Alle Textversionen sind inhaltlich identisch und folgen dem angegebenen Textzeugen.
Die
Fassung Erstdruck/Textzeuge zeigt die zeichengenaue Wiedergabe des Textzeugen. Nur offensichtliche Fehler sind emendiert. Alle Emendationen sind im Apparat verzeichnet. Der originale Zeilenfall ist beibehalten. Die Fassung wird auf Smartphones wegen der Zeilenlänge nicht angezeigt.
In der Textversion ohne originalen Zeilenfall wird der Zeilenfall mit einem Schrägstrich / angezeigt, die Zeile wird aber nicht umbrochen. Ansonsten folgt sie der angegebenen Textquelle.
In der Textversion ohne ſ, aͤ, oͤ, uͤ sind zusätzlich das lange ſ und historische Umlautformen der heutigen Orthographie angepasst.
Berliner Abendblätter.
4tes Blatt. Den 4ten October 1810.
Freimuͤthige Gedanken bei Gelegenheit der neuerrichteten Univerſitaͤt in Berlin.
(Beſchluß.)
Der jetzt herrſchende, aller wahren Wiſſenſchaft abgewendete, hyperkritiſche Geiſt der Gelehrten, der Krieg aller gegen alle, die fruchtloſe Zerſplitterung der literariſchen Republik iſt nicht anders zu beſchwichtigen, ein Verein unter Gelehrten nicht anders zu errichten und dem gelehrten Stande nicht anders ſeine Ehre zuruͤckzugeben, als durch den Staat, durch ein gemeinſchaftliches, beſtimmtes, praktiſches Ziel, welches dieſen entzweiten Wiſſenſchaften vorgehalten wird.
Endlich ſei mit beſondrer Beziehung auf den Preußiſchen Staat die Frage erlaubt: warum ſind aus den bisherigen Lehranſtalten nur Virtuoſen der Jurisprudenz und Provinzialbeamte und durchaus keine hoͤhere Staatsbeamten hervorgegangen? Die hoͤheren Staatsbeamten, die wir nennen koͤnnten, ſind es durch Talent und praktiſche Erfahrung, keiner durch die Schule: und ſeitdem die alten Provinzialverwaltungen einer Staatsverwaltung bei uns Platz gemacht haben, beduͤrfen wir der allgemeinen Staatsbeamten, die das Ganze ins Auge faſſen, viel mehr als vorher. — Die Antwort iſt: weil die alten Univerſitaͤten in den letzten Zeiten, etwas zu ſehr und zu ausſchließend im Univerſo verkehrt haben, und das Studium der vaterlaͤndiſchen Lokalitaͤt verſaͤumt worden iſt. — Es iſt das hoͤchſte Intereſſe des Staates, daß die Candidaten ſeiner Aemter in den beſonderen Gerichtshof und in das beſondere adminiſtrative Departement nicht anders 16eintreten, als ausgeruͤſtet mit einer tuͤchtigen vollſtaͤndigen Anſchauung des vaterlaͤndiſchen Univerſums.
Dazu errichtet der Staat die Univerſitaͤt; und daß fuͤr das Europaͤiſche Univerſum und fuͤr die Republik der Wiſſenſchaften nichts dabei verloren geht, daß dadurch vielmehr den Wiſſenſchaften die einzige Ergaͤnzung gegeben wird, die ihnen mangelt, koͤnnte [nicht emendiert: ›konnte‹] die in Berlin errichtete Univerſitaͤt dereinſt zeigen, da ihr Kraͤfte und Mittel und Geiſter zu Gebot ſtehn, wie ſich deren vielleicht keine Anſtalt aͤhnlicher Art bey ihrer Entſtehung ruͤhmen konnte.
Ps.
Der verlegene Magiſtrat.
Eine Anekdote.
Ein H...r Stadtſoldat hatte vor nicht gar langer Zeit, ohne Erlaubniß ſeines Offiziers, die Stadtwache verlaſſen. Nach einem uralten Geſetz ſteht auf ein Verbrechen dieſer Art, das ſonſt der Streifereien des Adels wegen, von großer Wichtigkeit war, eigentlich der Tod. Gleichwohl, ohne das Geſetz, mit beſtimmten Worten aufzuheben, iſt davon ſeit vielen hundert Jahren kein Gebrauch mehr gemacht worden: dergeſtalt, daß ſtatt auf die Todesſtrafe zu erkennen, derjenige, der ſich deſſen ſchuldig macht, nach einem feſtſtehenden Gebrauch, zu einer bloßen Geldſtrafe, die er an die Stadtcaſſe zu erlegen hat, verurtheilt wird. Der beſagte Kerl aber, der keine Luſt haben mochte, das Geld zu entrichten, erklaͤrte, zur großen Beſtuͤrzung des Magiſtrats: daß er, weil es ihm einmal zukomme, dem Geſetz gemaͤß, ſterben wolle. Der Magiſtrat, der ein Mißverſtaͤndniß vermuthete, ſchickte einen Deputirten an den Kerl ab, und ließ ihm bedeuten, um wieviel vortheilhafter es fuͤr ihn waͤre, einige Gulden Geld zu erlegen, als arquebuſirt zu werden. Doch der Kerl blieb dabei, daß er ſeines Lebens muͤde ſei, und daß er ſterben wolle: dergeſtalt, daß dem Magiſtrat, der kein Blut vergießen wollte, nichts uͤbrig blieb, als dem Schelm die Geldſtrafe zu erlaſſen, und noch froh war, als er erklaͤrte, daß er, bei ſo bewandten Umſtaͤnden am Leben bleiben wolle.
rz.
Theater.
Den 2. October: Ton des Tages, Luſtſpiel von Voß.
Kant ſagt irgendwo, in seiner Kritik der Urtheilskraft, daß der menſchliche Verſtand und die Hand des Menſchen, zwei, auf nothwendige Weiſe, zu einander gehoͤrige und auf einander berechnete, Dinge ſind. Der Verſtand, meint er, beduͤrfe, falls er in Wirkſamkeit treten ſolle, ein Werkzeug von ſo mannichfaltiger und vielſeitiger Vollkommenheit, als die Hand; und hinwiederum zeige die Struktur der Hand an, daß die Intelligenz, die dieſelbe regiere, der menſchliche Verſtand ſein muͤſſe. Die Wahrheit dieſes, dem Anſchein nach paradoxen Satzes, leuchtet uns nie mehr ein, als wenn wir Herrn Iffland auf der Buͤhne ſehen. Er druͤckt in der That, auf die erſtaunenswuͤrdigſte Art, faſt alle Zuſtaͤnde und innerliche Bewegungen des Gemuͤths damit aus. Nicht, als ob, bei ſeinen theatraliſchen Darſtellungen, nicht ſeine Figur uͤberhaupt, nach den Forderungen ſeiner Kunſt, zweckmaͤßig mitwirkte: in dieſem Fall wuͤrde das, was wir hier vorgebracht haben, ein Tadel ſein. Es wird ihm, in der Pantomimik uͤberhaupt, beſonders in den buͤrgerlichen Stuͤcken, nicht leicht ein Schauſpieler heutiger Zeit gleichkommen. Aber von allen ſeinen Gliedern, behaupten wir, wirkt, in der Regel, keins, zum Ausdruck eines Affekts, ſo geſchaͤftig mit, als die Hand; ſie zieht die Aufmerkſamkeit faſt von ſeinem ſo ausdrucksvollen Geſicht ab: und ſo vortrefflich dies Spiel an und fuͤr ſich auch ſein mag, ſo glauben wir wird wird doch, daß ein Gebrauch, maͤßiger und minder verſchwenderiſch, als der, den er davon macht, ſeinem Spiel (wenn daſſelbe noch etwas zu wuͤnſchen uͤbrig laͤßt) vortheilhaft ſein wuͤrde.
xy.
Tagesbegebenheiten.
Wie grundlos oft das Publicum beunruhigt wird, beweiſ’t die, in der Stadt bereits bekannte Ausſage eines kuͤrzlich aufgefangenen Militair⸗Deſerteurs: „er ſei auf eine Bande Mordbrenner geſtoßen, welche ihm Anerbietungen gemacht, ſich in ihr aufnehmen zu laſſen“ u. ſ. w. Dieſer Kerl hat, dem Vernehmen nach, nunmehr geſtanden, daß dieſer ganze Bericht eine Erfindung war, um ſich dadurch Befreiung von der verwirkten Strafe zu verſchaffen.
18Polizei⸗Rapport.
Vom 4ten October.
Das 5jaͤhrige Kind des Schumachermeiſter Schuhmachermeister [emendiert] Schuhmachermeister [emendiert, ohne Hinweis im Kommentar] Langbrand, iſt in der Bruͤderſtraße, vom Kutſcher des Geh. Commerz. Commerz Commerz Rath Pauli, uͤbergefahren, und durch einen Schlag des Pferdes am Kopfe, jedoch nicht toͤdlich, beſchaͤdigt worden.
Die Polizeilichen Notizen, welche in den Abendblaͤttern erſcheinen, haben nicht bloß den Zweck, das Publikum zu unterhalten, und den natuͤrlichen Wunſch, von den Tagesbegebenheiten authentiſch unterrichtet zu werden, zu befriedigen. Der Zweck iſt zugleich, die oft ganz entſtellten Erzaͤhlungen uͤber an ſich gegruͤndete Thatſachen und Ereigniſſe zu berichtigen, beſonders aber das gutgeſinnte Publikum aufzufordern, ſeine Bemuͤhungen mit den Bemuͤhungen der Polizei zu vereinigen, um gefaͤhrlichen Verbrechern auf die Spur zu kommen, und beſorglichen Uebelthaten vorzubeugen. Wenn z. B. wie geſchehen iſt, bekannt gemacht wird, daß Brandbriefe und Brandmaterialien gefunden oder Verbrechen begangen worden, deren Urheber noch nicht entdeckt ſind, ſo kann dabei nicht die Abſicht ſein, Beſorgniſſe bei dem Publiko zu erwecken, indem es ſich auch ohne ausdruͤckliche Ermahnung von ſelbſt verſteht, daß von Seiten der Polizeibehoͤrde alle Maasregeln genommen werden, ſowohl das beabſichtigte Verbrechen zu verhuͤten, als den Urhebern auf die Spur zu kommen; ſondern blos das Stadtgeſpraͤch zu berichtigen, welches aus einem ſolchen Brandbrief deren hundert macht, und aͤngſtliche Gemuͤther ohne Noth mit Furcht und Schrecken erfuͤllt. Zugleich wird aber auch jeder redliche Einwohner darin eine Aufforderung finden, ſeine Wachſamkeit auf die Menſchen und Ereigniſſe um ihn her zu verdoppeln, und alles was zur Entdeckung des Verbrechers fuͤhren koͤnnte, dem naͤchſten Polizei⸗Offizianten auf das ſchleunigſte anzuzeigen, damit das Pol.⸗Praͤſidium ſogleich davon Nachricht erhalte, und ſeinen Maaßregeln zur Sicherung des Publici die Richtung geben koͤnne.