[121] An Christoph Martin Wieland, d. 17. Dezember 1807
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Mein verehrungswürdigſter Freund, Mein Herz iſt, wie ich eben jetzt, da ich die Feder ergreife, empfinde, bei dem Gedanken an Sie noch eben ſo gerührt, als ob ich, von Beweiſen Ihrer Güte überſchüttet, Osmanſtädt geſtern oder vorgeſtern verlaſſen hätte. Sie können mich, und die Empfindung meiner innigſten Verehrung Ihrer, noch viel weniger aus dem Gedächtniß verloren haben, da Ihnen die göttliche Eigenſchafft, nicht älter zu werden, mehr als irgend [MA II 888] einem andern Menſchen zu Theil geworden iſt. Im März dieſes Jahres ſchrieb ich Ihnen zweimal vom Fort de Joux, einem feſten Schloß bei Neufchâtel, wohin ich durch ein unglückliches, aber bald wieder aufgeklärtes, Misverſtändniß, als ein Staatsgefangener abgeführt worden war. Der Gegenſtand meines Briefes war, wenn ich nicht irre, [2] [BKA IV/3 77] der Amphitrÿon, Amphitryon, eine Umarbeitung des Molieriſchen, die Ihnen vielleicht jetzt durch den Druck bekannt ſein wird, und von der Ihnen damals das Manuſcript, zur gütigen Empfehlung an einen Buchhändler, zugeſchickt werden ſollte. Doch alle Schreiben, die ich von jenem unglücklichen Fort erließ, ſcheinen von dem Commendanten unterdrückt worden zu ſein; und ſo gieng die Sache einen ganz anderen Gang. Jetzt bin ich willends, mit Adam Müller, dem Lehrer des Gegenſatzes, der hier, während mehrerer Winter ſchon, äſthetiſche, von dem Publico ſehr gut aufgenommene, Vorleſungen gehalten hat, ein [DKV IV 399] Kunſtjournal herauszugeben, monats[Heimböckel:1999 (Reclam) 408] weiſe, unter dem Titel, weil doch einer gewählt werden muß: Phöbus. Ich bin im Beſitz dreier Manuſcripte, mit denen ich, für das kommende Jahr, fragmentariſch darin aufzutreten hoffe; einem Trauerſpiel, Pentheſilea; einem Luſtſpiel, der zerbrochne Krug (wovon der GhRth v. Göthe eine Abſchrift beſitzt, die Sie leicht, wenn die [3] [BKA IV/3 78] Erſcheinung Sie intereſſirt, von ihm erhalten könnten); und einer Erzählung, die Marquiſe von O.. Adam Müller wird ſeine äſth. und phil. Vorleſungen geben; und durch günſtige Verhältniſſe ſind wir in den Beſitz einiger noch ungedruckter Schriften des Novalis gekommen, die gleichfalls in den erſten Heften erſcheinen ſollen. Ich bitte Sie, mein verehrungswürdigſter Freund, um die Erlaubniß, Sie in der An[SE:1993 II 800] zeige als Einen der Beitragliefernden nennen zu dürfen; Einmal, in der Reihe der Jahre, da Sie der Erde noch, und nicht den Sternen angehören, werden Sie ſchon einen Aufſatz für meinen Phöbus erübrigen können; wenn Sie gleich Ihrem eigenen Merkur damit karg ſind. Ferner wünſche ich, daß Sie den HE. Hoffrath Böttiger für das Inſtitut intereſſiren mögten; es ſei nun, daß Sie ihn bewegten, uns unmittelbar mit Beiträgen zu beſchenken (wir zahlen 30 Rth. Rt. Rth p. p[ro] B.)* B[ogen])* oder auch nur, dieſe junge litterariſche Erſcheinung im Allgemeinen * wir verlegen ſelbſt. [4] [BKA IV/3 81] unter ſeinen kritiſchen Schutz zu nehmen. Ich werde zwar ſelbſt deshalb meinen Antrag bei ihm [MA II 889] machen; doch ein Wort von Ihnen dürfte mich leicht beſſer empfehlen, als alle meine Dramen und Erzählungen. Ich wollte, ich könnte Ihnen die Pentheſilea ſo, bei dem Kamin, aus dem Stegreif vortragen, wie damals den Robert Guiskard. Entſinnen Sie ſich deſſen wohl noch? Das war der ſtolzeſte Augenblick meines Lebens. Soviel iſt gewiß: ich habe eine Tragödie (Sie wiſſen, wie ich mich damit gequält habe) von der Bruſt heruntergehuſtet; und fühle mich wieder ganz frei! In Kurzem ſoll auch der Robert Guiskard folgen; und ich überlaſſe es Ihnen, mir als[Heimböckel:1999 (Reclam) 409] dann zu ſagen, welches von von den von den beiden beſſer ſei; [DKV IV 400] denn ich weiß es nicht. — Wo iſt denn Louis? Was macht Ihre vortreffliche Tochter Louiſe? und die übrigen Ihrigen? — Vielleicht, daß ich in Kurzem mit Rühle, dem Gouverneur des Prinzen Bernhard, zu Ihnen komme, und mich völlig wieder in Ihrem Gedächtniß auffriſche, wenn die Zeit doch mein Bild bei Ihnen ein wenig verlöſcht haben ſollte. Erfreuen und beehren Sie bald mit einer Antwort Ihren treuen getreuen getreuen und gehorſamen Heinrich von Kleiſt.