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Christian Jacob Kraus.
(Beschluß.)
Dieser Zwiespalt zwischen der Gesetzgebung und Ad¬
ministration dürfte schwerlich entstehen, wenn
er nicht
durch Brandbriefe angeschürt wird. Die Frage scheint 5
zu sein: soll der Preuß. Staat über der Achtung für
das strenge Recht gänzlich zu Grunde gehn, oder —
gebeut die Pflicht der Selbsterhaltung, verjährte Rechte
zu
modificiren, die mit seiner Existenz und dem Zeit¬
geiste unverträglich sind, weil sie einen geheimen Zwie¬10
spalt in der Nation pflegen
und nähren, zu einer Zeit,
wo Eintracht und Hintansetzung aller
egoistischen An¬
sichten, und Aufhebung von Verfassungen, welche die¬
ser Eintracht nachtheilig sind, so dringendes
Bedürf¬
niß ist?15
Es giebt andre Schriften, die weit
eher eines
Warnungszeichens für junge Gemüther bedürfen. Viel¬
leicht werden wir in der Folge dieses Blattes eine der¬
selben analysiren; nicht einen Feuerbrand,
wie wir sie
gehabt haben, bei denen der Umschlag das feurigste 20
war; sondern einen echten Feuerbrand, wie es je einen
gab, deren Verfasser, ein wirklicher nicht ein fingirter
Faust, einen
in Preußen beseitigten Streit wieder auf¬
nimmt, und sein Vaterland in helle Flammen setzen
könnte, wenn die politischen Verhältnisse seinen Be¬25
wohnern nicht täglich zuriefen: Ruhe ist
die erste Bür¬
gerpflicht!
Uebrigens machte Kraus nie Anspruch
auf die Rolle
eines Gesetzgebers. Smith und
er waren bloß Organe
der Natur, dieser großen Gesetzgeberin, und
protestir¬30
ten gegen
Gesetze der Willkühr, die nicht ihren heili¬
gen Stempel tragen. Sie verlangen
eine nothwendige
Gesetzgebung aus der Natur des Staatsvereins ent¬
wickelt, und durch die
äußeren Verhältnisse des Staa¬
tes modificirt. Sie bestimmen die Grenzen der
Ge¬35
setzgebung,
verengen dieselben, bezeichnen die Gegen¬
stände, deren Bestimmung sich die Natur vorbehalten
hat, und wo der Gesetzgeber ohne Mißgriffe nicht ein¬
greifen darf, erklären jedes nicht durch
innere Noth¬
[ 21 ]84wendigkeit oder äußere gebieterische Verhältnisse ge¬40
rechtfertigte Gesetz für schädlich,
und wünschen eine
allgemeine Revision, weil wir deren noch eine Menge
haben.
Fragmente aus den Papieren
eines Zuschauers
am Tage.45
Dutens
erzählt in seinen Mémoires, daß in Paris
einst die Comtesse de Boufflers einer dort, dem An¬
scheine nach in einer abhängigen Lage, sich aufhalten¬
den jungen Engländerin,
bei einem entstandenen Zwiste
den Vorwurf gemacht habe: Mais, Vous êtes bien or¬50
gueilleuse! Die Engländerin habe
geantwortet: Vous
vous trompez, Madame, je ne
suis que
fiere.
fière.
[liest ›fière‹]
Mad.
de
B. habe versetzt: Mais quelle difference y-a-t-il
à cela? Worauf die Engländerin erwiedert:
C’est que
l’orgueil est offensif, & que la
fierté est
defensive.
défensive.
[liest ›défensive.‹]
55
Diese, auch von Dutens herausgehobene, sehr
feine und
richtige Distinction, könnte vielleicht zu einer
billigern Würdigung
eines Vorwurfs führen, der all¬
gemein der Englischen Nation gemacht wird, des Vor¬
wurfs eines übertriebenen Stolzes. Wer die
Nation 60
viel gesehn hat, wird zugeben müssen, daß der Stolz
derselben nicht zu der anmaßenden Gattung gehöre;
daß er
keine beleidigende Prätensionen, durch List oder
Gewalt, noch weniger
durch trügerisch-einschmeichelnde
äußere Formen geltend zu machen
suche; daß er wenig 65
von der eigentlichen Sucht zu glänzen, oder von
einer
stets unruhigen, kleinlichen Eitelkeit in sich fasse. Aber,
der defensive Stolz ist allerdings ein ziemlich allge¬
meiner Character-Zug der Engländer. Er äußert sich
in einer kalten, ruhigen,
gleichgültigen Zurückhaltung. 70
Er ist
gegründet auf die allgemeine, leidenschaftliche
Neigung zur
Independenz, wohl verstanden der Inde¬
pendenz, die auch die
Independenz Anderer sehr billig
gestattet und
anerkannt.
anerkennt.
Aber, um die eigene Inde¬
pendenz nicht zu compromittiren, wird mit Strenge
75
auf das gehalten, was Jeder für eigenthümliches Recht
in den Societätsverhältnissen rechnet, und keine Annä¬
herung gesucht oder verstattet, bevor das Terrain
nicht
hinlänglich recognoscirt ist. Ein
recht auffallender Be¬
weis
dieser Absicht liegt in einer Englischen Sitte, die 80
einem Ausländer im
Anfange höchst sonderbar aufstößt,
so allgemein sie auch, wiewohl mit
den Etiketten der
mehrsten übrigen Länder contrastirend, unter den
Eng¬
85ländern ist. Kömmt eine Englische
Familie an einen
fremden Ort, so erwartet sie, vorzüglich die Damen,
85
daß man die ersten Schritte thue, um ihren Umgang
zu
suchen, anstatt daß bekanntlich in andern Ländern,
die Bekanntschaft
durch Herumsendung der Visitencar¬
ten von Seiten der Ankommenden eröffnet wird. Die¬
ser Gebrauch würde in England als Zudringlichkeit ver¬90
schmäht, oder, im Anwendungsfalle, als
solche geahndet
werden. Frägt man die
Engländer um die Ursache, so
ist die Antwort: „Wir wünschen uns gegen
Verbin¬
dungen zu
sichern, die uns nicht anständig sein mög¬
ten, aber wir werden selbst nach unserer Ueberzeugung 95
solche aufsuchen, die wir nach unsern Verhältnissen und
hinlänglicher Kenntniß für wünschenswerth halten.“
Und so wird der Umgang von den bereits Etablirten
gegründet, und ist gewöhnlich — um desto solider.
Wer ist der Aermste?100
„Geld!“ rief, „mein edelster Herr!“ ein
Armer.
Der
Reiche versetzte:
„Lümmel, was gäb’ ich darum, wär ich so hungrig,
als er!“
Der witzige Tischgesellschafter.105
Treffend, durchgängig ein Blitz, voll
Scharfsinn, sind
seine Repliken:
Wo? An der Tafel? Vergieb! Wenn er’s zu Hause
bedenkt.
xp.110
Anekdote.
Bach, als seine Frau starb, sollte
zum Begräbniß
Anstalten machen. Der arme
Mann war aber gewohnt,
Alles durch seine Frau besorgen zu lassen;
dergestalt,
daß da ein alter Bedienter kam, und ihm für Trauer¬115
86flor, den er einkaufen wollte, Geld abforderte, er un¬
ter stillen Thränen, den Kopf
auf einen Tisch gestützt,
antwortete: „sagt’s meiner Frau.“ —
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Ein Knecht eines hiesigen
Branntweinbrenners 120
ist aus einer 20 Fuß hohen Bodenlucke gefallen und
am Kopfe jedoch nicht lebensgefährlich verwundet.
Einer hiesigen Bäckerwittwe ist für
8 Gr. zu leich¬
tes Brod
zerschnitten.
Ein Schneidergesell, der lange an
der Auszehrung 125
krank war, hat sich gestern, wahrscheinlich aus
Ver¬
zweiflung über
seine hülflose Lage, durch einen Pisto¬
lenschuß das Leben genommen.
Ein Lehrling eines hiesigen
Uhrmachers hat zwei
seinem Herrn gehörige Uhren verkauft und noch
meh¬130
rere Betrügereien
verübt.
Zweien Bauern sind auf dem neuen
Markte ab¬
genutzte
Gemäße zerschlagen.
Interessante Schriften, welche
in der Buch¬
handlung von J. E. Hitzig zu haben sind.135
Sapphus
Lectiae
Lesbiae
Carmina et fragmenta. Recensuit,
Commentario illustravit. Schemata musica adjecit et
Indices
confecit Henr. Frid. Magnus Volger, Pae¬
dagogii Regii Ilfeldensis Collaborator 1
thl.