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Berliner Abendblaͤtter.
51tes Blatt. Den 28ten November 1810.
Ueber den Geiſt der neueren preuſſiſchen Geſetzgebung. Ein Fragment aus einer noch ungedruckten groͤßeren Abhandlung.
Der Statiſtiker beſtimmt die Rangordnung der Staaten nach ihrer Grundmacht d. h. nach ihrem Flaͤcheninhalt und nach ihrer Bevoͤlkerung; und im Allgemeinen iſt dieſes ſehr richtig. Es giebt aber noch eine Ruͤckſicht, die ſich nicht ſo auf dem Papiere berechnen laͤßt, aber dennoch bei der Balance einen bedeutenden Ausſchlag giebt: die Vaterlandsliebe. Man koͤnnte ſie das Princip der intenſiven Macht der Staaten nennen. Bloße Bevoͤlkerung ohne dieſe Ruͤckſicht: das Princip der extenſiven Macht.
Die intenſive Macht eines Staates verhaͤlt ſich zur extenſiven, wie der innere Handel zum auswaͤrtigen, d. h. ſie iſt wichtiger und reeller. Eine bloße Vergroͤßerung des Flaͤcheninhalts und der Volksmenge iſt ein ſehr zweideutiges Mittel, die Macht eines Staates zu vermehren; ja oͤfters wird dadurch das Gegentheil bewirkt. Ich darf dieſe Behauptung wohl nicht naͤher beweiſen, da die ungluͤcklichen Ereigniſſe unſerer Tage noch in Jedermanns Andenken ſind. Was hat wohl die Beſitznehmung der polniſchen Provinzen, ohnerachtet aller Wohlthaten der mildeſten Regierung, zur Vermehrung der Macht der preuſſiſchen Monarchie beigetragen?
Alſo — nicht in der Volksmenge allein beſteht die Macht der Staaten, ſondern in dem Grade der Anhaͤnglichkeit dieſer Volksmenge an ihre Verfaſſung und an die Perſon ihrer Beherrſcher. Wir finden in der Geſchichte Beiſpiele genug, daß Staaten, die, bloß nach ſtatiſtiſchen Grundſaͤtzen geſchaͤtzt, ſehr ohnmaͤchtig ſchienen, ihren an Volksmenge und Flaͤcheninhalt unendlich uͤberlegenen Feinden ſiegreich widerſtanden. Die kleine Republik Athen ſchlug das zahlloſe Heer des Perſerkoͤnigs aufs Haupt, welches er ſelbſt das Unuͤberwindliche nannte. Noch vor wenigen Jahrhunderten ſcheiterte die furchtbare mit Stahl bedeckte Macht des deutſchen Kaiſers, an dem Heroismus eines Haͤufleins 200nackter Schweizer. Solche anſcheinend wunderbare Ereigniſſe werden durch die groͤßere intenſive Macht dieſer kleinen Staaten zu natuͤrlichen.
Es giebt alſo Mittel, die Macht der Staaten ohne Vergroͤßerung des Gebiets und der Volksmenge zu erhoͤhen. Es giebt Mittel, diejenigen Kraͤfte, welche ein Staat durch Verkleinerung ſeines Gebiets und ſeiner Volksmenge verlohren hat, in ſeinem Inneren zu erſetzen. Dieſe Mittel, viel ſicherer als auswaͤrtige Eroberungen, liegen in der Gewalt einer jeden Regierung, und gedeihen am beſten im tiefſten Frieden. Sie darf nur die intenſive Macht erhoͤhen, d. h. die Einwohner mehr als bisher an ihr Intereſſe knuͤpfen, und ihnen ihre Verfaſſung werth machen. Dieſes geſchieht durch Wegraͤumung alles desjenigen, welches die Anhaͤnglichkeit an dieſe Verfaſſung und die Perſon des Regenten ſchwaͤchen, und die ſo natuͤrliche Liebe zu dem vaterlaͤndiſchen Boden verringern kann.
Dieſes war die große Aufgabe der preuſſiſchen Regierung nach dem Tilſiter Frieden. Mit bedaͤchtiger Weisheit hat ſie angefangen ſie zu loͤſen, und faͤhrt nun damit fort.
Der preuſſiſche Staat hat durch dieſen Frieden die Haͤlfte ſeiner extenſiven Macht verlohren.
Die verlohrnen Meilen und Seelen konnte die Regierung freilich nicht erſetzen, wohl aber durch Eroͤffnung aller Wege, die zu einem allgemeinen Wohlſtande fuͤhren koͤnnen, durch Wegraͤumung der bisherigen Hinderniſſe der Induſtrie und Vaterlandsliebe, die intenſive Macht der Geſellſchaft erhoͤhen, und die Zahl der activen Staatsbuͤrger vermehren. Denn gerade die zahlreichſte Claſſe war bisher nicht zu den Staatsmitgliedern zu rechnen, weil ſie kein Intereſſe an Aufrechthaltung einer Verfaſſung haben konnten, von der ſie theils aus Mangel an Aufklaͤrung kaum einen Begriff hatten, und die theils in Hinſicht ihrer zu ſtiefmuͤtterlich war, als daß deren Umſturz ihnen haͤtte ein großes Uebel ſcheinen können.
Nun aber iſt, durch das General-Edict vom 27ten Oct. 1810 welches das Edict vom 9ten Oct. 1808 uͤber die Aufhebung der Erbunterthaͤnigkeit, ſo wie die Militairverfaſſung, und die neue Staͤdte-Ordnung, ergaͤnzt, dem Preuſſiſchen Staat die frohe Ausſicht geworden, das, was er an aͤußerer Macht verlor, in ſeinem Inneren wiederzufinden. Noch ſteht das Werk des erhabenen Geſetzgebers, der unter uns aufgetreten iſt, nur unvollkommen vor den Augen der Welt da;201gleichwohl werden wir bereits auf das Fundament, auf welchem es ruht, und auch vielleicht ſchon auf den Zuſammenhang mehrerer Theile, im Laufe dieſer Blaͤtter erlaͤuternde Blicke werfen koͤnnen.
lh.
Nachricht von einem deutſchen Seehelden.
In unſrer Zeit, wo zu dem Kampfe gegen England in Hamburg und Bremen deutſche Matroſen geworben werden, wird es vielleicht willkommen ſeyn, ausgezeichnete Charakterzuͤge aͤlterer deutſcher Seemaͤnner zu ſammeln. Wir beginnen die Reihe mit dem Hamburger Kapitain Carpfanger, welcher das Convoyſchiff Leopoldus I mehrere Jahre und in einer ruͤhmlichen Action gegen Kaper, die einige Groͤnlandsfahrer ſeiner Convoy von der Flotte trennen wollten, glorreich gefuͤhrt hatte. Aber im J. 1683, erzaͤhlt Happel in ſeinen Denkwuͤrdigkeiten der Welt, Hamburg 1687, III Thl. S. 629, da dieſes Schiff kaum 12 Jahre alt, in der Bey vor Cadix lag, kam am 10. Okt. Abends um 8 Uhr ein Feuer an einem Orte des Schiffes aus, der gemeiniglich die Hoͤlle genannt wird, freilich eine rechte Feuerhoͤlle fuͤr dieſes ſchöne Schiff. Man loͤſchte zwar und that alles, was in ſolchen Faͤllen noͤthig, aber es wollte nicht helfen, daher riethen einige ein Loch im Grunde des Schiffs zu machen, daß es, ins Waſſer geſenkt, ſich ſelber loͤſchen moͤchte, waͤhrend die Mannſchaft ſich davon rettete. Der Kapitaͤn aber ſprach: Das Schiff iſt mir anvertraut, ich muß es retten, oder mein Leben dabei zuſetzen. — Kein anderes Schiff wagte ſich aber von der großen Zahl, die dort vor Anker lagen, zur Rettung herbei, aus Beſorgniß, das Feuer moͤgte ſchon der Pulverkammer zu nahe ſein und ſie mit beſchaͤdigen, wie denn auch die Kanonen von der großen Hitze ſich ſelber loͤſeten und gleichſam erbaͤrmlich ſchrieen. Endlich ſprangen die meiſten Menſchen davon und der Kapitain ſelber ſandte ſeinen Sohn und ſeinen Vetter ans Land, er ſelbſt aber, ob ihn gleich der Sohn auf den Knieen kindlich darum anflehte, wollte das Schiff nicht verlaſſen; alſo iſt bald nachher, nachdem das Feuer die Pulverkammer erreicht hatte, das gute Schiff um 1 Uhr in der Nacht, mit allem, was ſich darauf befand, in die Luft geſprengt worden. Nebſt dem Capitain Carpfanger haben ihr Leben gelaſſen: 42 Bootsleute und 22 Soldaten, die 202Uebrigen, 156 an der Zahl, haben ſich gerettet. Des Kapitaͤns Leichnam ward am Thau eines Engliſchen Schiffes gefunden, wo er hingeſchleudert worden; er wurde begleitet von einigen zwanzig Schaluppen, beym Flaggen aller engliſchen, hollaͤndiſchen und hamburgiſchen Schiffe, unter Loͤſung von mehr als dreihundert Kanonen, nach der Inſel Cadix, an den Platz gefuͤhrt, wo man die Evangeliſchen zu begraben pflegte, und dort, mit allgemeiner Bewunderung ſeines Heldenmuthes, chriſtmaͤßig beſtattet.
L. A. v. A.
Miscellen.
Aus Italien.
Zu Siena iſt vor Kurzen ein fuͤr die Litteratur und Kunſt gleich intereſſanter Fund gemacht worden. Hr. Antonio Piccolomini Bellanti naͤmlich, der ſich laͤngſt mit Sammlung alter Medaillen und Mahlereien beſchaͤftigte, hat das Bildniß der unſterblichen Laura, der Geliebten Petrarka’s aufgefunden, welches, auf Verlangen dieſes Dichters, ſein Zeitgenoſſe, der Mahler Simone di Memmo mahlte. Es iſt ſo ſchoͤn erhalten, daß man davon auch nicht die geringſten Spuren ſeines Alters wahrnimmt. Die Arbeit ſelbſt gehoͤrt zu den vortrefflichſten des beruͤhmten Kuͤnſtlers. Man erkennt Laura, ihr Alter, ihren Charakter, ihr Koſtuͤm, ihren Schmuck, ganz wie der goͤttliche Saͤnger ſie zu ſchildern pflegte. (Misc. d. n. Weltk.)
Anzeige.
Die ſogenannte unpartheiiſche Geſellſchaft, die kuͤrzlich ein Schreiben, die Beſchwerden der Baͤkker betreffend, an uns erlaſſen hat, hat ſich eine Antwort darauf, unter Vorzeigung einer aͤhnlichen Handſchrift, in der Expedition der Abendblaͤtter (Jaͤgerſtraße Nr. 25) abzuholen.