Alle Textversionen sind inhaltlich identisch und folgen dem angegebenen Textzeugen.
Die
Fassung Erstdruck/Textzeuge zeigt die zeichengenaue Wiedergabe des Textzeugen. Nur offensichtliche Fehler sind emendiert. Alle Emendationen sind im Apparat verzeichnet. Der originale Zeilenfall ist beibehalten. Die Fassung wird auf Smartphones wegen der Zeilenlänge nicht angezeigt.
In der Textversion ohne originalen Zeilenfall wird der Zeilenfall mit einem Schrägstrich / angezeigt, die Zeile wird aber nicht umbrochen. Ansonsten folgt sie der angegebenen Textquelle.
In der Textversion ohne ſ, aͤ, oͤ, uͤ sind zusätzlich das lange ſ und historische Umlautformen der heutigen Orthographie angepasst.
Berliner Abendblaͤtter.
46tes Blatt. Den 22ten November 1810.
Erklaͤrung. So gewiß der Unterzeichnete uͤber Chriſtian Jakob Kraus und uͤber die Frage, ob es zweckmaͤßig oder unzweckmaͤßig war, die Grundſaͤtze des Adam Smithſchen Syſtems der preuß. Staatsverwaltung einzuverleiben, ſeine Parthei genommen hat, ſo iſt der Gegenſtand doch, von jeder Seite betrachtet, zu wichtig, als daß derſelbe nicht dem wiſſenſchaftlichen Geſpraͤch, das ſich in dieſen Blaͤttern daruͤber erhoben hat, freien Lauf laſſen ſollte. Demnach legt er dem Publikum, ſeines Antheils an dieſer Sache gewiß, folgenden Aufſatz von der Hand eines hoͤchſt achtungswuͤrdigen Staatsmannes aus Koͤnigsberg vor, der ſich berufen gefuͤhlt hat, die Sache ſeines Freundes, des verewigten Chriſtian Jakob Kraus, gegen den Angriff (11tes Blatt) zu vertheidigen.
Auch etwas uͤber Chriſtian Jakob Kraus auf eine andere Manier.
Haͤtte der Verfaſſer des Aufſatzes uͤber C. J. Kraus in Nr. 11. des Berliner Abendblattes an Luthers: „Ein jeder kehre vor ſeiner Thuͤr und lerne ſeine Lektion, ſo wird es wohl im Hauſe ſtehn“, gedacht, vielleicht haͤtt er ihn gar nicht geſchrieben, jetzt da die Leſer durch das pro und contra ſeines Lobes und Tadels im Urtheil uͤber meinen vieljaͤhrigen Freund irre werden koͤnnten, halt ich es fuͤr noͤthig, ihnen durch kleine Zurufe uͤber einiges in dieſem Petulant⸗ſuͤßen Aufſatze, aus der Abſchaͤtzungsſchaukel wieder auf die ſichere Erde zu helfen.
Herr Ps. nennt unſern Kraus einen langſamen, unfruchtbaren Kopf. Langſamkeit iſt aber kein abſoluter Fehler, wie die Vorſchnelligkeit es iſt. Scharfſinn und Bedachtſamkeit erlauben da, wo ſie ſo innigſt verbunden ſind, wie ſie es in Kr. Kopf waren, durchaus keine genialiſtiſche Geſchwindigkeit, und laſſen hoͤchſtens ein festina-lente zu. Das Studiren koͤnnte man mit einer Jagdparthie vergleichen, auf der der vorſichtige Jaͤger nicht oft ſchießt, aber immer trift, der Eilfertige, Schuß auf Schuß macht, und wenig in der Jagdtaſche heimbringt. Was Kr. Unfruchtbarkeit betrift, ſo iſt es wohl unbillig ihn ſelbiger zu zeihen, weil er nicht Buͤcher drucken ließ, ſondern nur Beweiſe ſeiner intenſiven Fruchtbarkeit in ſeinen Vorleſungen durch den feurigſten Eifer fuͤr das Fruchtbarmachen zu guten Werken ablegte. Die Phyſiokra 180ten rechnen den Landmann ausſchließlich zur produktiven Klaſſe, und thut er mehr als ſein Feld gut bearbeiten und guten Samen ausſtreuen?
Wenn Kr. Kunſt des Periphraſirens, Laͤuterns, Rubricirens und Numerirens ſelbſt mechaniſche Koͤpfe zum Verſtehen ſeiner treflichen Vortraͤge und ihrer nachherigen Befolgung zu bringen vermochte, iſt dadurch ſein Verdienſt um ſeine Wiſſenſchaft nicht groͤßer, als wenn er bloß honoratiores um ſich verſammelt und ſie aus der mit eau de mille fleurs gefuͤllten Rednergießkanne uͤberſpruͤtzt haͤtte, obgleich die wahre Fruchtbarkeit nur durch Regenwaſſer befoͤrdert wird? Oder wenn er die gewoͤhnlichen Elemente reichlich ſubdividirt, und blanke Einfaͤlle durch ſophiſtiſche Daͤmpfe uͤber Gebuͤhr zu erheben geſucht haͤtte?
Kr. dachte viel ſelbſt, laß die Alten und Neuen, benutzte ſelbſt Umgangsgeſpraͤche zum Vortheil ſeiner Lieblingswiſſenſchaft, und vermochte eben dadurch den Werth des von Unberufnen commentirten und excerpirten Adam Smith in beſſern Umlauf zu bringen, als es manchen Buͤchermachern und Vorleſern damit gelingen duͤrfte.
Iſt es Recht wider einen Mann zu ſprechen, von dem man ſelbſt eingeſteht, er habe die ſelten gewordne ſchulgerechte Form verſtanden, und vielleicht durch ihre Zudringlichkeit ſo heilſam auf andre gewirkt?
Muͤßte man nicht das in den Vorberichten uͤber ihn geſagte durch ein ſtark vergroͤßerndes Glas anſehen, wenn man darin eine uͤbertriebene Adoration wahrnehmen, und dieſe fuͤr eine Verkuͤrzung ſeines wohl verdienten Ruhms erklaͤren wollte? Man ließ ihm bloß Gerechtigkeit widerfahren, und die ihn kannten haben keinen Einſpruch gethan.
Kr. Poſitivismus hatte einen guten Grund in ſeinem zwanzigjaͤhrigen Studio des Smith und in den vielen Erfahrungen uͤber die Richtigkeit der Smithſchen Grundſaͤtze, hinderte ihn aber warlich nicht, oft groͤßere und freiere Anſichten anzunehmen und auszuſprechen, als die Smithſchen Buchſtaben darbieten, denn auch er wußte unleugbar, daß der Buchſtabe manches in unſrer Geſetzgebung getoͤdtet habe — iſt aber durch nachfolgende Freykuͤnſtler ſchon viel getoͤdtetes wieder lebendig gemacht, oder ſind nicht die mehreſten bloß bei Geiſtercitationen ſtehen geblieben, bei denen es einerlei iſt, ob ſie die alte Frau von Endor oder ein blutjunger Merlin treibt. Wer uͤber Adam181Smith oder Adam Muͤller das Studiren der lehrreichen Zeit vergißt, fuͤr den ſind Krauſe’s Poſthuma nicht gedruckt.
Als herzlicher Lehrer der Moral und des Naturrechtes vergaß er wahrlich nie, daß Wiſſenſchaft des Rechts mit der Wiſſenſchaft aͤchter Oekonomie unzertrennlich ſchweſterlich verbunden ſein muͤſſe, ob er gleich zu ſeiner Zeit noch nicht den casum verkuͤmmerter Organiſations Behandlungen ſo deutlich und ausfuͤhrlich in terminis gehabt hatte, wie er neuern Virtuoſen zu Dienſten ſteht, und ſie vor dem Zutrauen in die unbedingte Praͤciſion ihrer im Fluge aufgegriffenen Principien warnen oder davon abhalten koͤnnte.
Zur Antwort auf die vom Herrn Ps. aufgeworfne erſte Schlußfrage diene die Verſicherung, daß Kr. angeblich unproductiver und abhaͤngiger Kopf zu der Lokalautoritaͤt gekommen, weil ſeine jungen Zuhoͤrer unbefangene Juͤnglinge waren, denen ſeine unuͤbertreffliche Lehrgabe Liebe und Zutrauen einfloͤßte, und weil die aͤltern und Dienſtmaͤnner, die ſeine Vorleſungen beſuchten, wenn ſie das Buch ihrer Erfahrungen mit ſeinen Vortraͤgen verglichen, lauter gediegene Wahrheit darin fanden, und aus ihnen manche Behandlungsirrthuͤmer erkannten.
Die 2te Frage beantworte ich mit einer andern: warum mußte die ſeit undenklicher Zeit von den Niederlaͤndern hochgetriebene und die ſeit 50 Jahren ruͤhmlich bekannte beßre Wirthſchaft der Englaͤnder in dem den Niederlanden und England naͤher gelegenen Deutſchland letzterm erſt in viel ſpaͤtern Jahren zu einem uͤbertriebnen Anſehen gelangen? Der lange Winter den die Smithſchen Saaten in der Erde Preuſſens zubrachten, hat vielleicht ihr beßres Gedeihen bey uns veranlaßt.
Ferne ſey es von Krauſe’s Landsleuten, ihm eine Geſetzgeberrolle aufdringen zu wollen, zu der er nicht geboren war, und die ihm auch gewiß nie in den Sinn kam, wie ſolches zum Theil ſeine faſt uͤbertriebene Abneigung gegen das Druckenlaſſen bezeugt, zu der aber die einen vorzuͤglichen Hang (pruritus) zu verrathen ſcheinen, die ihre Vorleſungen pfeilſchnell zum Verleger tragen, und manches ſtaatswirthſchaftliche Raͤthſel ſchlecht oder gar nicht errathen haͤtten, haͤtten ſie nicht mit dem Smith-Krauſeſchen Kalbe gepfluͤget.
An den Großherrn.
(Als er den Mufti abſetzte.)
Recht haſt du, Herr! Ein kleines Licht Paßt auf den Kirchenleuchter nicht.
Anekdote.
Zwei beruͤhmte Engliſche Baxer, der Eine aus Portsmouth gebuͤrtig, der Andere aus Plymouth, die ſeit vielen Jahren von einander gehoͤrt hatten, ohne ſich zu ſehen, beſchloſſen, da ſie in London zuſammentrafen, zur Entſcheidung der Frage, wem von ihnen der Siegerruhm gebuͤhre, einen oͤffentlichen Wettkampf zu halten. Demnach ſtellten ſich beide, im Angeſicht des Volks, mit geballten Faͤuſten, im Garten einer Kneipe, gegeneinander; und als der Plymouther den Portsmouther, in wenig Augenblicken, dergeſtalt auf die Bruſt traf, daß er Blut ſpie, rief dieſer, indem er ſich den Mund abwiſchte: brav! — Als aber dald darauf, da ſie ſich wieder geſtellt hatten, der Porthsmouther den Plymouther, mit der Fauſt der geballten Rechten, dergeſtalt auf den Leib traf, daß dieſer, indem er die Augen verkehrte, umfiel, rief der Letztere: das iſt auch nicht uͤbel —! Worauf das Volk, das im Kreiſe herumſtand, laut aufjauchzte, und, waͤhrend der Plymouther, der an den Gedaͤrmen verletzt worden war, todt weggetragen ward, dem Portsmouther den Siegsruhm zuerkannte. — Der Porthsmouther ſoll aber auch Tags darauf am Blutſturz geſtorben ſein.
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Ein Schlaͤchter hat ſeine Waage durch das Beihaͤngen eines eiſernen Hakens unrichtig gemacht, und iſt deshalb zur Unterſuchung gezogen.
Bei der Recherche der Tanzboͤden ſind 3 Frauenzimmer als brod⸗ und dienſtloſe Herumtreiberinnen, eine Mannsperſon als Ruheſtoͤrer und 9 oͤffentliche Maͤdchen verhaftet.
Vorgeſtern Abend iſt eine noch von Niemand erkannte Mannsperſon zwiſchen den beiden Schleuſenthoren in die Spree geſprungen, und hat ſich erſaͤuft. Obgleich er ſehr bald wieder herausgezogen ward, ſo war doch alle aͤrztliche Huͤlfe zur Wiederbelebung deſſelben vergeblich.
Druckfehler im geſtrigen Stuͤck.
Pag. 176 Zeile 1 anſtatt vollenden ließ: modificiren.