(Textwiedergabe nach Zolling:1885.)
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Wenn du etwas wiſſen willſt und es durch Meditation nicht finden kannſt, ſo rathe ich dir, mein lieber, ſinnreicher Freund, mit dem nächſten Bekannten, der dir aufſtößt, darüber zu ſprechen. Es braucht nicht eben ein ſcharfdenkender Kopf zu ſein, auch meine ich es nicht ſo, als ob du ihn darum befragen ſollteſt, nein! Vielmehr ſollſt du es ihm ſelber allererſtVon Kleist in K »eigenhändig zugefügt«. Vgl. ES:1904 IV, 392. erzählen. Ich ſehe dich zwar große Augen machen, und mir antworten, man habe dir in frühern Jahren den Rath gegeben, von nichts zu ſprechen, als nur von Dingen, die du bereits verſtehſt. Damals aber ſprachſt du wahrſcheinlich mit dem Vorwitz, Andere, ich will, daß du aus der verſtändigen Abſicht ſprecheſt, dich zu belehren, und ſo könnten, für verſchiedene Fälle verſchieden, beide Klugheitsregeln vielleicht gutVon Kleist verbessert aus ›recht gut‹. Vgl. ES:1904 IV, 392. neben einander beſtehen. Der Franzoſe ſagt, l'appétit vient en mangeant, und dieſer Erfahrungsſatz bleibt wahr, wenn man ihn parodirt und ſagt, l'idée vient en parlant. Oft ſitze ich an meinem Geſchäftstiſch über den Acten, und erforſche, in einer verwickelten Streitſache, den Geſichtspunkt, aus welchem ſie wohl zu beurtheilen ſein mögte. Ich pflege dann gewöhnlich in’s Licht zu ſehen, als in den hellſten Punct, bei dem Beſtreben, in welchem mein innerſtes WeſenDie Textänderung aus ›mein ganzes Weſen‹ beschreibt R. Steig wie folgt: »Zuerst: ›mein ganzes Wesen‹; dann eigenhändig ›ganzes‹ gestrichen und ›innerstes‹ überschrieben; schließlich ›innerstes‹ wieder gestrichen und abermals zugeschrieben.« Da der Apparat in ES:1904 in einer Antiqua gesetzt ist, wird das lange s aus K nicht übertragen. (ES:1904 IV, 392.) begriffen iſt, ſichAus ›mich‹ verbessert. Vgl. ES:1904 IV, 392. aufzuklären. Oder ich ſuche, wenn mir eine algebraiſche Aufgabe vorkommt, den erſten Anſatz, die Gleichung, die die gegebenen Verhältniſſe ausdrückt, und aus welcher ſich die Auflöſung nachher durch Rechnung leicht ergiebt. Und ſiehe da, wenn ich mit meiner Schweſter davon rede, welche hinter mir ſitzt, und arbeitet, ſo erfahre ich, was ich durch ein vielleicht ſtundenlanges Brüten nicht herausgebracht haben würde. Nicht, als ob ſie es mir, im eigentlichen Sinne ſagte; denn ſie kennt weder das Geſetzbuch, noch hat ſie den Euler, oder den Käſtner ſtudirt. Auch nicht, als ob ſie mich durch geſchickte Fragen auf den Punct hinführte, auf welchen es ankommt, wenn ſchon dies letzte häufig der Fall ſein mag. Aber weil ich doch irgend eine dunkle Vorſtellung habe, die mit dem, was ich ſuche, von fern her in einiger Verbindung ſteht, ſo prägt, wenn ich nur dreiſt damit den Anfang mache, das Gemüth, während die Rede fortſchreitet, in der Nothwendigkeit, dem Anfang nun auch — ein Ende zu finden, jene verworrene Vorſtellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergeſtalt, daß die Erkenntniß, zu meinem Erſtaunen, mit der Periode fertig iſt. Ich miſche unartikulirte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche auch wohl eine Appoſition, wo ſie nicht nöthig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunſtgriffe, zur Fabrikation meiner IdeeZunächst gestrichen, dann wieder hinzugefügt. Vgl. ES:1904 IV, 392f. auf der Werkſtätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen. Dabei iſt mir nichts heilſamer, als eine Bewegung meiner Schweſter, als ob ſie mich unterbrechen wollte; denn mein ohnehin ſchon angeſtrengtes Gemüth wird durch dieſen Verſuch von außen, ihm die Rede, in deren Beſitz es ſich befindet, zu entreißen, nur noch mehr erregt, und in ſeiner Fähigkeit, wie ein großer General, wenn die Umſtände drängen, noch um einen Grad höher geſpannt.Verbessert aus ›angeſpannt.‹ Vgl. ES:1904 IV, 393. In dieſem Sinne begreife ich, von welchem Nutzen Moliere ſeine Magd ſein konnte; denn wenn er derſelben,Verbessert aus ›ihr‹. Vgl. ES:1904 IV, 393. wie er vorgiebt, ein Urtheil zutraute, das das ſeinige berichten Die Ausgabe von Zolling übernimmt die von fremder Hand »mit Blei« in K eingefügte Textänderung von ›berichten‹ in ›berichtigen‹. Steig weist mit Recht darauf hin, dass die Änderung »unzulässig« sei, da ›berichten‹ hier im Sinne von »in Ordnung bringen« gebraucht werde. Vgl. ES:1904 IV, 248. Entsprechend wird hier emendiert in ›berichten‹. Vgl. Eintrag ›berichten‹ im Glossar. konnte, ſo iſt dies eine Beſcheidenheit, an deren Daſein in ſeiner Bruſt ich nicht glaube. Es liegt ein ſonderbarer Quell der Begeiſterung für denjenigen, der ſpricht, in einem menſchlichen Antlitz, das ihm gegenüberſteht; und ein Blick, der uns einen halb ausgedrückten Gedanken ſchon als begriffen ankündigt, ſchenkt uns oft den Ausdruck für die ganze andere Hälfte desſelben. Ich glaube, daß mancher große Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er ſagen würde. Aber die Überzeugung, daß er die ihm nöthige Gedankenfülle ſchon aus den Umſtänden, und der daraus reſultirenden Erregung ſeines Gemüths ſchöpfen würde, machte ihnIn K »ihm«. Vgl. ES:1904 IV, 393. dreiſt genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu ſetzen. Mir fällt jener „Donnerkeil“ des Mirabeau ein, mit welchem er den Ceremonienmeiſter abfertigte,der nach Aufhebung der letzten monarchiſchen Sitzung des Königs am 23. Juny, in welcher dieſer den Ständen auseinander zu gehen anbefohlen hatte, in den Sitzungsſaal, in welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und ſie befragte, ob ſie den Befehl des Königs vernommen hätten? „Ja,“ antwortete Mirabeau, „wir haben des Königs Befehl vernommen“ – ich bin gewiß, daß er bei dieſem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er ſchloß: „ja, mein Herr,“ wiederholte er, „wir haben ihn vernommen“ – man ſieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. „Doch was berechtigt Sie“ – fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorſtellungen auf – „uns hier Befehle anzudeuten? Wir ſind die Repräſentanten der Nation.“ – Das war es was er brauchte! „Die Nation giebt Befehle und empfängt keine“ – um ſich gleich auf den Gipfel der Vermeſſenheit zu ſchwingen. „Und damit ich mich Ihnen ganz deutlich erkläre“ – und erſt jetzo findet er, was den ganzen Widerſtand, zu welchem ſeine Seele gerüſtet daſteht, ausdrückt: „ſo ſagen Sie Ihrem Könige, daß wir unſre Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlaſſen werden.“ – Worauf er ſich, ſelbſt zufrieden, Sinnentstellende Änderung bei Zolling. In K steht getrennt ›ſelbſt zufrieden‹, was eine andere Bedeutung hat als ›ſelbſtzufrieden‹. Vgl. auch Steigs Erläuterung in ES:1904 IV, 393. auf einen Stuhl niederſetzte. – Wenn man an den Ceremonienmeiſter denkt, ſo kann man ſich ihn bei dieſem Auftritt nicht anders, als in einem völligen Geiſtesbankerott vorſtellen; nach einem ähnlichen Geſetz, nach welchem in einem Körper, der von dem electriſchen Zuſtand Null iſt, wenn er in eines electriſirten Körpers Atmoſphäre kommt, plötzlich die entgegengeſetzte Electricität erweckt wird. Und wie in dem electriſirten dadurch, nach einer Wechſelwirkung, der ihm inwohnende Electricitäts⸗Grad wieder verſtärkt wird, ſo gieng unſeres Redners Muth, bei der Vernichtung ſeines Gegners zur verwegenſten Begeiſterung über. Vielleicht, daß es auf dieſe Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manſchette, was in Frankreich den Umſturz der Ordnung der Dinge bewirkte. Man lieſt, daß Mirabeau, ſobald der Ceremonienmeiſter ſich entfernt hatte, aufſtand, und vorſchlug : 1) ſich ſogleich als Nationalverſammlung, und 2) als unverletzlich, zu conſtituiren. Denn dadurch, daß er ſich, einer Kleiſtiſchen Flaſche gleich, entladen hatte, war er nun wieder neutral geworden, und gab, von der Verwegenheit zurückgekehrt, plötzlich der Furcht vor dem Chatelet, und der Vorſicht, Raum. – Dies iſt eine merkwürdige Übereinſtimmung zwiſchen den Erſcheinungen der phyſiſchen und moraliſchen Welt, welche ſich, wenn man ſie verfolgen wollte, auch noch in den Nebenumſtänden bewähren würde. Doch ich verlaſſe mein Gleichniß, und kehre zur Sache zurück. Auch Lafontaine giebt, in ſeiner Fabel: les animaux malades de la peste, wo der Fuchs dem Löwen eine Apologie zu halten gezwungen iſt, ohne zu wiſſen, wo er den Stoff dazu hernehmen ſoll, ein merkwürdiges Beiſpiel von einer allmähligen Verfertigung des Gedankens aus einem in der Noth hingeſetzten Anfang. Man kennt dieſe Fabel. Die Peſt herrſcht im Thierreich, der Löwe verſammelt die Großen desſelben, und eröffnet ihnen, daß dem Himmel, wenn er beſänftigt werden ſolle, ein Opfer fallen müſſe. Viele Sünder ſeien im Volke, der Tod des Größeſten müſſe die übrigen vom Untergange retten. Sie möchten ihm daher ihre Vergehungen aufrichtig bekennen. Er, für ſein Theil geſtehe, daß er, im Drange des Hungers, manchem Schafe den Garaus gemacht; auch dem Hunde, wenn er ihm zu nahe gekommen; ja, es ſei ihm in leckerhaften Augenblicken zugeſtoßen, daß er den Schäfer gefreſſen. Wenn niemand ſich größerer Schwachheiten ſchuldig gemacht habe, ſo ſei er bereit zu ſterben. „Sire,“ ſagt der Fuchs, der das Ungewitter von ſich ableiten will, „Sie ſind zu großmüthig. Ihr edler Eifer führt Sie zu weit. Was iſt es, ein Schaaf erwürgen? Oder einen Hund, dieſe nichtswürdige Beſtie? Und: quant au berger,“ fährt er fort, denn dies iſt der Hauptpunct: „on peut dire;“ obſchon er noch nicht weiß was? „qu'il méritoit tout mal;“ auf gut Glück; und ſomit iſt er verwickelt; „étant“; eine ſchlechte Phraſe, die ihm aber Zeit verſchaft: „de ces gens là,“ und nun erſt findet er den Gedanken, der ihn aus der Noth reißt: „qui sur les animaux se font un chimérique empire.“ Und jetzt beweiſt er, daß der Eſel, der blutdürſtige! (der alle Kräuter auffrißt) das zweckmäßigſte Opfer ſei, worauf Alle über ihn herfallen, und ihn zerreißen. — Ein ſolches Reden iſt ein wahrhaftes lautes Denken. Die Reihen der Vorſtellungen und ihrer Bezeichnungen gehen neben einander fort, und die Gemüthsacten für Eins und das Andere, congruiren. Die Sprache iſt alsdann keine Feſſel, etwa wie ein Hemmſchuh an dem Rade des Geiſtes, ſondern wie ein zweites, mit ihm parallel fortlaufendes, Rad an ſeiner Axe. Etwas ganz Anderes iſt es wenn der Geiſt ſchon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig iſt. Denn dann muß er bei ſeiner bloßen Ausdrückung Zurückbleiben, und dies Geſchäft, weit entfernt ihn zu erregen, hat vielmehr keine andere Wirkung, als ihn von ſeiner Erregung abzuſpannen. Wenn daher eine Vorſtellung verworren ausgedrückt wird, ſo folgt der Schluß noch gar nicht, daß ſie auch verworren gedacht worden ſei: vielmehr könnte es leicht ſein, daß die verworrenſt ausgedrückten grade am deutlichſten gedacht werden. Man ſieht oft in einer Geſellſchaft, wo durch ein lebhaftes Geſpräch, eine continuirliche Befruchtung der Gemüther mit Ideen im Werke iſt, Leute, die ſich, weil ſie ſich der Sprache nicht mächtig fühlen, ſonſt in der Regel zurückgezogen halten, plötzlich mit einer zuckenden Bewegung, aufflammen, die Sprache an ſich reißen und etwas Unverſtändliches zur Welt bringen. Ja, ſie ſcheinen, wenn ſie nun die Aufmerkſamkeit Aller auf ſich gezogen haben, durch ein verlegenes Gebährdenſpiel anzudeuten, daß ſie ſelbſt nicht mehr recht wiſſen, was ſie haben ſagen wollen. Es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Leute etwas recht Treffendes, und ſehr deutlich,In K geändert aus ›Deutliches‹. Vgl. ES:1904 IV, 393. gedacht haben. Aber der plötzliche Geſchäftswechſel, der Übergang ihres Geiſtes vom Denken zum Ausdrücken, ſchlug die ganze Erregung desſelben, die zur Feſthaltung des Gedankens nothwendig, wie zum Hervorbringen, erforderlich war, wieder nieder. In ſolchen Fällen iſt es um ſo unerläßlicher, daß uns die Sprache mit Leichtigkeit zur Hand ſei, um dasjenige, was wir gleichzeitig gedacht haben, und doch nicht gleichzeitig von uns geben können, wenigſtens ſo ſchnell, als möglich, auf einander folgen zu laſſen. Und überhaupt wird jeder, der, bei gleicher Deutlichkeit, geſchwinder als ſein Gegner ſpricht, einen Vortheil über ihn haben, weil er gleichſam mehr Truppen als er ins Feld führt. Wie nothwendig eine gewiſſe Erregung des Gemüths iſt, auch ſelbſt nur, um Vorſtellungen, die wir ſchon gehabt haben, wieder zu erzeugen,Geändert aus ›zu regeneriren‹. Vgl. ES:1904 IV, 393. ſieht man oft, wenn offene, und unterrichtete Köpfe examinirt werden, und man ihnen ohne vorhergegangene Einleitung, Fragen vorlegt, wie dieſe: was iſt der Staat? Oder: was iſt das Eigenthum? Oder dergleichen. Wenn dieſe jungen Leute ſich in einer Geſellſchaft befunden hätten, wo man ſich vom Staat, oder vom Eigenthum, ſchon eine Zeitlang unterhalten hätte, ſo würden ſie vielleicht mit Leichtigkeit durch Vergleichung Abſonderung, und Zuſammenfaſſung der Begriffe, die Definition gefunden haben. Hier aber, wo dieſe Vorbereitung des Gemüths gänzlich fehlt, ſieht man ſie ſtocken, und nur ein unverſtändiger Examinator wird daraus ſchließen daß ſie nicht wiſſen. Denn nicht wir wiſſen, es iſt allererſt ein gewiſſer Zuſtand unſrer, welcher weiß. Nur ganz gemeine Geiſter, Leute, die, was der Staat ſei, geſtern auswendig gelernt, und morgen ſchon wieder vergeſſen haben, werden hier mit der Antwort bei der Hand ſein. Vielleicht giebt esAb hier hat Kleist den Schlussabschnitt neu geschrieben. Hierzu R. Steig: »Ursprünglich schloß der Aufsatz: ›Vielleicht giebt es überhaupt keine schlechtere Gelegenheit, sich von einer vortheilhaften Seite zu zeigen, als grade ein öffentliches Musterung passiren, und sie mögen oft ihren Gott danken, wenn sie selbst aus dem Exame[n] gehen können, ohne sich Blößen, schmachvoller vielleicht, als der Jüngling gegeben zu haben, den sie examinierten. (Die Fortsetzung folgt.)‹ Kleist hat dann versucht, dies Stück zurechtzustutzen, nach vergeblicher Mühe es jedoch mehrfach durchgestrichen, und nun das ganze Schlußstück neu hinzugeschrieben.« (ES:1904 IV, 393.) überhaupt keine ſchlechtere Gelegenheit, ſich von einer vortheilhaften Seite zu zeigen, als grade ein öffentliches Examen. Abgerechnet, daß es ſchon widerwärtig und das Zartgefühl verletzend iſt, und daß es reizt, ſich ſtetig zu zeigen, wenn ſolch ein gelehrter Roßkamm uns nach den Kenntniſſen ſieht, um uns, je nachdem es fünf oder ſechs ſind, zu kaufen oder wieder abtreten zu laſſen: es iſt ſo ſchwer, auf ein menſchliches Gemüth zu ſpielen und ihm ſeinen eigenthümlichen Laut abzulocken, es verſtimmt ſich ſo leicht unter ungeſchickten Händen, daß ſelbſt der geübteſte Menſchenkenner, der in der Hebeammenkunſt der Gedanken, wie Kant ſie nennt, auf das Meiſterhafteſte bewandert wäre, hier noch, wegen der Unbekanntſchaft mit ſeinem Sechswöchner, Misgriffe thun könnte. Was übrigens ſolchen jungen Leuten, auch ſelbſt den unwiſſendſten noch, in den meiſten Fällen ein gutes Zeugniß verſchafft, iſt der Umſtand, daß die Gemüther der Examinatoren, wenn die Prüfung öffentlich geſchieht, ſelbſt zu ſehr befangen ſind, um ein freies Urtheil fällen zu können. Denn nicht nur fühlen ſie häufig die Unanſtändigkeit dieſes ganzen Verfahrens: man würde ſich ſchon ſchämen, von jemandem, daß er ſeine Geldbörſe vor uns ausſchütte, zu fordern, viel weniger, ſeine Seele: ſondern ihr eigener Verſtand muß hier eine gefährliche MuſterungGeändert aus ›Prüfung‹. Vgl. ES:1904 IV, 393. paſſiren, und ſie mögen oft ihrem Gott danken, wenn ſie ſelbſt aus dem Examen gehen können, ohne ſich Blößen, ſchmachvoller vielleicht, als der, eben von der Univerſität kommende, Jüngling gegeben zu haben, den ſie examinirten.
(Die Fortſetzung folgt.)Th. Zolling vermerkt in einer Fußnote: »Hier bricht die Hs. ab mit der Bemerkung: ›Die Fortsetzung folgt‹ und der Unterschrift: H.v.K.« (Zolling:1885 IV, 288)
H. v. K.
Quellenangabe für Zitat:
https://kleist-digital.de/sonstige-prosa/allmaehlige_verfertigung [ + Angabe von Zeile / Vers oder Seite ], 02.11.2024
86Gewalt der BajonetteSchon R. Steig hat auf die ›Collection complète des travaux de M. Mirabeau‹, erschienen 1791, als Kleists mögliche Quelle hingewiesen (ES:1904 IV, 248). Die entsprechende Stelle findet sich in Band 1, S. 257f., Steig gibt fälschlicherweise Seite 256 an. Sie lautet im Original: »Nous avons entendu les intentions qu’on a suggérées au roi, et vous qui ne sauriez être son organe auprès de l’assemblée nationale, vous qui n’avez ici, ni place, ni voix, ni droit de parler, vous n’êtes pas fait pour nous rappeller son discours: allez dire à votre maȋtre que nous sommes ici par la puissance du peuple, et qu’on ne nous en arrachera que par la puissance des bayonnettes.« Vgl. ›Collection complète des travaux‹ als Google-Book.
106Chatelet,Berüchtigtes Gefängnis in Paris und bis 1790 Sitz des königlichen Gerichtshofs. Es wurde 1802 auf Befehl Napoleons abgerissen. (Vgl. Wikipedia-Artikel)
Textwiedergabe nach: [D]
Zugrunde gelegtes Exemplar: aus Privatbesitz.
Kleists Handschrift ist unbekannt. Den überlieferten Textausgaben lag eine Abschrift (K) zugrunde, die von Kleist eigenhändig korrigiert worden ist. Die Schreiberkopie ist im 2. Weltkrieg verschollen.
Diese Ausgabe basiert auf der Ausgabe von Theophil Zolling (vgl. Zolling:1885 IV, S. 282–288). In die Textkonstitution sind eingegangen die Mitteilungen über Kleists Korrekturen in K, soweit sie von Reinhold Steig, der die ›Kleinere[n] Schriften‹ in Band IV der Ausgabe von Erich Schmidt herausgegeben hat, mitgeteilt worden sind (vgl. ES:1904 IV, 392f.) Diese Lesarten sind im Apparat einzeln vermerkt.
Die Fassung Steigs in ES:1904 selbst zur Grundlage dieser Edition zu machen, scheidet aus, da die ›Kleinere[n] Schriften‹ in dieser Ausgabe nach den Regeln der Rechtschreibreform von 1902 gesetzt wurden. Damit ist diese Fassung im Gegensatz zu der Zollings sehr weit entfernt von der Orthographie Kleists. (Als Beispiele seien genannt: rate statt rathe, andere statt Andere, parodiert statt parodirt, Punkt statt Punct, Erkenntnis statt Erkenntniß, vorgibt statt vorgiebt etc.)
Editorische Anmerkungen