kleist-digital
  • Werke
  • Briefe
  • Verzeichnisse
  •  Suche
kleist-digital
  •  Suche
  • Werke
  • Briefe
  • Verzeichnisse

  • Stellenkommentar
  • Emendationen
  • Textkonstitution
  • Editorial Artikel
  • Erwähnte Orte
  • Kollation Editionen
    Zu den Artikeln
    Eine Legende nach Hans Sachs. Der Welt Lauf.Bülletin der öffentlichen Blätter. [08.12.1810]Polizeiliche Tages-Mittheilungen. [08.12.1810]
  • Home
  • Werke
  • Berliner Abendblätter
  • 60tes Blatt. Den 8ten December 1810.
60tes Blatt. Den 8ten December 1810.

(Textwiedergabe  nach Erstdruck.)

  • Fassung Erstdruck
    emendiert
  • Textversion
    ohne orig. Zeilenfall
  • Textversion
    ohne ſ, aͤ, oͤ, uͤ

Alle Textversionen sind inhaltlich identisch und folgen dem angegebenen Textzeugen.
Die Fassung Erstdruck/Textzeuge zeigt die zeichengenaue Wiedergabe des Textzeugen. Nur offensichtliche Fehler sind emendiert. Alle Emendationen sind im Apparat verzeichnet. Der originale Zeilenfall ist beibehalten. Die Fassung wird auf Smartphones wegen der Zeilenlänge nicht angezeigt.

In der Textversion ohne originalen Zeilenfall wird der Zeilenfall mit einem Schrägstrich / angezeigt, die Zeile wird aber nicht umbrochen. Ansonsten folgt sie der angegebenen Textquelle.

In der Textversion ohne ſ, aͤ, oͤ, uͤ sind zusätzlich das lange ſ und historische Umlautformen der heutigen Orthographie angepasst.

xxx

Berliner Abendblaͤtter.

60tes Blatt. Den 8ten December liest »Dezember« 1810.

Eine Legende uach nach Hans Sachs.

Der Welt Lauf.

Der Herr und Petrus oft, in ihrer Liebe beide,
Begegneten im Streite ſich,
Wenn von der Menſchen Heil die Rede war;5
Und dieſer nannte zwar die Gnade Gottes groß,
Doch waͤr’ er Herr der Welt, meint’ er,
Wuͤrd’ er ſich ihrer mehr erbarmen.

Da trat, zu einer Zeit, als laͤngſt, in beider Herzen,
Der Streit vergeſſen ſchien, und juſt,10
Um welcher Urſach weiß ich nicht,
Der Himmel oben auch voll Wolken hieng,
Der Sanctus mißgeſtimmt, den Heiland an, und ſprach:

„Herr, laß, auf eine Handvoll Zeit,
Mich, aus dem Himmelreich, auf Erden niederfahren,15
Daß ich des Unmuths, der mich griff,
Vergeſſ’ und mich einmal, von Sorgen frei, ergoͤtze,
Weil es jetzt grad’ vor Faſtnacht iſt.“

Der Herr, des Streits noch ſinnig eingedenk,
Spricht:
„Gut; acht Tag’ geb’ ich dir Zeit,20
Der Feier, die mir dort beginnt, dich beizumiſchen;
Jedoch, ſobald das Feſt vorbei,
Kommſt du mir zu zur geſetzten Stunde wieder.

Acht volle Tage doch, zwei Wochen ſchon, und mehr,
Ein abgezaͤhlter Mond vergeht,25
Bevor der Sanct zum Himmel wiederkehrt.

„Ei, Petre,“ ſpricht der Herr, „wo weilteſt du ſo
lange?
Gefiel’s auch nieden dir ſo wohl?“

[ 60 ] 236Der Sanctus, mit noch ſchwerem Kopfe, ſpricht:30
„Ach, Herr! Das war ein Jubel unten —!
Der Himmel ſelbſt beſeeliget nicht beſſer.

Die Erndte, reich, du weißt, wie keine je geweſen,
Gab alles was das Herz nur wuͤnſcht,
Getraide, weiß und ſuͤß, Moſt, ſag’ ich dir, wie Honig,35
Fleiſch fett, dem Speck gleich, von der Bruſt des
Rindes;
Kurz, von der Erde jeglichem Erzeugniß
Zum Brechen alle Tafeln voll.

Da ließ ich’s, ſchier, zu wohl mir ſein,40
Und haͤtte bald des Himmels gar vergeſſen.“

Der Herr erwiedert: „Gut! Doch Petre ſag mir an,
Bei ſoviel Seegen, den ich ausgeſchuͤttet,
Hat man auch dankbar mein gedacht?

Sahſt du die Kirchen auch von Menſchen voll?“ —45
Der Sanct, beſtuͤrzt hierauf, nachdem er ſich beſonnen,
„O Herr,“ ſpricht er, „bei meiner Liebe,
Den ganzen Faſtmond durch, wo ich mich hingewen⸗
det,
Nicht deinen Namen hoͤrt’ ich nennen.
50
Ein einz’ger Mann ſaß murmelnd in der Kirche:
Der aber war ein Wucherer,
Und hatte Korn, im Herbſt erſtanden,
Fuͤr Maͤuſ’ und Ratzen hungrig aufgeſchuͤttet.“ —

„Wohlan denn,“ ſpricht der Herr, und laͤßt die Rede 55
fallen,
„Petre, ſo geh; und kuͤnft’ges Jahr
Kannſt du die Faſtnacht wiederum beſuchen“
Doch diesmal war das Feſt des Herrn kaum einge⸗
laͤutet,60
Da koͤmmt der Sanctus ſchleichend ſchon zuruͤck.

Der Herr begegnet ihm am Himmelsthor und ruft:
„Ei, Petre! Sieh! Warum ſo traurig?
Hat’s dir auf Erden denn danieden nicht gefallen?“
„Ach, Herr,“ verſetzt der Sanct, „ſeit ich ſie nicht 65
geſehn,
Hat ſich die Erde ganz veraͤndert.

237 Da iſt’s kurzweilig nicht mehr, wie vordem,
Rings ſieht das Auge nichts, als Noth und Jammer.

Die Erndte, aſcheweiß verſengt auf allen Feldern,70
Gab fuͤr den Hunger nicht, um Brod zu backen,
Viel wen’ger Kuchen, fuͤr die Luſt, und Stritzeln.

Und weil der Herbſtwind fruͤh der Berge Hang durch⸗
reift,

War anch auch an Wein und Moſt nicht zu gedenken.
75
Da dacht ich: was auch ſollſt du hier?
Und kehrt’ ins Himmelreich nur wieder heim.“ —
„So!“ ſpricht der Herr. „Fuͤrwahr! Das thut mir leid!
Doch, ſag mir an: gedacht’ man mein?“

„Herr, ob man dein gedacht? — Die Wahrheit dir zu 80
ſagen,
Als ich durch eine Hauptſtadt kam,
Fand ich, zur Zeit der Mitternacht,
Vom Altarkerzenglanz, durch die Portaͤle ſtrahlend,
Dir alle Maͤrkt’ und Straßen hell;85
Die Gloͤckner zogen, daß die Straͤnge riſſen;
Hoch an den Saͤulen hiengen Knaben,
Und hielten ihre Muͤtzen in der Hand.

Kein Menſch, verſichr’ ich dich, im Weichbild rings zu
ſehn,90
Als Einer nur, der eine Schaar
Laſttraͤger keuchend von dem Hafen fuͤhrte:
Der aber war ein Wucherer,
Und haͤufte Korn auf laͤchelnd, fern erkauft,
Um von des Landes Hunger ſich zu maͤſten.“
95
„Nun denn, o Petre,“ ſpricht der Herr,
„Erſchauſt du jetzo doch den Lauf der Welt!

Jetzt ſiehſt du doch was du juͤngſthin nicht glauben
wollteſt,
Daß Guͤter nicht das Gut des Menſchen ſind;100
Daß mir ihr Heil am Herzen liegt wie dir:
Und daß ich, wenn ich ſie mit Noth zu weilen plage,
Mich, meiner Liebe Treu und meiner Sendung,
Nur ihrer hoͤh’ren Noth erbarme.

238

Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter. 105

Nach einem Artikel des Moniteur aus London vom
19ten Nov., war in der Gegend von Liſſabon bis zum
10ten Nov. nichts von Bedeutung vorgefallen.
Die
Unterhaltung der ungeheuren in die Gegend von Liſ⸗
ſabon zuſammengedruͤckten Menſchenmaſſe war mit den 110
groͤßten Schwierigkeiten verknuͤpft. (Mon.)

Durch ein Kaiſerl. Franz. Dekret von 18. Nov.
iſt die Angabe aller der, aus den (nach dem neulichen
Dekrete uͤber Buchdruckereien und Buchhandlungen)
aufgehobenen Druckereien verbleibenden Vorraͤthe liest »Vorrathe« von 115
Preſſen, Schriften ⁊c. im ganzen Umfange des Reichs
verordnet.
Die Praͤfecten werden die desfalſigen De⸗
klarationen empfangen, und uͤber die weitere Beſtim⸗
mung jener Utenſilien wird von Paris aus entſchieden
werden. (Mon.)
120

Polizeiliche Tages⸗Mittheilungen.

Die Obdukzion des am 3ten d. M. Abends 11 3/4
Uhr in ſeinem Blute gefundenen und bald darauf
verſtorbenen Handlungsdieners hat ergeben, daß der⸗
ſelbe nicht durch die Hand eines andern getoͤdtet wor⸗125
den ſein kann.
Er befand ſich an dieſem Abend
bei einem Freunde in der Leipziger Straße.
Beim
Fortgehen konnte man den Hausſchluͤſſel nicht ſogleich
finden und des Abrathens nicht achtend, ſtieg der
Handlungsdiener aus einem Fenſter des unterſten 130
Stockwerks hinaus.
Hierbei iſt er ohne Zweifel auf
einen ſpitzen langen eiſernen Stachel von denen ſich
mehrere unter dem Fenſter auf einem eiſernen Buͤgel
zur Verhuͤtung der Verunreinigung des Hauſes befin⸗
den, mit dem Schenkel gefallen und bei dem Verſuche 135
ſich los zu machen, iſt die innere Zerstoͤrung erfolgt,
welche ihm die Verblutung zugezogen hat.

Eine Legende nach Hans Sachs. Der Welt Lauf.; Bülletin der öffentlichen Blätter. [08.12.1810]; Polizeiliche Tages-Mittheilungen. [08.12.1810];

https://archive.org/details/BerlinerAbendbltter1810-11/page/n248

Quellenangabe für Zitat:
https://kleist-digital.de/berliner-abendblaetter/1810-60 [ + Angabe von Zeile / Vers oder Seite ], 31.03.2023

Apparat

 Stellenkommentar

48FaſtmondFastenmonat. Da von der Erntezeit die Rede ist, wird hier noch angespielt auf das Quatemberfasten, das im Christentum noch bis ins zwanzigste Jahrhundert üblich war und zeitlich mit dem Wechsel der vier Jahreszeiten zusammenfiel. Hier dürfte es sich um das Fasten nach eingebrachter Ernte ab ca. Mitte September handeln. Vgl. Wikipedia zu ›Quatember‹ und zu ›Fasten‹. Möglicherweise ist hier aber auch der 40tägige Fastenzeitraum zwischen dem christlichen Martinstag (11.11.) und dem Weihnachtsfest gemeint.

52Wucherer,Vgl. Adelung ›Wúcherer‹: »derjenige, welcher von seinem Eigenthume im Handel und Wandel übermäßigen Gewinn zu ziehen sucht, und zu ziehen gewohnt ist«.

72Stritzeln.Längliches, brotförmiges Gebäck aus feinem Weizenmehl.

74durchreift,Hier nicht in der Bedeutung ›durchgereift‹, sondern in der Bedeutung ›mit Reif gedeckt, erfroren‹.

88Hoch an den Saͤulen hiengen Knaben, Und hielten ihre Muͤtzen in der Hand.Vgl. Kleists Formulierung in ›Das Erdbeben in Chili.‹: »Das Gedränge erstreckte sich bis weit vor den Portalen auf den Vorplatz der Kirche hinaus, und an den Wänden hoch, in den Rahmen der Gemählde, hingen Knaben, und hielten mit erwartungsvollen Blicken ihre Mützen in der Hand.«

89WeichbildVgl. Adelung ›Weichbild‹: »1. Eine Stadt mit ihrem unmittelbaren Gebiethe; besonders die Stadtflur ausserhalb der Ringmauern. Das Weichbild der Stadt Leipzig. 2. Eine Stadt. Einen Flecken zum Weichbilde machen, ihn zur Stadt erheben. 3. Der Inbegriff der Stadtgesetze oder Rechte. In den beyden letzten Bedeutungen ist es jetzt am seltensten.«

109UnterhaltungHier in der Bedeutung von Versorgung, Ernährung.

 Emendationen (insges. 3)
  • 1uachnach
  • 23zuzur
  • 75anchauch

Textkonstitution

Textwiedergabe nach:
Kleist, Heinrich von (Hrsg.): Berliner Abendblätter. 60tes Blatt. Den 8ten December 1810. Berlin: J. E. Hitzig, 8.12.1810.

Faksimiledruck in: BA-Reprint:1925 S. 235–238

Editorische Anmerkungen

  • 12vollIm Erstdruck mitdruckender Spieß vor »voll«.

Angaben zu den einzelnen Artikeln

Eine Legende nach Hans Sachs. Der Welt Lauf.

Zur Autorschaft: Heinrich von Kleist [Bearb.]

R. Köpke hat den Text erstmals Kleist zugeordnet. Es handelt sich um eine tiefgreifende Umarbeitung einer Vorlage von Hans Sachs: ›Ein gesprech zwischen Sanct Peter und dem Herren, von der jetzigen Weldt lauff. Mehr ein gesprech zwischen eim Waldtbruder un eim Engel, von dē heimlichen gericht Gottes‹.

Pagina Erstdruck Berliner Abendblätter: S. 235–237

Pagina Kleist-Editionen: [BKA] II/7 I 305–307 [MA] II 524–526 [DKV] III 447–450 [SE:1993] I 39–42

Bülletin der öffentlichen Blätter. [08.12.1810]

Zur Autorschaft: Heinrich von Kleist [Bearb.]

Bülletin ›Lissabon‹: Redigierter Text aus ›Gazette Nationale ou Le Moniteur Universel‹ vom 29. November 1810;
Bülletin ›Kaiserl. Franz. Dekret‹: Redigierter Text aus ›Gazette Nationale ou Le Moniteur Universel‹ vom 29. November 1810.

Pagina Erstdruck Berliner Abendblätter: S. 238

Pagina Kleist-Editionen: [BKA] II/7 I 308

Polizeiliche Tages-Mittheilungen. [08.12.1810]

Zur Autorschaft: Heinrich von Kleist [Bearb.]

Von Kleist auf Basis der Polizeiberichte vom 7.12.1810 redigiert.

Pagina Erstdruck Berliner Abendblätter: S. 238

Pagina Kleist-Editionen: [BKA] II/7 I 308

 Erwähnte Orte
  • []Leipziger Straße (1)
  • []Lissabon (1)
  • []London (1)
  • []Paris (1)
  • [»]Alle Orte anzeigen +/–
 Vergleich Editionen

Die durchgeführte Kollation mit unterschiedlichen historischen und aktuellen Kleist-Editionen zeigt bestimmte Lesarten und Emendationen, die von der vorliegenden emendierten Fassung abweichen. In den Anmerkungen finden sich hierzu häufig nähere Erläuterungen. (Gelegentlich ist die Ursache für Abweichungen ein Transkriptionsfehler in der jeweiligen Edition.)

Disclaimer: Abweichungen, die ihren Grund in typographisch bedingten Normalisierungen und Standardisierungen haben, werden nicht angezeigt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden. Mitgeteilte Abweichungen müssen am Original überprüft werden.

[BKA:1989] [2 Abw.]
  • 1December ] liest »Dezember«
  • 115Vorraͤthe ] liest »Vorrathe«
WERKE
  • Dramen
  • Erzählungen
  • Lyrik
  • Sonstige Prosa
  • Berliner Abendblätter
  • Phöbus
VERZEICHNISSE
  • Personen
  • Orte
  • Kleist Texte (alphabetisch)
  • Von Kleist erwähnte Werke
  • Literaturverzeichnis
SONSTIGES
  • Über die Edition
  • Kleist-Wörter-Rätsel
  • Handschriften-Simulator
  • Handschriften-Fonts
  • Kontakt Herausgeber
  • Impressum / Haftungsausschluss
  • Datenschutzerklärung
  • Creative Commons LizenzvertragDieses Werk ist lizenziert unter einer
    Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz