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Ueber den Geiſt der neueren preuſſiſchen
Geſetzgebung.
Ein
Fragment aus einer noch ungedruckten groͤßeren Abhandlung.
Der Statiſtiker beſtimmt die
Rangordnung der Staa⸗
ten nach ihrer
Grundmacht d. h. nach ihrem Flaͤchen⸗5
inhalt und nach ihrer Bevoͤlkerung; und im Allgemei⸗
nen iſt dieſes ſehr richtig. Es giebt aber noch eine
Ruͤckſicht, die ſich nicht ſo auf dem Papiere berechnen
laͤßt, aber dennoch bei der Balance einen
bedeutenden
Ausſchlag giebt: die
Vaterlandsliebe. Man koͤnnte ſie 10
das Princip der intenſiven Macht der Staaten
nennen.
Bloße
Bevoͤlkerung ohne dieſe Ruͤckſicht: das Princip
der extenſiven Macht.
Die intenſive Macht
eines Staates verhaͤlt ſich zur
extenſiven, wie
der innere Handel zum auswaͤrtigen, 15
d. h. ſie
iſt wichtiger und reeller. Eine
bloße Vergroͤ⸗
ßerung des
Flaͤcheninhalts und der Volksmenge iſt ein
ſehr
zweideutiges Mittel, die Macht eines Staates zu
vermehren; ja oͤfters wird dadurch das Gegentheil be⸗
wirkt. Ich darf dieſe Behauptung wohl nicht naͤher 20
beweiſen, da die ungluͤcklichen Ereigniſſe unſerer Tage
noch in Jedermanns Andenken ſind. Was hat wohl
die
Beſitznehmung der polniſchen Provinzen, ohnerach⸗
tet aller Wohlthaten der mildeſten Regierung, zur
Ver⸗
mehrung der Macht der
preuſſiſchen Monarchie beige⸗25
tragen?
Alſo — nicht in der
Volksmenge allein beſteht die
Macht der
Staaten, ſondern in dem Grade der An⸗
haͤnglichkeit dieſer Volksmenge an ihre Verfaſſung und
an die Perſon ihrer Beherrſcher. Wir finden in der 30
Geſchichte Beiſpiele genug, daß Staaten, die, bloß nach
ſtatiſtiſchen Grundſaͤtzen geſchaͤtzt, ſehr
ohnmaͤchtig
ſchienen, ihren an Volksmenge und
Flaͤcheninhalt un⸗
endlich uͤberlegenen
Feinden ſiegreich widerſtanden.
Die kleine Republik Athen ſchlug das zahlloſe Heer des
35
Perſerkoͤnigs aufs Haupt, welches er ſelbſt
das Unuͤber⸗
windliche nannte. Noch vor
wenigen Jahrhunderten
ſcheiterte die
furchtbare mit Stahl bedeckte Macht des
deutſchen
Kaiſers, an
den
dem
Heroismus eines Haͤufleins
[ 51 ]
200nackter
Schweizer.
Solche anſcheinend wunderbare 40
Ereigniſſe werden durch die groͤßere intenſive
Macht
dieſer kleinen Staaten zu
natuͤrlichen.
Es giebt alſo Mittel,
die Macht der Staaten ohne
Vergroͤßerung des
Gebiets und der Volksmenge zu er⸗
hoͤhen. Es giebt Mittel,
diejenigen Kraͤfte, welche ein 45
Staat durch
Verkleinerung ſeines Gebiets und ſeiner
Volksmenge verlohren hat, in ſeinem Inneren zu er⸗
ſetzen. Dieſe Mittel, viel ſicherer als auswaͤrtige Er⸗
oberungen, liegen in der Gewalt einer jeden Regie⸗
rung, und gedeihen am beſten im
tiefſten Frieden. 50
Sie darf nur die intenſive Macht erhoͤhen, d. h. die
Einwohner mehr als bisher an ihr Intereſſe
knuͤpfen,
und ihnen ihre Verfaſſung werth
machen. Dieſes ge⸗
ſchieht durch Wegraͤumung alles desjenigen, welches
die Anhaͤnglichkeit an dieſe Verfaſſung und
die Per⸗55
ſon des Regenten ſchwaͤchen,
und die ſo natuͤrliche Lie⸗
be zu dem
vaterlaͤndiſchen Boden verringern kann.
Dieſes war die große
Aufgabe der preuſſiſchen
Regierung nach dem
Tilſiter Frieden. Mit bedaͤchti⸗
ger
Weisheit hat ſie angefangen ſie zu loͤſen, und faͤhrt 60
nun damit fort.
Der preuſſiſche Staat
hat durch dieſen Frieden
die Haͤlfte ſeiner
extenſiven Macht verlohren.
Die verlohrnen Meilen
und Seelen konnte die
Regierung freilich nicht
erſetzen, wohl aber durch Eroͤff⸗65
nung
aller Wege, die zu einem allgemeinen Wohlſtan⸗
de fuͤhren koͤnnen, durch Wegraͤumung der bisherigen
Hinderniſſe der Induſtrie und
Vaterlandsliebe, die
intenſive Macht der
Geſellſchaft erhoͤhen, und die Zahl
der activen
Staatsbuͤrger vermehren. Denn gerade
70
die zahlreichſte Claſſe war bisher nicht zu
den Staats⸗
mitgliedern zu rechnen, weil
ſie kein Intereſſe an Auf⸗
rechthaltung
einer Verfaſſung haben konnten, von der
ſie
theils aus Mangel an Aufklaͤrung kaum einen Be⸗
griff hatten, und die theils in Hinſicht ihrer zu
ſtief⸗75
muͤtterlich war, als daß
deren Umſturz ihnen haͤtte
ein großes Uebel
ſcheinen
konnen.
können.
Nun aber iſt, durch
das General-Edict vom 27ten
Oct. 1810 welches
das Edict vom 9ten Oct. 1808 uͤber
die
Aufhebung der Erbunterthaͤnigkeit, ſo wie die Mi⸗80
litairverfaſſung, und die neue Staͤdte-Ordnung,
er⸗
gaͤnzt, dem Preuſſiſchen Staat
die frohe Ausſicht ge⸗
worden, das, was
er an aͤußerer Macht verlor, in ſei⸗
nem
Inneren wiederzufinden. Noch ſteht
das Werk
des erhabenen Geſetzgebers, der unter
uns aufgetreten 85
iſt, nur unvollkommen vor den
Augen der Welt da;
201gleichwohl werden wir bereits auf das
Fundament,
auf welchem es ruht, und auch
vielleicht ſchon auf den
Zuſammenhang mehrerer
Theile, im Laufe dieſer
Blaͤtter erlaͤuternde
Blicke werfen koͤnnen.90
lh.
Nachricht von einem deutſchen
Seehelden.
In unſrer Zeit, wo zu
dem Kampfe gegen England
in Hamburg und Bremen deutſche Matroſen gewor⸗
ben werden, wird es vielleicht willkommen ſeyn,
aus⸗95
gezeichnete Charakterzuͤge
aͤlterer deutſcher Seemaͤnner
zu ſammeln.
Wir beginnen die Reihe mit dem
Ham⸗
burger Kapitain Carpfanger,
welcher das Convoy⸗
ſchiff Leopoldus I
mehrere Jahre und in einer ruͤhmli⸗
chen
Action gegen Kaper, die einige Groͤnlandsfahrer 100
ſeiner Convoy von der Flotte trennen wollten, glor⸗
reich gefuͤhrt hatte. Aber im J. 1683, erzaͤhlt Happel
in ſeinen Denkwuͤrdigkeiten der Welt, Hamburg
1687,
III Thl. S. 629, da dieſes Schiff kaum
12 Jahre alt,
in der Bey vor Cadix lag, kam am 10. Okt. Abends
105
um 8 Uhr ein Feuer an einem Orte des
Schiffes aus,
der gemeiniglich die Hoͤlle
genannt wird, freilich
eine rechte Feuerhoͤlle
fuͤr dieſes
ſchone
ſchöne
Schiff. Man
loͤſchte zwar und that alles, was in ſolchen
Faͤllen noͤ⸗
thig, aber es wollte nicht
helfen, daher riethen einige 110
ein Loch im
Grunde des Schiffs zu machen, daß es, ins
Waſſer geſenkt, ſich ſelber loͤſchen moͤchte, waͤhrend die
Mannſchaft ſich davon rettete. Der Kapitaͤn aber ſprach:
Das Schiff iſt mir anvertraut, ich muß es
retten, oder
mein Leben dabei zuſetzen. —
Kein anderes Schiff wagte 115
ſich aber von der großen Zahl, die dort vor
Anker la⸗
gen, zur Rettung herbei, aus
Beſorgniß, das Feuer
moͤgte ſchon der
Pulverkammer zu nahe ſein und ſie
mit
beſchaͤdigen, wie denn auch die Kanonen von der
großen Hitze ſich ſelber loͤſeten und gleichſam erbaͤrm⸗120
lich ſchrieen. Endlich ſprangen die meiſten Menſchen
davon und der Kapitain ſelber ſandte ſeinen
Sohn und
ſeinen Vetter ans Land, er ſelbſt
aber, ob ihn gleich
der Sohn auf den Knieen
kindlich darum anflehte,
wollte das Schiff
nicht verlaſſen; alſo iſt bald nachher, 125
nachdem das Feuer die Pulverkammer erreicht hatte,
das gute Schiff um 1 Uhr in der Nacht, mit
allem,
was ſich darauf befand, in die Luft
geſprengt wor⸗
den. Nebſt dem Capitain
Carpfanger haben ihr Le⸗
ben gelaſſen:
42 Bootsleute und 22 Soldaten, die 130
202Uebrigen, 156 an der
Zahl, haben ſich gerettet. Des
Kapitaͤns Leichnam ward am Thau eines
Engliſchen
Schiffes gefunden, wo er
hingeſchleudert worden; er
wurde begleitet von
einigen zwanzig Schaluppen, beym
Flaggen aller
engliſchen, hollaͤndiſchen und hamburgi⸗135
ſchen Schiffe, unter Loͤſung von mehr als dreihundert
Kanonen, nach der Inſel Cadix, an den Platz
gefuͤhrt,
wo man die Evangeliſchen zu begraben
pflegte, und
dort, mit allgemeiner Bewunderung
ſeines Heldenmu⸗
thes, chriſtmaͤßig
beſtattet.140
L. A. v. A.
Miscellen.
Aus Italien.
Zu Siena iſt vor Kurzen ein fuͤr die
Litteratur
und Kunſt gleich intereſſanter Fund
gemacht worden. 145
Hr. Antonio Piccolomini
Bellanti naͤmlich, der ſich
laͤngſt mit Sammlung alter Medaillen und Mahlereien
beſchaͤftigte, hat das Bildniß der
unſterblichen Laura,
der Geliebten Petrarka’s aufgefunden, welches,
auf
Verlangen dieſes Dichters, ſein
Zeitgenoſſe, der Mah⸗150
ler Simone di Memmo mahlte. Es iſt ſo ſchoͤn erhal⸗
ten, daß man davon auch nicht die geringſten Spu⸗
ren ſeines Alters wahrnimmt. Die Arbeit ſelbſt ge⸗
hoͤrt zu den vortrefflichſten des beruͤhmten
Kuͤnſtlers.
Man
erkennt Laura, ihr Alter, ihren Charakter, ihr 155
Koſtuͤm, ihren Schmuck, ganz wie der goͤttliche Saͤn⸗
ger ſie zu ſchildern pflegte. (Misc. d. n.
Weltk.)
Anzeige.
Die ſogenannte unpartheiiſche
Geſellſchaft,
die kuͤrzlich ein
Schreiben, die Beſchwerden der Baͤk⸗160
ker betreffend, an uns erlaſſen hat, hat ſich eine Ant⸗
wort darauf, unter Vorzeigung einer aͤhnli⸗
chen Handſchrift, in der
Expedition der Abend⸗
blaͤtter
(Jaͤgerſtraße Nr.
25) abzuholen.
(Die
Redaction.)
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