[037] An Wilhelmine v. Zenge, 22. März 1801
Alle Textversionen sind inhaltlich identisch. Die Handschrift wird in konstituierter und emendierter Fassung dargestellt (eine textkritische Darstellung ist in Planung). Alle Emendationen sind im Anhang einzeln verzeichnet.
Die
Fassung Handschrift zeigt die emendierte Wiedergabe der Handschrift. Der originale Zeilenfall ist beibehalten. Diese Fassung wird wegen der Zeilenlänge auf Smartphones nicht angezeigt.
In der Textversion ohne originalen Zeilenfall wird der Zeilenfall mit einem Schrägstrich / angezeigt, die Zeile wird aber nicht umbrochen. Die Zeilenzahl wird alle 10 Zeilen angezeigt.
In der Textversion ohne langes ſ sind das lange ſ und historische Umlautformen der heutigen Darstellungsweise angepasst. Der originale Zeilenumbruch wird nicht angezeigt, Seitenumbrüche bleiben erhalten.
[1]
[BKA IV/1 498]
[DKV IV 201]
[SE:1993 II 630]
[Heimböckel:1999 (Reclam) 209]
[MA II 708]
Berlin,
d.]den
22t
]22.
März,
]März
1801.
]1801
Liebe
Herzens-Wilhelmine,
diese
Stunde
ist
seit
unsrer
Trennung
eine
von
den
wenigen, die
ich
vergnügt
nennen
kann,5
ja
vielleicht
die
erste —
Nach
vielen
unruhigen
Tagen
kam
ich
heute
von
einer
Fußreise
aus
Potsdam
zurück.
Als
ich
zu
Carln
in
das
Zimmer
trat, fragte
ich
nach
Briefen
von
Dir,
u.]und
als
er
mir
den
Deinigen
gab, brach
ich
ihn
nicht
ganz
ohne
Besorgniß]Besorgnis
auf, indem
ich
fürchtete, er
mögte]möchte
voll
Klagen
und
10
Scheltwörter
über
mein
langes
Stillschweigen
sein.
Aber
Du
hast
mir
einen
Brief
geschrieben, den
ich
in
aller
Hinsicht
fast
den
liebsten
nennen
mögte]möchte
—
Es
war
mir
fast
als
müßte
ich
stolz
darauf
sein;
denn,
sagte
ich
zu
mir
selbst, wenn
W.]W.s
Gefühl
sich
so
verfeinert, ihr
Verstand
sich
so
berichtigt, ihre
15
Sprache
sich
so
veredelt
hat, wer
ist
daran — — wem
hat
sie
es
zu — — —
Kurz, [MA II 709]
ich
konnte
mir
den
Genuß
nicht
ver⸗
weigern, den
Brief, sobald
ich
ihn
gelesen
hatte,
Carln
zu
über⸗
reichen, welches
ich
noch
nie
gethan]getan
habe —
Ich
küsse
die
Hand
die
ihn
schrieb, u.]und
das
Herz, das
ihn
dictirte.]diktierte.
Fahre
so
fort
nach
dem
20
Preise
zu
ringen, mein
Bestreben
soll
es
[SE:1993 II 631]
sein, ihn
so
benei⸗
denswürdig
zu
machen, als
möglich.
Du
sollst
einst
einen
Mann
an
Deine
Brust
drücken, den
edle
Menschen
ehren,
u.]und
wenn
je⸗
mals
in
Deinem
Herzen
sich
eine
Sehnsucht
nach
etwas
regt,
was
ich
Dir
nicht
leiste, so
ist
mein
Ziel
verfehlt, so
wie
das
Dei⸗25
nige, wenn
Du
nicht
immer
dieses
Bestreben
wach
in
mir
erhältst.
Ja,
Wilhelmine,
meine
Liebe
ist
ganz
in
Deiner
Gewalt.
Schmerzhaft
würde
es
mir
sein, wenn
ich
Dir
jemals
aus
bloßer
Pflicht
treu
sein
müßte.
Gern
mögte]möchte
ich
meine
Treue
immer
nur
der
Neigung
verdanken.
Ich
bin
[DKV IV 202]
nicht
flat⸗30
terhaft, nicht
leichtsinnig, nicht
jede
Schürze
reizt
mich]mich,
und
ich
verachte
den
Reichthum;]Reichtum;
wenn
ich
doch
jemals
mein
Herz
Dir
entzöge, Dir
selbst, nicht
mir, würdest
Du
die
Schuld
zu⸗
zuschreiben
haben.
Denn
so
wie
meine
Liebe
Dein
Werk, nicht
das
meinige
war, so
ist
auch
die
Erhaltung
[Heimböckel:1999 (Reclam) 210]
der⸗35
selben
nur
Dein
Werk, nicht
das
meinige.
Meine
Sorge
ist
nichts
als
Deine
Gegenliebe, für
meine
eigne
Neigung
zu
Dir
kann
ich
nichts
thun,]tun,
gar
nichts, Du
aber
Alles.]alles.
Dich
zu
lieben
[2]
[BKA IV/1 501]
wenn
ich
Dich
nicht
liebenswürdig
fände, das
wäre
mir
das
Unmögliche.
Die
Hand
könnte
ich
Dir
geben, u.]und
so
mein
40
Wort
erfüllen, aber
das
Herz
nicht — denn
Du
weißt, daß
es
das
seltsame
Eigenthum]Eigentum
ist, welches
man
sich
nur
rauben
lassen
darf, wenn
es
Zinsen
tragen
soll.
Also
sorge
nie,
daß
ich
gleichgültig
gegen
Dich
werden
mögte,]möchte,
sorge
nur, daß
Du
mich
nicht
gleichgültig
gegen
Dich
machst.
Sei
ruhig, so
45
lange
Du
in
Deinem
Innersten
fühlst, daß
Du
meiner
Liebe
werth]wert
bist, u.]und
wenn
Du
an
jedem
Abend
nach
einem
heiter
verflossenen
Tage
in
Deinem
Tagebuche
die
Summe
Deiner
Handlungen
ziehest, u.]und
nach
dem
Abzuge
ein
Rest
bleibt
für
die
guten, und
ein
stilles, süßes, mächtig-50
schwellendes
Gefühl
Dir
sagt, daß
Du
eine
Stufe
höher
getreten
bist,
bist
]bist
als
gestern, so — — so
lege
Dich
ruhig
auf
Dein
Lager, und
denke
mit
Zuversicht
an
mich, der
vielleicht
in
dem⸗
selben
Augenblicke
mit
derselben
Zuversicht
an
Dich
denkt,
u.
und
]und
hoffe
— nicht
zu
heiß, aber
auch
nicht
zu
kalt — auf
55
bessere
Augenblicke, als
die
schönsten
in
der
Vergangenheit
— — [MA II 710]
auf
bessere
noch?
— Ich
sehe
das
Bild, u.]und
die
Nadeln,
und
Vossens
Luise]»Luise«
u.]und
die
Gartenlaube
u.]und
die
mondhellen
Nächte,
— und
doch — — Still!
— „Wer
rief?“
— Mir
wars, als
drücktest
Du
mir
den
Mund
mit
Küssen
zu.
60
Ich
wollte
nun
auf
Deinen
Brief, Punct]Punkt
vor
Punct,]Punkt,
ant⸗
worten, [SE:1993 II 632]
u.]und
laß]las
ihn
darum
zum
zweitenmale
durch (immer
noch
mit
derselben
Freude) —
Aber
du
hast
diesmal]diesmals
in
jede
Zeile
ein
besonderes
Interesse
gelegt, und
jede
verdiente
einen
eignen
Bogen
zur
Antwort.
Ich
kann
aber
nur
einen
Gedanken
heraus⸗65
heben, den, der
mir
der
liebste
ist.
Über
die
andern
muß
ich
kurz
weg
eilen.
Fahre
fort, dem
schönen
Beispiel
zu
folgen, das
Dir
die
Blume
an
Deinem
Fenster
giebt.]gibt.
So
oft
Du
auf
ein
diner,]Diner,
oder
souper]Souper
oder
Ball
gehest, kehre
sie
um, u.]und
wenn
sie
[Heimböckel:1999 (Reclam) 211]
bei
Deiner
Rückkehr
doch
wieder
70
den
Kelch
der
Sonne
entgegenneigt, so
laß
Dich
nicht
von
ihr
be⸗
schämen, u.]und
thue]tue
ein
Gleiches.
Ich
wünsche
Dir
aus
meinem
Herzen
Glück
zu
Deinem
weib⸗
lichen
Brokes.
Nicht
leicht
würde
ich
in
diese
Vergleichung
einstimmen]einstimmen,
[3]
[BKA IV/1 502]
aber
diese
muß
ich
doch
billigen.
Mir
selbst
hat
das
Mädchen
sehr
75
gefallen.
Du
hast
mir
ein
Paar]paar
unbeschreiblich
rührende
Züge
von
ihr
aufgezeichnet, u.]und
wenn
gleich
das
Wesen, dem
sie
eigen
sind,
sehr
viel
werth]wert
ist, so
ist
doch
auch
das
Wesen, das
sie
verstand,
etwas
werth.]wert.
Denn
immer
ist
es
ein
Zeichen
der
eignen
Vortrefflichkeit,
wenn
die
Seele
auch
aus
den
unscheinbarsten
Zügen
Andrer]andrer
80
das
Schöne
herauszufinden
weiß.
Es
hätte
sich
nicht
leicht
ein
Umstand
ereignen
können, der
im]imstande
Stande]
wäre, Dich
so
schnell
auf
eine
höhere
Stufe
zu
führen, als
Deine
Neigung
für
Rousseau.
Ich
finde
in
Deinem
ganzen
Briefe
schon
etwas
von
seinem
Geiste — das
zweite
Geschenk, das
ich
85
Dir, von
heute
an
gerechnet, machen
werde, wird
das
Geschenk
von
Rousseaus
sämmtlichen]sämtlichen
Werken
sein.
Ich
werde
Dir
dann
auch
die
Ordnung
seiner
Lesung
bezeichnen — für
jetzt
laß
Dich
nicht
stören,
den
Emil
ganz
zu
beendigen. —
Ich
komme
jetzt
zu
dem
Gedanken
aus
Deinem
Briefe, der
90
mir,
mir
mir
]mir
in
meiner
Stimmung
der
theuerste]teuerste
sein
mußte, und
der
meiner
verwundeten
Seele
fast
so
wohl
that,]tat,
wie
Balsam
einer
körperlichen
Wunde.
Du
schreibst: „Wie
sieht
es
aus
in
Deinem
Innern?
Du
würdest
mir
viele
Freude
machen, wenn
Du
mir
etwas
mehr
davon
95
mittheiltest,]mitteiltest,
als
bisher; glaube
mir, ich
kann
leicht
fassen,
was
Du
mir
sagst, u.]und
ich
mögte]möchte
gern
Deine
Hauptgedanken
mit
Dir
theilen]teilen
.“
Liebe
Wilhelmine,
ich
erkenne
an
diesen
fünf
Zeilen
mehr
als
an
irgend
etwas, daß
Du
wahrhaft
meine
Freundinn]Freundin
bist.
100
Nur
unsre
[SE:1993 II 633]
äußern
Schicksale
interessiren]interessieren
die
[DKV IV 204]
Menschen, die
innern
nur
den
Freund.
Unsere
äußere
Lage
kann
ganz
ruhig
sein, indessen
unser
Innerstes
ganz
bewegt
[Heimböckel:1999 (Reclam) 212]
ist —
Ach, ich
kann
Dir
nicht
beschreiben, wie
wohl
es
mir
thut,]tut,
einmal
jemandem,
der
mich
versteht, mein
Innerstes
zu
öffnen.
Eine
ängstliche
Ban⸗105
gigkeit
ergreift
mich
immer, wenn
ich
unter
Menschen
bin,
die
alle
von
dem
Grundsatze
ausgehen, daß
man
ein
Narr
sei,
wenn
man
ohne
Vermögen
jedes
Amt
ausschlägt.
Du
wirst
nicht
so
hart
über
mich
urtheilen,]urteilen,
— nicht
wahr?
Ja, allerdings
dreht
sich
mein
Wesen
jetzt
um
einen
Hauptgedanken,110
der
mein
Innerstes
ergriffen
hat, er
hat
eine
tiefe
erschüttern⸗
de
Wirkung
auf
mich
hervorgebracht —
Ich
weiß
nur
nicht, wie
ich
das, was
seit
3
Wochen
durch
meine
Seele
flog, auf
diesem
[4]
[BKA IV/1 505]
Blatte
zusammenpressen
soll.
Aber
Du
sagst
ja, Du
kannst
mich
fassen — also
darf
ich
mich
schon
etwas
kürzer
fassen.
Ich
werde
115
Dir
den
Ursprung
u.]und
den
ganzen
Umfang
dieses
Gedankens, nebst
allen
seinen
Folgerungen
einst, wenn
Du
es
wünschest, weitläufiger
mittheilen,]mitteilen,
Also
jetzt
nur
so
viel.
Ich
hatte
schon
als
Knabe (mich
dünkt
am
Rhein
durch
eine
Schrift
von
Wieland)
mir
den
Gedanken
angeeignet, daß
die
Vervollkomnung
Vervollkommnung
]Vervollkommnung
120
der
Zweck
der
Schöpfung
wäre.
Ich
glaubte, daß
wir
einst
nach
dem
Tode
von
der
Stufe
der
Vervollkomnung,
Vervollkommnung,
]Vervollkommnung,
die
wir
auf
diesem
Sterne
erreichten, auf
einem
andern
weiter
fortschreiten
würden,
u.]und
daß
wir
den
Schatz
von
Wahrheiten, den
wir
hier
sammelten, auch
dort
einst
brauchen
könnten.
Aus
diesen
Gedanken
bildete
sich
125
so
nach
u.]und
nach
eine
eigne
Religion, u.]und
das
Bestreben, nie
auf
einen
Augenblick
hieniden]hienieden
still
zu
stehen, u.]und
immer
unaufhör⸗
lich
einem
höhern
Grade
von
Bildung
entgegenzuschreiten, ward
bald
das
einzige
Princip]Prinzip
meiner
Thätigkeit.]Tätigkeit.
Bildung
schien
mir
das
einzige
Ziel, das
des
Bestrebens,
Wahrheit
der
einzige
Reich[MA II 712] thum,]Reichtum,
130
der
des
Besitzes
würdig
ist.
— Ich
weiß
nicht, liebe
Wilhelmine,
ob
Du
diese
zwei
Gedanken:
Wahrheit
u.]und
Bildung,
mit
einer
solchen
Heiligkeit
denken
kannst, als
ich —
Das
freilich, würde
doch
nöthig]nötig
sein, wenn
Du
den
Verfolg
dieser
Geschichte
meiner
Seele
[DKV IV 205]
verstehen
willst.
Mir
waren
sie
so
hei[Heimböckel:1999 (Reclam) 213] lig,
daß
ich
diesen
135
beiden
Zwecken, Wahrheit
zu
sammeln, u.]und
Bildung
mir
zu
erwerben,
die
kostbarsten
Opfer
brachte —
Du
kennst
sie.
— Doch
ich
muß
mich
kurz
fassen.
Vor
Kurzem]kurzem
ward
ich
mit
der
neueren
sogenannten
Kantischen
Philosophie
bekannt — u.]und
Dir
muß
ich
jetzt
daraus
einen
Gedanken
140
mittheilen,]mitteilen,
indem
ich
nicht
fürchten
darf, daß
er
Dich
so
tief, so
schmerzhaft
erschüttern
wird, als
mich.
Auch
kennst
Du
das
Ganze
nicht
hinlänglich, um
sein
Interesse
vollständig
zu
begreifen.
Ich
will
indessen
so
deutlich
sprechen, als
möglich.
Wenn
alle
Menschen
statt
der
Augen
grüne
Gläser
hätten, so
würden
145
sie
urtheilen]urteilen
müssen, die
Gegenstände, welche
sie
dadurch
erblicken,
sind
grün — und
nie
würden
sie
entscheiden
können, ob
ihr
Auge
ihnen
die
Dinge
zeigt, wie
sie
sind, oder
ob
es
nicht
etwas
zu
ihnen
hinzuthut,]hinzutut,
was
nicht
ihnen, sondern
dem
Auge
gehört.
So
ist
es
mit
dem
Verstande.
Wir
können
nicht
entscheiden, ob
150
das, was
wir
Wahrheit
nennen, wahrhaft
Wahrheit
ist, oder
ob
es
uns
nur
so
scheint.
Ist
das
letzte, so
ist
die
Wahrheit, die
[5]
[BKA IV/1 506]
wir
hier
sammeln, nach
dem
Tode
nicht
mehr — u.]und
alles
Bestreben, ein
Eigenthum]Eigentum
sich
zu
erwerben, das
uns
auch
in
das
Grab
folgt, ist
vergeblich —
155
Ach,
Wilhelmine,
wenn
die
Spitze
dieses
Gedankens
Dein
Herz
nicht
trifft, so
lächle
nicht
über
einen
Andern,]andern,
der
sich
tief
in
seinem
heiligsten
Innern
davon
verwundet
fühlt.
Mein
einziges,
mein
höchstes
Ziel
ist
gesunken, und
ich
habe
nun
keines
mehr — —
160
Seit
diese
Überzeugung, nämlich, daß
hienieden
keine
Wahrheit
zu
finden
ist, vor
meine
Seele
trat, habe
ich
nicht
wieder
ein
Buch
angerührt.
Ich
bin
unthätig]untätig
in
meinem
Zimmer
umher⸗
gegangen,
ich
habe
mich
an
das
offne
Fenster
gesetzt, ich
bin
hinaus⸗
gelaufen
ins
Freie, eine
innerliche
Unruhe
trieb
mich
zuletzt
165
in
Tabagien
u.
und
]und
Caffeehäuser,]Kaffeehäuser,
ich
habe
Schauspiele
u.]und
Concerte]Konzerte
be⸗
sucht, um
mich
zu
zerstreuen, ich
habe
sogar, um
mich
zu
betäuben,
eine
Thorheit]Torheit
begangen, [MA II 713]
die
Dir
Carl
lieber
erzählen
mag, als
[Heimböckel:1999 (Reclam) 214]
ich;
und
[DKV IV 206]
dennoch
war
der
einzige
Gedanke, den
meine
Seele
in
diesem
äußeren
Tummulte
Tumulte
]Tumulte
mit
glühender
Angst
bearbeitete]bearbeitete,
immer
nur
170
dieser: dein
einziges,
dein
höchstes
Ziel
ist
gesunken —
An
einem
Morgen
wollte
ich
mich
zur
Arbeit
zwingen, aber
ein
innerlicher
Eckel
Ekel
]Ekel
überwältigte
meinen
Willen.
Ich
hatte
eine
unbeschreibliche
Sehnsucht
an
Deinem
Halse
zu
weinen,
oder
wenigstens
einen
Freund
an
die
Brust
zu
drücken.
Ich
lief,175
so
schlecht
das
Wetter
auch
war, nach
Potsdam,
ganz
durchnäßt
[SE:1993 II 635]
kam
ich
dort
an, drückte
Leopold,
Gleißenberg,
Rühle
ans
Herz, und
mir
ward
wohler — —
Rühle
verstand
mich
am
beßten.]besten.
Ließ’]Lies
doch, sagte
er
mir,
den
Kettenträger]»Kettenträger«
(ein
Roman)
Es
herrscht
in
diesem
Buche
180
eine
sanfte, freundliche
Philosophie, die
Dich]dich
gewiß
aussöhnen
wird, mit
Allem,]allem,
worüber
Du
du
]du
zürnst.
Es
ist
wahr,
er
selbst
hatte
aus
diesem
Buche
einige
Gedanken
geschöpft,
die
ihn
sichtbar
ruhiger
u.]und
weiser
gemacht
hatten.
Ich
faßte
den
Muth]Mut
diesen
Roman
zu
lesen.
185
Die
Rede
war
von
Dingen, die
meine
Seele
längst
schon
selbst
bearbeitet
hatte.
Was
darin
gesagt
ward, war
von
mir
schon
längst
im
Voraus]voraus
widerlegt.
Ich
fieng]fing
schon
an
unruhig
zu
blättern, als
der
Verfasser
nun
gar
von
ganz
fremdartigen
politischen
Händeln
weitläufig
zu
raisonniren]räsonieren
anfieng]anfing
— Und
190
das
soll
die
Nahrung
sein
für
meinen
glühenden
Durst?
— Ich
legte
still
u.]und
beklommen
das
Buch
auf
den
Tisch, ich
drückte
mein
Haupt
auf
das
Kissen
des
Soppha,]Sofa,
eine
unaussprechliche
Leere
erfüllte
mein
[6]
[BKA IV/1 509]
Inneres, auch
das
letzte
Mittel, mich
zu
heben, war
fehlge⸗
schlagen
—
Was
sollst
Du
du
]du
nun
thun,]tun,
rief
ich?
Nach
Berlin
zurück⸗195
kehren
ohne
Entschluß?
Ach, es
ist
der
schmerzlichste
Zustand
ganz
ohne
ein
Ziel
zu
sein, nach
dem
unser
Inneres, froh-beschäfftigt,]froh-beschäftigt,
fortschreitet — und
das
war
ich
jetzt —
Du
wirst
mich
doch
nicht
falsch
verstehen,
Wilhelmine?
—
Ich
fürchte
es
nicht.
200
In
dieser
Angst
fiel
mir
ein
Gedanke
ein.
Liebe
Wilhelmine,
laß
mich
reisen.
Arbeiten
kann
ich
nicht,
das
ist
nicht
möglich, ich
weiß
nicht
zu
welchem
[DKV IV 207]
Zwecke.
Ich
müßte,
wenn
ich
zu
Hause
bliebe, die
Hände
in
den
Schoß
legen, und
denken.
So
will
ich
lieber
spatzieren]spazieren
gehen, und
[MA II 714]
denken.
Die
Be⸗205
wegung
auf
der
Reise
wird
mir
zuträglicher
sein, als
dieses
Brüten
auf
einem
Flecke.
Ist
es
eine
Verirrung, so
läßt
sie
sich
vergüten, u.]und
schützt
mich
vor
einer
andern, die
vielleicht
unwiderruflich
wäre.
Sobald
ich
einen
Gedanken
ersonnen
habe,
der
mich
tröstet, sobald
ich
einen
Zweck
gefaßt
habe, nach
dem
ich
210
wieder
streben
kann, so
kehre
ich
um, ich
schwöre
es
Dir.
Mein
Bild
schicke
ich
Dir, u.]und
Deines
nehme
ich
mit
mir.
Willst
Du
es
mir
unter
diesen
Bedingungen
erlauben?
Antworte
bald
darauf
Deinem
treuen
Freunde
Heinrich.
N.
S.
Heute
schreibe
ich
Ulriken,
daß
ich
wahrscheinlich, wenn
[SE:1993 II 636]
Du
es
215
mir
erlaubst, nach
Frankreich
reisen
würde.
Ich
habe
ihr
ver⸗
sprochen, nicht
das
Vaterland
zu
verlassen, ohne
es
ihr
vorher
zu
sagen.
Will
sie
mitreisen, so
muß
ich
es
mir
gefallen
lassen.
Ich
zweifle
aber, daß
sie
die
Bedingungen
annehmen
wird.
Denn
ich
kehre
um,
sobald
ich
weiß, was
ich
thun]tun
soll.
Sei
ruhig.
220
Es
muß
etwas
Gutes
aus
diesem
innern
Kampfe
hervor⸗
gehn.