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Berliner Abendblaͤtter.
45tes Blatt. Den 21ten November 1810.
Vom Nationalcredit.
(Antwort auf Bl. 41.)
Laßt uns vorausſetzen: daß die organiſche Geſetzgebung eines bedeutenden Staates, wenn ſie eine wahre Geſetzgebung d. h. conſequent in allen ihren Theilen ſein ſoll, nur die Sache eines einzigen Kopfes ſein koͤnne, niemals mehrerer. Andere koͤnnen zur Berathung oder zur Ergaͤnzung des Mangels an Sachkenntniß zugezogen werden; aber den Plan des Ganzen muß ein Einziger entwerfen, ſonſt kann nie ein harmoniſches Ganzes entſtehn. Wenn Phidias die Arme und Beine zu ſeinem Apoll bei andern Kuͤnſtlern beſtellt, und nachher angeſetzt haͤtte, was wuͤrde wohl entſtanden ſein?
Da es jetzt unmoͤglich iſt, eine weite Strecke der Zukunft ins Auge zu faſſen, ſo ſind wir genoͤthigt, zur Regulirung unſrer Schuldenangelegenheiten uns an dasjenige zu halten, was ſich uns zunaͤchſt darbietet. Da nun hat uns das große Grundgeſetz aller Politik einleuchten muͤſſen: „Du kannſt nur Einfluß auf die Zukunft deines Volkes haben, wenn du den Erfolg einer Operation zu berechnen, und die Zufaͤlligkeiten im Geiſte der Zeit von den weſentlichen und bleibenden zu unterſcheiden weißt. Reſpekt vor deinen Satzungen kannſt du von deinen Enkeln nur erlangen und erwarten, in ſo fern dieſe Satzungen auf die ewigen Geſetze der Natur gebaut ſind. Alle Satzungen der Vorfahren, die nicht auf dieſes Geſetz gebauet ſind, ſondern durch Eigennutz Einzelner, durch momentanen Drang der Umſtaͤnde, auf Unkoſten der allgemeinen Gerechtigkeit, gegruͤndet wurden, ſind nichts weniger als reſpektabel. Sie alsdann noch reſpektiren wollen, wenn die allgemeine Noth deren Aufhebung dringend fordert, wenn die allgemeine Volksſtimme ſie begehrt, wenn der Geiſt des Zeitalters ſchon deutlich ausgeſprochen hat, doch ſie ſich ſelbſt uͤberlebt haben, wuͤrde Mangel an kraͤftigen Willen verrathen; ſie dann noch reſpektiren wollen, wenn deren Beibehaltung nur durch gehaͤufte und wieder gehaͤufte, die National⸗Eintracht vollends zertruͤmmernde Ungerechtigkeiten, erhalten werden kann, wuͤrde Ueberfluß an boͤſen Willen ver 176rathen. Es giebt Verfaſſungen, die ſich nicht modificiren, nur aufheben und mit einem kraͤftigen Schlage vernichten laſſen, weil ſie gleich dem Unkraut unter dem Weitzen, aus jedem nicht vernichteten Saamenkorn wieder hervorwachſen, ſo wie ein Acker ohne Ausbrennen der Wurzeln ſchwerlich von Quecken gereinigt werden kann.“
Wenn eine Nation, wie die Brittiſche, auf ewige Annuitaͤten borgt, ſo liegt dieſes nicht ſowohl in der Ueberzeugung daß die Regierung auch den Nachfolgern der Creditoren das urſpruͤnglich gegebene Wort zu halten den Willen haben werde — denn dieſen trauet eine jede Nation einer rechtlichen Regierung zu! ſondern in der Ueberzeugung, daß ſie auch die Macht dazu haben werde. Dieſe Macht beruhet einzig in der Lage dieſer Inſel, hinter dem ſie von allen Seiten umſchließenden und durch 600 Kriegsſchiffen vertheidigten Bollwerk des Meeres. Nur eine Erdrevolution, die den Canal verſchüttete, und eine Landcommunikation mit Frankreich eroͤffnete, und — mit dem Borgen auf ewige Annuitaͤten haͤtte es ein Ende. Trotz dem allgemein verbreiteten Wohlſtande, trotz der Anhaͤnglichkeit der Nation an ihre Verfaſſung, trotz dem Zutrauen derſelben zu ihrer Regierung, waͤre deren Credit durch dieſen kleinen Zufall vernichtet! Der engliſche Credit wuͤrde alsdann weit unter den Credit eines jeden ſoliden Continentalſtaates ſinken, weil ſein Reichthum nicht auf die ſolide Baſis des Landbaues, ſondern auf die weniger ſolide der Fabrikation und des Handels beruhet, und es zu ſeiner Subſiſtenz nothwendig iſt, daß andre Staaten dieſe Fabrikate ⁊c. kaufen, das Land alſo von dieſen abhaͤngig iſt. — Nicht bloß innere, auch aͤußere Sicherheit gehoͤrt dazu, um den Nationalcredit auf eine feſte Baſis zu gruͤnden. Aus beiden zuſammen beſteht die Selbſtaͤndigkeit eines Staates, d. h. die Gewißheit, daß er nach Jahrhunderten und Jahrtauſenden noch als unabhaͤngiger Staat vorhanden ſein wird. Welcher Staat des Continents hat wohl in unſeren Tagen, wo die Zertruͤmmerung aller Reiche und Staaten ſo alltaͤglich iſt, daß kein Zeitraum der neueren Geſchichte etwas aͤhnliches darſtellt, dieſe Selbſtſtaͤndigkeit?
Phyſiologie.
(Ueber die Empfindung nach dem Tode.)
Als Charlotte Corday guillotinirt wurde, nahm der Henker, wie bekannt, das Haupt, und gab ihm eine 177Ohrfeige. Man wollte, bei dieſer Gelegenheit, bemerkt haben, daß die Wangen des Maͤdchens erroͤthet waͤren, und ihr Auge, bevor es ſich ſchloß, noch einmal unwillig auf den Elenden geblickt hätte, der ihr dieſe Schmach zufuͤgte. Dieſe Sage gab Veranlaſſung bekanntlich zu vielen phyſiologiſchen Streitigkeiten zwiſchen denen, welchen darin ein Urtheil zuſtand: ob naͤmlich in dem bereits abgehauenen, vom Koͤrper gaͤnzlich getrennten Kopfe, Empfindung mit Bewußtſein vorhanden ſein koͤnne. Diejenigen, welche dieſe Frage verneinten, fanden mancherlei, dem Vorgeben nach auf Erfahrung ſich ſtuͤtzenden, Widerſtand. Ganz neuerdings hat der Profeſſor Senff in Halle, im Beiſein und mit Beiſtand mehrerer anderen einſichtsvollen Aerzte, an einem Dekollirten Verſuche gemacht, welche ziemlich in letzter Inſtanz das Reſultat geben, daß in dem alſo verletzten und voͤllig getrennten Kopfe keine Empfindung mit Bewußtſein wahrzunehmen iſt.
Am 8. Oktober naͤmlich wurde der Moͤrder von zwei Schweſtern enthauptet. Er war, was wohl hier von Gewicht iſt, ſehr ruhig vorher und gefaßt. Der Kopf war gerade in der Mitte des Halſes abgehauen worden, und in weichen Sand gefallen. Noch ehe ihn der Experimentator mit ſeinen Gehuͤlfen aufnahmen, bewegte ſich zweimal die untere Kinnlade. Schnell wurde die Binde von den Augen geriſſen, welche man weit offen, die Pupillen aber enger als gewoͤhnlich fand, auch drehten ſich die Augaͤpfel etwas nach Außen hin. In das eine Ohr wurde ſtark der Name des Dekollirten gerufen, aber die Augen bewegten ſich gar nicht, folglich auch nicht nach der Seite, wo gerufen wurde. Eine Stecknadel ſtach man tief in die Wange worauf man auch nicht das mindeſte Zeichen von Gefuͤhl bemerkte. Man ſpruͤtzte fluͤchtiges Laugenſalz (Liquor Ammonii Caustici) in die Naſe, aber es erfolgte auch nicht die mindeſte Gegenwirkung auf dieſen ſo heftigen Reiz, kein Zucken, liest ›Zucken;‹. [Die Semikola haben im BA-Druck aber eine andere Glyphe.] keine auch noch ſo wenig merkliche Veraͤnderung in den Zuͤgen des Geſichts. Die Zeit dieſer Verſuche vom Moment der Enthauptung an, betrug nur wenige Minuten. Mithin waren die Verſuche, die noch ein augenblickliches Bewußtſein nach dem Tode, ſtatuiren, truͤgeriſch; oder dieſelben Verſuche geben, bei verſchiedenen Koͤpfen, nicht daſſelbe Reſultat. W.
Die Redaction dieſer Blaͤtter macht ſich ein Vergnuͤgen daraus folgende zwei Erklaͤrungen, die an 178ſie eingegangen ſind, zur Wiſſenſchaft des Publikums zu bringen.
Antwort auf die Aufforderung im 40ten Stuͤck der Abendblaͤtter.
1. Der bekannte Rezenſent der Opern in der Voßiſchen Zeitung erklaͤrt in Bezug auf die in dieſen Blaͤttern an ihn ergangene Aufforderung, daß er von der Voſſiſchen Zeitungsexpedition fuͤr die Rezenſionen nach Contract honorirt wird, und er die Eingangsgelder bei Opern der Expedition berechnet, und weder von der General Direction des Theaters, Geldſummen noch Freibillets zu dieſem Behuf erhalten hat, noch erhaͤlt. J. C. F. R.
2. Ich erklaͤre hiermit, daß ich fuͤr meine Theateranzeigen von der Voßiſch. Zeitungsexped. Honorar und die noͤthigen Einlaßzettel erhalte; keinesweges aber, als Recenſent, mit der Theaterdirection in Verbindung ſtehe, vielweniger von derſelben durch Geldſummen und Freibillets beſtochen werde.
Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter.
London d. 3. Nov.
Dem Doctor Madows, und mehreren andern Aerzten, welche zu Sr. Maj. nach Windſor berufen, und die Nacht bei liest ›beim‹ ihm zugebracht haben, werden folgende drei Fragen vorgelegt werden: 1) Werden Sr. Maj. durch Ihre Krankheit außer Stand geſetzt, Ihr Parliament zu verſammeln und den oͤffentl. Geſchaͤften vorzuſtehn?
2) Iſt Wahrſcheinlichkeit zur Wiederherſtellung Sr. Maj. von Ihrer Krankheit vorhanden? Und (im Fall die Antwort bejahend ausfaͤllt)
3) Gruͤndet ſich dieſe Wahrſcheinlichkeit auf Symptome, die der Krankheit Sr. Maj. beſonders eigen, oder auf die Erfahrung in aͤhnlichen Faͤllen uͤberhaupt? — Wenn Sr. Maj. den 15. Nov. noch nicht hergeſtellt ſind, ſo wird der Praͤs. des Geh. Raths den Pairs anzeigen, daß der Koͤnig auſſer Stand ſei, ſein Parliament zu berufen, und daß das Recht der beiden Haͤuſer eintrete, wegen Erſetzung der koͤnigl. Gewalt proviſoriſche Maasregeln zu ergreifen.
(L. d. B.)
Paris d. 10 Nov.
Die Kronprinzeſſinn von Schweden iſt mit dem Prinzen Oskar, ihren Sohn, am 9. d. von hier nach Stockholm abgereiſ’t.
(J. d. l’Emp.)
Bruͤſſel d. 11 Nov.
Am 6. d. iſt die Kaiſerinn Joſephine zu Malmaiſon angekommen, von da ſie nach Navarra reiſen wird. (Hamb. Z.)
Madrid d. 20 Okt.
Gen. Hugo, der ſeit einiger Zeit die Bewegungen des famoͤſen Partheigaͤngers Empecinado beobachtet hatte, erreichte ihn am 17. d. bei Val de Saz. Empecinado und ſeine Bande wurden ſogleich in die Flucht getrieben, und zerſtreuten ſich in die Gebirge nachdem ſie 240 Mann auf dem Platz gelaſſen hatten.