Die Familie Schroffenstein. Ein Trauerspiel.
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FAMILIE
SCHROFFENSTEIN.
BEI Heinrich Gessner.
1803
PERSONEN.
Hause Rossitz. Eustache, seine Gemahlinn. Ottokar, ihr Sohn. Johann, Ruperts natürlicher Sohn. Sylvius, Graf von Schroffenstein, aus
dem Hause Warwand. Sylvester, sein Sohn, regierender Graf. Gertrude, Sylvesters Gemahlinn, Stiefschwester der Eustache. Agnes, ihre Tochter. Jeronimus von Schroffenstein, aus dem
Hause Wyk.
Das Stück spielt in Schwaben.
ERSTER AUFZUG.
ERSTE SCENE.
(Rossitz. Das Innere einer Capelle.Es steht ein Sarg in der Mitte, um ihn herum Rupert, Eustache, Ottokar, Jeronimus, Ritter, Geistliche, das Hofgesinde,
und ein Chor von Jünglingen und Mädchen.
Die Messe ist so eben beendigt.) Chor der Mädchen (mit Musik). Niedersteigen,/ Glanz umstrahlet,/ Himmelshöhen zur Erd’ herab/ 4 Sah ein Frühling/ Einen Engel./ Nieder trat ihn ein frecher Fuſs./ Chor der Jünglinge. Dessen Thron die weiten Räume decken,/ Dessen Reich die Sterne Grenzen stecken,/ Dessen Willen wollen wir vollstrecken,/ Rache! Rache! Rache! schwören wir./ 10 Chor der Mädchen. Aus dem Staube/ Aufwärts blickt’ er/ Milde zürnend den Frechen an;/ Bat, ein Kindlein,/ Bat um Liebe./ Mörders Stahl gab die Antwort ihm./ Chor der Jünglinge (wie oben). Chor der Mädchen. Nun im Sarge,/ Ausgelitten,/ Faltet blutige Händlein er,/ 5 Gnade betend/ 20 Seinem Feinde./ Trotzig stehet der Feind und schweigt./ Chor der Jünglinge (wie oben). (Während die Musik zu Ende geht, nähert
sich die Familie und ihr Gefolge dem Altar.) Rupert. Ich schwöre Rache! Rache! auf die Hostie,/ Dem Haus’ Sylvesters, Grafen Schroffenstein./ (er empfängt das Abendmahl) Die Reihe ist an Dir, mein Sohn. Ottokar. Mein Herz/ Trägt wie mit Schwingen Deinen Fluch zu Gott,/ Ich schwöre Rache, so wie Du. Rupert. Den Namen,/ Mein Sohn, den Namen nenne. Ottokar. Rache schwör’ ich,/ Sylvestern Schroffenstein! 6 Rupert. Nein irre nicht./ Ein Fluch, wie unsrer, kömmt vor Gottes Ohr/ 30 Und jedes Wort bewaffnet er mit Blitzen./ Drum wäge sie gewissenhaft. — Sprich nicht/ Sylvester, sprich sein ganzes Haus, so hast/ Du’s sichrer. Ottokar. Rache! schwör’ ich, Rache!/ Dem Mörderhaus’ Sylvesters. (Er empfängt das Abendmahl.) Rupert. Eustache,/ Die Reihe ist an Dir. Eustache. Verschone mich,/ Ich bin ein Weib — Rupert. Und Mutter auch des Todten./ Eustache. O Gott! Wie soll ein Weib sich rächen? 7 Rupert. In/ Gedanken. Würge Sie betend. (Sie empfängt das Abendmahl.) (Rupert führt Eustache in den Vordergrund. Alle folgen.) Rupert. Ich weiſs, Eustache, Männer sind die Rächer — / 40 Ihr seid die Klageweiber der Natur./ Doch nichts mehr von Natur./ Ein hold ergötzend Mährchen ist’s der Kindheit,/ Der Menschheit von den Dichtern, ihren Ammen,/ Erzählt. Vertrauen, Unschuld, Treue, Liebe,/ Religion, der Götter Furcht sind wie/ Die Thiere, welche reden. — Selbst das Band,/ Das heilige, der [liest ›dcr‹ und emendiert in ›der‹] Blutsverwandschaft riſs,/ Und Vettern, Kinder eines Vaters, zielen,/ Mit Dolchen zielen sie auf ihre Brüste./ 50 Ja sieh, die letzte Menschenregung für/ Das Wesen in der Wiege ist erloschen./ 8 Man spricht von Wölfen, welche Kinder säugten,/ Von Löwen, die das Einzige der Mutter/ Verschonten. — Ich erwarte, daſs ein Bär/ An Oheims Stelle tritt für Ottokar./ Und weil doch Alles sich gewandelt, Menschen/ Mit Thieren die Natur gewechselt, wechsle/ Denn auch das Weib die ihrige — verdränge/ Das Kleinod Liebe, das nicht üblich ist,/ 60 Aus ihrem Herzen, um die Folie,/ Den Haſs, hineinzusetzen. Wir/ Indessen thun’s in unsrer Art. Ich biete/ Euch, meine Lehensmänner, auf, mir schnell/ Von Mann und Weib und Kind, und was nur irgend/ Sein Leben lieb hat, eine Schaar zu bilden./ Denn nicht ein ehrlich offner Krieg, ich denke,/ Nur eine Jagd wird’s werden, wie nach Schlangen./ Wir wollen bloſs das Felsenloch verkeilen,/ Mit Dampfe sie in ihrem Nest ersticken,/ 70 — Die Leichen liegen lassen, daſs von fernher/ 9 Gestank die Gattung schreckt, und keine wieder/ In einem Erdenalter dort ein Ey legt./ Eustache. O Rupert, mäſs’ge Dich! Es hat der frech/ Beleidigte den Nachtheil, daſs die That/ Ihm die Besinnung [liest ›Besinnung‹] selbst der Rache raubt,/ Und daſs in seiner eignen Brust ein Freund/ Des Feindes aufsteht wider ihn, die Wuth —/ Wenn Dir ein Garn Sylvester stellt, Du läufst/ In Deiner Wunde blindem Schmerzgefühl/ 80 Hinein. — Könnt’st Du nicht prüfen mindestens/ Vorher, aufschieben noch die Fehde. — Ich/ Will nicht den Arm der Rache binden, leiten/ Nur will ich ihn, daſs er so sichrer treffe./ Rupert. So, meinst Du soll ich warten, Peter’s Tod/ Nicht rächen, bis ich Ottokar’s, bis ich/ Auch Deinen noch zu rächen hab’ — Aldöbern!/ Geh hin nach Warwand, künd’ge ihm den Frieden auf./ — Doch sag’s ihm nicht so sanft, wie ich, hörst Du? Du / 10 Nicht mit so dürren Worten — Sag’ daſs ich/ 90 Gesonnen sei, an seines Schlosses Stelle/ Ein Hochgericht zu bauen. — Nein, ich bitte,/ Du muſst so matt nicht reden — Sag’ ich dürste/ Nach sein und seines Kindes Blute, hörst Du?/ Und seines Kindes Blute./ (Er bedeckt sich das Gesicht; ab, mit
Gefolge, ausser Ottokar und Jeronimus.) Jeronimus. Ein Wort, Graf Ottokar. Ottokar. Bist Du’s, Jerome?/ Willkommen! Wie Du siehst, sind wir geschäftig,/ Und kaum wird mir die Zeit noch bleiben, mir/ Die Rüstung anzupassen. — Nun, was giebt’s?/ Jeronimus. Ich komm’ aus Warwand. 11 Ottokar. So? Aus Warwand? Nun?/ 100 Jeronimus. Bei meinem Eid, ich nehme ihre Sache./ Ottokar. Sylvesters? Du? Jeronimus. Denn nie ward eine Fehde/ So tollkühn rasch, so frevelhaft leichtsinnig/ Beschlossen, als die Eur’. Ottokar. Erkläre Dich./ Jeronimus. Ich denke, das Erklären ist an Dir./ Ich habe hier in diesen Bänken wie/ Ein Narr gestanden,/ Dem ein Schwarzkünstler Faxen vormacht. Ottokar. Wie?/ Du wüſstest nichts? 12 Jeronimus. Du hörst ich sage Dir,/ Ich komm aus Warwand, wo Sylvester, den/ 110 Ihr einen Kindermörder scheltet,/ Die Mücken klatscht, die um sein Mädchen summen./ Ottokar. Ja so, das war es. — Allerdings, man weiſs,/ Du giltst dem Hause viel, sie haben Dich/ Stets ihren Freund genannt, so solltest Du/ Wohl unterrichtet seyn von ihren Wegen./ Man spricht, Du freitest um die Tochter — Nun,/ Ich sah sie nie, doch des Gerüchtes Stimme/ Rühmt ihre Schönheit! Wohl. So ist der Preis/ Es werth. — Jeronimus. Wie meinst Du das? Ottokar. Ich meine, weil —/ 120 Jeronimus. Laſs gut seyn, kann es selbst mir übersetzen./ 13 Du meinest, weil ein seltner Fisch sich zeigt/ Der doch zum Unglück blos vom Aas sich nährt,/ So schlüg ich meine Ritterehre todt,/ Und hieng’ die Leich’ an meiner Lüste Angel/ Als Köder auf — Ottokar. Ja, grad’ heraus, Jerome!/ Es gab uns Gott das seltne Glück, daſs wir/ Der Feinde Schaar leichtfaſslich, unzweideutig,/ Wie eine runde Zahl erkennen. Warwand,/ In diesem Worte liegt’s, wie Gift in einer Büchse;/ 130 Und weils jetzt drängt, und eben nicht die Zeit,/ Zu mäckeln, ein zweideutig Körnchen Saft/ Mit Müh heraus zu klauben, nun so machen/ Wir’s kurz, und sagen, Du [ändert in ›sagen: du‹] gehörst zu Warwand./ Jeronimus. Bei meinem Eid, da habt Ihr Recht. Niemals/ War eine Wahl mir zwischen Euch und ihnen;/ 14 Doch muſs ich mich entscheiden, auf der Stelle/ Thu’ ich’s, wenn so die Sachen stehn. Ja sieh,/ Ich spreng’ auf alle Schlösser im Gebirg’,/ Empöre jedes Herz, bewaffne, wo/ 140 Ich’s finde, das Gefühl des Rechts, den frech/ Verläumdeten zu rächen. Ottokar. Das Gefühl/ Des Rechts! O Du Falschmünzer der Gefühle!/ Nicht Einen wird ihr blanker Schein betrügen;/ Am Klange werden sie es hören, an/ Die Thür’ zur Warnung Deine Worte nageln. — / Das Rechtgefühl! [ändert in ›Rechtgefühl! —‹] Als ob’s ein andres noch/ In einer andern Brust, als dieses, gäbe!/ Denkst Du, daſs ich, wenn ich ihn schuldlos glaubte,/ Nicht selbst dem eignen Vater gegenüber/ 150 Auf seine Seite treten würde? Nun,/ Du Thor, wie könnt’ ich denn dies Schwerdt, dies gestern/ Empfang’ne, dies der Rache auf sein Haupt/ Geweihte, so mit Wollust tragen? — Doch/ 15 Nichts mehr davon, das kannst Du nicht verstehn./ Zum Schlusse — wir, Wir hätten, denk’ ich, nun/ Einander wohl nichts mehr zu sagen? Jeronimus. — Nein./ Ottokar. Leb wohl!/ Jeronimus. Ottokar!/ Was meinst Du? Sieh, Du schlägst mir ins Gesicht,/ 160 Und ich, ich bitte Dich mit mir zu reden —/ Was meinst Du, bin ich nicht ein Schurke? Ottokar. Willst/ Du’s wissen, stell’ Dich nur an diesen Sarg./ (Ottokar ab. Jeronimus kämpft mit
sich, will ihm nach, erblickt dann den
Kirchenvogt.) 16 Jeronimus. He, Alter! Kirchenvogt. Herr! Jeronimus. Du kennst mich? Kirchenvogt. Warst Du schon/ In dieser Kirche? Jeronimus. Nein. Kirchenvogt. Ei, Herr, wie kann/ Ein Kirchenvogt die Namen Aller kennen,/ Die auſserhalb der Kirche? Jeronimus. Du hast Recht. / Ich bin auf Reisen, hab’ hier angesprochen,/ Und finde Alles voller Leid und Trauer./ Unglaublich dünkt’s mich, was die Leute reden,/ 170 Es hab’ der Oheim dieses Kind erschlagen./ 17 Du bist ein Mann doch, den man zu dem Pöbel/ Nicht zählt, und der wohl hie und da ein Wort/ Von höhrer Hand erhorchen mag. Nun, wenn’s/ Beliebt, so theil’ mir, was Du wissen magst,/ Fein ordentlich und nach der Reihe mit./ Kirchenvogt. Seht, Herr, das thu ich gern. Seit alten Zeiten/ Giebt’s zwischen unsern beiden Grafenhäusern,/ Von Rossitz und von Warwand einen Erbvertrag,/ Kraft dessen nach dem gänzlichen Aussterben/ 180 Des einen Stamms, der gänzliche Besitzthum/ Desselben an den andern fallen sollte./ Jeronimus. Zur Sache, Alter! das gehört zur Sache nicht./ Kirchenvogt. Ei, Herr, der Erbvertrag gehört zur Sache./ Denn das ist just als sagtest Du, der Apfel/ Gehöre nicht zum Sündenfall. 18 Jeronimus. Nun denn,/ So sprich. Kirchenvogt. Ich sprech! Als unser jetz’ger Herr/ An die Regierung treten sollte, ward/ Er plötzlich krank. Er lag zwei Tage lang/ In Ohnmacht; Alles hielt ihn schon für todt,/ 190 Und Graf Sylvester grif als Erbe schon/ Zur Hinterlassenschaft, als wiederum/ Der gute Herr lebendig ward. Nun hätt’/ Der Tod in Warwand keine gröſsre Trauer/ Erwecken können, als die böse Nachricht./ Jeronimus. Wer hat dir das gesagt? Kirchenvogt. Herr, zwanzig Jahre sinds,/ Kann’s nicht beschwören mehr. Jeronimus. Sprich weiter. 19 Kirchenvogt. Herr,/ Ich spreche weiter. Seit der Zeit hat der/ Sylvester stets nach unsrer Grafschaft her/ Geschielt, wie eine Katze nach dem Knochen,/ 200 An dem der Hund nagt. Jeronimus. That er das! Kirchenvogt. So oft/ Ein Junker unserm Herrn gebohren ward,/ Soll er, spricht man, erblaſst seyn. Jeronimus. Wirklich? Kirchenvogt. Nun,/ Weil alles Warten und Gedulden doch/ Vergebens war, und die zwei Knaben wie/ Die Pappeln blühten, nahm er kurz die Axt,/ Und fällte vor der Hand den Einen hier,/ Den jüngsten, von neun Jahren, der im Sarg’./ 20 Jeronimus. Nun das erzähl’, wie ist das zugegangen?/ Kirchenvogt. Herr, ich erzähl’s dir ja. Denk dir, du seyst/ 210 Graf Rupert, unser Herr, und giengst an einem Abend/ Spatzieren, weit von Rossitz, ins Gebirg’;/ Nun denke dir, du fändest plötzlich dort/ Dein Kind, erschlagen, neben ihm zwei Männer/ Mit blutgen Messern, Männer, sag’ ich Dir/ Aus Warwand. Wüthend zögst du drauf das Schwerdt/ Und machtst sie beide nieder. Jeronimus. That Rupert das?/ Kirchenvogt. Der Eine, Herr, blieb noch am Leben, und/ Der hat’s gestanden. Jeronimus. Gestanden?/ 21 Kirchenvogt. Ja, Herr, er hat’s rein h’raus gestanden. Jeronimus. Was/ 220 Hat er gestanden? Kirchenvogt. Daſs sein Herr Sylvester/ Zum Morde ihn gedungen und bezahlt./ Jeronimus. Hast du’s gehört? Aus seinem Munde? Kirchenvogt. Herr,/ Ich hab’s gehört aus seinem Munde, und die ganze/ Gemeinde. Jeronimus. Höllisch ist’s! — Erzähl’s genau./ Sprich, wie gestand er’s? Kirchenvogt. Auf der Folter. 22 Jeronimus. Auf/ Der Folter? Sag mir seine Worte. Kirchenvogt. Herr, / Die hab ich nicht genau gehöret, auſser Eins./ Denn ein Getümmel war auf unserm Markte,/ Wo er gefoltert ward, daſs man sein Brüllen/ 230 Kaum hören konnte. Jeronimus. Auſser Eins, sprachst Du;/ Nenn mir das Eine Wort, das du gehört./ Kirchenvogt. Das Eine Wort, Herr, war: Sylvester./ Jeronimus. Sylvester! — — Nun, und was war’s weiter?/ Kirchenvogt. Herr, weiter war es nichts. Denn bald darauf,/ Als er’s gestanden hatt’, verblich er. 23 Jeronimus. So?/ Und weiter weiſst Du nichts? Kirchenvogt. Herr, nichts. Jeronimus (bleibt in Gedanken stehn.) Ein Diener (tritt auf.) War nicht/ Graf Rupert hier? Jeronimus. Suchst du ihn? Ich geh’ mit Dir. (Alle ab.)/ (Ottokar und Johann treten von der
andern Seite auf.) Ottokar. Wie kamst Du denn zu diesem Schleier? Er/ Ist’s, ist’s wahrhaftig — Sprich — Und so in Thränen?/ 240 Warum denn so in Thränen? So erhitzt?/ Hat Dich die Mutter Gottes so begeistert,/ Vor der Du knietest? 24 Johann. Gnäd’ger Herr — als ich/ Vorbeigieng an dem Bilde, riſs es mich/ Gewaltsam zu sich nieder. — Ottokar. Und der Schleier?/ Wie kamst Du denn zu diesem Schleier, sprich?/ Johann. Ich sag’ Dir ja, ich fand ihn. Ottokar. Wo? Johann. Im Thale/ Zum heil’gen Kreuz. Ottokar. Und kennst nicht die Person,/ Die ihn verloren? Johann. — Nein. 25 Ottokar. Gut. Es thut nichts./ Ist einerlei — Und [ändert in ›einerlei. — Und‹] weil er Dir nichts nützet,/ 250 Nimm diesen Ring, und laſs den Schleier mir./ Johann. Den Schleier — ? Gnäd’ger Herr, was denkst Du? Soll/ Ich das Gefundene an Dich verhandeln?/ Ottokar. Nun, wie Du willst. Ich war Dir immer gut,/ Und will’s Dir schon so lohnen, wie Du’s wünschest./ (Er küſst ihn, und will gehen.) Johann. Mein beſster Herr — O nicht — o nimm mir Alles,/ Mein Leben, wenn Du willst. — Ottokar. Du bist ja seltsam./ Johann. Du nähmst das Leben mir mit diesem Schleier./ 26 Denn einer heiligen Reliquie gleich/ Bewahrt er mir das Angedenken an/ 260 Den Augenblick, wo seegensreich, heilbringend,/ Ein Gott in’s Leben mich, in’s ew’ge führte./ Ottokar. Wahrhaftig? — Also fandst Du ihn wohl nicht?/ Er ward Dir wohl geschenkt? Ward er? Nun sprich./ Johann. Fünf Wochen sind’s — nein, morgen sind’s fünf Wochen/ Als sein gesammt beritt’nes Jagdgefolge/ Dein Vater in die Forsten führte. Gleich/ Vom Platz, wie ein gekrümmtes Fischbein, flog/ Das ganze Roſsgewimmel ab ins Feld./ Mein Pferd, ein ungebändigt türkisches, [emendiert in ›tückisches,‹] / 270 Von Hörnerklang, und Peitschenschall, und Hund- / Geklaff’ verwildert, eilt ein Eilendes/ Vorüber nach dem andern, streckt das Haupt/ Vor Deines Vaters Roſs schon an der Spitze —/ 27 Gewaltig drück’ ich in die Zügel; doch, / Als hätt’s ein Sporn getroffen, nun erst greift/ Es aus, und aus dem Zuge, wie der Pfeil/ Aus seinem Bogen, fliegt’s dahin — Rechts um/ In einer Wildbahn reiſs’ ich es, bergan;/ Und weil ich meinen Blicken auf dem Fuſs/ 280 Muſs folgen, eh’ ich, was ich sehe, wahr/ Kann nehmen, stürz’ ich, Roſs und Reiter, schon/ Hinab in einen Strom. — Ottokar. Nun, Gott sei Dank,/ Daſs ich auf trocknem Land Dich vor mir sehe./ Wer rettete Dich denn? Johann. Wer, fragst Du? Ach,/ Daſs ich mit einem Wort’ es nennen soll!/ — Ich kann’s Dir nicht so sagen, wie ich’s meine,/ Es war ein nackend Mädchen./ 28 Ottokar. Wie? Nackend? Johann. Strahlenrein, wie eine Göttinn/ Hervorgeht aus dem Bade. Zwar ich sah/ 290 Sie fliehend nur in ihrer Schöne — Denn/ Als mir das Licht der Augen wiederkehrte,/ Verhüllte sie sich. — Ottokar. Nun? Johann. Ach, doch ein Engel/ Schien sie, als sie verhüllt nun zu mir trat;/ Denn das Geschäft der Engel that sie, hob/ Zuerst mich Hingesunknen — lös’te dann/ Von Haupt und Nacken schnell den Schleier, mir/ Das Blut, das strömende, zu stillen. Ottokar. O [emendiert nicht in ›O‹] [emendiert nicht in ›O‹] / Du Glücklicher! Johann. Still saſs ich, rührte nicht ein Glied,/ Wie eine Taub in Kindeshand. 29 Ottokar. Und sprach sie nicht?/ 300 Johann. Mit Tönen wie aus Glocken — fragte, stets/ Geschäftig, wer ich sei? woher ich komme?/ — Erschrack dann lebhaft, als sie hört’, ich sei/ Aus Rossitz. Ottokar. Wie? Warum denn das? Johann. Gott weiſs./ Doch hastig fördernd das Geschäft, lieſs sie/ Den Schleier mir, und schwand. Ottokar. Und sagte sie/ Dir ihren Namen nicht? Johann. Dazu war sie/ Durch Bitten nicht, nicht durch Beschwören zu/ Bewegen. Ottokar. Nein, das thut sie nicht. 30 Johann. Wie? kennst/ Du sie? Ottokar. Ob ich sie kenne? Glaubst Du Thor,/ 310 Die Sonne scheine Dir allein? Johann. Wie meinst/ Du das — ? Und kennst auch ihren Namen? Ottokar. Nein,/ Beruh’ge Dich. Den sagt sie mir so wenig/ Wie Dir, und droht mit ihrem Zorne, wenn/ Wir unbescheiden ihn erforschen sollten./ Drum laſs uns thun, wie sie es will. Es sollen/ Geheimnisse der Engel Menschen nicht/ Ergründen. Laſs — ja laſs uns lieber, wie/ Wir es mit Engeln thun, sie taufen. Möge/ Die Aehnliche der Mutter Gottes auch/ 320 Maria heiſsen — uns nur, Du verstehst;/ Und nennst Du im Gespräch mir diesen Namen/ So weiſs ich wen Du meinst. Ich habe lange/ 31 Mir einen solchen Freund gewünscht. Es sind/ So wenig Seelen in dem Hause, die/ Wie Deine, zartbesaitet,/ Vom Athem tönen./ Und weil uns nun der Schwur der Rache fort/ In’s wilde Kriegsgetümmel treibt, so laſs/ Uns brüderlich zusammen halten; kämpfe/ 330 Du stets an meiner Seite. Johann. — Gegen wen?/ Ottokar. Das fragst Du hier an dieser Leiche? Gegen/ Sylvester’s frevelhaftes Haus. Johann. O Gott,/ Laſs ihn die Engellästrung nicht entgelten!/ Ottokar. Was? Bist Du rasend? Johann. Ottokar — Ich muſs/ Ein schreckliches Bekenntniſs Dir vollenden —/ 32 Es muſs heraus aus dieser Brust — denn gleich/ Den Geistern ohne Rast und Ruhe, die/ Kein Sarg, kein Riegel, kein Gewölbe bändigt,/ So mein Geheimniſs. — Ottokar. Du erschreckst mich, rede!/ 340 Johann. Nur Dir, nur Dir darf ich’s vertraun — Denn hier/ Auf dieser Burg — mir kommt es vor, ich sei/ In einem Götzentempel, sei, ein Christ,/ Umringt von Wilden, die mit gräſslichen/ Gebährden mich, den Haaresträubenden,/ Zu ihrem blut’gen Fratzenbilde reiſsen —/ — Du hast ein menschliches Gesicht, zu Dir,/ Wie zu dem Weiſsen unter Mohren, wende/ Ich mich — Denn niemand, bei Gefahr des Lebens,/ Darf auſser Dir des Gottes Namen wissen,/ 350 Der mich entzückt. — Ottokar. O Gott! — Doch meine Ahndung?/ 33 Johann. Sie ist es. Ottokar. [liest ›Ottokar‹] (Erschrocken.) Wer? Johann. Du hast’s geahndet. Ottokar. Was/ Hab’ ich geahndet? Sagt’ ich denn ein Wort?/ Kann ein Vermuthen denn nicht trügen? Mienen/ Sind schlechte Räthsel, die auf Vieles passen,/ Und übereilt hast Du die Auflösung./ Nicht wahr, das Mädchen, dessen Schleier hier,/ Ist Agnes nicht, nicht Agnes Schroffenstein?/ Johann. Ich sag’ Dir ja, sie ist es. Ottokar. O mein Gott!/ 34 Johann. Als sie auf den Bericht, ich sei aus Rossitz,/ 360 Schnell fortgieng, folgt’ ich ihr von Weitem/ Bis Warwand fast, wo mir’s ein Mann nicht einmal,/ Nein zehenmal bekräftigte. Ottokar. O laſs/ An Deiner Brust mich ruhn, mein lieber Freund. (Er lehnt sich auf Johannes Schulter.
Jeronimus tritt auf.) Jeronimus. Ich soll/ Mich sinngeändert vor Dir zeigen, soll/ Die schlechte Meinung Dir benehmen, Dir,/ Wenn’s möglich, eine bessre abgewinnen,/ — Gott weiſs das ist ein peinliches Geschäft./ Laſs gut seyn, Ottokar. Du kannst mir’s glauben,/ Ich wuſste nichts von Allem, was geschehn./ 370 (Pause; da Ottokar nicht aufsieht.) 35 Wenn Du’s nicht glaubst, ei nun, so laſs es bleiben./ Ich hab’ nicht Lust mich vor Dir weiſs zu brennen./ Kannst Du’s verschmerzen, so mich zu verkennen,/ Bei Gott so kann ich das verschmerzen./ Ottokar (zerstreut). Wie Was sagst Du, Jeronimus?/ Jeronimus. Ich weiſs, was Dich so zäh macht in dem Argwohn./ S’ist wahr, und niemals werd ich’s läugnen, ja,/ Ich hatt’ das Mädel mir zum Weib erkohren./ Doch eh’ ich je mit Mördern mich verschwägre,/ Zerbreche mir die Henkershand das Wappen./ 380 Ottokar (fällt Jeronimus plötzlich um
den Hals). Jeronimus. Was ist Dir, Ottokar? Was hat so plötzlich/ Dich und so tief bewegt? 36 Ottokar. Gieb Deine Hand,/ Verzeihn Verziehn sei Alles. Jeronimus. — Thränen? Warum Thränen?/ Ottokar. Laſs mich, ich muſs hinaus in’s Freie./ (Ottokar schnell [liest ›schnell‹] ab; die Andern folgen.)
ZWEITE SCENE.
(Warwand. Ein Zimmer im Schlosse.Agnes führt Sylvius in einen Sessel.) Sylvius. Agnes, wo ist Philipp?/ Agnes. Du lieber Gott, ich sag’s Dir alle Tage,/ 37 Und schrieb’s Dir auf ein Blatt, wärst Du nicht blind./ Komm her, ich schreib’s Dir in die Hand. Sylvius. Hilft das?/ Agnes. Es hilft, glaub’ mir’s. Sylvius. Ach, es hilft nicht. Agnes. Ich meine,/ Vor dem Vergessen. Sylvius. Ich, vor dem Erinnern./ 390 Agnes. Guter Vater./ Sylvius. Liebe Agnes./ Agnes. Fühl’ mir einmal die Wange an. 38 Sylvius. Du weinst?/ Agnes. Ich weiſs es wohl, daſs mich der Pater schilt,/ Doch glaub’ ich, er versteht es nicht. Denn sieh,/ Wie ich muſs lachen, eh’ ich will, wenn Einer/ Sich lächerlich bezeigt, so muſs ich weinen,/ Wenn Einer stirbt. Sylvius. Warum denn, meint der Pater,/ Sollst Du nicht weinen? Agnes. Ihm sei wohl, sagt er./ Sylvius. Glaubst Du’s? Agnes. Der Pater freilich solls verstehn,/ 400 Doch glaub ich fast, er sagt’s nicht, wie er’s denkt./ 39 Denn hier war Philipp gern, wie sollt’ er nicht?/ Wir liebten ihn, es war bei uns ihm wohl;/ Nun haben sie ihn in das Grab gelegt —/ Ach, es ist gräſslich. — Zwar der Pater sagt,/ Er sei nicht in dem Grabe. — Nein, daſs ich’s/ Recht sag’, er sei zwar in dem Grabe — Ach,/ Ich kann’s Dir nicht so wiederbeichten. Kurz,/ Ich seh’ es, wo er ist, am Hügel. Denn/ Woher, der Hügel? Sylvius. Wahr! Sehr wahr!/ 410 — Agnes, der Pater hat doch Recht. Ich glaub’s/ Mit Zuversicht. Agnes. Mit Zuversicht? Das ist/ Doch seltsam. Ja, da mögt’ es freilich doch/ Wohl anders sein, wohl anders. Denn woher/ Die Zuversicht? Sylvius. Wie willst Du’s halten, Agnes?/ 40 Agnes. Wie meinst Du das? Sylvius. Ich meine, wie Du’s gläubest?/ Agnes. Ich will’s erst lernen, Vater. Sylvius. Wie? Du bist/ Nicht eingesegnet? Sprich, wie alt denn bist Du?/ Agnes. Bald funfzehn. Sylvius. Sieh, da könnte ja ein Ritter/ Bereits Dich vor den Altar führen. Agnes. Meinst Du?/ 420 Sylvius. Das mögtest Du doch wohl? Agnes. Das sag’ ich nicht. / 41 Sylvius. Kannst auch die Antwort sparen. Sag’s der Mutter,/ Sie soll den Beicht’ger zu Dir schicken. Agnes. Horch!/ Da kommt die Mutter. Sylvius. Sag’s ihr gleich. Agnes. Nein, lieber/ Sag’ Du es ihr, sie möchte ungleich von/ Mir denken. Sylvius. Agnes, führe meine Hand/ Zu Deiner Wange. Agnes (ausweichend). Was soll das?/ Gertrude (tritt auf). Sylvius. Gertrude, hier das Mädel klagt Dich an,/ 42 Es rechne ihr das Herz das Alter vor,/ Ihr blühend Leben sei der Reife nah’/ 430 Und knüpft’ ihn Einer nur, so würde, meint sie,/ Ihr üppig Haupthaar einen Brautkranz fesseln — / Du aber hätt’st ihr noch die Einseegnung,/ Den Ritterschlag der Weiber, vorenthalten./ Gertrude. Hat Dir Jerome das gelehrt? Sylvius. Gertrude,/ Sprich, ist sie roth? Gertrude. Ei nun, ich will’s dem Vater sagen./ Gedulde Dich bis morgen, willst Du das?/ (Agnes küſst die Hand ihrer Mutter). Hier, Agnes, ist die Schachtel mit dem Spielzeug./ Was wolltest Du damit? Agnes. Den Gärtnerkindern,/ Den hinterlaſsnen Freunden Philipps schenk’/ 440 Ich sie. 43 Sylvius. Die Reuter Philipps? Gieb sie her! / (Er macht die Schachtel auf.) Sieh, wenn ich diese Puppen halt’, ist mir’s,/ Als säſse Philipp an dem Tisch. Denn hier/ Stellt’ er sie auf, und führte Krieg, und sagte/ Mir an, wie’s abgelaufen. Agnes. Diese Reuter,/ Sprach er, sind wir, und dieses Fuſsvolk ist/ Aus Rossitz. Sylvius. Nein, Du sagst nicht recht. Das Fuſsvolk/ War nicht aus Rossitz, sondern war der Feind./ Agnes. Ganz recht, so mein’ ich es, der Feind aus Rossitz./ Sylvius. Ei nicht doch, Agnes, nicht doch. Denn wer sagt Dir,/ 450 Daſs die aus Rossitz unsre Feinde sind?/ 44 Agnes. Was weiſs ich. Alle sagen’s. Sylvius. Sag’s nicht nach./ Sie sind uns ja die nahverwandten Freunde./ Agnes. Wie Du nur sprichst! Sie haben Dir den Enkel,/ Den Bruder mir vergiftet, und das sollen/ Nicht Feinde seyn! Sylvius. Vergiftet! Unsern Philipp!/ Gertrude. Ei Agnes, immer trägt die Jugend das Geheimniſs/ Im Herzen, wie den Vogel in der Hand./ Agnes. Geheimniſs! Allen Kindern in dem Schlosse/ Ist es bekannt! Hast Du, Du selber es/ 460 Nicht öffentlich gesagt? Gertrude. Gesagt? Und öffentlich?/ 45 Was hätt’ ich öffentlich gesagt? Dir hab’/ Ich heimlich anvertraut, es könnte seyn,/ Wär möglich, hab’ den Anschein fast — Sylvius. Gertrude,/ Du thust nicht gut daran, daſs Du das sagst./ Gertrude. Du hörst ja, ich behaupte nichts, will keinen/ Der That beschuld’gen, will von Allem schweigen./ Sylvius. Der Möglichkeit doch schuldigst Du sie an./ Gertrude. Nun, das soll keiner mir bestreiten. — Denn/ So schnell dahin zu sterben, heute noch/ 470 In Lebensfülle, in dem Sarge morgen./ — Warum denn hätten sie vor sieben Jahren,/ Als mir die Tochter starb, sich nicht erkundigt?/ War das ein Eifer nicht! Die Nachricht bloſs/ Der Krankheit konnte kaum in Rossitz seyn,/ Da flog ein Bothe schon herüber, fragte/ 46 Mit wildverstörter Hast im Hause, ob/ Der Junker krank sei? — Freilich wohl man weiſs,/ Was so besorgt sie macht’, der Erbvertrag,/ Den wir schon immer, sie nie lösen wollten./ 480 Und nun die bösen Flecken noch am Leibe,/ Der schnelle Uebergang in Fäulniſs — Still!/ Doch still! Der Vater kommt. Er hat mir’s streng/ Verboten, von dem Gegenstand’ zu reden./ (Sylvester und der Gärtner treten
auf.) Sylvester. Kann dir nicht helfen, Meister Hans. Geb’ zu,/ Daſs deine Rüben süſs wie Zucker sind. —/ Gärtner. Wie Feigen, Herr. Sylvester. Hilft nichts. Reiſs aus, reiſs aus —/ Gärtner. Ein Gärtner, Herr, bepflanzt zehn Felder lieber/ 47 Mit Buchsbaum, eh’ er einen Kohlstrunk ausreiſst./ Sylvester. Du bist ein Narr. Ausreiſsen ist ein froh Geschäft,/ 490 Geschieht’s um etwas besseres zu pflanzen./ Denk’ dir das junge Volk von Bäumen, die,/ Wenn wir vorbeigehn, wie die Kinder tanzen,/ Und uns mit ihren Blüthenaugen ansehn./ Es wird dich freuen, Hans, du kannst’s mir glauben./ Du wirst sie hegen, pflanzen, wirst sie wie/ Milchbrüder deiner Kinder lieben, die/ Mit ihnen Leben ziehn aus deinem Fleiſse./ Zusammen wachsen wirst du sie, zusammen/ Sie blühen sehn, und wenn dein Mädel dir/ 500 Den ersten Enkel bringt, gieb Acht, so füllen/ Zum brechen unsre Speicher sich mit Obst. / Gärtner. Herr, werden wir’s erleben? Sylvester. Ei, wenn nicht wir,/ Doch unsre Kinder. 48 Gärtner. Deine Kinder? Herr,/ Ich mögte lieber eine Eichenpflanzung/ Groſs ziehen, als dein Fräulein. Sylvester. Wie meinst du das?/ Gärtner. Denn wenn sie der Nordostwind nur nicht stürzt,/ So sollt’ mir mit dem Beile keiner nah’n,/ Wie Junker Philipp’n. Sylvester. Schweig! Ich kann das alberne/ Geschwätz im Haus’ nicht leiden. Gärtner. Nun, ich pflanz’/ 510 Die Bäume. Aber eſst ihr nicht die Früchte,/ Der Teufel hol’ mich, schick’ ich sie nach Rossitz./ (Gärtner ab; Agnes verbirgt ihr Gesicht an der die Brust ihrer Mutter.) 49 Sylvester. Was ist das? Ich erstaune — O daran ist,/ Beim Himmel! niemand Schuld als Du, Gertrud! Gertrude! / Das Mistraun ist die schwarze Sucht der Seele,/ Und Alles, auch das Schuldlos-Reine, zieht/ Für’s kranke Aug’ die Tracht der Hölle an./ Das Nichts bedeutende, Gemeine, ganz/ Alltägliche, spitzfündig, wie zerstreute/ Zwirnfäden, wird’s zu einem Bild geknüpft,/ 520 Das uns mit gräſslichen Gestalten schreckt./ Gertrude, o das ist sehr schlimm. — Gertrude. Mein theurer/ Gemahl! — Sylvester. Hätt’st Du nicht wenigstens das Licht,/ Das, wie Du vorgiebst, Dir gezündet ward,/ Verbergen in dem Busen, einen so/ Zweideut’gen Strahl nicht fallen lassen sollen/ Auf diesen Tag, den, hätt’ er was Du sagst/ Gesehn, ein mitternächtlich Dunkel ewig,/ Wie den Charfreitag, decken müſste. 50 Gertrude. Höre/ Mich an. — Sylvester. Dem Pöbel, diesem Staarmatz — diesem/ 530 Hohlspiegel des Gerüchtes — diesem Käfer/ Die Kohle vorzuwerfen, die er spielend/ Auf’s Dach des Nachbars trägt — Gertrude. Ihm vorgeworfen?/ O mein Gemahl, die Sache lag so klar/ Vor aller Menschen Augen, daſs ein Jeder,/ Noch eh’ man es verbergen konnte, schon/ Von selbst das Rechte griff. Sylvester. Was meinst Du? Wenn/ Vor achtzehn Jahren, als Du schnell nach Rossitz/ Zu Deiner Schwester eiltest, bei der ersten/ Geburt ihr beizustehn, die Schwester nun,/ 540 Als sie den neugebohrnen Knaben todt/ Erblickte, Dich beschuldigt hätte, Du,/ Du hättest — Du verstehst mich — heimlich ihm,/ 51 Verstohlen, während Du ihn herztest, küſstest,/ Den Mund verstopft, das Hirn ihm eingedrückt — / Gertrude. O Gott, mein Gott, ich will ja nichts mehr sagen,/ Will niemand mehr beschuld’gen, will’s verschmerzen,/ Wenn sie dies Einz’ge nur, dies letzte uns nur lassen. —/ (Sie umarmt Agnes mit Heftigkeit.) Ein Knappe (tritt auf). Es ist ein Ritter, Herr, am Thore. Sylvester. Laſs ihn ein./ Sylvius. Ich will auf’s Zimmer, Agnes, führe mich./ 550 (Sylvius und Agnes ab.) Gertrude. Soll ich ihm einen Platz an unserm Tisch/ Bereiten? 52 Sylvester. Ja, das magst Du thun. Ich will/ Indessen Sorge tragen für sein Pferd./ (Beide ab; Agnes trit auf, sieht sich
um, schlägt ein Tuch über, setzt einen
Huth auf, und geht ab.) (Sylvester und Aldöbern treten auf.) Sylvester. Aus Rossitz, sagst Du? Aldöbern. Ritter Aldöbern/ Aus Rossitz. Bin gesandt von meinem Herrn,/ Dem Rupert, Graf von Schroffenstein, an Dich,/ Sylvester, Grafen Schroffenstein. Sylvester. Die Sendung/ Empfiehlt Dich, Aldöbern, Aldöbern; denn Deines Herrn/ Sind Deine Freunde. Drum so laſs uns schnell/ Hinhüpfen über den Gebrauch; verzeih’/ 560 Daſs ich mich setze, setz’ Dich zu mir, und/ Erzähle Alles, was Du weiſst, von Rossitz./ 53 Denn wie, wenn an zwei Seegestaden zwei/ Verbrüderte Familien wohnen, selten,/ Bei Hochzeit nur, bei Taufe, Trauer, oder/ Wenn’s sonst was Wicht’ges giebt, der Kahn/ Herüberschlüpft, und dann der Bote vielfach,/ Noch eh’ er reden kann, befragt wird, was/ Gescheh’n, wie’s zugieng, und warum nicht anders,/ Ja selbst an Dingen, als, wie groſs der Aeltste,/ 570 Wie viele Zähn’ der Jüngste, ob die Kuh/ Gekalbet, und dergleichen, das zur Sache/ Doch nicht gehöret, sich erschöpfen muſs —/ Sieh Freund, Sieh, Freund, so bin ich fast gesonnen, es/ Mit Dir zu machen. — Nun, beliebt’s so setz’ Dich./ Aldöbern. Herr, kann es stehend abthun. Sylvester. Ei, Du Narr,/ Stehn und Erzählen, das gehört zusammen,/ Wie Reiten fast und Küssen. 54 Aldöbern. Meine Rede/ Wär’ fertig, Herr, noch eh’ ich niedersitze./ Sylvester. Willst Du so kurz seyn? Ei, das thut mir leid;/ 580 Doch wenn’s so drängt, ich will’s nicht hindern. Rede./ Aldöbern. Mich schickt mein Herr, Graf Rupert Schroffenstein,/ Dir wegen des an seinem Sohne Peter/ Verübten Mord’s den Frieden aufzukünden. —/ Sylvester. Mord?/ Aldöbern. Mord./ Doch soll ich, mein’t er, nicht so frostig reden,/ Von bloſsem Zwist und Streit und Kampf und Krieg,/ Von Sengen, Brennen, Reiſsen und Verheeren./ 55 Drum brauch’ ich lieber seine eignen Worte,/ 590 Die lauten so: Er sei gesonnen, hier/ Auf Deiner Burg ein Hochgericht zu bauen;/ Es dürste ihm nach Dein und Deines Kindes —/ Und Deines Kindes Blute — wiederholt’ er./ Sylvester (steht auf, sieht ihm steif in’s
Gesicht.) Ja so — Nun setz Dich, guter Freund. — (Er hohlt einen Stuhl.) Du bist/ Aus Rossitz nicht, nicht wahr? — Nun setz’ Dich. Wie/ War schon Dein Name? [emendiert nicht in ›Name?‹] [emendiert nicht in ›Name?‹] Setz’ Dich, setz’ Dich. — Nun,/ Sag’ an, ich hab’s vergessen, wo, wo bist/ Du her? Aldöbern. Gebürtig? Herr, aus Oppenheim./ — Was soll das? Sylvester. So, aus Oppenheim — nun also/ 56 Aus Rossitz nicht. Ich wuſst’ es wohl, nun setz Dich./ (Er geht an die Thür.) Gertrude! (Gertrude trit auf.) Laſs mir doch den Knappen rufen/ Von diesem Ritter, hörst Du? (Gertrude ab.) Nun, so setz’ Dich/ Doch, Alter — Was den Krieg betrifft, das ist/ Ein lustig Ding für Ritter; sieh, da bin ich/ Auf Deiner Seite. — Aldöbern. Meiner Seite? Sylvester. Ja,/ Was Henker denkst Du? Hat Dir Einer Unrecht,/ Beschimpfung, oder sonst was zugefügt,/ So sag’ Du’s mir, sag’s mir, wir wollen’s rächen./ Aldöbern. Bist Du von Sinnen, oder ist’s Verstellung?/ 610 57 (Gertrude, der Knappe und ein Diener treten auf.) Sylvester. Sag an, mein Sohn, wer ist Dein Herr? Es ist/ Mit ihm wohl — nun Du weiſst du weiß [sic] schon, was ich meine. —/ Aldöbern. Den Teufel bin ich ich, was Du meinst. Denkst Du/ Mir sei von meiner Mutter so viel Menschen- / Verstand nicht angebohren, als vonnöthen,/ Um einzusehn, Du sei’st ein Schurke? Frag’,/ Die Hund’ auf unserm Hofe, sieh, sie riechen’s/ Dir an, und nähme Einer einen Bissen/ Aus Deiner Hand, so hänge mich. — Zum Schlusse/ So viel noch. Mein Geschäft ist aus. Den Krieg/ 620 Hab’ ich Dir Kindesmörder angekündigt. (will ab.)/ Sylvester (hält ihn.) Nein halte — Nein, bei Gott Du machst mich bange./ 58 Denn Deine Rede, wenn sie gleich nicht reich,/ Ist doch so wenig arm an Sinn, daſs mich’s/ Entsetzt. — Entsetzet. — Einer von uns beiden muſs/ Verrückt seyn; bist Du’s nicht, Ich könnt’ es werden./ Die Unze Mutterwitz, die Dich vom Tollhaus/ Errettet, muſs, es kann nicht anders, Mich/ In’s Tollhaus führen. — Sieh, wenn Du mir sagtest,/ Die Ströme flössen neben ihren Ufern/ 630 Bergan, und sammelten auf Felsenspitzen/ In Seen sich, so wollt’ — ich wollt’s Dir glauben;/ Doch sagst Du mir, ich hätt’ ein Kind gemordet,/ Des Vetters Kind — [emendiert nicht in ›Kind —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Kind —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Gertrude. O groſser Gott, wer denn/ Beschuldiget Dich dieser Unthat? Die aus Rossitz,/ Die selbst, vor wenig Monden — Sylvester. Schweig. Nun wenn’s/ 59 Beliebt, so sag’s mir einmal noch. Ist’s wahr,/ Ist’s wirklich wahr? Um eines Mordes willen/ Krieg wider mich? Aldöbern. Soll ich’s Dir zehenmal/ Und wieder zehnmal wiederkäu’n? Sylvester. Nun gut./ 640 Franz, sattle mir mein Pferd. — Verzeih mein Freund,/ Wer kann das Unbegreifliche begreifen?/ — Wo ist mein Helm, mein Schwerdt? — Denn hören muſs/ Ich’s doch aus seinem Munde, eh’ ich’s glaube./ — Schick’ zu Jeronimus, er mögte schnell/ Nach Warwand kommen. — Aldöbern. Leb’ denn wohl. Sylvester. Nein, warte;/ Ich reite mit Dir, Freund. 60 Gertrude. Um Gotteswillen,/ In Deiner Feinde Macht giebst Du Dich selbst?/ Sylvester. Laſs gut seyn. Aldöbern. Wenn Du glaubst, sie werden schonend/ In Rossitz Dich empfangen empfangen, irrst Du Dich./ 650 Sylvester (immer beim Anzuge beschäftigt). Thut nichts, thut nichts; allein werd’ ich erscheinen./ Ein Einzelner tritt frei zu seinen Feinden./ Aldöbern. Das Mildeste, das Dir begegnen mag,/ Ist, daſs man an des Kerkers Wand Dich fesselt./ Sylvester. Es ist umsonst. — Ich muſs mir Licht verschaffen,/ Und sollt’ ich’s mir auch aus der Hölle holen./ 61 Aldöbern. Ein Fluch ruht auf Dein Haupt, es ist nicht Einer/ In Rossitz, dem Dein Leben heilig wäre./ Sylvester. Du schreckst mich nicht. — Mir ist das ihre heilig,/ Und fröhlich kühn wag’ ich mein einzelnes./ 660 Nun fort! (zu Gertrude.) Ich kehre unverletzt zurück,/ So wahr der Gottheit selbst die Unschuld heilig./ (Wie sie abgehen wollen, trit Jeronimus auf.) Jeronimus. Wohin? Sylvester. Gut, daſs Du kommst. Ich bitte Dich,/ Bleib’ bei den Weibern, bis ich wiederkehre./ Jeronimus. Wo willst Du hin? 62 Sylvester. Nach Rossitz. Jeronimus. Lieferst Du/ Wie ein bekehrter Sünder selbst Dich aus?/ Sylvester. Was für ein Wort — ? Jeronimus. Ei nun, ein schlechtes Leben/ Ist kaum der Mühe werth, es zu verlängern./ Drum geh’ nur hin, und leg’ Dein sündig Haupt/ In christlicher Ergebung auf den Block./ 670 Sylvester. Glaubst Du, daſs ich, wenn eine Schuld mich drückte,/ Das Haupt dem Recht der Rache weigern würde? [emendiert nicht in ›würde?‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›würde?‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Jeronimus. O Du Quacksalber der Natur! Denkst Du,/ Ich werde Dein verfälschtes Herz auf Treu/ Und Glauben zweimal als ein ächtes kaufen?/ Bin ich ein blindes Glied denn aus dem Volke,/ 63 Daſs Du mit Deinem Ausruf an der Ecke/ Mich äffen willst, und wieder äffen willst?/ — Doch nicht so vielen Athem bist Du du werth,/ Als nur dies einz’ge Wort mir kostet: [emendiert nicht in ›kostet:‹] Schurke!/ 680 Ich will Dich meiden, das ist wohl das Beſste./ Denn hier in Deiner Nähe stinkt es, wie/ Bei Mördern. Sylvester (fällt in Ohnmacht.) Gertrude. Hülfe! Kommt zu Hülfe! Hülfe!/ (Der Vorhang fällt.)
ZWEITER AUFZUG.
ERSTE SCENE.
(Gegend im Gebirge. Im Vordergrundeeine Höhle. Agnes sitzt an der Erde und
knüpft Kränze. Ottokar tritt auf, und betrachtet sie mit Wehmuth. Dann wendet er
sich mit einer schmerzvollen Bewegung, während welcher Agnes ihn wahrnimmt, welche
dann zu knüpfen fortfährt, als hätte sie ihn
nicht gesehen.) Agnes. S’ist doch ein häſsliches Geschäft: belauschen; [liest ›belausehen;‹ und emendiert] / Und weil ein rein Gemüth es stets verschmäht,/ So wird nur dieses grade stets belauscht./ Drum ist das Schlimmste noch, daſs es den Lauscher,/ 65 Statt ihn zu strafen, lohnt. Denn statt des Bösen,/ Das er verdiente zu entdecken, findet/ Er wohl sogar ein still Bemühen noch/ 690 Für sein Bedürfniſs, oder seine Laune./ Da ist, zum Beispiel, heimlich jetzt ein Jüngling/ — Wie heiſst er doch? Ich kenn ihn wohl. Sein Antlitz/ Gleicht einem milden Morgenungewitter,/ Sein Aug’ dem Wetterleuchten auf den Höh’n,/ Sein Haar den Wolken, welche Blitze bergen,/ Sein Nahen ist ein Wehen aus der Ferne,/ Sein Reden wie ein Strömen von den Bergen/ Und sein Umarmen — Aber still! [emendiert nicht in ›Umarmen — Aber still!‹ (vgl. Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Umarmen — Aber still!‹ (vgl. Ghonorez HS)] Was wollt’/ Ich schon? Ja, dieser Jüngling, wollt’ ich sagen,/ 700 Ist heimlich nun herangeschlichen, plötzlich,/ Unangekündigt, wie die Sommersonne,/ Will sie ein nächtlich Liebesfest belauschen./ Nun wär mir’s recht, er hätte was er sucht,/ Bei mir gefunden, und die Eifersucht,/ Der Liebe Jugendstachel hätte, Jugendstachel, hätte, selbst/ 66 Sich stumpfend, ihn hinaus gejagt in’s Feld,/ Gleich einem jungen Rosse, das zuletzt/ Doch heimkehrt zu dem Stall, der ihn ernährt./ Statt dessen ist kein andrer Nebenbuhler/ 710 Jetzt grade um mich, als sein Geist. Und der/ Singt mir sein Lied zur Zither vor, wofür/ Ich diesen Kranz ihm winde. (Sie sieht sich um) Fehlt Dir was?/ Ottokar. Jetzt nichts. Agnes. So setz’ Dich nieder, daſs ich sehe,/ Wie Dir der Kranz steht. Ist er hübsch? Ottokar. Recht hübsch./ Agnes. Wahrhaftig? Sieh einmal die Finger an./ Ottokar. Sie bluten. — Agnes. Das bekam ich, als ich aus den Dornen/ Die Blumen pflückte. 67 Ottokar. Armes Kind. Agnes. Ein Weib/ Scheut keine Mühe. Stundenlang hab’ ich/ Gesonnen, wie ein jedes einzel’n Blümchen/ 720 Zu stellen, wie das unscheinbarste selbst/ Zu nutzen sei, damit Gestalt und Farbe/ Des Ganzen seine Wirkung thue. — Nun, [emendiert nicht in ›Nun,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Nun,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Der Kranz ist ein vollendet Weib. Da, nimm/ Ihn hin. Sprich: er gefällt mir; so ist er/ Bezahlt. (Sie sieht sich wieder um.) Was fehlt Dir denn? (Sie steht auf; Ottokar faſst ihre Hand.) Du bist so seltsam,/ So feierlich — bist unbegreiflich mir./ Ottokar. Und mir Du. Agnes. Liebst Du mich, so sprich sogleich/ Ein Wort, das mich beruhigt. 68 Ottokar. Erst sprich Du./ Wie hast Du’s heute wagen können, heute,/ 730 Von Deinem Vaterhaus’ Dich zu entfernen./ Agnes. Von meinem Vaterhause? Kennst Du’s denn?/ Hab’ ich nicht stets gewünscht, Du mögtest es/ Nicht zu erforschen streben? Ottokar. O verzeih!/ Nicht meine Schuld ist’s, daſs ich’s weiſs. Agnes. Du weiſst’s?/ Ottokar. Ich weiſs es, fürchte nichts. fürchte nichts! Denn Deinem Engel/ Kannst Du Dich sichrer nicht vertraun, als mir./ Nun sage mir, wie konntest Du es wagen,/ So einsam dies Gebirge zu betreten,/ Da doch ein mächt’ger Nachbar all’ die Deinen/ 740 In blut’ger Rachefehd’ verfolgt? 69 Agnes. In Fehde?/ In meines Vaters Sälen liegt der Staub/ Auf allen Rüstungen, und niemand ist/ Uns feindlich, als der Marder höchstens, der/ In unsre Hühnerställe bricht. Ottokar. Wie sagst Du?/ Ihr wärt in Frieden mit den Nachbarn? Wärt/ In Frieden mit Euch selbst? Agnes. Du hörst es, ja. / Ottokar. O Gott! Ich danke Dir mein Leben nur/ Um dieser Kunde! — Mädchen! Mädchen! O/ Mein Gott, so brauch’ ich Dich ja nicht zu morden!/ 750 Agnes. Morden?/ Ottokar. O komm! (Sie setzen sich.) 70 Nun will ich heiter, offen, wahr,/ Wie Deine Seele mit Dir reden. Komm!/ Es darf kein Schatten mehr Dich decken, nicht/ Der Mindeste, ganz klar will ich Dich sehen./ Dein Innres ist’s mir schon, die neugebohrnen/ Gedanken kann ich wie Dein Gott errathen./ Dein Zeichen nur, die freundliche Erfindung/ Mit einer Sylbe das Unendliche/ Zu fassen, nur den Namen sage mir./ 760 Dir sag’ ich meinen gleich, gleich; denn nur ein Scherz/ War es, Dir zu verweigern, was Du mir./ Ich hätte Deinen längst erforscht, wenn nicht/ Sogar Dein unverständliches Gebot/ Mir heilig. Aber nun frag’ ich Dich selbst./ Nichts Böses bin ich mir bewuſst, ich fühle/ Du gehst mir über alles Glück der Welt, / Und nicht an’s Leben bin ich so gebunden, / So gern nicht, und so fest nicht, wie an Dich./ Drum will ich, daſs Du nichts mehr vor mir birgst birgst, / 770 Und fordre ernst Dein unumschränkt Vertrauen./ 71 Agnes. Ich kann nicht reden reden, Ottokar. — Ottokar. Was ängstigt Dich?/ Ich will Dir jeden falschen Wahn benehmen./ Agnes. — Du sprachst von Mord. Ottokar. Von Liebe sprach ich nur./ Agnes. Von Liebe Liebe, hör’ ich wohl, sprachst Du mit mir,/ Doch sage mir, mit wem sprachst Du vom Morde?/ Ottokar. Du hörst es ja, es war ein böser Irrthum,/ Den mir ein selbst getäuschter Freund erweckt./ (Johann zeigt sich im Hintergrunde.) Agnes. Dort steht ein Mensch, den kenn ich. (Sie steht auf.) 72 Ottokar. Kennst Du ihn?/ Agnes. Leb wohl. Ottokar. Um Gotteswillen, nein, Du irrst Dich./ 780 Agnes. Ich irre nicht. — Laſs mich. — Wollt Laß mich — Wollt ihr mich morden?/ Ottokar. Dich morden? — Frei bist Du, und willst Du gehen,/ Du kannst es unberührt, wohin Du willst./ Agnes. So leb’ denn wohl. Ottokar. Und kehrst nicht wieder? Agnes. Niemals,/ Wenn Du nicht gleich mir Deinen Namen sagst./ 73 Ottokar. Das soll ich jetzt — vor diesem Fremden. — Agnes. So/ Leb wohl auf ewig. Ottokar. Maria! Willst Du nicht besser von/ Mir denken lernen? Agnes. Zeigen kann mir Jeder/ Gleich, wer er ist. Ottokar. Ich will es heute noch. Kehre Kehr wieder./ Agnes. Soll ich Dir trau’n, wenn Du nicht mir? Ottokar. Thu’ es/ 790 Auf die Gefahr. Agnes. Es sei! Und irr’ ich mich,/ Nicht eine Thräne kosten soll es mich. (ab.)/ 74 Ottokar. Johann, komm her, Du siehst sie ist es wohl, [emendiert nicht in ›wohl,‹ (vgl. Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›wohl,‹ (vgl. Ghonorez HS)] / Es ist kein Zweifel mehr, nicht wahr? Johann. Es mag/ Wie’s scheint, Dir wohl an keinem Aufschluſs mangeln,/ Den ich Dir geben könnte. Ottokar. Wie Du’s nimmst./ Zwei Werthe hat ein jeder Mensch; Mensch: den einen/ Lernt man nur kennen aus sich selbst, den andern/ Muſs man erfragen. Johann. Hast Du nur den Kern,/ Die Schaale giebt sich dann als eine Zugab’./ 800 Ottokar. Ich sage Dir, sie weigert mir, wie Dir,/ Den Namen, und wie Dich, so flieht sie mich/ Schon bei der Ahndung bloſs, ich sei aus Rossitz./ 75 Du sahst es selbst, gleich einem Geist erscheint/ Und schwindet sie uns beiden. Johann. Beiden? Ja./ Doch mit dem Unterschied, daſs Dir das eine/ Talent geworden, ihn zu rufen, mir/ Das andre bloſs, den Geist zu bannen. Ottokar. Johann!/ Johann. Pah! — Die Schuld liegt an der Spitze meiner Nase/ Und etwa noch an meinen Ohrenzipfeln./ 810 Was sonst an mir kann so voll Greuel seyn,/ Daſs es das Blut aus ihren Wangen jagt,/ Und, bis auf’s Fliehen, jede Kraft ihr nimmt?/ Ottokar. Johann, ich kenne Dich nicht mehr. Johann. Ich aber Dich./ 76 Ottokar. Ich will im Voraus jede Kränkung Dir/ Vergeben, wenn sie sich nur edel zeigt./ Johann. Nicht über’n Preis will ich Dir zahlen. — Sprich./ Wenn Einer mir vertraut’, er wiss’ ein Roſs,/ Das ihm bequem sei, und er kaufen wolle,/ Und ich, ich gienge heimlich hin und kauft’s/ 820 Mir selbst — was meinst Du wäre das wohl edel?/ Ottokar. Sehr schief wählst Du Dein Gleichniſs. Johann. Sage bitter;/ Und doch ist’s Honig gegen mein Gefühl./ Ottokar. Dein Irrthum ist Dir lieb, weil er mich kränkt./ Johann. Kränkt? Ja, das ist mir lieb, und ist’s ein Irrthum,/ Just darum will ich zähe fest ihn halten. / 77 Ottokar. Nicht viele Freude wird Dir das gewähren,/ Denn still verschmerzen werd’ ich, was Du thust./ Johann. Da hast Du recht. Nichts würd’ mich mehr verdrieſsen verdrieſsen, / Als wenn Dein Herz wie eine Kröte wär’,/ 830 Die ein verwundlos steinern Schild beschützt,/ Denn weiter keine Lust bleibt mir auf Erden,/ Als einer Bremse gleich Dich zu verfolgen./ Ottokar. Du bist weit besser als der Augenblick./ Johann. Du Thor! Du Thor! Denkst Du mich so zu fassen?/ Weil ich mich edel nicht erweise, nicht/ Erweisen will, machst Du mir weis, [emendiert nicht in ›weis,‹] ich sei’s,/ Damit die unverdiente Ehre mich/ Bewegen soll, in ihrem Sinn zu handeln?/ Vor Deine Füſse werf’ ich Deine Achtung. —/ 840 78 Ottokar. Du willst mich reizen, doch Du kannst es nicht;/ Ich weiſs, Du selbst, Du wirst mich morgen rächen./ Johann. Nein, wahrlich, nein, dafür will ich schon sorgen./ Denn in die Brust schneid’ ich mir eine Wunde,/ Die reiz’ ich stets mit Nadeln, halte stets/ Sie offen, daſs es mir recht sinnlich bleibe./ Ottokar. Es ist nicht möglich, ach, es ist nicht möglich!/ Wie könnte Dein Gemüth so häſslich seyn,/ Da Du doch Agnes, Agnes lieben kannst!/ Johann. Und daran noch erinnerst Du mich, o/ 850 Du Ungeheuer! Ottokar. Lebe wohl, Johann./ Johann. Nein, halt! Du denkst, ich habe bloſs gespaſst./ 79 Ottokar. Was willst Du? Johann. Gerad’ heraus. Mein Leben/ Und Deines sind wie zwei Spinnen in der Schachtel./ Drum Zieh! zieh! (Er zieht.) Ottokar. Gewiſs nicht. Fallen will ich anders/ Von Deiner Hand nicht, als gemordet. Johann. Zieh,/ Du Memme! Nicht nach Deinem Tod, nach meinem,/ Nach meinem nur gelüstet’s mir. Ottokar (umarmt ihn). Johann!/ Mein Freund! Ich Dich ermorden. Johann (stöſst ihn fort). Fort, Du Schlange!/ 80 Nicht stechen will sie, nur mit ihrem Anblick/ 860 Mich langsam tödten. — Gut. [emendiert nicht in ›Gut.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Gut.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] (Er steckt das Schwerdt ein). Noch giebt’s ein andres Mittel./ (Beide von verschiedenen Seiten ab.)
ZWEITE SCENE.
(Warwand. Zimmer im Schlosse. Sylvester auf einem Stuhle, mit Zeichen derOhnmacht, die nun vorüber. Um ihn herum
Jeronimus, Theistiner, Gertrude, und
ein Diener.) Gertrude. Nun, er erholt sich, Gott sei Dank. — Sylvester. Gertrude. — Gertrude — / Gertrude. Sylvester, kennst Du mich, kennst Du mich wieder?/ 81 Sylvester. Mir ist so wohl, wie bei dem Eintritt in/ Ein andres Leben. Gertrude. Und an seiner Pforte/ Stehn Deine Engel, wir, die Deinen, [emendiert nicht in ›die Deinen,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] liebreich/ Dich zu empfangen. Sylvester. Sage mir, wie kam/ Ich denn auf diesen Stuhl? Zuletzt, wenn ich/ Nicht irre, stand ich — nicht? Gertrude. Du sankest stehend/ In Ohnmacht. Sylvester. Ohnmacht? Und warum denn das?/ 870 So sprich doch. — Wie, was ist Dir denn? Was ist/ Euch denn? (Er sieht sich um; lebhaft.) Fehlt Agnes? Ist sie todt? 82 Gertrude. O nein,/ O nein, sie ist in ihrem Garten. Sylvester. Nun,/ Wovon seid Ihr denn Alle so besessen?/ Gertrude sprich. — Sprich Du, Theistiner. — Seid/ Ihr stumm, Theistin, Jero — — Jeronimus!/ Ja so — ganz recht — nun weiſs ich. — Gertrude. Komm ins Bette,/ Sylvester, dort will ich’s Dir schon erzählen./ Sylvester. Ins Bett? O pfui! bin ich denn — sage mir,/ Bin ich in Ohnmacht wirklich denn gefallen?/ 880 Gertrude. Du weiſst ja, wie Du sagst, sogar warum?/ Sylvester. Wüſst’ ich’s? O pfui! O pfui! Ein Geist ist doch/ Ein elend Ding. 83 Gertrude. Komm nur ins Bett, Sylvester,/ Dein Leib bedarf der Ruhe. Sylvester. Ja, s’ist wahr,/ Mein Leib ist doch an Allem Schuld. Gertrude. So komm./ Sylvester. Meinst Du, es wäre nöthig? Gertrude. Ja, durchaus/ Muſst Du ins Bette. Sylvester. Dein Bemühen/ Beschämt mich. Gönne mir zwei Augenblicke, / So mach’ ich Alles wieder gut, und stelle/ Von selbst mich her. Gertrude. Zum Mindsten nimm die Tropfen/ 890 84 Aus dem Tyrolerfläschgen, das Du selbst/ Stets als ein heilsam Mittel mir gepriesen./ Sylvester. An eigne Kraft glaubt doch kein Weib, und traut/ Stets einer Salbe mehr zu als der Seele./ Gertrude. Es wird Dich stärken, glaube mir. — Sylvester. Dazu/ Braucht’s nichts als mein Bewuſstsein. (Er steht auf.) Was mich freut,/ Ist, daſs der Geist doch mehr ist, als ich glaubte,/ Denn flieht er gleich auf einen Augenblick,/ An seinen Urquell geht er nur, zu Gott,/ Und mit Heroenkraft kehrt er zurück./ 900 Theistiner! S’ist wohl viele Zeit nicht zu/ Verlieren. — Gertrud! Weiſs er’s? Gertrude. Ja. 85 Sylvester. Du weiſst’s? Nun, sprich,/ Was meinst Du, s’ist doch wohl ein Bubenstück?/ S’ist wohl kein Zweifel mehr, nicht wahr? Theistiner. In Warwand/ Ist keiner, der’s bezweifelt, ist fast keiner,/ Der’s, auſser Dir, nicht hätt’ vorhergesehen,/ Wie’s enden müsse, sei es früh, sei’s spät./ Sylvester. Vorhergesehen? Nein, das hab’ ich nicht./ Bezweifelt? Nein, das thu ich auch nicht mehr./ — Und also ist’s den Leuten schon bekannt?/ 910 Theistiner. So wohl, daſs sie das Haupt sogar besitzen,/ Das Dir die Nachricht her aus Rossitz brachte./ Sylvester. Wie meinst Du das? Der Herold wär noch hier?/ Theistiner. Gesteinigt, ja. 86 Sylvester. Gesteiniget? Theistiner. Das Volk/ War nicht zu bändigen. Sein Haupt ist zwischen/ Den Eulen an den Thorweg festgenagelt./ Sylvester. Unrecht ist’s,/ Theistin, mit Deinem Haupt hätt’st Du das seine,/ Das heilige, des Herolds, schützen sollen./ Theistiner. Mit Unrecht tadelst Du mich, Herr, ich war/ 920 Ein Zeuge nicht der That, wie Du wohl glaubst./ Zu seinem Leichnam kam ich — diesen hier,/ Jeronimus, war’s just noch Zeit zu retten./ Sylvester. — Ei nun, sie mögen’s niederschlucken. Das/ Gescheh’ne muſs stets gut seyn, wie es kann./ Ganz rein, seh’ ich wohl ein, kann’s fast nicht abgehn,/ 87 Denn wer das Schmutz’ge anfaſst, den besudelt’s./ Auch, find’ ich, ist der Geist von dieser Unthat/ Doch etwas werth, und kann zu mehr noch dienen./ Wir wollen’s nützen. Reite schnell ins Land,/ 930 Die sämmtlichen Vasallen biete auf,/ Sogleich sich in Person bei mir zu stellen,/ Indessen will ich selbst von Männern, was/ Hier in der Burg ist, sammeln, Reden braucht’s/ Nicht viel, ich stell’ mein graues Haupt zur Schau,/ Und jedes Haar muſs einen Helden werben./ Das soll den ersten Bubenanfall hemmen,/ Dann, sind wir stärker, wenden wir das Blat,/ In seiner Höhle suchen wir den Wolf,/ Es kann nicht fehlen, glaube mir’s, es geht/ 940 Für Alles ja, was heilig ist und hehr,/ Für Tugend, Ehre, Weib und Kind und Leben./ Theistiner. So geh’ ich, Herr, noch heut’ vor Abend sind/ Die sämmtlichen Vasallen hier versammelt./ 88 Sylvester. S’ist gut (Theistiner ab). Franziskus, rufe mir den Burgvogt./ — Noch Eins. Die beiden Waffenschmiede bringe/ Gleich mit. (Der Diener ab.) (Zu Jeronimus.) Dir ist ein Unglimpf widerfahren,/ Jeronimus, das thut mir leid. Du weiſst ich war/ Im eigentlichsten Sinn nicht gegenwärtig./ Die Leute sind mir gut, Du siehst’s, es war/ 950 Ein miſsverstandner Eifer bloſs der Treue./ Drum muſst Du’s ihnen schon verzeihn. Für’s Künft’ge/ Versprech’ ich, will ich sorgen. Willst Du fort/ Nach Rossitz, kannst Du’s gleich, ich gebe Dir/ Zehn Reis’ge zur Begleitung mit. Ich kann’s/ Nicht läugnen fast, daſs mir der Unfall lieb,/ Versteh mich, bloſs weil er Dich hier verweilte,/ Denn sehr unwürdig hab’ ich mich gezeigt,/ 89 — Nein, sage nichts. Ich weiſs das. Freilich mag / Wohl mancher sinken, weil er stark ist. Denn/ 960 Die kranke abgestorb’ne Eiche steht/ Dem Sturm, doch die gesunde stürzt er nieder,/ Weil er in ihre Krone greifen kann./ — Nicht jeden Schlag ertragen soll der Mensch,/ Und welchen Gott faſst, denk’ ich, der darf sinken,/ — Auch seufzen. Denn der Gleichmuth ist die Tugend/ Nur der Athleten. Wir, wir Menschen fallen/ Ja nicht für Geld, auch nicht zur Schau. — Doch sollen/ Wir stets des Anschauns würdig aufstehn. Nun/ Ich halte Dich nicht länger. Geh nach Rossitz/ 970 Zu Deinen Freunden, die Du Dir gewählt./ Denn hier in Warwand, wie Du selbst gefunden,/ Bist Du seit heute nicht mehr gern gesehn./ Jeronimus. — Hast Recht, hast Recht — bin’s nicht viel besser werth,/ 90 Als daſs Du mir die Thüre zeigst. — Bin ich/ Ein Schuft in meinen Augen doch, um wie/ Viel mehr in Deinen. — Zwar ein Schuft, wie Du/ Es meinst der bin ich nicht. — Doch kurz und gut, [emendiert nicht in ›gut,‹ (vgl. Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›gut,‹ (vgl. Ghonorez HS)] / Glaubt was ihr wollt. Ich kann mich nicht entschuld’gen entschuldgen, / Mir lähmt’s die Zung’, die Worte wollen, wie/ 980 Verschlagne Kinder, nicht an’s Licht. — Ich gehe,/ Nur so viel sag’ ich Dir, ich gehe nicht/ Nach Rossitz, hörst Du? Und noch Eins. Wenn Du/ Mich brauchen kannst, so sag’s, ich laſs mein Leben/ Für Dich, hörst Du, mein Leben (ab). Gertrude. Hör’, Jerome!/ — Da geht er hin. — Warum riefst Du ihm nicht?/ 91 Sylvester. Verstehst Du was davon, so sag’ es mir. / Mir ist’s noch immer wie ein Traum. Gertrude. Ei nun,/ Er war gewonnen von den Rossitzschen./ Denn in dem ganzen Gau ist wohl kein Ritter,/ 990 Den sie, wenn’s gieng uns auf den Hals nicht hetzten./ Sylvester. Allein Jeronimus! — Ja, wär’s ein Andrer,/ So wollt’ ich’s glauben, doch Jeronimus!/ S’ist doch so leicht nicht, [emendiert nicht in ›nicht,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›nicht,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] in dem Augenblick/ Das Werk der Jahre, Achtung, zu zerstören. / Gertrude. O s’ist ein teuflischer Betrug, der mich,/ Ja Dich miſstrauisch hätte machen können./ Sylvester. Mich selbst? Mistrauisch gegen mich? Nun laſs/ Doch hören. 92 Gertrude. Rupert’s jüngster Sohn ist wirklich/ Von Deinen Leuten im Gebirg’ erschlagen./ 1000 Sylvester. Von meinen Leuten? Gertrude. O das ist bei Weitem/ Das Schlimmste nicht. Der Eine hat’s sogar/ Gestanden, Du hätt’st ihn zu Mord gedungen./ Sylvester. Gestanden hätt’ er das? Gertrude. Ja, auf der Folter,/ Und ist zwei Augenblicke drauf verschieden. / Sylvester. Verschieden? — Und gestanden? — Und im Tode,/ Wär auch das Leben voll Abscheulichkeit,/ Im Tode ist der Mensch kein Sünder. — Wer/ Hat’s denn gehört, daſs er’s gestanden?/ 93 Gertrude. Ganz Rossitz. Unter Volkes Augen, auf/ 1010 Dem öffentlichen Markt ward er gefoltert./ Sylvester. Und wer hat Dir das mitgetheilt? Gertrude. Jerome,/ Er hat sich bei dem Volke selbst erkundigt./ Sylvester. — Nein, das ist kein Betrug, kann keiner seyn./ Gertrude. Um Gotteswillen, was denn sonst? Sylvester. Bin ich/ Denn Gott, daſs Du mich frägst? Gertrude. Ist’s keiner, so/ O Himmel! fällt ja der Verdacht auf uns./ Sylvester. Ja, allerdings fällt er auf uns. 94 Gertrude. Und wir,/ Wir müſsten uns dann reinigen? Sylvester. Kein Zweifel,/ Wir müssen es, nicht sie. Gertrude. O Du mein Heiland,/ 1020 Wie ist das möglich? Sylvester. Möglich? Ja, das wär’s,/ Wenn ich nur Rupert sprechen könnte. Gertrude. Wie?/ Das könntest Du Dich jetzt getraun, da ihn/ Des Herolds Tod noch mehr erbittert hat? [emendiert nicht in ›hat?‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›hat?‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Sylvester. S’ist freilich jetzt weit schlimmer. — Doch es ist/ Das einz’ge Mittel, das ergreift sich leicht./ — Ja recht, so geht’s. — Wo mag Jerome sein?/ Ob er noch hier? Der mag mich zu ihm führen./ 95 Gertrude. O mein Gemahl, o folge meinem Rathe. —/ Sylvester. Gertrude. — Laſs mich Gertrude — Laſs mich — das verstehst Du nicht./ 1030 (Beide ab.)
DRITTE SCENE.
(Platz vor den Thoren von Warwand.) Agnes (tritt in Hast auf). Zu Hülfe! Zu Hülfe! Johann (ergreift sie). So höre mich doch, Mädchen!/ Es folgt Dir ja kein Feind, ich liebe Dich,/ Ach, lieben! Ich vergöttre Dich!/ Agnes. Fort, Ungeheuer, bist Du nicht aus Rossitz?/ 96 Johann. Wie kann ich furchtbar seyn? Sieh mich doch an,/ Ich zittre selbst vor Wollust und vor Schmerz/ Mit meinen Armen Dich, mein ganzes Maas/ Von Glück und Jammer zu umschlieſsen./ Agnes. Was willst Du, Rasender, [emendiert nicht in ›Rasender,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Rasender,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] von mir? Johann. Nichts weiter/ Mir bist Du todt, und einer Leiche gleich,/ 1040 Mit kaltem Schauer drück’ ich Dich ans Herz./ Agnes. Schützt mich, Ihr Himmlischen, vor seiner Wuth!/ Johann. Sieh, Mädchen, morgen lieg’ ich in dem Grabe,/ Ein Jüngling, ich — nicht wahr das thut Dir weh?/ Nun, einem Sterbenden schlägst Du nichts ab,/ Den Abschiedskuſs gieb mir (er küſst sie). 97 Agnes. Errettet mich,/ Ihr Heiligen! Johann. — Ja, rette Du mich, Heil’ge!/ Es hat das Leben mich wie eine Schlange,/ Mit Gliedern, zahnlos, eckelhaft, umwunden./ Es schauert mich, es zu berühren. — Da,/ 1050 Nimm diesen Dolch. — Agnes. Zu Hülfe! Mörder! Hülfe!/ Johann (streng). Nimm diesen Dolch, sag’ ich. — Hast Du nicht Einen/ Mir schon ins Herz gedrückt? Agnes. Entsetzlicher!/ (Sie sinkt besinnungslos zusammen.) Johann (sanft). Nimm diesen Dolch, Geliebte — Denn [emendiert nicht in ›Geliebte — Denn‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Geliebte — Denn‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] mit Wollust,/ 98 Wie Deinem Kusse sich die Lippe reicht,/ Reich’ ich die Brust dem Stoſs von Deiner Hand./ Jeronimus (tritt mit Reisigen aus dem Thore). Hier war das Angstgeschrei. — — Unglücklicher!/ Welch eine That — Sie ist verwundet — Teufel!/ Mit Deinem Leben sollst Du’s büſsen. (Er verwundet Johann; der fällt.) (Jeronimus faſst Agnes auf.) Agnes! Agnes!/ Ich sehe keine Wunde. — Lebst Du, Agnes?/ 1060 (Sylvester und Gertrude treten aus demThore.) Sylvester. Es war Jeronimus Entsetzensstimme, / Nicht Agnes. — — O mein Gott! (Er wendet sich schmerzvoll.) Gertrude. O meine Tochter,/ Mein einzig Kind, mein letztes. — 99 Jeronimus. Schafft nur Hülfe,/ Ermordet ist sie nicht. Gertrude. Sie rührt sich — horch? / Sie athmet — ja sie lebt, sie lebt! [emendiert nicht in ›sie lebt!‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›sie lebt!‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Sylvester. Lebt sie?/ Und unverwundet? Jeronimus. Eben war’s noch Zeit,/ Er zückte schon den Dolch auf sie, da hieb/ Ich den Unwürd’gen nieder. Gertrude. Ist er nicht/ Aus Rossitz? Jeronimus. Frage nicht, Du machst mich schamroth, — ja./ Sylvester. Gieb mir die Hand, Jerome, wir versteh’n/ 1070 Uns. 100 Jeronimus. Wir verstehn uns. Gertrude. Sie erwacht, o seht,/ Sie schlägt die Augen auf, sie sieht mich an. —/ Agnes. Bin ich von dem Entsetzlichen erlös’t? / Gertrude. Hier liegt er todt am Boden, fasse Dich./ Agnes. Getödtet? Und um mich? Ach, es ist gräſslich. — / Gertrude. Jerome hat den Mörder hingestreckt./ Agnes. Er folgte mir weit her aus dem Gebirge,/ — Mich faſste das Entsetzen gleich, als ich/ Von Weitem nur ihn in das Auge faſste./ Ich eilte — doch ihn trieb die Mordsucht schneller/ 1080 Als mich die Angst — und hier ergriff er mich. mich / 101 Sylvester. Und zückt’ er gleich den Dolch? Und sprach er nicht?/ Kannst Du Dich dessen nicht entsinnen mehr?/ Agnes. So kaum — denn vor sein fürchterliches Antlitz/ Entflohn mir alle Sinne fast. Er sprach,/ — Gott weiſs, mir schiens fast, wie im Wahnsinn — sprach/ Von Liebe, Liebe — daſs er mich vergöttre — nannte/ Bald eine Heil’ge mich, bald eine Leiche./ Dann zog er plötzlich jenen Dolch, und bittend,/ Ich mögte, ich, ihn tödten, zückt’ er ihn/ 1090 Auf mich. — Sylvester. Lebt er denn noch? Er scheint verwundet bloſs,/ Sein Aug’ ist offen. (zu den Leuten)Tragt ihn in das Schloſs,/ Und ruft den Wundarzt. (Sie tragen ihn fort.) Einer komme wieder/ Und bring’ mir Nachricht. 102 Gertrude. Aber, meine Tochter,/ Wie konntest Du so einsam und so weit/ Dich ins Gebirge wagen? Agnes. Zürne nicht,/ Es war mein Lieblingsweg. Gertrude. Und noch so lange/ Dich zu verweilen! Agnes. Einen Ritter traf/ Ich, der mich aufhielt. Gertrude. Einen Ritter? Sieh/ Wie Du in die Gefahr Dich wagst! Kann’s wohl/ 1100 Ein andrer seyn fast, [emendiert nicht in ›seyn fast, als ein‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›seyn fast, als ein‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] als ein rossitzscher?/ Agnes. — Glaubst Du, es sei ein rossitzscher? 103 Jeronimus. Ich weiſs,/ Daſs Ottokar oft ins Gebirge geht./ Agnes. Meinst Du den — ? Jeronimus. Ruperts ältsten Sohn./ — Kennst Du ihn nicht? Agnes. Ich hab’ ihn nie gesehen./ Jeronimus. Ich habe sichre Proben doch, daſs er/ Dich kennt? Agnes. Mich? Gertrude. Unsre Agnes? Und woher?/ Jeronimus. Wenn ich nicht irre, sah ich einen Schleier,/ Den Du zu tragen pflegst, in seiner Hand./ 104 Agnes (verbirgt ihr Haupt an die Brust
ihrer Mutter.) Ach, Mutter. — Gertrude. O um Gotteswillen, Agnes,/ 1110 Sei doch auf Deiner Hut. — Er kann Dich mit/ Dem Apfel, den er Dir vom Baume pflückt,/ Vergiften. Jeronimus. Nun, das mögt’ ich fast nicht fürchten —/ Vielmehr. — Vielmehr — Allein wer darf der Schlange traun./ Er hat beim Nachtmahl ihr den Tod geschworen. Agnes. Mir?/ Den Tod? Jeronimus. Ich hab’ es selbst gehört. Gertrude. Nun sieh,/ Ich werde wie ein Kind Dich hüten müssen./ 105 Du darfst nicht aus den Mauern dieser Burg,/ Darfst nicht von Deiner Mutter Seite gehn./ Ein Diener (tritt auf). Gestrenger Herr, der Mörder ist nicht todt./ 1120 Der Wundarzt sagt, die Wunde sei nur leicht./ Sylvester. Ist er sich sein bewuſst? Ein Diener. Herr, es wird keiner klug/ Aus ihm. Denn er spricht ungehobelt Zeug,/ Wild durcheinander, wie im Wahnwitz fast./ Jeronimus. Es ist Verstellung offenbar. Sylvester. Kennst Du/ Den Menschen? Jeronimus. Weiſs nur so viel, daſs sein Namen/ Johann, und er ein unächt Kind des Rupert,/ — Daſs er den Ritterdienst in Rossitz lernte,/ Und gestern früh das Schwerdt empfangen hat./ 106 Sylvester. Das Schwerdt empfangen, gestern erst [emendiert nicht in ›gestern erst‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] — und heute/ 1130 Wahnsinnig — sagtest Du nicht auch, er habe/ Beim Abendmahl den Racheschwur geleistet?/ Jeronimus. Wie alle Diener Ruperts, so auch er./ Sylvester. Jeronimus, mir wird ein böser Zweifel/ Fast zur Gewiſsheit, fast. — Ich hätt’s entschuldigt,/ Daſs sie Verdacht auf mich geworfen, daſs/ Sie Rache mir geschworen, daſs sie Fehde/ Mir angekündigt — ja hätten sie/ Im Krieg’ mein Haus verbrannt, mein Weib und Kind/ Im Krieg’ erschlagen, noch wollt ich’s entschuld’gen./ 1140 Doch daſs sie mir den Meuchelmörder senden,/ — Wenn’s so ist — [emendiert in ›ist.‹] [emendiert nicht in ›ist —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] 107 Gertrude. Ist’s denn noch ein Zweifel? Haben/ Sie uns nicht selbst die Probe schon gegeben?/ Sylvester. Du meinst an Philipp — ? Gertrude. Endlich siehst Du’s ein!/ Du hast mir’s nie geglaubt, hast die Vermuthung, / Gewiſsheit, wollt’ ich sagen, stets ein Deuteln/ Der Weiber nur genannt, die, weil sie’s einmal/ Aus Zufall treffen, nie zu fehlen wähnen./ Nun weiſst Du’s besser. — Nun, ich könnte Dir/ Wohl mehr noch sagen, das Dir nicht geahndet. —/ 1150 Sylvester. Mehr noch? Gertrude. Du wirst Dich Deines Fiebers vor/ 108 Zwei Jahren noch erinnern. Als Du der/ Genesung nahtest, [emendiert nicht in ›nahtest,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›nahtest,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] schickte Dir Eustache/ Ein Fläschgen eingemachter Ananas./ Sylvester. Ganz recht, durch eine Reutersfrau aus Rossitz./ Gertrude. Ich bat Dich unter falschem Vorwand, nicht/ Von dem Geschenke zu genieſsen, setzte/ Dir selbst ein Fläschgen vor aus eignem Vorrath / Mit eingemachtem Pfirsich — aber Du/ Bestandst darauf, verschmähtest meine Pfirsich, [emendiert nicht in ›Pfirsich,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Pfirsich,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / 1160 Nahmst von der Ananas, und plötzlich folgte/ Ein heftiges Erbrechen. — Sylvester. Das ist seltsam;/ Denn ich besinne mich noch eines Umstands —/ — Ganz recht. Die Katze war mir über’s Fläschgen/ Mit Ananas gekommen, und ich lieſs/ Von Agnes mir den Pfirsich reichen. — Nicht?/ Sprich, Agnes. 109 Agnes. Ja, so ist es. Sylvester. Ei, so hätte/ Sich seltsam ja das Blatt gewendet. Denn/ Die Ananas hat doch der Katze nicht/ Geschadet, aber mir Dein Pfirsich, den/ 1170 Du selbst mir zubereitet — ? Gertrude. — Drehen freilich/ Läſst Alles sich. — Sylvester. Meinst Du? Nun sieh, das mein / Ich auch, und habe Recht, wenn ich auf das,/ Was Du mir drehst, [emendiert nicht in ›drehst,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›drehst,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] nicht achte. — Nun, genug./ Ich will mit Ernst, daſs Du von Philipp schweigst./ Er sei vergiftet oder nicht, er soll/ Gestorben sein und weiter nichts. Ich will’s./ Jeronimus. Du sollt’st, Sylvester, doch den Augenblick/ 110 Der jetzt Dir günstig scheinet, nützen. Ist/ Der Todtschlag Peter’s ein Betrug, wie es/ 1180 Fast seyn muſs, so ist auch Johann darin/ Verwebt. Sylvester. Betrug? Wie wär das möglich?/ Jeronimus. Ei möglich wär es wohl, daſs Ruperts Sohn,/ Der doch ermordet seyn soll, bloſs gestorben,/ Und daſs, von der Gelegenheit gereizt,/ Den Erbvertrag zu seinem Glück zu lenken,/ Der Vater es verstanden, Deiner Leute,/ Die just vielleicht in dem Gebirge waren,/ In ihrer Unschuld so sich zu bedienen,/ Daſs es der Welt erscheint, als hätten wirklich/ 1190 Sie ihn ermordet — um mit diesem Scheine/ Des Rechts sodann den Frieden aufzukünden/ Den Stamm von Warwand auszurotten, dann/ Das Erbvermächtniſs sich zu nehmen. Sylvester. — Aber/ Du sagtest ja, der Eine meiner Leute/ 111 Hätt’s in dem Tode noch bekannt, er wäre/ Von mir gedungen zu dem Mord. —/ (Stillschweigen.) Jeronimus. Der Mann, den ich gesprochen, hatte nur/ Von dem Gefolterten ein Wort gehört./ Sylvester. Das war? Jeronimus. Sylvester. (Stillschweigen.) Jeronimus. Hast Du denn die Leute, / 1200 Die sogenannten Mörder nicht vermiſst?/ Von ihren Hinterlass’nen müſste sich/ Doch mancherlei erforschen lassen. Sylvester (zu den Leuten). Rufe/ Den Hauptmann Einer her! 112 Jeronimus. Von wem ich doch/ Den meisten Aufschluſs hoffe, ist Johann./ Sylvester. S’ist auch kein sich’rer. Jeronimus. Wie? Wenn er es nicht/ Gestehen will, macht man’s wie die von Rossitz,/ Und wirft ihn auf die Folter. Sylvester. Nun? Und wenn/ Er dann gesteht, daſs Rupert ihn gedungen?/ Jeronimus. So ist’s heraus, so ist’s am Tage. — Sylvester. So?/ 1210 Dann freilich bin ich auch ein Mörder./ (Stillschweigen.) 113 Jeronimus. Aus diesem Wirrwarr finde sich ein Pfaffe!/ Ich kann es nicht. Sylvester. Ich bin Dir wohl ein Räthsel?/ Nicht wahr? Nun, [emendiert nicht in ›Nun,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Nun,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] tröste Dich, Gott ist es mir./ Jeronimus. Sag’ kurz, was willst Du thun? Sylvester. Das beſste wär/ Noch immer, wenn ich Rupert sprechen könnte./ Jeronimus. — S’ist ein gewagter Schritt. Bei seiner Rede/ Am Sarge Peter’s schien kein menschliches,/ Kein göttliches Gesetz ihm heilig, das/ Dich schützt. Sylvester. Es wäre zu versuchen. Denn/ 1220 Es wagt ein Mensch oft den abscheulichen/ Gedanken, der sich vor der That entsetzt./ 114 Jeronimus. Er hat Dir heut das Beispiel nicht gegeben./ Sylvester. Auch diese Unthat, wenn sie häſslich gleich,/ Doch ist’s noch zu verzeihn, Jeronimus./ Denn schwer war er gereizt. — Auf jeden Fall/ Ist mein Gesuch so unerwarteter;/ Und öfters thut ein Mensch, was man kaum hofft,/ Weil man’s kaum hofft. Jeronimus. Es ist ein blinder Griff,/ Man kann es treffen. Sylvester. Ich will’s wagen. Reite/ 1230 Nach Rossitz, fordre sicheres Geleit,/ Ich denke, Du hast nichts zu fürchten. Jeronimus. — Nein;/ Ich will’s versuchen. (Ab in’s Thor.) Sylvester. So leb wohl. 115 Gertrude. Leb’ wohl,/ Und kehre bald mit Trost zu uns zurück./ (Sylvester, Gertrude und Agnes folgen.) Agnes (hebt im Abgehen den Dolch auf). Es giebt keinen. — Gertrude (erschrocken). Den Dolch — er ist vergiftet, Agnes, kann/ Vergiftet seyn. — Wirf gleich, sogleich ihn fort./ (Agnes legt ihn nieder.) Du sollst mit Deinen Händen nichts ergreifen,/ Nichts fassen, nichts berühren, das ich nicht/ Mit eignen Händen selbst vorher geprüft./ 1240 (Alle ab.) (Der Vorhang fällt.)
DRITTER AUFZUG.
ERSTE SCENE.
(Gegend im Gebirge. Agnes sitzt imVordergrunde der Höhle in der Stellung der
Trauer. Ottokar tritt auf, und stellt sich
ungesehen nahe der Höhle. Agnes erblickt
ihn, thut einen Schrei, springt auf und will
entfliehen.) Agnes (da sie sich gesammelt hat). Du bist’s. — Ottokar. Vor mir erschrickst Du? Agnes. Gott sei Dank./ 117 Ottokar. Und wie Du zitterst. — Agnes. Ach es ist vorüber./ Ottokar. Ist’s wirklich wahr, vor mir wärst Du erschrocken?/ Agnes. Es ist mir selbst ein Räthsel. Denn so eben/ Dacht’ ich noch dran, und rief den kühnen Muth,/ Die hohe Kraft, die unbezwingliche/ Standhaftigkeit herbei, mir beizustehn/ — Und doch ergrif’s mich, wie unvorbereitet,/ — — Nun, ist’s vorbei. — Ottokar. O Gott des Schicksals! Welch’ ein schönes,/ Welch’ ruhiges Gemüth hast Du gestört!/ 1250 Agnes. — Du hast mich herbestellt, was willst Du? 118 Ottokar. Wenn/ Ich’s Dir nun sage, kannst Du mir vertraun,/ Maria? Agnes. Warum nennst Du mich Maria?/ Ottokar. Erinnern will ich Dich mit diesem Namen/ An jenen schönen Tag, wo ich Dich taufte./ Ich fand Dich schlafend hier in diesem Thale,/ Das einer Wiege gleich Dich bettete./ Ein schützend Flordach webten Dir die Zweige, [liest ›Zweige,‹] / Es sang der Wasserfall ein Lied, wie Federn/ Umwehten Dich die Lüfte, eine Göttinn/ 1260 Schien Dein zu pflegen. — Da erwachtest Du,/ Und blicktest wie mein neugebohrnes Glück/ Mich an. — Ich fragte Dich nach Deinem Namen; / Du seist noch nicht getauft, sprachst Du. — Da schöpfte/ Ich eine Hand voll Wasser aus dem Quell,/ Benetzte Dir die Stirn, die Brust, und sprach:/ 119 Weil Du ein Ebenbild der Mutter Gottes,/ Maria tauf’ ich Dich. (Agnes wendet sich bewegt.) Wie war es damals/ Ganz anders, so ganz anders. Deine Seele/ Lag offen vor mir, wie ein schönes Buch, / 1270 Das sanft zuerst den Geist ergreift, dann tief/ Ihn rührt, dann unzertrennlich fest ihn hält./ Es zieht des Lebens Forderung den Leser/ Zuweilen ab, denn das Gemeine will/ Ein Opfer auch; doch immer kehrt er wieder/ Zu dem vertrauten Geist zurück, der in/ Der Göttersprache ihm die Welt erklärt,/ Und kein Geheimniſs ihm verbirgt, als das/ Geheimniſs nur von seiner eignen Schönheit,/ Das selbst ergründet werden muſs. Nun bist/ 1280 Du ein verschloſsner Brief. — Agnes (wendet sich zu ihm). Du sagtest gestern,/ Du wolltest mir etwas vertraun. 120 Ottokar. Warum/ Entflohest Du so schleunig? Agnes. Das fragst Du?/ Ottokar. Ich kann es fast errathen — vor dem Jüngling,/ Der uns hier überraschte; denn ich weiſs,/ Du hassest Alles, was aus Rossitz ist./ Agnes. Sie hassen mich. Ottokar. Ich kann es fast beschwören,/ Daſs Du Dich irrst. — Nicht Alle wenigstens;/ Zum Beispiel für den Jüngling steh’ ich. Agnes. Stehst Du. —/ Ottokar. Ich weiſs, daſs er Dich heftig liebt. — Agnes. Mich liebt. —/ 1290 121 Ottokar. Denn er ist mein vertrauter Freund. — Agnes. Dein Freund — ?/ Ottokar. — Was fehlt Dir, Agnes? Agnes. Mir wird übel (sie setzt sich). Ottokar. Welch’/ Ein Zufall — wie kann ich Dir helfen? Agnes. Laſs/ Mich einen Augenblick. — Ottokar. Ich will Dir Wasser/ Aus jener Quelle schöpfen (ab). Agnes (steht auf). Nun ist’s gut. / Jetzt bin ich stark. Die Krone sank ins Meer,/ 122 Gleich einem nackten Fürsten werf ich ihr/ Das Leben nach. Er bringe Wasser, bringe/ Mir Gift, [liest ›Giſt‹ und emendiert in ›Gift‹] gleich viel, ich trink’ es aus, er soll/ Das Ungeheuerste an mir vollenden./ 1300 (Sie setzt sich.) Ottokar (kommt mit Wasser in dem Huthe). Hier ist der Trunk — fühlst Du Dich besser? Agnes. Stärker/ Doch wenigstens. Ottokar. Nun, trinke doch. Es wird/ Dir wohl thun. Agnes. Wenn’s nur nicht zu kühl. Ottokar. Es scheint/ Mir nicht. Agnes. Versuch’s einmal. 123 Ottokar. Wozu? Es ist/ Nicht viel. Agnes. — — Nun, wie Du willst, so gieb. Ottokar. Nimm Dich/ In Acht, verschütte nichts. Agnes. Ein Tropfen ist/ Genug. (Sie trinkt, wobei sie ihn unverwandt
ansieht.) Ottokar. Wie schmeckt es Dir? Agnes. S’ist kühl. (Sie schauert.) Ottokar. So trinke/ Es aus. Agnes. Soll ich’s ganz leeren? 124 Ottokar. Wie Du willst,/ Es reicht auch hin. Agnes. Nun, warte nur ein Weilchen,/ Ich thue Alles, wie Du’s willst. Ottokar. Es ist/ 1310 So gut, wie Arzenei. Agnes. Für’s Elend. Ottokar. — Wie?/ Agnes. Nun, setz’ Dich zu mir, bis mir besser worden./ Ein Arzt, wie Du, dient nicht für Geld, er hat/ An der Genesung seine eigne Freude./ Ottokar. Wie meinst Du das — für Geld — [emendiert nicht in ›Geld —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Geld —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Agnes. Komm, laſs uns plaudern,/ 125 Vertreibe mir die Zeit, bis ich’s vollendet,/ Du weiſst, es sind Genesende stets schwatzhaft./ Ottokar. — Du scheinst so seltsam mir verändert. — [emendiert in ›verändert —‹] Agnes. Schon?/ Wirkt es so schnell? So muſs ich, was ich Dir/ Zu sagen habe, wohl beschleunigen./ 1320 Ottokar. Du mir zu sagen — [emendiert nicht in ›sagen —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›sagen —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Agnes. Weiſst Du, wie ich heiſse?/ Ottokar. Du hast verboten mir, danach zu forschen. —/ Agnes. Das heiſst, Du weiſst es nicht. Meinst Du,/ Daſs ich Dir’s glaube? Ottokar. Nun, ich will’s nicht läugnen. —/ Agnes. Wahrhaftig? Nun ich weiſs auch, wer Du bist!/ 126 Ottokar. Nun? Agnes. Ottokar von Schroffenstein. Ottokar. Wie hast/ Du das erfahren? Agnes. Ist gleichviel. Ich weiſs noch mehr. / Du hast beim Abendmahle mir den Tod/ Geschworen. Ottokar. Gott! O Gott! Agnes. Erschrick doch nicht./ Was macht es aus, ob ich’s jetzt weiſs? Das Gift/ 1330 Hab’ ich getrunken, Du bist quitt mit Gott./ Ottokar. Gift? 127 Agnes. Hier ist’s Uebrige, ich will es leeren./ Ottokar. Nein, halt! — Es ist genug für Dich. Gieb mir’s,/ Ich sterbe mit Dir. (Er trinkt.) Agnes. Ottokar! (Sie fällt ihm um den Hals.) Ottokar!/ O wär es Gift, und könnt’ ich mit Dir sterben!/ Denn ist es keins, mit Dir zu leben, darf/ Ich dann nicht hoffen, da ich so unwürdig/ An Deiner Seele mich vergangen habe./ Ottokar. Willst Du’s? Agnes. Was meinst Du? Ottokar. Mit mir leben?/ Fest an mir halten? Dem Gespenst des Mistrauns, / 1340 128 Das wieder vor mir treten könnte, kühn/ Entgegenschreiten? Unabänderlich,/ Und wäre der Verdacht auch noch so groſs,/ Dem Vater nicht, der Mutter nicht so traun,/ Als mir? Agnes. O Ottokar! Wie sehr beschämst/ Du mich. Ottokar. Willst Du’s? Kann ich Dich ganz mein nennen?/ Agnes. Ganz Deine, in der gränzenlosesten/ Bedeutung. Ottokar. Wohl, das steht nun fest, fest und gilt/ Für eine Ewigkeit. Wir werden’s brauchen./ Wir haben viel einander zu erklären,/ 1350 Viel zu vertraun. — Du weiſst mein Bruder ist — [emendiert nicht in ›ist —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›ist —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Von Deinem Vater hingerichtet. 129 Agnes. Glaubst Du’s?/ Ottokar. Es gilt kein Zweifel, denk’ ich, denn die Mörder/ Gestanden’s selbst. Agnes. So muſst Du’s freilich glauben./ Ottokar. Und nicht auch Du? Agnes. Mich überzeugt es nicht./ Denn etwas giebt’s, das über alles Wähnen,/ Und Wissen hoch erhaben — das Gefühl/ Ist es der Seelengüte Andrer. Ottokar. Höchstens/ Gilt das für Dich. Denn nicht wirst Du verlangen,/ Daſs ich mit Deinen Augen sehen soll./ 1360 130 Agnes. Und umgekehrt. Ottokar. Wirst nicht verlangen, daſs/ Ich meinem Vater weniger, als Du/ Dem Deinen, traue. Agnes. Und so umgekehrt./ Ottokar. O Agnes, ist es möglich? Muſs ich Dich/ So früh schon mahnen? Hast Du nicht versprochen,/ Mir Deiner heimlichsten Gedanken keinen/ Zu bergen? Denkst Du, daſs ich darum Dich/ Entgelten lassen werde, was Dein Haus/ Verbrach? Bist Du Dein Vater denn? Agnes. So wenig,/ Wie Du der Deinige — sonst würd ich Dich/ 1370 In Ewigkeit wohl lieben nicht. 131 Ottokar. Mein Vater?/ Was hat mein Vater denn verbrochen? Daſs/ Die Unthat ihn empört, daſs er den Thätern/ Die Fehde angekündigt, ist’s zu tadeln?/ Muſst’ er’s nicht fast? Agnes. Ich will’s nicht untersuchen./ Er war gereizt, s’ist wahr. Doch daſs er uns/ Das Gleiche, wie er meint, mit Gleichem gilt,/ Und uns den Meuchelmörder schickt, das ist/ Nicht groſs, nicht edel. Ottokar. Meuchelmörder? Agnes!/ Agnes. Nun, das ist, [emendiert nicht in ›Nun, das ist,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Nun, das ist,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Gott sei Dank, nicht zu bezweifeln,/ 1380 Denn ich erfuhr es selbst an meinem Leibe./ Er zückte schon den Dolch, da hieb Jerome/ Ihn nieder — und er liegt nun krank in Warwand./ 132 Ottokar. Wer that das? Agnes. Nun, ich kann Dir jetzt ein Beispiel/ Doch geben, wie ich innig Dir vertraue./ Der Mörder ist Dein Freund. Ottokar. Mein Freund? Agnes. Du nanntest/ Ihn selbst so, und das war es, was vorher/ Mich irrte. Ottokar. S’ist wohl möglich nicht — Johann? Agnes. Derselbe,/ Der uns auf diesem Platze überraschte./ Ottokar. O Gott, das ist ein Irrthum — sieh, das weiſs,/ 1390 Das weiſs ich. 133 Agnes. Ei, das ist doch seltsam. Soll/ Ich nun mit Deinen Augen sehn? Ottokar. Mein Vater!/ Ein Meuchelmörder! Ist er gleich sehr heftig, [emendiert nicht in ›heftig,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›heftig,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Nie hab’ ich anders doch ihn, als ganz edel/ Gekannt. Agnes. Soll ich nun Deinem Vater mehr,/ Als Du dem meinen traun? (Stillschweigen.) Ottokar. In jedem Falle,/ War zu der That Johann von meinem Vater/ Gedungen nicht. Agnes. Kann seyn. Vielleicht so wenig,/ Wie von dem Meinigen die Leute, die/ Den Bruder Dir erschlugen. (Stillschweigen.) 134 Ottokar. Hätte nur/ 1400 Jeronimus in seiner Hitze [emendiert nicht in ›Hitze‹ (vgl. Ghonorez HS)] nicht/ Den Menschen mit dem Schwerdte gleich verwundet/ Es hätte sich vielleicht das Räthsel gleich/ Gelös’t. Agnes. Vielleicht — so gut, wie wenn Dein Vater/ Die Leute nicht erschlagen hätte, die/ Er bei der Leiche Deines Bruders fand./ (Stillschweigen.) Ottokar. Ach, Agnes, [emendiert nicht in ›Agnes,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Agnes,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] diese That ist nicht zu läugnen,/ Die Mörder haben’s ja gestanden. — Agnes. Nun,/ Wer weiſs, was noch geschieht. Johann ist krank,/ Er spricht im Fieber manchen Namen aus,/ 1410 Und wenn mein Vater rachedürstend wäre,/ 135 Er könnte leicht sich einen wählen, der/ Für sein Bedürfniſs taugt. Ottokar. O Agnes! Agnes! / Ich fange an zu fürchten fast, daſs wir/ Doch Deinem Vater wohl zu viel gethan. / Agnes. Sehr gern nehm ich’s, wie All’ die Meinigen,/ Zurück, wenn wir von Deinem falsch gedacht./ Ottokar. Für meinen steh’ ich. Agnes. So, wie ich, für meinen./ Ottokar. Nun wohl, s’ist abgethan. Wir glauben uns./ — O Gott, welch’ eine Sonne geht mir auf!/ 1420 Wenn’s möglich wäre, wenn die Väter sich/ So gern, so leicht, wie wir, verstehen wollten!/ — Ja könnte man sie nur zusammen führen!/ Denn einzeln denkt nur jeder seinen einen/ Gedanken, käm’ der andere hinzu,/ 136 Gleich gäb’s den dritten, der uns fehlt./ — Und schuldlos, wie sie sind, müſst’ ohne Rede/ Sogleich ein Aug’ das andere verstehn./ — Ach, Agnes, wenn Dein Vater sich entschlösse!/ Denn kaum erwarten läſst’s von meinem sich./ 1430 Agnes. Kann sein, er ist schon auf dem Wege. Ottokar. Wie?/ Er wird doch nicht? Unangefragt, und ohne/ Die Sicherheit des Zutrits? Agnes. Mit dem Herold’/ Gleich wollt’ er fort nach Rossitz. Ottokar. — O das spricht/ Für Deinen Vater weit, weit besser, als/ Das beſste für den meinen. — Agnes. Ach, Du solltest/ 137 Ihn kennen, ihn nur einmal handeln sehn!/ Er ist so stark und doch so sanft. — Er hat es längst/ Vergeben. — Ottokar. Könnt’ ich das von meinem sagen!/ Denn niemals hat die blinde Rachsucht, die/ 1440 Ihn zügellos-wild [emendiert nicht in ›zügellos-wild‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›zügellos-wild‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] treibt, mir wohlgethan./ Ich fürchte viel von meinem Vater, wenn/ Der Deinige unangefragt erscheint./ Agnes. Nun, das wird jetzt wohl nicht geschehn, ich weiſs,/ Jeronimus wird ihn Euch melden. Ottokar. Jerome?/ Der ist ja selbst nicht sicher. Agnes. Warum das?/ Ottokar. Wenn er Johann verwundet hat, in Warwand/ Verwundet hat, das macht den Vater wüthend. / 138 Agnes. — Es muſs ein böser Mensch doch sein, Dein Vater./ Ottokar. Auf Augenblicke, ja. — Agnes. So solltest Du/ 1450 Doch lieber gleich zu Deinem Vater eilen,/ Zu mildern wenigstens, was möglich ist./ Ottokar. Ich mildern? Meinen [emendiert nicht in ›Meinen‹ (vgl. Ghonorez HS)] Vater? Gute Agnes,/ Er trägt uns, wie die See das Schiff, wir müssen/ Mit seiner Woge fort, sie ist nicht zu/ Beschwören. — Nein ich wüſste wohl was Bessers./ — Denn fruchtlos ist doch Alles, kommt der Irrthum/ An’s Licht nicht, der uns neckt. — Der Eine ist,/ Von jenem Anschlag auf Dein Leben, mir/ Schon klar. — Der Jüngling war mein Freund, um seine/ 1460 Geheimste Absicht kann ich wissen. — Hier/ 139 Auf dieser Stelle, Eifersucht gequält,/ Reizt’ er mit bittern Worten mich, zu ziehen/ — Nicht mich zu morden, denn er sagt es selbst,/ Er wolle sterben. Agnes. Seltsam! Gerade das/ Sagt’ er mir auch. Ottokar. Nun sieh, so ist’s am Tage./ Agnes. Das seh’ ich doch nicht ein — er stellte sich/ Wahnsinnig zwar, drang mir den Dolch auf, sagte,/ Als ich mich weigerte, ich hätt’ ihm Einen/ Schon in das Herz gedrückt. — Ottokar. Nun, das brauch’ ich/ 1470 Wohl Dir nicht zu erklären. — Agnes. Wie? 140 Ottokar. Sagt’ ich/ Dir nicht, daſs er Dich heftig liebe? Agnes. — O/ Mein Gott, was ist das für ein Irrthum. — Nun/ Liegt er verwundet in dem Kerker, niemand/ Pflegt seiner, der ein Mörder heiſst, und doch/ Ganz schuldlos ist. — Ich will sogleich auch gehen./ Ottokar. Nur einen Augenblick noch. — So wie Einer,/ Kann auch der andre Irrthum schwinden. — Weiſst/ Du, was ich thun jetzt werde? Immer ist’s/ Mir aufgefallen, daſs an beiden Händen/ 1480 Der Bruderleiche just derselbe Finger,/ Der kleine Finger fehlte. — Mördern, denk/ Ich, müſste jedes andre Glied fast wicht’ger/ Doch sein, als just der kleine Finger. Läſst/ Sich was erforschen, [emendiert nicht in ›erforschen,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›erforschen,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] ist’s nur an dem Ort/ Der That. Den weiſs ich. Leute wohnen dort, dort / Das weiſs ich auch. — Ja recht, ich gehe hin./ 141 Agnes. So lebe wohl denn. Ottokar. Eile nur nicht so;/ Wird Dir Johann entfliehn? — Nun pfleg’ ihm nur,/ Und sag’ ihm, daſs ich immer noch sein Freund./ 1490 Agnes. Laſs gut seyn, werd’ ihn schon zu trösten wissen. / Ottokar. Wirst Du? Nun Einen Kuſs will ich ihm gönnen./ Agnes. Den andern giebt er mir zum Dank. Ottokar. Den dritten/ Krieg’ ich zum Lohn für die Erlaubniſs. Agnes. Von/ Johann? 142 Ottokar. Das ist der vierte. Agnes. Ich versteh’/ Versteh schon. Nein, daraus wird nichts. Ottokar. Nun gut;/ Das nächstemal geb’ ich Dir Gift. Agnes (lacht). Frisch aus/ Der Quelle, Du trinkst mit. Ottokar (lacht). Sind wir/ Nicht wie die Kinder? Denn das Schicksal zieht/ Gleich einem strengen Lehrer, kaum ein freundlich/ 1500 Gesicht, sogleich erhebt der Muthwill wieder/ Sein keckes Haupt. Agnes. Nun bin ich wieder ernst,/ Nun geh’ ich. 143 Ottokar. Und wann kehrst Du wieder? Agnes. Morgen./ (Ab von verschiedenen Seiten.)
ZWEITE SCENE.
(Rossitz. Ein Zimmer im Schlosse. Rupert, Santing und Eustache treten auf.) Rupert. Erschlagen, sagst Du? Eustache. Ja, so spricht das Volk. [emendiert nicht in ›Volk.‹] / Rupert. Das Volk — ein Volk von Weibern wohl? Eustache. Mir hat’s/ Ein Mann bekräftigt. 144 Rupert. Hat’s ein Mann gehört?/ Santing. Ich hab’s gehört, Herr, und ein Mann, ein Wandrer,/ Der her aus Warwand kam, hat’s mitgebracht./ Rupert. Was hat er mitgebracht? Santing. Daſs Dein Johann/ Erschlagen sei. Eustache. Nicht doch, Santing, er sagte/ 1510 Nichts von Johann, vom Herold sagt’ er das./ Rupert. Wer von Euch beiden ist das Weib? Santing. Ich sage,/ Johann; und ist’s der Herold, wohl, so steckt/ Die Frau ins Panzerhemd, mich in den Weibsrock./ 145 Rupert. Mit eignen Ohren will ich’s hören. Bringt/ Den Mann zu mir. Santing. Ich zweifle, daſs er noch/ Im Ort. Eustache (sieht ihn an). Er ist im Hause. Rupert. Einerlei./ Bringt ihn. (Santing und Eustache ab.) Rupert (pfeift; zwei Diener erscheinen). Ruft gleich den Grafen Ottokar!/ Ein Diener. Es soll geschehn, Herr. (Bleibt stehen.) Rupert. Nun? was willst du? Der Diener. Herr,/ Wir haben eine Klingel hier gekauft,/ 1520 146 Und bitten dich, wenn du uns brauchst, so klingle./ (Er setzt die Klingel auf den Tisch.) Rupert. S’ist gut. Der Diener. Wir bitten dich darum, denn wenn/ Du pfeifst, so springt der Hund jedwedes mal/ Aus seinem Ofenloch, und denkt, es gelte ihm./ Rupert. — S’ist gut. (Diener ab; Eustache und einWanderer treten auf.) Eustache. Hier ist der Mann. — Hör’ es nun selbst,/ Ob ich Dir falsch berichtet. Rupert. Wer bist du, mein Sohn?/ Der Wanderer. Bin Hans Franz Flanz von Namen, Unterthan Unthertan / Aus deiner Herrschaft, komm vom Wandern in/ Die Heimath heut zurück. 147 Rupert. Du warst in Warwand;/ Was sahst du da? Der Wanderer. Sie haben deinen Herold/ 1530 Erschlagen. Rupert. Wer that es? Der Wanderer. Herr, die Namen giengen/ Auf keine Eselshaut. Es waren an/ Die Hundert über Einen, Alle Graf/ Sylvesters Leute. Rupert. War Sylvester selbst dabei?/ Der Wanderer. Er that, als wüſst er’s nicht, und lieſs sich bei/ Der That nicht sehen. Nachher, als die Stücken / Des Herolds auf dem Hofe lagen, kam er/ Herunter. 148 Rupert. Und was sagt’ er da? Der Wanderer. Er schalt und schimpfte/ Die Thäter tüchtig aus, es glaub’t ihm aber keiner./ Denn’s dauerte nicht lang’, so nannt er seine/ 1540 Getreuen Unterthanen sie. Rupert (nach einer Pause). O listig ist die Schlange — s’ist nur gut,/ Daſs wir das wissen, denn so ist sie’s nicht/ Für uns. Eustache (zum Wanderer). Hat denn der Herold ihn beleidigt?/ Rupert. Beleidigen! Ein Herold? Der die Zange/ Nur höchstens ist, womit ich ihn gekniffen./ Eustache. So läſst sich’s fast nicht denken, daſs die That/ Von ihm gestiftet; denn warum sollt’ er/ So zwecklos Dich noch mehr erbittern wollen?/ 149 Rupert. Er setzet die Erfindungskraft vielleicht/ 1550 Der Rache auf die Probe — nun wir wollen, [emendiert in ›wollen‹] / Doch einen Henker noch zu Rathe ziehen. [emendiert nicht in ›ziehen.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS: ›ziehn.‹)] / (Santing und ein zweiter Wanderer
treten auf.) Santing. Hier ist der Wandrer, Herr, er kann Dir sagen,/ Ob ich ein Weib, ob nicht. Rupert (wendet sich). Es ist doch nicht/ Die Höll’ in seinem Dienst. — Dienst — Zweiter Wanderer. Ja, Herr, Johann/ So heiſst der Rittersmann, den sie in Warwand/ Erschlagen. — Rupert. Rupert dreht sich zu ihm, schnell. Und also wohl den Herold nicht?/ Zweiter Wanderer. Herr, das geschah früher. 150 Rupert (nach einer Pause). Tretet ab — bleib Du, Santing./ (Die Wanderer und Eustache ab.) Rupert. Du siehst die Sache ist ein Mährchen. Kannst/ Du selbst nicht an die Quelle gehn nach Warwand,/ 1560 So glaub ich’s keinem. Santing. Herr, Du hätt’st den Mann / Doch hören sollen. In dem Hause war,/ Wo ich ihn traf, ein Andrer noch, der ihm/ Ganz fremd, und der die Nachricht mit den Worten/ Fast sagt’, als hätt’ er sie von ihm gelernt./ Rupert. Der Herold, [emendiert nicht in ›Herold,‹ (vgl. Anm. 1566)] sei’s — das wollt’ ich glauben; doch/ Johann! Wie käm denn der nach Warwand? Santing. Wie/ 151 Die Männer sprachen, hat er Agnes,/ Sylvesters Tochter, morden wollen. Rupert. Morden!/ Ein Mädchen! Sind sie toll? Der Junge ist/ 1570 Verliebt in Alles, was in Weiberröcken./ Santing. Er soll den Dolch auf sie gezückt schon haben,/ Da kommt Jeronimus, und haut ihn nieder./ Rupert. Jeronimus — wenn’s überhaupt geschehn,/ Daſs Er’s gethan, ist glaublich, denn ich weiſs,/ Der graue Geck freit um die Tochter. — Glaub’s/ Trotz Allem nicht, bis Du’s aus Warwand bringst./ Santing. So reit ich hin — und kehr ich heut am Tage/ Nach Rossitz nicht zurück, so ist’s ein Zeichen/ Von meinem Tode auch. Rupert. Auf jeden Fall/ 1580 Will ich den Dritten sprechen, der Dir’s sagte./ 152 Santing. Herr, der liegt krank im Haus’. Rupert. So führe mich zu ihm./ (Beide ab; Jeronimus und Eustache
treten im Gespräch von der andern
Seite auf.) Eustache. Um Gotteswillen, Ritter — [emendiert nicht in ›Ritter —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Ritter —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Jeronimus. Ihm den Mörder/ Zu senden, der ihm hinterrücks die Tochter/ Durchbohren soll, die Schuldlosreine, die/ Mit ihrem Leben nichts verbrach, als dieses/ Nur, daſs just dieser Vater ihr es gab./ Eustache. Du hörst mich nicht. — Jeronimus. Was seid ihr besser denn/ Als die Beklagten, wenn die Rache so/ Unwürdig niedrig ist, als die Beleidigung?/ 1590 153 Eustache. Ich sag’ Dir ja. — Jeronimus. Ist das die Weis’ in diesem/ Zweideutig bösen Zwist dem Rechtgefühl/ Der Nachbarn schleunig anzuweisen, wo/ Die gute Sache sei? Nein, wahrlich, nein,/ Ich weiſs es nicht, und soll ich’s jetzt entscheiden,/ Gleich zu Sylvester wend’ ich mich, nicht Euch./ Eustache. So laſs mich doch ein Wort nur sprechen — sind/ Wir denn die Stifter dieser That? Jeronimus. Ihr nicht/ Die Stifter? Nun, das nenn’ ich spaſshaft! Er,/ Der Mörder, hat es selbst gestanden. — Eustache. Wer/ 1600 Hat es gestanden? 154 Jeronimus. Wer fragst Du? Johann./ Eustache. O welch’ ein Scheusal ist der Lügner. — Ich/ Erstaun’, Jeronimus, und wage kaum/ Zu sagen, was ich von Dir denke. Denn/ Ein jedes unbestochnes Urtheil müſste/ Schnell frei uns sprechen. Jeronimus. Schnell? Da hast Du Unrecht. / Als ich Sylvester hörte, [emendiert nicht in ›hörte,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›hörte,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] hab’ ich schnell/ Im Geist entschieden, denn sehr würdig wieſs/ Die Schuld er von sich, die man auf ihn bürdet./ Eustache. Ist’s möglich, Du nimmst ihn in Schutz? Jeronimus. Haut mir/ 1610 Die Hand ab, wenn ich sie meineidig hebe;/ Unschuldig ist Sylvester! Eustache. Soll ich Dir/ 155 Mehr glauben, als den Thätern, die es selbst/ Gestanden? Jeronimus. Nun, das nenn’ ich wieder spaſshaft;/ Denn glauben soll ich doch von Euch, daſs Ihr/ Unschuldig, ob es gleich Johann gestanden./ Eustache. Nun über jedwedes Geständniſs geht/ Mein innerstes Gefühl doch. — Jeronimus. Gerad’ so spricht Sylvester,/ Doch mit dem Unterschied, daſs ich’s ihm glaube./ Eustache. Wenn jene That wie diese ist beschaffen — [emendiert nicht in ›geschaffen —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›geschaffen —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / 1620 Jeronimus. Für jene, für Sylvesters Unschuld, steh’ ich./ Eustache. [liest ›Eustache.‹] Und nicht für unsre? Jeronimus. Reinigt Euch. 156 Eustache. — Was hat/ Der Knabe denn gestanden? Jeronimus. Sag’ mir erst,/ Was hat der Mörder ausgesagt, den man/ Gefoltert — wörtlich will ich’s wissen. Eustache. Ach,/ Jeronimus, soll ich mich wahr Dir zeigen,/ Ich weiſs es nicht. Denn frag’ ich, heiſst es stets, stets: / Er hat’s gestanden; will ich’s wörtlich wissen, / So hat, vor dem Geräusch ein Jeder nur,/ Selbst Rupert nur ein Wort gehört: Sylvester./ 1630 Jeronimus. Selbst Rupert? Ei, wenn’s nur dies Wort bedurfte,/ So wuſste er’s wohl schon vorher, nicht wahr?/ So halb und halb? 157 Eustache. Gewiſs hat er’s vorher/ Geahndet. — Jeronimus. Wirklich? Nun so war auch wohl/ Dieſs Wort nicht nöthig, und ihr hättet Euch/ Mit einem Blick genügt. Eustache. Ach, mir hat’s nie/ Genügt — doch muſs die Flagge weh’n wohin/ Der Wind. — Ich werde nie den Unglückstag / Vergessen — und es knüpft, Du wirst es sehn,/ Sich eine Zukunft noch von Unglück an./ 1640 — Nun sag’ mir nur, was hat Johann bekannt?/ Jeronimus. Johann? Dasselbe. Er hat Euren Namen/ Genannt. Eustache. Und weiter nichts? Jeronimus. Das wäre schon/ Wenn nicht Sylvester edel wär’, genug./ 158 Eustache. So glaubt er’s also nicht? Jeronimus. Er ist der Einz’ge/ In seinem Warwand fast, der Euch entschuldigt./ Eustache. — Ja, dieser Haſs, der die zwei Stämme trennt,/ Stets grundlos schien er mir, und stets bemüht/ War ich, die Männer auszusöhnen — doch/ Ein neues Mistraun trennte stets sie wieder/ 1650 Auf Jahre, wenn so kaum ich sie vereinigt./ — Nun, weiter hat Johann [emendiert nicht in ›Johann‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS: ›Juan doch‹)] doch nichts bekannt./ Jeronimus. Auch dieses Wort selbst sprach er nur im Fieber/ — Doch wie gesagt, es wär’ genug. — genug. Eustache. So ist/ Er krank? Jeronimus. Er phantasirt sehr heftig, spricht/ 159 Das Wahre und das Falsche durch einander. —/ — Zum Beispiel, im Gebirge sei die Hölle/ Für ihn, für Ottokar und Agnes doch/ Der Himmel. Eustache. Nun, und was bedeutet das?/ Jeronimus. Ei, daſs sie sich so treu wie Engel lieben./ 1660 Eustache. Wie? Du erschreckst mich, Ottokar und Agnes?/ Jeronimus. Warum erschrickst Du? Denk’ ich doch, Du solltest/ Vielmehr Dich freun. Denn fast kein Minnesänger/ Könnt’ etwas besseres ersinnen, leicht/ Das Wildverworrene Euch aufzulösen,/ Das Blutig-angefangne lachend zu/ Beenden, und der Stämme Zwietracht ewig/ Mit seiner Wurzel auszurotten, als/ — Als eine Heirath. 160 Eustache. Ritter, Du erweckst/ Mir da Gedanken. — Aber wie? Man sagte,/ 1670 — War’s ein Gerücht nur bloſs? — Du freitest selbst/ Um Agnes? Jeronimus. Ja, s’ist wahr. — Doch wahr. Doch untersucht/ Es nicht, ob es viel Edelmuth, ob wenig/ Beweise, daſs ich Deinem Sohn sie gönne,/ — Denn kurz, das Mädel liebt ihn. Eustache. Aber sag’/ Mir nur, wie sie sich kennen lernten? Seit/ Drei Monden erst ist Ottokar vom Hofe/ Des Kaisers, dessen Edelknab’ er war,/ Zurück. In dieser Zeit hat er das Mädchen [liest ›Mädchen‹] Mädchen, [vgl. dagegen Ghonorez HS: ›Mädchen‹] [emendiert in ›Mädchen,‹] / In meinem Beisein mindstens nicht gesehn./ 1680 Jeronimus. Doch nicht in Deinem Beisein um so öfter./ Noch heute waren beid’ in dem Gebirge./ 161 Eustache. — Nun freilich, glücklich könnte sich’s beschlieſsen,/ Sylvester also wär bereit? Jeronimus. Ich bin/ Gewiſs, daſs er das Mädchen ihm nicht weigert,/ Obschon von ihrer Lieb’ er noch nichts weiſs./ — Wenn Rupert nur — [emendiert nicht in ›nur —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›nur —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Eustache. S’ist kaum zu hoffen, kaum,/ — Versuchen will ich’s. — Horch! Er kommt! Da ist er!/ (Rupert und Santing treten auf; Rupert
erblickt Jeronimus, erblaſst, kehrt um.) Rupert (im Abgehen). Santing! (Beide ab.)/ Jeronimus. Was war das? Eustache. Hat er Dich denn schon gesehen?/ 1690 162 Jeronimus. Absichtlich hab’ ich ihn vermieden, um/ Mit Dir vorher mich zu besprechen. — Wie/ Es scheint, ist er sehr aufgebracht. Eustache. Er ward/ Ganz blaſs als er Dich sah — das ist ein Zeichen/ Wie matte Wolkenstreifen stets für mich;/ Ich fürchte einen bösen Sturm. Jeronimus. Weiſs er/ Denn, daſs Johann von meiner Hand gefallen?/ Eustache. Noch wuſst’ er’s nicht, doch hat er eben jetzt/ Noch einen dritten Wanderer gesprochen./ Jeronimus. Das ist ein böser Strich durch meinen Plan./ 1700 Rupert (tritt auf). Laſs uns allein, Eustache. 163 Eustache (halblaut zu Jeronimus). Hüte Dich,/ Um Gotteswillen (ab). Jeronimus. Sei gegrüſset! Rupert. Sehr/ Neugierig bin ich zu erfahren, was/ Zu mir nach Rossitz Dich geführt. — Du kommst/ Aus Warwand — nicht? Jeronimus. Unmittelbar von Hause,/ Doch war ich kürzlich dort. Rupert. So wirst Du wissen,/ Wir Vettern sind seit kurzer Zeit ein wenig/ Schlimm übern Fuſs gespannt. — Vielleicht hast Du/ Aufträg’ an mich, kommst im Geschäft des Friedens,/ Stellst selbst vielleicht die heilige Person/ 1710 Des Herolds vor — ? 164 Jeronimus. Des Herolds? — Nein — Warum? Nein. Warum? [vgl. dagegen Ghonorez HS: ›Nein — Warum?‹] [emendiert in ›Nein. Warum?‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert in ›Nein. Warum?‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / — Die Frag’ ist seltsam. — Als Dein Gast komm’ ich./ Rupert. Mein Gast — und hätt’st aus Warwand keinen Auftrag?/ Jeronimus. Zum mindsten keinen andern, dessen ich/ Mich nicht als Freund des Hauses im Gespräch/ Gelegentlich entled’gen könnte. Rupert. Nun,/ Wir brechen die Gelegenheit vom Zaune;/ Sag’ an. Jeronimus. — Sylvester will Dich sprechen. Rupert. Mich;/ Mich sprechen? 165 Jeronimus. Freilich seltsam ist die Forderung,/ Ja unerhört fast — dennoch gäbs ein Zeichen,/ 1720 Ein sichres fast, von seiner Unschuld, wär’/ Es dieses. Rupert. Unschuld? Jeronimus. Ja, mir ist’s ein Räthsel, / Wie Dir, da es die Mörder selbst gestanden./ Zwar ein Geständniſs auf der Folter ist/ Zweideutig stets — auch war es nur ein Wort,/ Das doch im Grunde stets sehr unbestimmt./ Allein, [emendiert nicht in ›Allein,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Allein,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] trotz Allem, der Verdacht bleibt groſs,/ Und fast unmöglich scheint’s — zum Wenigsten/ Sehr schwer, doch sich davon zu reinigen./ Rupert. Meinst Du? Jeronimus. Doch, wie gesagt, er hält’s für möglich./ 1730 Er glaubt, es steck’ ein Irrthum wo verborgen — verborgen. — [vgl. dagegen Ghonorez HS] [emendiert in ›verborgen. —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert in ›verborgen. —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / 166 Rupert. Ein Irrthum? Jeronimus. Den er aufzudecken, nichts / Bedürfe, als nur ein Gespräch mit Dir./ Rupert. — Nun, [liest ›— Nun,‹] [liest ›— Nun.‹, emendiert nicht.] meinetwegen. Jeronimus. Wirklich? Willst Du’s thun?/ Rupert. Wenn Du ihn jemals wiedersehen solltest. —/ Jeronimus. — Jemals? Ich eile gleich zu ihm. Rupert. So sag’s/ Daſs ich mit Freuden ihn erwarten würde./ Jeronimus. O welche seegensreiche Stunde hat/ Mich hergeführt. — Ich reite gleich nach Warwand,/ 167 Und bring’ ihn her. — Mögt’ er Dich auch so finden,/ 1740 So freundlich, und so mild, wie ich. — Mach’s ihm/ Nicht schwer, die Sache ist verwickelt, blutig/ Ist die Entscheidung stets des Schwerdts, und Frieden/ Ist die Bedingung doch von allem Glück./ Willst Du ihn nur unschuldig finden, wirst/ Du’s auch. — Ich glaub’s, bei meinem Eid, ich glaub’s,/ Ich war wie Du von dem Verdacht empört,/ Ein einz’ger Blick auf sein ehrwürdig Haupt,/ Hat schnell das Wahre mich gelehrt. — Rupert. Dein Amt/ Scheint aus, wenn ich nicht irre. Jeronimus. Nur noch zur/ 1750 Berichtigung etwas von zwei Gerüchten,/ Die bös’ verfälscht, wie ich fast fürchte, Dir/ Zu Ohren kommen mögten. — 168 Rupert. Nun? Jeronimus. Johann/ Liegt krank in Warwand. Rupert. Auf den Tod, ich weiſs. / Jeronimus. Er wird nicht sterben. Rupert. Wie es Euch beliebt./ Jeronimus. Wie? Rupert. Weiter — Nun, das andere Gerücht?/ Jeronimus. Ich wollt’ Dir sagen noch, daſs zwar Johann/ Den Dolch auf Agnes — [emendiert nicht in ›Agnes —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Agnes —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Rupert. Ich hatt’ ihn gedungen./ 169 Jeronimus. Wie sagst Du? Rupert. Könnt’s mir doch nichts helfen, wenn/ Ich’s läugnen wollte, da er’s ja gestanden./ 1760 Jeronimus. Vielmehr das Gegentheil — aus seiner Rede/ Wird klar, daſs Dir ganz unbewuſst die That./ Rupert. Sylvester doch ist überzeugt, wie billig,/ Daſs ich so gut ein Mörder bin, wie er?/ Jeronimus. Vielmehr das Gegentheil — der Anschein hat/ Das ganze Volk getäuscht, doch er bleibt stets / Unwandelbar, und nennt Dich schuldlos./ Rupert. O List der Hölle, von dem Bösesten/ Der Teufel ausgeheckt! Jeronimus. Was ist das? Rupert!/ 170 Rupert (faſst sich). Das war das eine. — Nun, sprich weiter, noch/ 1770 Ein anderes Gerücht wollt’st Du bericht’gen./ Jeronimus. Gieb mir erst Kraft und Muth, gieb mir Vertraun./ Rupert. Sieh zu, wie’s geht — sag’ an. Jeronimus. Der Herold ist — [emendiert nicht in ›ist —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›ist —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Rupert. Erschlagen, weiſs ich — doch Sylvester ist/ Unschuldig an dem Blute. Jeronimus. Wahrlich, ja,/ Er lag in Ohnmacht während es geschah./ Es hat ihn tief empört, er bietet jede/ Genugthuung Dir an, die Du nur forderst./ Rupert. Hat nichts zu sagen. — 171 Jeronimus. Wie? Rupert. Was ist ein Herold?/ Jeronimus. Du bist entsetzlich. — Rupert. Bist Du denn ein Herold? — ?/ 1780 Jeronimus. Dein Gast bin ich, ich wiederhol’s. - Und wenn/ Der Herold Dir nicht heilig ist, so wird’s/ Der Gast Dir seyn. Rupert. Mir heilig? Ja. Doch fall’/ Ich leicht in Ohnmacht. Jeronimus. Lebe wohl (schnell ab)./ (Pause; Eustache stürzt aus dem Nebenzimmer herein.) 172 Eustache. Um Gotteswillen, rette, rette (Sie öffnet das Fenster) Alles/ Fällt über ihn — Jeronimus! — das Volk/ Mit Keulen — rette, rette ihn — sie reiſsen/ Ihn nieder, nieder liegt er schon am Boden —/ Um Gotteswillen, komm’ an’s Fenster nur,/ Sie tödten ihn. — Nein wieder steht er auf,/ 1790 Er zieht, er kämpft, sie weichen. — Nun, ist’s Zeit,/ O Rupert, ich beschwöre Dich. — Sie dringen/ Schon wieder ein, er wehrt sich wüthend. — Rufe/ Ein Wort, um aller Heil’gen willen nur/ Ein Wort aus diesem Fenster. — — Ah! Jetzt fiel/ Ein Schlag — — er taumelt, Ah! noch Einer. — — Nun/ Ist’s aus. — Nun fällt er um. — Nun ist er todt. — —/ (Pause; Eustache tritt vor Rupert.) 173 O welch’ entsetzliche Gelassenheit — —/ — Es hätte Dir ein Wort gekostet, nur/ Ein Schritt bis zu dem Fenster, ja, Dein bloſses/ 1800 Gebieterantlitz hätte sie geschreckt. —/ — Mög’ einst in jener bittern Stunde, wenn/ Du Hülfe Gottes brauchest, Gott nicht säumen,/ Wie Du, mit Hülfe vor Dir zu erscheinen./ Santing (tritt auf). S’ist abgethan, Herr. Eustache. Abgethan? Wie sagst/ Du, Santing — Rupert, [emendiert nicht in ›Du, Santing — Rupert,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Du, Santing — Rupert,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] abgethan? (Rupert wendet sich verlegen.) O jetzt/ Ist’s klar. — Ich Thörinn, die ich Dich zur Rettung/ Berief! — O pfui! Das ist kein schönes Werk,/ Das ist so häſslich, so verächtlich, daſs/ Selbst ich, Dein unterdrücktes Weib, es kühn/ 1810 Und laut verachte. Pfui! O pfui! Wie Du/ Jetzt vor mir sitzest und es leiden muſst,/ 174 Daſs ich in meiner Unschuld hoch mich brüste./ Denn über Alles siegt das Rechtgefühl,/ Auch über jede Furcht und jede Liebe,/ Und nicht der Herr, der Gatte nicht, der Vater/ Nicht meiner Kinder ist so heilig mir,/ Daſs ich den Richterspruch verläugnen sollte,/ Du bist ein Mörder. Rupert (steht auf). Wer zuerst ihn tödtlich/ Getroffen hat, der ist des Todes! Santing. Herr,/ 1820 Auf Dein Geheiſs. — Rupert. Wer sagt das? Santing. S’ist ein Faustschlag/ Mir ins Gesicht. Rupert. Stecks ein. (Er pfeift; zwei Diener erscheinen.) Wo sind die Hunde wenn Ich pfeife? — Ruft den Grafen auf mein Zimmer./ (Der Vorhang fällt.)
VIERTER AUFZUG.
ERSTE SCENE.
(Rossitz. Zimmer im Schlosse. Rupert und Santing treten auf.) Rupert. Das eben ist der Fluch der Macht, daſs sich/ Dem Willen, dem leicht widerruflichen,/ Ein Arm gleich beut, der fest unwiderruflich/ Die That ankettet. Nicht ein Zehntheil würd’/ Ein Herr des Bösen thun, müſst’ er es selbst/ Mit eignen Händen thun. Es heckt sein bloſser/ Gedanke [emendiert nicht in ›Gedanke‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Gedanke‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Unheil aus, und seiner Knechte/ 1830 Geringster hat den Vortheil über ihn,/ Daſs er das Böse wollen darf. 176 Santing. Ich kann/ Das Herrschen Dir nicht lehren, Du nicht das/ Gehorchen mir. Was Dienen ist, das weiſs/ Ich auf ein Haar. Befiehl, daſs ich Dir künftig/ Nicht mehr gehorche, wohl, [emendiert nicht in ›wohl,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›wohl,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] so will ich Dir/ Gehorchen. Rupert. Dienen! Mir gehorchen! Dienen!/ Sprichst Du doch wie ein Neuling. Hast Du mir/ Gedient? Soll ich Dir erklären, was/ Ein Dienst sei? Nützen, nützen, [emendiert nicht in ›nützen,‹] [emendiert nicht in ›nützen,‹] nützen soll er. — Was/ 1840 Denn ist durch Deinen mir geworden, als/ Der Reue eckelhaft Gefühl? Es ist/ Mir widerlich, ich will’s gethan nicht haben./ Auf Deine Kappe nimm’s — ich steck’ Dich in/ Den Schloſsthurm. — Santing. Mich? 177 Rupert. Kommst Du heraus, das schöne/ Gebirgslehn wird Dir nicht entgehn. Eustache (tritt auf). Rupert. (Steht auf, zu Santing, halblaut.) Es bleibt/ Dabei. In vierzehn Tagen bist Du frei./ (Zu Eustache.) Was willst Du? Eustache. Stör’ ich? Rupert. (Zu Santing.) Gehe! Meinen Willen/ Weiſst Du. So lange ich kein Knecht, soll mir/ Den Herrn ein Andrer auf der Burg nicht spielen./ 1850 Den Zügel hab’ ich noch, sie sollen sich/ Gelassen dran gewöhnen, müſsten sie/ Die Zähne sich daran zerbeiſsen. Der/ Zuerst den Herold angetastet, hat/ 178 Das Beil verwirckt. — Dich steck ich in den Schloſsthurm./ — Kein Wort, sag’ ich, wenn Dir Dein Leben lieb!/ Du hast ein Wort gedeutet, eigenmächtig, / Rebellisch Deines Herren Willen misbraucht —/ — Ich schenk’ Dir’s Leben. Fort. Fort! Trit ab./ (Santing ab.) (Zu Eustache.) Was willst Du? Eustache. Mein Herr, und mein Gemahl — [emendiert nicht in ›Gemahl —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Gemahl —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Rupert. Wenn Du/ 1860 Die Rede, die Du kürzlich hier begonnen,/ Fortsetzen willst, so spar es auf; Du siehst siehst, / Ich bin so eben nicht gestimmt, es an/ Zu hören. Eustache. [liest ›Eustache.‹] Wenn ich Unrecht Dir gethan — [emendiert nicht in ›gethan —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›gethan —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / 179 Rupert. So werd’ ich mich vor Dir wohl reinigen müssen?/ Soll ich etwa das Hofgesinde rufen,/ Und öffentlich Dir Rede stehn? Eustache. O mein/ Gemahl, ein Weib glaubt gern an ihres Mannes/ Unschuld, und küssen will ich Deine Hand/ Mit Thränen, Freudenthränen, wenn sie rein/ 1870 Von diesem Morde. Rupert. Wissen es die Leute,/ Wie’s zugegangen? Eustache. Selber spricht die That./ Das Volk war aufgehetzt von Santing. Rupert. Daſs/ Ich auf Dein Rufen an das Fenster nicht/ Erschienen, ist mir selber unerklärlich,/ Sehr schmerzhaft ist mir die Erinnerung./ 180 Eustache. Es würde fruchtlos doch gewesen seyn. / Er sank so schleunig hin, daſs jede Rettung, [emendiert nicht in ›Rettung,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Rettung,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Die schnellste selbst, zu spät gekommen wäre./ Auch ganz aus seiner Schranke war das Volk,/ 1880 Und hätte nichts von Deinem Wort gehört./ Rupert. Doch hätt ich mich gezeigt. — Eustache. Nun freilich wohl./ Die Kammerzofe (stürzt herein, umfaſstEustachens Füſse). Um Deine Hülfe, Gnädigste! Erbarmung,/ Gebieterinn! Sie führen ihn zum Tode,/ Errettung von dem Tod! [emendiert nicht in ›Tod!‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Tod!‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Laſs ihn, laſs mich,/ Laſs uns nicht aufgeopfert werden! Eustache. Dich?/ Bist Du von Sinnen? Die Kammerzofe. Meinen Friedrich. Er/ Hat ihn zuerst getroffen. 181 Eustache. Wen? Die Kammerzofe. Den Ritter,/ Den Dein Gemahl geboten zu erschlagen./ Rupert. Geboten — ich! Den Teufel hab’ ich. — Santing/ 1890 Hat’s angestiftet! Die Kammerzofe. (Steht auf.) Santing hat’s auf Dein/ Geheiſs gestiftet. Rupert. Schlange, giftige!/ Aus meinen Augen, fort! Die Kammerzofe. Auf Dein Geheiſs/ Hat’s Santing angestiftet. Selbst hab’ ichs/ Gehört, wie Du’s dem Santing hast befohlen. / Rupert. — Gehört? — Du selbst? 182 Die Kammerzofe. Ich stand im Schloſsflur, stand/ Dicht hinter Dir, ich hörte jedes Wort,/ Doch Du warst blind vor Wuth, und sahst mich nicht./ Es haben’s auſser mir noch zwei gehört./ Rupert. — S’ist gut. Trit ab. Die Kammerzofe. So schenkst Du ihm das Leben?/ 1900 Rupert. S’soll aufgeschoben seyn. Die Kammerzofe. O Gott sei Dank!/ Und Dir sei Dank, mein beſster Herr, es ist/ Ein braver Bursche, der sein Leben wird/ An Deines setzen. Rupert. Gut, sag’ ich. Trit ab. (Kammerzofe ab.)/ (Rupert wirft sich auf einen Sessel; Eustache nähert sich ihm; Pause.) 183 Eustache. Mein theurer Freund. — Rupert. Laſs mich allein, Eustache./ Eustache. O laſs mich bleiben. — O dies menschlich schöne/ Gefühl, das Dich bewegt, löscht jeden Fleck, [liest ›Fleck’‹ und emendiert in ›Fleck,‹] [liest ›Fleck’‹, emendiert nicht in ›Fleck,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Denn Reue ist die Unschuld der Gefallnen./ An ihrem Glanze weiden will ich mich,/ Denn [liest ›Dcnn‹ und emendiert] herrlicher bist Du mir nie erschienen,/ 1910 Als jetzt. Rupert. Ein Elender bin ich. — Eustache. Du glaubst/ Es. — Ah! Der Augenblick nach dem Verbrechen/ Ist oft der schönste in dem Menschenleben,/ Du weiſst’s nicht — ach, Du weiſst es nicht und grade/ Das macht Dich herrlich. Denn nie besser ist/ 184 Der Mensch, als wenn er es recht innig fühlt,/ Wie schlecht er ist. Rupert. Es kann mich keiner ehren,/ Denn selbst ein Eckel bin ich mir. Eustache. Den soll/ Kein Mensch verdammen, der sein Urtheil selbst/ Sich spricht. O hebe Dich! Du bist so tief/ 1920 Bei Weitem nicht gesunken, als Du hoch/ Dich heben kannst. Rupert. Und wer hat mich so häſslich/ Gemacht? O hassen will ich ihn. — Eustache. Rupert!/ Du könntest noch an Rache denken? Rupert. Ob/ Ich an die Rache denke? — Frage doch,/ Ob ich noch lebe? 185 Eustache. Ist es möglich? O/ Nicht diesen Augenblick zum Wenigsten/ Wirst Du so bös’ beflecken. [emendiert nicht in ›beflecken.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] — Teufel nicht/ In Deiner Seele dulden, wenn ein Engel/ Noch mit mir spricht aus Deinen Zügen. Rupert. Soll/ 1930 Ich Dir etwa erzählen, daſs Sylvester/ Viel Böses mir gethan? Und soll ich’s ihm/ Verzeih’n, als wär es nur ein Weiberschmollen?/ Er hat mir freilich nur den Sohn gemordet,/ Den Knaben auch, der lieb mir wie ein Sohn. — / Eustache. O sprich’s nicht aus! Wenn Dich die That gereut,/ Die blutige, die Du gestiftet, wohl,/ So zeig’s, und ehre mindestens im Tode/ Den Mann mit dessen Leben Du gespielt./ Der Abgeschiedene hat es beschworen:/ 1940 Unschuldig ist Sylvester! (Rupert sieht ihr starr ins Gesicht.) 186 So unschuldig/ An Peter’s Mord, wie wir an jenem Anschlag/ Auf Agnes Leben. Rupert. Ueber die Vergleichung!/ Eustache. Warum nicht mein Gemahl? Denn es liegt Alles/ Auf beiden Seiten gleich, bis selbst auf die/ Umstände noch der That. Du fandst Verdächt’ge/ Bei Deinem todten Kinde, so in Warwand;/ Du hiebst sie nieder, so in Warwand; sie/ Gestanden Falsches, so in Warwand; Du/ Vertrautest ihnen, so in Warwand. — Nein,/ 1950 Der einz’ge Umstand ist verschieden, daſs/ Sylvester selber doch Dich frei spricht. Rupert. O/ Gewendet, listig, haben sie das ganze/ Verhältniſs, mich, den Kläger, zum Verklagten/ Gemacht. — Und um das Bubenstück, das mich/ 187 Der ganzen Welt als Mörder zeigt, noch zu/ Vollenden, so verzeiht er mir. — Eustache. Rupert!/ O welch ein häſslicher Verdacht, der schon/ Die Seele schändet, die ihn denkt. Rupert. Verdacht/ Ist’s nicht in mir, es ist Gewiſsheit. Warum/ 1960 Meinst Du, hätt’ er mir wohl verziehen, da/ Der Anschein doch so groſs, als nur, damit/ Ich gleich gefällig mich erweise? Er/ Kann sich nicht reinigen, er kann es nicht,/ Und nun, damit ich’s ihm erlass’, erläſst/ Er’s mir. — Nun, halb zum Wenigsten soll ihm/ Das Bubenstück gelingen nur. Ich nehme/ Den Mord auf mich — und hätt’ der Jung’ das Mädchen/ Erschlagen, wär’s mir recht. Eustache. Das Mädchen? O/ 188 Mein Gott, Du wirst das Mädchen doch nicht morden?/ 1970 Rupert. Die Stämme sind zu nah’ gepflanzet, sie/ Zerschlagen sich die Aeste. Eustache (zu seinen Füſsen). O verschone, [emendiert nicht in ›verschone,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›verschone,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Auf meinen Knien bitt’ ich Dich verschone/ Das Mädchen — wenn Dein eigner Sohn Dir lieb,/ Wenn seine Liebe lieb Dir, wenn auf immer/ Du seinen Fluch Dir nicht bereiten willst,/ Verschone Agnes. — Rupert. Welche seltsame/ Anwandlung? Mir den Fluch des Sohnes? Eustache. Ja,/ Es ist heraus — auf meinen Knien beschwöre/ Ich Dich, bei jener ersten Nacht, die ich/ 1980 Am Tage vor des Priesters Spruch Dir schenkte,/ 189 Bei unserm einz’gen Kind, bei unserm letzten/ Das Du hinopferst, und das Du doch nicht/ Gebohren hast, wie ich, o mache diesem/ Unseelig-bösen Zwist ein Ende, der/ Bis auf den Namen selbst den ganzen Stamm/ Der Schroffensteine auszurotten droht./ Gott zeigt den Weg selbst zur Versöhnung Dir. [emendiert nicht in ›Dir.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Die Kinder lieben sich, ich habe sichre/ Beweise. — Rupert. Lieben? Eustache. Unerkannt hat Gott/ 1990 In dem Gebirge sie vereint. Rupert. Gebirg?/ Eustache. Ich weiſs es von Jeronimus, der Edle!/ Vortreffliche! Sein eigner Plan war es/ Die Stämme durch die Heirath zu versöhnen,/ Und selbst sich opfernd, trat er seine Braut/ 190 Dem Sohne seines Freundes ab. — O ehre/ Im Tode seinen Willen, daſs sein Geist/ In Deinen Träumen Dir nicht mit Entsetzen/ Begegne. — Sprich, o sprich den Seegen aus!/ Mit Thränen küss’ ich Deine Knie, küsse/ 2000 Mit Inbrunst Deine Hand, die ach! noch schuldig/ Was sie am Altar mir versprach — o brauche/ Sie einmal doch zum Wohlthun, gieb dem Sohne/ Die Gattinn, die sein Herz begehrt, und Dir/ Und mir und allen Unsrigen den Frieden. —/ Rupert. Nein, sag’ mir, hab’ ich recht gehört, sie sehen/ Sich im Gebirge, Ottokar und Agnes?/ Eustache (steht auf). O Gott, mein Heiland, was hab’ ich gethan?/ Rupert (steht auf). Das freilich ist ein Umstand von Bedeutung./ (Er pfeift; zwei Diener erscheinen.) 191 Eustache. Wär’s möglich? Nein. — O Gott sei Dank! Das wäre/ 2010 Ja selbst für einen Teufel fast zu boshaft. —/ Rupert (zu den Dienern). Ist noch der Graf zurück nicht vom Spatziergang?/ Ein Diener. Nein, Herr. Rupert. Wo ist der Santing? Ein Diener. Bei der Leiche./ Rupert. Führ mich zu ihm (ab). Eustache (ihm nach). Rupert! Rupert! O höre. — (Alle ab.)/
ZWEITE SCENE.
(Warwand. [emendiert nicht in ›(Warwand.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›(Warwand.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Zimmer im Schlosse. Sylvester tritt auf, öffnet ein Fenster, undbleibt mit Zeichen einer tiefen Bewegung davor stehen. Gertrude tritt auf, und nähert
sich ihm mit verdeckten [emendiert in ›verdecktem‹] Gesicht.) Gertrude. Weiſst Du es? Agnes (tritt auf, noch an der Thür halblaut). Mutter! Mutter! (Gertrude sieht sich um, Agnes nähert sich ihr.) Weiſst Du die/ Entsetzensthat? Jerome ist erschlagen. (Gertrude giebt ihr ein bejahendes Zeichen.) Weiſs er’s?/ Gertrude (wendet sich zu Sylvester). Sylvester! Sylvester (ohne sich umzusehen). Bist Du es Gertrude? 193 Gertrude. Wenn/ Ich wüſste, wie Du jetzt gestimmt, viel hätt ich/ Zu sagen Dir. Sylvester. Es ist ein trüber Tag/ Mit Wind und Regen, viel Bewegung drauſsen. — / 2020 Es zieht ein unsichtbarer Geist, gewaltig,/ Nach Einer Richtung Alles fort, den Staub,/ Die Wolken, und die Wellen. — Gertrude. [emendiert nicht in ›Gertrude.‹] Willst Du mich,/ Sylvester, hören? Sylvester. Sehr beschäftigt mich/ Dort jener Seegel — siehst Du ihn? Er schwankt/ Gefährlich, übel ist sein Stand, er kann/ Das Ufer nicht erreichen. — Gertrude. Höre mich,/ 194 Sylvester, eine Nachricht hab’ ich Dir/ Zu sagen von Jerome. Sylvester. Er, er ist/ Hinüber — (er wendet sich) ich weiſs Alles. Gertrude. Weiſst Du’s? Nun/ 2030 Was sagst Du? Sylvester. Wenig will ich sagen. Ist/ Theistin noch nicht zurück? Gertrude. So willst Du nun/ Den Krieg beginnen? Sylvester. Kenn’ ich doch den Feind./ Gertrude. Nun freilich wie die Sachen stehn, so muſst/ Du’s wohl. Hat er den Vetter hingerichtet,/ 195 Der schuldlos war, so wird er Dich nicht schonen./ Die Zweige abzuhaun des ganzen Stammes,/ Das ist sein überlegter Plan, damit/ Das Mark ihm seinen Wipfel höher treibe./ Sylvester. Den Edelen, der nicht einmal als Herold/ 2040 Gekommen, der als Freund nur das Geschäft/ Betrieb des Friedens, preiſszugeben — ihn/ Um sich an mir zu rächen, preiſszugeben/ Dem Volke. — Gertrude. Nun doch, endlich wirst Du ihn/ Nicht mehr verkennen? Sylvester. Ihn hab’ ich verkannt,/ Jeronimus — hab’ ihn der Mitschuld heute/ Geziehen, der sich heut für mich geopfert./ Denn wohl geahndet hat es ihm — mich hielt/ Er ab, und gieng doch selbst nach Rossitz, der/ Nicht sichrer war, als ich. — 196 Gertrude. Konnt’ er denn anders?/ 2050 Denn weil Du Rupert stets mit blinder Neigung/ Hast freigesprochen, ja sogar gezürnt,/ Wenn man es nur gewagt ihm zu miſstraun,/ So muſst’ er freilich zu ihm gehen. — Sylvester. Nun,/ Beruh’ge Dich — fortan kein anderes/ Gefühl als nur der Rache will ich kennen,/ Und wie ich duldend, einer Wolke gleich [emendiert nicht in ›duldend, einer Wolke gleich‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›duldend, einer Wolke gleich‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Ihm lange überm Haupt geschwebt, so fahr’/ Ich einem Blitze gleich jetzt über ihn./ Theistiner (tritt auf). Hier bin ich wieder, [emendiert nicht in ›wieder,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›wieder,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Herr, von meinem Zuge/ 2060 Und bringe gleich die fünf Vasallen mit./ Sylvester (wendet sich schnell). Wo sind sie? Theistiner. Unten in dem Saale. Drei,/ Der Manso, Vitina, Paratzin, haben/ 197 Auf ihren Kopf ein dreiſsig Männer gleich/ Nach Warwand mitgebracht. Sylvester. Ein dreiſsig Männer?/ — Ein ungesprochner Wunsch ist mir erfüllt./ — Laſst mich allein ihr Weiber. (Die Weiber ab.) Wenn sie so/ Ergeben sich erweisen, sind sie wohl/ Gestimmt, daſs man sie schleunig brauchen kann?/ Theistiner. Wie den gespannten Bogen, Herr; der Mord/ 2070 Jerome’s hat ganz wüthend sie gemacht./ Sylvester. So wollen wir die Witterung benutzen./ Er will nach meinem Haupte greifen, will/ Es — nun, so greif’ ich schnell nach seinem. Dreiſsig/ Sagst Du, sind eben eingerückt, ein Zwanzig/ Bring’ ich zusammen, das ist mit dem Geiste,/ 198 Der mit uns geht, ein Heer — Theistin, was meinst Du?/ Noch diese Nacht will ich nach Rossitz. Theistiner. Herr,/ Gieb mir ein Funfzehn von dem Trupp, spreng’ ich/ Die Thore selbst und öffne Dir den Weg./ 2080 Ich kenn das Nest als wär’s ein Dachsloch — noch/ Erwarten sie von uns nichts Böses, ich/ Beschwör’s, die sieben Bürger halten Wache/ Noch, wie in Friedenszeiten. Sylvester. So bleibt’s dabei./ Du nimmst den Vortrab. Wenn es finster, brechen/ Wir auf. Den ersten Zugang überrumpelst/ Du, selber folg’ ich auf dem Fuſse, bei/ Jerome’s Leiche sehen wir uns wieder./ Ich will ihm eine Todtenfeier halten,/ Und Rossitz soll wie Fackeln sie beleuchten./ 2090 Nun fort zu den Vasallen. (Beide ab.)/
DRITTE SCENE.
Bauernküche. Barnabe am Heerd. Sie rührt einenKessel, der über Feuer steht. Barnabe. Zuerst dem Vater:/
Worten hereingetreten ist.) Ottokar. Was sprichst Du mit/ 203 Dem Kessel, Mädchen? Bist Du eine Hexe,/ Du bist die lieblichste, die ich gesehn,/ Und thust, ich wette, keinem Böses, der/ Dir gut. Barnabe. Geh h’raus, du lieber Herr, ich bitte Dich./ In dieser Küche darf jetzt niemand seyn,/ Die Mutter selbst nicht, auſser ich. Ottokar. Warum/ 2140 Denn just nur Du? Barnabe. Was weiſs ich? Weil ich eine Jungfrau bin./ Ottokar. Ja darauf schwör ich. Und wie heiſst Du denn,/ Du liebe Jungfrau? Barnabe. Barnabe. Ottokar. So? Deine Stimme/ Klingt schöner, als Dein Name. 204 Ursula. Barnabe! Barnabe!/ Wer spricht denn in der Küch’? Ottokar (macht ein bittend Zeichen). Barnabe. Was sagst Du, Mutter?/ Ursula. Bist Du es? Sprichst Du die drei Wünsche? Barnabe. Ja doch, ja,/ Sei doch nur ruhig. (Sie fängt wieder an, im
Kessel zu rühren.) Aber nun geh fort,/ Du lieber Herr. Denn meine Mutter sagt,/ Wenn ein Unreiner zusieht, taugt der Brei nicht./ Ottokar. Doch wenn ein Reiner zusieht, wird er um/ 2150 So besser. Barnabe. Davon hat sie nichts gesagt./ 205 Ottokar. Weil’s sich von selbst ergiebt. Barnabe. Nun freilich wohl,/ Es scheint mir auch. Ich will die Mutter fragen./ Ottokar. Wozu? Das wirst Du selber ja verstehn./ Barnabe. Nun störe mich nur nicht. S’ist unser Glücksbrei,/ Und ich muſs die drei Wünsche dazu sagen./ Ottokar. Was kochst Du denn? Barnabe. Ich? — Einen Kindesfinger./ Ha! ha! Nun denkst Du, ich sei eine Hexe./ Ottokar. Kin — Kindesfinger? Ursula. Barnabe! Du böses Mädel!/ Was lachst Du? 206 Barnabe. Ei, was lach’ ich? Ich bin lustig,/ 2160 Und sprech die Wünsche. Ursula. Meinen auch vom Krebse?/ Barnabe. Ja, ja. Auch den vom Kalbe. Ottokar. Sag mir — ? Hab’/ Ich recht gehört — ? Barnabe. Nein sieh, ich plaudre nicht./ Ich muſs die Wünsche sprechen, laſs mich sein./ Sonst schilt die Mutter und der Brei verdirbt./ Ottokar. Hör, weiſst Du was? Bring diesen Beutel deiner Mutter,/ Er sei Dir auf den Heerd gefallen, sprich,/ Und komm schnell wieder. Barnabe. Diesen Beutel? S’ist/ Ja Geld darin. — 207 Ottokar. Giebs nur der Mutter dreist,/ Jedoch verschweig’s, von wem er kommt. Nun geh./ 2170 Barnabe. Du lieber Gott Gott, bist Du ein Engel? Ottokar. Fort! Und komm bald wieder. / (Er schiebt sie sanft in’s Nebenzimmer; lebhaft
auf und niedergehend.) Ein Kindesfinger! Wenn’s der kleine wäre!/ Wenn’s Peters kleiner Finger wäre! Wiege/ Mich, Hoffnung, einer Schaukel gleich, und gleich/ Als spielt’ geschlossnen Auges schwebend mir/ Ein Windzug um die offne Brust, so wende/ Mein Innerstes sich vor Entzücken. — Wie/ Gewaltig, Glück, klopft Deine Ahndung an/ Die Brust! Dich selbst, o Uebermaas, wie werd’/ Ich dich ertragen. — Horch! Sie kommt! Jetzt werd’ ich’s hören!/ 2180 208 (Barnabe tritt auf, er geht ihr entgegen und
führt sie in den Vordergrund.) Nun sage mir, wie kommt ihr zu dem Finger?/ Barnabe. Ich hab’ mit Muttern kürzlich ihn gefunden./ Ottokar. Gefunden bloſs? Auf welche Art? Barnabe. Nun Dir/ Will ich’s schon sagen, wenn’s gleich Mutter mir/ Verboten. Ottokar. Ja, das thu’. Barnabe. Wir suchten Kräuter/ Am Waldstrom im Gebirg, da schleifte uns/ Das Wasser ein ertrunken Kind ans Ufer./ Wir zogen’s drauf heraus, bemühten viel/ Uns um das arme Wurm; vergebens, es/ 209 Blieb todt. Drauf schnitt die Mutter Mutter, die’s versteht,/ 2190 Dem Kinde einen kleinen Finger ab;/ Denn der thut nach dem Tod mehr Gutes noch,/ Als eines Auferwachsnen ganze Hand/ In seinem Leben. — Warum stehst Du so/ Tiefsinnig? Woran denkest Du? Ottokar. An Gott./ Erzähle mehr noch. Du und Deine Mutter —/ War niemand sonst dabei? Barnabe. Gar niemand. Ottokar. Wie?/ Barnabe. Als wir den Finger abgelöset, kamen/ Zwei Männer her aus Warwand, welche sich/ Den von der Rechten lösen wollten. Der/ 2200 Hilft aber nichts, wir machten uns davon,/ Und weiter weiſs ich nichts. 210 Ottokar. Es ist genug./ Du hast gleich einer heilgen Offenbarung/ Das Unbegriffne mir erklärt. Das kannst/ Du nicht verstehn, doch sollst Du’s bald. — Noch Eins. [emendiert nicht in ›Eins.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / In Warwand ist ein Mädchen, dem ich auch/ So gut, wie dir. Die spräch ich gern noch heut/ In einer Höhle, die ihr wohl bekannt./ Die Tochter ist es auf dem Schlosse, Agnes, [emendiert nicht in ›Agnes,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Agnes,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Du kannst nicht fehlen. Barnabe. Soll ich sie dir rufen?/ 2210 Nun ja, es wird ihr Freude machen auch./ Ottokar. Und Dir. Wir wollens beide Dir schon lohnen. / Doch muſst Du’s selbst ihr sagen, keinem andern/ Vertraun, daſs Dich ein Jüngling abgeschickt,/ Verstehst Du? Nun, das weiſst Du wohl. — Und daſs/ 211 Du Glauben finden mögest auch bei ihr,/ Nimm dieses Tuch, und diesen Kuſs gieb ihr (ab)./ Barnabe (sieht ihm nach, seufzt und
geht ab.)
VIERTE SCENE.
Eine andere Gegend im Gebirge.Rupert und Santing, treten auf. Santing. Das soll gewöhnlich sein Spaziergang sein,/ Sagt mir der Jäger. Selber hab ich ihn/ Zweimal und sehr erhitzt, auf dieser Straſse/ 2220 Begegnet. Ist er im Gebirg, so ist’s/ Auch Agnes, und wir fangen beid’ zugleich./ Rupert (setzt sich auf einen Stein). Es ist sehr heiſs mir, und die Zunge trocken./ 212 Santing. Der Wind geht kühl doch übers Feld. Rupert. Ich glaub’,/ S’ist innerlich. Santing. Fühlst Du nicht wohl Dich? Rupert. Nein./ Mich dürstet. Santing. Komm an diesen Quell. Rupert. Löscht er/ Den Durst? Santing. Das Wasser mindestens ist klar,/ Daſs Du darin Dich spiegeln könntest. Komm!/ Rupert (steht auf, geht zum Quell, neigt
sich über ihn, und plötzlich mit der Bewegung des Abscheus wendet er sich.) 213 Santing. Was fehlt Dir? Rupert. Eines Teufels Antlitz sah/ Mich aus der Welle an. Santing (lachend). Es war Dein eignes./ 2230 Rupert. Scorpion von einem Menschen./ (Setzt sich wieder.) Barnabe (tritt auf). Hier geht’s nach Warwand doch, gstrenger gestrenger [Entspr. Prosafassung der Ghonorez Handschrift. Beide Lösungen sind versmetrisch möglich.] Ritter?/ Santing. Was hast Du denn zu thun dort, schönes Kind?/ Barnabe. Bestellungen an Fräulein Agnes. Santing. So?/ 214 Wenn sie so schön wie Du, so mögt ich mit Dir gehn, gehn. / Was wirst Du ihr denn sagen? Barnabe. Sagen? Nichts,/ Ich führe sie blos ins Gebirg. Santing. Heut noch?/ Barnabe. Kennst Du sie? Santing. Wen’ger noch, als Dich,/ Und es betrübt mich wen’ger. — Also heute noch?/ Barnabe. Ja gleich. — Und bin ich auf dem rechten Weg?/ 2240 Santing. Wer schickt Dich denn? Barnabe. Wer? — Meine Mutter. 215 Santing. So?/ Nun Nun, geh nur, geh auf diesem Wege fort,/ Du kannst nicht fehlen. Barnabe. Gott behüte euch. (ab.)/ Santing. Hast Du’s gehört Rupert? Sie kommt noch heut/ In das Gebirg’. Ich wett’, das Mädchen war/ Von Ottokar geschickt. Rupert (steht auf). So führ ein Gott,/ So führ ein Teufel sie mir in die Schlingen,/ Gleichviel! Sie haben mich zu einem Mörder/ Gebrandmarkt boshaft, [emendiert nicht in ›Gebrandmarkt boshaft,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Gebrandmarkt boshaft,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] im Voraus. — Wohlan,/ So sollen sie denn Recht gehabt auch haben./ 2250 — Weiſst Du den Ort, wo sie sich treffen? Santing. Nein,/ Wir müssen ihnen auf die Fährte [emendiert nicht in ›Fährte‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] gehn. 216 Rupert. So komm./ (Beide ab.)
FÜNFTE SCENE.
Rossitz. Ein Gefängniſs im Thurm.Die Thür öffnet sich, Fintenring tritt auf. Ottokar (noch drauſsen). Mein Vater hat’s befohlen? Fintenring. In der eigenen/ Person, Du mögtest gleich bei Deinem Eintrit/ Ins Thor uns folgen nur, wohin wir Dich/ Zu führen haben. Komm, Du alter Junge,/ Komm h’rein. Ottokar. Hör, Fintenring, [emendiert nicht in ›Fintenring,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Fintenring,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Du bist mit Deinem/ Satyrngesicht verdammt verdächtig mir./ 217 Nun, weil ich doch kein Mädchen, will ich’s thun./ (Er tritt auf, der Kerkermeister folgt ihm.) Fintenring. Der Ort ist, siehst Du, der unschuldigste./ 2260 Denn hier auf diesen Quadersteinen müſst’s/ Selbst einen Satyr frieren. Ottokar. Statt der Rosen/ Will er mit Ketten mich und Banden mich/ Umwinden — denn die Grotte merk ich wohl/ Ist ein Gefängniſs. Fintenring. Hör, das giebt vortreffliche/ Gedanken, morgen, wett’ ich, ist Dein Geist/ Fünf Jahre älter, als Dein Haupt. Ottokar. Wär ich/ Wie Du, ich nähm es an. Denn Deiner straft/ Dein graues Haupt um dreiſsig Jahre Lügen./ — Nun komm, ich muſs zum Vater. 218 Fintenring (trit ihm in den Weg). Nein, im Ernst,/ 2270 Bleib hier, und sei so lustig, wie Du kannst,/ Ottokar. Bei meinem Leben, ja, das bin ich nie/ Gewesen so wie jetzt, und mögte Dir/ Die zähnenlosen zähnelosen Lippen küssen, Alter./ Du ziehst [emendiert nicht in ›ziehst‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›ziehst‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] auch gern nicht in den Krieg, nun nun, höre,/ Sag Deinem Weibe nur, ich bring’ den Frieden./ Fintenring. Im Ernste? Ottokar. Bei meinem Leben, ja. Fintenring. Nun morgen/ Mehr. Lebe wohl. (Zum Kerkermeister.) Verschlieſse hinter mir/ Sogleich die Thüre. (Zu Ottokar, da dieser ihm folgen will.) Nein, bei meinem Eid’/ 219 Ich sag Dir, auf Befehl des Vaters bist/ 2280 Du ein Gefangner. Ottokar. Was sagst Du? Fintenring. Ich soll/ Dir weiter gar nichts sagen, auſser dies./ Ottokar. Nun? Fintenring. Ei, daſs ich nichts sagen soll. Ottokar. O bei/ Dem groſsen Gott des Himmels, sprechen muſs/ Ich gleich ihn — eine Nachricht von dem höchsten/ Gewicht, die keinen Aufschub duldet, muſs/ Ich mündlich gleich ihm hinterbringen. Fintenring. So/ Kannst Du Dich trösten mindestens, er ist/ Mit Santing fort, es weiſs kein Mensch wohin./ 220 Ottokar. Ich muſs sogleich ihn suchen, laſs mich. — Fintenring (trit ihm in den Weg). Ei/ 2290 Du scherzest wohl. Ottokar. Nein laſs mich, nein, ich scherze/ Bei meiner Ritterehre nicht mit Deiner./ S’ist plötzlich mir so ernst zu Muth geworden, / Als wäre ein Gewitter in der Luft./ Es hat die höchste Eil mit meiner Nachricht,/ Und läſst Du mich gutwillig nicht, so wahr/ Ich leb’ ich breche durch. Fintenring. Durchbrechen, Du?/ Sprichst doch mit mir gleich wie mit einem Weibe!/ Du bist mir anvertraut auf Haupt und Ehre,/ Trit mich mit Füſsen erst, dann bist Du frei./ 2300 — Nein, hör, ich wüſste was Gescheuteres./ Gedulde Dich ein Stündchen, führ ich selbst/ Sobald er rückkehrt Deinen Vater zu Dir./ 221 Ottokar. Sag’ mir ums Himmelswillen nur, was hab’/ Ich Böses denn gethan? Fintenring. Weiſs nichts. — Noch mehr./ Ich schick’ dem Vater Boten nach, daſs er/ So früher heimkehrt. Ottokar. Nun denn, meinetwegen. / Fintenring. So lebe wohl. (Zum Kerkermeister.) Und Du thust Deine Pflicht./ (Fintenring und der Kerkermeister ab; die
Thür wird verschlossen.) Ottokar (sieht ihnen nach). Ich hätte doch nicht bleiben sollen. — Gott/ Weiſs, wann der Vater wiederkehrt. — Sie wollten/ 2310 Ihn freilich suchen. — Ach, es treibt der Geist/ Sie nicht, der Alles leistet. — — Was zum Henker,/ Es geht ja nicht, ich muſs hinaus, ich habe/ 222 Ja Agnes ins Gebirg beschieden. — Fintenring!/ Fintenring! (an die Thüre klopfend.) Daſs ein Donner, Tauber, das/ Gehör Dir öffnete! Fintenring! — — Schloſs/ Von einem Menschen, den kein Schlüssel schlieſst,/ Als nur sein Herr. Dem dient er mit stockblinder/ Dienstfertigkeit, und wenn sein Dienst auch zehnmal/ Ihm Schaden brächt’, doch dient er ihm. — Ich wollt’/ 2320 Ihn doch gewinnen, wenn er nur erschiene./ Denn nichts besticht ihn, [emendiert nicht in ›ihn‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] auſser daſs man ihm/ Das sagt. — — Zum Mindsten wollt’ ich ihn doch eher/ Gewinnen, als die tauben Wände! Himmel/ Und Hölle! Daſs ich einem Schäfer gleich/ Mein Leid den Felsen klagen muſs! — — So will/ Ich mich, Geduld, an Dir, Du Weibertugend üben./ — S’ist eine schnöde Kunst, mit Anstand viel/ 223 Zu unterlassen — und ich merk’ es schon,/ Es wird mehr Schweiſs mir kosten, als das Thun. / 2330 (Er will sich setzen.) Horch! Horch! Es kommt! kommt. (Der Kerkermeister öffnet Eustachen
die Thüre.) Eustache (zu diesem). Ich werd es Dir vergelten./ Ottokar. Ach, Mutter! Eustache. Hör’, mein Sohn, ich habe Dir/ Entsetzliches zu sagen. Ottokar. Du erschreckst mich —/ — Wie bist Du so entstellt? Eustache. Das Eine wirst/ Du wissen schon, Jerome ist erschlagen./ 224 Ottokar. Jeronimus? O Gott des Himmels! Wer/ Hat das gethan? Eustache. Das ist nicht Alles. Rupert/ Kennt Deine Liebe. — Ottokar. Wie? Wer konnt’ [emendiert in ›konnt‹] ihm die/ Entdecken? Eustache. Frage nicht — o Deine Mutter,/ Ich selbst. Jerome hat es mir vertraut,/ 2340 Mich riſs ein übereilter Eifer hin,/ Der Wüthrich, den ich niemals so gekannt. — gekannt — / Ottokar. Von wem sprichst Du? Eustache. O Gott, von Deinem Vater./ Ottokar. Noch faſs ich Dich nur halb — doch laſs Dir sagen/ 225 Vor allen Dingen, Alles ist gelöset,/ Das ganze Räthsel von dem Mord, die Männer,/ Die man bei Peter’s Leiche fand, sie haben/ Die Leiche selbst gefunden, ihr die Finger/ Aus Vorurtheil nur abgeschnitten. — Kurz,/ Rein, wie die Sonne, [emendiert nicht in ›Sonne,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Sonne,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] ist Sylvester. Eustache. O/ 2350 Jesus! Und jetzt erschlägt er seine Tochter. —/ Ottokar. Wer? Eustache. Rupert. Wenn sie in dem Gebirge jetzt jetzt, / Ist sie verloren, er und Santing sucht sie./ Ottokar (eilt zur Thüre). Fintenring! Fintenring! Fintenring! Eustache. Höre/ Mich an, er darf Dich nicht befrein, sein Haupt/ Steht drauf. — 226 Ottokar. Er oder ich. — Fintenring! (er sieht sich um) Nun/ So helfe mir die Mutter Gottes denn. —/ (Er hängt einen Mantel um, der auf dem
Boden lag.) Und dieser Mantel bette meinem Fall./ (Er klettert in ein unvergittert Fenster.) Eustache. Um Gotteswillen, springen willst Du doch/ Von diesem Thurm nicht? Rasender! Der Thurm/ 2360 Ist funfzig Fuſs hoch, und der ganze Boden/ Gepflastert. — Ottokar! Ottokar!/ Ottokar (von oben). Mutter! Mutter! Sei wenn ich gesprungen / Nur still, hörst Du? Ganz still, sonst fangen sie/ Mich. Eustache. (sinkt auf die Knie) Ottokar! Auf meinen Knien bitte,/ 227 Beschwör’ ich Dich, geh’ so verächtlich nicht/ Mit Deinem Leben um, spring’ nicht vom Thurm. —/ Ottokar. Das Leben ist viel werth, wenn man’s [emendiert nicht in ›wenn man’s‹ (Verweis im Kommentar)] verachtet./ Ich brauchs. — Leb’ wohl. (Er springt.) Eustache (steht auf). Zu Hülfe! Hülfe! Hülfe!/ (Der Vorhang fällt.)
FÜNFTER AUFZUG.
ERSTE SCENE.
(Das Innere einer Höhle. Es wird Nacht,Agnes mit einem Huthe, in zwei Kleidern.
Das Ueberkleid ist vorne mit Schleifen zugebunden. Barnabe. Beide stehen schüchtern an einer Seite des Vordergrundes.) Agnes. Hätt’st Du mir früher das gesagt! Ich fühle/ 2370 Mich sehr beängstigt, mögte lieber, daſs/ Ich nicht gefolgt Dir wäre. — Geh noch einmal/ Hinaus, Du Liebe, vor den Eingang, sieh,/ Ob niemand sich der Höhle nähert. 229 Barnabe (die in den Hintergrund
gegangen ist). Von/ Den beiden Rittern seh’ ich nichts. Agnes (mit einem Seufzer). Ach Gott!/ Hab’ — Hab Dank für Deine Nachricht. Barnabe. Aber von/ Dem schönen Jüngling seh ich auch nichts. Agnes. Siehst/ Du wirklich nichts? Du kennst ihn doch? Barnabe. Wie mich./ Agnes. So sieh nur scharf hin auf den Weg. Barnabe. Es wird/ Sehr finster schon im Thal, aus allen Häusern/ 2380 Seh’ ich schon Lichter schimmern und Camine./ 230 Agnes. Die Lichter schon? So ist’s mir unbegreiflich./ Barnabe. Wenn Einer käm’, ich könnt’ es hören, so/ Geheimniſs-still geht’s um die Höhen./ Agnes. Ach, nun ist’s doch umsonst. Ich will nur lieber/ Heimkehren. Komm. Begleite mich. Barnabe. Still! Still!/ Ich hör’ ein Rauschen — wieder. — — Ach, es war/ Ein Windstoſs, der vom Wasserfalle kam./ Agnes. War’s auch gewiſs vom Wasserfalle nur?/ Barnabe. Da regt sich etwas Dunkles doch im Nebel. —/ 2390 Agnes. Ist’s Einer? Sind es zwei? 231 Barnabe. Ich kann es nicht/ Genau erkennen. Aber menschliche/ Gestalten sind es. — — Ah! sind es — — Ah! / (Beide Mädchen fahren zurück. Ottokar
tritt auf, und fliegt in Agnes Arme.) Ottokar. O Dank, Gott! Dank für Deiner Engel Obhut!/ So lebst Du Mädchen? Agnes. Ob ich lebe? Ottokar. Zittre/ Doch nicht, bin ich nicht Ottokar? Agnes. Es ist/ So seltsam Alles heute mir verdächtig,/ Der fremde Bote, dann Dein spät Erscheinen,/ Nun diese Frage. — Auch die beiden Ritter,/ Die schon den ganzen Tag um diese Höhle/ 2400 Geschlichen sind. 232 Ottokar. Zwei Ritter? Agnes. Die sogar/ Nach mir gefragt. Ottokar. Gefragt? Und wen? Agnes. Dies Mädchen,/ Die es gestanden, daſs sie ins Gebirg’/ Mich rufe. Ottokar (zu Barnabe). Unglückliche! Agnes. Was sind denn das/ Für Ritter? Ottokar (zu Barnabe). Wissen sie, daſs Agnes hier/ In dieser Höhle? Barnabe. Das hab’ ich nicht gestanden./ 233 Agnes. Du scheinst beängstigt, Ottokar, [emendiert nicht in ›Ottokar,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Ottokar,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] ich werd’/ Es doppelt. Kennst Du denn die Ritter? Ottokar (steht in Gedanken). Agnes. Sind sie —/ — Sie sind doch nicht aus Rossitz? Sind doch nicht/ Geschickt nach mir? Sind keine Mörder doch?/ 2410 Ottokar (mit einem plötzlich heitern Spiel). Du weiſst ja, Alles ist gelöſst, das ganze/ Geheimniſs klar, Dein Vater ist unschuldig. —/ Agnes. So wär’ es wahr — ? Ottokar. Bei diesem Mädchen fand/ Ich Peter’s Finger, Peter ist ertrunken,/ Ermordet nicht. — Doch künftig mehr. Laſs uns/ Die schöne Stunde innig fassen. Möge/ Die Trauer schwatzen, und die Langeweile,/ 234 Das Glück ist stumm. (Er drückt sie an seine Brust.)Wir machen diese Nacht/ Zu einem Fest der Liebe, willst Du? Komm,/ (Er zieht sie auf einen Sitz.) In kurzem, ist der Irrthum aufgedeckt,/ 2420 Sind nur die Väter erst versöhnt, darf ich/ Dich öffentlich als meine Braut begrüſsen./ — Mit diesem Kuſs verlobe ich mich Dir./ (Er steht auf, zu Barnabe heimlich.) Du stellst Dich an den Eingang, hörst Du? Siehst/ Du irgend jemand nahe, so rufst Du gleich./ Noch — Noch Eins. Wir werden hier die Kleider wechseln,/ In einer Viertelstunde führst Du Agnes/ In Männerkleidern heim. Und sollte man/ Uns überraschen, thust Du’s gleich. — Nun geh./ (Barnabe geht in den Hintergrund. Ottokar kehrt zu Agnes zurück.) 235 Agnes. Wo geht das Mädchen hin? Ottokar (setzt sich). Ach! Agnes! Agnes!/ 2430 Welch eine Zukunft öffnet ihre Pforte!/ Du wirst mein Weib, mein Weib! weiſst Du denn auch/ Wie groſs das Maas von Glück? Agnes (lächelnd). Du wirst es lehren./ Ottokar. Ich werd’ es! O Du Glückliche! Der Tag,/ Die Nacht vielmehr ist nicht mehr fern. Es kommt, Du weiſst/ Den Liebenden das Licht nur in der Nacht/ Erröthest Du? Agnes. So wenig schützt das Dunkel?/ Ottokar. Nur vor dem Auge, Thörinn, doch ich seh’s/ Mit meiner Wange, daſs Du glühst. — Ach, Agnes!/ 236 Wenn erst das Wort gesprochen ist, das Dein/ 2440 Gefühl, jetzt eine Sünde, [emendiert nicht in ›Sünde,‹, obwohl sinnentstellend (vgl. Ghonorez HS)] heiligt. — — heiligt — — Erst/ Im Schwarm der Gäste, die mit Blicken uns/ Wie Wespen folgen, tret’ ich zu Dir, sprichst/ Du zwei beklemmte Worte, wendest dann/ Viel schwatzend zu dem Nachbar Dich. Ich zürne/ Der Spröden nicht, ich weiſs es besser wohl./ Denn wenn ein Gast, der von dem Feste scheidet,/ Die Thüre zuschlieſst, fliegt, wo Du auch seist,/ Ein Blick zu mir herüber, der mich tröstet./ Wenn dann der Letzte auch geschieden, nur/ 2450 Die Väter und die Mütter noch beisammen —/ — „Nun, gute Nacht, ihr Kinder!“ — Lächelnd küssen/ Sie Dich, und küssen mich — wir wenden uns,/ Und eine ganze Dienerschaft mit Kerzen/ Will folgen. „Eine Kerze ist genug,/ Ihr Leute,“ ruf’ ich, und die nehm’ ich selber,/ Ergreife Deine, diese Hand (er küſst sie)/ — Und langsam steigen wir die Treppe, stumm,/ 237 Als wär uns kein Gedanke in der Brust,/ Daſs nur das Rauschen sich von Deinem Kleide,/ 2460 Noch in den weiten Hallen hören läſst./ Dann — — [emendiert nicht in ›Dann — —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Dann — —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Schläfst Du, Agnes? Agnes. — Schlafen? Ottokar. Weil Du plötzlich/ So still — still. — [emendiert nicht in ›still —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›still —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Nun weiter. Leise öffne ich/ Die Thüre, schlieſse leise sie, als wär’/ Es mir verboten. Denn es schauert stets/ Der Mensch, wo man als Kind es ihm gelehrt./ Wir setzen uns. Ich ziehe sanft Dich nieder,/ Mit meinen Armen stark umspann ich Dich,/ Und alle Liebe sprech’ ich aus mit Einem,/ Mit diesem Kuſs. (Er geht schnell in den Hintergrund; zu
Barnabe heimlich.) So sahst Du niemand noch?/ 2470 238 Barnabe. Es schien mir kürzlich fast, als schlichen zwei/ Gestalten um den Berg. Ottokar (kehrt schnell zurück). Agnes. Was sprichst Du denn/ Mit jenem Mädchen stets? Ottokar (hat sich wieder gesetzt). Wo blieb’ ich stehen?/ Ja, bei dem Kuſs. — Dann kühner wird die Liebe,/ Und weil Du mein bist — bist Du denn nicht mein?/ So nehm’ ich Dir den Huth vom Haupte (Er thuts.) störe/ Der Locken steife Ordnung (er thuts) drücke kühn/ Das Tuch hinweg (er thut’s) Du lispelst leis’: O leis’: o [emendiert nicht in ›leis’: O‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›leis’: O‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] lösche/ 239 Das Licht! Und plötzlich, tief verhüllend, webt/ Die Nacht den Schleier um die heil’ge Liebe,/ 2480 Wie jetzt. Barnabe (aus dem Hintergrunde). O Ritter! Ritter! Agnes (sieht sich ängstlich um). Ottokar (fällt ihr ins Wort). Nun entwallt/ Gleich einem frühling angeschwellten Strom/ Die Regung ohne Maaſs und Ordnung — schnell/ Lös’ ich die Schleife, schnell noch eine (Er thut’s) streife dann/ Die fremde Hülle leicht Dir ab (er thut’s). Agnes. O Ottokar,/ Was machst Du? (sie fällt ihm um den Hals). Ottokar (an dem Ueberkleide beschäfftigt). Ein Gehülfe der Natur/ Stell’ ich sie wieder her. Denn wozu noch/ 240 Das Unergründliche geheimniſsvoll/ Verschleiern? Alles Schöne, liebe Agnes,/ Braucht keinen andern Schleier, als den eignen,/ 2490 Denn der ist freilich selbst die Schönheit. Barnabe. Ritter! Ritter!/ Geschwind! Ottokar (schnell auf, zu Barnabe). Was giebt’s? Barnabe. Der Eine gieng zweimal/ Ganz nah vorbei, ganz langsam. Ottokar. Hat er Dich gesehn?/ Barnabe. Ich fürcht’ es fast. Ottokar (kehrt zurück). Agnes (die aufgestanden ist). Was rief das Mädchen denn / So ängstlich? 241 Ottokar. Es ist nichts. Agnes. Es ist etwas./ Ottokar. Zwei Bauern ja, sie irrten sich. — Du frierst,/ Nimm diesen Mantel um. (Er hängt ihr seinen Mantel um.) Agnes. Du bist ja seltsam./ Ottokar. So, so. Nun setze Dich. Agnes (setzt sich). Ich mögte lieber gehn./ Ottokar (der vor ihr steht). Wer würde glauben, daſs der grobe Mantel/ So Zartes [emendiert nicht in ›Zartes‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Zartes‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] deckte, als ein Mädchenleib!/ 2500 Drück’ ich Dir noch den Helm auf Deine Locken Locken, / Mach’ ich auch Weiber mir zu Nebenbuhlern./ 242 Barnabe (kommt zurück, eilig). Sie kommen! Ritter! Sie kommen!/ (Ottokar wirft schnell Agnes Oberkleid
über, und setzt ihren Huth auf.) Agnes. Wer soll denn kommen? — Ottokar, was machst Du?/ Ottokar (im Ankleiden beschäftigt). Mein Vater kommt. — Agnes. O Jesus! (Will sinken.) Ottokar (faſst sie). Ruhig. Niemand/ Fügt Dir ein Leid, wenn ohn’ ein Wort zu reden,/ Du dreist und kühn in Deiner Männertracht/ Hinaus zur Höhle gehst. Ich bleibe. — Nein,/ Erwidre nichts, ich bleib’. Es ist nur für/ Den ersten Anfall. (Rupert und Santing erscheinen.) Sprecht kein Wort und geht sogleich./ 2510 (Die Mädchen gehen.) 243 Rupert (trit Agnes in den Weg). Wer bist Du? Rede! Ottokar (trit vor, mit verstellter Stimme). Sucht ihr Agnes? Hier bin ich./ Wenn ihr aus Warwand seid, so führt mich heim./ Rupert (während die Mädchen nun
abgehen). Ich fördre Dein Gespenst zu Deinem Vater!/ (Er ersticht Ottokar, der fällt ohne Laut.) (Pause.) Rupert (betrachtet starr die Leiche). Santing! Santing! — Ich glaube, sie ist todt./ Santing. Die Schlange hat ein zähes Leben. Doch/ Beschwör’ ich’s fast. Das Schwerdt steckt ihr im Busen./ Rupert (fährt sich mit der Hand übers
Gesicht). Warum denn that ich’s, Santing? Kann ich es/ Doch gar nicht finden im Gedächtniſs. — 244 Santing. Ei,/ Es ist ja Agnes. Rupert. Agnes, ja, ganz Recht,/ Die that mir Böses, mir viel Böses, o/ 2520 Ich weiſs es wohl. — — Was war es schon? Santing. Ich weiſs/ Nicht, wie Du’s meinst. Das Mädchen selber hat/ Nichts Böses Dir gethan. Rupert. Nichts Böses? Santing!/ Warum denn hätt’ ich sie gemordet? Sage/ Mir schnell, ich bitte Dich, womit sie mich/ Beleidigt, sag’s recht hämisch — Basiliske,/ Sieh mich nicht an, sprich, Teufel, sprich’s sprich, [emendiert in ›sprich‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS: ›sprich’s‹)] [emendiert in ›sprich‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS: ›sprich’s‹)] und weiſst/ Du nichts, so lüg’ es! Santing. Bist Du denn verrückt?/ Das Mädchen ist Sylvesters Tochter. 245 Rupert. So,/ Sylvester’s. — Ja, Sylvesters, der mir Petern/ 2530 Ermordet hat. — Santing. Den Herold und Johann. / Rupert. Johann, ganz Recht, ganz recht — und der mich so infam/ Belogen hat, daſs ich es werden muſste./ (Er zieht das Schwerdt aus dem Busen
Ottokar’s.) Rechtmäſsig war’s, — wars. — Gezücht der Otter! / (Er stöſst den Körper mit dem Fuſse.) Santing (an dem Eingang). Welch’ eine seltsame Erscheinung, Herr!/ Ein Zug mit Fackeln, gleich dem Jägerheer,/ Zieht still von Warwand an den Höhn herab./ 246 Rupert. Sie sind, wie’s scheint, nach Rossitz auf dem Wege./ Santing. Das Ding ist sehr verdächtig. Rupert. Denkst Du an/ Sylvester? Santing. Herr, ich gebe keine Nuſs/ 2540 Für eine andre Meinung. Laſs uns schnell/ Heimkehren, in zwei Augenblicken wär’s/ Nicht möglich mehr. Rupert. Wenn Ottokar nur ihnen/ Nicht in die Hände fällt. — Gieng er nicht aus/ Der Höhle, als wir kamen? Santing. Und vermuthlich/ Nach Haus’; so finden wir ihn auf dem Wege. Komm!/ (Beide ab.) 247 (Agnes und Barnabe lassen sich am Eingange sehen.) Agnes. Die Schreckensnacht! Entsetzlich ist der Anblick!/ Ein Leichenzug mit Kerzen, wie ein Traum/ Im Fieber! Weit das ganze Thal erleuchtet/ Vom blutig rothen blutig-roten [emendiert nicht (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Licht der Fackeln. Jetzt/ 2550 Durch dieses Heer von Geistern geh’ ich nicht/ Zu Hause. Wenn die Höhle leer ist, wie/ Du sagst — [emendiert nicht in ›sagst —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›sagst —‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] Barnabe. So eben giengen die zwei Ritter/ Heraus. Agnes. So wäre Ottokar noch hier?/ Ottokar! — — Ottokar! Ottokar (mit matter Stimme). Agnes!/ Agnes. Wo bist Du? — Ein Schwerdt — im Busen — Heiland!/ 248 Heiland der Welt! Mein Ottokar! (Sie fällt über ihn.) Ottokar. Es ist —/ Gelungen. — Flieh! (Er stirbt.) Barnabe. O Jammer! Gott des Himmels!/ Mein Fräulein! Sie ist sinnlos! Keine Hülfe!/ Ermanne Dich, mein Fräulein! — Gott! Die Fackeln!/ 2560 Sie nahen! Fort, Unglückliche! Entflieh! (ab)/ (Sylvester und Theistiner treten auf;
eine Fackel folgt.) Sylvester. Der Zug soll halten! (zu Theistiner) Ist es diese Höhle? / Theistiner. Ja, Herr, [emendiert nicht in ›Herr,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›Herr,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] von dieser sprach Johann, und darf/ Man seiner Rede traun, so finden wir/ Am sichersten das Fräulein hier. Sylvester. Die Fackel vor!/ 249 Theistiner. Wenn ich nicht irre, seh’ ich Ottokar —/ Dort liegt auch Agnes! Sylvester. Am Boden! Gott der Welt!/ Ein Schwerdt im Busen meiner Agnes!/ Agnes (richtet sich auf). Wer ruft? Sylvester. Die Hölle ruft Dich, Mörder! (Er ersticht sie.) Agnes. Ach! (Sie stirbt.)/ Sylvester (läſst sich auf ein Knie neben der
Leiche Ottokars nieder). Theistiner (nach einer Pause). Mein beſster Herr, verweile nicht in diesem/ 2570 Verderblich dumpfen Schmerz! Erhebe Dich!/ Wir brauchen Kraft, und einem Kinderlosen/ Zerreiſst der Schreckensanblick das Gebein./ 250 Sylvester. Laſs einen Augenblick mich ruhn. Es regt/ Sich sehr gewaltig die Natur im Menschen,/ Und will, daſs man, [emendiert nicht in ›man,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›man,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] gleich einem einz’gen Gotte,/ Ihr einzig diene, wo sie uns erscheint./ Mich hat ein groſser Sturm gefaſst, er beugt/ Mein wankend Leben tief zur Gruft. Wenn es/ Nicht reiſst, so steh’ ich schrecklich wieder auf, [emendiert nicht in ›auf,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] [emendiert nicht in ›auf,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / 2580 Ist der gewaltsam erste Anfall nur/ Vorüber. Theistiner. Doch das Zögern ist uns sehr/ Gefährlich — — Komm! Ergreif den Augenblick!/ Er wird so günstig niemals wiederkehren./ Gebeut die Rache und wir wettern wie/ Die Würgeengel über Rossitz hin!/ Sylvester. Des Lebens Güter sind in weiter Ferne,/ Wenn ein Verlust so nah, wie diese Leiche,/ Und niemals ein Gewinnst kann mir ersetzen,/ 251 Was mir auf dieser Nummer fehlgeschlagen./ 2590 Sie blühte wie die Erndte meines Lebens,/ Die nun ein frecher Fuſstritt mir zertreten,/ Und darben werd’ ich jetzt, von fremden Müttern/ Ein fremdes Kind zum Almos’ mir erflehen./ Theistiner. Sylvester, hör’ mich! Säume länger nicht!/ Sylvester. Ja, Du hast Recht! es bleibt die ganze Zukunft/ Der Trauer, dieser Augenblick gehört/ Der Rache. Einmal doch in meinem Leben/ Dürst’ ich nach Blut, und kostbar ist die Stimmung./ Komm schnell zum Zuge. (Man hört drauſsen ein Geschrei: Holla! Herein! Holla!) Theistiner. Was bedeutet das?/ 2600 (Rupert und Santing werden von Rittern
Sylvesters gefangen aufgeführt.) 252 Ein Ritter. Ein guter Fund, Sylvester! Diese saubern/ Zwei Herrn, Herren, im Gesträuche hat ein Knappe,/ Der vom von dem Pferd gestiegen, [emendiert nicht in ›gestiegen,‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] sie gefunden./ Theistiner. Sylvester! Hilf mir sehn, ich bitte Dich!/ Er ist’s! Leibhaftig! Rupert! Und der Santing./ Sylvester (zieht sein Schwerdt). Rupert! Theistiner. Sein Teufel ist ein Beutelschneider,/ Und führt in eigener Person den Sünder/ In seiner Henker Hände. Sylvester. O gefangen!/ Warum gefangen? Gott der Gerechtigkeit!/ Sprich deutlich mit dem Mensch, daſs er’s weiſs/ 2610 Auch, was er soll! Rupert (erblickt Agnes Leiche). Mein Sohn! Mein Sohn! Ermordet!/ Zu meinem Sohne laſst mich, meinem Sohne!/ (Er will sich losreiſsen, die Ritter halten ihn.) 253 Sylvester. Er trägt sein eigen schneidend Schwerdt im Busen./ (Er steckt ein.) Laſst ihn zu seinem Sohne. Rupert (stürzt über Agnes Leichnam hin). Ottokar!/ Gertrud (trit auf). Ein Reuter flog durch Warwand, schreiend, Agnes/ Sei todt gefunden in der Höhle. Ritter/ Ihr Männer! Ist es wahr? Wo ist sie? Wo?/ (Sie stürzt über Ottokar’s Leichnam.) O heilge Mutter Gottes! O mein Kind!/ Du Leben meines Lebens! Eustache (trit auf). Seid ihr Männer,/ So laſst ein Weib unangerührt hindurch,/ 2620 Gebeut’s, Sylvester, ich, die Mutter des/ Erschlagnen, will zu meines Sohnes Leiche./ Sylvester. Der Schmerz ist frey. Geh hin zu Deinem Sohn./ 254 Eustache. Wo ist er? — Jesus! Deine Tochter auch? —/ Sie sind vermählt. (Sylvester wendet sich. Eustache läſst
sich auf ein Knie vor Agnes Leiche nieder.) (Sylvius von Johann geführt, treten auf.
Der letzte mit Zeichen der Verrückung.) Sylvius. Wohin führst Du mich, Knabe?/ Johann. In’s Elend, Alter, denn ich bin die Thorheit./ Sei nur getrost! Es ist der rechte Weg./ Sylvius. Weh! Weh! Im Wald die Blindheit, und ihr Hüter/ Der Wahnsinn! Führe heim mich, Knabe, heim!/ Johann. In’s Glück? Es geht nicht, Alter. S’ist inwendig/ 2630 Verriegelt. Komm. Wir müssen vorwärts. 255 Sylvius. Müssen wir?/ So mögen sich die Himmlischen erbarmen./ Wohlan. Ich folge Dir. Johann. Heiſsa lustig!/ Wir sind am Ziele. Sylvius. Am Ziele schon? Bei meinem/ Erschlagnen Kindeskind’? Wo ist’s? Wo ist es? Johann. Wär ich blind,/ Ich könnt’ es riechen, denn die Leiche stinkt schon. [emendiert nicht in ›schon.‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS)] / Wir wollen uns dran niedersetzen, komm,/ Wie Geier ums Aas. (Er setzt sich bei Ottokars Leiche.) Sylvius. Er raset. Weh! Hört denn/ Kein menschlich Ohr den Jammer eines Greises,/ Der blind in pfadelosen Wäldern irrt?/ 2640 256 Johann. Sei mir nicht bös’, ich mein’ es gut mit Dir./ Gieb Deine Hand, ich führe Dich zu Agnes./ Sylvius. Ist es noch weit? Johann. Ein Pfeilschuſs. Beuge Dich./ Sylvius (indem er die Leiche betastet). Ein Schwerdt — im Busen — einer Leiche. — Johann. Höre, Alter,/ Das nenn’ ich schauerlich. Das Mädchen war/ So gut, und o so schön. Sylvius. Das ist nicht Agnes!/ — Das wäre Agnes, Knabe? Agnes Kleid, / Nicht Agnes! Nein bei meinem ew’gen Leben,/ Das ist nicht Agnes! Johann (die Leiche betastend). Ah! Der Scorpion!/ S’ist Ottokar! 257 Sylvester. Ottokar!/ 2650 Gertrude. So wahr ich Mutter, das ist meine Tochter/ Nicht. (Sie steht auf.) Sylvester. Fackeln her! — Nein, wahrlich, nein! Das ist/ Nicht Agnes! Eustache (die herbeigeeilt). Agnes! Ottokar! Was soll/ Ich glauben — ? O ich Unheilsmutter! Doppelt/ Die Leiche meines Sohnes! Ottokar!/ Sylvester. Dein Sohn in meiner Agnes Kleidern? Wer/ Denn ist die Leiche in der Männertracht?/ Ist es denn — Nein, es ist doch nicht — ? Sylvius. Sylvester!/ Wo ist denn Agnes Leiche? Führ’ [emendiert in ›Führe‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS: ›Führ’‹)] [emendiert in ›Führe‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS: ›Führ’‹)] mich zu ihr./ Sylvester. Unglücklicher! Sie ist ja nicht ermordet?/ 2660 258 Johann. Das ist ein Narr. Komm, Alter, komm,
dort ist [emendiert in ›komm. Dort ist‹] [emendiert in ›komm. Dort ist‹] / Noch eine Leich’, ich hoffe, die wird’s seyn./ Sylvius. Noch eine Leiche? Knabe! Sind wir denn/ In einem Beinhaus? Johann. Lustig, Alter!/ Sie ist’s! S’ist Agnes! Sylvester (bedeckt sich das Gesicht). Agnes! Johann. Faſs’ ihr ins Gesicht,/ Es muſs wie fliegender Sommer seyn. (Zu Rupert.)Du Scheusal! Fort!/ Rupert (richtet sich halb auf). Bleibt fern, ich bitt’ euch. — Sehr gefährlich ist’s,/ Der Ohnmacht eines Rasenden zu spotten./ 259 Ist er in Fesseln gleich geschlagen, kann/ Er euch den Speichel noch ins Antlitz spein,/ 2670 Der seine Pest euch einimpft. Geht, und laſst/ Die Leiche mindstens mir von Ottokar./ Johann. Du toller Hund! Geh gleich fort! Ottokar/ Ist dort — komm, Alter, glaub mir hier ist Agnes./ Sylvius. O meine Agnes! O mein Kindeskind!/ Gertrude. O meine Tochter! Welch’ ein Irrthum! Gott!/ Rupert (sieht Agnes Leiche genauer an,
steht auf, geht schnell zur Leiche Ottokar’s, und wendet sich mit Bewegung des Entsetzens). Höllisch Gesicht! Was äffst Du mich? (Er sieht die Leiche wieder an.) Ein Teufel/ Blöckt mir die Zung’ heraus. 260 (Er sieht sie wieder an und fährt mit den
Händen in seinen Haaren.)Ich selbst! Ich selbst!/ Zweimal die Brust durchbohrt! Zweimal die Brust./ Ursula (trit auf). Hier ist der Kindesfinger!/ 2680 (Sie wirft einen Kindesfinger in die Mitte der
Bühne und verschwindet.) Alle. Was war das? Welche seltsame Erscheinung?/ Eustache. Ein Kindesfinger? (Sie sucht ihn auf.) Rupert. Fehlte Petern nicht/ Der kleine Finger an der linken Hand?/ Sylvester. Dem Peter? Dem erschlagnen Knaben? Fangt/ Das Weib mir, führet mir das Weib zurück! [emendiert in ›zurück.‹] / (Einige Ritter ab.) 261 Eustache. Wenn eine Mutter kennt, was sie gebahr,/ So ist es Peter’s Finger. Rupert. Peter’s Finger?/ Eustache. Er ist’s! Er ist’s! An dieser Blatternarbe,/ Der einzigen auf seinem ganzen Leib,/ Erkenn’ ich es! Er ist es! Rupert. Unbegreiflich!/ 2690 Ursula (wird aufgeführt). Gnade! Gnade! Gnade!/ Sylvester. Wie kamst Du, Weib, zu diesem Finger? Ursula. Gnade!/ Das Kind Kind, dem ich ihn abgeschnitten, ist/ Ermordet nicht, war ein ertrunkenes,/ Das ich selbst leblos fand. 262 Rupert. Ertrunken?/ Sylvester. Und warum schnittst Du ihm den Finger ab?/ Ursula. Ich wollt’ ihn unter meine Schwelle legen,/ Er wehrt dem Teufel. Gnade! Wenn’s Dein Sohn ist,/ Wie meine Tochter sagt, ich wuſst’ es nicht./ Rupert. Dich fand ich aber bei der Leiche nicht./ 2700 Ich fand zwei Reisige aus Warwand./ Ursula. Die kamen später zu dem Kind’ als ich,/ Ihm auch den rechten Finger abzulösen./ (Rupert bedeckt sich das Gesicht.) Johann (trit vor Ursula). Was willst Du, alte Hexe? Ursula. S’ist abgethan, mein Püppchen./ 263 Wenn ihr euch todtschlagt, ist es ein Versehen./ Johann. Versehen? Ein Versehen? Schade! Schade!/ Die arme Agnes! Und der Ottokar!/ Rupert. Johann! Mein Knäblein! Schweige still, Dein Wort/ Ist schneidend wie ein Messer. Johann. Seid nicht böse./ Papa hat es nicht gern gethan, Papa/ 2710 Wird es nicht mehr thun. Seid nicht böse./ Rupert. Sylvester! Dir hab’ ich ein Kind genommen,/ Und biete einen Freund Dir zum Ersatz./ (Pause.) Sylvester! Selbst bin ich ein Kinderloser!/ (Pause.) Sylvester! Deines Kindes Blut komm über/ 264 Mich — kannst Du besser nicht verzeihn, als ich?/ (Sylvester reicht ihm mit abgewandtem
Gesicht die Hand; Eustache und
Gertrude umarmen sich.) Johann. Bringt Wein her! Lustig! Wein! Das ist ein Spaſs zum/ Todtlachen! Wein! Der Teufel hatt’ im Schlaf die beiden/ Mit Kohlen die Gesichter angeschmiert,/ Nun kennen sie sich wieder. Schurken! Wein! [emendiert nicht in ›Wein!‹ (Verweis im Kommentar)] / 2720 Wir wollen Eins drauf trinken! Ursula. Gott sei Dank!/ So seid ihr nun versöhnt. Rupert. Du hast den Knoten/ Geschürzt, Du hast ihn auch gelös’t, trit [emendiert in ›gelös’t. Trit‹ (vgl. dagegen Ghonorez HS: ›gelös’t, trit‹)] ab./ 265 Johann. Geh, alte Hexe, geh. Du spielst gut aus der Tasche,/ Ich bin zufrieden mit dem Kunststück. Geh./ (Der Vorhang fällt.)