15
Zeit, in Italien zutrug.

Am Hofe der Prinzessinn von St. C... zu Neapel,
befand sich, im Jahr 1788, als Gesellschafterinn oder
eigentlich als Sängerinn eine junge Römerinn, Na⸗
mens Franzeska N..., Tochter eines armen invali⸗20
den Seeofficiers, ein schönes und geistreiches Mäd⸗
chen, das die Prinzessinn von St. C..., wegen eines
Dienstes, den ihr der Vater geleistet, von früher Ju⸗
gend an, zu sich genommen und in ihrem Hause er⸗
zogen hatte.
Auf einer Reise, welche die Prinzessinn 25
in die Bäder zu Messina, und von hieraus, von der
Witterung und dem Gefühl einer erneuerten Gesund⸗
heit aufgemuntert, auf den Gipfel des Aetna machte,
hatte das junge, unerfahrne Mädchen das Unglück,
von einem Cavalier, dem Vicomte von P..., einem 30
6 alten Bekannten aus Paris, der sich dem Zuge an⸗
schloß, auf das Abscheulichste und Unverantwortlichste
betrogen zu werden; dergestalt, daß ihr, wenige Mon⸗
den darauf, bei ihrer Rückkehr nach Neapel, nichts
übrig blieb, als sich der Prinzessinn, ihrer zweiten 35
Mutter, zu Füßen zu werfen, und ihr unter Thränen
den Zustand, in dem sie sich befand, zu entdecken.
Die
Prinzessinn, welche die junge Sünderinn sehr liebte,
machte ihr zwar wegen der Schande, die sie über
ihren Hof gebracht hatte, die heftigsten Vorwürfe; 40
doch da sie ewige Besserung und klösterliche Eingezo⸗
genheit und Enthaltsamkeit, für ihr ganzes künftiges
Leben, angelobte, und der Gedanke, das Haus ihrer
Gönnerinn und Wohlthäterinn verlassen zu müssen,
ihr gänzlich unerträglich war, so wandte sich das men⸗45
schenfreundliche, zur Verzeihung ohnehin in solchen
Fällen geneigte Gemüth der Prinzessinn: sie hob die
Unglückliche vom Boden auf, und die Frage war nur,
wie man der Schmach, die über sie hereinzubrechen
drohte, vorbeugen könne? In Fällen dieser Art fehlt 50
es den Frauen, wie bekannt, niemals an Witz und der
erforderlichen Erfindung; und wenige Tage verflossen:
so ersann die Prinzessinn selbst zur Ehrenrettung ih⸗
rer Freundinn folgenden kleinen Roman.

Zuvörderst erhielt sie Abends, in ihrem Hotel, da 55
sie beim Spiel saß, vor den Augen mehrerer, zu ei⸗
nem Souper eingeladenen Gäste einen Brief: sie er⸗
bricht und überlies’t ihn, und indem sie sich zur Sig⸗
nora Franzeska wendet:
„Signora,“ spricht sie, „Graf
Scharfeneck, der junge Deutsche, der Sie vor zwei 60
Jahren in Rom gesehen, hält aus Venedig, wo er
den Winter zubringt, um Ihre Hand an. —
Da!“
setzt sie hinzu, indem sie wieder zu den Karten greift,
„lesen Sie selbst: es ist ein edler und würdiger Ca⸗
valier, vor dessen Antrag Sie sich nicht zu schämen 65
brauchen.“
Signora Franzeska steht erröthend auf;
sie empfängt den Brief, überfliegt ihn, und, indem sie
die Hand der Prinzessinn küßt:
„Gnädigste,“ spricht
sie: „da der Graf in diesem Schreiben erklärt, daß
er Italien zu seinem Vaterlande machen kann, so neh⸗70
me ich ihn, von Ihrer Hand, als meinen Gatten
an!“ —
Hierauf geht das Schreiben unter Glück⸗
wünschungen von Hand zu Hand; jedermann erkun⸗
digt sich nach der Person des Freiers, den niemand
7 kennt, und Signora Franzeska gilt, von diesem Au⸗75
genblick an, für die Braut des Grafen Scharfeneck.

Drauf, an dem zur Ankunft des Bräutigams bestimm⸗
ten Tage, an welchem nach seinem Wunsche auch so⸗
gleich die Hochzeit sein soll, fährt ein Reisewagen mit
vier Pferden vor: es ist der Graf Scharfeneck!
Die 80
ganze Gesellschaft, die, zur Feier dieses Tages, in dem
Zimmer der Prinzessinn versammelt war, eilt voll
Neugierde an die Fenster, man sieht ihn, jung und
schön wie ein junger Gott, aussteigen — inzwischen
verbreitet sich sogleich, durch einen vorangeschickten 85
Kammerdiener, das Gerücht, daß der Graf krank sei,
und in einem Nebenzimmer habe abtreten müssen.

Auf diese unangenehme Meldung wendet sich die Prin⸗
zessinn betreten zur Braut; und beide begeben sich
nach einem kurzen Gespräch, in das Zimmer des Gra⸗90
fen, wohin ihnen nach Verlauf von etwa einer Stunde
der Priester folgt.
Inzwischen wird die Gesellschaft
durch den Hauscavalier der Prinzessinn zur Tafel ge⸗
laden; es verbreitet sich, während sie auf das Kost⸗
barste und Ausgesuchteste bewirthet wird, durch diesen 95
die Nachricht, daß der junge Graf, als ein ächter,
deutscher Herr, weniger krank, als vielmehr nur ein
Sonderling sei, der die Gesellschaft bei Festlichkeiten
dieser Art nicht liebe; bis spät, um 11 Uhr in der
Nacht, die Prinzessinn, Signora Franzeska an der 100
Hand, auftritt, und den versammelten Gästen mit der
Aeußerung, daß die Trauung bereits vollzogen sei, die
Frau Gräfinn von Scharfeneck vorstellt. Man erhebt
sich, man erstaunt und freut sich, man jubelt und fragt:
doch Alles, was man von der Prinzessinn und der 105
Gräfinn erfährt, ist, daß der Graf wohl auf sei; daß
er sich auch in Kurzem sämmtlichen Herrschaften, die
hier die Güte gehabt, sich zu versammeln, zeigen
würde; daß dringende Geschäfte jedoch ihn nöthig⸗
ten, mit der Frühe des nächsten Morgens nach Vene⸗110
dig, wo ihm ein Onkel gestorben sei und er eine Erb⸗
schaft zu erheben habe, zurückzukehren.
Hierauf, un⸗
ter wiederholten Glückwünschungen und Umarmungen
der Braut, entfernt sich die Gesellschaft; und mit dem
Anbruch des Tages fährt, im Angesicht der ganzen 115
Dienerschaft, der Graf in seinem Reisewagen mit
vier Pferden wieder ab. —
Sechs Wochen daranf darauf
erhalten die Prinzessinn und die Gräfinn, in einem
8 schwarz versiegelten Briefe, die Nachricht, daß der
Graf Scharfeneck in dem Hafen von Venedig ertrun⸗120
ken sei.
Es heißt, daß er, nach einem scharfen Ritt,
die Unbesonnenheit begangen, sich zu baden; daß ihn
der Schlag auf der Stelle gerührt, und sein Körper
noch bis diesen Augenblick im Meere nicht gefunden
sei. —
Alles, was zu dem Hause der Prinzessinn ge⸗125
hört, versammelt sich, auf diese schreckliche Post, zur
Theilnahme und Condolation; die Prinzessinn zeigt
den unseeligen Brief, die Gräfinn, die ohne Bewußt⸗
sein in ihren Armen liegt, jammert und ist untröst⸗
lich —; hat jedoch nach einigen Tagen Kraft genug, 130
nach Venedig abzureisen, um die ihr dort zugefallene
Erbschaft in Besitz zu nehmen. —
Kurz, nach Ver⸗
fluß von ungefähr neun Monaten (denn so lange
dauerte der Prozeß) kehrt sie zurück; und zeigt einen
allerliebsten kleinen Grafen Scharfeneck, mit welchem 135
sie der Himmel daselbst gesegnet hatte hatte. Ein Deutscher,
der eine große genealogische Kenntniß seines Vater⸗
lands hatte, entdeckte das Geheimniß, das dieser In⸗
trigue zum Grunde lag, und schickte dem jungen Gra⸗
fen, in einer zierlichen Handzeichnung, sein Wappen 140
zu, welches die Ecke einer Bank darstellte, unter wel⸗
cher ein Kind lag.
Die Dame hielt sich gleichwohl,
unter dem Namen einer Gräfinn Scharfeneck, noch
mehrere Jahre in Neapel auf; bis der Vicomte von
P..., im Jahr 1793, zum zweitenmale nach Italien 145
kam, und sich, auf Veranlassung der Prinzessinn, ent⸗
schloß, sie zu heirathen. —
Im Jahr 1802 kehrten
beide nach Frankreich zurück.
mz.

Miscellen.

Pariser Moden. Als vor einiger Zeit von den 150
Falbeln die Rede war, erinnerte man sich der Zeiten
Ludwigs des 14ten.
Die eleganten Damen lächelten
und dachten an die Portraits ihrer Großmütter, die mit
Falbeln und mit einem Reifrock geschmückt, gegangen
waren.
Und jetzt trägt eine modische Dame eine Fal⸗155
bel an ihrem Oberrocke, eine Falbel an ihren ihrem Rocke, ei⸗
ne Falbel an ihrem Unterrocke, kurz, sie hat Falbeln bis
auf’s Hemde, und die Lächerlichkeiten der Vergangen⸗
heit sind die Thorheit der Gegenwart geworden.

Bülletin der öffentlichen Blätter. [03.01.1811]; Sonderbare Geschichte, die sich, zu meiner Zeit, in Italien zutrug.; Miscellen. [03.01.1811];

https://archive.org/details/BerlinerAbendbltter1810-11/page/n328/mode/1up

Quellenangaben für Zitation
https://kleist-digital.de/berliner-abendblaetter/1811-02, [ggf. Angabe von Zeile/Vers oder Seite], 18.05.2025

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Textkonstitution

Textwiedergabe nach:
Kleist, Heinrich von (Hrsg.): Berliner Abendblätter. 1811. No. 2. Berlin, den 3ten Januar 1811. Berlin: August Kuhn, 3.1.1811.

Faksimiledruck in: BA-Reprint:1925 S. 5–8 (1811)

Angaben zu den einzelnen Artikeln

Bülletin der öffentlichen Blätter. [03.01.1811]

Zur Autorschaft: Heinrich von Kleist [Bearb.]

Bülletin ›Halberstadt‹: Redigierter Text aus ›Westphälischer Moniteur‹ vom 28.12.1810.

Pagina Erstdruck Berliner Abendblätter: S. 5 (1811)

Pagina Kleist-Editionen: [BKA] II/8 II 12

Sonderbare Geschichte, die sich, zu meiner Zeit, in Italien zutrug.

Zur Autorschaft: Autor-Zn: mz. [= Heinrich von Kleist]

Pagina Erstdruck Berliner Abendblätter: S. 5–8 (1811)

Pagina Kleist-Editionen: [BKA] II/8 II 12–16 [MA] II 446–449 [DKV] III 368–371 [SE:1993] II 271–274

Miscellen. [03.01.1811]

Zur Autorschaft: Heinrich von Kleist [Bearb.]

Pagina Erstdruck Berliner Abendblätter: S. 8 (1811)

Pagina Kleist-Editionen: [BKA] II/8 II 16

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